18. Ich verstehe Eins nicht mehr

Wenn Sie sich entscheiden, nicht nur theoretisch zu arbeiten, sondern auch etwas Praktisches zu machen, dann lassen Sie sich eins sagen: Fassen Sie am Ende des Arbeitstages keinen Platon-Dialog mehr an. Der macht Ihnen ‘mal sowas von einen Strich durch die Rechnung, dass Sie bald daran zweifeln werden, ob oben oben oder unten unten ist. Ich habe den Fehler begangen und einen kurzen Blick in Platons Parmenides geworfen. Das Resultat ist, dass ich mir jetzt mein Erlebnis von der Seele schreibe, wie so viele andere Verrückte (μανία [mania] wäre das griechische Wort für diese Verrücktheit, die ich meine).

Wenn etwas widersprüchlich ist, dann zweifeln wir meist daran und versuchen durch einen Perspektiven- und Tiefenwechsel ein passendes Konstrukt zu liefern, das uns den vordergründigen Widerspruch aufklärt. – Nicht so im Parmenides. Dieser Dialog Platons hindert uns dadurch daran, dass er uns einen Gordischen Knoten ins Hirn treibt.

Sehen Sie mal um sich. Schön? Da sind jede Menge Dinge, oder? Ein Bildschirm, vielleicht ein Schreibtisch oder ein Fenster, eine Liane, Buchstaben, ein beunruhigender Fußabdruck, Zahlen, Menschen, 100000€, Gedanken. Viele Dinge sind das. Klar. Wenn wir aber viele Dinge haben, dann müssen wir annehmen, dass es auch jeweils ein Ding gibt. Die Vielheit ist eben aus Einheiten zusammengesetzt, ne? Wenn Sie jetzt versuchen, diese Einheit zu fassen, passiert Ihnen das, was mir passiert ist: “Knoten also blog ich”.

Wenn wir von einer Einheit reden, dann darf diese Einheit keine Teile haben. Denn dann wäre sie ja zusammengesetzt und eine Vielheit. Aber über die Vielheit sind wir ja schon hinweg. Wir suchen das, was die Einheit ist. Also Teile darf diese Einheit nicht haben. Deshalb kann eine Einheit weder Anfang, noch Mitte, noch Ende haben. Was aber kein Ende hat, hat keine Grenze und ist deshalb unbegrenzt also unendlich. Zur selben Zeit ist es aber natürlich nicht ausgedehnt, weil es eben keine Teile haben kann. Und jetzt einige Worte des Erzählers Kephalos:

„Es ist also nicht einmal in der Weise, daß es Eins ist, denn dann wäre es immer noch seiend und des Seins teilhaftig. Vielmehr ist das Eins weder noch ist es Eins, wenn anders man diesem Schlüsse trauen darf.

So scheint es.

Wenn aber etwas nicht ist, kann da wohl diesem Nichtseienden überhaupt etwas zukommen oder ihm angehören?

Wie wäre das möglich?

Dann aber kommt ihm auch gar kein Name zu und keine Aussage über dasselbe und keine Erkenntnis noch Wahrnehmung noch Vorstellung von ihm.

Offenbar.

Man kann es also weder benennen noch von ihm reden und etwas aussagen noch es sich vorstellen noch es erkennen noch auch etwas, was es an sich hätte, wahrnehmen.” (142 Aff. Übers von Franz Susemihl online unter: http://www.zeno.org/Philosophie/M/Platon/Parmenides auffindbar)

Das habe ich jetzt davon. Ich kann das einfachste weder erkennen noch herleiten noch sagen, dass es sei, obwohl ich so vieles sehe, das aus Einheiten besteht. Platons Dialog zeigt so viele Probleme bezüglich der Einheit auf (die der alte Parmenides dem jungen Sokrates erzählt) wie ich jetzt schlaflose Stunden haben werde. Wenn wir Eins nicht erkennen können. Und wenn Eins nicht ist, was ist denn dann überhaupt noch? Thx Platon. Nehmen Sie sich den Dialog doch mal selbst zur Hand. Vielleicht sind Sie schlauer als ich. Wo ist Alexander, wenn man ihn braucht?

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/223

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16. Prokrastination vs. Arbeit. Ein Einsteiger-Guide

Huch, wie sind Sie bloß hier gelandet? Ich sage Ihnen, Ihre Dissertation hat Feinde. Die Prokrastination (übrigens willkommen; Und ja, tatsächlich mit dem “r” nach dem “k”, wie in “kras(s)”. [Ich hätte es auch anders geschrieben]) ist einer davon. Zwar kommt Prokrastination eigentlich vom Lateinischen procrastinatio, was soviel bedeutet wie “aufschieben” oder “vertagen”. Aber unser wissenschaftsaffiner Gebrauch impliziert etwas anderes. Und zwar das Aufschieben durch belanglose und nicht zielführende Tätigkeiten. Also solche Dinge wie: Deadline in zwei Tagen? Es ist jetzt Zeit, das Fenster zu putzen und endlich mal den Kühlschrank aufzutauen.
Platon prokrastinierte, indem er Dialoge schrieb. Aristoteles prokrastinierte nicht. Die eigentliche Frage ist deshalb nicht, wie man diese Art der Zeitverschwendung beseitigt (siehe Platon-Vorbild), sondern wie man sie sich zunutze macht. Und genau an dieser Stelle kommt die Selbsttrickserei ins Spiel. Als Selbsttrickserei bezeichne ich einen minimalvernünftigen Impuls, der es ohne besondere Anstrengung schafft, bereits vorhandene Handlungsimpulse umzulenken. Schließlich ist es gleich, ob man zum richtigen Prokrastinieren die Blumen gießt oder die Schuhe putzt. Worauf es ankommt ist es, nichts an der Haupttätigkeit zu tun.
Damit dies klappt, müssten Sie folgendes tun: Sie müssten sich einreden, dass die Haupttätigkeit lediglich das tatsächliche Schreiben der Arbeit sei. Die Betätigung der Tasten. Und das konsequent. Unter den gegebenen Umständen müssten Sie dann bald in der Lage sein, periphere Tätigkeiten in die Prokrastination einzubinden: Literarturverwaltung aktualisieren, die Reschtschreibunk korrigieren, oder wichtige Telefonate führen, dürften Ihnen dann auch ein Leichtes sein. Oder haben Sie andere Erfahrungen gemacht, wie man seine Arbeit effizienter macht? Dies ist zumindest ein möglicher Weg.

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/219

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14. Welcher Ethiktyp sind Sie?

Wenn Ethiktypen ein Buffet wären, dann könnte man sich vor sie stellen und nach belieben auswählen, auf welches Gericht man am ehesten Lust habe könnte. Welches am ehesten zu einem selbst passen könnte. Sie haben gerade Ihr Bewerbungsgespräch erfolgreich beendet? Klar, jetzt richten Sie sich erst einmal nach einer kantischen Pflichtenethik. So gehört sich das eben. Und am Wochenende? Tja, da könnten Sie eher etwas leichtes gebrauchen. Wie wäre es daher mit einer hedonistischen Ethik, die Ihre wöchentliche Lustbilanz wieder in den Plus-Bereich zu heben versucht? Die gibt es nämlich mit Schirmchen. Letztlich hat doch jeder Mensch andere Präferenzen, oder? Wieso soll dann nicht auch jeder Mensch eine eigene Ethik verfolgen?

In erster Linie, weil Ethiken keine Buffets sind.

In zweiter Linie aber, weil man Sie dann hinter vorgehaltener Hand einen Dezisionisten nennt und Ihnen auf institutsinternen Weihnachtsfeiern nur noch die Schnittchen mit Fisch angeboten werden, die niemand mag. Drittens aber, weil Sie ein ungewöhnliches Verständnis von dem haben, was Ethik bedeutet.

Ethiken sind keine saisonalen Handlungsmaximen. Handlungsmaximen, wie Sie diese auch immer verstehen möchten, können Sie sich gerne setzen und trotzdem die guten Schnittchen abgreifen. Eine Ethik ist aber umfassender. Sie möchte umfassend erklären, was eine gute Handlung, was ein gelingendes Leben ist oder was man tun soll. Die Ethik gibt eine Theorie vor, die all diese Fragen (und noch einige mehr) abschließend erklären möchte. Ob ihr das gelingt ist eine andere Frage. Aber, verstehen Sie, heute eine abschließende Erklärung zu liefern und morgen eine andere, ist nicht nur semi-seriös, sondern auch widersprüchlich. Also: Welcher Ethiktyp erklärt Ihrer Meinung nach die genannten Fragen am besten?

Grundsätzlich unterscheidet man deontologische Ethiken von teleologischen Ethiken. τό δέον (to deon) heißt etwa „das Notwendige“ und τό τέλος (to telos) heißt im Griechischen „das Ziel“. Der Unterschied besteht darin, dass die deontologischen Ethiken mit Pflichten argumentieren. Sie sagen solche Sachen wie „man muss die Menschenrechte einhalten“ oder „du sollst nicht töten.“ Die anderen hingegen argumentieren mit Zielen. Sie sagen z.B. „Eine gute Handlung ist eine, die das Ziel verfolgt, möglichst großen Nutzen für möglichst viele Menschen zu bringen.

Wieso man nicht beide Ansichten zusammenfasst?

Hmm, Schnittchen?

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/185

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13. Sechs Tricks für eine gelingende Promotion

 

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen an Ihrer Doktorarbeit. Sie haben vor sich folgende Komponenten: Drei Jahre Zeit, ein Thema, einen Laptop, schon etwas Ahnung von der Primär- und Sekundärliteratur, ein gutes Verhältnis zu Ihrem Doktorvater oder zu Ihrer Doktormutter, völlige Freiheit in der Gesteltung Ihrer Zeit.

Um nicht plötzlich in eine Sinnkrise zu verfallen und zu merken, dass dreiviertel ihrer Zeit schon vorbei ist, Sie plötzlich perfekt Spanisch und Lettisch können, alle Cafés und alle Bedienungen der Stadt kennen, einen noch neueren Laptop und ein Tablet besitzen, nichts von Weckern halten, aber noch keine Seite geschrieben haben, müssen Sie sich selbst austricksen. Mir fallen sechs Beispiels ein, wie ich mich ausgetrickst habe:

Trick 1: Melden Sie sich so häufig es geht für ein Doktorandenkolloquium an, um etwas vorzutragen. Sie werden sehen, dass Sie daran den Puls Ihrer Arbeit messen können werden. Es hat sich einiges getan seit dem letzten Referat im Studium, für das Sie maximal eine halbe Stunde Vorbereitungszeit aufgewendet haben, denn jetzt geht es nicht mehr um irgendeine von vielen Noten, sondern um Ihr Kunstwerk. Sie stellen nicht nur Ergebnisse dar, sondern auch sich selbst und Ihre Leistungen. Das baut so viel Druck auf, dass Sie ganz sicher den einen oder anderen Kaffee sausen lassen, um eine gute Präsentation vor Ihren Kommilitonen und Ihrem Professor zu halten. Und ehe Sie sich versehen, steht ein Kapitel oder ein Teil eines Kapitels Ihrer Diss.

Trick 2: Siehe Trick 1 und tausche “ein Doktorandenkolloquium” durch “eine Konferenz”.

Trick 3: Bilden Sie mit Ihren Freunden Präsentationskreise, in denen Sie Ergebnisse informell diskutieren können, die aber einen festen und regelmäßigen Rahmen bilden. – Achtung: Dies klassifiziert Sie als Streber. Aber das ist Ihnen egal, denn diese Auszeichnung haben Sie bereits durch den Wunsch zu promovieren ergattert.

Trick 4: Kaufen Sie sich keinen neuen Laptop. Um ein Schreibprogramm oder ein Literaturverwaltungsprogramm sowie Emails benutzen zu können, reicht Ihr alter Laptop. Wenn Sie einen neuen kaufen wollen, hängt das sicher damit zusammen, dass Sie zocken. Zocken ungleich Dissertation.

Trick 5: Reden Sie mit Ihren Freunden immer so über die Dissertation, als sei es eine feste Arbeitsstelle, wie Sie andere Menschen auch haben, mit Verwaltungsproblemen, Deadlines und Telefonaten. Die Sache mit den Telefonaten müssen Sie eben erfinden.

Trick 6: Ist mir leider entfallen. Es war der beste. Wissen Sie ihn noch?

Jedenfalls: wenn Sie sich an mindestens diese Tricks halten, ist es sicher, dass Sie mit Ihrer Arbeit vorankommen.

Genau.

Und was sagt es über ich aus, dass ich diesen Blogeintrag um etwa 13.00 Uhr poste? Hmmmm.

 

 

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/177

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Antiker Whistleblower oder Hofnarr der Polis ?

Prof. Dr. Olson (Foto: Privat)

Prof. Dr. Olson (Foto: Privat)

Um in den Dionysien und Lenaia, den athenischen Theaterfestspielen, Erfolge zu feiern reichte es nicht, nur lustig zu sein: Das Publikum der Festivals, bei denen Dichter Ruhm und Ehre erlangten, musste sich gleichzeitig gespiegelt und entlarvt fühlen. In den Stücken des Dichters Eupolis, bekam jeder sein Fett weg – allen voran die Politiker. Eupolis war einer der erfolgreichsten Dichter der attischen Komödie. Professor S. Douglas Olson, Gastprofessor an der Universität Freiburg von der University of Minnesota, analysiert, was von Eupolis‘ Stücken überliefert wurde und erschafft ein neues Bild des Alltagslebens in der ersten Demokratie.

Eupolis war ein Zeitgenosse von Aristophanes und dessen direkter Konkurrent. Beide Autoren schrieben Stücke voller Gehässigkeit, Spott und Kritik an Staat und Regierung. Eupolis lebte in turbulenten Zeiten: geboren um  440 v.Chr., trat er zu der gleichen Zeit wie Aristophanes auf den Spielplan. Mit lediglich 20 Jahren erschien er das erste Mal mit seinen Stücken auf den Festspielen. Es war ein sofortiger Erfolg. Im ständigen Konkurrenzkampf gewannen beide Dichter den renommierten Theaterwettbewerb ein paar Mal in Folge. Plötzlich waren sie Superstars.

Eupolis starb jung: Er fiel wahrscheinlich im Peloponnesischen Krieg 411 v. Chr. Elf Stücke von Aristophanes sind bis heute vollständig erhalten. Alles, was von Eupolis heute übrig ist, sind Fragmente. Im alten Rom waren die Theaterstücke noch im Umlauf. Heute sind die Kopien der vollständigen Stücke verloren. Nur Zitate, Wörterbucheinträge von Ausdrücken, die Eupolis verwendete haben soll und auf Papyrus gedruckte Textfetzen wurden überliefert.

  • In den Gassen der Polis

Der Zweck von Olsons Projekt ist nicht, die Komödien zu rekonstruieren. Dies scheint unmöglich. In einem akademischen Spiel versuchte Olson, die Handlung der bekannten Stücke von Aristophanes nur mit Hilfe der überlieferten Fragmente, Wörter und Textfetzen zu rekonstruieren. Das Ergebnis entsprach überhaupt nicht der Geschichte, die Aristophanes ursprünglich schrieb. Statt die Handlung der Komödien zu rekonstruieren, analysiert Olson Eupolis’ Sprache und zieht Schlüsse über das Leben der Polisbewohner.

Die Komödien sollten der Öffentlichkeit gefallen. Die attischen Dichter bedienten sich der selben Mittel wie Comedy und politisches Kabarett  heute: Die Texte sind nah am Alltag der Menschen, an deren Sorgen und Humor. Die Dichter verwenden Umgangssprache, Kraftausdrücke und gehen auf intime Bereiche des Lebens ein. Da nur kurze Fragmente von Eupolis erhalten sind, geht der Humor in der Regel verloren. Mit nur wenigen Sätzen oder Wörtern, ist es schwierig, einen Witz zu erkennen.

Einige Fragmente, die als Beleidung identifiziert werden können, sagen viel über die Werte der antiken Gesellschaft aus. Olson analysiert die kürzesten  Fragmente, um diese Informationen zu rekonstruieren. Gleichzeitig will er Wörter, Ausdrücke und kurze Zitate, die in alten Wörterbüchern und technischen Abhandlungen Eupolis zugeschrieben werden, nachprüfen.

  • Wind als Beleidigung
ἄνεμος καὶ ὄλεθρος ἄνθρωπος

„Ein Mensch (ist), Wind und Verwüstung”: Der Ausdruck war wahrscheinlich eine Beleidigung. Olson schlägt vor, dass Eupolis diese Beleidigung verwendete um eine Person zu beschreiben, die durch die Stadt fegt und Probleme verursacht. Der Ausdruck lässt sich mit Beleidigungen wie „Tod” φθόρος oder „Krankheit” νόσος vergleichen, die häufiger in der attischen Komödien auftauchen. Im Englischen ist „Pest“ eine beliebte Beleidigung. Im Deutschen kann jemand „eine Plage“ sein. Die Verwendung von „Wind “als Beleidigung ist jedoch einzigartig.

Olson sucht nach dem Ursprung des Ausdrucks: Taucht er in anderen Texten auf? Ist es eine verbreitete Beleidigung oder etwas das Eupolis erfunden hat? Hat er es vielleicht in einer der vielen Kaffeeclubs des alten Athens aufgegriffen? Als nächstes erstellt Olson ein semantisches Feld, in dem er Ausdrücke sammelt, die eine ähnliche Bedeutung haben, um  Rückschlüsse auf die Werte zu ziehen, die im antiken Griechenland als wichtig galten.

„Vogel“ war eine beliebte Beleidigung für jemanden, der unzuverlässig in seinen Ansichten und Handlungen war. Wie “Wind”, drückt dieser Ausdruck Unbeständigkeit aus. Stabilität war anscheinend für die Athener wertvoll. Wie in manchen Gesellschaften heute, wurde es geschätzt, wenn jemand sich niederließ und ein zuverlässiges und stabiles Leben führte. Die politische Situation dieser Zeit war sehr unsicher, was diesen Wunsch nach Stabilität verstärkte.

  • Den Lebensstil der Schnorrer beschreiben

Eupolis lieh auch weniger beliebten Gruppen in der Polis eine Stimme. In einem Fragment erklären Schnorrer ihrer Lebensweise:

„Wir werden für Sie den Lebensstil der Schnorrer beschreiben: Wir sind durch und durch kluge Männer. Zunächst habe ich in der Regel einen Sklaven, der jemand anderem gehört, aber auch ein bisschen mir. Ich habe diese zwei guten Roben, die ich wechsele, wenn ich auf den Markt gehe. Wenn ich dort bin, picke ich jemanden aus, der nicht allzu schlau erscheint, aber reich ist, und ich folge ihm. Wenn ‚Herr Geld‘ etwas sagt, behaupte ich, es ist toll, und ich stehe sprachlos da, als ob ich ihm wirklich gerne zuhören würde. Dann gehen wir zum Abendessen in die Häuser verschiedener Menschen, um die Speisen von anderen zu essen. Ein Schnorrer muss in der Lage sein, schnell, clevere Bemerkungen zu erfinden oder er wird rausgeschmissen! ”
Auf diese Weise erzeugt die Analyse der Fragmente wertvolle Einblicke in diese Gesellschaft. Die athenischen Demokratie beeinflusste die Entwicklung der heutigen demokratischen Systeme grundlegend. Die Erforschung des athenischen Lebens ermöglicht auch Erkenntnisse über die moderne Gesellschaft. Die Eupolis-Fragmente helfen die Aufgabe des Dichters, des Künstlers und der Kunst in einer Gesellschaft zu verstehen.

  • Wortspiele für den Wandel?

Sich über Politik und Politiker lustig zu machen, war ein weiterer Weg, um die Gunst des Publikums zu erringen: Athen war zu dieser Zeit eine blühende Demokratie. Die Bürger nahmen direkt an politischen Entscheidungen teil. Anders als in modernen Demokratien wie Deutschland ließen die Bürger keine gewählten Vertreter über Gesetze entscheiden. Sie stimmten direkt über die meisten Entscheidungen der Regierung ab. Auf diese Weise war der politische Bezug in den Komödien von großer Bedeutung für die Bürger. Politische Führer und wichtige Beamte lächerlich zu machen und sie zu kritisieren, war sehr beliebt.

„Er ist begabt darin, Unsinn von sich zu geben, aber nicht im Sprechen”, schreibt Eupolis etwa über eine öffentliche Figur. Die griechischen Dichter dienten als antike „Whistleblower“ und wiesen auf Probleme und Ungerechtigkeiten hin. Eupolis kritisierte auch die Bürger, in der Regel für ihr schlechtes Urteilsvermögen:

“Personen, die sie nicht einmal zum Weininspektor wählen würden, sind jetzt Generäle – Oh, Athen - du bist glücklich, aber nicht schlau!”

Trotz des Erfolgs des Spotts, waren die politischen Folgen gering, selbst in der athenischen Demokratie. Aristophanes und Eupolis warfen dem bekannten athenischen Führer Cleon oft vor, er sei ein Demagoge, und verurteilten seine Entscheidung Krieg gegen Sparta zu führen. Aber kein Krieg wurde beendet, kein Demagoge entthront: weder dank Eupolis noch dank Aristophanes.

Quelle: http://komfrag.hypotheses.org/46

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12. Was ist Glück? (5/5): Was zwischen Ost und West liegt

Für alle, die denken, das westliche Mittelalter traf im Osten auf das muslimische, sei gesagt: Ne, is’ nicht so. – Zwischen Okzident und Orient befanden sich bis zum Jahr 1453 auch noch die Byzantiner, die gerne goldene Kirchen bauten und sich für Römer hielten. Einer dieser Byzantiner ist Michael Psellos gewesen. Auf dem einzigen erhaltenen Abbild, das wir von ihm haben, hat er stilecht schwarze Kleider an. Und trägt einen schwarzen Hut. Und hat, naja, die Mundwinkel heruntergezogen. Halt eine schlechte Aufnahme. – Dieser Psellos zeichnet sich durch zwei Punkte besonders aus: Denn erstens war er in antiker Philosophie unglaublich gebildet und zweitens ist seine praktische Philosophie Thema meiner Dissertation. Neidisch?

Genau deshalb will ich Ihnen nicht die Message vorenthalten, die bei meinen Untersuchungen vorläufig raus gekommen ist, und die ich nebst flapsigen Formulierungen tatsächlich sehr gut finde.

In einer recht komplizierten Auseinandersetzung mit Aristoteles (Sie erinnern sich an die “artgerechte Haltung”) und allem, was nach Plotin kam (Sie erinnern sich vielleicht an den “Gastbeitrag zum Tag der Einheit”), sowie mit christlichen Einflüssen schafft er es, zwei Ziele zu formulieren, die jeder und jede von uns anstreben sollten. Welche Ziel das sind? Weiß ich nicht.

Spaß. Natürlich weiß ich das: Psellos sagt uns folgendes: “Hört mal her. Eigentlich ist alles ganz einfach. Ich verstehe gar nicht, wieso ihr euch damit so schwer tut. Wir müssen einerseits unsere Talente kultivieren. Damit meine ich etwa das, was Aristoteles über den Verstand sagte. Wir sollen verstehen, wie die Welt funktioniert, was sie ist und welche Prinzipien es in ihr gibt. Und zweitens, aber nicht minder wichtig, müssen wir einfach mal anständig miteinander umgehen. Also durch die Ausprägung gewisser anderer Talente einfach freundlich-philanthropisch sein.”

Ich finde, dass diese Message nicht wirklich an Aktualität verloren hat. Wenn wir diese beiden Dinge ausführen oder perfektionieren, dann sind wir objektiv (Sie erinnern sich an die Kriterien, die das objektive Glück von Zufallsglück und Empfindungsglück unterscheidet) glücklich.

Das war vorerst der letzte Beitrag.

Zum Glück.

Ab nächstem Mal kommt dann wieder etwas anderes.

Herzlichst hochachtungsvoll,

D.

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/167

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Der graue Klassiker: Gerhard Schmids “Aktenkunde des Staates” von 1959

Schmid 1Es gibt einige gute Kompendien zur Aktenkunde, aber nur ein echtes Lehrbuch. In der Hand hatte ich es zum ersten Mal in meinem Ausbildungsarchiv, dem Hauptstaatsarchiv Dresden. Dort, in den Dienstbibliotheken ostdeutscher Archive, findet man es, meist unerfasst von Verbundkatalogen. Denn leider ist Gerhard Schmids “Aktenkunde des Staates” (1959) “graue” Literatur, die bislang auch niemand digitalisiert hat. Weite Verbreitung hat nur der in die “Archivalischen Quellen” aufgenommene Extrakt gefunden (Schmid 1994). Dabei ist es ein ganz hervorragendes Werk. Grund genug, es näher vorzustellen.

Es handelt sich um einen “als Manuskript gedruckten” (hektographierten) “Lehrbrief für das Fachschulfernstudium für Archivare” an der Fachschule für Archivwesen “Franz Mehring” in Potsdam. Die dort im Fern- oder Direktstudium ausgebildeten Staatlich geprüften Archivare waren im Archivwesen der DDR das Äquivalent zum Marburger Diplom-Archivar. Das Fernstudium diente vor allem dazu, Seiteneinsteiger eine Fachausbildung nachholen zu lassen. Es ist klar, dass Lehrmaterial für das Selbststudium didaktisch besonders gut aufbereitet sein muss. Schmid hat diese Aufgabe für die Aktenkunde hervorragend gelöst.

Der darstellende Teil umfasst 336 Seiten in zwei durchlaufend paginierten Teilen: Urkundenlehre und neuzeitliche Aktenkunde des 16. bis 18. Jhs. in Teil 1, 19. und 20. Jh. in Teil 2. Daran schließt sich eine Sammlung von 80 gut ausgewählten Übungsbeispielen an, die jeweils nach Schriftstückart und Überlieferungsform bestimmt und in ihren Formularbestandteilen ausführlich untersucht werden. Das bietet in diesem Umfang und dieser Ausführlichkeit auch Hochedlinger (2009) nicht. Der Wermutstropfen ist nur die manchmal miserable Reproduktionsqualität.

Gerhard Schmid, geboren 1928, verstorben am 1. Januar dieses Jahres, gehörte zur ersten Generation wissenschaftlicher Archivare in der DDR, die in vielen archivarischen Aufgabenfeldern grundlegende (und gesamtdeutsch relevante) Aufbauarbeit geleistet hat. (Sein Wikipedia-Eintrag ist recht dürr.) Als Hilfswissenschaftler wurde er geprägt durch Heinrich Otto Meisner, der die Professur für Archivwissenschaft an der Humboldt-Universität inne hatte. Die “Aktenkunde des Staates” ist im Grunde Meisners aktenkundliches Lehrgebäude aus der Archivarsausbildung (auf dem Stand von Meisner 1952), umgegossen in die Form eines Lehrbuchs und mit Schmids eigener Erfahrung aus seiner Tätigkeit am Deutschen Zentralarchiv in Potsdam unterfüttert.

Charakteristisch ist die praxisnahe Reduktion der drei Zweige der Meisnerschen Aktenkunde auf zwei: Genetik und Systematik, auf die die Analytik aufgeteilt wird, ist doch die Analyse der Formmerkmale v. a. Mittel zum Zweck der Bestimmung von Entstehungsstufe und Schriftstücktyp. Der Stoff wird gerafft, aber ohne wesentliche Auslassungen präsentiert. Als didaktische Instrumente für das Selbststudium dienen Kontrollfragen, Bestimmungsübungen anhand der Beispielsammlungen und “Anleitungen” genannte Gedächtnisstützen für die praktische Archivarbeit.

Schmid 3

Im Vergleich mit Meisners Handbüchern wird sofort deutlich, dass es sich um ein reines Lehrbuch handelt, das sich auf den praktischen Umgang mit den Formen konzentriert, aber das Wie? und Woher? ihrer Entwicklung weitgehend ausblendet. Dafür geht Schmid vom Stoff her weiter als sein Lehrer, der das Werk übrigens als Gutachter abgenommen hat, und bezieht auch die Entwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts in vollem Umfang ein. In der Tradition des Meisters betreibt er Aktenkunde vor allem als Untersuchung von Einzelschriftstücken und trennt sie scharf von der Archivwissenschaft, die sich mit der Zusammensetzung ganzer Registraturen befasst. Und wie Meisner betrachtet er Amtsbücher nicht als eine eigene Archivaliengattung, sondern (ihrem rechtlichen Charakter entsprechend) entweder als Akten oder als Urkunden.

Die Grundlage der Klassifizierung von Schriftstücken bleibt auch bei Schmid das Rangverhältnis zwischen Absender und Empfänger. Bemerkenswert ist aber, dass daraus für den modernen Verfassungsstaat sachgerecht kein Unterordnungsverhältnis für den Schriftverkehr zwischen Bürger und Staat abgeleitet wird (S. 251) – ein Thema, das im aktenkundlichen Unterricht an der Archivschule Marburg bis in die jüngste Zeit für Gesprächsstoff gesorgt hat, was doch erstaunlich ist.

Schmid ist nach 1959 nur noch vereinzelt auf die Aktenkunde als Thema zurückgekommen. Das ist bedauerlich, lassen diese sporadischen Äußerungen doch eine Emanzipation von Meisner erkennen, die zu sehr produktiven Ergebnissen hätte führen können.

In seiner Rezension (1970) zur Meisners dritter Neubearbeitung seines Handbuchs (1969) werden die Grenzen der Rechtserheblichkeit und der grammatisch orientierten Formularanalyse als grundlegenden Ansätzen deutlich benannt. In seiner 1977 gehaltenen, aber erst 30 Jahre später veröffentlichten Probevorlesung an der Humboldt-Universität setzte sich Schmid dann auch überzeugend mit der Marburger Schule um Papritz und Dülfer auseinander und stellt eine überzeugende Brücke von der spätmittelalterlichen Amtsbuchregistratur zum frühneuzeitlichen Aktenwesen her. Der Parforceritt in den “Archivalischen Quellen” (1994) spiegelt dann noch einmal Schmids besondere Stärke, die Produktion amtlicher Schriftstücke sorgfältig auf die zeitgenössischen Verwaltungsstrukturen und -techniken zurückzuführen. Auch wird das Aktenwesen der Wirtschaft einbezogen.

Literatur:
Beck, Friedrich 2013. Gerhard Schmid. Archivar 66, S. 258-259 (online)
Hochedlinger, Michael 2009. Aktenkunde. Urkunden- und Aktenlehre der Neuzeit. Wien.
Meisner, Heinrich 1952. Urkunden- und Aktenlehre der Neuzeit. 2. Aufl. Leipzig.
Ders. 1969. Archivalienkunde vom 16. Jahrhundert bis 1918, Leipzig.
Ders. 1970. [Rezension zu Meisner 1969]. Archivmitteilungen 20, S. 159-160. Auch in Schmid 2008, S. 67-72.
Ders. 1977. Grundlinien der Entwicklung des Registraturwesens bis zum 18. Jahrhundert. In: Ders. 2008. Archivar von Profession. Wortmeldungen aus fünfzig Berufsjahren. Hg. von Friedrich Beck. Berlin 2008, S. 73-92.
Ders. 1994. Akten. In: Friedrich Beck und Eckart Henning, Hg. 1994. Die Archivalischen Quellen. Eine Einführung in ihre Benutzung. Weimar, S. 51-85

Quelle: http://aktenkunde.hypotheses.org/114

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Was ist Glück? 4/5: Deskriptiv vs. normativ

Ich hole mir ja meine Selbstbestätigung immer dadurch, dass ich mir anschaue, ob die Büsten unseres Seminars mir eher zustimmen oder eher nicht zustimmen. Nach den letzten drei Einträgen ist die Situation für mich leider immer noch unklar. Irgendwie sind jeweils zwei von dreien unglücklich mit meiner Auswahl von Glücksmodellen. Platon, Aristoteles und die Stoa (in Form ihres Gründers Zenon von Kition) versprechen uns nämlich eigentlich dasselbe: Die Antwort auf die Frage aller Fragen. Die Antwort darauf, was Glück ist. Aber die Gemeinsamkeiten halten sich doch in Grenzen: Aristoteles sieht Emotionen als essenziell an, die Stoa als gefährlich. Platon redet von der Idee des Guten, Aristoteles von theoretischem Wissen anderer Art. Die Stoa lehnt die Existenz von Ideen ab, Platon geht davon aus. Was bringt uns also die Beschäftigung mit diesen Modellen, wenn sie sich so stark von einander unterscheiden? Wieso gehen wir nicht anders an die Sache heran? Umfragebögen, Stifte, schlecht bezahlte studentische Hilfskräfte könnte man doch eigentlich auf die Straße schicken und einfach eine Umfrage starten lassen: “Darf ich Sie mal stören? – Was ist Glück für Sie?“ Dann hätte man (endlich mal) eine empirische Zusammenstellung von dem, was die Leute wirklich denken.

Ein Räuspern, eine Stirnfalte und einmal zurechtsetzen oder alternativ ein Lachen, das etwas Zeit überbrückt, wären die richtigen Reaktionen nach einer unangenehmen Frage, die die eigene Wissenschaft infrage stellt. – Oder aber die Umschulung zur Sozialwissenschaft.

Oder die Konfrontation mit einigen Argumenten: Wenn man eine solche Frage empirisch beantworten möchte, muss man entweder Antworten vorgeben, die man ankreuzen kann oder alle Antworten zulassen. Die erste Option ist unzulässig, weil man das im Kleinen macht, was man durch Ablehnung der weltfremden philosophischen Modelle im Großen vermeiden möchte: Den Leuten etwas vorgeben. Die zweite Option führt nicht weit, weil man gar nicht weiß, ob alle dasselbe im Kopf haben, wenn Sie antworten. Glück hat eben alltagssprachlich mindestens die Bedeutungen, die wir in „Was ist Glück? (1/5)“ kennengelernt haben. Ich meine, Sie könnten auch Fragen, „Was würden Sie für ein Schloss bezahlen?“. Verstehen Sie? Die Queen hätte eine andere Antwort als der Fahrradhändler. Man muss die Frage spezifizieren oder die Antworten klassifizieren, wodurch man wieder zur ersten Option gelangt.

Empirisch vorzugehen ist wichtig, kann aber nur den ersten Schritt liefern, von dem man ausgeht, vernünftig weiter zu fragen: Kann man Leute glücklich nennen, die in schlechten Situationen positive Neurotransmitter ausschütten? Ist Glück nichts weiter als Zufallsglück? Nichts anderes als fünfzig Euro zu finden, ein besonders gutes Eis gegessen zu haben? Oder bedeutet es doch etwas anderes? Hat es mit umfassenderen Problemen zu tun, wie unserer Natur als vernünftige Tiere? Mit der Ausprägung unserer Talente, auch wenn wir nicht immer Lust dabei empfinden? Ist jemand glücklicher zu nennen, der seinen warmen Mantel einer bedürftigen Person gibt und deshalb wegen der Kälte Unlust verspürt, als jemand, der Lust empfindet, während er Kaviar genießt? Wie ist eigentlich das Verhältnis zwischen Lust und Glück? Zwischen Altruismus und Glück? Zwischen natürlichen Anlagen und deren Aktualisierung?

Ich denke, auch wenn es sich ein wenig pathetisch anhört, sind diese Fragen fundamental, wenn wir wissen wollen, was Glückseligkeit wirklich ist. Die drei Modelle, die ich in den letzten Einträgen kurz anreißen konnte, bieten auf viele dieser Fragen Antworten, ohne in eigene Widersprüche zu verfallen. Welches Modell jetzt das richtige ist, das können Sie selbst herausfinden, wenn Sie Zeit finden, sich auf die wissenschaftlichen Diskussionen darüber einzulassen. Mit der Empirie alleine ist es jedenfalls nicht getan. Nur deskriptiv, also beschreibend, vorzugehen, reicht meiner Meinung nach deshalb ganz und gar nicht aus.

Sehen Sie das anders? Sind Sie Positivist? Oder sogar Positivistin? Dann kritisieren Sie mich bitte!

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/165

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Fünfter sein…

Ernst Jandl [1] beschreibt in seinem gleichnamigen Gedicht [2], das Warten beim Arzt – offen lässt er, inwieweit die Reihenfolge im Wartezimmer bedeutungsvoll ist. Für die Reichsstände war die Sitzordnung auf der Fürstenbank, die Platzierung in der Warteschlange zur Stimmabgabe nicht gleichgültig.Dass Sessionstreitigkeiten mehr als Eitelkeit sind, ist inzwischen in der Forschung anerkannt. Der Platz auf der Bank stand für Prestige, Ansehen und Einfluss. Er zeugte von Rang und Stellung im Reich, im Verhältnis zu den anderen Reichsständen. Unzutreffend ist – um es salopp auszudrücken – die aus dem Schulbus bekannte Regel, dass die Coolsten hinten sitzen.

Wer im Reich etwas zu sagen hatte, saß vorne oder bemühte sich zumindest darum. So verwundert es auch nicht, dass Schweden, als es auf dem Westfälischen Friedenskongress mit Kaiser und Reich über die Reichsstandschaft verhandelte, darauf bestand, möglichst weit vorne auf der weltlichen Bank zu sitzen – erfolgreich: Es durfte Fünfter sein. Zwar behielten Verden und Pommern ihren Platz in der Umfrage, doch für Bremen wurde der Krone Schweden der fünfte Platz zugewiesen [3].

Dadurch saßen die Repräsentanten nicht nur zwischen den vornehmsten Reichsständen, sie hatten auch zu einem frühen Zeitpunkt der Debatte die Möglichkeit, diese in ihrem Sinne zu beeinflußen oder aber den Gang der Abstimmung an späterer Stelle durch eine Wiederaufnahme oder Modifizierung des Bremer Votums im schwedischen Interesse zu steuern.

Fünfter sein ist also ziemlich cool.

[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Jandl
[2] http://courseware.nus.edu.sg/e-daf/cwm/la3201gr/e3/jandl.htm
[3] S. Art. X,9 IPO (Text: http://pax-westphalica.de/ipmipo/index.html)

Quelle: http://smdr.hypotheses.org/107

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10. Was ist Glück? 3/5: Steil stoischer Stil

Heute soll es um die Stoa gehen. Da fragt man sich natürlich gleich: Können Stoiker Musik genießen? Schließlich weiss man ja, dass sie ein ambivalentes Verhältnis zu Gefühlen und Leidenschaften hatten. Stoiker bilden sich nämlich ein, ein Leben ohne Leidenschaften leben zu können. Ganz wie eine Statue, nur mit Bewegung. Verrückt, wa’? Machen nicht die Leidenschaften erst das Leben lebenswert?

- Nun ja. -

Auch ich würde die Güte von Leidenschaften behaupten und doch eine Einschränkung vornehmen: Erinnern Sie sich an folgende Situation? Sie haben eine möglicherweise frische Liebe gefunden, die sich aber verdammt lange Zeit lässt, auf Ihre Nachricht zu antworten. Die Spannung und das Verlangen verleiten Sie dazu, nicht mehr ihren Blogeintrag fertig zu schreiben, sondern zum Telefon zu greifen und eine Nachricht in beleidigtem Ton zu versenden. Nicht nur dass die Ungewissheit nach wie vor bestehen bleibt, nein. Sie haben es auch geschafft, einen schlechten Eindruck als knatschige Person, die nicht abwarten kann, in 160 Zeilen zu packen. Auch verrückt, wa’? Deshalb raten Stoiker davon ab, in solchen Situationen Nachrichten wegen einer starken Aufwallung von Leidenschaften zu verfassen. Grundsätzlich gilt für sie und Sie generell, dass Lust (ἡδονή), Unlust (λύπη), Begierde (ἐπιθυμία) und Furcht (φόβος) nur dazu da sind, uns den Blick auf die Welt, wie sie ist, zu verstellen. Unter diese vier können übrigens alle anderen Leidenschaften gestellt werden. Aber wenn Sie schon unbedingt etwas fühlen möchten, dann bitteschön die guten Leidenschaften. Ja! Das ist nämlich der Punkt, den die meisten vergessen: Die guten Leidenschaften spielen eine zentrale Rolle in der stoischen Ethik. Freude (χαρά), Achtsamkeit (εὐλάβεια) und vernünftiges Streben (βούλησις) sind nämlich die Dinge, die das Leben eigentlich lebenswert machen. Diese erreichen Sie, wenn Sie tugendhaft werden und erst wenn Sie tugendhaft werden, sind Sie nämlich auch glücklich! Glauben Sie mir. Und nur so können Sie nicht nur glücklich, sondern oben drein auch zu Weltbürgern werden! Jackpot! – Ok, ok, gehen wir einen Schritt zurück. Glückseligkeit, Weltbürgertum, gute Gefühle? Wie hängt das zusammen?

Die Stoiker haben ein paar Grundannahmen aus ihrer Theorie der Natur in die Ethik transportiert. Sie gehen davon aus, dass die Welt determiniert sei. Das heisst das, was passiert, passiert mit Notwendigkeit so, wie es passiert. Man kann eigentlich nichts dagegen machen. Man kann dem lediglich zustimmen oder nicht zustimmen. Das Schicksal bleibt unabänderlich. Stimmen Sie nicht zu, machen Sie sich selbst unzufrieden, weil Sie etwas wollen, das Sie nicht haben können. Als nächstes sagen Sie, die Welt sei in ihrer Ganzheit (Gänze?) perfekt eingerichtet. Das, was uns als schlecht vorkommt (weil wir eben noch diese fiesen schlechten Leidenschaften haben, die uns den sauberen Blick auf das große Ganze verbauen), wie eine Erkältung, oder leider auch Krieg, seien im kosmischen Maßstab quasi irrelevant. Das große Ganze funktioniere so wie es soll. Und drittens, der Kosmos sei in seiner Gesamtheit vernünftig eingerichtet. Für die Stoa war die Vernunft und Güte des Kosmos gleichzusetzen mit ihrer Göttlichkeit.

Wenn Sie es jetzt schaffen, die schlechten Leidenschaften in Ihnen selbst zu beseitigen, also den Status der Apathie zu erreichen, dem Lauf des Schicksales zuzustimmen und ihn so zu wollen, wie er ist, dann passiert folgendes: Sie sind tugendhaft geworden. Glückwunsch. Dadurch haben Sie in der Konsequenz nur noch die geannten guten Gefühle. Zweitens sind sie vernünftig. Nochmals Glückwunsch. Denn Ihre Vernunft ist genau diejenige, die sonst überall im Kosmos auch existiert. Sie haben sie quasi freigeräumt und haben deshalb Teil am Göttlichen in der Welt. Und schließlich werden Sie auch zum Weltbürger. Das bedeutet eigentlich Kosmosbürger, wie all diejenigen auch, die es geschafft haben, diese Vernunft in sich von den schlechten Gefühlen zu säubern. Etwas anderes brauchen Sie nicht, nichts kann Sie Glücklicher machen, als die so verstandene Tugend. Sie haben nämlich jedes falsche und unerreichbare Wunschziel in dem was Sie tun, zugunsten völliger Seelenruhe mit dem Ihnen zugeteilten Schicksal aufgegeben.

Und die äußeren Güter? Naja, alles andere wie Reichtum, Gesundheit, Ansehen ist mit dem Schicksal bereits unabänderlich vorherbestimmt. Die Welt ist schließlich determiniert. Schön wenn Sie reich werden, auch schön, wenn nicht. Wenn Sie das als weiser Mensch eingesehen haben, werden Sie bemerken, dass Glückseligkeit absolut nichts mit äußeren Gütern zu tun hat. Das einzige, worauf es ankommt, ist durch die Reinigung von Gefühlen und Leidenschaften, eine klare Sicht auf den Lauf der Welt zu bekommen und dabei diese Seelenruhe und Heiterkeit als feste Charakterhaltung zu erlangen, die Sprichwörtlich geworden ist. Egal was passiert, egal was ist, spielen Sie einfach die Rolle, die Ihnen vom Schicksal zugeteilt worden ist gut, stimmen Sie ihr zu und wollen Sie sie. Schließlich kann man es ja nicht ändern. Jetzt hätten Sie den Stoikern gemäß alles richtig gemacht.

Leider gab es nur zwei Menschen in der Geschichte, die es wirklich geschafft haben, dadurch tugenhaft zu werden, dass sie die Apathie, also die komplette Reinigung von den vier Leidenschaften, erreicht haben und dadurch auch von allen äußeren Gütern, auf die wir keinen Einfluss haben, weil der Lauf der Dinge determiniert ist: Sokrates und Rasmus von Turin.

Aber wenn Sie mehr darüber erfahren möchten, einmal mehr: Horn, Christoph (1998): Antike Lebenskunst. Glück und Moral von Sokrates bis zu den Neuplatonikern. München: Beck.

Und natürlich: Long, Anthony A. (Hg.) (2006): Die hellenistischen Philosophen. Texte und Kommentare. Sonderausg. Stuttgart, Weimar: Metzler.

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/151

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