Élisabeth Louise Vigée Le Brun 1755–1842

Élisabeth Louise Vigée Le Brun 1755–1842 (23. September 2015 bis 11. Januar 2016, Grand Palais Paris)

Von Michael Hölters (Wien)

Élisabeth Louise Vigée Le Brun (1755–1842) war die bekannteste französische Malerin ihrer Zeit, deren Werke überall in Europa gefeiert wurden. Erstmals in Frankreich widmete das Pariser Grand Palais, in Zusammenarbeit mit dem Metropolitain Museum of Art in New York und dem Musée des Beaux-Arts in Ottawa, ihr eine umfassende Retrospektive. Die Kuratoren Joseph Baillio und Xavier Salmon präsentierten eine Auswahl von 135 Werken der Künstlerin, die ergänzt wurden mit Arbeiten von ZeitgenossInnen. Die Exponate, darunter viele aus Privatbesitz, verteilten sich über zwei Ebenen auf insgesamt fünfzehn Themenbereiche, die verschiedenen Lebensstationen der Künstlerin und thematischen Fragestellungen gewidmet waren.

Die Karriere von Élisabeth Louise Vigée Le Brun zeichnete sich bereits früh ab.

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Quelle: http://fnzinfo.hypotheses.org/812

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Ausstellungsbericht: Piero di Cosimo in Washington und Florenz

von Stefan Albl (Rom)

Die National Gallery of Art in Washington (1. Februar bis 3. Mai 2015) und die Galleria degli Uffizi in Florenz (23. Juni bis 27. September 2015) widmeten Piero di Cosimo die erste große monographische Retrospek­tive.1 Rund fünfundvierzig Gemälde aus den Jahren 1480 bis ca. 1515 und eine Auswahl an Zeichnungen (nur Florenz), erlaubten einen tiefen Einblick in Pieros Produktion von Altarbildern, Tondi religiösen Inhalts, Porträts und mythologischen Darstellungen.

Der 1426 in Florenz geborene Piero war eine der cha­rismatischsten Figuren seiner Zeit, die sich laut Vasari bereits in der Werkstatt von Cosimo Rosselli (wo er noch 1480 dokumentiert ist) durch seine „tiefgründi­ge Einfallskraft“ von anderen Künstlern unterschieden haben soll.

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Quelle: http://fnzinfo.hypotheses.org/723

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Ausstellungsbericht: Velázquez

Velázquez
Ausstellung im Kunsthistorischen Museum Wien, 28. Oktober 2014 bis 15. Februar 2015

Von Andreas Plackinger (München)

Von Prinzen auf Postern – „Auf nach Velasquez!“1
Mit flatternder Schärpe stürmt der kleine Prinz auf seinem Pony durch die kastilische Hochebene… und durch Wien, denn das Plakat mit Velázquez’ 1635 entstandener Darstellung des Infanten Baltasar Carlos, das die Ausstellung im Kunsthistorischen Museum bewirbt, scheint in der Hauptstadt allgegenwärtig.2

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Abb. 1 Diego Velázquez, Prinz Baltasar Carlos zu Pferd, 1635, Öl auf Leinwand, 209 x 173 cm, Madrid, Museo del Prado.*

Das Motiv ist gut gewählt. Mit seinem Blau-Ton hebt es sich vom grauen Winterhimmel ab, außerdem weist es auf zwei Charakteristika hin, die diese Velázquez-Schau auszeichnen: großartige Leihgaben und royaler Glanz. Die Anwesenheit der spanischen Königin Letizia garantierte einen medienwirksamen Ausstellungsauftakt und in den Sälen zeigt eine Reihe von Bildnissen das habsburgische Antlitz des Siglo de Oro. Noch bevor die BesucherInnen die Ausstellungsräume betreten, begegnen sie dem Reiterporträt des früh verstorbenen Prinzen erneut, wiederum in Form einer Reproduktion – in den Sälen werden leider weitere folgen –, die auf der eleganten dunkelgrauen Eingangsstele mit goldenen Lettern eher unbeholfen wirkt. Wenige Schritte entfernt verrät das Sortiment eines Verkaufsstands, dass Infantin Margarita ihren älteren Halbbruder als Merchandising-Ikone ausgestochen hat: Sie ziert Fächer, Armbanduhren, Kartenspiele, Flaschenöffner, Mousepads, Umhängetaschen und Brillentücher. Margarita im blauen Kleid ist sogar als Anhänger für den Weihnachtsbaum erhältlich. Die breite Produktpalette allein lässt keinerlei Zweifel: Hier handelt es sich nicht um irgendeine Ausstellung, sondern um ein Ausstellungs-Ereignis, mit dem sich Sylvia Ferino-Pagden (seit Ende 2010 Direktorin der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums) von ihrer illustren Wirkungsstätte verabschiedet. Die Entdeckung eines Künstlers wird in Aussicht gestellt, der für das breite Publikum vermutlich eine terra incognita ist.

Neben der Fülle an Velázquez-Accessoires könnte man den über 300 Seiten starken Ausstellungskatalog (Hirmer Verlag) fast übersehen. Mit Dawson W. Carr und Javier Portús Pérez, Kuratoren am Portland Art Museum bzw. am Museo Nacional del Prado, weist die Publikation namhafte Kenner auf, die bereits den Katalog der von Carr kuratierten Velázquez-Ausstellung der Londoner National Gallery 2006 zu weiten Teilen bestritten.3 Dass sich der Abbildungsbestand beider Kataloge ähnelt, ist angesichts des künstlermonographischen Zuschnitts der beiden Ausstellungen wenig überraschend. Im Wiener Katalog werden die frühen Jahre des 1599 in Sevilla geborenen Diego Rodriguez de Silva y Velázquez und seine Prägung durch das humanistische Umfeld seines Lehrers Francisco Pacheco nachgezeichnet (Dawson W. Carr), seine Tätigkeit als Porträtmaler am Hof Philipps IV. von 1623 bis zu seinem Tod 1660 geschildert (Javier Portús Pérez), Velázquez als Historienmaler vorgestellt (Gabriele Finaldi) sowie seine beiden Italienaufenthalte 1629–30 und 1649–51 erläutert (Stefan Albl). Von den die bisherige Velázquez-Forschung meist resümierenden Essays4 hebt sich der Beitrag ab, der am Familienporträt von Velázquez’ Schwiegersohn Juan Bautista Martínez del Mazo dem Nachleben seines Hauptwerks Las Meninas nachspürt (Gudrun Swoboda). Schließlich gibt ein Bericht von restauratorischer Seite, ausgestattet mit spannendem Bildmaterial, Einblick in die Maltechnik des späten Velázquez (Elke Oberthaler/Monika Strolz). Trotz der teilweise verknappten Darstellungen – besonders in den Bemerkungen zu den Meninas5 wird dies deutlich – liegt mit dieser Publikation ein weiterer guter Überblick zu Werk und Vita des Künstlers vor, wenn darin auch zuweilen kleinere Fehlinformationen und Unstimmigkeiten bei Literaturverweisen auftreten.6

„Maler der Maler“ oder Hofphotograph?
„Zedwitz wundert sich über meine Enttäuschung vor Velasquez. Er habe nie etwas anderes in Velasquez gesehn, als einen eleganten Photographen vor Erfindung der Photographie […].“7
Diese Zeilen aus der Spanischen Reise von Julius Meier-Graefe von 1910 stehen in schroffem Gegensatz zu Édouard Manets Einschätzung von Velázquez als „peintre des peintres“,8 die der Ausstellung als Motto vorangestellt ist. Damit sind die beiden Pole bezeichnet, zwischen denen sich eine Überblicksschau zu Velázquez positionieren muss.

Der erste Raum der Ausstellung in Wien widmet sich dem Sevillaner Frühwerk, das sich durch seine sorgfältig geschlossene Pinselfaktur auszeichnet. Die eher dunklen Gemälde – Velázquez malt noch auf einer rotbraunen Grundierung, die er nach seiner ersten Italienreise aufgibt – kommen vor der auberginefarbenen Wandbespannung gut zur Geltung. Besonders reizvoll ist es, die Londoner Immaculata und das Velázquez zugeschriebene Gemälde gleichen Themas der Fundacíon Focus-Abengoa in Sevilla vergleichen zu können – letzteres ist erst vor knapp 25 Jahren auf dem Kunstmarkt aufgetaucht. Mit dem Wasserverkäufer der Wellington Collection ist eine Arbeit ausgestellt, die verdeutlicht, welch erstaunlich hohes malerisches und intellektuelles Niveau der Künstler einer scheinbar anspruchslosen Bildaufgabe – einer genreartigen Alltagsszene – verleihen konnte.9

Temporarily used for contact details: The Engine House, Fire Fly Avenue, Swindon, SN2 2EH, United Kingdom, Tel: 01793 414600, Email: archive@english-heritage.org.uk, Website: http://www.english-heritage.org.uk

Abb. 2 Diego Velázquez, Der Wasserverkäufer von Sevilla, ca. 1622, Öl auf Leinwand, 107,7 x 83,3 cm, London, Apsley House, Wellington Collection.*

Die Oberflächentexturen von Keramik und Glas sind mit atemberaubender Könnerschaft wiedergegeben. In den Figuren lassen sich sowohl Vertreter verschiedener sozialer Stände in Interaktion als auch die drei Lebensalter erkennen. Zugleich ist das Bild eine Variation auf eines der Sieben Werke der Barmherzigkeit, die Tränkung der Durstigen. Die Pointe besteht darin, dass der ärmliche Wasserverkäufer einem Knaben aus gutem Haus Trank spendet. Nach einem derartigen Auftakt muss die Photoreproduktion nach einer Sevilla-Ansicht aus dem 17. Jahrhundert neben den Originalgemälden im Eingangssaal als echter Missgriff betrachtet werden.

Der zweite große Ausstellungssaal umfasst rein quantitativ das Herz der Schau: das königliche Porträt. Kriterium für die Hängung der dort gezeigten Porträts der Infantin Margarita ist weder Ober- noch Unterkante der Werke, sondern dass sich das Gesicht der Dargestellten stets auf gleicher Höhe befindet und damit eine direkte Vergleichbarkeit bietet. Dadurch entsteht der Eindruck von Serialität – und dies bei Bildnissen, die zu den größten Schätzen des Kunsthistorischen Museums gehören und mit ihrem offenen Duktus verblüffend individuelle Leistungen sind. Zweit- oder drittklassige Werkstattarbeiten wiederum kommen in diesem Raum zu unverdienter Prominenz, während ein Meisterwerk an Subtilität wie das Porträt des Infanten Don Carlos, des Bruders Philipps IV., in einem Durchgangsraum hängt. In der Mitte der großen Längswand ist schließlich das Plakatmotiv, Prinz Baltasar Carlos zu Pferd, zu finden. Dass dieses Bild als Teil eines Ausstattungszyklus, des Salón de Reinos (Saal der Königreiche) im Buen Retiro-Palast, einem gänzlich anderen Funktionszusammenhang entstammt als die Porträts seiner (Halb-)Geschwister Maria Teresa, Margarita und Felipe Próspero, wird durch die Hängung ausgeblendet. Auf die Freude, nach den Postern in der U-Bahn und dem Edeldruck auf der Eingangsstele das Original zu sehen, folgt die ernüchternde Entdeckung einer großformatigen Farbreproduktion von Las Meninas. Dieses Detail ist beredt: Velázquez’ Gemälde werden zur bloßen Geschichtsillustration. Zu dieser Wahrnehmung tragen auch die anschließenden Kabinette bei, in denen das Ende der casa de Austria in Spanien und die Eheschließung der Infantin Margarita mit Kaiser Leopold I. im Zentrum stehen. Julius Meier-Graefes Bekannter Zedwitz müsste sich in seiner Auffassung von Velázquez als Photograph avant la lettre bestätigt sehen. Es ist bedauerlich, dass der Bestand der vorhandenen Werke nicht genutzt wurde, um die Spannbreite des höfischen Porträts in seinen verschiedenen Spielarten auszuloten, wie dies der Katalogbeitrag von Portús Pérez leistet (S. 33–55). Doch das Dresdner Bildnis des Juan Mateos ist in einem Durchgangskabinett untergebracht und das großartige Herrenporträt (José Nieto?) aus Apsley House wird im letzten Saal von der spektakulären Venus mit dem Spiegel überstrahlt, mit der es die Wand teilt. Die ebenfalls im letzten Raum gezeigten Narrenporträts – ein Höhepunkt von Velázquez’ einfühlsamer Beobachtungsgabe – hätten unbedingt im Horizont des höfischen Porträts verortet werden müssen: Der ganzfigurige Hofnarr Don Juan de Austria wäre als Paraphrase des königlichen Porträts verständlich geworden. Durch die schreiende Diskrepanz zwischen Form und Inhalt, zwischen Schein und Sein wäre ein Grundprinzip des spanischen Barock (engaño versus desengaño) anschaulich geworden.

Die Ausstellung schließt mit einem Saal, dessen thematische Beschreibung „Mythen, Fabeln und vieles mehr“ von einer gewissen Verlegenheit zeugt. Hier werden unter anderem Werke aus Velázquez’ italienischen Jahren gezeigt, etwa die Schmiede des Vulkan und die sogenannte Rokeby-Venus.

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Abb. 3 Diego Velázquez, Venus mit dem Spiegel (Rokeby Venus), 1648–1651, Öl auf Leinwand, 122,5 x 177 cm, London, National Gallery.*

In dem ergreifend schönen Rückenakt entfaltet der Künstler durch die Thematisierung des Sehens einmal mehr seine konzeptuelle Meisterschaft. Der Betrachter nähert sich als Voyeur, aber die vermeintlich sichere Position als unbemerkter Beobachter wird durch den Spiegel ad absurdum geführt, durch den die junge Frau aus dem Bild herausblickt und den Betrachter zum Betrachtungsgegenstand macht. Indem der Spiegel die Stoff-Falten vor Venus’ Hüfte auf der Mitte des Bildes reflektiert, zugleich aber auch ihr weiter rechts platziertes Haupt, wird der Kunstcharakter der Darstellung deutlich und Velázquez als Regisseur der optischen Illusion greifbar. Dank solch großartiger Leihgaben, darunter nicht zuletzt das erstaunliche, in einem Durchgangsraum ungünstig platzierte Gemälde mit der Ansicht einer Loggia im Garten der Villa Medici – einer der nur zwei autonomen Landschaften im Œuvre des Meisters! –, vermag die Schau einen breiten Überblick über Velázquez’ Schaffen zu geben. Einen Beitrag dazu leisten das äußerst informative kostenlose Begleitheft und die inhaltlich dichten Wandtexte (positiv hervorgehoben sei der Text zu den bodegones, Küchenstücken und Wirtshausszenen mit Still-Lebenelementen, der auf die kunsttheoretische Anbindung dieser genuin spanischen Bildgattung an die antike literarische Tradition hinweist). Äußerst geglückt ist, dass man den Ausstellungsbereich über den Tiziansaal der ständigen Sammlung verlässt und somit einen für Velázquez zentralen Künstler als Vergleichsfolie erfährt. Eine weitere Stärke der Wiener Schau besteht darin, Werke wie die Heilige Rufina aus Sevilla zu präsentieren, die in der älteren Literatur kaum oder gar nicht berücksichtigt wurden. Höchst problematisch ist jedoch, dass auf die damit verbundenen Zuschreibungsdiskussionen nicht deutlicher hingewiesen wird. Ein Fragezeichen oder der Vermerk ‚zugeschrieben‘ im Objektschild oder im ‚Kopf‘ des Eintrags in Begleitheft und Katalog hätten hier Abhilfe geschaffen.10

Derartige Unterlassungen und die nicht immer glückliche Hängung lassen zuweilen den Verdacht aufkommen, die Kuratorin habe sich mit Velázquez schwer getan, ganz so, als hätte es an der rechten Begeisterung für diesen Künstler gefehlt. Nichtsdestoweniger bleibt es eine verdienstvolle Leistung der OrganisatorInnen, Velázquez mit einer umfangreichen monographischen Ausstellung erstmals im deutschsprachigen Raum gewürdigt zu haben.

Abbildungsnachweis
* aus dem Download-Pressebereich der Website des Kunsthistorischen Museums für die aktuelle Berichterstattung: http://press.khm.at/pr/khm/velazquez/ [16.12.2014].

  1. Julius Meier-Graefe: Spanische Reise, Berlin: S. Fischer 1910, S. 20.
  2. Der Vergleich zu anderen Reiterporträts von Velázquez macht deutlich, dass hier keine Levade gezeigt wird.
  3. Dawson Carr (Hg.): Velázquez, Ausstellungskatalog National Gallery London, Stuttgart u.a.: Belser u.a. 2006. Portús Pérez ist seinerseits in den letzten Jahren als Kurator von großen Velázquez-Ausstellungen hervorgetreten. Vgl. Javier Portús Pérez (Hg.): Fábulas de Velázquez. Mitología e Historia Sagrada en el Siglo de Oro, Ausstellungskatalog, Madrid: Museo Nacional del Prado 2007; Javier Portús Pérez (Hg.): Velázquez y la familia de Felipe IV (1650–1680), Ausstellungskatalog, Madrid: Museo Nacional del Prado 2013.
  4. Die Literatur zu Velázquez ist Legion, von den einschlägigen Monographien seien hervorgehoben: José López-Rey: Velázquez. Das Vollständige Werk [1963]. Aktualisierte Ausgabe von Odile Delenda, Köln: Taschen 2014; Enriqueta Harris: Velázquez, Oxford: Phaidon 1982; Jonathan Brown: Velázquez. Painter and Courtier, New Haven u. London: Yale University Press 1986. Einen Eindruck von unterschiedlichen thematischen Zugängen zu Velázquez bietet Suzanne L. Stratton-Pruitt (Hg.): The Cambridge Companion to Velázquez, Cambridge: Cambridge University Press 2002.
  5. Einen ersten Überblick über die große Zahl an unterschiedlichen Interpretationen und damit gleichermaßen zur Rezeptionsgeschichte bietet Thierry Greub (Hg.): Las Meninas im Spiegel der Deutungen. Eine Einführung in die Methoden der Kunstgeschichte, Berlin: Reimer 2001.
  6. Abb. 5 auf S. 43 des Ausstellungskatalogs zeigt nicht die kaum publizierte Variante von Baltasar Carlos in der Reitschule der Wallace Collection, sondern das Gemälde gleichen Themas aus der Sammlung des Herzogs von Westminster. Falsch sind die Behauptungen, Velázquez habe nur eine Tochter gehabt (S. 130) und Don Juan de Austria, der Sieger von Lepanto, sei der Sohn Philipps II. (S. 190) gewesen. Zum Kurztitel Bernheimer & Garrido & Howard 2014 (S. 172) fehlt die Auflösung im Literaturverzeichnis. Das Publikationsdatum von Saskia Joglers Arbeit zu Velázquez’ Narrenporträts scheint ebenso wie das Jahr der Dissertationsschrift von Claudia Ham zu den dynastischen Verbindungen zwischen österreichischen und spanischen Habsburger im 17. Jahrhundert Schwierigkeiten bei der Titelaufnahme verursacht zu haben (S. 190 u. 218).
  7. Meier-Graefe: Spanische Reise (wie Anm. 1), S. 77.
  8. Die Rezeption der spanischen Malerei im Allgemeinen und Velázquez’ im Besonderen durch Manet und sein Umfeld wird beleuchtet in Geneviève Lacambre/Gary Tinterow (Hgg.): Manet – Velázquez. La manière espagnole au XIXe siècle, Ausstellungskatalog Musée d’Orsay Paris u. Metropolitan Museum New York, Paris: Éditions de la RMN 2002.
  9. Vgl. S. 146–150, Kat. Nr 9 (Dawson W. Carr) im Katalog der Ausstellung, wo unter anderem auch die Anspielung auf den Namen des ersten nachweisbaren Besitzers des Gemäldes Juan de Fonseca (fons = lat. ‚Quelle‘; seco/seca = span. ‚trocken‘) erläutert wird. Eine sensible Analyse des Bildes liefert auch Martin Warnke: Velázquez. Form & Reform, Köln: Dumont 2005, S. 25–29.
  10. Gerade im Fall des Raufhandels der römischen Sammlung Pallavicini wäre es dringend geboten gewesen, die Frage der Eigenhändigkeit zu problematisieren, denn das kleine Bild kann weder in Duktus noch Figurenanordnung mit dem Künstler in Verbindung gebracht werden und ist obendrein auf Holz gemalt, einem Bildträger, der in keinem einzigen von Velázquez’ gesicherten Werken Verwendung gefunden hat; vgl. den Werkkatalog von López-Rey: Velázquez (wie Anm. 4), S. 332–393. Einziger Anhaltspunkt für die nicht überzeugende Zuschreibung an Velázquez (in der Ausstellung ist der Künstler ohne jede Einschränkung als Autor genannt) ist eine ungefähre Ähnlichkeit einer Bildfigur mit einer der Gestalten in der Schmiede des Vulkan.

Quelle: http://fnzinfo.hypotheses.org/243

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SCHLOSS BAU MEISTER. Andreas Schlüter und das barocke Berlin

Zur Ausstellung im Berliner Bode-Museum vom 4. April bis 24. August 2014

Von Caroline Mang und Julia Strobl (Wien)

Anlässlich des 300. Todesjahres von Andreas Schlüter (1659/60–1714) widmet das Bode-Museum auf der Berliner Museumsinsel dem Hofbildhauer und Archi­tekten des barocken Berlin eine Ausstellung, die vor allem sein Wirken am brandenburgisch-preußischen Hof fokussiert. Es ist dies nach 50 Jahren die zweite monographische Präsentation, wobei sich die Ge­dächtnisausstellung von 1964 vorwiegend dem bild­hauerischen Schaffen Schlüters näherte und es in den Kontext mit der Plastik seiner Zeit stellte.1 Der Wiederaufbau des nach Schlüters Plänen errichteten Berliner Stadtschlosses, der gerade nach Entwürfen des Archi­tekten Franco Stella unternommen wird, ist, so der Direktor der Skulpturensammlung am Bode-Museum Bernd Lindemann, aktuelles Motiv, sich insbesonde­re mit Andreas Schlüter als Baumeister auseinanderzusetzen. Der Kurator der Ausstellung Hans-Ulrich Kessler ist Herausgeber des umfangreichen Kata­logs Andreas Schlüter und das barocke Berlin sowie des ergänzenden Stadtführers Schlüter in Berlin, der die noch erhaltenen Werke und Bauten Schlüters im urbanen Raum erschließen soll.2

Die Geburt Andreas Schlüters in Danzig um das Jahr 1660 wird in der kunsthistorischen Forschung inzwi­schen allgemein akzeptiert.3 Das vor allem von nieder­ländischen Künstlern der Renaissance und des Ma­nierismus geprägte Stadtbild wirkte, so darf vermutet werden, auf den jungen Bildhauer ein. Über seine Ausbildung ist wenig bekannt, erst seine Berufung an den Hof des polnischen Königs Jan III. Sobieski (reg. 1674–1696) nach Warschau im Jahr 1681 lässt ihn in seinem Wirken als Bauplastiker und Bildhauer fassbar werden.4 Durch die Tätigkeit unter den Architekten Tilman van Gameren und Augustyn Locci traf er noch vor seiner Berufung als Hofbildhauer nach Berlin auf die neuesten künstlerischen Strömungen aus den Nie­derlanden und Italien. Ab 1694 arbeitete Schlüter für den Kurfürsten Friedrich III. (reg. 1688–1713) am Aus­bau der Doppelstadt Berlin-Cölln zu einer barocken Königsmetropole.5 In diese Anfangszeit als Hofbild­hauer fallen auch seine Reisen nach Italien, Frankreich und die Niederlande, 1699 erfolgte schließlich die Er­nennung zum Schlossbaudirektor – ein Höhepunkt seiner Karriere als „Bildhauerarchitekt“. Nach dem Skandal um den drohenden Einsturz des Münzturms 1706 verlor er diese Position, führte aber in königli­chem Auftrag weiterhin plastische Werke aus. Eine neuerliche Anstellung als Hofbaumeister fand Schlü­ter erst wieder 1713 in St. Petersburg unter Zar Peter dem Großen, wo er allerdings schon wenige Monate nach seiner Ankunft verstarb.

Einem der prominentesten Werke Andreas Schlüters als Hofbildhauer, dem Reiterstandbild des Großen Kurfürsten begegnet man im Foyer des Bode-Muse­ums, wo es in Form einer Kopie – die Galvanoplastik wurde von Wilhelm von Bode in Auftrag gegeben – auf dem originalen Sockel platziert ist. Das ursprüng­liche Reiterstandbild Schlüters mit den dazugehörigen vier Sklavenfiguren, einst auf der Langen Brücke vor dem Stadtschloss der Hohenzollern (Abb. 1), befindet sich heute im Ehrenhof des Charlottenburger Schlos­ses. Im Verlauf der Ausstellung wird das Werk, für dessen Ausführung der Bronzegießer Johann Jacobi verantwortlich zeichnet, mehrfach aufgegriffen und in einen typengeschichtlichen Kontext gestellt. Die Du­alität des Reitermonuments, welches den Kurfürsten als kriegerischen Feldherren und als souveränen Herr­scher im Sinne der Adventus-Ikonographie darstellt, zeigt sich, wenn man sich ihm von unterschiedlichen Seiten her nähert, und bezeugt die Könnerschaft des Bildhauers.6 Weitere permanent im Bode-Museum befindliche Werke Schlüters – die Attikafiguren der Villa Kameke – begegnen dem Besucher im Gang, der zur eigentlichen Ausstellung führt.

1 Johann Georg Rosenberg: Das Reiterstandbild des Großen Kurfürsten auf der Langen Brücke mit dem Schloss, Kupferstich, Berlin, 1781 (bpk / Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders).

1 Johann Georg Rosenberg: Das Reiterstandbild des Großen Kurfürsten auf der Langen Brücke mit dem Schloss, Kupferstich, Berlin, 1781 (bpk / Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders).

Zu Beginn erfolgt eine anschauliche und überblicks­hafte Präsentation der kulturpolitischen Situation unter den brandenburgischen Kurfürsten im fort­geschrittenen 17. Jahrhundert, der „Weg zu Andreas Schlüter“. Bereits der große Kurfürst Friedrich Wil­helm (1640–1688) forcierte nach dem Dreißigjährigen Krieg die künstlerische und wissenschaftliche Ent­wicklung durch die Neuerrichtung der Kunstkammer sowie der Bibliothek. Unter seinem Nachfolger, dem Kurfürsten Friedrich III., ab 1701 König in Preußen, begann der repräsentative Ausbau Berlins zur kö­niglichen Residenzstadt. Er war es, der 1694 Andreas Schlüter aus Polen an den preußischen Hof berief, an dem familiär bedingt – der Kurfürst verbrachte seine Jugendzeit in Holland, zudem war seine Gattin Lui­se-Henriette Prinzessin von Oranien-Nassau – vor­zugsweise niederländische Kunst gesammelt wurde. Präsentiert werden Exponate namhafter Künstler, beispielsweise Werke der flämischen Bildhauer Fran­çois Duquesnoys, Artus Quellinus d. Ä. und François Dieussarts. Die hervorragende Qualität der bildhaue­rischen Arbeit des neuberufenen Hofbildhauers wird mittels einer Gegenüberstellung zweier Standbilder des Großen Kurfürsten demonstriert, indem Schlü­ters 1698 vom Bronzegießer Johann Jacobi gegosse­nes Standbild mit der Marmorstatue von Bartholo­meus Eggers, eines Werksstattmitarbeiters des Artus Quellinus, konfrontiert wird.

Obwohl das Anschauungsmaterial ergiebig ist und gut ausgewählt wurde, werden die vorgestellten Werke allzu selten in Bezug zu den Arbeiten Schlüters gesetzt und gerade in jenen ersten Räumen, die Schlüters An­kunft und die Situation in Berlin thematisieren, ver­misst vor allem die fachfremde Besucherin bzw. der fachfremde Besucher einleitende Begleittexte, ohne die sich der Kontext der präsentierten Werke kaum erschließt. An dieser Stelle erweist sich der begleitende Audioguide als unerlässlich. Einen zweiten zentralen Kritikpunkt bildet die Aussparung von Schlüters Lehr­jahren und Wirken in Polen – gleichwohl das Quellenmaterial zu der Frühzeit Schlüters spärlich ausfällt, wurde gerade in der neueren Forschungsliteratur seine Tätigkeit in Danzig und Warschau am königlichen Hof aufgearbeitet.7 Ein knapper, einführender Über­blick über die ersten 30 Lebensjahre Schlüters oder die künstlerische Situation in jenen Städten zu seiner Zeit wäre an dieser Stelle der Ausstellung durchaus wünschenswert gewesen. So aber bleibt die bildhau­erische und architekturpraktische Ausbildung des zukünftigen Berliner Schlossbaumeisters in Danzig, dem niederländisch geprägten Zentrum des Manieris­mus im Ostseeraum, unberücksichtigt. Dennoch kann hier auf den entsprechenden Beitrag Regina Deckers im Ausstellungskatalog verwiesen werden, der eben jene künstlerischen Anfänge Schlüters als Hofkünst­ler in Polen, seine Arbeit an der königlichen Kapelle in Danzig und seine Mitwirkung am Bauschmuck des Krasiński-Palastes beleuchtet.8 Überdies versuchte ein vom Institut für Kunstwissenschaft und historische Urbanistik an der TU Berlin und der Kunstgeschicht­lichen Gesellschaft zu Berlin vom 6. bis 7. Juli 2014 veranstaltetes internationales Kolloquium („Andreas Schlüter und das barocke Europa“), diesen fehlen­den Aspekt zu kompensieren, und widmete sich dem Thema aus einer ostmitteleuropäischen Perspektive. Allerdings konnten auch dort keine gesicherten neuen Werke oder Quellen vorgestellt werden, die die Früh­zeit Schlüters geklärt hätten.

Schlüters erste große Aufgabe in Berlin war der Bauschmuck des Zeughauses. Präsentiert werden seine sog. Sterbenden Krieger (Abb. 2), ausdrucks­starke, als Schlusssteine konzipierte Kopftrophäen, die schon zur Entstehungszeit eine Übertragung in das Medium des Kupferstichs nach Federzeichnungen Teodor Lubienieckis erfuhren (Abb. 3). In der künst­lerischen Darstellung der Kopftrophäen werden, so Fritz-Eugen Keller, zwei Momente vereinigt.9 Die als Dreiergruppen angelegten Köpfe boten die Möglich­keit, die verschiedenen Lebensalter zu visualisieren, gleichzeitig kommt es in der Darstellung der Gesichter zu einer überaus realistischen Veranschaulichung un­terschiedlicher Passionen nach Charles Le Brun, der im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts Schemata ver­schiedenster Ausdrucksmöglichkeiten beschrieb und deren visuelle Umsetzung reglementierte. In der Aus­stellung werden die Zeughausmasken in den Kontext italienischer Vorbilder gestellt. Eine Kupferstichserie Giovanni Battista Galestruzzis zeigt die Fassadenma­lereien des frühen 16. Jahrhunderts von Polidoro da Caravaggio. Gian Lorenzo Berninis Medusenhaupt aus den kapitolinischen Museen – die wohl prominen­teste Leihgabe der Ausstellung – lenkt in der Mitte des Raumes den Blick unwillkürlich auf sich und weist den Werken Schlüters eine Nebenrolle zu. Die baudekora­tiven Arbeiten in Danzig und Warschau hinsichtlich ihrer Vorbildwirkung heranzuziehen, wäre, wie schon eingangs erwähnt, ein noch ausstehendes Desiderat zukünftiger Forschung. Schon die ältere Literatur ver­wies beispielsweise auf die dekorativen Medaillons am Schlüterhaus in Danzig, die das Konzept der sterben­den Kriegermasken antizipieren (Abb. 4).10

2 Andreas Schlüter: Kopftrophäe als Schlussstein an der Südfassade Hofes, Zeughaus, Berlin (Kretzschmar, Ulrike (Hg.): Das Berliner Zeughaus, München, Berlin u.a. 2006, S. 88).

3 Theodor Lubieniecki: Kopfkartusche in Ruinenlandschaft, Berlin, 1696–1700, Feder in Schwarz, 30,7 x 20 cm (Wien, Graphische Sammlung Albertina, Inv. 13119).

4 Hans Andreas Schlüter (?): Medaillon mit dem Kopf eines Kriegers, Fassade des sog. Schlüterhauses, Danzig/Gdańsk, um 1640 (Foto 1964, Kondziela/Fijałkowski 1965, wie Anm. 4, Abb. 48).

Einen größeren Part widmet die Ausstellung dem Schlüterschen Reiterstandbild des Großen Kurfürs­ten (Abb. 1), welches dem Urtyp des Reiterbildnisses, jenem Marc Aurels, axial gegenübergestellt wird und präsentationstechnisch seine Wirkung in der ihm ge­gebenen großen Räumlichkeit ausgezeichnet entfalten kann. Als Vorbild der Idee eines Reiterstandbildes als einem Brückenmonument wird auf das von Giambologna konzipierte Reiterstandbild des französischen Königs Heinrich IV. auf der Pont Neuf in Paris ver­wiesen, welches zudem die Sockelgestaltung mit den vier am Fuße des Denkmals platzierten Sklaven vor­wegnimmt. Interessant ist hier wiederum die Rolle des Bronzegießers Johann Jacobi, der eine grundlegende Vermittlerrolle innehatte. Nach seiner Mitarbeit am Guss des monumentalen Reiterstandbildes von Lud­wig XIV. 1692 in Paris (Entwurf François Girardon) wurde er nach Berlin berufen, um Schlüters Denkmal des Kurfürsten zu gießen. Die dynamisch-offensive Darstellung des Schlüterschen Reiterstandbilds, hier vor allem die Draperie des Gewandes, korrespon­diert eindeutig mit dem Wachsmodell für das Stand­bild des Alessandro Farnese von Francesco Mochi. Positiv hervorzuheben ist die gelungene kuratorische Konzeption, die Reiterstandbilder nicht nur in Form kleiner Modelle zu präsentieren, sondern mittels zeit­genössischer Gemälde und Stiche deren einstige Aufstellungssituation in den jeweiligen Residenzstädten zu vermitteln.

So wie das Reiterstandbild an der Langen Brücke ist auch die 1889 abgerissene Alte Post mit Fassaden­dekoration Schlüters aus dem Berliner Stadtbild verschwunden. Der Besucher vermisst hier zeitge­nössische Ansichten, lediglich ein kleinformatiges Gemälde dokumentiert die städtebauliche Lage un­mittelbar neben der Langen Brücke gegenüber dem Schloss. Die Fassade des Posthauses als größere Ge­samtansicht abzubilden, wäre insofern interessant ge­wesen, als sie in ihrer Konzeption mit den klassischen römischen Architekturformen bricht und, wie Guido Hinterkeuser feststellt, Anregungen von niederländi­scher und französischer Seite aufgreift.11 Ausgestellt werden insgesamt sechs von den acht noch erhaltenen dekorativen Tondi (Abb. 5), die oberhalb des Piano Nobile angebracht waren und unterschiedliche Tu­genden figurieren, wobei die Identifikation der unge­wöhnlichen Allegorien bis heute nicht schlüssig gelun­gen ist.12 Als Referenzrahmen für die ikonographische Inszenierung der Tugenden wird in der Ausstellung verallgemeinernd auf Cesare Ripas Iconologia ver­wiesen. Dagegen betont Hinterkeuser, dass sich meist keine Anhaltspunkte für die Identifizierung der Alle­gorien in den zeitgenössischen Ikonographietraktaten finden lassen.

5 Andreas Schlüter: Allegorie der Diskretion (?), Relieftondo von der Fassade der Alten Post, um 1703, Sandstein (SMB, Skulpturensammlung / Antje Voigt).

Mit der Präsentation der bronzenen Porträtbüste des Prinzen Friedrich II. von Hessen-Homburg wird in einem weiteren Nebenraum ein Werk Schlüters aus dem Jahr 1701 vorgestellt, dessen herausragende Qua­lität durch die Konfrontation mit zeitgenössischen Vergleichsbeispielen fassbar wird. Eine Bronzebüste des Landgrafen von Hessen-Kassel von dem flämi­schen Bildhauer Gabriel Grupello sowie eine Marmorskulptur des Architekten Jules Hardouin-Mansart von dem französischen Bildhauer Jean-Louis Lemoyne flankieren Schlüters meisterliche Darstellung des Prinzen von Hessen, die vollplastisch ausgestaltet auf Allansichtigkeit angelegt ist und sich stilistisch durch­aus mit der führenden französischen Porträtkunst des Hochbarock messen kann.

Erst in einem der letzten Ausstellungsräume wird ein­gelöst, was der Ausstellungstitel SCHLOSS BAU MEIS­TER verspricht: Der Fokus wird nun auf Schlüter als Baumeister des Berliner Schlosses gelegt.13 Zeitgleich mit der Krönung des Kurfürsten Friedrich III. zum König in Preußen wurde die zum Schlossplatz ausge­richtete Fassade durch Schlüter vollendet und bildete somit einen repräsentativen Rahmen für den bevor­stehenden Krönungseinzug. Das beinahe den kom­pletten Ausstellungsraum füllende Modell von Wolf­gang Schulz aus den 1980er-Jahren im Maßstab 1:100 verschafft den BesucherInnen einen anschaulichen Überblick über die einst bestehende Schlossanlage. Der Schlüter’sche Entwurf speist sich aus Anleihen der italienischen Hochrenaissance sowie des Hochbarocks in Rom. Auch französische Vorbilder wie der Umbau des Louvre, der ab 1661 als Prototyp des zeitgenössi­schen Schlossbaus bezeichnet werden kann, werden genannt.14 Neben den nicht ausgeführten Bernini- Entwürfen diente insbesondere auch die Ostfassaden­gestaltung durch den Architekten Claude Perrault als Anregung für Schlüters Hofportalanlagen. Die Fas­saden zum Schlossplatz hingegen lassen Reminiszen­zen an römische Stadtpaläste erkennen, deren Archi­tektur Schlüter, so Hinterkeuser, vor allem über den niederländischen Architekten Tilman van Gameren vermittelt bekam, der ihm derartige architektonische Formen am Krasiński-Palast in Warschau gleichsam vorexerzierte. Bei aller schlüssiger Auflistung von Vor­bildern für den Schlossumbau bleibt eine große Un­klarheit bestehen: der Weg Schlüters zum Architekten. In welchem Ausmaß der zunächst nur als Bildhauer und Bauplastiker tätige Künstler bereits im Zuge sei­ner Ausbildung in Polen architekturtheoretische und praktische Grundlagen des Bauwesens erlernte, wird nicht entschlüsselt. Die Auseinandersetzung mit der Position Andreas Schlüters als „Bildhauerarchitekt“, eine Doppelfertigkeit, die zu seiner Zeit durchaus kei­nen Einzelfall darstellt, scheint ein interessanter An­satz für die weitere Schlüter-Forschung zu sein.

Ein Modell des Treppenhauses und Teile der Ausstattung des 1950 gesprengten Stadtschlosses, darunter originale Holztüren, Tapisserien oder das prunkvolle Silberbuffet aus dem ehemaligen Rittersaal, vermit­teln einen Eindruck von den Innenräumen des ba­rocken Schlosses, die im Zuge des Wiederaufbaus als Humboldtforum nicht wieder rekonstruiert werden – ein zentraler Kritikpunkt aktueller Auseinanderset­zungen.15

Schlüter scheiterte als Schlossbaumeister an der von höchster Stelle gewünschten Umgestaltung des Wasserturms in einen ca. 300 Fuß hohen Münzturm mit Glockenspiel, der ab 1702 an der Nordwestecke der Schlossanlage auf bereits bestehender Bausubstanz aufgerichtet wurde. Der labile und sandige Untergrund am Spreeufer verursachte statische Probleme und Risse am Bauwerk. Um den drohenden Einsturz ab­zuwenden, musste der Münzturm abgetragen werden. 1706 endete damit Schlüters Karriere als Hofarchitekt. Als Hofbildhauer blieb er weiter für die Hohenzollern tätig und schuf die als Pendants gedachten monumen­talen Prunksarkophage für das Königspaar Sophie Charlotte und Friedrich I. im Berliner Dom. In sei­nen letzten Berliner Jahren übernahm er Bauaufgaben privater Auftraggeber wie den technisch aufwändigen Einbau einer Kanzel in die Marienkirche oder seinen letzten Bau in Berlin, die Villa Kameke (Abb. 6).16

6 Andreas Schlüter: Villa Kameke, Berlin, Mittelrisalit Straßenseite, Foto vor 1945 (Wünsdorf, BLDAM, Messbildarchiv, in: AK Bode-Museum 2014, wie Anm. 2, Abb. XXII.4, S. 420).

Die berninesken Attikafiguren dieses bemerkenswer­ten Gartenpalais, das den Zweiten Weltkrieg nicht überdauerte, befinden sich permanent in der Samm­lung des Bode-Museums, im langen Gang nach dem Eingangsfoyer. Fast am Ende der Schlüter-Ausstellung vermittelt der Aufriss der Gartenfassade der Villa Ka­meke den BesucherInnen das Architekturcapriccio des reifen Bildhauerarchitekten.

Großformatige Fotografien der erhaltenen Schlüter­werke in Berlin laden abschließend ein, den vorhan­denen Spuren in der Stadt zu folgen. In Berlin Mitte befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft neben der stetig wachsenden Schlossbaustelle auch der Berli­ner Dom mit der königlichen Grablege, die Bauplastik des Zeughauses, die Kanzel der Marienkirche sowie die Gruftpforte zum Männlichgrabmal in der Nikolaikirche. Das Reiterstandbild des großen Kurfürsten hingegen hat seinen Platz im Ehrenhof des Charlottenburger Schlosses gefunden – weit ab von seinem ur­sprünglichen Bestimmungsort, der Langen Brücke, die einst zum Schloss der Hohenzollern führte.

Printversion: Frühneuzeit-Info 25, 2014, S. 304–310.

 

  1. Edith Fründt/Eva Mühlbächer (Hg.): Andreas Schlüter und die Plastik seiner Zeit. Eine Gedächtnisausstellung anläßlich der 250. Wiederkehr seines Todesjahres (AK Staatliche Museen zu Berlin, Skulpturen-Sammlung, Berlin, 1964), Berlin 1964.
  2. Hans-Ulrich Kessler (Hg.): Andreas Schlüter und das barocke Berlin (AK Bode-Museum, Skulpturensamm­lung und Museum für byzantinische Kunst, Berlin, 2014), Berlin: Hirmer 2014. Ders., Schlüter in Berlin. Stadtführer, Berlin: Hirmer 2014.
  3. Regina Deckers: Andreas Schlüter in Danzig und Polen, in: AK Bode-Museum 2014, S. 20–31, hier S. 20–21.
  4. Siehe vor allem: Henryk Kondziela / Wojciech Fijałkowski: Die künstlerische Tätigkeit Andreas Schlü­ters in Polen, in: Michelangelo heute. Sonderband der Wissenschaftlichen Zeitschrift der Humboldt-Uni­versität zu Berlin 14 (1965), S. 267–291. Guido Hinterkeuser: Ex oriente lux? – Andreas Schlüter und der pol­nische Anteil am Ausbau Berlins zur Königsmetropole, in: Małgorzata Omilanowska/Anna Straszewska (Hg.): Wanderungen (= Das gemeinsame Kulturerbe 2), War­schau: Instytut Sztuki Polskiej Akademii Nauk 2005, S. 27–41.
  5. Heinz Ladendorf: Andreas Schlüter. Baumeister und Bildhauer des preußischen Barock, Leipzig: Seemann 1997. Die neuaufgelegte Monographie von Ladendorf aus dem Jahr 1937 wird mit einem Kommentar von Hel­mut Bösch-Supan ergänzt, der den Originaltext unver­ändert belässt, jedoch den Werkkatalog vervollständigt und die Forschung seit 1945 hinzufügt.
  6. Auf jenen Kunstgriff Schlüters verweist auch Hans-Ul­rich Kessler. Hans-Ulrich Kessler: Das Reiterdenkmal des Grossen Kurfürsten, in: AK Bode-Museum 2014, S. 222–235, hier S. 230–231.
  7. Guido Hinterkeuser: Ad Nobilissimum SCHLVTERVM Gdanensem. Andreas Schlüter und seine Stellung in der deutschen und polnischen Kunstgeschichtsschreibung, in: Robert Born u.a. (Hg.): Die Kunsthistoriographien in Ostmitteleuropa und der nationale Diskurs (Hum­boldt-Schriften zur Kunst- und Bildgeschichte 1), Ber­lin: Mann 2004, S. 301–333.
  8. Deckers: Andreas Schlüter (wie Anm. 3).
  9. Fritz-Eugen Keller: Die Schlusssteine der Bögen am Erdgeschoss des Zeughauses. Andreas Schlüters Tri­umphhelme und Kopftrophäen besiegter Krieger – ein Hauptwerk nordeuropäischer Barockskulptur, in: AK Bode-Museum 2014, S. 136–151, hier S. 144–147.
  10. Georg Cuny: Danzigs Kunst und Kultur im 16. und 17. Jahrhundert. Danzigs Künstler mit besonderer Be­rücksichtigung der beiden Andreas Schlüter, Frank­furt am Main: Verlag Heinrich Keller 1910. Kondziela/ Fijałkowski: Die künstlerische Tätigkeit (wie Anm. 4).
  11. Guido Hinterkeuser: Andreas Schlüter und die Alte Post in Berlin, in: AK Bode-Museum 2014, S. 374–383, hier S. 377.
  12. Guido Hinterkeuser: Kat. XX.3–XX.8. Reliefs von der Fassade der Alten Post, in: AK Bode-Museum 2014, S. 386–390, hier S. 390.
  13. Wilhelm v. Boddien: So weit sind wir jetzt: Das Berli­ner Schloss-Humboldtforum ist im Bau, in: Förderver­ein Berliner Schloss e.V., URL: http://berliner-schloss. de/aktuelle-infos/wo-stehen-wir-heute-der-sachstand (21.07.2014).
  14. Guido Hinterkeuser: Andreas Schlüter und das Berliner Schloss: Die Architektur, in: AK Bode-Museum 2014, S. 258–272, hier S. 267–268.
  15. Jens Jessen: Ausstellung „Andreas Schlüter“. Kein Außen ohne das Innen, in: Die Zeit 17/2014, URL: http://www.zeit.de/2014/17/schlossbaumeister-andreas-schlueter (21.07.2014).
  16. Zur Sonderstellung der Villa Kameke und ihrer ar­chitektonischen Verwandtschaft mit Gartenpalais in Deutschland und Wien siehe Hellmut Lorenz: Andreas Schlüters Landhaus Kameke in Berlin, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 56, 2 (1993), S. 153–172.

Quelle: http://fnzinfo.hypotheses.org/167

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Ausstellungsbericht: Wunderwelt. Der Pommersche Kunstschrank

Ausstellung im Maximilianmuseum Augsburg, 28. März bis 29. Juni 2014

Von Sarah Babin (Trier) und Thomas Dorfner (Aachen/Münster)

 

[D]er schreibtisch vnd maӱrhof […] sein wol .2. solche werk, der gleichen kain Künig vnd kain Fürst Im Reich diser Zeit hat, vnd wer die kunst versteht und liebt, ihe mehr erß ansihet, ihe mehr er admiration daran finden würdt.1

Die eingangs zitierten Worte entstammen einem Brief Philipp Hainhofers an Herzog August von Braunschweig-Lüneburg aus dem März 1618. Der Augsburger (Kunst-)Agent berichtet darin von einem „schreibtisch“, der sich seit wenigen Mona­ten in der Kunstkammer Herzog Philipps II. von Pommern befinde. Gemäß Hainhofer genüge dieser selbst königlichen Ansprüchen und suche im ge­samten Reich seinesgleichen. Kunstliebhaber wür­den diesen „schreibtisch“ bewundern – und zwar umso mehr, je eingehender sie ihn betrachteten. Es dürfte an dieser Stelle bereits deutlich geworden sein, dass es sich nicht um einen Schreibtisch im modernen Sinne, sondern um einen Kunstschrank des frühen 17. Jahrhunderts handelt – genauer gesagt um den berühmten Pommerschen Kunst­schrank.2 Dieser wurde in den Jahren 1610 bis 1617 in der Reichsstadt Augsburg von zahlreichen nam­haften Künstlern gefertigt. Die Federführung oblag dabei Philipp Hainhofer, der den Kunstschrank nach der Fertigstellung im August 1617 persönlich nach Stettin brachte und dort an Herzog Philipp übergab.

Das Maximilianmuseum Augsburg widmete dem Pommerschen Kunstschrank von 28. März bis 29. Juni 2014 die überaus sehenswerte Ausstellung Wunderwelt. Begleitend zur Ausstellung erschien ein stattlicher, 560 Seiten umfassender Katalog, der u. a. zwölf Aufsätze enthält.3 Im folgenden Bei­trag werden sowohl die Ausstellung als auch der Katalog besprochen. Abschließend soll knapp auf Desiderate in der Forschung zum Pommerschen Kunstschrank bzw. den (Kunst-)Agenten hinge­wiesen werden.

Die Ausstellung

Der Kurator, Dr. Christoph Emmendörffer, war mit der schwierigen Aufgabe konfrontiert, in der Ausstellung ein Objekt, das nicht mehr existiert, in aller Fülle wiederzubeleben, zu interpretieren und dabei die BesucherInnen zu faszinieren. Diese Herausforderung – so viel vorweg – meisterte die Augsburger Ausstel­lung Wunderwelt vorzüglich.

Der erste Ausstellungsraum bot die Möglichkeit, den 1934 gedrehten, 18-minütigen Dokumentarfilm Eine Welt im Schrank anzusehen. Auf diese Weise wurde den BesucherInnen gleich zu Beginn die einstige Pracht des Pommerschen Kunstschranks eindrucks­voll vor Augen geführt. Zugleich erleichterte die Do­kumentation wesentlich das Verständnis der folgen­den Präsentation des Inhalts. Es empfahl sich daher, den Rundgang mit dem Dokumentarfilm zu beginnen und erst anschließend in den ersten Raum mit Expo­naten zu gehen. Der Dokumentarfilm war faktisch der Schlüssel zum Verständnis der Ausstellung.

Die Ausstellung selbst gliederte sich in drei Themen­bereiche: Im ersten Bereich wurden die Vita Philipp Hainhofers und seine Tätigkeit als (Kunst-)Agent für diverse europäische Höfe beleuchtet. Neben zahlrei­chen kunsthandwerklichen Schöpfungen Augsburger Künstler sind hier vor allem die prachtvollen Stamm­bücher Hainhofers herauszustellen, die in der Ausstel­lung präsentiert wurden und sein soziales Netzwerk eindrucksvoll aufzeigten. So enthält das so genannte Kleine Pommersche Reisebüchlein (Kat. Nr. 16) zahl­reiche Eintragungen hochrangiger Mitglieder der Fürstengesellschaft des Alten Reichs. Das so genannte Große Stammbuch (Kat. Nr. 25) hingegen beeindruckt besonders durch die Miniaturen namhafter Künstler wie beispielsweise Johann Matthias Kager.

Die folgenden drei Räume waren dem Pommerschen Kunstschrank und damit dem zweiten Themenbereich gewidmet. Die Ausstellung demonstrierte auf ebenso anschauliche wie imposante Weise, wie viele Objekte der Kunstschrank einst beherbergte. Hervorzuheben ist besonders die große Vitrine im Felicitassaal, die u. a. ein vielteiliges Reisegeschirr, kostbare Leuchter sowie einige astronomische Gerätschaften enthielt (Kat. Nr. 46.6 u. 46.7). Als hilfreich erwies sich die nochmalige Vorführung des Dokumentarfilms in den Ausstellungsräumen, wodurch den BesucherInnen immer wieder der Zusammenhang von Objekten und verlorenem Schrank vor Augen geführt und der Ge­brauch der ausgestellten Gegenstände demonstriert wurde. In denselben Räumen fanden sich außerdem weitere Wunderwerke der Augsburger Künstler wie ein Hausaltar-Kabinettschrank mit Goldschmiede­arbeiten von Matthias Walbaum und Malereien von Anton Mozart (Kat. Nr. 82). Durch diesen dritten Themenbereich gewannen die BesucherInnen ein eindrucksvolles Bild von Glanz und Vielfältigkeit der Augsburger Kunstschränke. Kritik lässt sich einzig an der Beschriftung der Exponate in manchen Vitrinen äußern, da sich die Stücke nicht immer auf Anhieb den ausgewiesenen Beschreibungen zuordnen ließen. Dieser kleine Wermutstropfen ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass es sich bei Wunderwelt um eine aus­nehmend gelungene Ausstellung handelte.

Der Katalog

Im zweiten Teil dieses Beitrags soll der Ausstellungs­katalog ausführlich rezensiert werden, wobei das Hauptaugenmerk auf die Aufsätze gerichtet wird.

Paul von Stettens (1731–1808) Lebensbeschreibung des Philipp Hainhofer eröffnet den Aufsatzteil. Die Beschreibung ist zwar unkommentiert, wurde aber mit einzelnen Katalognummern versehen und weist so bereits auf die Bandbreite der Ausstellung bzw. die schillernde Persönlichkeit des Augsburger (Kunst-) Agenten hin.

Barbara Mundt gibt mit ihrem Aufsatz, wie sie selbst betont, eine Zusammenfassung ihrer 2009 erschiene­nen, ausführlichen Monographie zum Pommerschen Kunstschrank.4 Mundt führt den LeserInnen kurz und prägnant die Entstehungsgeschichte des Kunst­schranks vor Augen. Ebenso verfährt sie bei der Be­schreibung des Bildes, das die (fiktive) Übergabe des Schranks an den Herzog dokumentiert und alle be­teiligten Künstler zeigt. Dies nimmt sie zum Anlass, kurz über die Künstler selbst zu referieren. Im Weite­ren widmet sie sich der Systematik des Schrankinhalts. Nach ihrer Ansicht war dieser auf die Bedürfnisse des Herzogs ausgerichtet und sollte seine Gelehrsamkeit hervorheben. Dabei vergleicht Mundt knapp und fundiert den Schrank mit späteren Kunstschränken Hainhofers. Bei aller Klarheit der Ausführungen wäre es jedoch wünschenswert gewesen, wenn der Aufsatz über die bereits in der Monographie veröffentlichten Erkenntnisse hinausgegangen wäre.

Den ohne Zweifel wichtigsten Beitrag liefert Christoph Emmendörffer, dem es gelungen ist, den so genannten „Hainhofer Code“ zu entschlüsseln. Diese Bezeich­nung führt Emmendörffer für das umfassende, uni­versell ausgerichtete Programm der Ausstattung ein. Weist Barbara Mundt noch darauf hin, dass der In­halt „weder auf enzyklopädische Vollständigkeit noch auf eine Kunstkammer im Kleinen“5 zielte, sondern lediglich auf die Interessen des Käufers zugeschnitten gewesen sei, kann Emmendörffer schlüssig nachwei­sen, dass es sowohl ein Bildprogramm innerhalb der Ausstattung gibt, als auch dass der Schrankinhalt einer Systematik folgt, deren Grundgedanke der universelle göttliche Plan ist. Zudem schließt Mundt noch eine Be­teiligung Hainhofers an der Entwicklung des Konzepts aus. Emmendörffer dagegen sieht eindeutig eine Be­teiligung von Philipp Hainhofer neben dem Stadtpfle­ger Markus Welser und dem Maler Matthias Kager. Offen bleibt allerdings die Frage, wie maßgeblich seine Beteiligung war. Die enge Beziehung zu Welser und Kager sowie seine Verbindungen zum Münchner Hof boten Hainhofer jedenfalls eine Vielzahl von Inspira­tionsquellen. „Der Schlüssel zum Inhalt des Pommer­schen Kunstschrankes“ ist Orlando di Lassos Buß­psalmwerk, das als Hauptquelle für Bildprogramm und Konzeption des Schrankinhalts gelten kann.6 So hat das Übergabebildnis des Kunstschranks sein Vor­bild in Hans Mielichs Darstellung der bayerischen Hofkapelle im St. Georgssaal im Bußpsalmwerk. Eine weitere Quelle findet sich in dem Grundlagenwerk Samuel von Quicchebergs zur Ordnung einer Kunst­kammer, den Inscriptiones. Darin wird ein komplexes Ordnungssystem aufgebaut, das – vereinfacht gesagt – eine Kunstkammer in zehn Klassen mit jeweils meh­reren Unterordnungen unterteilt. Der Schrank „um­fasste die gesamte vierte Klasse […] also ausschließlich Artificialia und Scientifica“.7 Erschien bisher die Zu­sammenstellung der Gegenstände im Schrank willkür­lich, so erweist sich nun, dass sie einem konsequenten Schema folgte und sich sinnvoll aufeinander bezog. So entstammt die indianische Seidenbinde aus China der 10. Unterabteilung der Quiccheberg’schen Systematik Vestitus peregrini et Indiani.

Bildprogramm und Schrankinhalt bilden nach Em­mendörffer zwei in sich geschlossene Systeme. Ein Element verbindet sie jedoch, das Schreibpult. Auch dieses ist entsprechend Quicchebergs Ausführungen ikonographisch gestaltet. Es versinnbildlicht die vier Temperamente, „deren Ausübung dem Menschen die im Schrank vereinigten instrumenta […] ermöglich­ten.“8 Emmendörffer schließt so eine bedeutende For­schungslücke. Sein Aufsatz gibt zudem Anlass zur Un­tersuchung, ob auch weitere Kunstschränke ein derart umfassendes System und Programm aufweisen.

Guido Hinterkeuser widmet seinen umfangreichen und gut recherchierten Beitrag dem wechselvollen Weg des Pommerschen Kunstschranks vom Hofe Phi­lipps II. von Pommern nach Berlin in die Sammlung des Kunstgewerbemuseums. Der Tisch wechselte in den ersten 67 Jahren nach seiner Herstellung mehr­fach den Besitzer bzw. die Besitzerin. Nachdem das Geschlecht des Herzogs ausgestorben war, gelangte der Schrank über die weiblichen Nachkommen und mehrere Umwege schließlich in die Sammlung der Kurfürstin Dorothea von Holstein-Glücksburg, der zweiten Gemahlin des Großen Kurfürsten Wilhelm von Brandenburg. Das Kurfürstenpaar integrierte den Schrank in seine Kunstkammer im Berliner Schloss. Hinterkeuser versucht, die Geschichte der Kunst­kammer des Berliner Schlosses im Laufe der folgen­den Jahrzehnte und den Platz des Kunstschranks zu rekonstruieren. Weiter berichtet er lückenlos von den folgenden Stationen des Schranks nach der Auflösung der Kunstkammer. Die letzte Station bildete seit 1920 wieder das Berliner Schloss, wo er als wichtigstes Ex­ponat des Kunstgewerbemuseums seinen Platz fand. Hinterkeuser schließt mit dem traurigen Bericht der Zerstörung des Pommerschen Kunstschranks im Zweiten Weltkrieg.

Der kürzeste der zwölf Aufsätze ist dem bereits er­wähnten Dokumentarfilm Eine Welt im Schrank aus dem Jahr 1934 gewidmet. Bénédicte Savoy gibt darin einen knappen Einblick in ihre Forschungen zur Film­propaganda für die Berliner Museen im Dritten Reich.

Sandra-Kristin Diefenthaler bietet anschließend in ihrem Literaturbericht einen konzisen Überblick über die kunsthistorische Forschung zum Pommerschen Kunstschrank. Den Ausgangspunkt bilden dabei die Veröffentlichungen Friedrich Nicolais (1733–1811), der darin die bis heute gebräuchliche Bezeichnung Pom­merscher Kunstschrank prägte. Der Literaturbericht arbeitet außerdem den allmählichen Wandel der Zu­schreibungen an den Kunstschrank heraus, nämlich „von einer merkwürdigen Sehenswürdigkeit hin zu einer universellen Kunstkammer im Kleinen“.9

Lorenz Seelig analysiert kenntnisreich Hainhofers Kontakte zum Münchner Hof. Im Juli 1603 besichtigte Hainhofer erstmals eingehend die 1200 Quadratmeter große herzogliche Kunstkammer im Marstallgebäu­de. 1606 würdigte Wilhelm V. Hainhofers „Khunst-stüblin“ mit einem Besuch.10 Der Herzog blieb dar­aufhin – ungeachtet des Konfessionsunterschieds – bis 1623 mit Hainhofer in engem Kontakt. Seelig legt anschaulich dar, wie bedeutsam die Kontak­te zum Münchner Hof für Hainhofers Aufstieg zum (Kunst-)Agenten waren: Durch die Besichtigungen der Münchner Kunstkammer und die Korrespondenz mit Wilhelm V. konnte er einerseits seine Kenntnisse auf dem Gebiet des Sammelwesens entscheidend ver­tiefen. Andererseits waren es die Protektion und Für­sprache Herzog Wilhelms, die Hainhofer in Kontakt mit anderen Fürsten brachte.

Annette Schommers wendet sich in ihrem Aufsatz einem weiteren Kunstschrank aus Augsburger Werk­stätten zu, nämlich dem Kunstschrank, den Maxi­milian I. jesuitischen Missionaren überantwortete, damit diese ihn dem chinesischen Kaiser Wanli zum Geschenk machten. Im Kontext der indirekten Missi­onsmethoden der Jesuiten kam derartigen Geschen­ken zentrale Bedeutung zu: Jesuitische Missionare versuchten mit Hilfe von Kunstgegenständen sowie wissenschaftlichen Geräten die Eliten im chinesi­schen Reich für sich und so letztlich für den katholi­schen Glauben zu gewinnen.11 Aussehen und Inhalt des Schranks, dieses heute ebenfalls nicht mehr er­haltenen Möbelstücks, lassen sich anhand einer latei­nischen Beschreibung rekonstruieren, die am Ende des Beitrags erstmalig vollständig veröffentlicht wird.

Immer wieder zeigt Schommers die Ähnlichkeiten des Schranks zu anderen Augsburger Kabinettschränken auf, wie auch dem Pommerschen Kunstschrank. So kann der Inhalt beider Schränke den Kunstkammer­kategorien der Artificialia und Scientifica zugeordnet werden. Auch wurden die meisten der Ausstattungs­objekte in Augsburg gefertigt und es scheint, dass das Möbelstück selbst ebenfalls einer Augsburger Werk­statt entstammt, wie eine Rechnung an den Augsbur­ger Juwelier und Händler Bartholomäus von Stassen andeutet, der „3200 fl. für einen schreibtisch mit aller­ley Silber geziert“ erhielt.12 Somit liegt die Vermutung nahe, Hainhofer könnte auch an der Konzeption die­ses Schranks beteiligt gewesen sein. Zumindest stand er in engem Kontakt mit Maximilian I. Aber es fehlt an Quellen, die die Beteiligung Hainhofers belegen, wie Schommers betont. Auch wenn der Schrank somit leider keinen eindeutigen Beitrag zur Hainhofer-For­schung liefert, kann Schommers zumindest deutliche Verbindungen zwischen den beiden Kunstschränken aufzeigen.

Christine Cornet befasst sich in ihrem Beitrag mit der Spielesammlung, die der Augsburger Kistler Ulrich Baumgartner in den Jahren 1614 bis 1616 für Herzog August von Braunschweig-Lüneburg fertigte. Das Prunkstück der Sammlung bildet ein aufwendig ge­fertigtes Schachspiel samt filigran gearbeiteten Spiel­figuren aus Elfenbein. Darüber hinaus umfasst die Sammlung ein Karten-, ein so genanntes Gänse- sowie ein Damespiel, wobei letzteres aus Ebenholz, Perlmutt und graviertem Silber gefertigt wurde. Cornets Beitrag ist vor allem aus zwei Gründen lesenswert: Erstens analysiert sie mit Hilfe der Augsburger Handwerker­akten präzise das sozialgeschichtliche Umfeld Baum­gartners. Sowohl die von ihm bekleideten Ämter als auch die Zahl seiner Lehrjungen bzw. Gesellen lassen dabei den Schluss zu, dass Baumgartner eine herausge­hobene Position in der Kistlerzunft einnahm. Zweitens kann Cornet anhand der Entstehung der Spielesamm­lung Aspekte der Agententätigkeit Hainhofers be­leuchten: 1614 übersandte er Herzog August zunächst zwei „Probefiguren“ aus Elfenbein sowie Vorschläge für die Gestaltung der Spielesammlung. Nachdem der Herzog den Auftrag zur Anfertigung erteilt hatte, fungierte Hainhofer kontinuierlich als Vermittler zwi­schen diesem und Ulrich Baumgartner bzw. den übri­gen beteiligten Handwerkern. Ein direkter Austausch fand hingegen offenbar nicht statt – eine Tatsache, die Cornet leider nicht als erklärungsbedürftig erachtet. Am Ende des gelungenen Beitrags bleibt somit eine Frage unbeantwortet: Handelt es sich hierbei – was zu vermuten ist – um die im 17. Jahrhundert übliche Pra­xis, nämlich bei Aufträgen, an denen mehrere Künst­ler beteiligt waren, einem Mittler die Korrespondenz sowie die Koordination zu übertragen?13 Oder ist das Fehlen einer direkten Korrespondenz doch auf ande­re Ursachen zurückzuführen, beispielsweise eine zu große soziale Distanz zwischen Herzog August und Ulrich Baumgartner?14

Auch Ludwig Kallweit stellt, wie zuvor Annette Schom­mers, einen weiteren bedeutenden Augsburger Kunst­schrank in den Fokus der Forschung, das so genannte Hainhofer’sche Werkzeugkabinett. Er referiert dabei aus den laufenden Forschungen des Dresdner Kunst­gewerbemuseums. Das Möbelstück galt lange Zeit auf­grund der beigefügten Tischplatte als Werkzeugtisch. Es handelt sich jedoch um einen Kabinettschrank, zu dessen Inhalt u. a. Jagdutensilien und verschiedene Werkzeuge gehören. Die dazugehörige Platte konnte neuesten Forschungen zufolge in ihre Einzelteile zer­legt im heute verlorenen Deckel des Schranks unterge­bracht werden. Bis heute ist unbekannt, wer der Käu­fer dieses Möbels war und wie es in die Kunstkammer des sächsischen Kurfürsten Johann Georg I. (reg. 1611– 1656) in Dresden gelangte. Die Dresdner Kunstkam­mer war eine wissenschaftlich-technisch orientierte Sammlung, sodass ein Kabinettstück wie dieses sich dort gut einfügte. Kallweit weist überzeugend nach, dass der Schrank trotz der „kompakte[n] Bauart“ kein Reisemöbel war, wovon ältere Forschungen noch aus­gingen.15 Sein Hauptargument hierfür ist der Inhalt des Kabinetts, der vor allem Sammlungscharakter besitzt. Im Folgenden legt er ausführlich und klar formuliert dar, warum der Schrank Philipp Hainhofer zugespro­chen werden sollte. Zudem zeigt er mit seinem Beitrag, wie Hainhofer die jeweiligen Vorlieben der fürstlichen Auftraggeber zum Anlass nahm, die Kunstschränke unterschiedlich zu gestalten. Das Dresdner Werk­zeugkabinett fügte es sich gut in das Ziel der Kammer ein, die hauptsächlich der Repräsentation der Dynastie und des Territoriums diente und zudem als technisch-wissenschaftliche Institution eingerichtet worden war. So war es vielleicht wirklich von vorneherein für die Dresdner Kunstkammer konzipiert. Letztlich jedoch fehlen auch hier schriftliche Quellen.

Die vier Stammbücher Hainhofers mit ihren insge­samt rund 600 Einträgen stehen im Mittelpunkt des Beitrags von Gerhard Seibold. Hainhofer sammelte über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahrzehnten (1593–1646) Einträge für seine Stammbücher. Das Spektrum der InskribentInnen ist ausnehmend breit und erstreckt sich von hochrangigen Mitgliedern der europäischen „societé des princes“ bis zu Angehöri­gen der Hainhofer’schen Familie.16 Die Einträge selbst bestehen aus Unterschriften, Widmungen oder Sinn­sprüchen. Drei der vier Stammbücher enthalten Wap­pen oder Zeichnungen, die teilweise von namhaften Künstlern wie Jeremias Günther, Hans von Aachen oder Georg Beham gefertigt wurden. Insgesamt hält sich der Erkenntnisgewinn des Aufsatzes leider in Grenzen: Zu monieren ist zunächst die ungenügende Kontextualisierung. Hainhofers Stammbücher werden weitgehend isoliert betrachtet, ohne die um 1600 stark ausgeprägte Stammbuchpraxis des Adels oder akade­mischer Kreise einzubeziehen. Damit korrespondiert, dass Seibold die einschlägigen neueren Forschungen zu Stammbüchern nicht rezipiert.17 Zuletzt muss auch hinter einige Detailergebnisse ein Fragezeichen gesetzt werden: So erörtert Seibold auf den Seiten 149 und 150 ausführlich, mit welchen Personen Hainhofer mög­licherweise über die künstlerische Gestaltung seiner Stammbücher gesprochen haben könnte. Da entspre­chende Quellen allerdings fehlen, handelt es sich hier­bei – genau besehen – um Mutmaßungen.

Michael Wenzel analysiert in seinem sehr lesenswer­ten Aufsatz die Beziehung zwischen August d. J. von Braunschweig-Wolfenbüttel und Hainhofer. Es han­delt sich dabei um erste Ergebnisse des DFG-Projekts „Philipp Hainhofer – Kunstunternehmer und diplo­matischer Akteur der Frühen Neuzeit“, dessen Bear­beiter Wenzel seit 2011 ist.18 Herzog August ernannte Hainhofer 1613 zu seinem Agenten und gewährte ihm mit 600 Reichstalern ein ausnehmend hohes Jahresge­halt. Beide unterhielten von 1613 bis zu Hainhofers Tod im Juli 1647 eine intensive Korrespondenz. Die Stärke des Beitrags liegt darin, dass Wenzel anhand der Be­ziehung zwischen Herzog und Agent zu allgemeineren Erkenntnissen – vor allem über die Fürstengesellschaft des frühen 17. Jahrhunderts – gelangt: Herzog August verfügte als nachgeborener Sohn zunächst nur über eine unstandesgemäße Residenz sowie ein Kleinstter­ritorium. Entsprechend intensiv bemühte er sich um die Akzeptanz seiner fürstlichen Standesgenossen und wurde hierbei maßgeblich von seinem Agenten unter­stützt: Hainhofer versorgte Herzog August mit zahl­reichen (Luxus-)Gütern, die für eine standesgemäße Lebensführung unerlässlich waren. Zweitens erwarb er Bücher und Schriften für die Wissenschaftsprojek­te des Herzogs. Diese Projekte – allen voran Augusts Schachbuch – sollten ebenfalls in erster Linie die so­ziale Schätzung der fürstlichen Standesgenossen si­chern. Drittens übernahm Hainhofer diplomatische Aufgaben bzw. Reisen für den im „kaiserfernen“ Nor­den residierenden Herzog. In Anbetracht des konzi­sen Beitrags von Michael Wenzel darf man auf die im Rahmen des DFG-Projekts geplante Monographie zu Philipp Hainhofer zweifelsohne gespannt sein.

Auf den Aufsatzteil folgt der 300-seitige Katalogteil, in dem die über 100 Exponate der Ausstellung erläu­tert werden. Auffällig am Katalogteil ist vor allem die unterschiedliche Länge der Texte: Während AutorIn­nen wie Gode Krämer oder Virginie Spenlé die ein­zelnen Exponate ausführlich beschreiben, hält Barbara Mundt ihre Ausführungen zum Inhalt des Pommer­schen Kunstschranks bedauerlicherweise recht knapp. In ihrer 2009 erschienen Monographie hatte sie diese einzelnen Gegenstände dagegen gründlich beleuch­tet.19 Zum besseren Verständnis der von ihr beschrie­benen Exponate müsste man also ihre Monographie hinzuziehen.

Abgerundet wird der Katalog durch die 75 Seiten um­fassende Edition von Philipp Hainhofers Diarium der schwedischen Besatzung Augsburgs. Die Aufzeichnun­gen setzen im April 1632 ein, als sich der schwedische König Gustav Adolf mit seinem Heer der Reichsstadt näherte, und enden im April 1635. Die Edition des Diariums ist überaus verdienstvoll – vor allem, weil Hainhofer darin die Geschichte eines weiteren Kunst­schranks schildert, der unter seiner Federführung ent­stand: Im April 1632 erwarben die evangelischen Rats­herren Augsburgs von Hainhofer einen Kunstschrank aus Ebenholz, der „mit rarissimis naturalibus, und ar­tificialibus verwunderlich“ eingerichtet sei.20 Er dien­te als Verehrung für König Gustav Adolf und wurde im Rahmen einer festlichen Tafel überreicht. Dieser Kunstschrank ist – anders als der Pommersche Kunst­schrank – bis heute erhalten geblieben und kann im Museum der Universität Uppsala besichtigt werden.

Insgesamt überzeugt der Katalog durch seine wissen­schaftliche Präzision, seine Informationsfülle sowie durch die hohe Qualität der zahlreichen Abbildungen. Ausstellung und Katalog schließen so wesentliche For­schungslücken und erweitern den Blick auf das hohe Niveau der Augsburger Künstler.

Forschungsdesiderate

Trotz der Fülle an neuen Erkenntnissen, die der Ka­talog liefert, sind noch keinesfalls alle Fragen beant­wortet. So obliegt es zukünftigen Forschungen, „die Organisation der beteiligten Gewerbe“ zu analysieren und vor allem die zahlreichen am Kunstschrank betei­ligten Künstler sowie ihre Werke zu erforschen und damit eine weitere Lücke in der Augsburger Kunst­geschichtsforschung zu schließen.21 Zu nennen wäre etwa das noch immer unbearbeitete OEuvre der Malers Johann König,22 aber auch der zahlreichen Kunsthand­werker der Stadt.23 Eben diese beiden Forschungsdesi­derate sieht auch Sandra-Kristin Diefenthaler in ihrem Literaturbericht zum Pommerschen Kunstschrank. Aus kunsthistorischer Sicht bleibt dem nur zuzustim­men.

Und noch ein weiteres, ebenso lohnenswertes wie kaum bearbeitetes Forschungsfeld wird durch die Ausstellung bzw. den Katalog in den Fokus gerückt: die heterogene Gruppe der Agenten, die an frühneu­zeitlichen Höfen, in Stadtrepubliken wie Genua oder Venedig sowie in Reichsstädten tätig waren. Es muss an dieser Stelle nicht ausführlich dargelegt werden, dass Philipp Hainhofer lediglich ein Agent unter vielen war – wenn auch ein ausnehmend erfolgreicher. Die bedeutendsten Erkenntnisse erbrachte bisher das For­schungsprojekt „Double Agents: Cultural and Political Brokerage in Early Modern Europe“, das von 2002 bis 2007 an der Universität Leiden angesiedelt war. Die beteiligten ForscherInnen richteten ihr Erkenntnisin­teresse dabei besonders auf zwei Agenten-Typen: Ei­nerseits Diplomaten, die für ihren Prinzipal zugleich Kunstgegenstände und Exotica erwarben bzw. Künst­ler und Musiker rekrutierten; andererseits Künstler, die im Auftrag ihres Prinzipals auch an Verhandlun­gen teilnahmen oder als Nachrichtenkolporteure tätig waren. Charakteristisch für beide Agenten-Typen – so Marika Keblusek – sei besonders „[the] flexibility in role-switching“ sowie die Nutzung ein und desselben Netzwerks für unterschiedliche Zwecke.24 Die For­schungsergebnisse des Leidener Agenten-Projekts lie­gen in Gestalt von zwei Sammelbänden vor.25 Bei auf­merksamer Lektüre wird jedoch rasch offenbar, dass die Forschungen zu frühneuzeitlichen Agenten de facto noch am Anfang stehen: Erstens behandeln die Fallstudien ausschließlich Agenten aus Italien, Spani­en sowie dem west- und nordeuropäischen Raum, d. h. den Niederlanden, Frankreich und Skandinavien. Mit anderen Worten: Die im frühneuzeitlichen Reich tä­tigen Agenten wurden nicht in den Blick genommen. Zweitens ist der Untersuchungszeitraum faktisch auf die Jahre von 1550 bis 1650 beschränkt. Wer sich hin­gegen über die (Kunst-)Agenten der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts informieren möchte, ist vor allem auf die luziden Publikationen von Robert Felfe ange­wiesen.26

Es bleibt somit zu hoffen, dass die überaus sehens­werte Ausstellung sowie der gelungene Katalog auch dazu beitragen, die (kunst-)historische Forschung auf die zahlreichen Agenten aufmerksam zu machen, die im Schatten Philipp Hainhofers noch auf ihre Erfor­schung harren.

Printversion: Frühneuzeit-Info 25, 2014, S. 297–303.

  1. Philipp Hainhofer an Herzog August d. J. von Braun­schweig-Lüneburg, 5./15.03.1618, in: Der Briefwechsel zwischen Philipp Hainhofer und Herzog August d. J. von Braunschweig-Lüneburg (= Bayerisches National­museum, Forschungshefte 8), bearb. v. Ronald Gobiet, München: Deutscher Kunstverlag 1984, S. 230.
  2. Die heute geläufige Bezeichnung Pommerscher Kunst­schrank lässt sich erstmals in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nachweisen.
  3. Christoph Emmendörffer/Christof Trepesch (Hg.): Wunderwelt. Der Pommersche Kunstschrank, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2014.
  4. Siehe Barbara Mundt: Der Pommersche Kunstschrank des Augsburger Unternehmers Philipp Hainhofer für den gelehrten Herzog Philipp II. von Pommern, Mün­chen: Hirmer 2009.
  5. Barbara Mundt: Der Pommersche Kunstschrank, in: Christoph Emmendörffer/Christof Trepesch (Hg.): Wunderwelt. Der Pommersche Kunstschrank, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2014, S. 20–31, hier S. 30.
  6. Christoph Emmendörffer: Wunderwelt. Der Pommer­sche Kunstschrank und sein „Hainhofer-Code“, in: Ders./Christof Trepesch (Hg.): Wunderwelt. Der Pom­mersche Kunstschrank, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2014, S. 32–57, hier S. 35.
  7. Ebd., S. 55.
  8. Ebd., S. 57.
  9. Sandra-Kristin Diefenthaler: „vil zu speculieren und zu sehen“. Ein Literaturbericht zum Pommerschen Kunstschrank, in: Christoph Emmendörffer/Christof Trepesch (Hg.): Wunderwelt. Der Pommersche Kunst­schrank, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2014, S. 79–85, hier S. 79.
  10. Zitiert nach Lorenz Seelig: Philipp Hainhofer und der Münchner Hof, in: Christoph Emmendörffer/Chri­stof Trepesch (Hg.): Wunderwelt. Der Pommersche Kunstschrank, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2014, S. 87–95, hier S. 89.
  11. Zuletzt hierzu Claudia von Collani: Von Jesuiten, Kai­sern und Kanonen. Europa und China – eine wechsel­volle Geschichte, Darmstadt: WBG 2012, bes. S. 42–59.
  12. Anette Schommers: Der Kunstschrank Herzog Ma­ximilians I. von Bayern für den Kaiser von China, in: Christoph Emmendörffer/Christof Trepesch (Hg.): Wunderwelt. Der Pommersche Kunstschrank, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2014, S. 96–115, hier S. 103.
  13. Vgl. die Aufträge Graf Lambergs an Augsburger Künst­ler in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Friedrich Polleroß: Die Kunst der Diplomatie. Auf den Spuren des kaiserlichen Botschafters Leopold Joseph Graf von Lamberg (1653–1706), Petersberg: Imhof 2010, bes. S. 280.
  14. Siehe grundlegend Heiko Droste: Briefe als Medium symbolischer Kommunikation, in: Marian Füssel/Tho­mas Weller (Hg.): Ordnung und Distinktion. Praktiken sozialer Repräsentation in der ständischen Gesellschaft (= Symbolische Kommunikation und Gesellschaftliche Wertesysteme 8), Münster: Rhema 2005, S. 239–256, hier S. 247.
  15. Ludwig Kallweit: Vom fürstlichen Jagd- und Reise­tisch zum Hainhoferschen Werkzeugkabinett. Über die Umbewertung eines Augsburger Kunstmöbels, in: Christoph Emmendörffer/Christof Trepesch (Hg.): Wunderwelt. Der Pommersche Kunstschrank, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2014, S. 128–139, hier S. 132.
  16. In Anlehnung an Lucien Bely: La société des princes. XVIe – XVIIIe siécle, Paris: Fayard 1999.
  17. Exemplarisch Werner Wilhelm Schnabel: Das Stamm­buch. Konstitution und Geschichte einer textsorten­bezogenen Sammelform bis ins erste Drittel des 18. Jahrhunderts (= Frühe Neuzeit 78), Tübingen: Max Niemeyer 2003.
  18. Der vollständige Titel des DFG-Projekts lautet „Handeln mit Kunst und Politik: Philipp Hainhofer – Kunstunter­nehmer und diplomatischer Akteur der Frühen Neuzeit“.
  19. Siehe Mundt: Der Pommersche Kunstschrank (wie Anm. 3), S. 171–389.
  20. Wunde Welt. Hainhofers Diarium der schwedischen Besatzung Augsburgs, in: Christoph Emmendörffer/ Christof Trepesch (Hg.): Wunderwelt. Der Pommer­sche Kunstschrank, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2014, S. 466–536, hier S. 487.
  21. Diefenthaler: „vil zu speculieren und zu sehen“ (wie Anm. 9), S. 85.
  22. Zuletzt Gode Krämer: Ein neu aufgefundenes Haupt­werk von Johann König, in: Bärbel Hamacher/Christl Karnehm (Hg.): Pinxit, sculpsit, fecit. Kunsthistori­sche Studien. Festschrift für Bruno Bushart, München: Deutscher Kunstverlag 1994, S. 130–137.
  23. Eine grundlegende Arbeit hierzu entsteht mit der im Trierer Projekt Artifex (Leitung: Andreas Tacke) ange­siedelten Dissertation von Danica Brenner, die sich mit der „Künstlersozialgeschichte der Augsburger Renais­sance. Ausbildung und Werkstattpraxis, Demographie, Netzwerke und soziale Topographie der Augsburger Malerzunft“ beschäftigt.
  24. Marika Keblusek: Introduction, in: Dies./Badeloch Vera Noldus (Hg.): Double Agents. Cultural and Politi­cal Brokerage in Early Modern Europe, Leiden/Boston: Brill 2011, S. 1–9, hier S. 6.
  25. Hans Cools/Marika Keblusek/Badeloch Vera Noldus (Hg.): Your Humble Servant. Agents in Early Modern Europe, Hilversum: Verloren 2006; sowie Keblusek/ Noldus (Hg.): Double Agents (wie Anm. 24).
  26. Z. B. Robert Felfe: Dynamiken der Sammlungskultur im 17. Jahrhundert. Instabile Ensembles, fürstliches Mäzenatentum und die Ambitionen der Experten, in: Gudrun Swoboda (Hg.): Die Kaiserliche Gemäldegale­rie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmu­seums, Bd. 2: Europäische Museumskulturen um 1800, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2013, S. 337–357.

Quelle: http://fnzinfo.hypotheses.org/159

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