Die ARD bewirbt ihre Themenwoche “Glück” unter anderem mit dem Bild eines Jungen, der im Gras liegt, die Hände hinter dem Kopf verschränkt hat und lächelt. Für das kreative Fotografen-Team, das hinter diesem Bild steckt, manifestiert sich Glück im Kindesalter eben genau so, wie wenn die Zahn-Prothese im dritten Rentenjahr noch richtig sitzt. Sorgenfreiheit, Muße und etwas Sonne reichen dann wohl aus, um von einem guten Leben sprechen zu können. Schade, dass Sie dann nichts mehr von einer Gurke unterscheidet. Denn die macht auch nichts anderes, als herumzuliegen und Sonne zu tanken. Dieses Glücksverständnis hat auch unser Büstenfreund Aristoteles befremdlich gefunden und sich die Sache einmal genauer angeschaut.
Sehen Sie, im Gegensatz zu einer Gurke haben Sie als Mensch nämlich die Möglichkeit, in vielen verschiedenen Varianten aktiv zu sein: Sie können Yoga machen, kochen, einen Bantudialekt lernen oder Primzahlen sortieren. Wenn wir das mit Aristoteles auf den Punkt bringen wollen, ist das, was Sie von anderen Lebewesen wie beispielsweise Pflanzen grundsätzlichen unterscheidet, dass Sie sich bewegen können. Was Sie von Tieren unterscheidet, ist hingegen, dass Sie ihren Kopf benutzen können. Damit sind die Grundvoraussetzungen dessen, was Sie im Leben machen und erreichen können, grundverschieden von denen der Gurke oder eines beliebigen Emus. Und genau das müssen Sie laut Aristoteles bedenken, wenn Sie die objektiven Kriterien eines glücklichen Lebens entdecken wollen.
Sie sind also mit Anlagen ausgestattet, die Ihrer Art eigen sind. Das sieht Aristoteles ganz nüchtern biologisch. Diese Anlagen zu haben, reicht aber noch lange nicht aus. Sie müssen etwas mit Ihnen anfangen und das, was Sie können, sollten Sie besonders kultivieren und bestmöglich ausprägen. Aristoteles unterscheidet dafür zwei Kategorien von menschlichen Aktivitäten: Die erste umfasst alles Geistige: Verstehen, Hinterfragen, Planen, Wissen und solche Dinge werden von ihm natürlich dem Denken (auf Griechisch: διάνοια – Denken) zugerechnet. Die zweite Kategorie umfasst Ihren Charakter und Ihre Gewohnheiten (auf Griechisch: ἠθική – moralisch). Beides müssen Sie so gut es geht und stetig besser werden lassen, damit Sie den besten Status erreichen können, der Ihnen möglich ist. Keine Lust gibt´s dabei nicht, denn Sie würden sich dadurch nur in das eigene Fleisch schneiden. Sie verlieren nämlich in jedem Moment, den Sie nicht für das eine oder das andere verwenden, die Möglichkeit auf ein wirklich gutes und befriedigendes Leben. Sie müssen eben einsehen, dass es auch für den Menschen ein artgerechtes Leben gibt und nur dadurch können Sie glücklich werden. Also die Benutzung und Vervollkommnung dieser zwei Talente: Denken und Charakter sind das A und O unseres Lebens. Das klingt eigentlich ganz schön. Aber gibt es nicht noch mehr? Doch, denn dazu kommen auch noch einige andere Dinge, die aber nicht ebenso direkt von uns abhängig sind, sondern auch mit Zufall zu tun haben: Freundschaften und Familie, die gemäß unseres Wesens als Menschen ebenfalls eine absolut zentrale Rolle in unserem Leben spielen müssen, brauchen wir ebenso dringend für ein glückliches Leben. Hier ein schönes Zitat aus der Nikomachischen Ethik:
“Ohne Freunde möchte niemand leben, auch wenn er alle übrigen Güter besäße.” (1155a5)
Wenn wir all das haben und erreichen, dann können wir uns glücklich schätzen: Also einen vollkommenen Status erreichen, hinter dem es nichts besseres mehr gibt, das wir erstreben wollen können. Welche Handlungsanleitungen Aristoteles uns genau gibt, werden wir uns anschauen, wenn wir über diesen altbackenen Begriff der Tugenden sprechen werden. Bis dahin muss die aristotelische Definition von Glück als Verstandes- und Charaktervervollkommnung mit Freundschaften und Familie alleine dem Glücksverständnis von Urlaubswerbung und der ARD-Themewoche standhalten.
Sie sehen, Aristoteles redet anders als Platon und wirkt lebensnaher. Wenn Sie mehr über artgerechte Haltung erfahren wollen und keine Lust mehr auf Gurken haben, werfen Sie doch einfach einmal direkt einen Blick in die Quelle. z.B.: Aristoteles (2010): Nikomachische Ethik. Übersetzt von Franz Dirlmeier. Bibliogr. erg. Ausg., [Nachdr.]. Stuttgart: Reclam (Universal-Bibliothek, Nr. 8586).