Im Strudel der Politik: Diskussionen um Institute zur Vergangenheitsaufarbeitung in Tschechien und der Slowakei

Seit seiner Gründung im Jahr 2007 hat das tschechische “Institut für das Studium totalitärer Regime” (Ústav pro studium totalitních režimů, ÚSTR) fünf Mal den Direktor gewechselt. Immer wieder wird das Institut, das sich mit der Zeit der nationalsozialistischen und kommunistischen Regime in Tschechien beschäftigen soll, zu einem Spielball der sich streitenden politischen Parteien. Auch dem slowakischen Pendant, dem Institut für nationales Gedenken (Ústav pamäti národa, ÚPN), ergeht es nicht viel besser, da es keinen ständigen Sitz hat und immer wieder umziehen muss. Ursache dafür sind unter anderem grundlegende Fehler, die schon bei der Gründung dieser Institute, die aufgrund der gemeinsamen tschechoslowakischen Vergangenheit viele Verbindungen aufweisen, erfolgt sind.

Das ÚSTR sei mit einem Geburtsfehler auf die Welt gekommen. So äußerte sich vor zwei Jahren der Historiker Michal Kopeček in einem Interview mit Radio Prag1. Der Anlass des Interviews war damals die Abberufung von Daniel Herman, des vierten Institutsdirektors in fünf Jahren. Kopeček sah den Geburtsfehler darin, dass das Institut 2007 von einer rechtsgerichteten Regierung initiiert und gegen den Willen der linken Parteien – der Sozialdemokratie und der Kommunisten – durchgesetzt worden war. Außerdem sei dadurch, dass sowohl der Verwaltungsrat als auch der wissenschaftliche Beirat vom Senat gewählt werden, die Politisierung des Instituts, das die Akten der Staatssicherheit zugänglich machen und die Ära der Diktatur erforschen soll, vorprogrammiert.

Auch wenn das slowakische ÚPN 2002 von einer Regierung, an der sowohl Parteien des rechten als auch eine Partei des linken politischen Spektrums beteiligt waren, durchgesetzt wurde, war seine Gründung nicht weniger umstritten. Das entsprechende Gesetz wurde vom Präsidenten abgelehnt und ins Parlament zurückgeschickt. Dabei kritisierte der Präsident nicht konkrete Abschnitte des Gesetzes, wie es bei mehreren anderen zurückgeschickten Gesetzen der Fall war, sondern lehnte es als Ganzes ab. Das Veto des Präsidenten wurde auf der letzten Parlamentssitzung vor den Wahlen überstimmt und das Gesetz trat in Kraft, obwohl sich der Präsident weiterhin weigerte, es zu unterzeichnen. Die damals stärkste Partei im Parlament – die Bewegung für die demokratische Slowakei (HZDS) – sowie die nationalistische Slowakische Nationalpartei (SNS) lehnten das Gesetz ab.

Der Regierungswechsel von 2006 brachte eine Koalition aus SMER (Sozialdemokraten), HZDS und SNS an die Macht. 2007 wählte diese Koalition Ivan Petranský zum Institutsdirektor, nachdem mehrere umstrittene Kandidaten in der Abstimmung durchgefallen waren. 2008 schlug der Vorsitzende der SNS, Ján Slota, vor, den ÚPN aufzulösen. Dabei bestritt er, dass dieser Vorschlag mit den negativen Informationen über ihn, die das Institut kurz zuvor veröffentlicht hatte, im Zusammenhang stehe. Trotz der Unterstützung von HZDS, die aus ihrer negativen Einstellung zum Institut nie ein Hehl gemacht hatte, scheiterte dieser Versuch am Widerstand der größten Koalitionspartei – SMER. 2011 warf der Institutsdirektor Petranský der neuen Regierung der Ministerpräsidentin Iveta Radičová vor, dass sie mit einer Reform des Gesetzes über das nationale Gedenken die Unabhängigkeit des Instituts beseitigen wolle. 2012, nachdem neun Institutsmitarbeitern gekündigt worden war, wurde in den Medien behauptet, dass es sich dabei um „Säuberungen“ handle und Petranský seine Opponenten und Kritiker loswerden wolle, auch weil er wisse, dass nach dem Sturz der Regierung von Radičová nun wieder SMER an die Macht gelangen und Petranský damit Rückendeckung bekommen werde.

Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auch in Tschechien beobachten. Nach der Verabschiedung des Gesetzes zur Gründung des ÚSTR versuchten sozialdemokratische Abgeordnete vor dem Verfassungsgericht, die Abschaffung des Gesetzes und damit des Instituts zu erwirken, aber die Verfassungsrichter lehnten dies ab. 2010 beschuldigte der Vorsitzende der Sozialdemokraten Jiří Paroubek das Institut, sich in den Wahlkampf einzumischen und im Auftrag der Demokratischen Bürgerpartei (ODS) zu agieren. Später sagte Paroubek in einem Interview, dass das Institut abgeschafft gehöre. Die eingangs erwähnte Abberufung des Direktors Herman in den Verwaltungsrat im Jahre 2013 sahen Bürgerdemokraten als Pakt der Sozialdemokraten und der Kommunisten und bezeichneten ihn als einen „linken Putsch“. Der Ministerpräsident Petr Nečas von der ODS behauptete in diesem Zusammenhang, dass die Paralysierung des Instituts eine Bedingung der Kommunisten für die Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten nach den Wahlen gewesen sei. Darauf reagierte der Vorsitzende der Sozialdemokraten Bohuslav Sobotka und versicherte, dass er nicht vorhabe, den ÚSTR aufzulösen.

An diesen Auseinandersetzungen ist deutlich zu erkennen, dass beide Institute bei nahezu jedem Regierungswechsel von Streitigkeiten um ihre Rolle, von Reformen und Änderungen oder sogar von der Gefahr der Schließung betroffen sind. Warum ist es Politikern in beiden Ländern so wichtig, auf diese Institute Einfluss zu nehmen? Kopeček sieht das Problem des ÚSTR in der Definition seiner Aufgaben begründet. Diese widersprechen sich teilweise, denn das Institut soll auf der einen Seite unabhängige historische Forschung betreiben, auf der anderen Seite politische Bildung und Förderung eines bestimmten Geschichtsbildes übernehmen. Auch die Liste der Aufgaben des slowakischen ÚPN ist lang und umfasst unter anderem die „vollständige und unparteiische Bewertung der Zeit der Unfreiheit“, die auch an die Öffentlichkeit getragen werden soll, sowie die Propagierung der Ideen der Freiheit und der Verteidigung der Demokratie2. Dass es auch anders geht, zeigt Kopeček am Beispiel von Deutschland, wo solche Aufgaben zwischen drei Institutionen (Behörde des Bundesbeauftragten für Stasi-Unterlagen, Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und Bundeszentrale für politische Bildung) aufgeteilt seien.

Angesichts des Bildungsauftrags des slowakischen und des tschechischen Instituts überrascht es nicht, dass jede politische Partei Interesse daran hat, das propagierte Geschichtsbild in eine bestimmte Richtung zu lenken. Zugleich ist mit der politischen Abhängigkeit der Institute die Gefahr verbunden, dass jede Änderung oder Kündigung, egal aus welchem Grund, als politisch motivierte Säuberung beziehungsweise als ein Versuch, das Institut für sich und für die eigene Partei einzunehmen, ausgelegt werden kann. Und dies wird vom politischen Gegner gerne genutzt, wie die skizzierten Kontroversen verdeutlichen.

Erneute Konflikte bahnten sich im Spätherbst 2014 an. In Tschechien waren Mitarbeiter des ÚSTR entlassen worden, auch waren die Zuständigkeiten bei der Digitalisierung des Archivmaterials geändert worden. Einige Medien und Gewerkschaften sprachen in dem Zusammenhang von Säuberungen. Auch äußerten einige Kommentatoren den Verdacht, dass hinter den neu vergebenen Zuständigkeiten zwischen dem Institut und dem Archiv der Sicherheitsdienste die Absicht stehe, die Digitalisierung der Dokumente zu behindern und den Historikern des Instituts den Zugang dazu zu erschweren. In der Slowakei suchte das ÚPN einen neuen Sitz, nachdem der Gebäudebesitzer – das Verkehrsministerium – den Mietvertrag nicht verlängert hatte. Dadurch musste das Institut zum siebten Mal seit seiner Gründung umziehen. Mit den Räumen, die das Innenministerium dem ÚPN vorgeschlagen hatte, zeigten sich die Institutsmitarbeiter unzufrieden, da diese ihrer Ansicht nach im desolaten Zustand waren. Zudem böten die neuen Räume keine langfristige Lösung des Problems, da der Vertrag wieder nur für wenige Jahre geschlossen wird. Die Kritiker der Vorgänge in beiden Ländern wiesen dabei gerne darauf hin, dass die „Liquidierung“ der Institute pünktlich zum 25. Jahrestag der Samtenen Revolution erfolge.

Inzwischen hat sich die Lage in beiden Ländern beruhigt. Das ÚPN zieht gerade um und ab dem 1. Mai 2015 nimmt es in den neuen Räumlichkeiten, gegen die sich die Mitarbeiter erfolglos gewehrt haben, seine Arbeit wieder auf. Im ÚSTR wurden weniger Mitarbeiter entlassen als zunächst angekündigt, und die neue Satzung trat am 1. April 2015 in Kraft. Ob sich damit die Praxis der Digitalisierung tatsächlich ändert und der Zugang zu Dokumenten erschwert wird, bleibt abzuwarten. Dagegen ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass die politische Debatte um beide Institute damit nicht beendet sein wird, sondern in Zukunft wieder aufflammen wird, denn der Geburtsfehler, von dem Kopeček im Falle des tschechischen Instituts sprach und der auch für das slowakische ÚPN gilt, wurde bis jetzt weder in der Slowakei noch in Tschechien behoben. Genau genommen handelt es sich sogar um zwei Geburtsfehler –erstens die starke Abhängigkeit von der Politik und zweitens die Formulierung von Aufgaben, die sich teilweise widersprechen. Die Beschränkung des Einflusses der Politik auf die Institute sowie ihre eindeutige Zuordnung entweder zum Bereich der politischen Bildung oder zur unabhängigen Forschung wären wichtige Voraussetzungen für die Entspannung der Lage. Diese Maßnahmen könnten dem ÚPN und dem ÚSTR ein Funktionieren jenseits der Destabilisierung durch immer neue Reformen und die Gefahr der Schließung ermöglichen. Es ist aber ungewiss, ob sich in der Zukunft überhaupt jemand an diese Aufgabe macht, denn dem Vorwurf der „Politisierung des Instituts“ wird er kaum entgehen können.

[Dieser Beitrag ist eine aktualisierte und überarbeitete Version des Beitrags „ÚPN und ÚSTR im Wirbel der Politik“, der auf der Webseite http://www.history-east.eu/ im November 2014 veröffentlicht wurde.]

  1. S. dazu „Politisierung war vorprogrammiert“ – Historiker Kopeček über Totalitarismus-Institut ÚSTR”, 29.04.2013 http://www.radio.cz/de/rubrik/politgesprach/politisierung-war-vorprogrammiert-historiker-kopecek-ueber-totalitarismus-institut-ustr
  2. Zákon č. 553/2002 Z. z. o sprístupnení dokumentov o činnosti bezpečnostných zložiek štátu 1939 – 1989 a o založení Ústavu pamäti národa a o doplnení niektorých zákonov (zákon o pamäti národa).

Quelle: http://erinnerung.hypotheses.org/14

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