Geschichte und Erinnerung: Von der Aktualität des Ersten Weltkriegs 1914-2014 und deutsch-französisches Doktorandenatelier

Von Ulrich Pfeil

„Der ‚Große Krieg“ legte den Grundstein für die spätere Versöhnung mit Frankreich“, schrieb „Der Spiegel“ in seiner Ausgabe vom 10. Januar 2014 und spannte damit den Bogen vom Jubiläum „100 Jahre Erster Weltkrieg“ zu dem im vergangenen Jahr begangenen 50. Geburtstag des Élysée-Vertrages. Das Jahr 2014 ist in der Tat ein Gedenkjahr der Superlative, brach doch nicht nur vor 100 Jahren der Erste Weltkrieg aus, sondern vor 75 Jahren auch der Zweite Weltkrieg, feierten die Franzosen vor 70 Jahren die Libération, fiel vor 25 Jahren die Berliner Mauer und entschied sich die EU vor 10 Jahren zur Osterweiterung und damit zur „Wiedervereinigung Europas“. Auffallend ist dabei in ganz Europa, dass 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, in den Zeiten der europäischen Finanzkrise und dem damit zusammenhängenden Aufflackern neuer Nationalismen, „Historiker unterschiedlicher Couleur mit Unbehagen registrieren, dass die Zeitläufte von 1914 dem Europa dieser Tage nicht so fern sind“ (Spiegel, 30.12.2013).

Die Versuchung liegt in den Zeiten einer europäischen Krise also nahe, das Jahr 2014 für ein neues historisches Narrativ zu nutzen, an dessen Anfang der Erste Weltkrieg als „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ (George F. Kennan) das „Zeitalter der Extreme“ (Eric Hobsbawm) einläutete, das neben dem Zweiten Weltkrieg auch den Kalten Krieg und die Konflikte im Rahmen der Dekolonialisierung kannte. Die Ermahnung, den Frieden heute nicht als selbstverständlich hinzunehmen, bestimmte auch die Rede des französischen Präsidenten François Hollande am 7. November 2013: „Diese Zeit des Gedenkens fällt außerdem in einen Kontext, in dem sich das europäische Ideal zu erschöpfen erscheint, in dem der Frieden Gleichgültigkeit erweckt“.

Spannen wir dann den Bogen über 2004 bis heute, dann wird aus dem „Zeitalter der Extreme“ eine Lerngeschichte, in der sich der Westen mit der Europäischen Integration eine friedensstiftende Struktur gab, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriege auch auf Osteuropa ausgedehnt wurde. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier formulierte es mit folgenden Worten: „Die Mahnung dieses Gedenkjahres ist: uns immer wieder bewusstmachen, welche zivilisatorische Leistung darin steckt, dass kleine und große Mitgliedstaaten, Gegner zahlloser früherer Kriege auf unserem zerrissenen Kontinent, heute friedlich und zivilisiert in langen Nächten um gemeinsame Lösungen ringen“ (FAZ, 25.1.2014). Kann und soll der Erste Weltkrieg also den Anlass bieten, um Europa mit Blick auf 1914-18 neu zu erzählen?

Während des Jahres 2014 werden wir zu geschichtspolitischen Zeitzeugen und beobachten können, wie in den verschiedenen ehemals am Krieg beteiligten Ländern der Erste Weltkrieg in die nationalen Meistererzählungen integriert wird. Das offizielle Deutschland zeichnete sich bislang durch ein „grundsätzliches Desinteresse“ (Gerd Krumeich) aus und betont, dass es in Deutschland keine staatliche Geschichtspolitik gebe, was den Heidelberger Historiker Edgar Wolfrum zu folgender Aussage brachte: „Die Ausrede der Regierung ist blamabel“ (Tagesspiegel, 17.1.2014). Während Frankreich und Großbritannien schon vor längerer Zeit begonnen hatten, Konzepte für die Gedenkfeiern zu entwickeln, muss in Deutschland nun Bundespräsident Joachim Gauck „das Super-Gedenkjahr retten“ (Spiegel online 9.11.2013). Dazu passt es, dass der französische Staatspräsident und der Bundespräsident am 3. August 2014 gemeinsam auf dem einstigen Schlachtfeld Hartmannsweiler Kopf im Elsass den Opfern des Ersten Weltkriegs gedenken werden.

Schon die unterschiedliche Intensität in der Vorbereitung des Jahres 2014 zeigt, dass die Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg in den verschiedenen Ländern voneinander abweichen. Wieder einmal wird deutlich, dass die europäische Erinnerung an das 20. Jahrhundert eine geteilte, aber auch eine gegensätzliche bzw. asymmetrische Erinnerung ist. In den beiden Siegermächten Frankreich und Großbritannien konnte man über Jahrzehnte eine patriotische Erinnerung beobachten, während beim Kriegsverlierer Deutschland die Erinnerung unterdrückt, dann heftig umstritten war und schließlich im Schatten der Verbrechen und Schrecken des Zweiten Weltkrieges stand; in Osteuropa war sie lange gar kein Thema, bevor hier mit dem Ende des Kalten Krieges auch eine geschichtspolitische Debatte einsetzte (L’Express, 18.1.2014). Es kann also nicht darum gehen, im Gedenken an den Ersten Weltkrieg die unterschiedlichen Erfahrungen und Erinnerungen im Dienste eines europäischen Narratives zu harmonisieren, doch stellt sich doch die Frage, was das Gemeinsame in der Vielfalt ist.

Dieser kurze Überblick über die aktuellen Debatten zur Erinnerung an den Ersten Weltkrieg unterstreicht die Aktualität der Thematik und fordert zu einer wissenschaftlichen Vertiefung heraus, um im Sinne der Initiatoren des Aufrufs „Ein anderer Blick auf 1914-1918. Für eine gemeinsame Erinnerungskultur“ (Tagesspiegel, 27.1.2014) die transnationale Komponente des Gedenkens zu verstärken.

Zweites deutsch-französisches Doktorandenatelier
in Fischbachau vom 11. bis 14. Juni 2014
(Fischbachau/München)

An einem traditionsreichen Ort der deutsch-französischen Begegnung organisiert das Deutsch-Französische Jugendwerk (DFJW) und das Bayerisch-Französische Hochschulzentrum (BFHZ) in Zusammenarbeit mit dem Freistaat Bayern ein dreitägiges interdisziplinäres Atelier für Doktoranden zur Erinnerung an den Ersten Weltkrieg. Es richtet sich insbesondere an Doktoranden der Geistes- und Sozialwissenschaften aus Frankreich, Deutschland und Drittländern.

Ausschreibung Doktorandenatelier

 

Quelle: http://grandeguerre.hypotheses.org/1521

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