24. Juli 1944, St. Petersburg. Ein Brief von Philipp Weinheimer

Edition eines undatierten Briefes von Philipp Weinheimer (1921-2006), der Ende des 2. Weltkrieges an der Front in St. Petersburg stationiert war. Im Brief blickte er auf den 24. Juli 1944 zurück, als ein russischer Angriff ihn schwer am Arm verwundete. … Continue reading

Quelle: http://ockenheim.hypotheses.org/204

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„Kein Platz an der Sonne“ – neue Perspektiven auf die deutsche Kolonialgeschichte

Während im 20. Jahrhundert eine Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte weitestgehend ausblieb, findet in den vergangenen Jahren nun – angestoßen unter anderem von der Initiative des Bündnis 90/Die Grünen zur Umbenennung des Kreuzberger Gröbenufers (benannt nach Otto von der Gröben, der im Auftrag des Großen Kurfürsten Stützpunkte und Sklaven in Westafrika sichergestellt hatte) in May-Ayim-Ufer, in Erinnerung an die 1996 verstorbene afrodeutsche Schriftstellerin in den vergangenen Jahren – eine verstärkte Auseinandersetzung mit dieser Facette des wilhelminischen Zeitalters statt.

In der Rezension „Afrikaner kamen bei Grzimek nicht vor“, die am 21. November 2013 in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurde, präsentiert der Globalhistoriker Sebastian Conrad den von Jürgen Zimmerer herausgegebenen Sammelband “Kein Platz an der Sonne”: Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte, der in einunddreißig Beiträgen Personen, Orte und Ereignisse vorstellt, „an denen die jeweilige Konjunktur kolonialer Themen in Deutschland gut nachvollzogen werden kann“.

Quelle: http://trafo.hypotheses.org/266

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Die Regierungspolitik des Königreiches Bayern gegenüber der Provisorischen Zentralgewalt von 1848/49: Forschungsprojekt Sabine Thielitz

 

Sabine Thielitz studierte seit dem Wintersemester 2005/06 an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt Deutsch, Geschichte und Sozialkunde für das Gymnasiallehramt. Im Winter 2011/12 legte sie in diesen Fächern das 1. Staatsexamen ab. Seit 2010 war sie am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte als studentische Hilfskraft und Tutorin tätig. Nach dem Abschluss ihres Studiums arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei dem DFG-Projekt „Edition der Akten der Provisorischen Zentralgewalt von 1848/49“. In diesem Rahmen beschäftigt sie sich mit der Regierungspolitik Bayerns gegenüber der Provisorischen Zentralgewalt. Darüber hinaus ist sie seit 2012 als Lehrbeauftragte für Neuere und Neueste Geschichte an der KU tätig.

Als die Provisorische Zentralgewalt im Juni 1848 per Gesetz durch das Frankfurter Parlament dazu berufen wurde, in dem staatsrechtlichen Interim der Revolutionszeit die Regierungsgeschäfte zu übernehmen und für den Vollzug der von der Nationalversammlung erlassenen Gesetze zu sorgen, stellte der für die Regierungstätigkeit notwendige Umgang mit den fürstlichen Partikulargewalten eine grundlegende Voraussetzung dar. Dieser Aspekt soll im Rahmen des Forschungsprojektes im Hinblick auf das Königreich Bayern genauer untersucht werden.

König Maximilian II. von BayernKönig Maximilian II. von Bayern. Photographie von Franz Hanfstaengl, ca. 1860

Ein Blick auf die vielfältige Forschungsliteratur zur Revolution 1848/49 verdeutlicht die Forschungsrelevanz des Themas. Bei der regional- und lokalgeschichtlichen Aufarbeitung der Revolutionsjahre zeigt sich ein starkes Süd-Nord- und West-Ost-Gefälle. Der Revolution in Baden und Württemberg wurde vergleichsweise verstärkte Aufmerksamkeit zuteil, während die Untersuchungen über andere Staaten und Regionen des Deutschen Bundes überschaubar sind1. Hinsichtlich der bayerischen Regierungspolitik liefern für diese Zeit wenige ältere Forschungen einen ersten Einblick2. Das Verhältnis der Münchner Regierung zu der Provisorischen Zentralgewalt wurde dabei nur peripher behandelt. Demnach liegt für diesen Themenkomplex bisher keine modernen wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Untersuchung vor. Das Forschungsprojekt versucht diese Forschungslücke zu schließen.

Mit der Politik des Königreiches Bayern wird das Vorgehen eines Bundesstaates untersucht, welcher sich besonders durch seine ablehnende Haltung in der Reichsverfassungsfrage auszeichnete und sich damit letztlich den revolutionären gesamtdeutschen Gewalten dezidiert und offen entgegenstellte. Es wird versucht, auf reziproker Basis, die Entwicklung der politischen Strategie der bayerischen Regierung gegenüber den revolutionären Institutionen von dem Ausbruch der Februarrevolution des Jahres 1848 in Frankreich bis zu dem Scheitern der Nationalversammlung und der Provisorischen Zentralgewalt im Jahre 1849 zu erhellen: In welchen Bereichen und unter welchen Umständen kooperierte Bayern mit den Frankfurter Institutionen und welchen Aspekten der Politik der Reichsregierung begegnete die bayerische Regierung mit Kritik und Ablehnung? Welche Motive und Ziele verfolgte die bayerische Staatsführung dabei mit ihrer jeweiligen Haltung und mit welchen Mitteln versuchte sie diese Ziele gegenüber der Provisorischen Zentralgewalt und der Paulskirchenversammlung durchzusetzen? Schließlich bleibt die Frage nach dem Erfolg der bayerischen Bemühungen und deren Folgen für das Scheitern der Revolution.

Neben der Erforschung des Verhältnisses der königlich-bayerischen Regierung zu den revolutionären Institutionen sollen auch die diplomatischen Beziehungen zu den anderen Bundesstaaten, vor allem zu den Königreichen Hannover, Sachsen und Württemberg sowie zu den Vormächten Österreich und Preußen, berücksichtigt werden. Dabei stehen besonders die Versuche Bayerns, in dieser revolutionären politischen Situation etwaige Bündnisse und Koalitionen im Sinne der eigenen Politik zu schließen, im Zentrum des Forschungsprozesses.

Das Forschungsvorhaben eröffnet neue Erkenntnisse im Hinblick auf die politischen Wechselbeziehungen der revolutionären gesamtdeutschen Institutionen in Frankfurt mit dem bayerischen Königreich. Den Einzelregierungen kam bei der etwaigen Umsetzung der auf der Gesamtreichsebene durch die Nationalversammlung beschlossenen und durch die Provisorische Zentralgewalt angeordneten Maßnahmen generell eine zentrale Funktion zu. Zudem war die Zentralgewalt in Frankfurt auf die Berichte aus den Einzelstaaten angewiesen, um die politische, wirtschaftliche und soziale Lage vor Ort beurteilen zu können. Daher stellten die bundesstaatlichen Exekutiven eine Schaltstelle zwischen National- und Regionalpolitik dar. Die Untersuchung der politischen Strategie der bayerischen Regierung gegenüber den Frankfurter gesamtdeutschen Institutionen und der Wahl der politischen Mittel zur Durchsetzung der einzelstaatlichen Interessen kann demnach wichtige Erkenntnisse hinsichtlich der Effektivität der Tätigkeit der Gesamtreichsregierung liefern. Auf diese Weise dient eine solche Untersuchung auch der differenzierteren Herausstellung möglicher Gründe für das Scheitern der Revolution von 1848/49. Zudem ist mit weiteren Einsichten in die Bündnispolitik des Königreiches Bayern sowohl zu den deutschen Vormächten Preußen und Österreich als auch zu den übrigen Mittelstaaten zu rechnen.

Im ersten Jahr des Forschungsvorhabens stand zunächst die Erfassung der für die bayerische Regierungspolitik relevanten Quellensammlungen und der Darstellungsliteratur im Vordergrund. Zudem erfolgte die Recherche der privaten und offiziellen Aufzeichnungen der maßgeblichen politischen Akteure. Dabei standen besonders die bayerischen Bevollmächtigten bei der Provisorischen Zentralgewalt sowie die bayerischen Außenminister und Monarchen dieser Zeit im Fokus des Interesses. Derzeit nimmt die Recherche und Aufarbeitung der in München lagernden Gesandtenberichte und Ministerialakten der königlich-bayerischen Regierung breiten Raum ein.

 

  1. An diesem von Rüdiger Hachtmann Ende der 1990er Jahre festgestellten Befund hat sich bis heute kaum etwas geändert: HACHTMANN, Rüdiger: 150 Jahre Revolution von 1848: Festschriften und Forschungserträge, in: Archiv für Sozialgeschichte 39 (1999) 447–493; 40 (2000) 337–401, hier Bd. 39, 465.
  2. DOEBERL, Michael: Bayern und Deutschland, Bd. 1: Bayern und die Deutsche Frage in der Epoche des Frankfurter Parlaments, München – Berlin 1922; DEUERLEIN, Ernst: Bayern in der Paulskirche. Reden und Tätigkeiten der bayerischen Abgeordneten in der ersten Deutschen Nationalversammlung 1848/49, Altötting 1948.

 

 

Quelle: http://achtundvierzig.hypotheses.org/340

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Ein Lernkonzept und seine Früchte

Heute mal ein wenig Off-Topic: Mit den Kindern der Aktiven Schule Petershausen habe ich für den Malwettbewerb der Deutschen Kinderhilfe gearbeitet. Das Thema lautete: “Für alle Kinder wünsche ich mir…”. Die Schülerinnen und Schüler waren mit Begeisterung dabei und ich konnte mehrere Bilder hinschicken. Dies hier war mein persönlicher Favorit:

Malwettbewerb

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Bild entstand in Gemeinschaftsarbeit zweier Schülerinnen, Yannika (9 Jahre) und Lili (10) Jahre. Ihre Idee war folgende: Im Frühling trägt der Baum Blüten, im Sommer wachsen darauf verschiedene Früchte, die man essen kann. Im Herbst bestehen die Blätter aus Geldscheinen, für die man etwas kaufen kann und im Winter wächst darauf warme Kleidung.

Ich selbst war von dieser Bildidee ganz begeistert. Leider ist die Abstimmung auf der Facebook-Seite der Deutschen Kinderhilfe schon vorbei.  Aber trotzdem wollte ich es mit diesem Artikel herausheben, denn ich habe mich aus mehreren Gründen über das Bild gefreut:

  • Die beiden Kinder haben absolut selbständig gearbeitet. Zu Beginn der Stunde fragten sie mich nach dem Thema, fragten, ob sie in einen anderen Raum gehen könnten und verschwanden mit Papier und Stiften. Am Ende der Stunde überreichen sie mir ihr Blatt.
  • Sie haben zusammen gezeichnet. Partnerarbeit ist in dieser Schule üblich. Dass die Kinder dies aber von sich aus auch in einer zeichnerischen Arbeit praktizieren ist nicht selbstverständlich. Vielleicht trug auch die Übung des dialogischen Zeichnens, die wir vor einiger Zeit im Malunterricht gemacht haben, dazu bei.
  • Die selbständige Entwicklung dieser schönen Bildidee hängt ebenfalls mit der Gemeinschaftsarbeit zusammen. “Vier Gehirnhälften wissen mehr als zwei”, pflegte ein Lehrer von mir zu sagen.
  • Die Kinder berücksichtigten die malerischen Hinweise, die ich ihnen gebe, wenn ich sage, dass sie kein Weiß stehen lassen sollen. Sogar auf dieser kleinen Din-A-4 Seite (das Format war vorgegeben) haben sie das beherzigt.

Das Verhalten und das Arbeitsergebnis der beiden Schülerinnen sprechen für das Lernkonzept dieser Schule. So macht Schule Spaß – den Schülern und den Lehrern!

 

 

Quelle: http://games.hypotheses.org/1370

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Massive Open Online Courses

Bisher habe ich oft auf aktuelle Berichterstattung reagiert; heute möchte ich eher auf Kommentare eingehen, die ich zum Artikel “Der Online-Angriff auf den Unterricht” von Frank Kelleter (FAZ) gefunden habe. Kelleter selbst kritisiert vor allem die universitären Aktivitäten, die sich in Zielvereinbarungen, Optimierungskonzepten, Entwicklungsplänen verstecken, den akademischen Servicemarkt, der sich um diese Prozesseherum gebildet hat, und die Absurdität, dass gerade engagierte Hochschulangehörige sich bis zur Grenze der gesundheitlichen Zumutbarkeit in solchen absurden Prozessen aufreiben müssen. Insbesondere den letzten Punkt kann ich nachvollziehen, auch wenn ich lange nicht alles für absurd halte.

Er warnt dann aber auch vor MOOCs, den Massive Open Online Courses, die seit einiger Zeit durch die Online-Zeitschriften geistern. Meinem Eindruck nach – und vielleicht täusche ich mich – sind MOOCs eher ein Medienphänomen als eine real relevante Erscheinung. Mir ist nicht bekannt, dass bisher auch nur ein einziger Studiengang in Deutschland in erheblicher Weise durch MOOCs ausgestaltet ist.

Genau an diesem Punkt setzen aber die Kritiker des Artikels ein. So klagt ein Leser: “Die Universität war schon immer eine elitärere Institution, was in Deutschland noch immer sinnlos künstlich aufrecht erhalten wird mit Numerus Clausus und der Bafög-Schulden-Keule. Das widerspricht allein schon der Herkunft des Wortes ‘Universität’.” Universität meint aber nicht “für alle” im Sinne von universal oder Ähnliches, sondern nur die Gemienschaft von Lehrenden und Lernenden (ein Aspekt, den zu betonen heute sicher viel wichtiger wäre als viele andere, nur zum Teil “Bologna” geschuldete Fragen). Es ist eben nicht möglich, durch MOOCs Lehrende für Forschung freizustellen; das verbieten nicht nur die Deputatsverordnungen der Länder, sondern auch der gesunde Hochschulverstand, der in der Verbindung von Forschung und Lehre auch den Kern von Hochschule als besonderem Ort von Wissensgenerierung und -vermittlung sieht. Diese Wissensvermittlung steht allen frei, die die entsprechenden Voraussetzungen mitbringen; wer diese Voraussetzungen erfüllt, kann in Deutschland fast allerorten kostenfrei studieren, etwas, was die MOOC’s bisher nur versprechen, aber wohl kaum halten werden (wenn man das ökonomische Interesse hinter diesen Projekten berücksichtigt).

Dass die Universitäten sich dabei nicht hinter die eigenen Mauern zurückziehen, ist wohl selbstverständlich. Die Mainzer Historiker/innen, für die ich arbeite, haben sich in den letzten Jahren an vielfältigen Formaten der Universität beteiligt, in denen universitäre Wissenschaft in die Öffentlichkeit der Stadt Mainz und des Landes getragen wird.

Ein anderer Leser raunt: “Sicher, die Beamten-Uni muß sich bedroht fühlen. Unis, deren Studenten zu 1/3 nie einen Abschluß machen, deren Professoren maximal 12 Stunden wöchentlich im Hörsaal stehen, deren Lehrpläne keinen Bezug zur Arbeitsrealität haben. Unis, die vornehmlich die eigene Eitelkeit polieren und in Deutschland inzwischen über 16.000 (!) unterschiedliche Studiengänge anbieten – und jedes Jahr kommen fast 500 neue zum Wohle der Professoren dazu.” Auch hier überrascht die Wahrnehmung der Universität. Dass 1/3 der Studierenden eines Faches den Abschluss nicht machen, ist nicht weit von der Wirklichkeit entfernt, aber erstens kein Problem der Präsenzlehre und zweitens nicht wirklich schlimm; manches muss man eben ausprobieren, um herauszufinden, ob es auch der eigene Weg ist. Professoren, die im oben angesprochenen Sinne Forschung und Lehre verbinden sollen und möchten, sollten tatsächlich nicht 12 Stunden im Hörsaal stehen; wer auch nur eine ungefähre Vorstellung von den Zeiten für Vor- und Nachbereitung seriöser universitärer Lehre hat, wird wissen, dass die Woche dann allein mit Lehre schon fast ausgefüllt wäre. Und dass die Universität nicht 100% passgenau auf Berufe hin ausbildet – das ist ja gerade der Witz universitärer Bildung. Erst das erlaubt es, aus dem universitären Studium heraus in die unterschiedlichsten Berufsfelder mit Entscheidungsbefugnis, Leitungsfunktion oder Führungsaufgaben zu wechseln. Alles andere ist Berufsausbildung – genauso ehrenwert, aber eben anders.

Und ein letzter Gedanke: Ein Leser fordert, die Debatte “eine Nummer kleiner” zu führen, um dann doch e-Vorlesungen zu fordern: “Wenn Universitäten ihre ganz alltäglichen Vorlesungen einfach zum Nachhören ins Netz stellen, stellen sie mit geringstem zusätzlichen Aufwand eine ohnehin getätigte öffentlichen Bildungsleistung einem breiteren Publikum zur Verfügung. Hilfreich für die Studenten, wenn sie mal was verpasst haben. Eine Möglichkeit für Schüler, sich ein Bild zu machen, was in einem Studium auf sie zukommt. Und eine Gelegenheit für alle anderen, sich einfach aus Interesse akademisch in dem Fach weiterzubilden, das sie interessiert. Alles kein großes Ding. Aber nützlich, interessant und höchst demokratisch.” Das klingt pragmatisch, sympathisch, nicht überambitioniert. Wer aber ene konkrete Universität in den Blick nimmt, an der Woche für Woche eine drei- oder vierstellige Zahl von Vorlesungen gehalten wird, wird vielleicht eine Ahnung vom Kostenaufwand haben, den das bedeuten würde: an Material, aber auch an Personal. Die Kosten wären immens und müssten an anderer Stelle eingespart werden. Es würde mich interessieren, wo da noch gespart werden könnte; die Grundausstattung der Universitäten in ganz Deutschland ist in den letzten Jahren schon massiv heruntergefahren worden. Demokratisierung gerne, auch Öffentlichkeit und Transparenz – aber nicht für jede Vorlesung, die ihre Bedeutung zunächst einmal innerhalb eines Studiengangs und damit innerhalb eines bestimmten Programms entfaltet, das nur als Ganzes jenen Kompetenzerwerb und die Ausprägung einer soliden Fachlichkeit ermöglicht, die das eigentliche Ziel auch der Vorlesung sind.

Auf die Diskussion hierüber freue ich mich schon …

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/152

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Archive und Twitter – einige selbstreflektive Gedanken

Ich muss bekennen: Meine eigene Aktivität auf Twitter ist noch recht jung. Lange habe ich geglaubt, 140 Zeichen dürften nicht annähernd ausreichen, um irgendeine Kommunikation zu führen, die auch nur ansatzweise fachlichen Standards genügen kann. Mit Facebook und einer Teil-Aktivität hier auf Archive 2.0 sah ich mich gut in den Sozialen Medien vertreten. Das war natürlich ein großer Irrtum. Eigentlich hätte ich es bereits bei der Offene-Archive-Tagung in Speyer ahnen müssen, der sich auch die Existenz dieses Blogs hier verdankt. Aber gut, damals war ich wohl irgendwie ein wenig schwer von Begriff. Jedenfalls war der Deutsche Archivtag 2013 für mich dann der Anlass, dieses Medium einmal näher auszuprobieren, insbesondere weil es mittlerweile mindestens eine gute Anleitung zum Twittern in der Wissenschaft im Netz gibt und gerade das Tagungstwittern nach spannendem Neuland klang. Und siehe da: Es hat nicht nur Spaß gemacht, sondern hat auch zum Entdecken einer völlig neuen Informationsebene und zum Kennenlernen vieler interessanter Leute geführt, deren Gedanken und Hinweise ich nicht mehr missen möchte. Und wir reden hier jetzt – um allen Kritikern zu begegnen – nicht vom morgendlichen Frühstück oder der abendlichen Partygestaltung, sondern von archivischen und geschichtswissenschaftlichen Fachinformationen. (Wie wenig „Spaß“ damit zwangsläufig verbunden sein muss, hat die ungemein intensive Nacherzählung der Pogromnacht unter @9nov38 gerade erst gezeigt.)

Tagungstwittern also, das war der Anfang. In Saarbrücken beim Deutschen Archivtag war so etwas noch nicht wirklich angekommen, auch wenn es doch eine kleine Gruppe von Kolleginnen und Kollegen gab, die munter die Vorträge dokumentierten und kommentierten. (Ungeachtet der seltsamen Blicke in der Zuhörerschaft ob des vermeintlichen Herumspielens mit dem Handy.)

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Auch wurde jüngst von der Bundeskonferenz der Kommunalarchive getwittert, ebenfalls sehr löblich, auch wenn ich mir hier doch mehr als die wenigen versprengten Tweets gewünscht hätte. (Ja, da draußen lesen tatsächlich Leute mit, also gebt uns Informationen!)

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Vor diesem Hintergrund bleiben einem auf Twitter auch andere Tagungen nicht verborgen, die man nicht direkt im Blick hat, vielleicht weil es um historische Fragen geht, die einen allenfalls mittelbar interessieren, vielleicht weil es auch um Nachbarwissenschaften geht, die man nur mit halben Augen (wenn überhaupt) verfolgt. Schon bei kleinen Gruppen von Leuten, denen man auf Twitter folgt, kommt man aber recht schnell in Berührung mit solchen Themen, vielleicht weil die Leute, denen man folgt, selbst vor Ort sind, vielleicht weil sie entsprechende Vorträge kommentieren. Dabei bin ich auch in der kurzen Zeit, die ich auf Twitter dabei bin, auf zwei (nicht-archivische) Tagungen gestoßen, bei denen ich mich unweigerlich folgendes fragen musste:

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Vielleicht war das etwas hart formuliert, aber wenn man das dortige Aufeinanderprallen von Archivaren und Nicht-Archivaren schmerzhaft direkt verfolgen konnte, dann möglicherweise doch verständlich. Das erste waren die EDV-Tage in Theuern, die mir bis dato überhaupt nicht bekannt waren, aber mein Interesse auf sich gezogen hatten, weil dort – neben zahlreichen Vortragenden aus Bibliotheken und Museen – ein Archivarskollege über den Einsatz von sozialen Medien vortragen sollte: „Allheilmittel Web 2.0 und Social Media?“ lautete der fragende Titel, der mich gerade auch vor dem Hintergrund des eigenen archivischen Facebook-Auftritts sehr reizte. Nach mehreren Vorträgen über die Bedeutung und Rolle von sozialen Medien für Kultureinrichtungen folgte hiermit dann allerdings ein rigoroses Gegenprogramm – man hätte es am Untertitel schon ablesen können („Kritische Nachfragen zum Einsatz in Gedächtnisinstitutionen“):

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Da blieb nur ungläubiges Staunen über kuriose Vorschläge…

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… oder Sarkasmus…

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… oder der nicht unberechtigte Vorschlag, es doch gleich zu lassen:

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Ein bedauerlicher Einzelfall? Scheinbar nicht, wie dann jüngst bei einer Tagung zum Gedenkbuch zu Münchner NS-Euthanasie-Opfern erahnbar wurde. Auch hier stieß archivischer Konservativismus manchem Teilnehmer bitter auf:

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Bei solchen Reaktionen bleiben manche Fragen: Haben Archive eigentlich derartig andere Rahmenbedingungen als Bibliotheken, Museen oder andere Kultureinrichtungen, dass sie sich solchermaßen zurückhaltend im Bereich der sozialen Medien zeigen müssen? Ist diese Abstinenz überhaupt von Interesse, weil der Adressatenkreis vielleicht nur aus ein paar vernetzten Hipstern und Nerds besteht, die breite Nutzerklientel aber überhaupt nicht erreicht? Und: Wissen wir Archivarinnen und Archivare eigentlich, wie wir uns nach außen präsentieren (und altbekannte Klischeebilder wiederbeleben)?

Für mich (und wahrscheinlich für die allermeisten, die dieses Blog hier lesen) sind diese Fragen rein rhetorischer Natur. Klar kennen wir Archivarinnen und Archivare Schutzfristen und müssen sie beachten, klar müssen wir ressourcenschonend arbeiten und nicht jedem neuen Hype hinterherlaufen und klar muss uns unser Standing in der Öffentlichkeit interessieren. Aber das Bild, das wir offenbar – zumindest mancherorts – abgeben, scheint nicht besonders schmeichelhaft. Vielleicht wäre das früher gar nicht sonderlich aufgefallen, aber dieser neue riesige Informationsraum, den soziale Medien schaffen, sorgt für eine neue Offenheit und einen neuen Informationsfluss. Gut so. Wenn die potentiellen Nutzer und auch Partner(-institutionen) von Archiven uns derartig hart angehen, dann sollte uns das zu denken geben. Facebook und Twitter sind auch wunderbare Evaluationstools, die uns verraten, was man von uns hält und wie man sich uns wünscht. Man muss vielleicht nicht alles erfüllen, was an uns herangetragen wird, aber letztlich müssen die Nutzer der zentrale Maßstab für unsere Arbeit sein. Hören wir auf Sie!

Ach ja, dafür muss man natürlich in den sozialen Medien vertreten sein. Also: mehr Archive rein in Facebook, auf Twitter, wohin auch immer. Unsere Nutzer haben uns dort etwas zu sagen!

 

Quelle: http://archive20.hypotheses.org/993

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Fachforum Online-Moderation – Netzgestützte Lernbegleitung in der Hochschullehre

Am 22.11.2013 findet an der Fachhochschule Frankfurt am Main das nächste Fachforum des Kompetenznetz E-Learning Hessen statt. Thema des Fachforums ist “Online-Moderation – Netzgestützte Lernbegleitung in der Hochschullehre”. Dabei wird es vor allem um die hohen Ansprüche von onlinegestützten Lehrveranstaltungen an Hochschulen hinsichtlich der Betreuung und Lernprozessbegleitung gehen. Die ansprechende Gestaltung des virtuellen Kursraumes und wie genau Inhalte online bereitgestellt werden sollten, sind gleichermaßen Thema. Zudem wird es Einblicke in Methoden zur Lerneraktivierung und die Möglichkeiten zur Lernermotivation geben. In dem Fachforum wird in verschiedene […]

Quelle: http://medienbildung.hypotheses.org/3541

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Virtuelle Bibliothek der Kartause Gaming geplant

Die virtuelle Bibliothek der Kartause Gaming. Digitale Rekonstruktion des Bibliotheksbestandes der ehemaligen Kartause Gaming in Niederösterreich   “Gegenstand des Projektes ist die digitale Rekonstruktion der Bibliothek der Kartause Gaming in Niederösterreich, insbesondere des Handschriftenbestandes. Die seit dem Spätmittelalter historisch und theologisch bedeutende, in der Folge auf 20.000 Bände angewachsene Bibliothek wurde mit der Aufhebung des Klosters 1782 verstreut. Auf der Basis einer Datenbank sollen die teils bekannten, teils verschollenen und teils verlorenen Handschriften eruiert und virtuell zusammengeführt werden.” http://www.onb.ac.at/sammlungen/hschrift/handschriften_projekte.htm Zu anderen solchen virtuellen Bibliotheken: […]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/6333

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Prag, den 19. November 1627: Ferdinand II. an Tilly

Es ist der 19. November des Jahres 1627, Kaiser Ferdinand II. wendet sich an den Feldherrn Tilly und weist ihn auf Nachrichten hin, denenzufolge die Holländer „dem König in Dennemarckh vnaussezlich haimblich vnd offentliche hülff vnd beÿstandt laisten, sonderlich aber nicht geringe anzahl kriegsuolckh (…) vndter dem Schein dennemarkchischer Kriegsdiennste, Jenseits der Weeser auf vnßerm vnd des Reichs boden vndterhalten, vnd dardurch vnnßer vnd des gemainen Vatterlandts hochnotwendige Kriegsübungen zuuerhündern (…) sich bemüehen thuen.“ Der Kaiser fordert den Generalleutnant daher auf, daß er sich, „weillen du [= Tilly] dich der zeit mit deinem vndterhabenden Kriegsuolckh in selbiger gegend befündest“, mit seinen Truppen nach Ostfriesland begibt und dort die wichtigsten strategischen Punkte besetzt. Dies mache die Not des Vaterlands nötig.

Die Sache erscheint sonnenklar: Dem Reich drohte Gefahr durch die militärische Einmischung seitens der Generalstaaten, dementsprechend sollte Tilly einschreiten und Schlimmeres verhindern. Allerdings war die Sachlage durchaus komplizierter. Denn daß der Kaiser direkt an Tilly Befehle erteilte, sah Maximilian von Bayern nicht gern. Tilly war sein Generalleutnant, er stand zunächst in bayerischen Diensten und befehligte hier die Armee der Katholischen Liga, die Maximilian als Haupt der Liga dem Kaiser zur Verfügung stellte. Tilly kämpfte damit durchaus für kaiserliche Belange, nur sah es der bayerische Kurfürst lieber, wenn Wien erst einmal bei ihm nachfragte und nicht direkt an den Kommandeur im Feld schrieb.

Abgesehen von der Frage nach dem korrekten Dienstweg gab es aber auch politische Divergenzen. Die kaiserliche Politik beargwöhnte schon seit Jahren die Generalstaaten und war daher willens, den Krieg auf die Niederlande auszudehnen – nicht zuletzt auch, weil es den spanischen Habsburgern gut ins Konzept gepaßt hätte. Doch Maximilian hielt von einer solchen Ausweitung des Kriegs überhaupt nichts: Einen Angriff auf die Generalstaaten lehnte er rundweg ab und wußte dabei auch die anderen in der Liga organisierten katholischen Reichsstände hinter sich. Die Liga wollte sich auf keinen Fall in einem Krieg verschleißen, der vor allem – zumindest stand dieser Verdacht im Raum – vor allem den habsburgischen Interessen diente; lieber nahm man einige politische und militärische Nachteile in Kauf.

Dabei sprach militärisch einiges für diese Option. Nicht zuletzt Tilly selbst leuchtete dieser Schritt sehr ein. Maximilian wußte von der Einstellung seines Feldherrn und wird sich eben genau deswegen sehr über die kaiserliche Initiative geärgert haben, direkt den Generalleutnant der Liga für diesen Schritt angegangen zu haben. Auch der Kaiser wußte, was er mit seinem Schreiben an Tilly tat. Und so ist diese Aufforderung Ferdinands ein Indiz für die immer stärker werdenden Spannungen innerhalb des kaiserlich-katholischen Lagers. Kaiser und Liga kämpften gegen gemeinsame Feinde, doch der wachsende Erfolg ließ eben auch die Differenzen zwischen München und Wien immer deutlicher zutagetreten.

Der Brief ist in Kopie überliefert im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München, Kasten schwarz 13467 fol. 67-67′, eine Kurzparaphrase findet sich auch in: Die Politik Maximilians I. von Bayern und seiner Verbündeten 1618-1651. 2. Teil, 3. Band: 1626–1627, bearb. v. Walter Goetz (Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, Neue Folge), Leipzig 1942, Nr. 481.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/351

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Attribution

Nicht nur Wissenschaftler wollen die Welt verstehen. Jeder Mensch denkt mit und nach, stellt über einzelne Ereignisse hinausgehende Zusammenhänge her, gibt dem Konkreten einen Platz in einem größeren Kontext. Und das funktioniert meistens auch so gut, dass wir es bis ins Jahr 2013 geschafft haben und uns nicht auf der Basis eines falschen Verständnisses von Gravitation aus dem Fenster unseres Zahnarztes im 4. Stock geschwungen haben. Unsere Köpfe stecken voller Modelle/Theorien/Annahmen/Überzeugungen, mit denen wir uns erklären, was um uns herum und in uns drin geschieht und die unsere Interaktionen mit der Umgebung steuern. Psychologen untersuchen sowohl das Zustandekommen von Ursachenzuschreibungen (=Attributionen) als auch die Folgen, die diese ursächlichen Erklärungen nach sich ziehen. Wenn ich in der Bahn angerempelt werde, ist es für mein weiteres Handeln entscheidend, ob ich dieses Ereignis auf eine böswillige Absicht oder auf ein Versehen zurückführe.

Wer nicht fragt, bleibt zwar dumm, aber im Alltag rennen wir trotzdem nicht die ganze Zeit ‘Wieso? Weshalb? Warum?’ fragend durch die Gegend. Das liegt daran, dass wir viele dieser Fragen in der Vergangenheit schon einmal gestellt und beantwortet haben, so dass wir heute nur dann bewusst auf Ursachensuche gehen, wenn etwas unseren Erwartungen Widersprechendes geschieht. Wir fallen nicht schockiert vom Stuhl, wenn am Abend das Tageslicht versiegt, weil dieses Phänomen ganz wunderbar in unser Modell von einem normalen Tagesablauf passt. Andererseits kostet es beim Sommerurlaub in Island schon erstmal ein bisschen Kraft und Schlaf, die Verwirrung über die um zwei Uhr nachts aufgehende Sonne abzuschütteln. Und wenn es etwas gibt, das im Alltag noch regelmäßiger unseren Erwartungen zuwiderläuft als Naturereignisse, dann sind das andere Menschen. Wir erkunden die kausalen Zusammenhänge, wenn Geschehnisse unser Selbstbild, unsere Weltsicht oder den Umgang mit unseren Mitmenschen in Frage stellen.

Drei Informationsdimensionen

Wie laufen diese Attribuierungsprozesse, diese Erkundungen kausaler Zusammenhänge ab?

Nehmen wir an, ich treffe zum ersten Mal die Eltern meiner Freundin und ihr Vater wirkt zeitweilig mürrisch und abweisend, während ich mich mit ihm unterhalte. Ich bin verunsichert. Mag er mich nicht? Ist das einfach seine Art? Hat er einen schlechten Tag? Schmeckt ihm das Essen nicht? Interpretiere ich zu viel in sein Verhalten hinein? Um diese für die Beziehungsgestaltung wichtigen Fragen zu beantworten, sammle ich weitere Informationen: Ich beobachte, wie er sich seiner Frau und seiner Tochter gegenüber verhält. Ich frage ihn, ob ihm das Essen schmeckt. Ich frage meine Freundin, ob sie meine Interpretationen teilt. Bei unserem zweiten Treffen achte ich darauf, ob er weniger mürrisch wirkt als beim ersten.

Psychologen benutzen drei Fachbegriffe, um diese beispielhaft dargestellten Informationsdimensionen zu beschreiben, die jeder Mensch oft in sozial mehrdeutigen Situationen einholt. Konsensus-Informationen bekomme ich, indem ich meine Freundin frage, ob sie ihren Vater auch als abweisend wahrnimmt. Ich gleiche meine Sicht der Dinge mit der anderer Personen ab. ‘Geht es Dir auch so?’ ist die prototypische Frage. Distinktheits-Informationen bekomme ich, indem ich den Vater im Umgang mit seiner Tochter und seiner Frau beobachte. Ich gucke, inwiefern sein Verhalten sich in Abhängigkeit des Menschen ändert, mit dem er interagiert. Dabei wird es umso interessanter, je unterschiedlicher die Interaktionspartner sind. Am erhellendsten wäre es für mich, ihn mit einem Arbeitskollegen, einem Bettler, seiner Frau, seiner Geliebten, einem Spiegel, Gott, seinen Eltern und mit einem chinesischen Einsiedler reden zu sehen. ‘Wie abhängig ist das Phänomen vom Interaktionsobjekt?’ könnte die prototypische Frage sein. Konsistenz-Informationen bekomme ich, indem ich den Mann ein zweites, drittes und siebtes Mal treffe. Ich nehme Veränderungen über die Zeit in seinem Verhalten wahr. ‘Wie tagesformabhängig ist das Phänomen?’ lautet die prototypische Frage.

Vier Attributionsdimensionen

Je mehr und je bessere Informationen bezüglich Distinktheit, Konsistenz und Konsensus ich einhole, umso genauer kann ich attribuieren. Am Ende des Prozesses können völlig unterschiedliche Ursachenzuschreibungen und ebenso unterschiedliche Schlussfolgerungen für mein eigenes Handeln stehen. Spielen wir mit dem Schwiegervaterbeispiel mal ein paar mögliche Muster durch:

Version 1 Meine Freundin erlebt ihren Vater überhaupt nicht als mürrisch und abweisend mir gegenüber, sondern als warmherzig und offen. Ich bemerke, dass er einige seiner mürrischen Verhaltensweisen auch im Umgang mit seiner Frau zeigt. Und bei unseren folgenden Treffen verhält er sich wieder genauso wie bei unserer ersten Begegnung. Ich schließe, dass dieser Mensch einfach so ist, dass er es nicht böse mit mir meint und ich stelle mich auf sein Freundlichkeitsniveau ein, so gut es geht.
Version 2 Meine Freundin teilt meine Wahrnehmung und wundert sich besonders, weil ihr Vater sich mit ihrem Ex-Freund immer so gut verstanden hat. Zu seiner Frau ist er ausgesprochen liebreizend. Und bei unseren folgenden Treffen verhält er sich wieder genauso wie bei unserer ersten Begegnung. Ich schließe, dass dieser Mensch mich einfach nicht mag und versuche, ihn für mich zu gewinnen, solange ich die Energie dafür habe und spreche mit meiner Freundin darüber, wie wir mit diesem angespannten Verhältnis zusammen umgehen wollen.
Version 3 Meine Freundin nimmt ihren Vater auch als mürrisch und leicht abweisend wahr. Ich bemerke, dass er einige seiner mürrischen Verhaltensweisen auch im Umgang mit seiner Frau zeigt. Und bei unserem zweiten Treffen ist er die Warmherzigkeit in Person und überschüttet alle Anwesenden inklusive mir mit seiner überschäumenden Liebe. Ich schließe, dass dieser Mensch starke Stimmungsschwankungen hat und stelle mich innerlich darauf ein, mir ein etwas dickeres Fell in Bezug auf ihn zuzulegen.

Auch Attribuierungsergebnisse ordnen Psychologen auf Dimensionen. Ich kann internal, auf in der Person liegende Faktoren oder external, auf situationale Faktoren attribuieren. Ich kann Phänomene auf eine über die Zeit stabile oder auf eine variable Ursache zurückführen. Ich kann auf eine für mich kontrollierbare oder unkontrollierbare Ursache attribuieren. Und ich kann einschätzen, inwieweit eine Ursache auch in mehr oder weniger ähnlichen Situationen wirksam ist, wie global bzw. lokal sie ist. In einer dicken Depression attribuieren Menschen schöne Ereignisse z. B. gerne external, variabel, unkontrollierbar und lokal, während sie für unschöne Ereignisse ein internales, stabiles, unkontrollierbares und globales Muster wählen. Das heißt, wenn sie auf der Straße spontan angelächelt werden, sagen sie sich, dass das auf keinen Fall an ihnen liegen kann, dass es morgen bestimmt nicht noch einmal vorkommt, dass die Ursache für das Lächeln außerhalb des Bereiches ihrer Kontrolle liegt und dass die Situation derart einzigartig war, dass sowas in anderen Situationen nicht wieder passieren wird. Und wenn sie auf der Straße spontan beleidigt werden, sagen sie sich, dass sie einfach ein fantastisch beleidigbares Gesicht haben, mit dem sie weiterhin leben müssen und das sie nicht ändern können, weil sie nun mal so geboren sind, und dass sie darunter bei jeder Begegnung mit anderen Menschen und Spiegeln leiden.

Attributionsfehler

Im Alltag gehen Attribuierungen nicht derart strukturiert von statten; ich arbeite mich nicht erst durch die Konsensus-, Distinktheits- und  Konsistenzinformationen hindurch, um am Ende ein inneres Statement abgeben zu können à la: “Unter Berücksichtigung aller vorhandenen Informationen entscheide ich mich dazu, das abweisende und mürrische Verhalten meines Schwiegervaters mir gegenüber internal, variabel, unkontrollierbar und global (Version 3) zu attribuieren.” Es ist jedoch beachtlich, wie sehr der intuitive Attribuierungsprozess dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnungsprozess ähnelt: Am Anfang steht eine Beobachtung, der einige Vermutungen folgen, die diese Beobachtung erklären könnten, und schließlich suche ich triftige Hinweise für und wider die verschiedenen Erklärungsalternativen. Dieser Vorgang kann in einsamer Reflexion oder auch im Gespräch stattfinden und er führt nicht zu finalen Weisheiten, sondern zu Übergangsergebnissen, die ggf. auf der Basis neuer Erfahrungen revidiert werden. Wegen dieser Ähnlichkeit des alltäglichen und des wissenschaftlichen Vorgehens sprechen Psychologen gerne von ‘Alltagspsychologie’ oder von ‘naiver Wissenschaft’. Und dann verbringen sie viel Zeit damit, die psychologischen Alltagsüberzeugungen tatsächlichen sozialwissenschaftlichen Befunden gegenüberzustellen. So tun sich Bereiche auf, in denen die im Großen und Ganzen gut geölte Erklärungsfindungsmaschine in unseren Köpfen von einer intersubjektiv teilbaren Realität abweicht und ihren eigenen Film schiebt.

Zum Beispiel tendieren Menschen dazu, den Einfluss von Persönlichkeitseigenschaften zu überschätzen, wenn sie andere Menschen beobachten. Wer einmal nicht ganz die Wahrheit sagt, ist ein Lügner. Wer mich in der Bahn anrempelt, ist entweder ein Tölpel oder ein Flegel. Und wer barfuß durch die Stadt geht, muss ein Hallodri sein. Das geht sogar so weit, dass selbst dann noch internal attribuiert wird, wenn der Persönlichkeitseinfluss auf ein Verhalten experimentell auf null reduziert wird. Beispielsweise kann man Leute zufällig einer von zwei Gruppen zuordnen, von denen die eine Essays pro und die andere contra Atomkraft schreiben soll. Und wenn man diese Essays Versuchspersonen vorlegt und um eine Einschätzung bittet, inwiefern die Essays den Standpunkt des jeweiligen Autors darstellen, attribuieren die Versuchspersonen immer noch ziemlich gerne internal, auf die Persönlichkeit, obwohl sie wissen, dass die Gruppenzuordnung per Münzwurf entschieden wurde. Diese kognitive Tendenz, das internale Attribuieren bei der Fremdbeobachtung zu übertreiben, nennt man den fundamentalen Attributionsfehler. Ähnliche Schwierigkeiten dem Schubladendenken zu entkommen haben Menschen, wenn sie Andere beobachten, die einer fremden Gruppe angehören. Wenn ich z. B. zum ersten Mal im Leben eine Kuwaiterin kennenlerne und sie beim Abendessen einen Spritzer Balsamico auf ihre Pizza tut, könnte ich verführt sein zu denken “Aha, das macht man in Kuwait also so”. Wenn mein Freund Christoph aus Detmold das gleiche tun würde, käme ich wohl nicht auf die Idee zu denken, dass alle Detmolder Balsamico-Pizzen lieben. Diese kognitive Tendenz, Eigen- und Fremdgruppen unterschiedliche Attributionen angedeihen zu lassen, nennt man den ultimativen Attributionsfehler.

Fazit

Jeder Mensch schreitet mit im Laufe des Lebens gewachsenen Modellen umher, die die äußere und innere Realität erklären sollen. Wenn diese geistigen Modelle durch neue Erlebnisse herausgefordert werden, betätigen wir uns als Alltagspsychologen und begeben uns in einen quasi-wissenschaftlichen Prozess der Informationssuche und der Ursachenzuschreibung. Dabei führen bestimmte Tendenzen – bei aller Effizienz des geistigen Attribuierungsapparates als Ganzem – nachweislich wiederholt zu Fehlern. So zum Beispiel, wenn wir im Verhalten Anderer ihre Persönlichkeit überstark durchscheinen zu sehen glauben oder wenn wir die Gruppenzugehörigkeit als handlungsbestimmendes Merkmal überbetonen.

Quelle: http://psych.hypotheses.org/81

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