Max meets LISA: “Einbahnstraße Geisteswissenschaft? Diskussion aus Sicht des Nachwuchses”

Ist die Geisteswissenschaft eine karrieretechnische Einbahnstraße? Wie international und flexibel müssen NachwuchswissenschaftlerInnen sein? Welche Berufsfelder schweben GeisteswissenschaftlerInnen vor? Nicht erst seit den Kontroversen über die Max-Planck-Gesellschaft und ihre Doktorandenförderung wird über die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses heftig diskutiert. Es scheint einen Konsens zu geben, dass sich etwas ändern muss. Aber was? Und wie?

In der achten Folge von Max meets L.I.

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Quelle: http://gab.hypotheses.org/1835

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Graphdatenbanken für Historiker. Netzwerke in den Registern der Regesten Kaiser Friedrichs III. mit neo4j und Gephi

Inhaltsverzeichnis

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/5995

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Die triumphale Gedenkkultur des 9. Mai und die Leerstellen der Erinnerung in Deutschland

Die Feiern zum 9. Mai werden sich in Berlin  auch in diesem Jahr an Orten abspielen, die von der sowjetischen Gedenkkultur geprägt wurden, wie zum Beispiel dem Treptower Park und dem Ehrenmal am Brandenburger Tor. Die Gedenk-Ensemble sind durch internationale Verträge zwischen Deutschland und Russland geschützt, dennoch entzündet sich immer wieder Kritik an der Formsprache der Denkmäler. Vor einem Jahr, am 15.4.2014, titelte die BILD-Zeitung gar: „Russen-Panzer als Symbol kalter Machtpolitik!“ und initiierte zusammen mit der B.Z. eine Petition zur Entfernung der zwei T-34 Panzer, die das 1945 errichtete Denkmal zur Erinnerung an den sowjetischen Sieg im Zweiten Weltkrieg flankieren. „In einer Zeit, in der russische Panzer das freie, demokratische Europa bedrohen, wollen wir keine Russen-Panzer am Brandenburger Tor!

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Quelle: http://erinnerung.hypotheses.org/80

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Experimente im Textlabor #dhiha6

Dieser Blogpost entstand in Vorbereitung auf den Studientag “dhiha6 – Experimente in den Digital Humanities” und es dürfte nicht viele Mottos für Studientage geben, die besser zum Untertitel meines Blogs und dem von mir mit verantworteten System Tesla (Text Engineering Software Laboratory) passen dürften, ist es doch konzipiert als virtuelles Labor, um Experimente auf Texten durchzuführen. Texte sind darüber hinaus u.a. Studienobjekte der Digital Humanties (manche würden wohl gar behaupten, Texte wären die Untersuchungsobjekte der DH schlechthin). Tatsächlich wurde Tesla als eines von vier virtuellen Laboren ausgewählt, die auf dem Studientag am 12.06.2015 in Paris vorgestellt werden dürfen.

Da ganze 90 Minuten für eine Präsentation und das Experimentieren und im Anschluss daran noch einmal die gleiche Zeit für die Klärung von Fragen zur Verfügung stehen, muss ich mir also einiges an Programm einfallen lassen, was ich dort alles vorführen kann. Das hieß erst einmal Gedanken sortieren und eine Mindmap anlegen (was mir schon des Öfteren geholfen hat, Dinge zu planen). (...)

Quelle: http://texperimentales.hypotheses.org/1344

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Gebrauchsspuren

bunker (6)

Bücher werden beim Lesen ständig auf- und zugeklappt, mit nicht gewaschenen Händen ungeduldig umgeblättert, mit Lesezeichen versehen, die allerlei Spuren hinterlassen. Seiten  werden für  Kommentare sowie persönliche Einträge benutzt, gelegentlich auch beschädigt und wieder repariert. Jahrhundertealte Bücher zeigen zahlreiche solche Gebrauchsspuren, die heute nicht nur vom wissenschaftlichen Bibliotheks- und Archivwesen, sondern auch von der Geschichtsforschung zunehmend als wertvolle Quellen erachtet werden. Sie gelten als Zeugen eines längst vergangenen und uns heute unbekanntes Alltags.

Das Header-Bild dieses Blogs – als Ausschnitt aus einem größeren Foto (Quelle) etwas unscharf – zeigt an den Buchrücken deutliche Spuren eines häufigen Gebrauchs der Drucke aus dem 16. Jahrhundert zur griechischen und lateinischen Literatur der Antike. Am unteren Ende der Rücken, besonders in der Mitte des abgebildeten Regalbretts, lässt sich eine Verdunkelung erkennen. (Read more...) Es handelt sich um Verschmutzungen der zeitgenössischen Einbände aus Schweinsleder durch Hautfett, das den Lesern gehörte. Schweinslederne Einbände sind porig und speicherten im Laufe der Zeit den durch Feuchtigkeit und Fett der zugreifenden Hände gebundenen Staub. Gelegentlich halten ungeübte Augen diese Griffspuren für unschön oder für Schimmel; auf einem sonst intakten Einband bezeugen sie heute vielmehr den Grad der Beschäftigung mit einem Werk, mit einem Buchexemplar: es wurde von den Lesern mehr oder weniger begriffen.

Die Quart- und Oktavformate der Frühen Neuzeit wurden mit einer Hand gehalten, mit der anderen Hand wurde umgeblättert. Warum die Bücher beim Lesen nicht auf dem Tisch lagen, erklärt sich, wenn man sie heute öffnet: die originalen Einbände des 16. Jahrhunderts sitzen stramm, ohne Gewalt lässt sich ein Buchblock nur bis maximal 90° aufblättern. Die Signaturfähnchen der Bände in unserem Header-Bild sind auf den verschmutzten Stellen der Rücken angebracht und zeigen die Handschrift von Dr. Hans Haupt (1911-1993), ab 1947  Lehrer am Christianeum in Hamburg und  bis zu seiner Pensionierung 1976 auch Bibliothekar.1

melber.vocabulario.manicula.nach1483Heute markieren wir uns im Buch gelegentlich am Rand Stellen durch einen Strich. Die Leserschaft des Mittelalters und der Frühen Neuzeit bevorzugte die Ausführlichkeit (die Lust?) ihrer Schreibfedern: sie malte sich gern einen Zeigefinger an der Text. Mit oder ohne Talent gebar das durchaus komplexe Zeichen, genannt manicula, kreative Lösungen, wie zum Beispiel die Anmutung eines umgestülpten Pilzes.2

Unübertrefflich ist die Vielfalt, in der sich Leser im Laufe von Jahrhunderten in den gedruckten Büchern seit der Frühen Neuzeit (gar nicht so selten auch in den handschriftlichen Werken des Mittelalters) zu verewigen wussten. Den Glossen produzierenden Händen, die man zuweilen Personen namentlich zuordnen kann, wird heute angesichts Aufsehen erregender Entdeckungen gedankt, wie zum Beispiel im Fall der Annotationen in einer Heidelberger Inkunabel: Die handschriftlichen Einträge auf dem unbedruckten Rand neben dem Satzspiegel belegen die Identität von Leonardo da Vincis weltbekannter Mona Lisa, einer Florentiner Dame der Gesellschaft.3

Enzinas Historia 004Bücher sind gewandert, sowohl als sie noch mit der Hand geschrieben wurden, aber auch insbesondere als sie gedruckt und deshalb sensationell beweglich geworden waren. Infolge wurden Bücher zu einem wertvollen persönlichen Eigentum und deshalb für ihre Besitzer ebenso zum Geschenk wie zum verkäuflichen Wertobjekt. Von der nicht selten langen Reise eines Buchs zeugen die oft zahlreichen Einträge seiner Besitzer, die außer ihrem Namen gelegentlich auch die Umstände ihres Besitzes dokumentierten und damit heute über die persönlichen Beziehungen einer nicht nur gelehrten Welt seit Jahrhunderten Aufschluss geben können.4

cod_altonensis_0141_v_dinA4Leser neigen dazu, nicht ins Bett zu finden und überm Buch einzuschlafen, zu Zeiten des Lesens bei Kerzenlicht mit manchmal fatalen Folgen. Davon zeugen die Brandlöcher in zahlreichen Handschriften und alten Drucken: die Kerze fällt um, stolpert übers aufgeschlagenen Buch und die Flamme verzehrt unverzüglich Pergament wie Papier. Das verrußte Loch durch viele Seiten hindurch bleibt. Manchmal setzte das Malheur umgehend die Feinmechanik der Reparatur in Gang. Im Codex Altonensis, der italienischen Pergamenthandschrift der Comedia des Dante aus dem 14. Jahrhundert, findet sich ganz hinten im Paradies ein Flammenfraß gleich durch mehrere Lagen; er wurde bei jedem Blatt durch Pergamentflicken mit Textergänzung repariert.5 Dieser vor Jahrhunderten enstandene und offenbar zeitnah versorgte Schaden könnte die Erklärung (und damit auch eine Datierung) bergen, warum die Pergamentlagen eine opulente Illustration des Inferno von einer Hand zeigen, das Purgatorio erkennbar von mehreren Händen illustriert wurde und das Paradiso nach einer Reihe von Vorzeichnungen am Ende gänzlich unbebildert blieb. Heute bietet uns der Schaden einen Beleg für die Arbeitsweise norditalienischer Skriptorien des späten Mittelalters: der Text wurde zuerst erstellt bis zum Schlußvermerk des letzten Schreibers, und zwar mit Freiplatz für die Illuminierung, die Malerei indes folgte zeitlich in deutlichem Abstand.

lesezeichenschaden.klio.mommsen.3Manchmal scheinen die Bücher irgendwann in den Dornröschenschlaf gefallen zu sein; eingelegte Halme und andere pflanzliche Merkhilfen bildeten über Jahrhunderte, gewichtig gepresst, die eigenen Schatten aufs Papier. Lesezeichen in Form von Zetteln, insbesondere solchen aus jüngerer Zeit, wirkten indes zerstörerisch: unbemerkt zerfraß deren Säuregehalt innerhalb von Jahrzehnten das alte Hadernpapier.6

Bücher waren nicht selten der Gewalt ausgesetzt. In einer Inkunabel hat jemandem ein Holzschnitt gefallen (oder eventuell auch nicht gefallen?), und er hat ihn hastig herausgerissen, ein Eckchen blieb. Anschließend hat jemand (derselbe oder ein anderer?) den Schaden mit einem leeren Blatt repariert und den fehlenden gedruckten Text, einschließlich des Seitenkopfs und der am Rand gedruckten Marginalien liebevoll mit der Hand nachgemalt; das leere Bildformat wurde mit dem Lineal aufgezeichnet. Die Handschrift verweist auf eine Reparatur des 18. Jahrhunderts. Das vom Bild verbliebene Eckchen macht anhand heutiger Digitalisate den Verlust sichtbar und eindeutig identifizierbar. 7

stultifera.navis.fehlstelle (2)

Kleiner Epilog

In einer Inkunabel fand ich mal ein platt gequetschtes, vollständig vertrocknetes, für mich nicht mehr erkennbares, aber anscheinend ursprünglich dickliches, zeckenartiges kleines Insekt, das eine Saftaura um sich herum hinterlassen hatte. Ich vergaß, mir die Fundstelle zu notieren; ich habe sie niemals wiedergefunden. 8

Weiterführende Lektüre

Moulin, Claudine,  Am Rande der Blätter. Gebrauchsspuren, Glossen und Annotationen in Handschriften und Büchern aus kulturhistorischer Sicht, in: Quarto, Zeitschrift des Schweizerischen Literaturarchivs 30/31, 2010; S. 19-26 (online bei: academia.edu)

Schumacher, Meinolf,  …der kann den texst und och die gloß. Zum Wortgebrauch von ‚Text‘ und ‚Glosse‘ in deutschen Dichtungen des Spätmittelalters,  in: Ludolf Kuchenbuch und Uta Kleine (Hrsg), Textus’ im Mittelalter. Komponenten und Situationen des Wortgebrauchs im schriftsemantischen Feld,  Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006

Blogs mit Bildern

Erik Kwakkel: Voices on the Medieval Page (1): The Reader
Biblos: Manicula
Bibliotheca Altonensis: Marginalien
Flavorwire: Classic Books Annotated by Famous Authors

Abbildungen

Header: Quelle und Lizenz siehe Impressum dieser Seite
Alle übrigen: Bibliothek des Christianeums Hamburg, Archiv des Christianeums Hamburg, public domain

  1. Archiv des Christianeums Hamburg: Die Bibliothekare
  2. Abbildung und Erläuterung: Manicula, in: Melber, Johannes: Vocabularius praedicantinum. Nürnberg: Peter Wagner, 18.VIII.1483 GW M22708; bei: Bibliotheca Altonensis
  3. Armin Schlechter: Ita Leonardus Vincius facit in omnibus suis picturis. Leonardo da Vincis Mona Lisa und die Cicero-Philologie von Angelo Poliziano bis Johann Georg Graevius, 2008; bei: IASLonline
  4. Abbildung: eine Seite von mehreren mit Besitzereinträgen in Francisco de EnzinasHistoria de statu Belgico et religione Hispanica. Wittenberg 1545; Handschrift, Bibliothek des Christianeums Hamburg
  5. Codex Altonensis, ital., 14. Jahrhundert; Abbildung Bl. 141v; Bibliothek des Christianeums  Hamburg. Siehe auch: Bilder aus der Bibliothek: Flickwerk, 2009; Literatur zum Codex: Degenhart, Bernhard, Die kunstgeschichtliche Stellung des Codex Altonensis, in: Divina commedia. Codex Altonensis (Faksimile), Bd. 2, Mann, Berlin 1965; S. 67-126
  6. Siehe dazu: Lesezeichen,  bei: bibliotheca.gym
  7. Siehe dazu: Holzschnitt gefällig?  bei: Bibliotheca Altonensis und das verlorene Bild
  8. Liste der Inkunabeln in der Bibliothek des Christianeums Hamburg, via Schulhomepage: Zum Bestand und dessen Erfassung

Quelle: http://histgymbib.hypotheses.org/838

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Papierkrieg gegen Napoleon


Diplomatische Note, 1815 März 29, NLA - Hannover - Dep. 110 A Nr. 53
Diplomatische Note, 1815 März 29, NLA – Hannover – Dep. 110 A Nr. 53. Vorschau, zur Vollansicht auf den Seiten des Archivs bitte klicken.

Das Niedersächsische Landesarchiv hat auf seiner Website ein schönes Aktenstück online gestellt (via Augias.Net). Es führt uns in die dramatische Pause des Wiener Kongresses, als im März 1815 Napoleon aus dem Exil zurückkehrte. Die Kollegen in Hannover haben den historischen Zusammenhang dargestellt. Hier geht es, natürlich, um aktenkundliche Fragen.

(Read more...)
Ausschnitt 1: Halbbrüchige Beschriftung
Ausschnitt 1: Halbbrüchige Beschriftung

Der erste Eindruck: halbbrüchig beschrieben. Abgesehen von dem Anlagenstrich oben auf S. 1 und der Innenadresse unten auf S. 2 bleibt die linke Spalte leer. Halbbrüchigkeit ist charakteristisch für Entwürfe jeglicher Art und für Berichte an vorgesetzte Instanzen. Hier handelt es sich aber um eine relativ sauber geschriebene Ausfertigung, die – nun geht es an den Inhalt – zwischen Unterhändlern verschiedener Staaten auf dem Wiener Kongress gewechselt wurde. Die Streichung auf S. 2 ist allerdings ungewöhnlich und deutet auf große Eile hin. Gerade in der Diplomatie werden Schriftstücke gewöhnlich besonders sorgfältig ausgefertigt.

Ein Schriftstück der Mitteilung unter Gleichgeordneten also. Die großzügige Aufteilung des Blatts ist Teil des besonderen Zeremoniells, das diplomatische Schriftstücke bis heute auszeichnet. Der genaue Schriftstücktyp ergibt sich aus den Formularbestandteilen, genauer: aus der Eingangsformel “Les Soussignés ont reçu l’ordre de communiquer” …

Ausschnitt 2: Eingangsformel
Ausschnitt 2: Eingangsformel

… und der Schlussformel “Les Soussignés ont l’honneur de présenter à Son Excellence l’assurance de sa haute considération”.

Ausschnitt 2: Schlussformel
Ausschnitt 2: Schlussformel

Damit handelt es sich um eine klassische diplomatische “Note”, einen Schriftstücktyp mit sehr reduziertem Formular, der im unpersönlichen Stil abgefasst wurde. In der besonderen Abwandlung der nicht unterschriebenen “Verbalnoten”, in denen Behörden statt Personen als Korrespondenten figurieren, gibt es die Noten bis heute. Als persönliche Korrespondenz wurden sie allerdings im frühen 20. Jahrhundert von Schreiben im Ich-Stil nach dem Formular des französischen Privatbriefs verdrängt (dazu demnächst Berwinkel 2015).

Noch genauer handelt es sich um eine Kollektivnote, denn es zeichneten mehrere Verfasser dafür verantwortlich. Und ganz genau muss es eine von mehreren Kollektivnoten mit größtenteils gleichlautendem Text gewesen sein, denn neben Hannover wurden auch die anderen deutschen und europäischen Staaten zum Beitritt zur Vier-Mächte-Konvention vom 25. März 1815 aufgefordert, dem Bündnis gegen Napoleon, um das es hier ging. In der Diplomatie spricht man passend von “Identischen Noten”.

Für ein Regest könnte man den Inhalt des Stücks so zusammenzufassen: Übersendung des Texts der Vier-Mächte-Konvention, Einladung zum Beitritt Hannovers und Bevollmächtigung der Unterhändler für die Verhandlungen zu diesem Zweck. Letzteres war essentiell bei völkerrechtlich bindenden Vertragsverhandlungen in Abwesenheit der Souveräne (Bittner 1924: 146 f.); deshalb auch die ausdrückliche Berufung auf die erhaltene Weisung in der Eingangsformel, mit der die Identität der Absichten von Souverän und Unterhändlern bekundet wird (vgl. Martens 1866: 62).

Moment. Der König von Großbritannien ermächtigt einen Unterhändler, Verhandlungen mit dem Vertreter des Königs von Hannover aufzunehmen?

Die Regierungsgeschäfte Großbritanniens und Hannovers blieben unter der 1714 begründeten Personalunion getrennt. In London gab es eine Deutsche Kanzlei mit einem Minister, der zwischen dem hier als König residierenden Kurfürsten (ab 1814 doppelt König) und der heimischen Verwaltung vermittelte. De jure wollte Georg III. (bzw. der Prinzregent, sein gleichnamiger Sohn) hier in der Tat über mehrere Ecken mit sich selbst verhandeln. Die staatsrechtliche Konstruktion zwang dazu.

Der hannoversche Unterhändler in Wien war just der Minister der Deutschen Kanzlei, Ernst Graf Münster. An ihn ist die Note Clancartys, Humboldts, Metternichs und Nesselrodes adressiert. Wäre das Stück außerhalb des archivischen Zusammenhangs überliefert, würden wir als Provenienz wohl den Aktenbestand dieser Kanzlei vermuten. Tatsächlich entstammt es aber dem auf Ernst Graf Münster zurückgehenden Teil des Münsterschen Familienarchivs, das heute am Standort Hannover des Niedersächsischen Landesarchivs verwahrt wurde.

Auch ohne den übrigen Inhalt jenes Aktenbandes mit der Signatur NLA – Hannover – Dep. 110 A Nr. 53 zu kennen, lässt sich mit einiger Berechtigung vermuten, dass es sich um Kommissionsakten handelt. Darunter versteht man Handakten, die ein Beamter auf eine auswärtige Mission mitnahm und nach deren Beendigung an die Registratur seiner Behörde zurückgeben haben sollte. Was häufig aber auch nicht geschah. Dann findet man Kommissionsakten, im Grunde entfremdetes dienstliches Schriftgut, eben in  Nachlassbeständen, hier als Teil eines Familien- und Gutsarchivs.

Literatur

Berwinkel, Holger 2015. Der diplomatische Schriftverkehr im 20. Jahrhundert. In: Archiv für Diplomatik 61. Im Druck.

Bittner, Ludwig 1924. Die Lehre von den völkerrechtlichen Vertragsurkunden. Stuttgart.

Martens, Charles de [Karl von Martens 1866. Manuel diplomatique. Précis des droit et des fonctions des agents diplomatiques et consulaires […]. 5. Aufl, hg. v. M. F. H. Geffcken, Bd. 2. Leipzig/Paris. (Online – wie auch die erste Auflage von 1822, die näher an den Ereignissen ist, die Stilformen aber nur durch Beispiele erläutert.)

Quelle: http://aktenkunde.hypotheses.org/358

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Ein Fest für wen? Erinnern an den Krieg in Russland

“…der stumme Streit zwischen dem siegreichen Volk und dem siegreichen Staat setzte sich fort. Von diesem Streit hing das Schicksal des Menschen, seine Freiheit ab”, schrieb Wassilij Grossmann in seinem Roman “Leben und Schicksal” und meinte damit, dass der Sieg über das nationalsozialistische Deutschland nicht dank, sondern trotz Stalins Führung gewonnen wurde. Grossmanns Satz gilt auch für die heutige Erinnerungskultur an den Zweiten Weltkrieg in Russland. Am 9. Mai wird am Roten Platz in Moskau eine Militärparade abgehalten, um dem Sieg im Großen Vaterländischen Krieg zu gedenken. Diese Form der Erinnerung an den Krieg, die sich allein auf den Sieg konzentriert, mag im 21. Jahrhundert anachronistisch erscheinen. Es stellt sich die Frage, warum im Gedenken an diesen Krieg, in dem die Völker der Sowjetunion unfassbare Menschenverluste erlitten, vorrangig das russische Militär geehrt und Waffen zur Schau gestellt werden, die Kriegsopfer hingegen nicht betrauert werden.

Unbestritten ist die Tatsache, dass der deutsche Eroberungs- und Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion 1941 – 1945 für Russland verheerende Verluste brachte: Millionen starben an der Front, in der Kriegsgefangenschaft, auf den besetzten Gebieten, in den belagerten Städten. (...)

Quelle: http://erinnerung.hypotheses.org/48

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Der Kampf der Erinnerungen war gestern, oder wie sich Erinnerungskultur gegen den Strich denken lässt

Das englische Adjektiv „multidirectional“ ist ein ziemlich technischer Begriff. Auf gut Deutsch bedeutet er „Mehrrichtungs-“ oder „Mehrwegs-“ und als erstes kommt einem da die Mehrwegflasche in den Sinn. Der amerikanische Literaturwissenschaftler Michael Rothberg hat „multidirectional“ trotzdem auf Kultur angewandt. „Multidirectional Memory“ ist ein Versuch, Erinnerungskultur in mehrere Richtungen, sozusagen gegen den Strich, zu denken. Damit stellt „Multidirectional Memory“ ein Modell vor, das eine interdisziplinäre und transnationale Untersuchung von Erinnerungskultur stützt.

Erinnerungskultur, oder „memory“ – wie man im Englischen sagt, verarbeitet individuelle Erfahrungen kulturell zu Sinn und macht sie dadurch verständlich und bedeutsam (Kantsteiner 2002:189). Rothberg verwendet „memory” als Begriff für die soziale Praxis des Erinnerns. Es geht ihm um den Prozess des Wachrufens und Verdrängens, des Aktivierens und Blockierens von Erfahrungen.

Heute wird Erinnerungskultur häufig in den Kategorien „Opfer“ und „Täter“ gedacht (Vgl. Buruma 1999; Jureit / Schneider 2010; Schulze Wessel / Franzen 2012). „Opfer“ und „Täter“ sind dabei zu kollektiven und identitätsstiftenden Zuschreibungen geworden.

Rothbergs Ausgangsfrage lautete: Wie lässt sich die Beziehung zwischen verschiedenen Opfergeschichten neu erörtern?

Auf die Gedenkjubiläen im Jahr 2015 bezogen, könnte die Frage lauten: Welche Rolle spielt die Erinnerung an den Holocaust heute für die Erinnerung an den Genozid an den Armeniern? Oder welche Rolle spielt die aktuelle Verfolgung und Vernichtung der Jesiden aus dem Irak für die Erinnerung an den Genozid in Bosnien vor 20 Jahren?

Rothberg hat theoretische und literarische Arbeiten seit den 50er und 60er Jahren analysiert, die sowohl die Vernichtung der europäischen Juden als auch die Verbrechen während der Entkolonialisierung gleichzeitig verhandeln. Er kam zu dem Ergebnis, dass die Annahme eines Wettbewerbs zwischen verschiedenen Opfergeschichten analytisch wenig gewinnbringend sei: “Against the framework that understands collective memory as competitive memory – as a zero-sum struggle over scarce resources – I suggest that we consider memory as multidirectional: as subject to ongoing negotiation, cross-referencing, and borrowing; as productive and not private.” (Rothberg 2009:3).

Die Annahme also, dass es einen Kampf der Erinnerungen gäbe, die um öffentliche Dominanz ringen, sollte hinterfragt werden. Denn dieser Annahme liegt die Überzeugung zugrunde, dass eine bestimmte Gruppe eine einzigartige Geschichte, Kultur und Identität habe. Nimmt man jedoch die Parallelen, Bezüge und Ähnlichkeiten zwischen unterschiedlichen kollektiven Opfergeschichten in den Blick, so wird deutlich, dass ein exklusives Verständnis von kultureller Identität schwer haltbar ist. Mit einer derartigen Betonung der Interaktionen zwischen den Erinnerungsprozessen divergierender Gruppen trägt Rothberg dem Denken Rechnung, dass Gedächtnis und Identität keine klar umrissenen Gegebenheiten sind, sondern sich wandelnde, komplexe und immer wieder auch in Frage zu stellende kulturelle Phänomene bedeuten.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Rothberg verneint nicht die Existenz von Opferkonkurrenzen, sondern er weist auf die Notwendigkeit hin diese zu hinterfragen. Dafür entwickelt er ein dem Konkurrenzdenken gegenläufiges Modell: nämlich die Gemeinsamkeiten und Bezugnahmen zwischen verschiedenen kollektiven Opfergeschichten zu untersuchen.

Rothberg schlägt vor, die weltweite Erinnerung an den Holocaust als etwas zu verstehen, das andere Opfergeschichten nicht blockiert, sondern ihrer Artikulation dient. Dabei funktioniere die Bezugnahme der Geschichten jenseits ihrer zeitlichen und räumlichen Verortung – „multidirectional“. Ereignisse, die vor dem Holocaust stattgefunden haben, wie beispielsweise der Genozid an den Armeniern, oder auch danach, wie der Genozid in Bosnien und Herzegowina, werden mit Referenz aufeinander öffentlich erinnert.

Dabei geht es nicht darum, historische Ausmaße, Kontexte und Folgen in ihrer Faktizität zu vergleichen, sondern um den Akt der gegenwärtigen öffentlichen Artikulation. Es geht darum, dass etwas sagbar wird und zwar öffentlich, also kollektiv mitteilbar. Letztlich zielt diese öffentliche Artikulation der Opfergeschichten auf die kollektive Anerkennung des Leidens. Durch die Bezugnahme auf andere Opfergeschichten kann die Artikulation gestärkt werden.

Mit „multidirectional“ meint Rothberg aber auch, die Verbindungen zwischen der Benennung gegenwärtig stattfindender Missetaten und historischer Verbrechen zu reflektieren. Dies veranschaulicht er, indem er die Gleichzeitigkeit der Entkolonialisierung mit dem Aufkommen einer öffentlichen Holocaust-Erinnerung in den Blick nimmt. Während der Eichmann-Prozess 1961 in Jerusalem stattfand und die öffentliche Artikulation der Geschichten von Holocaust-Überlebenden förderte, tobte in Algerien der Unabhängigkeitskrieg mit der französischen Kolonialmacht. Rothberg setzt sich mit verschiedenen Beispielen auseinander, die zu jener Zeit Folter, Staatsterror und Vernichtung in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg und während des Algerienkriegs behandeln. Die gerade stattfindende Gewalt und der Rassismus beeinflusste, insbesondere in Frankreich, die aufkommende öffentliche Erinnerung an vergangene extreme Gewalt und Ausgrenzung (Rothberg 2009:192).

Dass bei Rothberg die Entkolonialisierung im Zusammenhang mit der öffentlichen Thematisierung des Holocausts gedeutet wird, muss hier deswegen betont werden, weil etwa Aleida Assmann bereits in ihrer Auseinandersetzung mit Levy / Snayder 2007 vorgeschlagen hatte, die Holocaust-Erinnerung als ein Paradigma zu begreifen, auf welches sich andere Genozide und Traumata beziehen (Assmann 2007:14). Die umgekehrte Denkrichtung jedoch, also dass auch andere Verbrechen die Artikulation des Holocaust beeinflussen können, macht diesen Vorgang erst „multidirectional”.

Eine weitere Dimension der „Mehrseitigkeit“ von Erinnerungsprozessen unterfüttert Rothberg theoretisch, indem er sich auf Sigmund Freuds psychoanalytischen Begriff der „Deckerinnerung“ bezieht (Freud 1907). Freuds „Deckerinnerung“ beschreibt einen Vorgang, bei dem etwas Banales, Alltägliches im Detail erinnert wird und zwar um etwas Singuläres, Schwerwiegendes zu überdecken. Es geht darum, wie Erinnerung auch dazu verwendet werden kann, um etwas anderes zu verdrängen. Erinnern um zu vergessen, könnte man salopp formulieren.

Obwohl Rothberg kritisiert, dass Freuds Erkenntnisse aus der Individualpsychologie schwer auf Kollektive zu übertragen sind, gebraucht er „Deckerinnerung“, um auf die Mehrdeutigkeit von kollektiven Erinnerungsprozessen zu verweisen. Beispielsweise nennt er die weitreichende Beschäftigung mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust in den USA eine „Deckerinnerung“, welche die unangenehmen Erinnerungen an die Sklaverei und den Genozid an den eingeborenen Völkern abdämpfe (Rothberg 2009:195). Die englische Übersetzung von „Deckerinnerung“ als „screen memory“ weist aber über das bloße Überdecken und Filtern von Erinnerungen hinaus und schließt ein Projizieren und Raum-Geben mit ein.

Was bringt nun dieser Blick für das Gemeinsame verschiedener kollektiver Opfergeschichten?

Die Untersuchung der Verbindungen zwischen verschiedenen Opferartikulationen zeigt, dass es bei allen um die Erfahrung des Andersseins geht. Zweitens steht das Ringen um öffentliche Anerkennung der Anderen im Mittelpunkt. Drittens beschreibt Rothberg das Zeugnis-Ablegen als die wirkmächtigste Form um Gewalt aufzudecken. Der Umgang mit Differenz und die Beteiligung von marginalisierten Gruppen an dem, was öffentlich über die Vergangenheit eines Gemeinwesens verhandelt wird, sind folglich zwei Aspekte, die bei der Untersuchung von Erinnerungskultur aus transnationaler Perspektive eine wesentliche Rolle spielen.

Dabei besteht die Möglichkeit, dass sich Opfergeschichten und Opfergruppen gegenseitig unterstützen und nicht bekämpfen. So wurde die öffentliche Kundgebung zur Anerkennung des Genozids an den Armeniern am 24. April 2015 in Istanbul von Kurden, Griechen und Assyrern breit unterstützt. Und in Bosnien und Herzegowina hat beispielsweise die Opferorganisation “Izvor” aus Prijedor zum Gedenken an den armenischen Genozid aufgerufen. “If memory is as susceptible as any other human faculty to abuse […] this study seeks to emphasize how memory is at least as often a spur to unexpected acts of empathy and solidarity; indeed multidirectional memory is often the very grounds on which people construct and act upon visions of justice.” (Rothberg 2009:19)

Rothbergs französische Version von „multidirectional memory“ lautet „nœuds de mémoires“ (Rothberg, Sanyal and Silverman 2010). Darin klingen phonetisch Pierre Noras „lieux de mémoires“ an, ins Deutsche übersetzt hieße „nœuds de mémoires“ so viel wie „Erinnerungsknoten“ oder verflochtene Erinnerungen.

Meines Erachtens geht es aber um mehr als um Verflechtungen. Es geht darum, Erinnerungskultur anders zu verstehen. Denkt man europäische Geschichte von ihren Zivilisationsbrüchen aus, so sollte neben dem Holocaust auch dem Kolonialismus Aufmerksamkeit zuteilwerden. Rothbergs „Multidirectional Memory“ veranschaulicht, wie sich dann unser Verständnis von Erinnerungskultur verändert. Durch die Betonung des Zeugnis-Ablegens als wirkmächtigste Form der Artikulation erfahrener Gewalt rückt er ins Zentrum, dass in einem derart komplexen Kontext die individuelle Erinnerung mehr Gewicht erhält. Erst eine öffentliche Artikulation des Zeugnisses jedoch macht es kollektiv wirksam. So erfolgt eine Pluralisierung von Erinnerungskultur und ihre Privatisierung wird verhindert. Das Zusammenfügen der individuellen Geschichten zu einem Narrativ aber ist dann nicht mehr das Ziel, sondern das Ziel wird die Betrachtung ihrer gegenseitigen Bezüge, „multidirectional“ eben.

Literatur

Assmann, Aleida. 2007. “Europe: A Community of Memory?” German Historical Institute Bulletin:11–25.

Buruma, Ian. 1999. The Joys and Perils of Victimhood.

Freud, Sigmund. 1907. Zur Psychopathologie des Alltagslebens. Über Vergessen, Versprechen, Vergreifen, Aberglaube u. Irrtum, Berlin: Karger.

Jureit, Ulrike, and Christian Schneider, Hgs. 2010. Gefühlte Opfer. Illusionen der Vergangenheitsbewältigung, Stuttgart: Klett-Cotta.

Kantsteiner. 2002. “Finding Meaning in Memory. A Methodological Critique of Collective Memory Studies” History and Theory. 41:179–197.

Levy, Daniel and Natan Snayder. 2007. Erinnerung im globalen Zeitalter: der Holocaust. 3870 : Suhrkamp Globalisierung, Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Rothberg, Michael. 2009. Multidirectional Memory. Remembering the Holocaust in the Age of Decolonization, Stanford: Stanford University Press.

Rothberg, Michael, Debarati Sanyal, and Maxim Silverman, Hgs. 2010. Yale French studies, no. 118 & 119, Noeuds de mémoire. Multidirectional memory in postwar French and francophone culture, New Haven, Conn.: Yale University Press.

Schulze Wessel, Martin, and K. E. Franzen, Hgs. 2012. Schriften des Europäischen Netzwerks Erinnerung und Solidarität, Bd. 5, Opfernarrative. Konkurrenzen und Deutungskämpfe in Deutschland und im östlichen Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, München, Oldenbourg: Oldenbourg Verlag.

Quelle: http://erinnerung.hypotheses.org/55

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Der Hansetag von 1628 – ein Kölner Reisebericht, II

Was den politischen Kontext des Hansetags betrifft, haben wir bereits ausgeführt. Im Folgenden soll es nun um den Bericht der Kölner Gesandten selbst gehen. Auf das Thema Reisen in dieser Epoche sind wir schon einige Male gestoßen und haben die Risiken solcher Unternehmungen herausgestellt, etwa was die Reisen in die Niederlande betraf. Dies war Anfang 1628 nicht anders, und der Bericht atmet durchweg das Bewußtsein für die Gefährlichkeit der Mission. Gleich zu Beginn hält er fest, daß, „weil die Zeiten so gar unselig und gefährlich“, die beiden Gesandten von anderen Herren und Soldaten begleitet wurden. Von einer eigenen (schriftlichen) Salvaguardia ist hier nicht die Rede, doch kann man davon ausgehen, daß die Gesandten vom Kaiserhof, der auf die Kölner Teilnahme am Hansetag gedrängt hatte, auch entsprechende Dokumente erhalten hatten, die man im Falle eines Überfalls hätte vorzeigen können. Doch verließ man sich nicht darauf und brach selbst mit einem Gefolge, das eben auch Bewaffnete umfaßte, auf.

Wie angespannt die Lage war, zeigte sich dann im Münsterland, als die Kölner Reisegruppe zunächst nicht in ein Dorf gelassen wurde – die Bauernschaft schlug die Glocken an, offenbar in der Annahme, es handele sich um einen Trupp Militärs (was potentiell stets Unheil bedeutete). Einige Tage später erhielten die Kölner „ein neue Convoy“, wie es im Bericht hieß: Sie befanden sich nun in der Region, die von Truppen der Katholischen Liga kontrolliert wurde. Entsprechend wurde ihnen hier eine eigene (militärische) Begleitung mitgegeben. Dies verhinderte nicht, daß die Reisegruppe nur zwei Tage später auf „ziemlich trotzige Reiter“ traf. Es blieb aber wohl nur bei einer brenzligen Situation, die ohne Schaden vorüberging. Bei Bremervörde hielten die Reisenden dann an – die begleitenden „Convoyer“ waren übermüdet, und ohne sie trauten sich die Kölner nicht weiter „auch wegen starker Streiferei“ auf den Straßen.

Hier sahen die Reisenden allenthalben auch die Verwüstungen des Kriegs. Diese stellten nicht nur eine bedrückende Erfahrung dar, sondern machte auch das Fortkommen schwierig. Am Ende des Berichts verwiesen Wissius und Lyskirchen auf die Schwierigkeiten, Unterkunft zu finden, „weil fast alles abgebrannt“, sowie auf die „anderen vielen Ungelegenheiten“, mit denen man sich hatte arrangieren müssen.

Immerhin war den Kölnern nichts passiert. Die Gesandtschaft aus Wesel, die 1645 auch an der Nordseeküste unterwegs war, wurde damals von schwedischen Reitern aufgehalten, die Geld erpreßten. Auffällig ist allerdings die unterschiedliche Route: Die Weseler vermieden damals den Landweg nach Norddeutschland und fuhren über niederländisches Gebiet, erst bei Emden kamen sie wieder auf Reichsboden. Die Kölner im Jahr 1628 hielten den direkten Weg offenbar noch für kalkulierbar.

Entsprechend berichteten sie von all ihren Stationen. Dabei ging es nicht allein darum, die Route zu rekonstruieren. Vielmehr hielten die Gesandten genau fest, wie sie an bestimmten Orten aufgenommen wurden. Gleich in Dortmund wurde den Kölnern eine ehrenvolle Aufnahme zuteil: Sie erhielten vom Rat der Stadt Fisch und Wein, der Bürgermeister, der Syndicus und ein Secratarius statteten der Gesandtschaft einen Besuch ab. So gehörte sich das, denn auch Dortmund war Reichsstadt wie Köln, ja Dortmund war auch Mitglied der Hanse, in früheren Zeiten mal ein führendes Mitglied der westfälischen Hansestädte, doch irgendwann hatte Köln alle überrundet. Verbunden waren beide Städte auch durch ihre politische Ausrichtung, denn beide verfolgten einen Neutralitätskurs bei möglichst enger Anlehnung an den Kaiser – was Dortmund als lutherischer Reichsstadt schwerer fiel als Köln. Doch darum ging es hier nicht, wichtig war der diplomatische Umgang mit Gleichgestellten, und hier machte Dortmund alles richtig, wenn die Stadt komplementär zu Lyskirchen und Wissius auch ihren Bürgermeister und ihren Syndicus abordnete. (zu Dortmund ganz knapp die Geschichte der Stadt von 1994,hier S. 130 und S. 190-192)

Es ging in diesem Reisebericht vor allem um genau diese Begegnungen. Die Kölner Gesandten referierten, in welcher Art sie wo aufgenommen wurden – all dies zeigte, welches Prestige Köln im Reich besaß, welche Ehre man den Vertretern dieser Stadt zukommen ließ. Es ging also nicht primär um Serviceleistungen für die Gesandten, sondern die Ehre, die Lyskirchen und Wissius zuteil wurde, widerfuhr der Stadt Köln selbst. Genau deswegen verzeichneten sie auch penibel die Aufnahme in Hamburg – auch eine bedeutende Hansestadt, die politisch aber sicher nicht so kaiserfreundlich einzuschätzen war. Bei der Ankunft gab es „das ordinari Präsent und Congratulation“; später, als Ratsvertreter ihren Besuch machten, kamen noch „besondere(.) Wein Präsente(.)“ dazu. Schon zuvor wurde vermerkt, daß man in Bremen „gleich in vorigen Städten das ordentliche Präsent und Congratulation“ erhalten habe: Es ging also immer auch um Ehre, Reputation, Statuswahrung, auf die zu achten war.

Nicht minder bedeutsam war die Aufnahme bei Tilly, dem Kommandeur über die ligistischen Truppen. Er belagerte in diesen Monaten noch Stade (wovon der Bericht nichts sagt) und hatte deswegen sein Hauptquartier in Buxtehude. Tilly empfing die Kölner Gesandtschaft persönlich und hat sie bei der Tafel „honorifice tractieren lassen“. Dazu erklärte er sein Wohlgefallen, daß die Kölner die Mühen dieser Reihe auf sich genommen hätten. Er, Tilly, wolle „sine dolo solchs an gebührendem Ort aufs Beste rühmen“ – den ligistischen Generalleutnant hatten die Kölner also schon einmal für sich gewonnen, ein erster Erfolg der Reise. Allerdings riet Tilly den Gesandten auch stark dazu, „man sollte mit Eifer dasjenige befördern, was zu der Römischen Kaiserlichen Majestät Dienst und anderem allgemeinerem Nutzen vortraglichen sein könnte“. Dies war eine recht deutliche Mahnung an die Stadt Köln, den (aus kaiserlicher Sicht) Schlingerkurs der Neutralität aufzugeben. Hier zeigte sich dann doch, wie problematisch die Mission zum Hansetag immer noch war – und dies lag nicht allein an der Unsicherheit der Straßen.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/649

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Von Menschen und Monstern in der Rechtgeschichte

Zu den Missverständnissen, die einer “langen Geschichte” uneindeutiger Körper im Weg stehen, gehört die Vorstellung, dass Menschen mit untypischen Genitalien lange Zeit, wenn nicht gar immer, als “Monster” wahrgenommen worden seien. In der neueren Literatur gehen diese Vorstellungen oft auf Foucault zurück. Eine durchaus typische Formulierung dieser Position lautet z.B. so: Since ancient times intersexed bodies were literally constructed as mythical monsters and have been seen as such in the medical discourse until today. The enduring influence of the mythical and religious literary imagery […]

Quelle: http://intersex.hypotheses.org/255

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