Ausstellung im Maximilianmuseum Augsburg, 28. März bis 29. Juni 2014
Von Sarah Babin (Trier) und Thomas Dorfner (Aachen/Münster)
[D]er schreibtisch vnd maӱrhof […] sein wol .2. solche werk, der gleichen kain Künig vnd kain Fürst Im Reich diser Zeit hat, vnd wer die kunst versteht und liebt, ihe mehr erß ansihet, ihe mehr er admiration daran finden würdt.1
Die eingangs zitierten Worte entstammen einem Brief Philipp Hainhofers an Herzog August von Braunschweig-Lüneburg aus dem März 1618. Der Augsburger (Kunst-)Agent berichtet darin von einem „schreibtisch“, der sich seit wenigen Monaten in der Kunstkammer Herzog Philipps II. von Pommern befinde. Gemäß Hainhofer genüge dieser selbst königlichen Ansprüchen und suche im gesamten Reich seinesgleichen. Kunstliebhaber würden diesen „schreibtisch“ bewundern – und zwar umso mehr, je eingehender sie ihn betrachteten. Es dürfte an dieser Stelle bereits deutlich geworden sein, dass es sich nicht um einen Schreibtisch im modernen Sinne, sondern um einen Kunstschrank des frühen 17. Jahrhunderts handelt – genauer gesagt um den berühmten Pommerschen Kunstschrank.2 Dieser wurde in den Jahren 1610 bis 1617 in der Reichsstadt Augsburg von zahlreichen namhaften Künstlern gefertigt. Die Federführung oblag dabei Philipp Hainhofer, der den Kunstschrank nach der Fertigstellung im August 1617 persönlich nach Stettin brachte und dort an Herzog Philipp übergab.
Das Maximilianmuseum Augsburg widmete dem Pommerschen Kunstschrank von 28. März bis 29. Juni 2014 die überaus sehenswerte Ausstellung Wunderwelt. Begleitend zur Ausstellung erschien ein stattlicher, 560 Seiten umfassender Katalog, der u. a. zwölf Aufsätze enthält.3 Im folgenden Beitrag werden sowohl die Ausstellung als auch der Katalog besprochen. Abschließend soll knapp auf Desiderate in der Forschung zum Pommerschen Kunstschrank bzw. den (Kunst-)Agenten hingewiesen werden.
Die Ausstellung
Der Kurator, Dr. Christoph Emmendörffer, war mit der schwierigen Aufgabe konfrontiert, in der Ausstellung ein Objekt, das nicht mehr existiert, in aller Fülle wiederzubeleben, zu interpretieren und dabei die BesucherInnen zu faszinieren. Diese Herausforderung – so viel vorweg – meisterte die Augsburger Ausstellung Wunderwelt vorzüglich.
Der erste Ausstellungsraum bot die Möglichkeit, den 1934 gedrehten, 18-minütigen Dokumentarfilm Eine Welt im Schrank anzusehen. Auf diese Weise wurde den BesucherInnen gleich zu Beginn die einstige Pracht des Pommerschen Kunstschranks eindrucksvoll vor Augen geführt. Zugleich erleichterte die Dokumentation wesentlich das Verständnis der folgenden Präsentation des Inhalts. Es empfahl sich daher, den Rundgang mit dem Dokumentarfilm zu beginnen und erst anschließend in den ersten Raum mit Exponaten zu gehen. Der Dokumentarfilm war faktisch der Schlüssel zum Verständnis der Ausstellung.
Die Ausstellung selbst gliederte sich in drei Themenbereiche: Im ersten Bereich wurden die Vita Philipp Hainhofers und seine Tätigkeit als (Kunst-)Agent für diverse europäische Höfe beleuchtet. Neben zahlreichen kunsthandwerklichen Schöpfungen Augsburger Künstler sind hier vor allem die prachtvollen Stammbücher Hainhofers herauszustellen, die in der Ausstellung präsentiert wurden und sein soziales Netzwerk eindrucksvoll aufzeigten. So enthält das so genannte Kleine Pommersche Reisebüchlein (Kat. Nr. 16) zahlreiche Eintragungen hochrangiger Mitglieder der Fürstengesellschaft des Alten Reichs. Das so genannte Große Stammbuch (Kat. Nr. 25) hingegen beeindruckt besonders durch die Miniaturen namhafter Künstler wie beispielsweise Johann Matthias Kager.
Die folgenden drei Räume waren dem Pommerschen Kunstschrank und damit dem zweiten Themenbereich gewidmet. Die Ausstellung demonstrierte auf ebenso anschauliche wie imposante Weise, wie viele Objekte der Kunstschrank einst beherbergte. Hervorzuheben ist besonders die große Vitrine im Felicitassaal, die u. a. ein vielteiliges Reisegeschirr, kostbare Leuchter sowie einige astronomische Gerätschaften enthielt (Kat. Nr. 46.6 u. 46.7). Als hilfreich erwies sich die nochmalige Vorführung des Dokumentarfilms in den Ausstellungsräumen, wodurch den BesucherInnen immer wieder der Zusammenhang von Objekten und verlorenem Schrank vor Augen geführt und der Gebrauch der ausgestellten Gegenstände demonstriert wurde. In denselben Räumen fanden sich außerdem weitere Wunderwerke der Augsburger Künstler wie ein Hausaltar-Kabinettschrank mit Goldschmiedearbeiten von Matthias Walbaum und Malereien von Anton Mozart (Kat. Nr. 82). Durch diesen dritten Themenbereich gewannen die BesucherInnen ein eindrucksvolles Bild von Glanz und Vielfältigkeit der Augsburger Kunstschränke. Kritik lässt sich einzig an der Beschriftung der Exponate in manchen Vitrinen äußern, da sich die Stücke nicht immer auf Anhieb den ausgewiesenen Beschreibungen zuordnen ließen. Dieser kleine Wermutstropfen ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass es sich bei Wunderwelt um eine ausnehmend gelungene Ausstellung handelte.
Der Katalog
Im zweiten Teil dieses Beitrags soll der Ausstellungskatalog ausführlich rezensiert werden, wobei das Hauptaugenmerk auf die Aufsätze gerichtet wird.
Paul von Stettens (1731–1808) Lebensbeschreibung des Philipp Hainhofer eröffnet den Aufsatzteil. Die Beschreibung ist zwar unkommentiert, wurde aber mit einzelnen Katalognummern versehen und weist so bereits auf die Bandbreite der Ausstellung bzw. die schillernde Persönlichkeit des Augsburger (Kunst-) Agenten hin.
Barbara Mundt gibt mit ihrem Aufsatz, wie sie selbst betont, eine Zusammenfassung ihrer 2009 erschienenen, ausführlichen Monographie zum Pommerschen Kunstschrank.4 Mundt führt den LeserInnen kurz und prägnant die Entstehungsgeschichte des Kunstschranks vor Augen. Ebenso verfährt sie bei der Beschreibung des Bildes, das die (fiktive) Übergabe des Schranks an den Herzog dokumentiert und alle beteiligten Künstler zeigt. Dies nimmt sie zum Anlass, kurz über die Künstler selbst zu referieren. Im Weiteren widmet sie sich der Systematik des Schrankinhalts. Nach ihrer Ansicht war dieser auf die Bedürfnisse des Herzogs ausgerichtet und sollte seine Gelehrsamkeit hervorheben. Dabei vergleicht Mundt knapp und fundiert den Schrank mit späteren Kunstschränken Hainhofers. Bei aller Klarheit der Ausführungen wäre es jedoch wünschenswert gewesen, wenn der Aufsatz über die bereits in der Monographie veröffentlichten Erkenntnisse hinausgegangen wäre.
Den ohne Zweifel wichtigsten Beitrag liefert Christoph Emmendörffer, dem es gelungen ist, den so genannten „Hainhofer Code“ zu entschlüsseln. Diese Bezeichnung führt Emmendörffer für das umfassende, universell ausgerichtete Programm der Ausstattung ein. Weist Barbara Mundt noch darauf hin, dass der Inhalt „weder auf enzyklopädische Vollständigkeit noch auf eine Kunstkammer im Kleinen“5 zielte, sondern lediglich auf die Interessen des Käufers zugeschnitten gewesen sei, kann Emmendörffer schlüssig nachweisen, dass es sowohl ein Bildprogramm innerhalb der Ausstattung gibt, als auch dass der Schrankinhalt einer Systematik folgt, deren Grundgedanke der universelle göttliche Plan ist. Zudem schließt Mundt noch eine Beteiligung Hainhofers an der Entwicklung des Konzepts aus. Emmendörffer dagegen sieht eindeutig eine Beteiligung von Philipp Hainhofer neben dem Stadtpfleger Markus Welser und dem Maler Matthias Kager. Offen bleibt allerdings die Frage, wie maßgeblich seine Beteiligung war. Die enge Beziehung zu Welser und Kager sowie seine Verbindungen zum Münchner Hof boten Hainhofer jedenfalls eine Vielzahl von Inspirationsquellen. „Der Schlüssel zum Inhalt des Pommerschen Kunstschrankes“ ist Orlando di Lassos Bußpsalmwerk, das als Hauptquelle für Bildprogramm und Konzeption des Schrankinhalts gelten kann.6 So hat das Übergabebildnis des Kunstschranks sein Vorbild in Hans Mielichs Darstellung der bayerischen Hofkapelle im St. Georgssaal im Bußpsalmwerk. Eine weitere Quelle findet sich in dem Grundlagenwerk Samuel von Quicchebergs zur Ordnung einer Kunstkammer, den Inscriptiones. Darin wird ein komplexes Ordnungssystem aufgebaut, das – vereinfacht gesagt – eine Kunstkammer in zehn Klassen mit jeweils mehreren Unterordnungen unterteilt. Der Schrank „umfasste die gesamte vierte Klasse […] also ausschließlich Artificialia und Scientifica“.7 Erschien bisher die Zusammenstellung der Gegenstände im Schrank willkürlich, so erweist sich nun, dass sie einem konsequenten Schema folgte und sich sinnvoll aufeinander bezog. So entstammt die indianische Seidenbinde aus China der 10. Unterabteilung der Quiccheberg’schen Systematik Vestitus peregrini et Indiani.
Bildprogramm und Schrankinhalt bilden nach Emmendörffer zwei in sich geschlossene Systeme. Ein Element verbindet sie jedoch, das Schreibpult. Auch dieses ist entsprechend Quicchebergs Ausführungen ikonographisch gestaltet. Es versinnbildlicht die vier Temperamente, „deren Ausübung dem Menschen die im Schrank vereinigten instrumenta […] ermöglichten.“8 Emmendörffer schließt so eine bedeutende Forschungslücke. Sein Aufsatz gibt zudem Anlass zur Untersuchung, ob auch weitere Kunstschränke ein derart umfassendes System und Programm aufweisen.
Guido Hinterkeuser widmet seinen umfangreichen und gut recherchierten Beitrag dem wechselvollen Weg des Pommerschen Kunstschranks vom Hofe Philipps II. von Pommern nach Berlin in die Sammlung des Kunstgewerbemuseums. Der Tisch wechselte in den ersten 67 Jahren nach seiner Herstellung mehrfach den Besitzer bzw. die Besitzerin. Nachdem das Geschlecht des Herzogs ausgestorben war, gelangte der Schrank über die weiblichen Nachkommen und mehrere Umwege schließlich in die Sammlung der Kurfürstin Dorothea von Holstein-Glücksburg, der zweiten Gemahlin des Großen Kurfürsten Wilhelm von Brandenburg. Das Kurfürstenpaar integrierte den Schrank in seine Kunstkammer im Berliner Schloss. Hinterkeuser versucht, die Geschichte der Kunstkammer des Berliner Schlosses im Laufe der folgenden Jahrzehnte und den Platz des Kunstschranks zu rekonstruieren. Weiter berichtet er lückenlos von den folgenden Stationen des Schranks nach der Auflösung der Kunstkammer. Die letzte Station bildete seit 1920 wieder das Berliner Schloss, wo er als wichtigstes Exponat des Kunstgewerbemuseums seinen Platz fand. Hinterkeuser schließt mit dem traurigen Bericht der Zerstörung des Pommerschen Kunstschranks im Zweiten Weltkrieg.
Der kürzeste der zwölf Aufsätze ist dem bereits erwähnten Dokumentarfilm Eine Welt im Schrank aus dem Jahr 1934 gewidmet. Bénédicte Savoy gibt darin einen knappen Einblick in ihre Forschungen zur Filmpropaganda für die Berliner Museen im Dritten Reich.
Sandra-Kristin Diefenthaler bietet anschließend in ihrem Literaturbericht einen konzisen Überblick über die kunsthistorische Forschung zum Pommerschen Kunstschrank. Den Ausgangspunkt bilden dabei die Veröffentlichungen Friedrich Nicolais (1733–1811), der darin die bis heute gebräuchliche Bezeichnung Pommerscher Kunstschrank prägte. Der Literaturbericht arbeitet außerdem den allmählichen Wandel der Zuschreibungen an den Kunstschrank heraus, nämlich „von einer merkwürdigen Sehenswürdigkeit hin zu einer universellen Kunstkammer im Kleinen“.9
Lorenz Seelig analysiert kenntnisreich Hainhofers Kontakte zum Münchner Hof. Im Juli 1603 besichtigte Hainhofer erstmals eingehend die 1200 Quadratmeter große herzogliche Kunstkammer im Marstallgebäude. 1606 würdigte Wilhelm V. Hainhofers „Khunst-stüblin“ mit einem Besuch.10 Der Herzog blieb daraufhin – ungeachtet des Konfessionsunterschieds – bis 1623 mit Hainhofer in engem Kontakt. Seelig legt anschaulich dar, wie bedeutsam die Kontakte zum Münchner Hof für Hainhofers Aufstieg zum (Kunst-)Agenten waren: Durch die Besichtigungen der Münchner Kunstkammer und die Korrespondenz mit Wilhelm V. konnte er einerseits seine Kenntnisse auf dem Gebiet des Sammelwesens entscheidend vertiefen. Andererseits waren es die Protektion und Fürsprache Herzog Wilhelms, die Hainhofer in Kontakt mit anderen Fürsten brachte.
Annette Schommers wendet sich in ihrem Aufsatz einem weiteren Kunstschrank aus Augsburger Werkstätten zu, nämlich dem Kunstschrank, den Maximilian I. jesuitischen Missionaren überantwortete, damit diese ihn dem chinesischen Kaiser Wanli zum Geschenk machten. Im Kontext der indirekten Missionsmethoden der Jesuiten kam derartigen Geschenken zentrale Bedeutung zu: Jesuitische Missionare versuchten mit Hilfe von Kunstgegenständen sowie wissenschaftlichen Geräten die Eliten im chinesischen Reich für sich und so letztlich für den katholischen Glauben zu gewinnen.11 Aussehen und Inhalt des Schranks, dieses heute ebenfalls nicht mehr erhaltenen Möbelstücks, lassen sich anhand einer lateinischen Beschreibung rekonstruieren, die am Ende des Beitrags erstmalig vollständig veröffentlicht wird.
Immer wieder zeigt Schommers die Ähnlichkeiten des Schranks zu anderen Augsburger Kabinettschränken auf, wie auch dem Pommerschen Kunstschrank. So kann der Inhalt beider Schränke den Kunstkammerkategorien der Artificialia und Scientifica zugeordnet werden. Auch wurden die meisten der Ausstattungsobjekte in Augsburg gefertigt und es scheint, dass das Möbelstück selbst ebenfalls einer Augsburger Werkstatt entstammt, wie eine Rechnung an den Augsburger Juwelier und Händler Bartholomäus von Stassen andeutet, der „3200 fl. für einen schreibtisch mit allerley Silber geziert“ erhielt.12 Somit liegt die Vermutung nahe, Hainhofer könnte auch an der Konzeption dieses Schranks beteiligt gewesen sein. Zumindest stand er in engem Kontakt mit Maximilian I. Aber es fehlt an Quellen, die die Beteiligung Hainhofers belegen, wie Schommers betont. Auch wenn der Schrank somit leider keinen eindeutigen Beitrag zur Hainhofer-Forschung liefert, kann Schommers zumindest deutliche Verbindungen zwischen den beiden Kunstschränken aufzeigen.
Christine Cornet befasst sich in ihrem Beitrag mit der Spielesammlung, die der Augsburger Kistler Ulrich Baumgartner in den Jahren 1614 bis 1616 für Herzog August von Braunschweig-Lüneburg fertigte. Das Prunkstück der Sammlung bildet ein aufwendig gefertigtes Schachspiel samt filigran gearbeiteten Spielfiguren aus Elfenbein. Darüber hinaus umfasst die Sammlung ein Karten-, ein so genanntes Gänse- sowie ein Damespiel, wobei letzteres aus Ebenholz, Perlmutt und graviertem Silber gefertigt wurde. Cornets Beitrag ist vor allem aus zwei Gründen lesenswert: Erstens analysiert sie mit Hilfe der Augsburger Handwerkerakten präzise das sozialgeschichtliche Umfeld Baumgartners. Sowohl die von ihm bekleideten Ämter als auch die Zahl seiner Lehrjungen bzw. Gesellen lassen dabei den Schluss zu, dass Baumgartner eine herausgehobene Position in der Kistlerzunft einnahm. Zweitens kann Cornet anhand der Entstehung der Spielesammlung Aspekte der Agententätigkeit Hainhofers beleuchten: 1614 übersandte er Herzog August zunächst zwei „Probefiguren“ aus Elfenbein sowie Vorschläge für die Gestaltung der Spielesammlung. Nachdem der Herzog den Auftrag zur Anfertigung erteilt hatte, fungierte Hainhofer kontinuierlich als Vermittler zwischen diesem und Ulrich Baumgartner bzw. den übrigen beteiligten Handwerkern. Ein direkter Austausch fand hingegen offenbar nicht statt – eine Tatsache, die Cornet leider nicht als erklärungsbedürftig erachtet. Am Ende des gelungenen Beitrags bleibt somit eine Frage unbeantwortet: Handelt es sich hierbei – was zu vermuten ist – um die im 17. Jahrhundert übliche Praxis, nämlich bei Aufträgen, an denen mehrere Künstler beteiligt waren, einem Mittler die Korrespondenz sowie die Koordination zu übertragen?13 Oder ist das Fehlen einer direkten Korrespondenz doch auf andere Ursachen zurückzuführen, beispielsweise eine zu große soziale Distanz zwischen Herzog August und Ulrich Baumgartner?14
Auch Ludwig Kallweit stellt, wie zuvor Annette Schommers, einen weiteren bedeutenden Augsburger Kunstschrank in den Fokus der Forschung, das so genannte Hainhofer’sche Werkzeugkabinett. Er referiert dabei aus den laufenden Forschungen des Dresdner Kunstgewerbemuseums. Das Möbelstück galt lange Zeit aufgrund der beigefügten Tischplatte als Werkzeugtisch. Es handelt sich jedoch um einen Kabinettschrank, zu dessen Inhalt u. a. Jagdutensilien und verschiedene Werkzeuge gehören. Die dazugehörige Platte konnte neuesten Forschungen zufolge in ihre Einzelteile zerlegt im heute verlorenen Deckel des Schranks untergebracht werden. Bis heute ist unbekannt, wer der Käufer dieses Möbels war und wie es in die Kunstkammer des sächsischen Kurfürsten Johann Georg I. (reg. 1611– 1656) in Dresden gelangte. Die Dresdner Kunstkammer war eine wissenschaftlich-technisch orientierte Sammlung, sodass ein Kabinettstück wie dieses sich dort gut einfügte. Kallweit weist überzeugend nach, dass der Schrank trotz der „kompakte[n] Bauart“ kein Reisemöbel war, wovon ältere Forschungen noch ausgingen.15 Sein Hauptargument hierfür ist der Inhalt des Kabinetts, der vor allem Sammlungscharakter besitzt. Im Folgenden legt er ausführlich und klar formuliert dar, warum der Schrank Philipp Hainhofer zugesprochen werden sollte. Zudem zeigt er mit seinem Beitrag, wie Hainhofer die jeweiligen Vorlieben der fürstlichen Auftraggeber zum Anlass nahm, die Kunstschränke unterschiedlich zu gestalten. Das Dresdner Werkzeugkabinett fügte es sich gut in das Ziel der Kammer ein, die hauptsächlich der Repräsentation der Dynastie und des Territoriums diente und zudem als technisch-wissenschaftliche Institution eingerichtet worden war. So war es vielleicht wirklich von vorneherein für die Dresdner Kunstkammer konzipiert. Letztlich jedoch fehlen auch hier schriftliche Quellen.
Die vier Stammbücher Hainhofers mit ihren insgesamt rund 600 Einträgen stehen im Mittelpunkt des Beitrags von Gerhard Seibold. Hainhofer sammelte über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahrzehnten (1593–1646) Einträge für seine Stammbücher. Das Spektrum der InskribentInnen ist ausnehmend breit und erstreckt sich von hochrangigen Mitgliedern der europäischen „societé des princes“ bis zu Angehörigen der Hainhofer’schen Familie.16 Die Einträge selbst bestehen aus Unterschriften, Widmungen oder Sinnsprüchen. Drei der vier Stammbücher enthalten Wappen oder Zeichnungen, die teilweise von namhaften Künstlern wie Jeremias Günther, Hans von Aachen oder Georg Beham gefertigt wurden. Insgesamt hält sich der Erkenntnisgewinn des Aufsatzes leider in Grenzen: Zu monieren ist zunächst die ungenügende Kontextualisierung. Hainhofers Stammbücher werden weitgehend isoliert betrachtet, ohne die um 1600 stark ausgeprägte Stammbuchpraxis des Adels oder akademischer Kreise einzubeziehen. Damit korrespondiert, dass Seibold die einschlägigen neueren Forschungen zu Stammbüchern nicht rezipiert.17 Zuletzt muss auch hinter einige Detailergebnisse ein Fragezeichen gesetzt werden: So erörtert Seibold auf den Seiten 149 und 150 ausführlich, mit welchen Personen Hainhofer möglicherweise über die künstlerische Gestaltung seiner Stammbücher gesprochen haben könnte. Da entsprechende Quellen allerdings fehlen, handelt es sich hierbei – genau besehen – um Mutmaßungen.
Michael Wenzel analysiert in seinem sehr lesenswerten Aufsatz die Beziehung zwischen August d. J. von Braunschweig-Wolfenbüttel und Hainhofer. Es handelt sich dabei um erste Ergebnisse des DFG-Projekts „Philipp Hainhofer – Kunstunternehmer und diplomatischer Akteur der Frühen Neuzeit“, dessen Bearbeiter Wenzel seit 2011 ist.18 Herzog August ernannte Hainhofer 1613 zu seinem Agenten und gewährte ihm mit 600 Reichstalern ein ausnehmend hohes Jahresgehalt. Beide unterhielten von 1613 bis zu Hainhofers Tod im Juli 1647 eine intensive Korrespondenz. Die Stärke des Beitrags liegt darin, dass Wenzel anhand der Beziehung zwischen Herzog und Agent zu allgemeineren Erkenntnissen – vor allem über die Fürstengesellschaft des frühen 17. Jahrhunderts – gelangt: Herzog August verfügte als nachgeborener Sohn zunächst nur über eine unstandesgemäße Residenz sowie ein Kleinstterritorium. Entsprechend intensiv bemühte er sich um die Akzeptanz seiner fürstlichen Standesgenossen und wurde hierbei maßgeblich von seinem Agenten unterstützt: Hainhofer versorgte Herzog August mit zahlreichen (Luxus-)Gütern, die für eine standesgemäße Lebensführung unerlässlich waren. Zweitens erwarb er Bücher und Schriften für die Wissenschaftsprojekte des Herzogs. Diese Projekte – allen voran Augusts Schachbuch – sollten ebenfalls in erster Linie die soziale Schätzung der fürstlichen Standesgenossen sichern. Drittens übernahm Hainhofer diplomatische Aufgaben bzw. Reisen für den im „kaiserfernen“ Norden residierenden Herzog. In Anbetracht des konzisen Beitrags von Michael Wenzel darf man auf die im Rahmen des DFG-Projekts geplante Monographie zu Philipp Hainhofer zweifelsohne gespannt sein.
Auf den Aufsatzteil folgt der 300-seitige Katalogteil, in dem die über 100 Exponate der Ausstellung erläutert werden. Auffällig am Katalogteil ist vor allem die unterschiedliche Länge der Texte: Während AutorInnen wie Gode Krämer oder Virginie Spenlé die einzelnen Exponate ausführlich beschreiben, hält Barbara Mundt ihre Ausführungen zum Inhalt des Pommerschen Kunstschranks bedauerlicherweise recht knapp. In ihrer 2009 erschienen Monographie hatte sie diese einzelnen Gegenstände dagegen gründlich beleuchtet.19 Zum besseren Verständnis der von ihr beschriebenen Exponate müsste man also ihre Monographie hinzuziehen.
Abgerundet wird der Katalog durch die 75 Seiten umfassende Edition von Philipp Hainhofers Diarium der schwedischen Besatzung Augsburgs. Die Aufzeichnungen setzen im April 1632 ein, als sich der schwedische König Gustav Adolf mit seinem Heer der Reichsstadt näherte, und enden im April 1635. Die Edition des Diariums ist überaus verdienstvoll – vor allem, weil Hainhofer darin die Geschichte eines weiteren Kunstschranks schildert, der unter seiner Federführung entstand: Im April 1632 erwarben die evangelischen Ratsherren Augsburgs von Hainhofer einen Kunstschrank aus Ebenholz, der „mit rarissimis naturalibus, und artificialibus verwunderlich“ eingerichtet sei.20 Er diente als Verehrung für König Gustav Adolf und wurde im Rahmen einer festlichen Tafel überreicht. Dieser Kunstschrank ist – anders als der Pommersche Kunstschrank – bis heute erhalten geblieben und kann im Museum der Universität Uppsala besichtigt werden.
Insgesamt überzeugt der Katalog durch seine wissenschaftliche Präzision, seine Informationsfülle sowie durch die hohe Qualität der zahlreichen Abbildungen. Ausstellung und Katalog schließen so wesentliche Forschungslücken und erweitern den Blick auf das hohe Niveau der Augsburger Künstler.
Forschungsdesiderate
Trotz der Fülle an neuen Erkenntnissen, die der Katalog liefert, sind noch keinesfalls alle Fragen beantwortet. So obliegt es zukünftigen Forschungen, „die Organisation der beteiligten Gewerbe“ zu analysieren und vor allem die zahlreichen am Kunstschrank beteiligten Künstler sowie ihre Werke zu erforschen und damit eine weitere Lücke in der Augsburger Kunstgeschichtsforschung zu schließen.21 Zu nennen wäre etwa das noch immer unbearbeitete OEuvre der Malers Johann König,22 aber auch der zahlreichen Kunsthandwerker der Stadt.23 Eben diese beiden Forschungsdesiderate sieht auch Sandra-Kristin Diefenthaler in ihrem Literaturbericht zum Pommerschen Kunstschrank. Aus kunsthistorischer Sicht bleibt dem nur zuzustimmen.
Und noch ein weiteres, ebenso lohnenswertes wie kaum bearbeitetes Forschungsfeld wird durch die Ausstellung bzw. den Katalog in den Fokus gerückt: die heterogene Gruppe der Agenten, die an frühneuzeitlichen Höfen, in Stadtrepubliken wie Genua oder Venedig sowie in Reichsstädten tätig waren. Es muss an dieser Stelle nicht ausführlich dargelegt werden, dass Philipp Hainhofer lediglich ein Agent unter vielen war – wenn auch ein ausnehmend erfolgreicher. Die bedeutendsten Erkenntnisse erbrachte bisher das Forschungsprojekt „Double Agents: Cultural and Political Brokerage in Early Modern Europe“, das von 2002 bis 2007 an der Universität Leiden angesiedelt war. Die beteiligten ForscherInnen richteten ihr Erkenntnisinteresse dabei besonders auf zwei Agenten-Typen: Einerseits Diplomaten, die für ihren Prinzipal zugleich Kunstgegenstände und Exotica erwarben bzw. Künstler und Musiker rekrutierten; andererseits Künstler, die im Auftrag ihres Prinzipals auch an Verhandlungen teilnahmen oder als Nachrichtenkolporteure tätig waren. Charakteristisch für beide Agenten-Typen – so Marika Keblusek – sei besonders „[the] flexibility in role-switching“ sowie die Nutzung ein und desselben Netzwerks für unterschiedliche Zwecke.24 Die Forschungsergebnisse des Leidener Agenten-Projekts liegen in Gestalt von zwei Sammelbänden vor.25 Bei aufmerksamer Lektüre wird jedoch rasch offenbar, dass die Forschungen zu frühneuzeitlichen Agenten de facto noch am Anfang stehen: Erstens behandeln die Fallstudien ausschließlich Agenten aus Italien, Spanien sowie dem west- und nordeuropäischen Raum, d. h. den Niederlanden, Frankreich und Skandinavien. Mit anderen Worten: Die im frühneuzeitlichen Reich tätigen Agenten wurden nicht in den Blick genommen. Zweitens ist der Untersuchungszeitraum faktisch auf die Jahre von 1550 bis 1650 beschränkt. Wer sich hingegen über die (Kunst-)Agenten der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts informieren möchte, ist vor allem auf die luziden Publikationen von Robert Felfe angewiesen.26
Es bleibt somit zu hoffen, dass die überaus sehenswerte Ausstellung sowie der gelungene Katalog auch dazu beitragen, die (kunst-)historische Forschung auf die zahlreichen Agenten aufmerksam zu machen, die im Schatten Philipp Hainhofers noch auf ihre Erforschung harren.
Printversion: Frühneuzeit-Info 25, 2014, S. 297–303.
- Philipp Hainhofer an Herzog August d. J. von Braunschweig-Lüneburg, 5./15.03.1618, in: Der Briefwechsel zwischen Philipp Hainhofer und Herzog August d. J. von Braunschweig-Lüneburg (= Bayerisches Nationalmuseum, Forschungshefte 8), bearb. v. Ronald Gobiet, München: Deutscher Kunstverlag 1984, S. 230.
- Die heute geläufige Bezeichnung Pommerscher Kunstschrank lässt sich erstmals in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nachweisen.
- Christoph Emmendörffer/Christof Trepesch (Hg.): Wunderwelt. Der Pommersche Kunstschrank, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2014.
- Siehe Barbara Mundt: Der Pommersche Kunstschrank des Augsburger Unternehmers Philipp Hainhofer für den gelehrten Herzog Philipp II. von Pommern, München: Hirmer 2009.
- Barbara Mundt: Der Pommersche Kunstschrank, in: Christoph Emmendörffer/Christof Trepesch (Hg.): Wunderwelt. Der Pommersche Kunstschrank, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2014, S. 20–31, hier S. 30.
- Christoph Emmendörffer: Wunderwelt. Der Pommersche Kunstschrank und sein „Hainhofer-Code“, in: Ders./Christof Trepesch (Hg.): Wunderwelt. Der Pommersche Kunstschrank, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2014, S. 32–57, hier S. 35.
- Ebd., S. 55.
- Ebd., S. 57.
- Sandra-Kristin Diefenthaler: „vil zu speculieren und zu sehen“. Ein Literaturbericht zum Pommerschen Kunstschrank, in: Christoph Emmendörffer/Christof Trepesch (Hg.): Wunderwelt. Der Pommersche Kunstschrank, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2014, S. 79–85, hier S. 79.
- Zitiert nach Lorenz Seelig: Philipp Hainhofer und der Münchner Hof, in: Christoph Emmendörffer/Christof Trepesch (Hg.): Wunderwelt. Der Pommersche Kunstschrank, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2014, S. 87–95, hier S. 89.
- Zuletzt hierzu Claudia von Collani: Von Jesuiten, Kaisern und Kanonen. Europa und China – eine wechselvolle Geschichte, Darmstadt: WBG 2012, bes. S. 42–59.
- Anette Schommers: Der Kunstschrank Herzog Maximilians I. von Bayern für den Kaiser von China, in: Christoph Emmendörffer/Christof Trepesch (Hg.): Wunderwelt. Der Pommersche Kunstschrank, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2014, S. 96–115, hier S. 103.
- Vgl. die Aufträge Graf Lambergs an Augsburger Künstler in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Friedrich Polleroß: Die Kunst der Diplomatie. Auf den Spuren des kaiserlichen Botschafters Leopold Joseph Graf von Lamberg (1653–1706), Petersberg: Imhof 2010, bes. S. 280.
- Siehe grundlegend Heiko Droste: Briefe als Medium symbolischer Kommunikation, in: Marian Füssel/Thomas Weller (Hg.): Ordnung und Distinktion. Praktiken sozialer Repräsentation in der ständischen Gesellschaft (= Symbolische Kommunikation und Gesellschaftliche Wertesysteme 8), Münster: Rhema 2005, S. 239–256, hier S. 247.
- Ludwig Kallweit: Vom fürstlichen Jagd- und Reisetisch zum Hainhoferschen Werkzeugkabinett. Über die Umbewertung eines Augsburger Kunstmöbels, in: Christoph Emmendörffer/Christof Trepesch (Hg.): Wunderwelt. Der Pommersche Kunstschrank, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2014, S. 128–139, hier S. 132.
- In Anlehnung an Lucien Bely: La société des princes. XVIe – XVIIIe siécle, Paris: Fayard 1999.
- Exemplarisch Werner Wilhelm Schnabel: Das Stammbuch. Konstitution und Geschichte einer textsortenbezogenen Sammelform bis ins erste Drittel des 18. Jahrhunderts (= Frühe Neuzeit 78), Tübingen: Max Niemeyer 2003.
- Der vollständige Titel des DFG-Projekts lautet „Handeln mit Kunst und Politik: Philipp Hainhofer – Kunstunternehmer und diplomatischer Akteur der Frühen Neuzeit“.
- Siehe Mundt: Der Pommersche Kunstschrank (wie Anm. 3), S. 171–389.
- Wunde Welt. Hainhofers Diarium der schwedischen Besatzung Augsburgs, in: Christoph Emmendörffer/ Christof Trepesch (Hg.): Wunderwelt. Der Pommersche Kunstschrank, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2014, S. 466–536, hier S. 487.
- Diefenthaler: „vil zu speculieren und zu sehen“ (wie Anm. 9), S. 85.
- Zuletzt Gode Krämer: Ein neu aufgefundenes Hauptwerk von Johann König, in: Bärbel Hamacher/Christl Karnehm (Hg.): Pinxit, sculpsit, fecit. Kunsthistorische Studien. Festschrift für Bruno Bushart, München: Deutscher Kunstverlag 1994, S. 130–137.
- Eine grundlegende Arbeit hierzu entsteht mit der im Trierer Projekt Artifex (Leitung: Andreas Tacke) angesiedelten Dissertation von Danica Brenner, die sich mit der „Künstlersozialgeschichte der Augsburger Renaissance. Ausbildung und Werkstattpraxis, Demographie, Netzwerke und soziale Topographie der Augsburger Malerzunft“ beschäftigt.
- Marika Keblusek: Introduction, in: Dies./Badeloch Vera Noldus (Hg.): Double Agents. Cultural and Political Brokerage in Early Modern Europe, Leiden/Boston: Brill 2011, S. 1–9, hier S. 6.
- Hans Cools/Marika Keblusek/Badeloch Vera Noldus (Hg.): Your Humble Servant. Agents in Early Modern Europe, Hilversum: Verloren 2006; sowie Keblusek/ Noldus (Hg.): Double Agents (wie Anm. 24).
- Z. B. Robert Felfe: Dynamiken der Sammlungskultur im 17. Jahrhundert. Instabile Ensembles, fürstliches Mäzenatentum und die Ambitionen der Experten, in: Gudrun Swoboda (Hg.): Die Kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums, Bd. 2: Europäische Museumskulturen um 1800, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2013, S. 337–357.
Quelle: http://fnzinfo.hypotheses.org/159