In eigener Sache: Digireg

Archivalia hat mich wieder mal drauf gebracht: Eine aktuelle Übersicht über geschichtswissenschaftliche Blogs bringt eigentlich ein ernüchterndes Ergebnis: Blogs von Hochschullehrern gibt es in Deutschland nur selten, ansonsten mangelt es nicht an Geschichtsblogs. "Digitale Regionalgeschichte" wird netterweise auch erwähnt, wobei mein letzter längerer Artikel offenbar übersehen wurde. Macht aber nichts. Es ist hier ruhig geworden. Liegt vielleicht auch daran, dass ich derzeit nicht sicher bin, wie und ob ich Digitale Regionalgeschichte weiter entwickeln werde. Vielleicht stelle ich hier aber demnächst Thesen zur Entwicklung des "ländlichen Raumes". Vielleicht. 

Quelle: http://digireg.twoday.net/stories/55777495/

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Das Dilemma

Vor über 20 Jahren erschien ein Buch über das „Gefälle“, die strukturellen Entwicklungsunterschiede zwischen Norddeutschland, insbesondere Niedersachsen, und dem Süden der Republik. Das Gefälle ist geblieben, aber was sind die Ursachen?
Als wir vor drei, vier Jahren an dem Handbuch zur Geschichte Niedersachsens geschrieben haben, diskutierten wir natürlich auch über diese Frage. Gerade eben hat einer unserer Studierenden eine Masterarbeit dazu abgegeben, in der ein langfristiger Vergleich der bayerischen und der niedersächsischen Entwicklung vorgenommen wird. Fragt man nach den Ursachen der abweichenden Entwicklungen - bei vergleichbaren strukturellen Voraussetzungen -, so rückt die frühe Phase des 19. Jahrhunderts in den Focus.

Carl-Hans Hauptmeyer betont in seinen Arbeiten die langen Linien der niedersächsischen Entwicklung. Das mag zwar insgesamt zutreffen, aber hier deutliche Einschnitte dürfen nicht vergessen werden. Der erste besteht darin, dass seit 1714 in Hannover kein Herrscher mehr aktiv Politik macht. Die Kurfürsten sitzen nicht mehr in Hannover und bauen dies zu ihrer Residenz aus, sondern in England. Hannover, das noch kurz zuvor repräsentativ ausgebaut wurde, etwa beim Herrenhäuser Garten, bleibt ein Jahrhundert gleichsam „stehen“, hier passiert nichts. Man vergleiche diese bescheidene Kleinstadt mit den Residenzen anderer Territorien!

Dieser Rückstand hätte aufgeholt werden können, wenn nicht nach 1800 die nächste Etappe „verpasst“ wurde. Hannover wurde mit der Gründung des Königreichs Westphalen praktisch mediatisiert und verlor seine staatliche Identität. Weder das ehemalige Territorium Hannover noch die Stadt Hannover spielten im Königreich Westphalen eine nennenswerte Rolle.

Völlig anders verlief die Entwicklung in Süddeutschland: Die Territorien von Bayern, Württemberg und Baden blieben nicht nur bestehen, sondern sie wurden dank vieler Mediatisierungen noch aufgewertet. Vergleichbares für Norddeutschland hätte bedeutet, dass zumindest Oldenburg und Schaumburg-Lippe einem neuen Königreich Hannover einverleibt worden wären. Die Personalunion mit England und die Bedeutung der Küste verhinderten eine solche Entwicklung schon im Ansatz. Die süddeutschen Territorien profitierten aber nicht nur territorial, sondern sie reagierten auf die räumlichen Gewinne mit einer systematisch betriebenen inneren Politik: Aus den neuen Gebilden sollten einheitliche, bei der Bevölkerung akzeptierte Territorien, moderne Staaten werden. Ging demnach in Süddeutschland von der französischen Zeit ein wichtiger Impuls für eine moderne Staatlichkeit aus, so unterblieb er in Niedersachsen vollkommen.

Nach 1814 öffnete sich die Schere sogar weiter, denn in Hannover (und in Oldenburg, auch in Braunschweig) wurde die Restauration nicht genutzt, um den staatlichen Vorsprung des Südens aufzuholen, sondern die alten Strukturen wurden restauriert! Und in Hannover gab es noch immer kein politisches Zentrum. Der einzige Bereich, in dem sich der Norden hervortat, waren die Agrarreformen. Zwar bedeutete die Restauration auch hier einen herben Rückschlag, aber die Gemeinheitsteilungen wurden weiter betrieben und ab 1831 auch systematisch die Ablösungsgesetzgebung forciert. An der strukturellen Schwäche Niedersachsens änderte dies aber gar nichts.

1837 gab es dann endlich wieder einen in Hannover residierenden Herrscher. Nur war dies ein alter konservativer Mann, der keinerlei Neigung zeigte, das Land konzeptionell weiter zu führen. Abigail Greens Untersuchung zu Fatherlands zeigt, dass im Vergleich zu anderen deutschen Mittelstaaten, in Hannover die Neigung am geringsten ausgeprägt war, ein eigenes Staatsgefühl zu entwickeln. Die beiden hannoverschen Könige blieben ihren eigenen Interessen, nicht denen ihres Landes verbunden.

Damit erwies sich die Peronalunion über ihr Ende hinaus für das Land und die Stadt Hannover als eine fatale Richtungsentscheidung. Als entscheidende Folgen wären zu benennen:
- Hannover als Residenzstadt erfährt gerade in den Phasen, in denen andere Städte ausgebaut wurden, kaum Förderung und damit Weiterentwicklung.
- Das Land Hannover als „Kernland“ des späteren Niedersachsen bleibt blass, die anderen beiden größeren, aber deutlich kleineren Territorien Oldenburg und Braunschweig haben nicht nur eigene Residenzstädte, sondern verfügen über eine politische Führung, der es deutlich besser als der in Hannover gelingt, auf das Land bezogene Entwicklungspolitik zu betreiben. Insbesondere in Oldenburg, dem es nach 1803 gelingt, den katholischen Landesteil systematisch zu integrieren, zeigt, welche Chancen für ein geschickt agierendes Land damals bestanden.

Hannover entwickelt sich als Stadt dennoch im 19. Jahrhundert zur führenden Industriestadt, bemerkenswerterweise aber erst in der preußischen Zeit. Jetzt kann diese Stadt endlich ihr Potenzial entfalten, allerdings wird die hannoversche Entwicklung weiterhin nicht von einer hier beheimateten Politik unterstützt, was sich in Krisenzeiten wiederum negativ auswirkt, ganz im Gegensatz zu Bayern, wie die gerade vorgelegte Masterarbeit von Andreas Frieling belegt.

Diese strukturellen, langfristigen Verhältnisse bleiben bis heute prägend: Hannover als Landeshauptstadt agiert meist schwach, wie gerade am Abzug der Panzerdivision 1 nach Oldenburg zu sehen ist, die Regionen sind stark.

Genannte Literatur:
Gerhard Becher, Das Gefälle : internationale Arbeitsteilung und die Krise der Regionalpolitik (Braunschweig: Steinweg, 1986).
Abigail Green, Fatherlands: state-building and nationhood in nineteenth-century Germany (Cambridge [u.a.], 2001).
Carl-Hans Hauptmeyer, Geschichte Niedersachsens (München: Beck, 2009).
Gerd Steinwascher, Hrg., Von der Weimarer Republik bis zur Wiedervereinigung (Hannover: Hahn, 2010).

Quelle: http://digireg.twoday.net/stories/49596755/

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Qualität von Wikipedia Artikeln

In letzter Zeit stelle ich wiederholt fest, dass insbesondere regionalgeschichtliche Artikel von einer grottenschlechten Qualität sind. Etwa der zu Hagenburg (http://de.wikipedia.org/wiki/Hagenburg), in dem sich vermutlich ein Herr Blazek ausgetobt hat (er zitiert sich auch in der Literatur gleich mehrfach). Was da zur Geschichte des Ortes steht, ist entweder falsch (der Ort wurde nicht im 30-jährigen Krieg verwüstet, das Schloß wurde 1689 nicht neu angelegt und Fürsten zu Schaumburg-Lippe gab es am Ende des 17. Jahrhunderts erst recht nicht) oder banal. Aber das ist nur ein Beispiel von mehreren.

Quelle: http://digireg.twoday.net/stories/38770980/

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Vom Nutzen des Internet für transnationale Geschichte

Eigentlich haben sich Zuordnungen wie Lokalgeschichte, Nationalgeschichte oder transnationale Geschichte beinahe aufgelöst. Zumindest dann, wenn wir den historischen Akteuren folgen. Unser kleines, jetzt sich allmählich seiner Fertigstellung näherndes Projekt über die Briefe der 1858 von Niedersachsen nach Kalifornien mit ihrem Mann ausgwanderten Sophie Meinecke zeigt dies immer wieder. Sie und die uns bekannten Angehörigen ihrer Familie sind viel unterwegs, sie halten sich weder an nationale noch kontinentale Grenzen. Sie wechseln zwischen Kulturen und Räumen. Ihnen dabei zu folgen und zudem die historischen Kontexte zu rekonstruieren, ist allerdings nicht leicht. Ohne die Briefe wäre dies nicht möglich gewesen, aber auch nicht ohne die Möglichkeit des Internet. Websites wie Familysearch oder private Seiten haben uns genauso wertvolle Hilfe geleistet wie Google Books oder Archive.org. Klar, es bleiben immer noch viele Fragen, aber erstaunlich viele konnten wir online beantworten. Die Ergebnisse unserer Recherchen werden wir auf der Lernwerkstatt veröffentlichen und hoffentlich auch als Buch. 

Übrigens haben wir auch intensiven Gebrauch von Google Docs und Zotero gemacht - auch hier konnten wie unsere Arbeit besser abstimmen als dies mit traditionellen Methoden möglich gewesen wäre.

Quelle: http://digireg.twoday.net/stories/38770356/

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Irmgard Wilharm (1940-2011)

Wir trauern um um unsere langjährige Kollegin Frau Prof. Dr. Irmgard Wilharm. Sie gehörte dem Historischen Seminar von 1975 bis 2006 an. Sie war nicht nur eine gute und engagierte Kollegin, sie war eine der ersten in Deutschland, die sich dem Medium Film früh zuwandte. Einige ihrer wichtigsten Aufsätze wurden 2006 aus Anlass ihrer Verabschiedung in einem von Detlef Endeward herausgegebenem Sammelband zusammengestellt: Bewegte Spuren: Studien zur Zeitgeschichte im Film. Hannover 2006.

Quelle: http://digireg.twoday.net/stories/38745950/

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Krainhagen, Gelsenkirchen-Buer und Gelsenkirchen-Horst

Ich schreibe an einer kleinen Ortsgeschichte mit, das Dorf liegt in Niedersachsen und ich lande mit meinen Recherchen relativ schnell im Ruhrgebiet. Das liegt ein wenig am Dorf selbst, denn es erfüllt nicht die Erwartungen, die viele an ein "Dorf" haben. Erst als späte Gründung um 1600 entstanden, lebten hier seit ca. 1800 vorwiegend Bergleute und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Glasmacher. Vielen wanderten zu, weil Krainhagen wegen der Industriebetriebe im benachbarten Obernkirchen ein guter Wohnstandort war. Zwar kamen die meisten aus benachbarten schaumburgischen und (weniger) schaumburg-lippischen Dörfern, doch es läßt sich auch eine größere Zahl nachweisen, die aus Westfalen nach Krainhagen gekommen war.

Das ist das spannende an diesem Projekt: Dorf nicht als statischer Siedlungs-"Raum", sondern als Teil eines regionalen und sogar überregionalen Netzwerkes, als oft vorübergehende Station von Menschen und Familien, als pulsierender Kristallationspunkt von Biografien. Während eine traditonelle Dorfgeschichte immer in dem Wechselspiel zwischen Landschaftsraum, "Boden" und Menschen stattfindet, sind die Bezugspunkte hier anders: Landschaft war erst Belastung (Hanglage, wenig Grundwasser), während zwar auch die Landschaft, aber in Form von Bodenschätzen relevant war. Mobilität und Migration in das Dorf und aus dem Dorf heraus (für das 19. Jahrhundert konnte ich - eigentlich nicht überraschend - eine große Zahl von jungen Frauen nachweisen, die auf der Suche nach Arbeit meist als Hausmädchen das Dorf verließen) bilden wichtige Elemente der Dorfgeschichte. Ohne sie wäre auch nicht eine starke Arbeiterbewegung zu verstehen, die es hier - also in Krainhagen und Obernkirchen - auch gab.

In diesem Fall bin ich aber aus anderen Zusammenhängen in Gelsenkirchen-Horst oder Gelsenkirchen-Buer gelandet. Hier hatte es im November 1944 schwere Luftangriffe gegeben, weshalb in zwei größeren Transporten vor allem junge Mütter mit ihren Kleinkindern in ländliche Gebiete verschickt wurden. Ca. 70 verschlug es nach Krainhagen. Bei einer kleinen Internetrecherche und einem - zugegeben etwas oberflächlichen - Vergleich mit hannoverschen Webseiten musste ich feststellen, dass die lokale Geschichtsarbeit nicht nur in den frühen 80er Jahren vorbildlich war (Stchwort Hochlarmarker Lesebuch), sondern es auch im Netz sehr detaillierte Darstellungen zum Zweiten Weltkrieg gibt, etwa bei den Gelsenkirchener Geschichten oder im Gelsenzentrum. Das Internet als eine neue Chance, abseits von traditionellen Instutionen und Wegen die eigene Geschichte zu schreiben, wird offenbar in Regionen wie dem Ruhrgebiet intensiver genutzt als in Regionen wie Hannover.

Quelle: http://digireg.twoday.net/stories/19449397/

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