Frisch gelesen und rezensiert: Martin Iddons „New Music at Darmstadt“

Faktenreich, anschaulich und stets mit kritischem Blick – diese Monographie von Martin Iddon (University of Leeds) liest sich wie eine spannende Chronik zu den Anfängen der Darmstädter Ferienkurse von 1946 bis 1961. Wie der Untertitel „Nono, Stockhausen, Cage, and Boulez“ schon verrät, wird diese Geschichte am Beispiel ausgewählter (zentraler) Personen erzählt. In der Einleitung werden die Anfangsjahre der geschichtsträchtigen Ferienkurse historisch aufgearbeitet: Iddon beschreibt das politische und kulturelle Klima zur Zeit der Gründung und beleuchtet wirtschaftliche Faktoren ebenso wie die Hintergründe der beteiligten Personen zur Zeit des Nationalsozialismus. Im folgenden Hauptteil geht er auf die einzelnen Jahre mit ihren Schwerpunkten und besonderen Ereignissen ein. Dadurch entsteht nicht nur ein umfangreiches Bild der Ferienkurse, sondern auch ein lebendiger Eindruck davon, welche Themen diskutiert wurden und welche Musik im Vordergrund stand. Gestützt werden diese Eindrücke durch reiches Quellenmaterial, z.B. zahlreiche Korrespondenzen (insbesondere zwischen Wolfgang Steinecke und einzelnen Komponisten), Publikationen und Vorträge der Teilnehmer sowie Rezensionen in der Presse: Wie wurde das „Wunderkonzert“ 1952 aufgenommen? Welches Echo hat John Cage 1958 ausgelöst? All dies ist in „New Music at Darmstadt“ nachzulesen.

Das Buch ist 2013 in der Reihe „Music Since 1900“ (ehemals „Music in the Twentieth Century“) der Cambridge University Press erschienen. Kommen wir nun zu den wesentlichen Thesen: Im ersten Teil „The accidental serialists“ weist Iddon glaubwürdig nach, dass es eine „Darmstädter Schule“ im Sinne einer einheitlichen kompositorischen Schule nicht gegeben hat. Zudem vollzieht er nach, wie die Idee einer „Darmstädter Schule“ überhaupt entstand: Das Bild einer seriell komponierenden, an Anton Webern orientierten Gruppe von jungen Komponisten wie Stockhausen, Bruno Maderna, Luigi Nono, Karel Goeyvaerts und Pierre Boulez wurde (bewusst) konstruiert von Akteuren des Musiklebens wie Wolfgang Steinecke und Herbert Eimert. Von der Presse wurde die Idee einer solchen Schule gerne aufgenommen, durch die es endlich gelang, die „schrägen“ jungen Komponisten einzuordnen. Mit dieser Re-Konstruktion hinterfragt Iddon einen Begriff, der für die Musikgeschichtsschreibung nach 1945 nicht wegzudenken ist. – Ist diese Idee einer „Darmstädter Schule“ seit 1953 vorhanden und ab 1955 verbreitet, so kündigt sich 1957 schon ihre Auflösung an: In dem Jahr, wo das Moment des Zufalls in der Musik (Aleatorik) zunehmend thematisiert wird.

Im zweiten großen Teil „Chance encounters“ beleuchtet Iddon die Umstände von Cages Besuch in Darmstadt 1958 und legt besonderes Augenmerk auf seine Rezeption. Dabei deutet er darauf hin, dass Cages Konzept von „indeterminacy“ (Unbestimmtheit) oft als Improvisation missverstanden wurde. Eine weitere Fehldeutung entstand durch die Übersetzung von Cages Vorlesungen durch Heinz-Klaus Metzger, der den eher spielerischen Charakter des Originaltextes in einen kämpferischen umwandelte und so seine eigene Deutung von Cage als Klassenkämpfer untermalte. Von der vermeintlichen Einheit der Darmstädter Komponisten konnte 1959 keine Rede mehr sein: Die Einstellungen zur Musik und zu kompositorischen Herangehensweisen prallten stark aufeinander – etwa bei Stockhausen und Boulez, oder Stockhausen und Nono – und das Gefühl der Kollegialität ließ stark nach. Cage war dabei, so Iddon, weniger der Grund als vielmehr ein Katalysator für die Unstimmigkeiten, die schon länger vorhanden waren und nun erst an die Oberfläche traten. Der eigentliche Konflikt, den Cage auslöste, war kein kompositionstechnischer, sondern ein musikästhetischer: „The fundamental distinction, then, was not between serial method and chance operations at all, but rather between Europeans, who wanted to be ‘composers’ through the operations of their wills and compositional desires, and Americans, who were willing to allow music to occur unpurposively.“1

Von besonderem Interesse für mich waren die ästhetischen Dispute, die Iddon nachzeichnet und in einen Zusammenhang stellt, von der Auseinandersetzung zwischen Adorno und Metzger (zum Altern der neuen Musik) über die Vorträge von Boulez (1957), Nono (1959) und Stockhausen (1959, 1960) bis hin zu Adornos revidierter Sichtweise in „Vers une musique informelle“ (1961). Dabei lässt Iddon nie aus zu fragen, auf welche Werke und Komponisten sich die Kritik in den Texten beziehen könnte. Im abschließenden Kapitel ergreift der Autor einen interdisziplinären Ansatz: Er verwendet die Theorie des Fremden in der Gesellschaft des polnischen Soziologen Zygmunt Bauman, um die Rezeption von Cages Musikästhetik in Darmstadt in soziologischer Hinsicht zu kategorisieren, nämlich als Assimilation (bei Stockhausen und Metzger) und Exklusion (bei Ernst Thomas). Dieses 300-seitige Buch kann ich jedem Musikwissenschaftler empfehlen, der sich mit der Neuen Musik nach 1945 beschäftigt. Es regt dazu an, tradierte Begriffe der Forschung kritisch zu prüfen, ihrer Konstruktion nachzugehen und damit Mechanismen der Musikgeschichtsschreibung freizulegen.

1Martin Iddon, New Music at Darmstadt. Nono, Stockhausen, Cage, and Boulez, Cambridge 2013 (Music Since 1900), S. 215.

Quelle: http://avantmusic.hypotheses.org/86

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千里之行,始於足下。10 Jahre ‘Wiener Chinabibliographie (1477-1939)’

“Eine tausend Meilen weite Reise beginnt vor deinen Füßen.”[1]

Im April 2004 ging die “Wiener Chinabibliographie: Bücher über China in Wiener Bibliotheken (1477-1939)” online, im Dezember 2009 wurde daraus die Bibliotheca Sinica 2.0 – Zeit für einen Rückblick, eine Zwischenbilanz und einen Ausblick.

Wie alles begann …

Über die Jahre hatten sich – zuerst auf Notizzetteln und in Notizbüchern, später in Dateien auf vielen, vielen Disketten, in Text-Dateien und Excel-Tabellen bibliographische Daten angesammelt – Notizen und Anmerkungen noch aus Studienzeiten und aus ersten Forschungsarbeiten. Dazu kam irgendwann eine Kopie des “Chronologische[n] Titelregister[s]” aus dem Ausstellungskatalog China illustrata[2].

Logo der Wiener Chinabibliographie

Erstes Logo

Dazu kam  ein Verzeichnis der Titel in der Sammlung Western Books on China published up to 1850[3]die 1990 als Microfiche-Ausgabe bei Brill erschien[4] und die es seit 2008 als Online-Angebot gibt. Beides wurde im Lauf der Zeit ‘annotiert’ – mit den Signaturen der aufgelisteten Bücher in den Katalogen der Universitätsbibliothek Wien und/oder der Österreichischen Nationalbibliothek.

Irgendwann wurde aus den verteilten Notizen eine einzige Tabelle:

  • Autor
  • Titel
  • Erscheinungsort
  • Verlag
  • Erscheinungjahr
  • Signatur(en)
  • Anmerkungen

Die Tabelle wuchs, es kamen neue alte Bücher dazu, es kamen mehr Spalten dazu:

  • VD16, VD17, VD18 Nummern
  • Ist das Buch in gängigen Bibliographien verzeichnet?
    • Wo steht das Buch in der Bibliotheca Sinica von Cordier?
    • Wo steht das Buch im Katalog von Lust?

Aus der Sammlung der Fragmente wurde ein systematischeres Suchen – mit den jeweils zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln, also Zettel- und Bandkatalogen und den ersten Online-Katalogen, die Lichtjahre von ‘One-Stop-Lösungen’ entfernt waren …

Die ersten Schritte …

In den Wiener Bibliotheken gab (und gibt es) die ‘Western Books on China published up to 1850′ nicht – aber der Zugang zu den Originalen war (und ist) relativ einfach. Dieser paradiesische Zustand war uns – Georg Lehner und mir – nicht wirklich bewusst, es war eine Selbstverständlichkeit. Bei Konferenzen tauchte immer wieder die Frage auf: Und wo hast Du/haben Sie das Buch gesehen? Die Antwort – in der Bibliothek bestellt und noch am selben Tag eingesehen – löste vielfach ungläubiges Staunen aus, kaum jemand wusste, welche Schätze in den Depots der Universitätsbibliothek Wien und der Österreichischen Nationalbibliothek schlummern: die ‘Highlights’ der frühen China-Literatur, häufig in mehreren Ausgaben und/oder diversen Übersetzungen.[5]

Die Entscheidung, die Bibliographie der ‘Wiener’ China-Bücher, die zwischen 1477 und 1939 erschienen, online zu stellen, war  (angestachelt durch ein bisschen Frust und eine gehörige Portion Ärger) ziemlich spontan. Content-Management-Systeme gab es noch nicht (zumindest nicht für Normalverbraucher), also entstand wurden aus der Tabelle statische Webseiten – einfache Listen, alphabetisch sortiert, nach Erscheinungsdatum jahrhunderteweise gruppiert … Am Layout wurde ein bisschen gebastelt, die Seiten wurden hübscher, die Tabellen wurden durch CSS-Gestaltung ersetzt. Die Aktualisierung war (und blieb) mühsam.

Neue Tools …

Während man in Wien von Microfiche-Ausgaben träumte, tauchten in den Trefferlisten der Suchmaschinen die ersten Digitalisate auf, da waren plötzlich Dinge wie das Internet Archive (ab 1996),  gallica (ab 1997) – mit zum Teil bescheidener Qualität, wenn Mikrofilme eingescannt wurden, Google Books (ab 2005) und HATHI Trust (ab 2008) – für Europäer wegen der nicht immer nachvollziehbaren Zugriffssperren mitunter frustrierend[6] Dazu kamen (mitunter gut versteckte) Digitalisierungsprojekte in Bibliotheken in aller Welt … Die Tabelle wurde erweitert, es kamen Spalten für URLs von Digitalisaten dazu und diese Spalten füllten sich. Und es entstand eine zweite Tabelle für die Titel, die es in Wien nicht gab, die aber Klassiker/Meilensteine/Fixsterne der frühen Chinaliteratur waren.
Es war illusorisch, die Links in die statischen Seiten einzupflegen. Es musste eine andere Lösung her …

Die neue Lösung war ein Blog mit Platz für die Bibliographie der in Wien physich vorhandenen Büchern und mit Platz für Links zu Digitalisaten. Und das Ding brauchte einen neuen Namen, denn es ging nicht mehr nur um die Wiener China-Bücher. Aus der “Wiener China-Bibliographie (1477-1939) wurde die Bibliotheca Sinica 2.0. Der neue Name sollte und soll Programm sein.

Bibliotheca Sinica 2.0 [Screenshot]

Bibliotheca Sinica 2.0 [Screenshot]

Die Bibliotheca Sinica 2.0 ist eine kuratierte Sammlung, die langsam, aber konsequent wächst. Der aktuelle Stand (27.4.2014): In der Bibliographie finden sich 3500 Titel (aus den Beständen der Österreichischen Nationalbibliothek, der Universitätsbibliothek Wien, der Bibliothek des Österreichischen Staatsarchivs), im Blog gibt es zur Zeit mehr als 2800 Beiträge. Jeder dieser Beiträge enthält zumindest einen Titel mit Link zu einem Digitalisat. Die Mehrzahl der Beiträge enthält mehrere Ausgaben eines Titels und/oder Übersetzungen. (Fast) jeder Beitrag enthält eine bibliographische Notiz zu einschlägigen Fachbibliographien oder Verzeichnissen, einige der Beiträge enthalten weitere Anmerkungen zum Titel. Wenn der Titel in Wien vorhanden (und in der Bibliographie verzeichnet) ist, gibt es einen Link zum Eintrag in der Bibliographie und von der Bibliographie zu dem Blogartikel mit Link(s) zum Digitalisat. Die verlinkten Digitalisate finden sich in rund 130 ‘Repositories’, von ‘Riesen’ mit mehreren hundert Titeln wie gallica, HATHI Trust, Internet Archive und Google Books bis zu ganz kleinen mit einem einzigen Titel wie etwa die Bibliothèque Universitaire Moretus Plantin (Namur). Die Titel sind nicht nach Richtlinien wie RAK-WB aufgenommen – sondern so, dass sie möglichst gefunden werden können, manchmal unter dem Namen eines Bearbeiters oder des viertletzten Autors auf dem Titelblatt oder mit einem mehr oder weniger verballhornten Titel, der in der Literatur gängig erscheint. ‘Neue’ Titel kommen laufend dazu, ältere Beiträge werden ergänzt und erweitert und  (wenn nötig) korrigiert.

Ein Ausblick …

Das Projekt bietet curated content zu einem klar definierten Thema. Die Bibliotheca Sinica 2.0 sammelt mit einem klaren Fokus: Literatur über China, die zwischen 1477[7] und 1939 veröffentlicht wurde mit Links zu (ohne technische Spielereien) frei zugänglichen Digitalisaten.

千里之行,始於足下。
“Eine tausend Meilen weite Reise beginnt vor deinen Füßen.”

  1. Original: 千里之行,始於足下。 Qiān lǐ zhī xíng, shǐ yú zúxià. [Wörtlich: Eine Reise von tausend Meilen beginnt unter deinem Fuß]. Übersetzung: Laotse: Tao te king. Das Buch vom Sinn und Leben. Übersetzt und mit einem Kommentar von Richard Wilhelm. (= Diederichs Gelbe Reihe: China, 19; München: Eugen Diederichs 1988)  Kapitel 64 (S. 107).
  2. Hartmut Walravens: China illustrata. Das europäische Chinaverständnis im Spiegel des 16. bis 18. Jahrhunderts. [Ausstellung im Zeughaus der Herzog-August-Bibliothek vom 21. März - 23. August 1987] (= Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek ; 55; Weinheim: Acta Humaniora, VCH 1987), 286-290
  3. Die Sammlung basiert auf John Lust, Western books on China published up to 1850 in the Library of the School of Oriental and African Studies, University of London : a descriptive catalogue (London: Bamboo Publishing 1987).
  4. Das Verzeichnis (pdf) sieht auch 2014 noch so aus wie damals.
  5. ‘Lücken’ gibt es vor allem bei Literatur in englischer Sprache, was allerdings aus der Geschichte der Sammlungen erklärbar ist.
  6. Die Hürde ist aber überwindbar.
  7. In diesem Jahr erschien die erste gedruckte Ausgabe des Berichts von Marco Polo – s. Bibliotheca Sinica 2.0.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1454

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Citoyenneté : institution d’intégration ou de dissociation ? IEA Paris – 28/05 – 11h15

Concept politique et institution juridique, la citoyenneté est chargée d’un sens positif et inclusif. Elle est une institution républicaine et constitutionnelle qui, à chaque niveau de la vie politique, ouvre la voie à la participation. Aussi a-t-elle obtenu un sens fortement symbolique lié aux droits de la liberté et à la démocratie. En revanche, la citoyenneté peut revêtir une fonction contraire et agir en sens inverse. Par exemple, les droits essentiels de la citoyenneté dépendaient historiquement de la nationalité, institution juridique fortement sélective et exclusive. L’attribution sélective de la citoyenneté à certains groupes – au détriment d’autres – implique la dissociation d’une communauté, par exemple selon des critères d’appartenance à un sexe, à un groupe social ou religieux. Le statut d’un citoyen d’origine européenne dans un empire et territoire colonial est nettement distinct de celui des indigènes-sujets. La citoyenneté de l’Union Européenne n’est pas facilement ouverte aux migrants de l’extérieur et induit une dissociation dans la mesure où elle sépare la communauté européenne des communautés politiques en dehors de l’Union.

La journée d’étude organisée par Dieter Gosewinkel (IEA de Paris / Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung) vise à démontrer et analyser l’ambivalence inhérente à la citoyenneté, oscillant entre ses fonctions d’intégration et de dissociation : elle réunit des historiens, sociologues, politistes, philosophes et juristes pour discuter la question de savoir comment et avec quelles conséquences la création d’une communauté de citoyens implique à la fois dissociation et exclusion.

Vous trouverez ici le programme et les infos pratiques.

Quelle: http://trivium.hypotheses.org/623

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The Fourteenth International Congress for Eighteenth-Century Studies (Rotterdam)

First Announcement
The Fourteenth International Congress for Eighteenth-Century Studies

Opening Markets, Trade and Commerce in the Eighteenth Century

Erasmus University Rotterdam, July 26-July 31, 2015

The Congress of the International Society for Eighteenth-Century Studies (ISECS) is the world’s largest Eighteenth-Century meeting, and takes place every four years. Recent ISECS congresses have been held in Dublin (1999), Los Angeles (2003), Montpellier (2007) and Graz (2011).

The 2015 ISECS Congress will be organized in Rotterdam, the Netherlands, from 26 to 31 July 2015. The Congress is organized by the Organizing Committee of Dutch-Belgian Society of Eighteenth-Century Studies (DBSECS -Werkgroep 18e Eeuw) and is hosted by the Erasmus University Rotterdam on Campus Woudestein. We can welcome more than thousand participants.

The theme of the fourteenth ISECS Congress is Opening Markets. The Congress will include theme-related sessions as well as plenary sessions featuring invited speakers. Besides the theme-related sessions, panel sessions will be organized on all topics relevant and related to the long Eighteenth-Century.

The Congress will be organized into parallel sessions and round tables with keynotes elaborating on the subtopics. The Congress will facilitate poster presentations. An International Committee made up of members of the Organizing Committee and scholars from scientific institutes and universities in the world coordinates the scientific program.

We are looking forward to intense and inspiring discussions and debates around the theme and related topics. Discuss with colleagues from all over the world and beyond your perspective and research – don’t miss the chance!

 

The online registration is divided into three phases:

  • Submission of proposals for panel sessions and round table sessions,
  • Submission of proposals for individual papers or poster presentations,
  • Individual registration of participants.

In this First Announcement we invite you, your organization, society or institute to propose online Panel sessions and Round Table sessions.

In May 2014 we shall distribute our Second Call and invite individual scholars and experts to submit online proposals for papers and poster presentations and for pre-registration for the Congress.

In August 2014 we shall distribute our Third Call and open the online Registration for all persons interested to participate in the program of the ISECS 2015 Congress.

Do not hesitate to distribute this call among interested colleagues and networks!

Quelle: http://frueheneuzeit.hypotheses.org/1691

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ICH MUSS ALLES WISSEN … ICH MUSS IN SEIN GEHEIMNIS DRINGEN


Olaf Brill räumt in seinem Buch „Der Caligari-Komplex“ im Keller des sagenumwobenen Films auf.

Ein Beitrag von Franziska Stenzel

Caligari_CoverAls der Film Das Cabinet des Dr. Caligari am 26. Februar 1920 im Marmorhaus am Kurfürstendamm in Berlin seine Uraufführung feierte, ging der Premiere des Films eine neuartige Werbekampagne voraus: Du musst Caligari werden stand an den Litfaßsäulen der Stadt geschrieben. 94 Jahre später wurde erneut eine Premiere gefeiert: Eine digital restaurierte Fassung des Caligari-Films gelangte am 9. Februar auf der Berlinale 2014 zur Aufführung. Doch während sich 1920 noch niemand etwas unter dem Titel vorstellen konnte, ist Das Cabinet des Dr. Caligari heute aufgrund seiner Überlieferungs- und Wirkungsgeschichte und der Legenden, die sich um ihn ranken, ein weithin bekanntes und erforschtes Werk der Filmgeschichte. Die Widersprüchlichkeit der Legenden und Zeitzeugenberichte werfen indessen auch Jahrzehnte nach der Entstehung des Films viele Fragen auf, denen Olaf Brill mit seinem Buch „Der Caligari-Komplex“ (München: Belleville, 2012) auf den Grund gegangen ist.

„Ich kannte Das Cabinet des Dr. Caligari schon lange und war immer von diesem Film fasziniert gewesen: Diese unheimliche Geschichte um den mordenden Somnambulen und den Jahrmarkts-Hypnotiseur, die im Wahnsinn endet. Die aufregende Zeit, in der der Film entstanden ist. Die Legenden. Und die fortwährende Diskussion um die Interpretation des Films.“  – So beschreibt der Autor sein leidenschaftliches Forscherinteresse für den Film im Interview auf www.filmportal.de[1].

Brill gliedert sein Buch in drei Teile: 1. Filmanalyse, 2. Entstehungsgeschichte und 3. Wirkung. Im ersten Teil, der Filmanalyse, untersucht er die Frage, warum der Film als Schlüsselwerk der Filmgeschichte gilt. Er bettet den Film in den Kontext der Filmgeschichte ein und untersucht, wie die Malerei in den Film gekommen und inwiefern der Film ein genuin expressionistischer Film ist. Dabei geht Brill besonders auf die Erzählstrategien des ausdrucksstarken Gruselfilms ein. Der Autor setzt den Film in Zusammenhang mit den Schauerromanen der damaligen sowie den Psychothrillern der heutigen Zeit wie z.B. Martin Scorseses Psychothriller Shutter Island aus dem Jahr 2010.

Brill untersucht im ersten Kapitel ebenso Ästhetik und Filmstil. Detailliert beschreibt er einzelne Einstellungen des Films und welche Filmfehler, zum Beispiel in Hinsicht auf die Requisiten sie verraten (z.B. trägt Franzis den Hut in der nächtlichen Büroszene zunächst auf dem Kopf, später hält er ihn in der Hand). Weitere Aspekte von Brills Untersuchungen betreffen die Bewegungsrichtungen oder die räumliche Anordnung der Figuren in den Bildkompositionen.

Im zweiten Teil zur Entstehungsgeschichte des Films entdeckt Brill u.a. die wahre Geschichte hinter dem „Mord am Holstenwall“ und geht der über das Buch von Siegfried Kracauer Von Caligari zu Hitler vermittelten Schöpfungsgeschichte auf den Grund. Dabei verfolgt Brill die Rezeptionsgeschichte des Holstenwall-Mordes und erläutert an diesem Beispiel, wie sich eine solche Erzählung zu einer Legende in der traditionellen Filmgeschichtsschreibung entwickelt.

Der dritte Abschnitt des Buches ist der Wirkung des Caligari-Films gewidmet. Olaf Brill skizziert zunächst die Lebensläufe der Schauspieler, Drehbuchautoren, Regisseure und Bühnenbildner nach Caligari: Carl Mayer wurde von Zeitzeugen als ein wichtiger und passionierter Drehbuchautor beschrieben, für den Das Cabinet des Dr. Caligari nur der Einstieg in das Filmgeschäft bedeutete. Hans Janowitz war als Autor bis Anfang der 1920er Jahre noch bei einigen weiteren Filmen tätig, darunter für die heute als verschollen geltenden Filme von Friedrich Wilhelm Murnau Der Januskopf und Marizza, genannt die Schmuggler-Madonna, ließ danach aber nicht mehr allzu viel von sich hören. Werner Krauß und Conrad Veidt einte zunächst der große Durchbruch als Filmschauspieler – nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten gingen beide Darsteller allerdings unterschiedliche Wege. Der Werdegang und die Wirkung des Films auf diese und weitere Filmbeteiligte werden von Brill in Form von kleineren Biographien beschrieben. Auch die Nachwirkungen auf den Film an sich (vor allem in Form von Filmnachfolgern) sowie Interpretationsversuche finden in diesem Kapitel ihren Platz.

Den dreiteiligen, reich mit Filmfotos, Plakaten und Schemata bebilderten Hauptteil des Buchs ergänzt Brill mit einem beachtlichen Anhang. Dieser bietet Kritiken der Uraufführung, ein Faksimile des Programmhefts, ausführliche filmografische Daten sowie ein detailliertes Einstellungsprotokoll.

Tatsächlich bilden aber die Beschreibungen des Caligari-Films und seine Nachforschungen den Hauptgehalt des Buches, mit denen Brill die Schaulust und Neugier seiner Leser allemal befriedigen kann: Die genauen Erklärungen des Autors, unterstützt durch zahlreiche Bilder und schematische Darstellungen, nehmen die Leser selbst mit auf Spurensuche. Brill gelingt es, Fachbegriffe der Filmwissenschaft und Grundlagen filmhistorischer Forschung verständlich und anschaulich am konkreten Beispiel zu vermitteln.

Zusammenfassend möchte ich den Caligari-Komplex sowohl Filmliebhabern als auch Experten wärmstens empfehlen. Beeindruckend versteht Brill es, seine Untersuchungsergebnisse stets in einen übergreifenden filmhistorischen Kontext zu setzen und dem Leser seine Theorien über die Entstehungs-, Überlieferungs- und Wirkungsgeschichte des Cabinets des Dr. Caligari zu vermitteln. Seine Resultate verpackt Brill belletristisch sowie fachwissenschaftlich, sodass er jedem Leseranspruch mit seinem Text gerecht wird.

 

ISBN:  3923646771
Seiten: 426
Verlag: BELLEVILLE
Veröffentlicht: Juni 2012
Sprache: Deutsch

Preis: 38.00 €

 

[1] Deutsches Filminstitut – DIF e.V.: Filmgeschichte jenseits der Legenden. Interview mit Olaf Brill über “Der Caligari-Komplex”. URL: http://www.filmportal.de/material/interview-mit-olaf-brill [abgerufen am: 14.04.2014]

Quelle: http://filmeditio.hypotheses.org/190

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“RaderGate” – Was die Debatte um Plagiate aus der Wikipedia übersieht

Fomfr pranger

Pranger im Foltermuseum in Freiburg im Breisgau

 

Vor drei Tagen ging die Nachricht durch die Medien, dass zwei Historiker unter Plagiatsverdacht stehen. Das Buch “Große Seeschlachten: Wendepunkte der Weltgeschichte von Salamis bis Skagerrak” (C.H. Beck Verlag) soll von den Autoren Arne Karsten und Olaf Rader in großen Teilen sogar wörtlich aus der Wikipedia stammen. Näheres zu den Umständen findet man z.B. bei Spreeblick.

Jetzt wird der Fall diskutiert. Vom “Diebstahl geistigen Eigentums” ist die Rede, von Verletzung wissenschaftlicher Standards, man sei “beim Abschreiben aus Wikipedia erwischt worden”. Es ist von einer Rufschädigung der Autoren und des Verlags die Rede. Von “digitaler Denunziation” ist zu lesen. Es geht schon wieder mal wild durcheinander im bürgerlichen Empörungszirkus. Dazu drei Anmerkungen.

1. Man darf von Wikipedia  “abschreiben” – auch zu kommerziellen Zwecken

Arne Karsten und Olaf Rader haben erst einmal nichts Verbotenes gemacht. Die Inhalte der Plattform sind freies Wissen und unterliegen der Creative Commons Lizenz CC-BY-SA 3.0. Diese regelt zwei Dinge: Man darf die Inhalte frei verwenden, wenn man den Namen des Urhebers bzw. Rechteinhabers an entsprechender Stelle in der richtigen Form nennt und die Inhalte unter derselben Lizenz weitergibt. Das bedeutet aber auch, dass die Inhalte verändert, kopiert, in Bücher gepackt und verkauft werden dürfen.

Die Wikimedia Foundation, als Trägerin der Wikipedia, hat diese Lizenz bewusst ausgewählt und eine intensive Debatte der Wikipedia-Community hat vor einigen Jahren noch einmal bestätigt, dass die kommerzielle Nutzung der Wikipedia-Texte nicht ausgeschlossen werden soll. Dafür gibt es eine ganz einfache Begründung: Das Verbot der kommerziellen Nutzung verhindert die Verbreitung freien Wissens, dem Ziel der Wikipedia und ihrer Schwesterprojekten.

Von “Diebstahl geistigen Eigentums” kann man daher gar nicht so leicht sprechen. Genaugenommen war der Begriff “Diebstahl” im Bereich der Wissensvermittlung immer schon falsch. Aber in jedem Fall – man ahnt es schon – kann man von einem Lizenzverstoß ausgehen. Doch dazu gleich.

2. Die Neuordnung von Wissen ist eine eigene Leistung

Die Scientific Community forciert in der laufenden Diskussion über das Buch “Große Seeschlachten” zwei Fragen: Sind beim “Abschreiben” wissenschaftliche Standards verletzt worden? Und: Hat das vorliegende Werk einen neuen Erkenntniswert?

Die erste Frage ist schnell beantwortet. Es ist zu prüfen, ob die Quellen den allgemeinen Standards entsprechend belegt werden. Ist das nicht geschehen, ist der Fall klar: Standard verletzt. Rüge. Marginalisierung in der Scientific Community. Fertig ist der Lack.

Was die wenigsten wissen: Auch Wikipedia hat über die Jahre sehr strenge Regelungen für Quellenbelege eingeführt. Ihre Einträge sind nicht selten besser belegt als manche Seminararbeit zum selben Thema.

Die zweite Frage,  nach dem Erkenntniswert oder dem Wert generell, ist natürlich komplexer. Ob die “Großen Seeschlachten” von Arne Karsten und Olaf Rader ein großer Wurf sind oder zumindest eine gute Einführung können nur die Leserinnen und Leser entscheiden. Es wäre jedoch fatal, wenn der aktuelle Fall dazu benutzt würde, die Arbeit in und mit der Wikipedia wieder einmal so zu drehen, dass am Ende eine akademische Zweiklassengesellschaft herauskommt.

Diese Sorge kommt nicht von ungefähr, denn in der Welt strukturkonservativer Wissenschaftler und Journalisten gibt es bekanntlich zwei Sorten von Akademikern: Die eigentlichen Fach-Wissenschaftler und Experten einerseits und den ganzen Rest von einfachen Vermittlern, Lehrern, Laien und Populärwissenschaftler andererseits. Alle, die nicht für die Scientific Community schreiben, stehen unter Generalverdacht, doch eigentlich keine eigene und wertige Leistung zu bringen. Dasselbe Verdikt trifft konsequenterweise auch gelungene Kompilationen oder Remixes.

Dabei ist die Sicherung, Aufarbeitung und Verbreitung von Wissen eine Kunst, die nicht weniger wichtig ist, als die dann doch oft sehr handwerklich zu bewältigende Forschungsarbeit von Fachwissenschaftlern. Und das gilt nicht zuletzt sondern auch für die Wikipedia. Das kollektive Zusammenstellen von Wissen in über 280 Sprachen und Kulturen ist ein ungeheurer Lern- und Gestaltungsprozess. Ausgeführt von Menschen, die oft selbst einen sehr hohen Bildungsstand haben.

Und wenn jemand aus dem gesammelten Weltwissen Einzelfragen herausgreift und beispielsweise  Seeschlachten darstellen und besprechen will, kann das eine eigene Leistung sein. Ob sie das in dem konkreten Fall ist, bleibt zu untersuchen. Doch ohne den Inhalt zu kennen, wird pauschal davon gesprochen, dass Karsten und Rader beim “Abschreiben von der Wikipedia erwischt worden”. Wie ein kleiner Schulbub beim Unterschleif. “Das macht man nicht!”

Doch das kann sehr sinnvoll sein, wenn man es richtig macht und nicht gegen geltendes Recht verstößt.

3. Das Buch ist mangelhaft, weil es einen Rechtsmangel hat

Die Kunden des C.H. Beck Verlags haben ein Buch gekauft. Die Inhalte dieses Buches sind urheberrechtlich geschützt. Sie dürfen also nicht ohne Genehmigung des Verlags kopiert, verändert, verbreitet werden.

Sobald die Inhalte des Buches zu großen Teilen aus Inhalten mit einer freien Lizenz bestehen, sieht die Sache anders aus. Diskutiert wird bislang nur, inwieweit Quellen aus wissenschaftlicher Sicht nachgewiesen werden müssen – zum Zweck der Überprüfbarkeit oder zum Nachweise der intellektuellen Eigenleistung. Der Hammer hängt für die Wikipedia aber beim Umgang mit ihren freien Lizenzen.

Es ist legitim, aus Wikipedia in einem kleineren Umfang zu zitieren. Wenn aber größere Teile  übernommen werden, muss klar dargestellt werden, welche Teile aus der Wikipedia kommen und demnach frei verwendet werden können. In diesem Fall: Welche Teile stehen unter der Creative Commons CC-BY-SA 3.0? Auf gar keinen Fall, darf der Urheber (in dem Fall die Rechteinhaberin Wikimedia Foundation ) verschwiegen und der Inhalt unter eine andere Lizenz gestellt werden. Der Verlag hat damit ein Produkt mit Rechtsmängeln verkauft und einen klaren Rechtsbruch begangen.

Normalerweise sichern sich hier Verlage über die Autorenverträge ab. Dort ist meist formuliert, dass alle Rechte an den Verlag übergehen und die Autoren bei der Übergabe diese Rechte auch besitzen müssen. Deswegen wird C. H. Beck nun auch Arne Karsten und Olaf Rader mit seinen Anwälten bearbeiten. Das Problem ist damit aber nicht gelöst. Das Werk muss vom Markt. Die Wikimedia Foundation kann abmahnen und klagen. Vielleicht sollte sie das in diesem Fall endlich mal machen, um am Ende die Stellung freier Lizenzen zu stärken.

Und für die Zukunft gilt: Es wird immer weniger Bücher geben, die zu großen Teilen aus Inhalten mit freien Lizenzen bestehen oder noch schlimmer, der Anteil an Büchern, von denen man nicht sagen kann, inwieweit sie aus freien Inhalten bestehen, wird größer. Das hat schlicht mit der Tatsache zu tun, wie sich mit dem Web unsere Arbeitsweise ändert. Und das Risiko für Verlage wird unvermeidlich steigen. Und so wäre es viel einfacher, wenn der C. H. Beck-Verlag seine Buchinhalte generell unter eine freie Lizenz stellen würde. Das wäre auch kein Problem. Man könnte das Seeschlachten-Buch einfach unter die Creative Commons Lizenz stellen und die Welt wäre in Ordnung. Man würde auch keinen Cent weniger verdienen und die Wikipedia-Community hätte nichts dagegen. Doch das wäre zu einfach. Und zu revolutionär.

Deswegen wird weiter rummoralisiert, es werden Qualitätsdebatten geführt und Handlungen kriminalisiert, die es nicht sind. Über relevante Rechtsverstöße bei der kommerziellen Nutzung freien Wissens dagegen wird in den Medien auffällig geschwiegen. Weil alle betroffen sind.

Für Historikerinnen und Historiker bleibt da nur, künftig die richtigen Gewichte zu setzen und einen klaren Blick zu behalten. Sie brauchen ein Umfeld, das gelernt hat, mit freiem Wissen und freien Lizenzen offen und ehrlich umzugehen.
Und sie müssen selbst ihre Lage angesichts der Medienrevolution neu bestimmen und flexibel darauf reagieren. Die Berufe und Arbeitsweisen in den Sozialwissenschaften werden durch das Web verändert.  Wir werden zunehmend im Web Wissen zur Verfügung stellen und besprechen um ab und zu ein gedrucktes Buch daraus machen. Hier drehen sich die Verhältnisse zwischen Print- und Digitalmedien um.
Und auch das zeigt “RaderGate” (Klaus Graf): Fachwissenschaftler sind zwar weiterhin nötig, die Qualitätssicherung wird aber künftig in der Weböffentlichkeit organisiert.

Auch lesenswert:


Einsortiert unter:Medien

Quelle: https://kritischegeschichte.wordpress.com/2014/04/26/radergate-was-die-debatte-um-plagiate-aus-der-wikipedia-ubersieht/

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“RaderGate” – Was die Debatte um Plagiate aus der Wikipedia übersieht

Fomfr pranger

Pranger im Foltermuseum in Freiburg im Breisgau

 

Vor drei Tagen ging die Nachricht durch die Medien, dass zwei Historiker unter Plagiatsverdacht stehen. Das Buch “Große Seeschlachten: Wendepunkte der Weltgeschichte von Salamis bis Skagerrak” (C.H. Beck Verlag) soll von den Autoren Arne Karsten und Olaf Rader in großen Teilen sogar wörtlich aus der Wikipedia stammen. Näheres zu den Umständen findet man z.B. bei Spreeblick.

Jetzt wird der Fall diskutiert. Vom “Diebstahl geistigen Eigentums” ist die Rede, von Verletzung wissenschaftlicher Standards, man sei “beim Abschreiben aus Wikipedia erwischt worden”. Es ist von einer Rufschädigung der Autoren und des Verlags die Rede. Von “digitaler Denunziation” ist zu lesen. Es geht schon wieder mal wild durcheinander im bürgerlichen Empörungszirkus. Dazu drei Anmerkungen.

1. Man darf von Wikipedia  “abschreiben” – auch zu kommerziellen Zwecken

Arne Karsten und Olaf Rader haben erst einmal nichts Verbotenes gemacht. Die Inhalte der Plattform sind freies Wissen und unterliegen der Creative Commons Lizenz CC-BY-SA 3.0. Diese regelt zwei Dinge: Man darf die Inhalte frei verwenden, wenn man den Namen des Urhebers bzw. Rechteinhabers an entsprechender Stelle in der richtigen Form nennt und die Inhalte unter derselben Lizenz weitergibt. Das bedeutet aber auch, dass die Inhalte verändert, kopiert, in Bücher gepackt und verkauft werden dürfen.

Die Wikimedia Foundation, als Trägerin der Wikipedia, hat diese Lizenz bewusst ausgewählt und eine intensive Debatte der Wikipedia-Community hat vor einigen Jahren noch einmal bestätigt, dass die kommerzielle Nutzung der Wikipedia-Texte nicht ausgeschlossen werden soll. Dafür gibt es eine ganz einfache Begründung: Das Verbot der kommerziellen Nutzung verhindert die Verbreitung freien Wissens, dem Ziel der Wikipedia und ihrer Schwesterprojekten.

Von “Diebstahl geistigen Eigentums” kann man daher gar nicht so leicht sprechen. Genaugenommen war der Begriff “Diebstahl” im Bereich der Wissensvermittlung immer schon falsch. Aber in jedem Fall – man ahnt es schon – kann man von einem Lizenzverstoß ausgehen. Doch dazu gleich.

2. Die Neuordnung von Wissen ist eine eigene Leistung

Die Scientific Community forciert in der laufenden Diskussion über das Buch “Große Seeschlachten” zwei Fragen: Sind beim “Abschreiben” wissenschaftliche Standards verletzt worden? Und: Hat das vorliegende Werk einen neuen Erkenntniswert?

Die erste Frage ist schnell beantwortet. Es ist zu prüfen, ob die Quellen den allgemeinen Standards entsprechend belegt werden. Ist das nicht geschehen, ist der Fall klar: Standard verletzt. Rüge. Marginalisierung in der Scientific Community. Fertig ist der Lack.

Was die wenigsten wissen: Auch Wikipedia hat über die Jahre sehr strenge Regelungen für Quellenbelege eingeführt. Ihre Einträge sind nicht selten besser belegt als manche Seminararbeit zum selben Thema.

Die zweite Frage,  nach dem Erkenntniswert oder dem Wert generell, ist natürlich komplexer. Ob die “Großen Seeschlachten” von Arne Karsten und Olaf Rader ein großer Wurf sind oder zumindest eine gute Einführung können nur die Leserinnen und Leser entscheiden. Es wäre jedoch fatal, wenn der aktuelle Fall dazu benutzt würde, die Arbeit in und mit der Wikipedia wieder einmal so zu drehen, dass am Ende eine akademische Zweiklassengesellschaft herauskommt.

Diese Sorge kommt nicht von ungefähr, denn in der Welt strukturkonservativer Wissenschaftler und Journalisten gibt es bekanntlich zwei Sorten von Akademikern: Die eigentlichen Fach-Wissenschaftler und Experten einerseits und den ganzen Rest von einfachen Vermittlern, Lehrern, Laien und Populärwissenschaftler andererseits. Alle, die nicht für die Scientific Community schreiben, stehen unter Generalverdacht, doch eigentlich keine eigene und wertige Leistung zu bringen. Dasselbe Verdikt trifft konsequenterweise auch gelungene Kompilationen oder Remixes.

Dabei ist die Sicherung, Aufarbeitung und Verbreitung von Wissen eine Kunst, die nicht weniger wichtig ist, als die dann doch oft sehr handwerklich zu bewältigende Forschungsarbeit von Fachwissenschaftlern. Und das gilt nicht zuletzt sondern auch für die Wikipedia. Das kollektive Zusammenstellen von Wissen in über 280 Sprachen und Kulturen ist ein ungeheurer Lern- und Gestaltungsprozess. Ausgeführt von Menschen, die oft selbst einen sehr hohen Bildungsstand haben.

Und wenn jemand aus dem gesammelten Weltwissen Einzelfragen herausgreift und beispielsweise  Seeschlachten darstellen und besprechen will, kann das eine eigene Leistung sein. Ob sie das in dem konkreten Fall ist, bleibt zu untersuchen. Doch ohne den Inhalt zu kennen, wird pauschal davon gesprochen, dass Karsten und Rader beim “Abschreiben von der Wikipedia erwischt worden”. Wie ein kleiner Schulbub beim Unterschleif. “Das macht man nicht!”

Doch das kann sehr sinnvoll sein, wenn man es richtig macht und nicht gegen geltendes Recht verstößt.

3. Das Buch ist mangelhaft, weil es einen Rechtsmangel hat

Die Kunden des C.H. Beck Verlags haben ein Buch gekauft. Die Inhalte dieses Buches sind urheberrechtlich geschützt. Sie dürfen also nicht ohne Genehmigung des Verlags kopiert, verändert, verbreitet werden.

Sobald die Inhalte des Buches zu großen Teilen aus Inhalten mit einer freien Lizenz bestehen, sieht die Sache anders aus. Diskutiert wird bislang nur, inwieweit Quellen aus wissenschaftlicher Sicht nachgewiesen werden müssen – zum Zweck der Überprüfbarkeit oder zum Nachweise der intellektuellen Eigenleistung. Der Hammer hängt für die Wikipedia aber beim Umgang mit ihren freien Lizenzen.

Es ist legitim, aus Wikipedia in einem kleineren Umfang zu zitieren. Wenn aber größere Teile  übernommen werden, muss klar dargestellt werden, welche Teile aus der Wikipedia kommen und demnach frei verwendet werden können. In diesem Fall: Welche Teile stehen unter der Creative Commons CC-BY-SA 3.0? Auf gar keinen Fall, darf der Urheber (in dem Fall die Rechteinhaberin Wikimedia Foundation ) verschwiegen und der Inhalt unter eine andere Lizenz gestellt werden. Der Verlag hat damit ein Produkt mit Rechtsmängeln verkauft und einen klaren Rechtsbruch begangen.

Normalerweise sichern sich hier Verlage über die Autorenverträge ab. Dort ist meist formuliert, dass alle Rechte an den Verlag übergehen und die Autoren bei der Übergabe diese Rechte auch besitzen müssen. Deswegen wird C. H. Beck nun auch Arne Karsten und Olaf Rader mit seinen Anwälten bearbeiten. Das Problem ist damit aber nicht gelöst. Das Werk muss vom Markt. Die Wikimedia Foundation kann abmahnen und klagen. Vielleicht sollte sie das in diesem Fall endlich mal machen, um am Ende die Stellung freier Lizenzen zu stärken.

Und für die Zukunft gilt: Es wird immer weniger Bücher geben, die zu großen Teilen aus Inhalten mit freien Lizenzen bestehen oder noch schlimmer, der Anteil an Büchern, von denen man nicht sagen kann, inwieweit sie aus freien Inhalten bestehen, wird größer. Das hat schlicht mit der Tatsache zu tun, wie sich mit dem Web unsere Arbeitsweise ändert. Und das Risiko für Verlage wird unvermeidlich steigen. Und so wäre es viel einfacher, wenn der C. H. Beck-Verlag seine Buchinhalte generell unter eine freie Lizenz stellen würde. Das wäre auch kein Problem. Man könnte das Seeschlachten-Buch einfach unter die Creative Commons Lizenz stellen und die Welt wäre in Ordnung. Man würde auch keinen Cent weniger verdienen und die Wikipedia-Community hätte nichts dagegen. Doch das wäre zu einfach. Und zu revolutionär.

Deswegen wird weiter rummoralisiert, es werden Qualitätsdebatten geführt und Handlungen kriminalisiert, die es nicht sind. Über relevante Rechtsverstöße bei der kommerziellen Nutzung freien Wissens dagegen wird in den Medien auffällig geschwiegen. Weil alle betroffen sind.

Für Historikerinnen und Historiker bleibt da nur, künftig die richtigen Gewichte zu setzen und einen klaren Blick zu behalten. Sie brauchen ein Umfeld, das gelernt hat, mit freiem Wissen und freien Lizenzen offen und ehrlich umzugehen.
Und sie müssen selbst ihre Lage angesichts der Medienrevolution neu bestimmen und flexibel darauf reagieren. Die Berufe und Arbeitsweisen in den Sozialwissenschaften werden durch das Web verändert.  Wir werden zunehmend im Web Wissen zur Verfügung stellen und besprechen um ab und zu ein gedrucktes Buch daraus machen. Hier drehen sich die Verhältnisse zwischen Print- und Digitalmedien um.
Und auch das zeigt “RaderGate” (Klaus Graf): Fachwissenschaftler sind zwar weiterhin nötig, die Qualitätssicherung wird aber künftig in der Weböffentlichkeit organisiert.

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Quelle: http://kritischegeschichte.wordpress.com/2014/04/26/radergate-was-die-debatte-um-plagiate-aus-der-wikipedia-ubersieht/

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Auf fünf soziologische Minuten mit Hartmut Rosa (2/2014)

Hartmut Rosa ist Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er ist Begründer der Beschleunigungstheorie und viel gefragter Gesprächspartner im deutschen Feuilleton. Daniel Meyer vom Studentenmagazin Akrützel  stellt dem renommierten Gesellschaftstheoretiker nicht nur Fragen rund um seine Person und … Continue reading

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/6578

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Ö1-Feature zur Schreibmaschine

Montag (29.4.2014, 21:00-21:40) in den Ö1-Tonspuren: Eine Hommage an die Schreibmaschine.

"Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken." Hommage an die Schreibmaschine. Feature von Matthias Haydn

1714 erwarb der britische Erfinder Henry Mill das Patent auf eine Maschine, die Buchstaben fortschreitend einen nach dem anderen drucken kann. Die Patentschrift ist die erste Beschreibung einer Schreibmaschine. Ob Mill jemals seinen Schreibautomaten verwirklichte, ist nicht bekannt. 150 Jahre später zimmerte der Südtiroler Peter Mitterhofer mehrere Schreibmaschinenmodelle aus Holz - sie zählen zu den ältesten ihrer Art. Das Gerät wurde weiterentwickelt, die Technik verfeinert. Es setzte ein Siegeszug des neuen Schreibgerätes in Büros, Schreibstuben und privaten Arbeitszimmern ein.

Die ersten Schreibmaschinen waren dazu gedacht, sehbehinderten Menschen das Schreiben von Texten zu ermöglichen. Doch schon bald wurde das Gerät ein beliebtes Werkzeug für Schriftsteller/innen. Mark Twain gilt als der erste Literat, der einen Roman auf einer Schreibmaschine verfasste. Heute ist die Schreibmaschine von den meisten Schreibtischen wieder verschwunden. Der Computer ersetzte das klappernde Gerät. Nach wie vor gibt es aber Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die ihre Manuskripte ausschließlich auf Schreibmaschinen tippen. Einige scheinen eine innige Beziehung zu ihrem Schreibwerkzeug entwickelt zu haben.

Mittlerweile werden Schreibmaschinen nicht mehr produziert, die Ersatzteile, Farbbänder, Tasten, Walzen werden knapp. Für Schreibmaschinen-Literaten ist das eine bedrohliche Situation.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/791434553/

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