Nachdem wir uns in der Einleitung mit Methoden generell auseinandergesetzt haben, geht es weiter mit den digitalen Methoden und den Herausforderungen, vor die sie die Geschichtsschreibung stellen. Rieder und Röhle1 zählen in ihrem grundlegenden Beitrag fünf Herausforderungen auf, von denen drei hier näher vorgestellt werden:
1. Die Verlockung der Objektivität
Die erste Herausforderung besteht laut den Autoren darin, dass durch den Einsatz von „unbestechlichen“ Maschinen und Computern Forschungsergebnisse aus dem Bereich der Digital Humanities „objektiv“ erscheinen können. Das ist konträr dazu, dass die Geisteswissenschaften Disziplinen sind, in denen es um interpretatives Wissen und weniger um verifizierbares Wissen geht. Es könnte die Versuchung entstehen, ähnlich wie in den Naturwissenschaften zu objektivierbaren Ergebnissen kommen zu wollen, womit an den Wunsch nach „Wahrheit“ aus dem 19. Jahrhundert anknüpft wird. Die Gefahr besteht darin, im Anschluss an Ranke digital herausfinden zu wollen, „wie es eigentlich gewesen“.
Dabei handelt es sich freilich um ein Missverständnis, das darauf begründet ist, dass Maschinen manche Aufgaben schneller und genauer erfüllen können als Menschen. So entsteht die Vorstellung, dass Computer „wahre“ Ergebnisse liefern, die epistemologisch auf einem höheren Status stehen als eine von Forschenden erstellte Interpretation. So wird leicht vergessen, dass die Genauigkeit der Fragestellung, die Modelle und Vorannahmen, die der Forschung zugrunde liegen, menschlich gemacht sind und damit interpretiert und subjektiv.
Rieder/Röhle weisen darauf hin, dass uns die Faszination für die Objektivität des Computers nicht davon abhalten sollte, Werkzeuge und Software genau zu analysieren und die ihnen zugrunde liegenden Entscheidungen freizulegen. Die Forschung ist darauf angewiesen, dass Vorannahmen, Algorithmen und Modelle als methodische Grundlagen für ein Projekt oder eine Fragestellung transparent gemacht werden.
2. Die Macht des visuellen Beweises
Viele DH-Werkzeuge produzieren ein visuelles Ergebnis, z.B. Netzwerkanalysen, Zeitleisten, angereicherte Karten. Diese haben zumeist auch ästhetische Qualitäten, die sie zu mächtigen argumentativen Werkzeugen machen. Wie kann man diese rhetorischen Qualitäten von Abbildungen und Visualisierungen und ihre argumentative Macht kritisch hinterfragen?
Rieder und Röhle weisen darauf hin, dass Visualisierungen manche Aspekte eines Phänomens sichtbarer machen als textliche Darstellungen, da sie eine reduzierte Repräsentation der beobachteten Wirklichkeit sind. Die Reduzierung entspricht einem Bedarf, Informationen und Dimensionen zu verkleinern, so dass sie überhaupt abbildbar werden, zum Teil in Abhängigkeit von graphischen Bedingungen wie Bildschirmgröße, Auflösung etc. Manchmal sind es technische Bedingungen, die zu einer Reduktion führen, manchmal wird aber auch manipuliert, was in keinem Bereich mittlerweile so offensichtlich sein dürfte wie bei Bildern (Stichwort Photoshop).
Manche Informationen werden in Visualisierungen ganz weggelassen: Durch die Reduzierungen und Auslassungen werden einige Interpretationen und Schlussfolgerungen plausibler als andere. Denn Visualisierungen können trotz der Reduzierung ein sehr großes argumentatives Gewicht haben. Darin liegt ein zweiter Grund für ihre Autorität. Numerische und visuelle Darstellungen werden viel einfacher als Beweis akzeptiert als Text, der eher als argumentativ wahrgenommen wird. Das hängt mit der Produktion des Arguments zusammen. Während man ein textbasiertes Argument recht schnell in sein Gegenteil umwandeln kann – und sei es nur als advocatus diaboli – ist das bei Statistiken, bei Visualisierungen nicht möglich. Quantitative Ergebnisse können nicht umgedreht werden. Man kann ihre Erhebung anzweifeln und man kann sie gegebenenfalls auch unterschiedlich interpretieren. Aber ihre reine Darstellung gilt als Fakt. Sie überrumpeln die Forschenden gleichsam, die Visulisierungen damit weniger hinterfragen oder deren inhärenten Erklärungen kritisch reflektieren.
Als Ausweg aus diesem Dilemma schlagen Rieder und Röhle nach Bettina Heintz2 eine prozessbasierte Herangehensweise an wissenschaftliche Bilder vor: Man solle sie als momentanen Ausdruck eines fortlaufenden Prozesses präsentieren, der noch weiterläuft. Dadurch würde der methodische Fokus auf die Phase vor Schaffung des Bildes gelenkt und damit auf die Entscheidungen und Reduktionen, die während der Produktion stattgefunden haben. Ebenso wird die Phase nach der Präsentation deutlich: die Notwendigkeit, die Ergebnisse zu interpretieren, zu vergleichen, Fragen zu stellen über Gültigkeit, Generalisierbarkeit und vor allem über die Bedeutung der Visualisierungen. Dies ist freilich nicht unumstritten, da ein Bild nach anderer Meinung eher zum Nachdenken über den Inhalt als über Grafik-Design oder Methodik anregen soll.
3. Blackboxing
Die dritte Herausforderung betrifft die technologische Untermauerung und wie sich die Geisteswissenschaftler dazu stellen. Indem digitale Methoden geschaffen werden, werden heuristische Prozesse mechanisiert, wobei methodologische Überlegungen in technische Form gegossen werden. Inhalte werden formalisiert in Datenstrukturen, Algorithmen, Arten der Darstellung und Möglichkeiten der Interaktion. Diese sind nicht unbedingt immer transparent oder verstehbar. Transparenz bedeutet in diesem Zusammenhang die Möglichkeit, die Methode nachvollziehen zu können: wie sie funktioniert, auf welchen Vorüberlegungen sie beruht, sie reproduzieren zu können und sie kritisieren zu können. Es gelte daher, die Labor-Blackbox offen zu legen: den Code der digitalen Werkzeuge zu veröffentlichen, „code literacy“ zu lehren und zu lernen, um den Code lesen und verstehen zu können – womit wir wieder bei der Frage sind, ob HIstoriker programmieren können müssen. Dennoch bleibt dann, so Rieder und Röhle, immer noch ein Teil an Ergebnissen bleibe, der mit statistischen Konzepten nicht zu verstehen sei. Als Beispiel nennen Rieder und Röhle, dass zwei verschiedene Visualisierungsprogramme zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen, da sie nicht unbedingt dieselben Verbindungen in einem Netzwerk prominent darstellen.
Im Seminar probieren wir das auf einer unteren Eben aus, indem wir den Ankündigungstext des Methodenkurses in zwei unterschiedlichen Wordcloud-Tools darstellen lassen und anschließend diskutieren. Die Ergebnisse sind hier abgebildet und sie zeigen, wie verschieden die Clouds tatsächlich wirken, zumal das erst Tool über die Spracheinstellung automatisiert Stoppwörter wie “der”, “die”, “das” rausfiltert, die zweite nicht3.
Der Vollständigkeit halber seien auch die zwei weiteren von Rieder und Röhle genannten Herausforderungen aufgezählt, ohne diese hier weiter auszuführen:
4.) Institutionelle Störungen: Auswirkungen auf die Forschungslandschaft
5.) Streben nach Universalismus kommt zurück
Zusammenfassend plädieren Rieder und Röhle dafür, einen neuen Methodenstreit zu vermeiden. Stattdessen sollten Wissenschaftlerinnen, die digitale Methoden verwenden, ihre methodische Entscheidungen explizit und transparent machen, etwa in projektbegleitenden Websites.
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Abbildungen
Wordcloud 1 mit TagCrowd.com erstellt (mit Spracheinstellung)
Wordcloud 2 mit WordItOut erstellt (ohne Spracheinstellung)
Literatur
Rieder, Bernhard, Röhle, Theo: Digital Methods: Five Challenges, in: David M. Berry (Hg.), Understanding Digital Humanities, Houndmills 2012, S. 67-84.
Alves, Daniel: Introduction, in: Digital Methods and Tools for Historical Research: A Special Issue. International Journal of Humanities and Arts Computing, Bd. 8, Heft 1 (April 2014). [Paywall: http://www.euppublishing.com/toc/ijhac/8/1]
- Rieder, Bernhard, Röhle, Theo: Digital Methods: Five Challenges, in: David M. Berry (Hg.), Understanding Digital Humanities, Houndmills 2012, S. 67-84.
- Bettina Heintz, Zahlen, Wissen, Objektivität: Wissenschaftssoziologische Perspektiven, in: A. Mennicken, H. Vollmer (Hg.), Zahlenwerk. Kalkulation, Organisation und Gesellschaft, Wiesbaden 2007, S. 65-86.
- Eine Übersicht zu Word-Cloud-Tools gibt es hier: http://praxistipps.chip.de/word-clouds-kostenlos-online-erstellen-die-besten-webseiten_30199
Quelle: http://dguw.hypotheses.org/115