22. Richtige und falsche Theorie

Willkommen im neuen Jahr. Ich habe Sie bereits erwartet. Ich wünsche Ihnen alles Gute und viel Erfolg bei Ihrer Promotion oder Ihrer "gleichwertigen Tätigkeit". Dieselben Worte würde ich gerne auch an meine steinernen Vorbilder richten, aber sie scheinen mich aus irgendeinem Grund zu meiden, fixieren lieber völlig zufällig einen Punkt in der Ferne, als meinen geneigten jahresanfänglichen Blick zu erwidern. Wahrscheinlich haben sie wieder einen Detektivclub gegründet, oder ähnliches. Wissen Sie, oder aber es liegt an diesem Blog hier. Aber das ist mir gleich, denn ich habe sehr gute Gründe dafür, ihn zu schreiben. Theoretisch. Ich erzähle Ihnen gerne bald mehr über meine Beweggründe, möchte aber rhababer gerade lieber biber noch einmal auf eines der Vorurteile gegen Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftler eingehen, die so in den Kaffeehäusern der politikafinen Bonvivants kursieren: Die Mär von der Theorieversessenheit.

Sie, liebe Leser, haben nämlich einmal mehr, als Sie an Ihren Theorien gefeilt haben, den Bezug zu Wirklichkeit verloren. Denn was Sie tun, "ha, ja, in der Theorie mag das ja stimmen" aber "in Echt" sieht das nochmal ganz anders aus.

Woher kommt so ein Spruch? Ich sage es Ihnen: Theorie oder Theoretiker zu sein, bedeutet ja mindestens vier verschiedene Dinge. Nur eines davon trifft diese Kritik.

Erstens bedeutet Theorie ja, ein Konzept zu erarbeiten. Eine Maschine oder der Masterplan wird zunächst theoretisch konstruiert und muss sich dann in der Realität bewähren und anhand der realen Bedingungen nachjustiert werden. Sollten Geisteswissenschaftler diese Art der Theorie betreiben, wäre es schlecht um uns bestellt. Man könnte unsere Fächer auch Besserwisserschaften nennen, da sie ein reines Konstrukt des Gutdünkens wären, ohne irgendeine Absicht der weiteren Prüfung an der Wirklichkeit. Zug an der Zigarette: "Ich studiere Besserwisserei. Und wenn alles so klappt, wie ich mir das vorstelle, möchte ich in die Forschung".

Zweitens bedeutet Theorie Abstraktion. Sie sehen etwas, oder sammeln ganz viele empirische Daten zu etwas und formulieren eine Theorie, wieso das so oder so sei. Weil die Daten so umfassend sind, picken Sie sich aber nur einige Elemente heraus und arbeiten damit. Theorie ist hier eine Verengung der Realität. auch als Wissenschaftler mit langjähriger Erfahrung soziologischer Sachverhalte, werden Sie auf Menschen treffen, die die sozialen Mechanismen besser durchdringen und verwenden können als Sie, ohne dass diese Leute aber genau sagen können, warum das so sei. Die Theorie zu kennen, bringt dann z. B. keine persönlichen Vorteile (worum es aber natürlich auch nicht geht).

Drittens bedeutet Theorie aber auch etwas ganz besonderes: Der Umgang mit Dingen, die eine ganz eigene Daseinsform haben. Was ich damit meine? Folgendes: Die Theorie dessen, was Irrationale Zahlen sind, kann nicht anhand einer empirischen Realität geschärft werden (sondern nur dessen Anschaulichkeit). Dasselbe gilt für viele Sachverhalte und Entitäten wie: Die Prinzipien der klassischen Logik (z. B. des Satzes des ausgeschlossenen Widerspruchs), die Definition von Wahrheit (Identität), das Sein, die Bewegung, der Stillstand oder das, was Einheit ist, etc.

Viertens bedeutet Theorie, eine Sache wahrheitsgemäß zu verstehen.
All diesen Arten von Theorien vorzuwerfen, sie seien nicht wirklichkeitstauglich, ist natürlich lächerlich. Die genannte Kritik trifft in erster Linie die erste Theorie als Konzept. Damit haben wir aber herzlich wenig zu tun. So. Und jetzt?

Und jetzt nichts. Außer dass sie mir gerne sagen können, auf welche weiteren Sachverhalte diese dritte Art der Theorie Anwendung findet, denn das ist keine leicht zu beantwortende Frage. Auf ethische Prinzipien? Gibt es diese und wenn ja in welcher Form? - Jedenfalls: Dieser Theorie ist es eigen, keinen weiteren Zweck zu verfolgen, als die Erkenntnis ihrer selbst. Ok? Ok.

Interessant wäre es jetzt natürlich zu sehen, zu welcher der drei Bedeutungen von Theorie dieser Eintrag gehört.

Ich wünsche Ihnen eine gute Woche aus der Zukunft.

D.

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/414

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Alltagslebenstauglichkeit von Philosophen (2/2)

Ja, Sie lachen! Aber das sollten Sie gerade nicht! Sie sind ja sicher ebenfalls davon betroffen. Als Sozialwissenschaftler oder (besonders) als Historiker sind Sie nämlich ebenso untauglich für ein gutes Alltagsleben wie wir Philosophen! Als Geisteswissenschaftler allgemein sind Sie nämlich verkopft und haben den Sinn für die Lebenswirklichkeit verloren. Ja! Ihre Vorbilder sind entweder in Löcher gefallen, als sie in den Himmel starrten (Thales, ca. 580 v. Chr.), sprangen in einen Vulkan (Empedokles, 435 v. Chr.) oder wurden nach einem kurzen Auftritt vor dem Gericht zum Tode verurteilt (Sokrates, 399 v. Chr.). Alles Hinweise also darauf, dass Sie kein Händchen für die Lebenswirklichkeit haben. Genau, und deshalb ziehen Sie sich meist in Unis zurück und runzeln so häufig es geht die Stirn. Mit voller oder leerer Kaffekanne, aber ohne Ahnung von dem, was in der Wirklichkeit abgeht.

Und woran liegt das? Liegt es vielleicht daran, dass Ihnen der Sinn für das Praktische fehlt? Sind Sie vielleicht faul? Möchten Sie sich vielleicht die Hände nicht dreckig machen? Versuchen Sie, die Welt zu zwingen, sich nach Ihren Theorien zu verhalten, ohne Erfolg dabei zu haben?

So einfach ist das nicht. Nein, nein. Denn erstens gehörte Thales als erster Philosoph oder Vorsokratiker einer Strömung an, die Prinzipien des Seins und kosmologische Erkenntnisse suchten (die Geschichte mit den Ölpressen mag erfunden sein). Ebenso verhielt es sich bei Empedokles. Sokrates hingegen war dem nach zu urteilen, was Platon schreibt, ein sozial äußerst kompetenter Mensch. Er verkehrte ungezwungen in höchsten Kreisen, trug zwar keine Schuhe (obwohl sein bester Freund Schuhmacher war) und wusste nicht, wie der Prozess der Abstimmung im Rat funktionierte, aber er verstand es mithilfe seiner Seelenkenntnis, seine Gesprächspartner zu locken, zu ärgern, aufzuregen, und am wichtigsten: den Weg zur Erkenntnis zu bereiten. Die Dialoge zeigen unglaubliche Menschenkenntnis, Feingefühl und taktische Klugheit im Gespräch. Er verwendete sein Geschick nicht für den eigenen Vorteil, sondern für den der anderen, wendete sie um und zeigt Ihnen das Wahre und das Gute. Welche bessere Handlung gibt es als diese?

„Ja, aber die wichtigen Dinge, die die Welt am Laufen halten, konnte er nicht und wollte sie nicht können!“

Stimmt nicht: Die Dialoge haben sich nicht selbst geschrieben, die Schärfung der Theorien nicht selbst geschärft, die allen Menschen zugänglichen Forschungsergebnisse nicht selbst ergeben. Und wer mehrere Bücher konzipieren, schreiben, redigieren und veröffentlichen kann, hätte sicher auch reich und berühmt werden können, wenn er oder wenn sie diesen Weg eingeschlagen hätten. Dagegen haben Sie sich dazu entschieden, die Welt zu entdecken, ohne an einen weiteren persönlichen Nutzen zu denken als an diesen selbst.

Mehr Selbstvertrauen also bitte.

Genau. Danke.

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/410

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(4) Einwanderungspolitik von 1713 bis 1786: Zwischen Inklusion und Exklusion

Unter Friedrich Wilhelm I. setzte sich zunehmend eine restriktive und allgemein gültige Judenpolitik durch, die durch Friedrich II. weitergeführt und verschärft wird. In den 1710er und 1720er Jahren gab es immer wieder verschärfte Verordnungen und neue Reglements, die sich aber regional sehr unterschieden, da es noch keine einheitliche Verwaltung mit einheitlichem Steuersystem gab (vgl. Stern 1962a, S. 39). Zur Erlangung von Privilegien mussten jüdische Familien immer wieder die eigene Nützlichkeit für den brandenburgisch-preußischen Staat unter Beweis stellen, die jüdischen Familien in einen permanenten Konkurrenzkampf untereinander führte. Friedrich Wilhelm I. kündigte immer wieder an, alle Juden ohne Schutzbrief, die bisher wegen ihrer Akzise sehr willkommen waren, ausweisen zu lassen und ab 1728 grundsätzlich keinen Schutzbrief mehr für die Mark Brandenburg auszustellen (vgl. Schenk 2010, S. 73). Sehr liberal blieb es hingegen noch in Preußen, das als ein wichtiges Transitland für jüdische Händler zwischen Russland, Litauen, Polen, England und Holland geschützt werden musste (vgl. Stern 1962a, S. 66f.). In Berlin wurde die Judenpolitik durch die Edikte von 1700 und 1714 geordnet, das viele Freiheiten gewährte, die allerdings 1730 wieder unterdrückt wurden. Weitere Abschiebungsversuche gab es nach 1735, als der jüdische Handel nach Missernten und einem allgemeinen Konjunktureinbruch durch geringe Nachfrage und steigende Preise teilweise zum Erliegen kam (vgl. Mittenzwei/Herzfeld 1988, S. 262, 256).

Der „Soldatenkönig“, der die Hofausgaben drastisch reduzierte und in das Heer und die Infrastruktur investierte, wollte auch die Judenpolitik vereinheitlichen: Das „General-Privilegium und Reglement“ vom 29. September 1730 sollte erstmalig versuchen für den gesamten Staat die jüdischen Lebensverhältnisse und Wirtschaftsmöglichkeiten neu zu ordnen, was allerdings als der Beginn eines langen Entwicklungsprozesses bis weit in die Regierungszeit Friedrich II. hinein zu verstehen ist und nicht in jeder Provinz sofort durchgesetzt werden konnte (vgl. Stern 1962a, S. 20; vgl. auch Rürup 1995, S. 27f. und Jersch-Wenzel/John 1990, S. 182ff.).

Eine Zäsur war die vermögensabhängige Übertragung des Schutzbriefs auf das erste Kind, die nur wohlhabenden Familien eine Zukunft in Brandenburg-Preußen sicherte und viele jüdische Familien in Existenzangst und Konkurrenz zu einander trieb. Außerdem sollten keine neuen Schutzbriefe mehr ausgestellt, die Anzahl der Juden im ganzen Staat begrenzt, der Handel wieder auf seltene oder Luxuswaren beschränkt und die Abgaben zusätzlich erhöht werden. Die seit 1674 bestehende solidarische Haftbarkeit für die Zahlung von Steuern und Schäden der jüdischen Gemeinden wurde auch auf fremde Juden ausgeweitet (vgl. Jersch-Wenzel/John 1990, S. 285). Das hatte zur Folge, dass die jüdischen Gemeinden daran interessiert waren, dass jüdische Einwanderer ein hohes Vermögen von mindestens 10.000 Reichstaler mitbrachten. Das Reglement führte zu zahlreichen Bittschriften und Beschwerden, sodass es in den Folgejahren einige Überarbeitungen erlebte, bis es unter Friedrich II. revidiert werden sollte. Insgesamt konnte die brandenburgisch-preußische Einwanderungspolitik bis 1740 das Land politisch und wirtschaftlich stabilisieren. Mit dem Regierungsantritt Friedrich II. wird die jüngere jüdische Geschichte in Brandenburg-Preußen rund 70 Jahre alt, sodass die Eingewanderten schon um eine 2. oder auch 3. Generation gewachsen sind und sich vielerorts jüdische Gemeinden etabliert haben.

Am 17. April 1750 wurde durch Friedrich II. ein „Revidiertes General-Privilegium und Reglement, vor die Judenschaft im Königreiche, Preußen, der Chur- und Marck, Brandenburg, den Hertzogthümern, Magdeburg, Cleve, Hinter-Pommern, Crossen, Halberstadt, Minden, Camin und Moers; ingleichen den Graf- und Herrschaften Marck, Racensberg, Hohenstein, Tecklenburg, Lingen, Lauenburg und Bütau“ (zit. n. Stern 1971b, S. 236/Nr. 102) erlassen, aber auf Bitten der jüdischen Gemeinden, die damit Zeit für mögliche Änderungen gewinnen wollten, erst 1756 veröffentlicht. Dieses General-Privileg baute auf das Reglement von 1730 und den zahlreichen Kabinetsordren,  Bittschriften, Eingaben und Resolutionen der Jahre zuvor auf und wurde auch nach Erlass von zahlreichen Änderungsvorschlägen begleitet. Es wurde weiter nach ökonomischen Nutzen systematisiert und erhielt insbesondere nach dem 7-jährigen Krieg neue Zusatzbestimmungen, die weitere Sonderabgaben und Zwangsexporte von Waren forderten, und wurde erst durch das Emanzipationsedikt 1812 annulliert (vgl. Schenk 2010, S. 82ff.; vgl. auch Jersch-Wenzel 1978, S. 92 und Jersch-Wenzel/John 1990, S. 182ff.).

Die jüdische Existenz in Preußen wurde dazu von ihren Kapitalerträgen und ihrem ökonomischen Engagement abhängig gemacht und durch ein komplexes Abgabensystem bestimmt. So wurden alle jüdischen Familien in dem Reglement von 1750 je nach Privilegien in sozialen Klassen statistisch erfasst und als (1) generalpriviligiert, (2) ordentlich, (3) außerordentlich, (4) vergleitet, (5) geduldet oder (6) unvergleitet eingeordnet (vgl. Freund 1912, S. 26; ebenso Battenberg 2001, S. 45f. und Bruer 1991, S. 71f.). Generalprivilegien erhielten nur die kleine Schicht an kapitalkräftigen, ökonomisch wertvollen „Hofjuden“ der 1. Klasse, die den Hof oder das Heer versorgten und von fast allen Beschränkungen befreit waren. Schutzjuden der 2. Klasse hatten immerhin das Recht, ihr Schutzprivileg nach ihrem Tod auch auf die mögliche Witwe oder ihr erstes und zweites Kind zu übertragen. Schutzjuden der 3. Klasse waren dazu nicht befugt und durften nur bei Bedarf und gegen Zahlung von 1000 Reichstalern ihren Schutzbrief aufs ihr erstes Kind übertragen. Später hatten durch die Erhöhung von Abgaben nur noch Familien mit einem großen Einkommen oder mit einem Manufakturbetrieb überhaupt noch Chancen, ihren ordentlichen oder außerordentlichen Schutzbrief, auch auf ihre Kinder zu übertragen, was zu Spannungen innerhalb der jüdischen Gemeinden führte (vgl. Jersch-Wenzel 1978, S. 94, 149, 163). Jüdische Familien der Klasse 4 wurden toleriert und waren meist Gemeindeangestellte, wie Schulmeister oder Rabbiner. Geduldete Familien der Klasse 5 besaßen keinen Schutz und erhielten nur Bescheinigungen, die zeitlich begrenzt waren. Die Klasse 6 bildeten jüdische Familien ohne Schutzbrief, Geleit oder Duldung, sodass diese kein Recht auf Niederlassung besaßen und zur dauernden Wanderung gezwungen waren, wobei sie nur ungern von jüdischen Gemeinden aufgenommen wurden, da diese für sie hafteten. Oftmals werden Juden der Klasse 6 in der Literatur auch als „Betteljuden“ geführt, deren Anteil an der jüdischen Bevölkerung Battenberg für das Jahr 1750 mit 50 Prozent und 1780 sogar mit 90 Prozent angibt. (Vgl. Battenberg 2001, S. 114).

Wie zügig der soziale Abstieg sich beispielsweise vollziehen kann, zeigen Herzfeld anhand von Levin Joseph aus Spandau (vgl. Herzfeld 2001, S. 164ff.) und Schenk am Niedergang des Manasse Jacob aus Bernau (vgl. Schenk 2010, S. 175). Um ihre soziale Situation zu verbessern und Privilegien zu erhalten war für jüdische Familien immer wieder der Nachweis der eigenen (ökonomischen) Nützlichkeit für Preußen unabdingbar. Insbesondere auf den Export legte Friedrich II. sein Hauptaugenmerk und forderte somit einen verstärkten Handel nach Holland, Frankreich, Schweden, Spanien, Portugal, Kursachsen, Russland bis in die Türkei und vor allem in das wirtschaftlich unterentwickelte und innenpolitisch geschwächte Polen. Erlaubt war durch das Generalprivileg von 1750 der Handel mit Luxuswaren, Geldwechseln und Krediten, Immobilien, Manufaktur- und Gebrauchtwaren sowie Textilien, Vieh und Pferden. (Vgl. Freund 1912, S. 40; vgl. auch Battenberg 2001, S. 95)

Zwischen 1723 und 1813 machte die jüdische Erwerbsbevölkerung in Berlin im Handelsbereich 68 Prozent aus, während es in der Gesamtbevölkerung nur 7,4 Prozent waren.  Jüdische Männer waren dabei zu 47,5 Prozent im Warenhandel und zu 20,5 Prozent im Geldhandel tätig (vgl. Jersch-Wenzel/John 1990, S. 202ff.. Weitere 5,7 Prozent arbeiteten im Handwerk, 5,7 Prozent im Gewerbe und 14 Prozent im Privat- und Gemeindedienst).

Von ökonomischen Engagement hing somit die jüdische Zukunft in Preußen, aber auch die Zukunft für Preußen ab, denn kein „Staat hat die ökonomische Disziplinierung der Juden so systematisch betrieben und genutzt wie Preußen“ (Bruer 1991, S. 18).

 

Literatur

Battenberg, J. Friedrich (2001): Die Juden in Deutschland vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Enzyklopädie Deutscher Geschichte. Bd. 60. München.

Bruer, Albert A. (1991): Geschichte der Juden in Preussen (1750-1820). Frankfurt/Main.

Freund, Ismar (2012 [1912]): Die Emanzipation der Juden in Preußen. Bd. 2. Urkunden. Hildesheim.

Herzfeld, Erika (2001): Juden in Brandenburg-Preussen. Beiträge zu ihrer Geschichte im 17. und 18. Jahrhundert. Berlin.

Jersch-Wenzel, Stefi; John, Barbara (1990): Von Zuwanderern zu Einheimischen. Hugenotten, Juden, Böhmen, Polen in Berlin. Berlin.

Jersch-Wenzel, Stefi (1978): Juden und „Franzosen“ in der Wirtschaft des Raumes Berlin/Brandenburg zur Zeit des Merkantilismus. Einzelveröffentlichung der Historischen Kommission zu Berlin. Bd. 23. Berlin.

Mittenzwei, Ingrid, Herzfeld, Erika (1988): Brandenburg-Preußen 1648-1789. Das Zeitalter des Absolutismus in Text und Bild. Berlin.

Rürup, Reinhard (1995): Jüdische Geschichte in Berlin. Bilder und Dokumente. Berlin.

Schenk, Tobias (2010): Wegbereiter der Emanzipation? Studien zur Judenpolitik des „Aufgeklärten Absolutismus“ in Preußen (1763-1812). Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte. Bd. 39. Berlin.

Stern, Selma (1971b): Der Preussische Staat und die Juden. Dritter Teil/Die Zeit Friedrichs des Großen. 2. Abteilung: Akten. Tübingen.

Stern, Selma (1962a): Der Preussische Staat und die Juden. Zweiter Teil/Die Zeit Friedrich Wilhelms I. 1. Abteilung: Darstellung. Tübingen.

Quelle: http://germanjews.hypotheses.org/46

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24. Alltagslebenstauglichkeit von Philosophen (1/2)

Ich wurde neulich mit einer interessanten Ansicht konfrontiert, die mich zum Nachdenken angeregt hat: Kurz nachdem ich mir meinen Montagsfrack angezogen habe und kurz bevor ich bemerkte, dass ich vergessen hatte, Schuhe dazu anzuziehen, geriet ich in eine Meinungsverschiedenheit über den Besitzanspruch eines Sackes Kartoffeln am Markt. Jemand riet mir dort im Handgemenge, ich solle die Situation doch nicht gänzlich aufgrund meiner moralischen Standards bewerten. Denn diese wären naturgemäß (so die Implikation) für jemanden der sich mit Philosophie beschäftige, sehr hoch, vielleicht sogar ideal und deshalb zu hoch, zu lebensfern (wie mein Scheitel an jenem unheivollen Tag).

Denkwürdig ist dieser Rat aber allemal: Erstens enthält er nämlich die Meinung, dass Philosophen gerade nicht die Realität im Auge haben, sondern ein von der Realität losgelöstes Konzept untersuchen. Dieses Konzept würde dann über die nicht-ideale Lebenswirklichkeit gestülpt und passe deshalb nur bedingt. Philosophie sei also weltfremd. - Aber wenn dies der Fall wäre, dann müsste man auf eine andere, nicht-philosophische Meinung rekurrieren, welche vermeintlich näher an der Realität dran wäre. Das hätte die paradoxe Konsequenz zur Folge, dass eine Person, die sich weniger mit der Theorie der Moral beschäftigte, eine bessere moralische Bewertung vornehmen könnte als eine Person, die sich viel damit beschäftigte (ja, Vergangenheit, nicht Konjunktiv). Derselbe Vorwurf scheint bei Juristen bezüglich Rechtsstreitigkeiten, Betriebswirtschaftswissenschaftlern bezüglich betriebswirtschaftlicher Fragen oder Biologen bezüglich anderer Biologen unplausibel, warum also anders bei der Philosophie? "Ja, genau, warum?". Wir sollten tatsächlich immer die Realität, die Wahrheit im Auge haben und kein dünnes Abbild der Wirklichkeit, das in seiner Gültigkeit reduziert ist.

Zweitens denke ich aber tatsächlich nicht, dass Philosophen selbst grundsätzlich moralisch besser dastehen als Juristen, Wirtschaftswissenschaftler und Biologen. „Warum?“ Naja, es gibt viele Gründe: Beispielsweise ist die Bewertung einer Situation im Nachhinein eine ganz andere Sache als die Anwendung der Theorie auf die eigene Handlungsmotivation (Stichwort: Fußball). „Warum?“ Ist doch klar: Solange der Unterschied zwischen einer moralischen und einer amoralischen Handlung im Bruchteil einer Sekunde getroffen wird, während der also keine Zeit zum Abwägen und Durchdenken ist, müsste Ihr moralisches Reflexsystem bereits so gut geschult sein, dass es im Notfall auch ohne langes Nachdenken funktionieren kann. Wie häufig moralische Reflexe zur Anwendung kommen (, ob es sie gibt, was der Unterschied zur plötzlichen Erkenntnis) und wie häufig Zeit zum Denken ist, kann ich Ihnen leider nicht genau sagen.

Selbst wenn aber Aristoteles aus Menschen keine hirnlosen Tugendmaschinen machen wollte, sagte er dennoch zurecht, dass der gute Mensch das Gute gerne tut. Er hat Lust am Guten. Wenn sich Ihnen also der Magen verdreht, wenn Sie eher jemanden vor dem Ertrinken retten sollen, als Ihren Scheitel bei Coiffeur nachziehen zu lassen, sind Sie nach Aristoteles noch nicht tugendhaft.

„Wenn sonach die Tugend zweifach ist, eine Verstandestugend und eine sittliche Tugend, so entsteht und wächst die erstere hauptsächlich durch Belehrung und bedarf deshalb der Erfahrung und der Zeit; die sittliche dagegen wird uns zuteil durch Gewöhnung [...].“ (Aristoteles, Nikomachische Ethik Buch II, Kapitel 1).

Jetzt wollen Sie sicher wissen, wie die Geschichte mit dem Kartoffelsack ausgegangen ist. Ich sage es Ihnen: Als ich mich kurz bückte, um meine Schnürsenkel zuzubinden, da es mir an den Füßen kalt zu sein schien, zog mein Gegner mir einen passenden Scheitel mit seiner Handkante, nahm den Kartoffelsack weg und bestellte schöne Grüße aus dem Naturzustand.

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/384

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25. Vier Fragen in einem Seminar

Endlich hat das Semester wieder begonnen. Die gescheitelten Turnisterträger aus der Nachbarsfakultät halten die Türen auf und der Kaffee aus den 90-Cent Kaffeeautomaten ist endlich wieder dünn wie auf einer Konferenz. Mir scheinen auch unsere Büsten im Seminarraum ein schadenfreudiges Grinsen aufgesetzt zu haben, weil sie den merkwurdigen Genuss von Fremdscham für die kommenden Referate und Hausarbeiten antizipieren. Und mich würde es auch nicht wundern, wenn Sokrates eine weiße Lakritze zwischen die Kreiden unter der Tafel gemischt hätte.

Endlich ist es also wieder an der Zeit, die passiven Kenntnisse aus der vorlesungsfreien Zeit in interessante Gespräche einzubringen und auf Standfestigkeit prüfen zu lassen. Unsere steinernen Vorbilder müssen sich, wie wir an ihren Scherzen und ihren gegenseitigen Streichen ja sehen können, im Gegensatz zu uns nicht mehr beweisen. Wir aber, und damit meine ich auch Sie, wenn Sie an einem Oberseminar teilnehmen, müssen sich irgendwie einbringen. Schließlich lebt das Seminar im Gegensatz zu der Vorlesung ja von Ihren Beiträgen. Und Ihre Noten leben wiederum von der Qualität Ihrer Beiträge (Lebensursache: Qualität. Aristoteles würde mich mit dem Tablet ohrfeigen.)

Ich glaube aber, dass nicht jeder Seminarbeitrag des Teilnehmenden eines Seminars an denselben Standards gemessen werden darf. Studis der höheren Semester können ja gar nicht dasselbe Wissen wie Büsten haben. Mir jedenfalls sind vier verschiedene Beitragsarten aufgefallen, vielleicht fünf, die immer wiederkehren:

1. Die spitzfindige Frage: Die spitzfindige Frage beweist, dass der Teilnehmende das Thema nur oberflächlich oder gar nicht bearbeitet hat, dass er aber mit einer “Flucht nach vorne” darüber hinwegtäuschen möchte. Solche Fragen beschränken sich auf oberflächliche Widersprüche, die sich aus dem jeweiligen Vortrag ergeben. Dies sind meine Lieblingsfragen.

2. Die Verständnisfrage: Mit einer solchen Frage zeigen Sie, dass Sie sich Gedanken gemacht haben und auf der Suche nach der Wahrheit sind. Verständnisfragen zeigen außerdem, dass Sie sich vorbereitet haben und Sie nicht mehr ganz am Anfang stehen, sondern Sie aufgrund Ihrer Kemntnisse bereits so viel Selbstbewusstsein haben, dass Sie dem ehrenwerten Redner öffentlich unterstellen können, etwas nicht absolut klar ausgedrükt zu haben. Wenn sie etwas Anstand haben, formulieren Sie Ihre Frage defensiv “ich habe nicht genau verstanden” oder “war nicht gänzlich aufmerksam”. Alle anderen werden es verstehen: Der Redner hat’s vermasselt.

3. Die Spiegelfrage: Die Spiegelfrage reflektiert das Vorgetragene a) an anderen Publikationen über das Thema aus der Sekundärliteratur oder aber b) an anderen Schrifen desjenigen Autors, der zur Debatte steht. Wenn Sie eine Spiegelfrage stellen, zeichnen Sie sich als kompetente Person aus. Als Doktorand sollte man diese Art von Fragen stellen. Tun Sie dies nicht, so wie ich, haben Sie noch einen langen Weg vor sich und Ihre Formalidentität als Doktorand verdeckt Ihren igentlichen “Ersti”-Studentenstatus. Gehören Sie zu denjenigen Studierenden, die sich mit dem Argument selbst belügen, man könne sich nicht in jedem Thema so auskennen, dass man Spiegelfragenstellen kann, gilt das fiese Grinsen unserer Büsten auch Ihrer kommenden Disputatio.

4. Dihairetische Fragen: Solche Fragen müssen nicht unbedingt eine platonische Geburtshilfe beinhalten. Ihnen ist aber charakteristisch, dass Sie bereits eine eigene Foschungsmeinung zu dem Thema entwickelt haben und Sie Ihre Position (häufig) gegen diejenige des Referenten ins Feld führen und mit eigenen Fragen und Darstellungen Ihre Überzeugung verteidigen. Solche Fragen sind die Crème de la Crème (wie man im Espressojargon sagen würde) des Seminars und erfordern langjährige Erfahrung.

Habe ich etwas vergessen?

Grüße, D.

 

 

 

 

 

 

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/373

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26. Durchsetzungsfähigkeit und Macht

Wissen Sie, wer sich durchsetzt, gilt als klug, gewandt, schlau, wertvoll. Denn diese Person hat es geschafft, ihr Interesse vor das Interesse der anderen zu stellen. Und im direkten Vergleich hat sie dann natürlich gewonnen. Klar, denn das Leben ist immer eine Olympiade. Kalkulieren, durchsetzen und wenn es sein muss, auch ein wenig intrigant sein, dann hat man verstanden, worauf es im Leben ankommt: Macht und Durchsetzungsfähigkeit. Max Weber definiert Macht so: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“ (WuG §16).

Wenn Sie ein blinder Riese sind, dann sind sie auch mächtig, aber sie werden dennoch bei jedem Wutanfall Ihre Küche in Stücke hauen, oder Odysseus entwischen lassen. Das ist schlecht, weil Sie Niemanden nirgendwo kochen werden können. Aber auch andersherum, also dort, wo nicht Kraft gefragt ist, sondern List, verlieren Sie häufig trotz Ihrer Macht: Der Inbegriff der listigen Person ist Sisyphos. Mit seiner ruchlosen Trickserei und „Intrigerei“ brachte er es es sogar fertig, einige Male den Tod zu überlisten. Er galt als der verschlagenste aller Menschen. Und auch das ist eine Form von Macht, die natürlich nichts mit Stärke und Gehorsam von Untergebenen zu tun hat, sondern sich in den kleinen Köpfen vieler Sisyphosse abspielt, die ihre Interessen, ohne die Fähigkeiten des Riesen zu haben, durchsetzen wollen. Würden Sie sich mit einem der beiden Exempel identifizieren wollen (wenn ich sie positiv dargestellt hätte)? Schwer zu entscheiden, oder?

Naja, Platons Zugang zu dem Problem ist klar und überraschend zugleich: Im Dialog Gorgias des Sokrates findet sich die denkwürdige Aussage, es sei besser Unrecht zu erleiden als Unrecht zu tun. Selbst also wenn man mächtig genug wäre, sich zwischen beiden entscheiden zu können, sollte man lieber Unrecht erleiden wollen. Auch im Mythos des Er am Ende des Dialogs sehen wir außerdem den Odysseus, den Schlauesten aller Menschen, wie er sich sein nächstes Leben kurz vor der Wiedergeburt auswählt: Nach langem Überlegen entscheidet er sich gegen das Leben eines Königs und Tyrannen und für das Leben eines Privatmannes. Auch interessant, oder?

Was hat es also mit diesem Bedenken gegen Durchsetzungsfähigkeit und Macht auf sich? Damit kommen wir wieder bei den Interessen an: Wer seine Talente ausgeprägt hat, wer gelernt hat, mit sich auszukommen und mit sich selbst im Reinen zu sein, hat bereits eines der größten Güter erlangt, die es gibt. Sie denken, das sei Quatsch? Hokuspokus? Nein, schauen Sie, es läuft doch alles auf das selbe hinaus: Wenn Sie Geld machen, dann denken Sie auch an Sorglosigkeit, Befriedigung von Lüsten und die Unabhängigkeit, die daraus resultiert, oder? Mit dem Geld werden Sie diese Ziele jedoch nie gänzlich erreichen, da es immer abhängig von der Geldabwertung, der Zentralbank, der Inflation und so weiter sein wird. Besser wäre da gesellschaftliches Ansehen zu erlangen. Ein guter Job bei einer internationalen Organisation, ein schicker Botschafterposten stärkt Ihre Position in der Gesellschaft und gibt Ihnen Selbstvertrauen und Souveränität. Aber auch hier werden Sie immer von einem Vorgesetzten abhängig sein, von politischen Umwürfen und der Presse. Alles Dinge, auf die Sie nicht weiter zugreifen können. Bleibt also die Frage nach dem, was die reine Selbstgenügsamkeit ist, die unabhängig von solch variablen äußeren Gütern bestehen bleibt. Diese besonders schwere Form der Autarkie muss in erster Linie unmittelbar von Ihnen selbst abhängen, von dem, auf das Sie vollen Zugriff haben, Ihre innere Einstellung. Sollten Sie so weit sein (ich bin es z. B. sicher noch nicht) und eine solche autarke Einstellung erlangt haben, dann werden Sie selbst in einer besonders mächtigen Position Ihre Aufmerksamkeit weg von sich selbst richten (Sie bedürfen ja nichts mehr, sind autark) und weder den Fehler des Riesen noch den Fehler des Sisyphos begehen. Sie werden Ihre Aufmerksamkeit vollkommen auf das richten, was zu tun ist: Ihre Bürger, wenn Sie Politiker sind, Ihre Patienten, wenn Sie Arzt sind. Und das Unrechtleiden? Klar, sie werden lieber Unrecht leiden, als es zu tun, weil es für Sie schlimmer ist, die so wertvolle Autarkie aufzugeben. Wenn jemand anderes diese aufgibt, dann liegt es nicht mehr in Ihrer Macht es zu ändern. Wer Unrecht tut, hat eine hässliche Seele. Wer es erleidet, kann nichts dafür.

“Und muss der autarke Mensch nicht auch Essen und Schlafen? Soll er selbst Gemüse anbauen, oder was?”

“Diese Frage können Sie nach der Stunde gerne noch einmal Stellen.”

Aber sind Sie vielleicht Realpolitiker oder Realpolitikerin und denken tatsächlich, das sei immer noch Quatsch? Sie denken, die Welt sei ein Schachbrett und wer nicht angreift und kalkuliert, gehe zugrunde, weil er irgendwann nichts mehr zu essen haben werde? Klar, wenn Sie einmal in dem Spiel drin sind, dann ist ein Ausstieg schwer. Aber die Realpolitiker tun sich eben auch seit vielen Jahren sehr schwer damit zu verstehen, wie souveräne Einzelstaaten Ihre Macht freiwillig an eine andere „Organisation“ abgegeben haben konnten: An die EU.

Ich glaube ich werde noch etwas dazu schreiben müssen, oder?

Ich verabschiede mich jetzt aber, um wieder etwas an meiner Autarkie zu arbeiten.

Grüße

D.

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/368

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Private Kriegsfotografie im Zweiten Weltkrieg: Dissertationsprojekt Armin Kille

Bei dem im Blog vorgestellten Forschungsprojekt handelt es sich um einen Ansatz der mehrdimensionalen Erfassung deutscher Kriegsfotografie. Innerhalb der Teilprojekte werden die Faktoren Akteure und Zeit unterschiedlich definiert und anschließend in einem Gemeinschaftsprojekt verglichen. Langfristig wird somit angestrebt, einen Beitrag zur Gesamterschließung der Kriegsfotografie im Zweiten Weltkrieg zu leisten. Der folgende Beitrag stellt eines der drei Teilprojekte vor, dessen Blick sich auf die Soldaten1 im direkten Kriegsgeschehen richtet, unter besonderer Betrachtung ihrer Kommunikation über Fotos und Briefe mit der Heimat.

Die auf Speichern, in Kellern, in Regalen und Archiven lagernden Bilder der privaten Fotografie stellen eine der umfangreichsten und gleichzeitig am wenigsten erforschten Quellengruppe des privaten Lebens dar; unter ihnen zahlreiche Aufnahmen aus dem Zweiten Weltkrieg.2 Von den schätzungsweise 18,2 Millionen aktiven Soldaten der Wehrmacht und der Waffen-SS3 besaßen ungefähr 10% eine Kamera, mit denen sie pro Film im Durchschnitt zwischen 24 und 36 Bilder machen konnten.4 Unter der Berücksichtigung, dass einige Apparate untereinander weiter gegeben wurden, kann also von nahezu zwei Millionen fotografierenden Soldaten und unzähligen Fotografien ausgegangen werden. Doch gerade weil der größte Teil dieser Bilder durch die unmittelbaren Einwirkungen des Krieges wie Gefangenschaft, Flucht und Bombenangriffe oder durch beabsichtigtes sowie unbeabsichtigtes Entsorgen nach dem Krieg auf immer zerstört wurde, muss es ein Anliegen der historischen Forschung sein, den noch existierenden Teil weiter systematisch zu untersuchen.

Das hier vorgestellte Dissertationsvorhaben wird sich der privaten Kriegsfotografie unter besonderer Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Bilder und ihrer zeitgeschichtlichen Bedeutung nähern. Im Zentrum der Untersuchung stehen Soldaten, die nicht nur ihren Einsatz mit der Kamera festhielten, sondern diesen zusätzlich über Fotografien mit ihrer Heimat, mit Kameraden oder auch mit sich selbst kommunizierten. Fotografien, die mit der Feldpost nach Hause geschickt wurden oder zur Illustration selbst verfasster Kriegstagebücher dienten, erzählen viel über die direkte Erfahrung, die der Krieg den Soldaten gebracht hat und welche Bedeutung sie ihm zuordneten. Neben der Frage nach den individuell konstruierten Bildergeschichten des Krieges soll durch die diskursive Vernetzung fotografischer Quellen mit schriftlichen Ego-Dokumenten (Feldpostbriefe, Tagebücher etc.) sowie zusätzlichen zeitgenössischen Unterlagen (weitere persönliche Dokumente, Tageszeitungen, militärische Akten etc.) die Rekonstruktion subjektiver Kriegswahrnehmungen der Beteiligten erleichtert werden. Dadurch kann deutlicher Aufschluss darüber erlangt werden, welchen Platz sich diese Personen innerhalb des Krieges zugeschrieben haben und welche Rolle der Krieg zu welchem Zeitpunkt in der Interaktion mit der Heimat und/oder Freunden spielte.

In den letzten Jahren wurde der Fokus der fotografiegeschichtlichen Erforschung des  Nationalsozialismus durch einige wichtige Arbeiten mit rezeptionstheoretischen und erinnerungsgeschichtlichen Ansätzen auf die Nachwirkungen der Bilder gelenkt.5 Der hier vorgestellte eher mentalitätsgeschichtlich ausgerichtete Ansatz will den Schwerpunkt wieder auf die Frage lenken, warum diese Fotografien überhaupt existieren.6

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Bild: Bundesarchiv, Bild 101I-219-552-25A, Fotograf unbekannt.

  1. In diesem Zusammenhang werden die Soldaten der Propagandakompanien nicht miteinbezogen.
  2. Vgl. Paul, Gerhard, Visual History, Version 3.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 13.03.2014, http://docupedia.de/zg/Visual_History_Version_3.0_Gerhard_Paul, Stand: 20.07.2014.
  3. Vgl. Overmans, Rüdiger, Deutsche militärische Verluste im Zweiten Weltkrieg, München 1999, S. 215.
  4. Vgl. Boll, Bernd, Vom Album ins Archiv – Zur Überlieferung privater Fotografien aus dem Zweiten Weltkrieg, in: Holzer, Anton (Hrsg.), Mit der Kamera bewaffnet – Krieg und Fotografie, Marburg 2003, S. 167-178, S. 167.
  5. Vgl. u.a. Brink, Cornelia, Ikonen der Vernichtung. Öffentlicher Gebrauch von Fotografien aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern nach 1945, Berlin 1998; Knoch, Habbo, Die Tat als Bild. Fotografien des Holocaust in der deutschen Erinnerungskultur, Hamburg 2001; Struk, Janina, Photographing the Holocaust. Interpretations of the Evidence, London 2004; zum Teil auch Bopp, Petra, Fremde im Visier. Fotoalben aus dem Zweiten Weltkrieg, Bielefeld 2009.
  6. Während Miriam Arani auf das Ungleichgewicht speziell innerhalb der Fotografieforschung des Nationalsozialismus hinweist, erkennt Nora Mathys dieses ebenfalls innerhalb des gesamten Forschungsfeldes der privaten Fotografie: Arani, Miriam, Fotografische Selbst- und Fremdbilder von Deutschen und Polen im Reichsgau Wartheland 1939-45. Unter Berücksichtigung der Region Wielkopolska, Hamburg 2008, S. 6; Mathys, Nora, Fotofreundschaften. Visualisierungen von Nähe und Gemeinschaft in privaten Fotoalben aus der Schweiz 1900-1950, Baden 2013, S. 38.

Quelle: http://2wkvisuell.hypotheses.org/115

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Auf der Suche nach dem Lokalen

Der Sammelband Environmental Imaginaries of the Middle East and North Africa (2011) enthält es einen interessanten Beitrag von Leila M. Harris. Er basiert auf Feldstudien, hauptsächlich ausführlichen Interviews mit der lokalen Bevölkerung im Südosten der Türkei, in jenem Gebiet, das im Rahmen des umstrittene “South-Eastern Anatolia Programme” (GAP, Great Anatolia Project, in Turkish: Güneydoðu Anadolu Projesi) “entwickelt” werden soll. Dieses größte Entwicklungsprojekt der Türkei soll unter anderem 22 Staudämme umfassen. Jenseits der kontroversen Diskussionen um das Projekt ergeben sich aus den Interviews, die Harris mit der lokal ansässigen Bevölkerung geführt hat, zwei interessante Aspekte:

Aber die interviewten Kleinbauern teilen gerade nicht die kritische Perspektive, die Umweltaktivisten, aber auch liberale Intellektuelle auf die “Entwicklung” des Gebietes und der damit verbundenen Modernisierung der Landwirtschaft haben. Sie sind vielmehr mehrheitlich der Überzeugung, dass die Probleme, die die technischen Neuerungen bisher hervorgerufen haben (etwa die Versalzung des Bodens) das Streben nach technischem “Fortschritt” nicht in Frage stellen:

“narratives reveal that farmers and state agents engage the evidence of environmental degradation to argue for more technoscience, and more state intervention, not less.” (204, Hervorhebung im Org.)

Ein Ergebnis, das Harris unter anderem auf die geradezu mythische Aufladung des Entwicklungsbegriffes zurückführt. Technischer Fortschritt in der Landwirtschaft wird als “point of entry for other possibilies wahrgenommen, perhaps even viewed as an opening for broader associations with modernity and wealth” (206). Die Moderne ist, zumindest im Südosten der Türkei, offenbar immer noch ein Versprechen.

Zweitens stellt Harris klar, dass sich, im Gegensatz zu anderen Arbeiten, die die “lokale” Perspektive dem “scientific or state knowledge” strikt entgegensetzen (193), diese beiden Kategorien in ihrer Untersuchung nicht trennen lassen. Sie vermischen sich stattdessen in Form eines “hybridized knowdedge” vermischen (200). Die Interviewten interpretieren ihre Situation nicht aus einer lokalen Perspektive heraus,

“[they] connect their local practices (e.g., crop choice or pesticide use) to state practices, as well as to scales and notions of national belongings (e.g., the idea of benefiting the national economy through cotton production) […] offering a challenge to what is meant by ‘local knowledges’.” (202)

Dies führt mich zurück zum Problem des Lokalen, dass sich bereits bei der Konzeption meiner Arbeit aufgetan hat. Das ‘Lokale’ ist, wo post-strukturalistische Ansätze in den Geisteswissenschaften vorherrschen, zu einem umworbenen Terrain geworden: Man möchte die spezifisch lokale Perspektive herausarbeiten, die Praktiken auf der lokalen Ebene, die Sichtweisen und Handlungen der lokalen (und damit in vielen Fällen subalternen) Akteure zeigen. Dies entspringt häufig dem lobenswerten Anspruch, Akteure zu Wort kommen zu lassen oder ins Bild zu rücken, die historische oder gesellschaftliche Analysen bisher vernachlässigt oder übergangen haben. Aber es führt, jenseits von praktischen Problemen (etwa bei der Analyse lokaler oder subalterner historischer Praktiken durch die Brille hegemonialer Überlieferung) zu einer Essentialisierung des Lokalen, die sich wenig mit den dekonstruktivistischen Ansprüchen decken, die die Arbeiten eigentlich verfolgen. Theoretisch und empirische Arbeiten haben in den letzten Jahren gezeigt, wie problematisch der unkritische Bezug auf das Lokale, so etwa Arjun Appadurai in Modernity at large oder die Arbeiten, die Akhil Gupta and James Ferguson in Anthropological Locations versammelt haben. Ulrike Freitag stellt in der Einleitung zum Sammelband Translocality fest:

“[T]he notion of the ‘local’ remains a critical one. Criticism of the earliert view of places, communities and cultures as counded and fixed localities sparked numerous debates. It has become mostly accepted by now the locality is “produced” socially and culturally, often in contexts of heightened mobility of different scales, and of transgression of boundaries, which were already noted to be central to translocal perspectives on localities.” (9).

Diese Erkenntnis ändert wenig daran, dass die Attraktivität des ‘Lokalen’ ungebrochen hoch ist. “Für uns ist vor allem eine lokale Perspektive interessant”, wurde mir mehrfach gesagt, als ich zu Beginn meiner Arbeit erste Gespräche führte. Oder: “Das lässt sich doch gut einander gegenüberstellen: die lokale und die globale Perspektive auf den Wald.” Und ich kann nicht leugnen, dass auch ich implizit davon ausging, durch die Einbeziehung der ‘lokalen’ Akteure eine Perspektive einbringen zu können, die kritischer, authentischer, ja, irgendwie anders als die westlich-globalisierte war.
Es gibt eine ganze Reihe von Arbeiten, die so begonnen haben – und deren Ergebnis dann unter anderem war, dass das lokale viel weniger lokal war als zunächst angenommen. Aber auch wenn das ‘Lokale’ im Laufe der Arbeit dann de-konstruiert wird, stellt sich, gerade zu Beginn einer Arbeit die Frage, wie man diese Dichotomie auch konzeptionell umgehen kann. Wenn das ‘Lokale’ problematisch ist, wenn das Lokale immer auch globalisiert ist, was setzt man ihnen entgegen, den vereinheitlichten und vereinheitlichenden Diskurse und Praktiken einer hergestellten Globalität? Wie kann man es bezeichnen und definieren? Oder welche Pespektive lässt sich einnehmen, die diese Dichotomien umgeht oder gar überwindet?

Zitierte LIteratur:

Appadurai, Arjun (1996): Modernity at large. Cultural dimensions of globalization. Minneapolis, Minn: University of Minnesota Press (Public worlds, v. 1).

Harris, Leila M.: Salts, Soils and (Un)Sustainibilites? Analyzing Narratives of Environmental Change in Southeastern Turkey. In: Davis, Diana K.; Burke, Edmund (Hg.) (2013): Environmental imaginaries of the middle east and north africa. Athens: Ohio University Press, S. 192-218.

Gupta, Akhil; Ferguson, James (1997): Anthropological locations. Boundaries and grounds of a field science. Berkeley: University of California Press.

Freitag, Ulrike; Oppen, Achim von (2010): Introduction “Translocality”. An approach to connection and transfer in area studies. In: Ulrike Freitag und Achim von Oppen (Hg.): Translocality. The study of globalising processes from a southern perspective. Leiden [The Netherlands], Boston: BRILL (Studies in global social history, v. 4), S. 1–21.

Quelle: http://gclf.hypotheses.org/48

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Deutsche Kriegsfotografie im Zweiten Weltkrieg – Zwischen privater und professioneller Praxis

Autoren: Armin Kille, Thomas Lienkamp

Der Zweite Weltkrieg ist trotz der zeitlichen Distanz von fast 75 Jahren wie kein anderer Krieg in der deutschen Erinnerungskultur präsent. Es handelt sich um ein historisches Ereignis, das bis in die heutige Zeit auf individueller wie kollektiver Ebene von allen Generationen mit ganz bestimmten Bildern assoziiert wird. Bilder, die sich größtenteils auf Fotografien beziehen, die dem damaligen Geschehen auch tatsächlich entstammen. Diese ausgeprägte visuelle Dimension der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg hängt unmittelbar mit dessen historischer Situierung im beginnenden „Visuellen Zeitalter“ zusammen. In keinem vorherigen Krieg spielte die private und professionelle Produktion von fotografischen Bildern eine so große und wirkmächtige Rolle.

Das Forschungsblog verortet sich bewusst im Forschungsfeld der Visual History1. Dem Ansatz der Visual History folgend werden Fotografien, zusätzlich zu ihrer Rolle als Quelle, auch “als eigenständige Gegenstände der historiografischen Forschung”2 erfasst. Somit werden sie nicht nur als Darstellungsobjekt einer vergangenen Realität betrachtet, sondern ebenso als Vermittler von Wahrnehmungshorizonten und Denkhintergründen, als Multiplikator von Sehgewohnheiten und Ästhetiken sowie als Erzeuger einer eigenen Realität verstanden.

Um einen möglichst breiten Blick über das Themenfeld der deutschen Kriegsfotografie zu erreichen, werden in thematisch und methodisch ergänzenden Beiträgen die beiden wichtigsten Gruppen von Bildautoren in einer eng kooperierenden Projektgruppe untersucht:

Professionelle Fotografen lieferten im staatlichen Auftrag Aufnahmen, durch die ein einheitlich konstruiertes Bild des Krieges für die Öffentlichkeit entstehen konnte. Die eigens dafür in den „Propagandakompanien“ (PK) zusammengefassten Berufsfotografen begleiteten die Einheiten der Wehrmacht und der Waffen-SS und erstellten Material für die Kriegsberichterstattung in den deutschen und neutralen Medien. Ihre vorrangige Prämisse war dabei die gezielte Modellierung einer virtuellen Kriegsrealität, eines gewollten Bild des Krieges, das den Zielen und Zwecken der Staats- und Wehrmachtführung entsprach und der deutschen Öffentlichkeit vermittelt werden sollte.

Andererseits wurden durch die zahlreichen privat fotografierenden Soldaten sehr viele individuelle Bilder des Krieges konstruiert. Durch diverse technische Neuerungen begünstigt erreichte das Fotografieren auch im privaten Gebrauch einen Höhepunkt und entwickelte sich in den 1920er Jahren zu einem alle Gesellschaftsschichten durchdringenden Phänomen. Es zeigte sich, dass Amateure und Knipser gerade auch in der Ausnahmesituation Krieg weiter fotografierten und in ihren Aufnahmen zwischen soldatischer Alltagsfotografie, touristischem Blick und bellizistischer Sensationsfotografie oszillierten. Dabei gestalteten die Soldaten, bewusst wie unbewusst, ihren ganz privaten Bilderkosmos.

Auch wenn die fotografischen Quellen ausreichend vorhanden sind, handelt es sich bei einem Vergleich zwischen privater und professioneller Kriegsfotografie im Zweiten Weltkrieg bis heute um ein weitgehendes Forschungsdesiderat. Das konzipierte Blogprojekt möchte seinen Beitrag leisten, diese Lücke, 75 Jahre nach Kriegsanfang, weiter zu schließen.

  1. Vgl. weiterführend Paul, Gerhard, Visual History. Version 3.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 13.03.2014, URL: http://docupedia.de/zg/Visual_History_Version_3.0_Gerhard_Paul?oldid=88771, Stand: 31.07.2014.
  2. Vgl. Paul, Gerhard, Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen 2006, S. 25.

Quelle: http://2wkvisuell.hypotheses.org/52

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15 Jahre “Bologna” – auch in der Vor- und Frühgeschichtlichen Archäologie

15 Jahre nach dem von Seite der Politik gefassten Beschluss, die Studiengänge an den europäischen Universitäten zu vereinheitlichen, wird wieder einmal Bilanz gezogen: So etwa in einem Beitrag der F.A.Z. vom 27.8.2014. Hiernach halten nur 23% der Studierenden des Bachelorabschluss für berufsqualifizierend. Dabei stellt sich meines Erachtens zunächst einmal die Frage, was genau eigentlich mit “berufsqualifizierend” gemeint ist. 

Es sollte auf jeden Fall vermieden werden, die Fähigkeiten von BachelorabsolventInnen mit denen der AbsolventInnen früherer Magister- oder Diplomstudiengänge zu vergleichen oder gar gleichzusetzen: Wenn hier schon Parallelen gezogen werden, dann sollten Master und Magister einander gegenüber gestellt werden. Heutigen Studierenden zu suggerieren, sie stünden nach nur 6 Semestern Bachelorstudium auf dem gleichen Niveau wie früher ein Magister oder eine Magistra, hieße schlicht, sie zu belügen. Der Bachelorabschluss ist etwas Neues; im den alten Magister- und Diplomstudiengängen gab es nichts Vergleichbares.

Dieses Problems waren sich auch VertreterInnen verschiedener archäologischer Berufszweige und damit potentieller Arbeitgeber sowie VertreterInnen der Universitäten bewusst, als sie sich im vergangenen Jahr auf Einladung der Kommission für Archäologische Landesforschung in Hessen zu einer Podiumsdiskussion getroffen haben. Im Rahmen der Veranstaltung “BA/MA – Die archäologische Ausbildung an den Universitäten versus archäologische Praxis” fand am 8. November 2013 in Marburg ein reger Gedankenaustausch statt. Auch hier wurde recht schnell festgestellt, dass nicht klar ist, was im Falle der Vor- und Frühgeschichtlichen Archäologie mit einem berufsqualifizierenden Bachelorabschluss gemeint ist oder gemeint sein kann, bzw. zu welchen fachspezifischen Tätigkeiten der Bachelor befähigt. Ein Fazit der Diskussion war, dass Empfehlungen darüber, was von den BachelorabsolventInnen in der Vor- und Frühgeschichtlichen Archäologie beim Berufseinstieg erwartet werden kann, am besten von archäologischen Berufsverbänden formuliert werden sollten. Damit könnte zugleich für außerfachliche Kreise etwa aus Politik oder Verwaltung transparent gemacht werden, in welchen Gebieten sich BachelorabsolventInnen sinnvoll einsetzen lassen, und in welchen nicht.

Ein Problem ist sicherlich auch, dass die potentiellen Arbeitgeber das Bachelor/Master-System vor allem aus den Medien kennen, und dass Wissen darüber, wie die einzelnen archäologischen bzw. vor- und frühgeschichtlichen Studiengänge die Vorgaben der Bologna-Reform umgesetzt haben, oftmals nicht vorhanden ist. Damit ist es für diejenigen, die von fachlicher Seite darüber entscheiden, ob für bestimmte Tätigkeiten bereits BachelorabsolventInnen geeignet sind, schwierig, eben diese Entscheidung zu treffen. Noch gibt es keine AbsolventInnen des Bachelor/Master-Systems in höheren Positionen innerhalb der Vor- und Frühgeschichtlichen Archäologie, so dass in den Reihen der fachlichen EntscheidungsträgerInnen die ehemals studentische Innenperspektive aus diesen Studiengängen fehlt. Zudem war zu den Zeiten der Magister- und Diplomstudiengänge in einem kleinen Fach wie der Vor- und Frühgeschichtlichen Archäologie bekannt gewesen, wo die Stärken der Studiengänge an den einzelnen Universitäten lagen, und welche Fähigkeiten man daher von den AbsolventInnen dieser Universitäten besonders erwarten konnte. Da mit der Umstellung auf Bachelor und Master die vor- und frühgeschichtlichen Studiengänge völlig neue Zuschnitte bekommen haben, ist auch dieses Wissen verloren gegangen.

Ein Tagungsbericht zur Podiumsdiskussion “BA/MA – Die archäologische Ausbildung an den Universitäten versus archäologische Praxis” findet sich auf H-Soz-u-Kult unter http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=5162

Quelle: http://archiskop.hypotheses.org/45

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