E. P. Thompson über historische Logik

Ich bin zunehmend der Meinung, dass Thompsons Buch Das Elend der Theorie. Zur Produktion geschichtlicher Erfahrung (1980) zur Grundausstattung eines jeden Historikers und einer Historikerin gehört. Auch – oder gerade weil – das Buch eine polemische Auseinandersetzung mit dem strukturalistischen Marxismus ist. Aus der Sicht eines an Marx geschulten Historikers, der Marx methodisch viel näher ist  als seine Kontrahenten. Eine in diesem Zusammenhang für mich sehr wichtige Aussage betrifft zum Beispiel das Problem der historischen Logik. Thompson schreibt:

Daß historische Erklärungen keine absoluten Feststellungen treffen und keine hinreichenden Begründungen liefern können, irritiert einige schlichte und ungeduldige Seelen. Sie meinen, daß die historische Erklärung, da sie nicht Alles sein kann, nichts ist, daß sie nicht mehr ist, als ein phänomenologisches Erzählen. Das ist ein dummer Fehler. Denn die historische Erklärung sagt nicht, wie die Geschichte sich ereignet haben muß,  sondern warum sie sich so und nicht anders ereignet hat. Sie sagt,

  • daß ein Prozeß nicht willkürlich abläuft, sondern seine eigene Regelhaftigkeit und Rationalität besitzt;
  • daß bestimmte Arten von Ereignissen (politische, ökonomische, kulturelle) miteinander verbunden waren, nicht so, wie es jemanden gerade beliebt, sondern in bestimmter Weise und im determinierten Feld der Möglichkeiten;
  • daß gewisse Gesellschaftsformationen weder durch »Gesetze« gesteuert werden, noch »Effekte« eines statischen strukturellen Theorems sind, vielmehr durch eine determinierte Beziehungen und eine besondere Logik des Prozesses gekennzeichnet sind. (S. 95, Aufzählungszeichen von mir, RH)

Ein anderes Thema Thompsons, Kategorien wie “Klasse” als historische Kategorien zu verstehen, bringe ich vielleicht ein andermal. Das gehört da unbedingt dazu.

Weitere Beiträge im Blog zu Thompson:


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Quelle: http://kritischegeschichte.wordpress.com/2012/04/07/e-p-thompson-uber-historische-logik/

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Archive und Digitalisierung: Wo bleiben die Open Access-Promotionsprojekte?

Alle kennen die Situation: Die Zahl der Akademikerinnen und Akademiker steigt und damit auch die Zahl an Promotionen. Und nun werden die einzelnen Promotionen durch den Wettbewerbsdruck thematisch immer enger, vom Umfang aber voluminöser. Und am Ende steht die Publikation, die sich ein Verlag teuer bezahlen lässt. Aber die Promotionen bekommen dennoch keine Reichweite und werden kaum rezipiert. Die Arbeiten sind natürlich nicht für die allgemeine Öffentlichkeit geschrieben, aber sie sind dann auch noch für den Wissenschaftsbetrieb zu speziell und zu teuer.

Wie immer man das dreht und wendet: Der Aufwand für die Qualifikation und Promotion des wissenschaftlichen Nachwuchses steht für die Öffentlichkeit im keinem Verhältnis zum Ergebnis – zumindest, wenn man den wissenschaftlichen Ertrag betrachtet. Wir haben anders gesagt einen Wissenschaftsapparat, dessen Nachwuchs durch eine im Schnitt fünf Jahre andauernde Phase geht, in der er viel zu oft unbrauchbare Printprodukte produziert. Und das ist alles völlig unsinnig, für alle Seiten frustrierend und unwirtschaftlich. Dabei könnte man diese verfahrene Situation schnell auflösen. Mit Open-Access-Promotionsprojekten.

Denn durch die digitale Revolution der Medienlandschaft und durch die Open-Access-Bewegung ist ein riesiger Prozess angestoßen worden, in dem dem nicht nur Artikel, Bücher und Zeitschriften, sondern Archivalien und Quellen aller Art im Netz bereitgestellt werden. Und werden diese Quellen nicht nur online gestellt, kategorisiert, verschlagwortet und durchsuchbar gemacht, sondern sollen diese als historisch-kritische Editionen publiziert werden, haben wir wiederum viel zu wenig Menschen, die das auf einem professionellen Niveau machen können.

Es ist klar, worauf ich hinaus will.

Die Älteren dürften noch wissen, dass man noch vor einigen Jahrzehnten mit historisch-kritischen Editionen promovieren konnte, denn die Anforderungen an eine historisch-kritischen Edition sind nicht zu unterschätzen:

  • man braucht umfassendes Methodenwissen, das sich je nach Wissenschaftstradition unterscheidet,
  • man muss den Quellenbestand nicht nur kennen, sondern auch die Quellen kommentieren und in ihren historischen und sozialen Kontext setzen können,
  • die Einleitungen und Begleittexte müssen in kurzer Form die wichtigsten Ergebnisse zusammenfassen, Methoden- und Editionsprobleme besprechen.

Unter den Leserinnen und Lesern sind sicher Spezialisten, die zum Thema “Anforderungen an eine Edition” weit mehr beisteuern können als ich. Ich stelle mir nur die Frage: Warum machen wir das nicht einfach? Sollten wir in den Gesellschaftswissenschaften und ihren Nachbardisziplinen nicht entsprechende Promotionsordnungen fordern, auf deren Grundlage es möglich ist, mit einer historisch-kritischen digitalen Edition auch einen Doktortitel zu bekommen? Davon würden doch alle profitieren. Die Promotionen könnten Ergebnis einer gesellschaftlich sinnvollen und somit befriedigenden Arbeit sein. Große Editionsarbeiten ließen sich auch auf mehrere Bearbeiter aufteilen. Editionsprojekte könnten schon im Prozess der Publikation Meinungen von Expertinnen und Experten einholen oder Fragen von Nutzern aufgreifen.

Wenn man jetzt die Idee weiterträgt, gibt es vielleicht mal einen Wettbewerb zwischen den Wissenschaftsministerien, welches diese Idee als erster umsetzen kann und die Lorbeeren einsammelt. Da mache ich mir weniger Sorgen. Schwierig wird es, die Akzeptanz im doch extrem konservativen Wissenschaftsapparat herzustellen. Denn es gibt, wie Archivalia zeigt, zwischen Historikern und Archivaren nach wie vor interdisziplinäre Verständigungsschwierigkeiten. Ob diese über digitale Editionsprojekte  aufgehoben werden können, wage ich zu bezweifeln. Aber einen Versuch wäre es doch wert, oder?


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Quelle: http://kritischegeschichte.wordpress.com/2012/04/07/archive-und-digitalisierung-wo-bleiben-die-open-access-promotionsprojekte/

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Wiener Adressen – Vorträge und Exkursionen an Wiener Volkshochschulen

Im April und Mai 2012 findet an den folgenden Wiener Volkshochschulen im Rahmen von University Meets Public wieder mein Vortrag zur Hausnummerierung in Wien statt; diesmal ist er erstmals mit einer Exkursion verbunden, die zu ausgewählten Hausnummern-Highlights des 1. Wiener Bezirks führt!

Wiener Adressen: Hausschilder, Straßennamen und Hausnummern

Vortrag und Exkursion von Anton Tantner im Rahmen von University Meets Public

Beschreibung: Wie findet ein Brief seinen Empfänger? Wie orientieren wir uns in der Stadt? Erst unter Maria Theresia wurden die Häuser in Wien nummeriert, später noch die Straßennamen durch eigene Schilder kenntlich gemacht. Wie dies geschah, ist Thema des Vortrags und der Exkursion. Der genaue Treffpunkt der Exkursion wird im Vortrag bekannt gegeben.

Termine:

Ort: VHS Brigittenau, 1200 Wien, Raffaelgasse 11
Vortrag: Mo, 23.4.2012, 18:00-19:30
Exkursion: Sa, 28.4.2012, 15:00-16:30
Zur Anmeldung

Ort: VHS Liesing, Außenstelle Mauer, Maurer Rathaus, 1230 Wien, Speisinger Straße 256
Vortrag: Do, 3.5.2012, 18:30-20:00
Exkursion: Sa, 5.5.2012, 15:00-16:30
Zur Anmeldung

Ort: VHS Wien-West, 1060 Wien, Damböckgasse 4
Vortrag: Do, 10.5.2012, 18:00-19:30
Exkursion: Sa, 12.5.2012, 15:00-16:30
Zur Anmeldung

Eine einstündige Kurzfassung des Vortrags (ohne Exkursion) gibt es im Rahmen der "Langen Nacht der Forschung" zu hören:
Ort: Urania, 1010 Wien, Uraniastraße 1
Zeit: Fr, 27.4.2012, 18:30-19:30
Zur Anmeldung

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/96988455/

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Was bedeutet Kultur digital? Einige Antworten

Loading the player … Kaum zurück aus der selbstauferlegten Blog-Abstinzenz schwemmt Kollega Hodel nun unser Weblog mit spannenden Beiträgen. Da muss man sich überlegen, wie man da noch mithalten kann. Vorerst also einmal ein paar nette Statements zum Thema Kultur digital. Das dazu passende Buch und weitere Beiräge zum gleichnamigen Symposium gibt es hier.

Quelle: http://weblog.hist.net/archives/6166

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Richard Müller: Eine Geschichte der Novemberrevolution

Auf H-SOZ-U-KULT rezensiert: Eine unter Beteiligung Ralf Hoffrogges erschienene Neuausgabe von Richard Müllers Klassiker zur Novemberrevolution:

Müller, Richard: Eine Geschichte der Novemberrevolution. Berlin: Die Buchmacherei, 2011. [Verlags-Info]

Ralf Hoffrogge hat auch eine Biographie zu Richard Müller verfasst:

Hoffrogge, Ralf: Richard Müller - Der Mann hinter der Novemberrevolution. (=Geschichte des Kommunismus und Linkssozialismus; VII). Berlin: Karl Dietz Verlag, 2008. [Verlags-Info]

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/96987786/

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Onlineedition Briefe und Texte aus dem intellektuellen Berlin um 1800

Die Projektleiterin Anne Baillot hatte in ihrem Weblog digitalintellectuals.hypotheses.org zwar noch Bedenken, was die Publikation des Links betrifft, nun ist die Startversion der Edition Briefe und Texte aus dem intellektuellen Berlin um 1800 aber allgemein zugänglich.

Erinnert mich daran, dass Christian Aspalter und ich als Nebenprodukt zu dem vor 10 Jahren abgeschlossenen FWF-Projekt Die Spur der Romantik in Wien unsere Zeitschriftenexzerpte ins Netz gestellt haben: http://homepage.univie.ac.at/romantik.germanistik/exz.html - Sozusagen eine rudimentäre Ergänzung zum Berlin-Projekt.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/96987771/

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