Das Bild vom Anderen: ‘Gelbe Gefahr’ − ‘Weiße Gefahr’

Das Schlagwort von der ‘Gelben Gefahr’ ist (vor allem im deutschen Sprachraum) fest mit dem Bild Völker Europas, wahr(e)t eure heiligsten Güter verknüpft, so fest, dass  das Bild als Illustration des Schlagworts gesehen wird – was sich bei genauerer Betrachtung als Konstrukt späterer Generationen erweist – denn die diffuse Angst vor einer Bedrohung aus dem Osten war lange vor Knackfuß’ Federlithographie und vor der Prägung des Begriffs ‘Gelbe Gefahr’ weit verbreitet.

Der Begriff ‘Gelbe Gefahr’ (‘Yellow Peril’, ‘Yellow Terror’, ‘le péril jaune’) sollte Ressentiments gegen asiatische Völker, speziell gegen ‘die Chinesen’ und China schüren. In den amerikanischen Medien waren anti-chinesische Stimmen seit der Diskussion um den ‘Chinese Exclusion Act’, der die Einwanderung von Chinesinnen und Chinesen massiv einschränkte[1] in den 1880ern häufig zu lesen, in Europa dauerte es bis zum Ende des Jahrhunderts. 1897 veröffentlichte der russische Soziologe Jacque Novikow (Yakov Aleksandrovič Novikov, 1849-1912) Le péril jaune[2]. Matthew Phipps Shiel (1865-1947) veröffentlichte 1898 die Serie The Empress Earth, der wenig später als Roman unter dem Titel The Yellow Danger ((M. P. Shiel: The Yellow Danger (London: Grant Richards 1898): Online: Internet Archive.)). Spätere Editionen erschienen unter dem Titel The Yellow Peril. Im Deutschen wurde der Begriff vermutlich durch Die Gelbe Gefahr (1900), einen Roman des ‘Kolonialschriftstellers’ Stefan von Kotze (1869-1909), geprägt.[3]

Das Bild Völker Europas, wahr(e)t Eure heiligsten Güter schuf der Historienmaler Hermann Knackfuß (1848-1915)[4] im Jahr 1895 nach einem Entwurf von Kaiser Wilhelm II.;; es war ein Geschenk des deutschen Kaisers an Zar Nikolaus II.

Das Bild zeigt unter einem schwebenden Kreuz eine Gruppe von walküren-ähnlichen weiblichen Figuren und den Erzengel Michael. Der Engel deutet auf einen auf dunklen Gewitterwolken über eine europäischenLandschaft schwebenden Buddha deutet.che und christliche Missionare getötet wurden. Die weiblichen Figuren sind Allegorien der Völker Europas – sie verkörpern (von rechts) Frankreich (“Marianne”), das Deutsche Reich (“Germania”), Russland, Österreich (“Austria”), Italien (“Italia”) und Großbritannien (“Britannia” mit dem ‘Union Jack’ auf dem Schild), die Figur ganz links ist nicht eindeutig identifiziert. Die Darstellung gilt als Versuch, die Aufmerksamkeit der europäischen Mächte auf die potenziellen Gefahren aus dem Osten zu lenken …

Als 1896 Li Hongzhang durch die USA und einige Staaten Europas reiste, ändert sich das Bild: China wird als Markt interessant – was auch in der Karikatur durch Verfremdung eines allgemein bekannten Bildes verarbeitet wird: “Der Feind aus dem Osten naht, rüstet euch zum Lossschalgen! Völker Europas, verkauft eure theuersten Güter!”[5].

kla_1896

Beiblatt zum Kladderadatsch Nf. 27 (5.7.1896)
Quelle: Universitätsbibliothek Heidelberg (Creative Commons-Lizenz cc-BY-NC-SA)

Diesmal steht an der Stelle des Erzengels Michael Hermes (oder Merkur), der ‘Götterbote’. Die ‘Walküren’ haben ihre Waffen fallen gelassen und alle Hände voll mit Waren, die sie anpreisen wollen – Schiffe, Waffen, Munition.  Anstelle des Kreuzes schwebt über ihnen ein praller Geldbeutel. Und in den Rauchwolken, die aus Fabriksschloten aufsteigen, schwebt Li Hongzhang 李鴻章 im Sonnenglanz mit einem ganzen Berg von Geldsäcken.[6]

Im Sommer 1900 tauchte das Bild wieder auf, um die deutsche Kriegstreiberei im Kontext der militärischen Intervention zur Unterdrückung der Yihetuan 義和團-Bewegung (des so genannten ‘Boxeraufstandes) zu untermauern. Eine Karikatur von Johan Braakensiek[7] zeigt “une nouvelle interprétation du tableau connu de l’emperuer Guillaume”[8]: “Confucius: ‘Volkeren van Azië, verdedigt uwe heilige goederen.” ["Confucius: Völker Asiens, verteidigt eure heiligen Güter].

braakensiek_1900

“Confucius: ‘Peuple d’Asie, protégez votre biens sacrés.’”
Reproziert in: Chinois d’Europe et Chinois d’Asie | Quelle: gallica[Ausschnitt]Bildunterschrift im Original: “Confucius: “Volkeren van Azie, verdedigt uwe heilige goederen!
Abb. (zoombar)De Amsterdammer. Weekblad voor Nederland Nr. 1200 (24.6.1900) S. 10A

Brakensiek verlagert in der Karikatur, die am 24. Juni 1900 in De Amsterdammer.[9] erschien, die Szene auf eine Klippe am Meer. Auf der Klippe steht unter einem schwebenden Drachen ein chinesischer Beamter mit geflügelten Kappe und Mantel vor einer Gruppe von Asiatinnen und Asiaten und deutet auf ein Schlachtschiff, das sich der Küste nähert. Auf der Brücke des Schiffes sind Europäer bzw. Ausländer schemenhaft zu erkennen – die Figur ganz links trägt Zylinder und Kinnbart (und steht für die USA), die anderen Figuren sind nicht so klar zu erkennen, über dem Schiff schwebt ein Kreuz im Strahlenkranz.

Die Karikatur wurde Wochen vor der so genannten “Hunnenrede”[10] veröffentlicht – und lange bevor Anatole France in seinem Roman Sur la pierre blance (1905)[11]- allerdings vor dem Hintergrund des Russisch-Japanischen Krieges auf Japan bezogen – davon sprach, dass man nicht von einer ‘gelben Gefahr’, sondern viel eher von einer ‘weißen Gefahr’ sprechen müsste:

[...] Les Japonais passent le Yalu et battent avec précision les Russes en Mandchourie. Leurs marins détruisent élégamment une flotte européenne. Aussitôt nous discernons un danger qui nous menace. S’il existe, qui l’a créé ? Ce ne sont pas les Japonais qui sont venus chercher les Russes. Ce ne sont pas les Jaunes qui sont venus chercher les Blancs. Nous découvrons, à cette heure, le péril jaune. Il y a bien des années que les Asiatiques connaissent le péril blanc. [..] Nous avons créé le péril blanc. Le péril blanc a créé le péril jaune. [...].[12]

 

  1. An act to execute certain treaty stipulations relating to the Chinese, May 6, 1882; Enrolled Acts and Resolutions of Congress, 1789-1996; General Records of the United States Government; Record Group 11; National Archives. (Online: http://www.ourdocuments.gov/doc.php?flash=true&doc=47#); Materialsammlung: Harvard University | Open Collections Program
  2. Jacques Novicow: Le péril jaune (Paris : V. Giard et E. Brière 1897) http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k68266m
  3. S. dazu http://stefan-von-kotze-gesellschaft.de/html/html/das_werk.html.
  4. Zur Biographie: Brigitte Lohkamp: „Knackfuß, Hermann“, in: Neue Deutsche Biographie 12 (1979), S. 149 f. [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118563599.html
  5. Beiblatt zum Kladderadatsch, Nr. 27 (5. Juli 1896) [1].
  6. Ein ähnliches Sujet findet sich nach Grand-Carteret auch in den Lustigen Blättern im August 1896, dort stehen anstelle der Nationalallegorien Minister – und Li Hongzhang schwebt auf einem Drachen, s. [John Grand-Carteret:] Chinois d’Europe et Chinois d’Asie, documents illustrés pour servir à l’histoire des chinoiseries de la politique européenne de 1842 à 1900, recueillis… par John Grand-Carteret,… (s.l. s.d. [um 1900]) 8.
  7. Johan Coenraad Braakensiek (1858-1940) war Maler, Illustrator und Karikaturist – und arbeitete immer wieder für De Amsterdammer. Zur Biographie: J.L. Heldring, ‘Braakensiek, Johan Coenraad (1858-1940)’, in Biografisch Woordenboek van Nederland. URL: http://www.historici.nl/Onderzoek/Projecten/BWN/lemmata/bwn3/braakensiek [10-02-2012].
  8. [John Grand-Carteret:] Chinois d’Europe et Chinois d’Asie, documents illustrés pour servir à l’histoire des chinoiseries de la politique européenne de 1842 à 1900, recueillis… par John Grand-Carteret,… (s.l. s.d. [um 1900]) 34.
  9. Die politische Wochenzeitschrift wurde 1877 gegründet – der volle Name war De Amsterdammer – weekblad voor Handel, Industrie en Kunst. 1925 erhielt das Blatt den Namen De Groene Amsterdammer. Mit der Ausgabe vom 12. 10. 1940 wurde De Groene Amsterdammer eingestellt, am 16. Juni 1945 erschien das Blatt wieder. Die Ausgaben von 1877 bis 1940 wurden vollständig digitalisiert und sind über das Archief frei zugänglich.
  10. Ansprache Wilhelms II. bei der Veranbschiedung des deutschen Ostasiatischen Expeditionskorps am 27. Juli 1900 in Bremerhaven – Bernd Sösemann: “Die sog. Hunnenrede Wilhelms II. Textkritische und interpretatorische Bemerkungen zur Ansprache des Kaisers vom 27. Juli 1900 in Bremerhaven”. In: Historische Zeitschrift 222 (1976),  342–358 (mit der maßgeblichen Textversion).
  11. Anatole France: Sur la pierre blanche (Paris: Calmann-Levy 1905) – Online: gallica.
  12. Anatole France: Sur la pierre blanche (Paris: Calmann-Levy 1905), S. 212.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/873

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