Ein Silberbecher und eine Ausstellungsdokumentation

Pokale werden vielfach als glorreiche Erinnerungen an große Erfolge gefertigt. Das war schon in Zeiten des Dreißigjährigen Kriegs so, als ein Silberpokal eine ausgesprochen riskante, aber geglückte Aktion des Kölner Schiffers Dirck Schey feierte. Dieser hatte 1626 den spanischen Pfennigmeister (Zahlmeister) aus Köln entführt – und mit ihm das Geld, mit dem die am nördlichen Niederrhein garnisonierten spanischen Truppen bezahlt werden sollten: es handelte sich dabei um die stattliche Summe von 52.000 Reichstalern. Die Geschichte selbst wird auf einem in den Niederlanden gefertigten Silberbecher dargestellt, Zeichen für diesen gelungenen Coup über die spanische Macht.

Wiedergegeben ist sie im Begleitband zur Ausstellung „Köln in unheiligen Zeiten“: Stefan Lewejohann, Eine gefährliche Rheinfahrt, S. 80-83. Es handelt sich also um einen sehr knappen Beitrag, der geradezu wie ein Blogpost erscheint. In diesem Band gibt es eine ganze Reihe derartiger Skizzen, die schlaglichtartig ein Thema anreißen: nicht nur eine Episode wie die von den geraubten spanischen Soldgeldern, sondern auch zu Wenzel Hollars Stadtansicht von Köln, einem Ziborium aus dem Kölner Domschatz, einer Jan von Werth zugeschriebenen Rüstung und anderen mehr. Diese Kurzbeiträge im Umfang von ungefähr zwei Seiten leiten einzelne Sektionen in diesem Band ein; auf sie folgen dann einige längere Artikel, die aber meist auch nicht mehr als 10 S. umfassen.

In gewisser Weise sind diese kurzen Skizzen wie Blog-Beiträge in diesem Sammelband, und ich möchte festhalten, daß diese Konzeption sehr gut funktioniert. Denn hier bietet sich eine Möglichkeit, viele verschiedene Themen aufzugreifen und sie konturiert darzustellen, ohne gleich allzu tief in die Materie einzutauchen. Da die Ausstellung selbst von keinem Katalog begleitet wird, übernehmen die Kurzbeiträge auch diese Funktion, indem sie bestimmte Exponate aus dem Stadtmuseum vorstellen – hier aber eben nicht nur mit einem Karteikartentext, sondern vielfach mit einer knapp skizzierten Geschichte dazu.

Nun bin ich wahrlich kein Fachmann für Museumskunde und kann auch nicht behaupten, daß ich mich in der aktuellen Debatte darüber auskenne, wie man heutzutage eine Ausstellung und die dazu passende Publikation konzipiert. Sicher fehlt – das kann auch ich nicht leugnen – mit dem klassischen Katalogteil auch das veröffentlichte Register, das den Reichtum einer Ausstellung dokumentiert. Aber die numerisch gereihte Liste aller Exponate, vielleicht noch mit briefmarkengroßen s/w-Repros geschmückt, hat mir oft genug nur vor Augen gehalten, was ich alles nicht gesehen habe. Mit den Kurzbeiträgen hingegen erhält man immerhin schlaglichtartige Einführungen, die das Thema einer Ausstellung sicher nicht völlig fundiert, aber gerade in ihrer Beispielhaftigkeit sehr konkret vorstellen.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/497

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Archivwesen: Digitalisierte Quellen des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz

http://www.gsta.spk-berlin.de/digitalisierte_archivalien_1612.html 2012 begann das GStA PK mit der Digitalisierung ausgewählter Bestände, Nachlässe und Sammlungen zur Bereitstellung im Web. Neben der Archivdatenbank umfasst der Digitale Forschungssaal des GStA PK daher künftig auch Digitalisate von Archivalien, die bislang nur in seinen Forschungssälen einsehbar waren, nun aber auch über das Web abgerufen werden können. Der Digitale Forschungssaal bietet […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2014/07/5265/

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Lexikon zur Computergeschichte: OS/2 1.x

Als ursprünglich von Microsoft und IBM gemeinsam entwickeltes Betriebssystem kam OS/2 1.0 (Planungsname CP/DOS) im Jahre 1987 auf den Markt, war noch textbasiert, bot aber Multitasking an. Während die Version 1.1 des Jahres 1988 mit dem Presentation Manager eine grafische Oberfläche enthielt, bot die 1989 erschienene Version 1.2 bereits Unterstützung für das HPFS-Dateisystem und somit […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2014/07/5240/

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Vom Münchner Petersturm in die Vorstädte: München im 19. Jahrhundert

Cover von: Elisabeth Angermair, München im 19. Jahrhundert. Frühe Photographien 1850-1914, Hg. vom Stadtarchiv München. Mit einer Einleitung von Michael Stephan, Schirmer/Mosel, München 2013.
Cover von: Elisabeth Angermair, München im 19. Jahrhundert. Frühe Photographien 1850-1914, Hg. vom Stadtarchiv München. Mit einer Einleitung von Michael Stephan, Schirmer/Mosel, München 2013.

Cover von: Elisabeth Angermair, München im 19. Jahrhundert. Frühe Photographien 1850-1914, Hg. vom Stadtarchiv München. Mit einer Einleitung von Michael Stephan, Schirmer/Mosel, München 2013.

Ein Zug von Elefanten mit orientalisch bekleideten Reitern und Treibern bewegt sich durch eine – wie die Bildunterschrift verrät – Münchner Straße. Diese Momentaufnahme aus dem Großstadtleben des späten 19. Jahrhunderts verwundert auf den ersten Blick und gehört mit Sicherheit zu einer der ungewöhnlicheren Szenen, die der 2013 erschienene Bildband „München im 19. Jahrhundert. Frühe Photographien 1850-1914“ enthält. Die Fotografie zeigt Elefanten einer Kaufmannsgruppe im Festzug zur Centenarfeier für König Ludwig I. im Jahr 1888, die entlang zahlreicher Schaulustiger durch die Neuhauser Straße in der Münchner Innenstadt zieht.

Die Elefanten der Kaufmannsgruppe im Festzug zur Centenarfeier, 1888.

Die Elefanten der Kaufmannsgruppe im Festzug zur Centenarfeier, 1888.

Doch auch die rund 270 übrigen Fotografien des Bildbands bieten spannende und facettenreiche Einblicke in das Alltagsleben der Münchner, die Stadtentwicklung der bayerischen Hauptstadt und historische (Stadt-)Ereignisse von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg.

Historischer wie auch konzeptueller Ausgangspunkt für den im Schirmer/Mosel Verlag veröffentlichten Band bildet das von Georg Böttger 1858 zusammengestellte Fotopanorama. Dabei handelt es sich um eine 360-Grad-Aufnahme, die Böttger vom Turm der Peterskirche – zwischen Viktualienmarkt und Marienplatz gelegen – aufgenommen hat. Sie besteht aus elf Einzelaufnahmen und bietet aus der erhöhten Position einen Aus- und Überblick über das damalige Münchner Stadtbild. Diese erste fotografische Gesamtaufnahme Münchens zeigt deutlich die Ränder der damals noch überschaubaren Residenzstadt. Die langsam in die Stadt hineinwachsenden Dörfer erscheinen am Horizont, und einige der bis heute das Stadtbild prägenden Gebäude ragen aus dem Dächermeer der Innenstadt als Orientierungspunkte heraus.

Das Panorama entstand zu einer Zeit des strukturellen Umbruchs, wie Michael Stephan in seiner Einleitung deutlich macht. Sein Text liefert den (stadt-)historischen Kontext der Aufnahmen, indem er die unter den Königen Max I. Joseph (1806-1825), Ludwig I. (1825-1848) und Maximilian II (1848-1864) vollzogenen Veränderungen von einer „beschaulichen Residenzstadt“ zur „ansehnliche(n) Hauptstadt des Königreichs Bayern“ mit seinen Prachtstraßen und Monumentalbauten schildert. Stephan beschreibt die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts langsam wachsende Einflussmacht der Bürger, die mit einer schwindenden Selbstverwirklichung der Regenten einherging. Ab 1880 bis in die 1910er-Jahre entwickelte sich München schließlich zu einer modernen Großstadt mit einer „vorausschauenden und innovativen Stadtentwicklungspolitik“ , die großteils von den Bürgern angestoßen wurde. Durch die Einleitung wird deutlich, dass die im Band versammelten Aufnahmen in einer Zeit entstanden, die von immensen städtebaulichen Veränderungen und sozialen, politischen sowie gesellschaftlichen Umstrukturierungen geprägt war. Die Stadt wuchs sowohl in der Fläche als auch hinsichtlich ihrer Bewohner und bekam in nur wenigen Jahrzehnten die sie heute prägende Struktur. Welche Bauvorhaben und Modernisierungen innerhalb der Periode realisiert wurden, fasst Stephan in einer Liste anschaulich zusammen.

Bis auf das Böttger-Panorama als Ausgangspunkt seiner Ausführungen finden Fotografien in Stephans Einleitung keine Erwähnung. Dies wird in der zweiten Einführung von Elisabeth Angermair nachgeholt. Ausgehend von Böttger und seiner Tätigkeit als Fotograf führt Angermair in ihrem Text mit dem Titel „ »alltäglich Kleinigkeiten, die (…) für die Kulturgeschichte von Wert sein können und werden«. Photographien von und für München“ in den Wirtschaftszweig der Fotografie und in die Münchner Fotografenkreise ein. Neben Böttger werden weitere Fotografen, deren Aufnahmen in den Band aufgenommen wurden, vorgestellt: Alois Löcherer, Franz Hanfstaengl, Joseph Albert, Johann Baptist Obernetter, Friedrich Sauer. Anhand deren Tätigkeit wird der ursprüngliche Entstehungskontext der Aufnahmen rekonstruiert. So entstanden sie zum Teil für die Münchner Stadtchronik, als Auftragsarbeiten oder für Verkaufszwecke. Deutlich wird auch, dass sich in der aufstrebenden Stadt eine lebendige Fotografieszene etablierte. Schließlich geht Angermair noch auf die Fotosammlung des Münchner Stadtarchivs ein und legt dar, aus welchen Beständen sich die historisch gewachsene Sammlung zusammensetzt, aus der die Aufnahmen dieses Bandes ausgewählt wurden.

Wie bereits in den beiden einführenden Texten bildet das Böttger-Panorama auch für den nachfolgenden Bildteil den Ausgangspunkt. Für die Publikation wurde es in seine elf Einzelaufnahmen zerlegt, die jeweils als Ausgangspunkt der den Band gliedernden Kapitel fungieren. So nimmt jedes Kapitel seinen Anfang bei Böttgers Standort auf dem Petersturm und erstreckt sich entlang seines Blicks in die jeweilige Richtung aus dem Zentrum hinaus. Anhand der folgenden Tafeln dringen die LeserInnen und BetrachterInnen beim Blättern in die einzelnen Stadtteile vor und werden auf eine Reise entlang der Blickrichtung Böttgers von St. Peter über die inneren Bezirke bis an die Stadtgrenze mitgenommen: der Neuhauser Straße folgend nach Westen; über das Kreuzviertel auf das spätere Westschwabing; durch das Tal und nach Neuhausen; vom Viktualienmarkt in die Au und nach Giesing.

 

Josef Zechbauer, Kinder vor einem Vorstadthaus an der heutigen Reitmorstraße, 1895.

Josef Zechbauer, Kinder vor einem Vorstadthaus an der heutigen Reitmorstraße, 1895.

Dabei wechseln sich Aufnahmen von Alltagsszenen, wie Kinder vor einem Vorstadthaus an der heutigen Reitmorstraße im Lehel oder Kunden auf dem Töpfermarkt der Auer Dult, mit Architekturaufnahmen vom Sendlinger Tor, dem erleuchteten Neuen Rathaus oder dem Maximilianeum ab. Einige Fotografien dokumentieren die städtebaulichen Veränderungen wie den Bau der Corneliusbrücke oder den Kopf der Bronzestatue Bavaria auf ihrem Transport zum heutigen Standort am Rand der Theresienwiese. Die Fotografien zeigen die mitunter großen sozialen Unterschiede zwischen der Bevölkerung in den Arbeitervierteln Haidhausen oder Westend und dem Bürgertum in Bogenhausen oder Nymphenburg. Zahlreiche Fotografien dokumentieren religiöse Feste, Faschingsumzüge und militärische Paraden sowie die Freizeitvergnügen im winterlichen Englischen Garten und ein sommerliches Bad in einem der vielen Stadtbäche.

Alois Löcherer, Der Kopf der Bavaria, vorbereitet für den Transport zur Theresienwiese, 7. August 1850.

Alois Löcherer, Der Kopf der Bavaria, vorbereitet für den Transport zur Theresienwiese, 7. August 1850.

Die Aufnahmen wurden großformatig auf den Seiten reproduziert und mit einer erläuternden Bildunterschrift wie auch dem Namen des Fotografen versehen. Die Einzelaufnahmen des Panoramas erstrecken sich am Anfang jedes Kapitels über den Falz auf zwei Seiten, sodass ein besserer Einblick in die vielen Details möglich ist. Gerade in Hinblick auf Angermairs Einleitung, die auch auf die unterschiedlichen fotografischen Verfahren und den Wandel der Fototechnik innerhalb des Zeitraums eingeht, verwundert es, dass jegliche Angaben über das Herstellungsverfahren, die Bildmaße und die Materialität der diesbezüglich mit Sicherheit recht unterschiedlichen Aufnahmen fehlen. Bei genauerer Bildbetrachtung fallen dennoch Details auf, die frühen Fotografien aus technischen wie auch ästhetischen Gründen zu eigen sind: Schatten, die auf sich zu schnell bewegende Personen schließen lassen, Unschärfen an den Bildrändern oder Stempel der einzelnen Fotografen.

Die auf dem hinteren Buchdeckel und der letzten Seite gegenübergestellten Stadtpläne von 1858 und 1908 visualisieren nochmals das von Stephan beschriebene rasante Wachstum der Stadt. Für diejenigen LeserInnen, die München nicht kennen, wäre es jedoch wünschenswert gewesen, einen größeren Stadtplan zu integrieren.

Davon abgesehen, bietet der Bildband sowohl Münchner StadtbewohnerInnen als auch Freunden der Stadt eine vielseitige und spannende Entdeckungsreise in das Stadtbild und -geschehen im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Bekannte Orte können entdeckt werden, deren Aussehen sich entweder kaum oder aber grundlegend geändert hat. Im Vergleich zwischen dem heutigen Aussehen und den Fotografien wird spürbar, wie sich eine Stadt – bedingt durch historische Ereignisse, Strukturveränderungen und Modernisierungen – aus sich selbst heraus verwandelt: Altes wird mit Neuem kombiniert, und verschiedene Zeitschichten lagern sich in einem gewachsenen Stadtbild übereinander.
Ermöglicht wird dieser lebendige Einblick durch die frühen Fotografien, von denen der Bildband lebt. Auf diese Weise stärkt die Publikation nicht zuletzt die Bedeutung historischer Aufnahmen als wichtige Quelle für Historiker, Architekten, Städteplaner, Soziologen und Kulturwissenschaftler.

 

Elisabeth Angermair
München im 19. Jahrhundert.
Frühe Photographien 1850-1914
Hg. vom Stadtarchiv München.
Mit einer Einleitung von Michael Stephan
320 Seiten, 278 Abbildungen in Duotone
ISBN 978-3-8296-0654-7
49,80 Euro, (A) 51,20 Euro, 66,90 CHF

Quelle: http://www.visual-history.de/2014/07/21/vom-muenchner-petersturm-in-die-vorstaedte-muenchen-im-19-jahrhundert/

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Art between History and Practice

Bericht vom Panel 4 der Tagung „Areas and Disciplines“ in Berlin, 19. Oktober 2013

Von Luise Neubauer und Katrin Kaptain / Forum Transregionale Studien

Teilnehmer/innen:

  • Hannah Baader, Kunsthistorisches Institut Florenz / ART HISTORIES AND AESTHETIC PRACTICES
  • Mohamed Kamal Elshahed, New York University / EUME Fellow 2013-14
  • Monica Juneja, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
  • Viola König, Ethnologisches Museum Berlin

Moderation: Andreas Beyer, Deutsches Forum für Kunstgeschichte Paris

Area Studies Tagung 2013 010

Abstract

The participants of the fourth panel “Art between History and Practice” concordantly agreed that art history as a discipline and the practice of the European museums have been shaped by the notion of nation ever since their institutional establishment in the nineteenth century. This founding moment and its specific context seemed to be a topic that most of the discussed disciplines shared at the conference “Areas and Disciplines”. Nevertheless, visual studies generally have to deal with transregional processes – since the artifacts and objects examined were travelling and often obtained by conquests or exchange. With the opening up to new global perspectives, calls for a renewal of the discipline repeatedly emerged over the last couple of years. The panel participants discussed these demands not only in methodological terms but even more specific – in terms of the study and preservation of objects and archival materials that often were untended or neglected, sometimes forgotten due to political developments. Several times participants emphasized the urge for close collaborations between museums and university institutions, despite the problems and traps of these co-operations, that the participants were equally aware of.

Zusammenfassung

Die Teilnehmerinnen1 des Panels 4 „Art between History and Practice“ konstatierten einstimmig, dass die Disziplin Kunstgeschichte und die Praxis der europäischen Museen seit ihrer institutionellen Etablierung im 19 Jh. grundständig national geprägt sind – ein Entstehungskontext, mit dem sich fast alle auf der Tagung „Areas and Disciplines“ vertretenen Disziplinen auseinandersetzen müssen. Gleichwohl widmen sich visuelle Studien im Allgemeinen solchen Gegenständen und Artefakten, die durch Reisen, Eroberungen und Austausch von jeher als transregional zu definierten sind. Die im Zuge der Öffnung auf globale Perspektiven in den vergangenen Jahren wiederholt geforderte Erneuerung des Fachs Kunstgeschichte wurde von den Teilnehmerinnen nicht nur im Bereich der Methodik verortet, sondern im Speziellen auch in der Erschließung und Bewahrung von Objekten und Archivmaterial, denen bislang keine oder nicht genügend Beachtung geschenkt worden ist, oder die aus politischen Gründen ins Vergessen geraten sollen. Die Zusammenarbeit von Museen und universitären Einrichtungen wurde mehrfach und nachdrücklich gefordert, obwohl die Teilnehmerinnen zugleich von verschieden gelagerten Problemen und auch Fallstricken dieser Kooperationen zu berichten wissen.

Nationale Kunstgeschichtsschreibung vs. Transregionalität der Kunst

Alle vier Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Panels 4 „Art between History and Practice“ waren sich in einer Frage einig: Sowohl die Disziplin Kunstgeschichte als auch die museale Praxis in Europa sind seit ihrer institutionellen Etablierung im 19 Jh. grundständig national geprägt und haben sich dementsprechend vornehmlich Objekten unter der Fragestellung der eigenen nationalen Identität gewidmet. Die Objekte selbst, mit denen sich beide Bereiche befassen, sind freilich schon immer transregional gewesen: Nicht nur Goldschmiedearbeiten, Grafiken, Skulpturen oder illuminierte Bücher wurden zwischen unterschiedlichsten Orten und Kulturen zirkuliert, auch Künstlerinnen sind immer schon gereist, haben sich Techniken angeeignet und Wissen weitergegeben. Die den Artefakten eigene Mobilität hat sich ebenso in Architekturen niedergeschlagen, wie von den Panelistinnen an mehreren Beispielen anschaulich gezeigt wurde. Wie jedoch mit dem nicht selten hoch politisch aufgeladenen Konflikt umzugehen ist, der sich zwischen den historisch gewachsenen Methoden einer Disziplin bzw. staatlichen Institution und ihrem zu untersuchenden Gegenstand auffächert, hat an diesem Tag unterschiedliche Antworten, vor allem aber offene Fragen hervorgebracht. Die im Zuge der Öffnung auf globale Perspektiven in den vergangenen Jahren vielfach geforderte Erneuerung des Fachs Kunstgeschichte wurde von den Teilnehmerinnen dabei nicht nur im Bereich der Methodik verortet, sondern im Speziellen auch in der Erschließung und Bewahrung von Objekten und Archivmaterial.

BeyerDer Moderator Andreas Beyer vom Deutschen Forum für Kunstgeschichte Paris beurteilte eingangs die Situation der Kunstgeschichte im Vergleich zu anderen geisteswissenschaftlichen Fächern durch die Einrichtung neuer Lehrstühle zu unterschiedlichen Themenbereichen als gut und inhaltlich breit aufgestellt. Was Andreas Beyer jedoch unerwähnt ließt, war der Umstand, dass bei Kürzungen in der Regel zuerst die kleinen „Orchideenfächer“ dem Rotstift zum Opfer fallen, wie jüngst die Südasiatische Kunstgeschichte an der FU Berlin. Das Beispiel zeigt, dass der Erforschung einer als „europäisch“ definierten Kunst in Deutschland nach wie vor die unhinterfragte Vorrangstellung zukommt.

Absage an Universalmuseen als Aneignung von Welt

Hannah Baader, Kunsthistorisches Institut Florenz, Max-Planck-Institut, und wissenschaftliche Leiterin des Forschungsprogramms Art Histories and Aesthetic Practices am Forum Transregionale Studien, erkannte einen deutlichen Wandel der Disziplin Kunstgeschichte. In ihren Augen sind die größten Herausforderungen die wissenschaftlichen und museologischen Methoden, die verändert und angepasst werden müssen. Dies könne nur auf der Basis der Erschließung, Erhaltung und Zugänglichkeit von Objekten sowie historischen Quellen erfolgen, ohne dabei der Gefahr eines „neuen Kolonialismus“ anheim zu fallen. Dabei mag vor allem das grundlegende Handwerk der Kunsthistorikerin, die genaue und dichte Beschreibung der formalen Aspekte von Objekten, also ihrer Qualität im Sinne einer Materialität sowie der Herstellungsweise, vor allzu vorschnellen Interpretationen und Zuweisungen schützen.

Wie eng dabei allerdings die Arbeit der Kunsthistorikerinnen mit ihren Objekten Hanna Baaderverknüpft ist, zeigte der kleine wissenschaftsgeschichtliche Exkurs Baaders in die Zeit der Entstehung der wissenschaftlichen Objektivität im 19. Jahrhundert. Wie Lorrain Daston und Elisabeth Lunbeck in ihrem Buch „Histories of Scientific Observation“ aufgezeigt haben, spielten vor allem künstlerische Praktiken der Beobachtung eine zentrale Rolle bei der Wissensgenerierung der modernen Disziplinen. Diese Form der Betrachtung und Beobachtung wurde nicht nur prägend für das Selbstverständnis von Kunsthistorikerinnen. Aus dem Verfahren der Analyse von Objekten, der Herauslösung aus dem Kontext und schließlich der Neuanordnung in Glasvitrinen, ging die Idee des Universalmuseums hervor. Diese Form der Aneignung der Welt war immer auch eine Manifestation ungleicher Machtverhältnisse, dessen Erbe heute Kuratorinnen und Wissenschaftlerinnen vor enorme kulturelle und moralische Konflikte stellt. Zur Lösung muss, laut Baader, vor allem die Lücke zwischen Universitäten und Museen geschlossen werden, wie dies beispielsweise durch das Kooperationsprojekt des KHI Florenz – Max-Planck-Institut mit den Staatlichen Museen zu Berlin „Connecting Art Histories in the Museum“ bereits mit dem dritten Jahrgang an Doktorandinnen und Postdoktorandinnen erfolgreich realisiert wurde.

Plädoyer für die gemeinsame Arbeit vor Ort

Anhand eines Fallbeispiel aus dem vorangegangenen Fellowprogramm „Art, Space and Mobility“, eine Kooperation zwischen der Getty Foundation und dem KHI Florenz, zeigte Baader das enge Beziehungsgeflecht auf, das zwischen Raum, Geschichte und Architektur besteht, ebenso wie neue Herangehensweisen einer „Global Art History“. Eine Exkursion führte die Gruppe von Doktorandinnen und Postdoktorandinnen in die Geisterstadt Ani, die an der stark umkämpften Grenze zwischen der Türkei und Armenien liegt. Der Bauschmuck der noch heute erhaltenen Ruinen zeugt von der wechselhaften religiösen und politischen Geschichte Anis, die im 10. Jahrhundert als Hauptstadt des muslimischen Königreichs Armenien gegründet, in Folge vom christlich-orthodoxen Georgischen Königreich wiederholt erobert und wieder verloren, bis sie schließlich 1319 durch ein Erdbeben zerstört und verlassen wurde. Beispielsweise schließen islamische Muqarnas die Zwickel an der Kirche Tigran Honents ab, in der die orthodoxe Liturgie nach gregorianischer Tradition gefeiert wurde. Die kulturellen Verflechtungen, die sich an diesem Ort verdichteten, ebenso wie das noch heute starke politische Interesse an Geschichte und Tradition dieses Ortes (der Armenischen Bevölkerung wird der Zugang zu ihrer alten Hauptstadt auf türkischem Staatsgebiet verweigert), ließen sich kaum durch eine Expertin allein erfassen. Hingegen eröffnet die Auseinandersetzung einer Gruppe von Wissenschaftlerinnen mit unterschiedlichem regionalem und kulturellem Hintergrund vor Ort eine Dimensionsvielfalt, die der Komplexität des Ortes Rechnung trägt.

Eine weitere Problematik, die von Baader ebenso wie später von Elshahed angesprochen wurde, ist die Auffindbarkeit, Zugänglichkeit und Verfügbarkeit von Kunstwerken sowie von Archivalien. Der Fall des Nationalmuseums in Sarajewo mache deutlich, dass dessen Schließung auf unbestimmte Zeit und die damit entstandene Unzugänglichkeit der Objekte immer auch im Zusammenhang mit politischen Interessen steht und substantielle Auswirkungen auf das nationales Gedächtnis hat. In Anlehnung an Gayatri Spivak, Mitbegründerin der postkolonialen Theorie, stellte Baader abschließend fest, dass die Notwendigkeit einer ästhetischen Sensibilisierung und Bildung die Grundvoraussetzung für die Idee einer globalen Gerechtigkeit und einer internationalen Demokratie ist.

“Hybridität” als wissenschaftliche Zwangsjacke

Area Studies Tagung 2013 021Monica Juneja (Cluster of Excellence “Asia and Europe in a Global Context”, Universität Heidelberg) stellte die im Zusammenhang des „global turn“ durchaus kontroverse und – wie es scheint – an alle Konferenzteilnehmerinnen gerichtete Frage, inwieweit das Bestreben, verschiedene Regionen in einen gemeinsamen Rahmen einzupassen, mit der Gefahr verbunden ist, die Diversität dieser Regionen zu verflachen. Sie zweifelte daran, ob etablierte Begriffe des Postkolonialismus wie „blurred boundaries“, „Hybridität“, „Kreolisierung“ oder „fuzzieness“ auch heute noch erklärende Funktion haben können. Vielmehr scheinen diese in den vergangenen Jahren zu einer Art Zwangsjacke bzw. wissenschaftlichen Orthodoxie geworden zu sein. Indem sie eine Fülle von ganz unterschiedlichen Erfahrungen als kommensurabel behandeln, folgen sie der Logik einer „Herstellung von Vergleichbarkeit“. Juneja plädierte daher dafür, immer auch die Möglichkeit von Unvergleichbarkeit zuzulassen.

Dieses Problem sah Juneja besonders in Hinblick auf distinkte kulturelle Praktiken, allen voran Praktiken des Sehens und der Visualität. In vielen Kulturen ist das Sehen nicht isoliert zu verstehen, sondern als synästhetische Erfahrung stets mit anderen Sinnen verbunden, wie beispielsweise dem gleichzeitigen Betrachten eines Manuskripts und der oralen Rezitation, sodass das Hören und Sehen in einem performativen Akt miteinander korrespondieren. Ein rein europäisches Verständnis von Sehen nivelliere hingegen derartige Verhandlungsprozesse. Ein gelungenes Beispiel sich derartigen Fragen interaktiver Dynamiken und kultureller Alteritäten zu widmen, sah sie in der Forschergruppe der Freien Universität „Transkulturelle Verhandlungsräume von Kunst“ verwirklicht.

Ähnlich wie für Baader stellte auch für Juneja die Zusammenarbeit von Museen und universitären Einrichtungen eine dringende Notwendigkeit dar, um die kolonialen Voraussetzungen der heutigen Existenz von Objekten in den europäischen Museen zu unterminieren und aufzuzeigen. Wie schwer sich dieser Anspruch jedoch realisieren lässt und wie tief die historischen Klassifizierungen im europäischen Verständnis verankert sind, zeigte Juneja am Fall des Musée du quai Branly in Paris. Im Neubau wird seit 2006 die nationale Sammlung kolonialer Artefakte in einem Display präsentiert, das den Anspruch hat, die Objekte aus Afrika, Asien, Ozeanien, Süd- und Nordamerika nicht als ethnologische Funde zu behandeln, sondern sie in ihrer formalen Gestaltung als Kunstobjekte zu privilegieren. Juneja hegte jedoch begründeten Zweifel, inwieweit hier wiederum die alten kolonialen Weltanschauungen – quasi „durch die Hintertür“ – Eingang finden, indem die als „primitiv“ konnotierten Objekte erst durch die Allianz mit der modernen Abstraktion (Europas) in den Rang des Kunstwürdigen gehoben werden. In Anspielung auf das geplante Humboldtforum in Berlin, merkte Juneja ebenso kritisch an, dass der Versuch der Universalmuseen, die Welt unter einem Dach bzw. hinter einer Schlossfassade zu vereinen, dem Zweck dienen könnte, ein kosmopolitisches Image eines Nationalstaats zu kreieren.

Der Fall des Musée du quai Branly, Paris

Die dringenden Fragestellungen einer transregional ausgerichteten Kunstgeschichte waren für Juneja daher, unter welchen Aspekten der Westen die Welt in institutionellen Räumen assimiliert und was genau die Bedingungen des visuellen Displays im Sinne eines kuratorischen Framings sind. An die links neben ihr sitzende Leiterin des Ethnologischen Museums, Viola König, adressierte sie daher die durchaus ernst gemeinte Frage, wieviel historischen Kontext ein Museumsdisplay integrieren solle. Dabei kam es ihr augenscheinlich nicht darauf an, dass zwingend immer alle Geschichten erzählt werden müssen, die die Museumsobjekte während ihrer Reisen durch die ganze Welt und verschiedene Kulturen „erlebt“ haben. Viel wichtiger wäre es für Juneja, die Bedeutung dieser Reisen und Geschichten für diese Kulturen hervorzuheben.

Eine ähnliche Kritik an der gegenwärtigen Ausstellungspraxis zweier der Area Studies Tagung 2013 040renommiertesten westlichen Museen – des Louvre in Paris und des Metropolitan Museums in New York – übte eingangs auch Mohamed Elshahed, Fellow des Programms Europa im Nahen Osten – Der Nahe Osten in Europa und Herausgeber des „Cairo Observers“. Als selbsterklärter Modernist sei er schockiert gewesen, dass die beiden jüngst umgestalteten Abteilungen für Islamische Kunst äußerlich zwar einen neuen Anstrich bekommen hätten, aber die Displays nach wie vor denselben Narrativen folgten.

An seinem Curriculum zeigen sich einige der auf der Tagung adressierten Probleme von „Areas and Disciplines“: Elshahed hat zuerst Architektur in Kairo studiert und ist in Folge zu den Middle East Studies gewechselt, um über Architektur der 50er und 60er Jahre zu arbeiten. Er musste jedoch feststellen, dass die Area Studies zum Mittleren Osten nicht an architektonischen Fragestellungen dieses Zeitraums interessiert waren, sodass er als Nachwuchswissenschaftler stets mit dem Problem konfrontiert ist, mit seinen Fallstudien zu moderner Architektur Kairos in keines der Fächer zu „passen“. Die Geringachtung der eigenen architektonischen Hervorbringungen der 50er und 60er in Ägypten sah er nun aber darin begründet, dass im Mittleren Osten die Moderne per se als zweifach illegitim angesehen werde: Entweder sei sie dem westlichen Vorbild zu ähnlich und damit irrelevant oder aber sie versuche sich so sehr vom beherrschenden westlichen Vorbild abzusetzen, dass sie nur scheitern könne.

Wertschätzung der Moderne in Ägypten

Über die meisten seiner Forschungsgegenstände gibt es nahezu keine Informationen oder Archivalien. Viele der sich elegant mit geschwungenen oder kantigen Formen in den städtebaulichen Kontext einfügenden Villen, Bürogebäude, Strandpromenaden oder Hochhäuser existieren nicht mehr, allein ihre fotografischen schwarz/weiß-Reproduktion in alten Magazinen und Zeitschriften zeugen von ihrer früheren Existenz, in den meisten Fällen aber ohne Angaben zum Erbauungszeitpunkt, Auftraggeber oder Architekten. Elshahed muss, in Ermangelung entsprechender Archive für moderne Architektur im Mittleren Osten, Grundlagenarbeit mit der Erschließung von Ressourcen betreiben. Dabei erschien es ihm paradox, dass der Forschung über das 15. und 16. Jahrhundert sehr viel mehr Archivmaterial zur Verfügung steht als seiner Arbeit über Gebäude, die vor nicht mal 60 Jahren entstanden sind.

Die Frage von Archiven, deren Unzugänglichkeiten und geschlossenen Museen brachte ihn, wie Baader, zu der übergeordneten Frage, wie wir als Wissenschaftlerinnen generell mit dem – bisweilen kriegsbedingten – Verschwinden von visueller Evidenz umgehen sollten und welche Auswirkungen diese Dynamiken auf das gesellschaftliche Gedächtnis haben. Im Gegensatz zu Europa und Nordamerika existieren in Ägypten jedoch generell keine Nationalmuseen der Moderne oder Museen für Photographie, Film oder Architektur. Elshahed erklärte, dass die ägyptische Bevölkerung keinen Zugang zu wichtigen Momenten ihres eigenen kulturellen Erbes hat.

Im Kontext der auf dieser Tagung diskutierten Fragen der globalen Öffnung der europäischen Wissenschaften war es mehr als unglücklich, dem ägyptischen Nachwuchswissenschaftler Elshahed als einzigem Redner das Wort vor dem Ende seiner Ausführungen abzuschneiden.

Wer hat das Recht, die materielle Kultur von anderen zu besitzen und zu präsentieren?

Viola KönigDie aufgefächerte Breite der Perspektiven des Fachs Kunstgeschichte wurde mit dem Beitrag der Direktorin des Ethnologischen Museums in Berlin, Viola König, abgerundet. Zusammen mit ihren Mitarbeiterinnen steht sie vor der aktuellen Herausforderung, die rund 500.000 Objekte umfassende Sammlung des Ethnologischen Museums bis 2019 in das Konzept des Humboldt-Forums zu integrieren. Dabei muss sie sich mit der kritischen Frage auseinandersetzen, die beständig an ethnographische Sammlungen gerichtet wird: Wer hat das Recht, die materielle Kultur von anderen zu besitzen und zu präsentieren? König fragte dementsprechend, wie das Berliner Museum dem Dilemma entgehen könne: entweder die altbewährte Ausstellungspraxis und damit die Formen der kolonialen Aneignung sowie europäischer Machtansprüche fortzuführen oder aber – als anderes Extrem – alle Objekte zurück zu geben und das Museum zu schließen, wie vom Soziologen Tony Bennett gefordert.

Dabei sah sie das derzeit in den Museen Dahlem installierte Künstlerlabor „Humboldt Lab Dahlem“ nicht unkritisch. Die im Lab installierte „Probebühne“ experimentiert mit neuen Formen der Ausstellungspraxis „nicht-europäischer“ Objekte, um die Möglichkeiten eines modernen ethnologischen Museums auszuloten. Auf den ersten Blick erscheint die Einbeziehung zeitgenössischer Künstlerinnen aus den Herkunftsländern der Objekte vielversprechend, um eine durch den europäischen Aneignungsprozess verlorengegangene Bedeutungsebene zurückzugewinnen und um den kulturellen Diskurs auf eine neue Ebene zu heben. Zugleich sah König jedoch die Schwierigkeiten einer dadurch entstehenden Involvierung in aktuelle politische Interessen. Die im Lab entwickelten Projekte eröffnen neue Möglichkeiten, Fragen wie die des Perspektivismus neu zu verhandeln. Jedoch stand für die Direktorin fest, dass es nicht Aufgabe zeitgenössischer Künstlerinnen und deren Installationen sein könne, den „historischen Wert“ der Museumsobjekte darzulegen. Zwar seien die Grenzen der Geschichte beweglich, aber man müsse, um die Gegenwart zu begreifen, zuerst die Vergangenheit verstehen.

Forschen und Präsentieren

In einer nicht ganz unproblematischen Verallgemeinerung forderte König, dass dementsprechend zuallererst die gemeinsame Anstrengung unternommen werden müsste, die „historischen Codes zu entschlüsseln“. Wie sie selbst als Ethnologin auf ihren vielfachen Feldstudien festgestellt habe, fänden sich die Schlüssel nicht selten auch im lebendigen Gedächtnis der Bevölkerung. Eine solche Unternehmung entspringe letztendlich einer zutiefst menschlichen Neugier, die grundlegenden Prinzipien künstlerischer und ästhetischer Praktiken zu verstehen. Ihre derart umrissene Vorstellung eines universellen, jedem Menschen auf der Welt innewohnenden Forscherdrangs sollte hinterfragt werden – zumal wenn König aus der Perspektive einer europäischen Ethnologin von einem „wir“ spricht, das die erkenntnisgetriebene Erforschung der „ursprünglichen Kulturen“ unternehmen müsse. Die von Juneja geäußerte Vorsicht hinsichtlich allgemeiner Vergleichbarkeiten im Sinne anthropologischer Grundkonstanten könnte an dieser Stelle angebracht sein.

Abschließend berichtete König von einer Kooperation mit der zeitgenössischen mexikanischen Künstlerin Mariana Castillo Deball (im Rahmen des Exzellenzclusters „Topoi“), die 2013 den Preis der Nationalgalerie für Junge Kunst für eine raumgreifende Installation einer prekolumbianischen Karte von Tenōchtitlan im Hamburger Bahnhof verliehen bekommen hatte. Mit ihrer eigenen, historisch ausgerichteten Arbeit der Dekodierung dieser Karte, die von Hernán Cortés an Kaiser Karl V. gesandt wurde, konnte König einen entscheidenden Beitrag leisten, die historische Weltanschauung dieser Karte zu verstehen – eine Aufgabe, die die zeitgenössische Künstlerin, laut König, nicht auch noch hätte leisten können. Es war Königs erklärtes Anliegen, eine Lanze dafür zu brechen, dass auf dem Feld transregionaler Studien nur mit der Entschlüsselung von kulturellen und historischen Coes die „wahre“ Forschung betrieben werden könne.

Disziplinäres Re-Framing oder nationale Selbstversicherung?

Trotz aller Einigkeit hinsichtlich der notwendigen Öffnung der Kunstgeschichte auf globale Fragestellungen hat das Panel „Art between History and Practice“ gezeigt, wie schwierig sich besonders die geforderte institutionelle Zusammenarbeit von akademischer Forschung und musealer Praxis gestaltet, um eigene, ganz neue Lösungen für den adäquaten Umgang mit dem kolonialen Erbe zu finden. Im Veranstaltungstext des Panels wurde ein „methodologisches re-framing“ gefordert, damit sich die Kunstgeschichte über die eigenen „Grenzen ihrer traditionellen Perspektiven“ hinwegsetzen kann. Die Lösung sollte jedoch nicht darin liegen, mit einer allgemeinen Theorie von Wechselbeziehungen eine neue Deutungshoheit über globale Prozesse zu generieren. Schwieriger erscheint im postkolonialen Kontext vielmehr eine selbstkritische Reflexion der eigenen Ziele: Vor allem die oft geäußerte Absicht, über die „eigenen“ Grenzen hinaus zu gehen und das „Andere“ zu erforschen. Denn beinhaltet nicht bereits der Akt, das „Andere“ als „anders“ bzw. als „nicht – europäisch“ zu bezeichnen, eine durch koloniales Denken bestimmte europäische Selbstversicherung und dient allem voran der Stabilisierung von Differenz?

Vergleichbare Fragen muss sich die Disziplin Kunstgeschichte im Kontext der interdisziplinär ausgerichteten Tagung „Areas and Disciplines“ stellen. Bereits im ersten, wissenschaftssoziologisch ausgerichteten Panel „Thinking Transregional Studies“ identifizierte Engseng Ho, Duke University Durham, die westliche Theorie- und Wissensproduktion generell als Resultat des Konzepts von Nation und Staat: „A powerful internal-constitutionalist sociology which has kept us thinking along national lines and has banished the external.“ Diese „mächtige Soziologie“ scheint sich im Umgang mit Artefakten in besonderer Weise niederzuschlagen: Zu- und Abschreibungen, Klärung von Besitzverhältnissen und Ansprüchen auf kritische Objekte gehören noch immer zu den Kernkompetenz der Kunstgeschichte, welche ihr anschauliches Gegenüber in der musealen Praxis der „Aus-Stellung“ staatseigener und staatsfremder Artefakte in eigens errichteten, aber getrennten Häusern hat. So wird beispielsweise das Berliner Schloss sowohl als architektonischer Neubau als auch als konzeptuelles Museum „nicht-europäischer“ Kulturen der Museumsinsel gegenüberstehen, die vorwiegend europäische Kunst beheimatet. In diesem Zusammenhang gewann Hos Aufruf, zukünftige transregional ausgerichtete Forschungen mit einer integrativen Gesellschaftsvision zu vereinbaren, eine dringende Aktualität. Der ambitionierte Ruf des Anthropologen und Historikers nach grenzüberschreitenden Konzepten wie „Mobilität“ mag im Falle kunsthistorischer Artefakte vielleicht nicht neu sein, freilich aber mit Blick auf die disziplinär-strukturellen und damit wissensgenerativen Prozesse der Kunstgeschichte selbst. Dominic Sachenmaier, Jacobs Universität Bremen, machte im selben Panel wie Ho auf das zentrale Problem der westlichen Zitations-Indices aufmerksam, die zwar im westlichen Kontext eines der wichtigen Werkzeuge zur Diskursivierung darstellen. Zugleich werden durch dieses System aber Wissenschaftlerinnen, die außerhalb dieses Systems publizieren, durch Geringbeachtung nahezu ausgeschlossen – abgesehen von den in westlichen Institutionen ansässigen „intellektuellen Migranten“.

Der von allen Teilnehmerinnen des kunsthistorischen Panels konstatierten Mobilität visueller Artefakte steht die eigene Unbeweglichkeit der auf den Westen konzentrierten Kunstgeschichte und Museen gegenüber. Zugleich hat das Panel „Art between History and Practice” aber auch gezeigt, dass sich hier und da Bewegungsversuche des recht schwerfälligen kunsthistorischen Körpers regen.

  1. Im Tagungsbericht wird das generische Femininum für allgemeine Personenbezeichnungen verwendet.

Quelle: http://trafo.hypotheses.org/1113

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Nachlese: Vortrag von Hubertus Kohle zur Digitalen Kunstgeschichte

Es lohnt sich, die Ausführungen von Hubertus Kohle in Zürich zu den Themenfeldern Nachhaltigkeit und Finanzierung, Digitalisierung und Recht, Big data und Archive und Sammlungen noch einmal in seinen Blogbeiträgen nachzulesen:

Kohle: “Letzte Woche hat in Zürich eine Konferenz zum Thema “Digital Art History” stattgefunden. Super Stimmung, tolle Organisation. Vor allem hat mir gefallen, dass diese meist etwas langweilige Reihung von Einzelvorträgen vermieden wurde zugunsten eines workshop-Charakters, bei dem die Verteilung auf Produktion und Rezeption von vorneherein aufgebrochen schien. Am Schluss hat das gesamte Plenum sich an der Formulierung eines Manifestes beteiligt, das demnächst veröffentlicht wird. Das nenne ich kooperatives Arbeiten!

Ganz unbescheiden erlaube ich mir, meinen Beitrag hier zu reproduzieren. Da das weblog ja kurz und knapp strukturiert sein soll, teile ich das Ganze in vier Teile auf. Mal sehen, ob das Sinn macht. Also …”

Quelle: http://dhmuc.hypotheses.org/193

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Frühe Nachrichten über China: Seide, die vom Baum gekämmt wird …

Kostbare Seidenstoffe waren in Europa seit langem bekannt und begehrt, Herkunft und Gewinnung der Seide aber blieben ein gut gehütetes Geheimnis, [1] was zu zum Teil abenteuerlichen Erklärungsversuchen führte.

Im Wörterbuch der Gebrüder Grimm heißt es unter “Seide“: “das gespinnst des seidenwurms, als noch unverarbeitetes naturerzeugnis: die seyden, sericum, bombyx Maaler 371c”. Der Beitrag verweist auf den Eintrag “Seide”  in Die teütsch Spraach[2] von Josua Maaler (1529-1599)) aus dem Jahr 1561.

Weiter heißt es im Wörterbuch der Gebrüder Grimm:

[...] ahd. Seres sizzent hina verro ôstert in eben India, die stroufent aba iro boumen eina wolla, dia wir heiʒên sîdâ, dia spinnet man ze garne, daʒ karn farewet man misselîcho, unde machôt darûz fellôla. Notker 1, 97, 7 Piper [...]

Also: “Die Seres wohnen im fernen Osten neben Indien.[3] Sie streifen von ihren Bäumen eine Wolle, die wir ‘sîdâ’ nennen, die spinnt man zu Garn, das Garn färbt man unterschiedlich, und macht daraus  ‘fellôla’.”
Diese Passage findet sich in der althochdeutschen Übersetzung und Kommentierung von De consolatione philosophiae des Anicius Manlius Severinus Boethius (um 480-524 oder 525) , die der St. Galler Mönch Notker der Deutsche (um 950-1022)[4] anfertigte.

Die Stelle im Codex Sangallensis 825[5], konkret die Zeilen 3-6:

St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 825, p. 84 – Boethius, De consolatione philosophiae (http://www.e-codices.unifr.ch/de/list/one/csg/0825)

St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 825, p. 84 – Boethius, De consolatione philosophiae (http://www.e-codices.unifr.ch/de/list/one/csg/0825)

Demnach wächst die Seide in langen Fäden auf Bäumen und wird  ‘ausgekämmt’.  Das Bild von der Seide, die auf Bäumen wächst, findet sich unter anderem bei Plinius und Herodot. Ob dabei tatsächlichSeide gemeint ist, ist zweifelhaft, denn die Beschreibungen deuten eher auf Baumwolle (Gossypium arboreum) hin …

Bei Plinius, Naturalis historia 6, 23 heißt es:

[...]primi sunt hominum qui noscantur Seres, lanicio silvarum nobiles, perfusam aqua depectentes frondium canitiem, unde geminus feminis nostris labos redordiendi fila rursusque texendi: tam multiplici opere, tam longinquo orbe petitur ut in publico matrona traluceat. [...]

Bostock übersetzt diese Passage:

The first people that are known of here are the Seres, so famous for the wool that is found in their forests. After steeping it in water, they comb off a white down that adheres to the leaves; and then to the females of our part of the world they give the twofold task of unravelling their textures, and of weav- ing the threads afresh. So manifold is the labour, and so distant are the regions which are thus ransacked to supply a dress through which our ladies may in public display their charms. [6]

Der Übersetzer merkt an, dass Plinius Seidenraupen (eigentlich die Larven des Seidenspinners) und deren Kokons in Buch 11, Kapitel 27 im Abschnitt über die “Koische Seide”[7]. Plinius bezeichnet die Larven des Seidenspinners  als “bombyx”[8] und beschreibt die Entstehung der Kokons nicht als ein Sich-Einspinnen, sondern als Nester, die durch Filz- und Walkprozess entstehen.

Bei Herodot liest man, dass in Indien Bäume wild wachsen, die eine Wolle produzieren, die in Schönheit und Güte die von Schafen übertrifft, und dass die Inder Kleidung von diesen Bäumen tragen (Herodot, Historien III, 106).

Die Meinung, dass Seide auf Bäumen wächst, findet sich noch bei Isidor von Sevilla in den kurzen Bemerkungen zu den “Seres”:

Seres a proprio oppido nomen sortiti sunt, gens ad Orientem sita, apud quos de arboribus lana contexitur. [9]

Im Codex Sangallensis 621, S. 40,, einer im 9. Jahrhundert entstandenen St. Galler Abschrift der Historiarum adversum paganos libri VII des Paulus Orosius notiert im 11. Jahrhundert Ekkehart IV.[10] in einer Glosse zu “[...]  qua oceanus Sericus tenditur [...]”[11]:

Ubi et Seres gentes qui serica uellera arboribus natura quadam suis inpendentia mittunt. [...].

Heidi Eisenhut[12] verweist als Quelle für diese Informationen auf Stellen bei Plinius und Isidor von Sevilla, sieht aber die oben erwähnte Stelle im Boethius-Kommentar als wahrscheinlichere Quelle.

  1. Zu den ältesten Funden und zu ersten Nachrichten s. Anastasia Pekridou-Gorecki “Seide.” Der Neue Pauly. Herausgegeben von: Hubert Cancik, Helmuth Schneider (Antike), Manfred Landfester (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte). Brill Online, 2014. Reference. Universitaet Wien. 09 July 2014  http://referenceworks.brillonline.com/entries/der-neue-pauly/seide-e1107010. First appeared online: 2006.
  2. Josua Maaler: Die teütsch Spraach : alle Wörter, Namen und Arten zuo reden in hochteütscher Spraach, dem ABC nach ordenlich gestellt unnd mit guotem Latein gantz fleissig unnd eigentlich vertolmetscht, dergleychen bisshär nie gesähen / Dictionarium germanicolatinum novum : hoc est, Linguae Teutonicae, superioris praesertim, thesaurus / durch Josua Maaler, Burger zuo Zürich = a Iosua Pictorio Tigurino confectus & in lucem nunc primum editus (Tiguri : excudebat Christophorus Froschouerus 1561). Digitalisat: e-rara.ch.
  3. Eduard von Tscharner übersetzt: “Die Seres wohnen fern von hier nach Osten in der Ebene Indien.” [Ed. von Tscharner: "China in der deutschen Dichtung des Mittelalters und der Renaissance" In: Sinica, JG. IX (1934) 8, Fußnote  e.]. Zur Übersetzung von ‘in eben’ vgl. Heinrich August Schrötensack: Grammatik der neuhochdeutschen Sprache [Nachdruck der Ausgabe Erlangen 1856] (Documente linguistica, Reihe VI: Grammatiken des 19. Jahrhunderts; Hildesheim/New York: Olms 1976) 336.
  4. Notker III., genannt Notker Labeo, Notker Teutonicus oder Notker der Deutsche. Zur Biographie: Anna Grotans: „Notker Labeo“, in: Neue Deutsche Biographie 19 (1998), S. 362-364 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118588869.html.
  5. St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 825, p. 84 (http://www.e-codices.unifr.ch/de/list/one/csg/0825).
  6. [Pliny the Elder,  Naturalis Historia. Translated, with copious notes and illustrations, by the late John Bostock and H. T. Riley. (Bohn's Classical Library, London: H.G. Bohn 1855) Book 6, ch. 20.].
  7. D.i. die Seide der Raupe des Pistazienspinners (Pachypasa otus), die von der Insel Kos stammte und in Rom begehrt war, bevor die Seide aus China verfügbar wurde. S. Rolf Hurschmann: “Coae Vestes.”  Der Neue Pauly. Herausgegeben von: Hubert Cancik, Helmuth Schneider (Antike), Manfred Landfester (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte). Brill Online, 2014. Reference. Universitaet Wien. 09 July 2014 http://referenceworks.brillonline.com/entries/der-neue-pauly/coae-vestes-e302400. First appeared online: 2006.
  8. Bombyx mori = Seidenspinner oder Maulbeerspinner.
  9. Isidorus Hispalensis: Etymologiarum libri XX, 9, II, 40.
  10. Zur Biographie: Franz Brunhölzl: „Ekkehart IV.“, in: Neue Deutsche Biographie 4 (1959), S. 433-434 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118529722.html.
  11. Heidi Eisenhut: Die Glossen Ekkeharts IV. von St. Gallen im Codex Sangallensis 621 (Diss. Zürich 2006). (Monasterium Sancti Galli 4, St. Gallen 2009)  (Betaversion), 1,2,47.
  12. Heidi Eisenhut: Die Glossen Ekkeharts IV. von St. Gallen im Codex Sangallensis 621 (Diss. Zürich 2006). (Monasterium Sancti Galli 4, St. Gallen 2009)  (Betaversion), 040a7-11.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1608

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Politische Partizipation in den postsozialistischen Ländern Europas (Teil 2) von Raphael Schmatz

In Teil 1 wurden zentrale Ergebnisse der vergleichenden Partizipationsforschung in Europa vorgestellt. Es fiel auf, dass die Bürgerinnen und Bürger östlich des ehemaligen Eisernen Vorhangs politisch weit weniger aktiv sind als ihre westlichen Nachbarn. Im folgenden empirischen Teil wird der … Continue reading

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/6818

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Wie alt ist die Priamel “Hette ich Venediger macht”?

Worauf sich der Nürnberger Freiherr von Kreß in einer bayerischen Parlamentsdebatte 1831 bezog, ist eine in der Frühen Neuzeit weit verbreitete Spruchweisheit in Form einer Priamel.1) Es ist alles andere als trivial, zu diesem viel zitierten Spruch eine wissenschaftliche Erörterung aufzufinden. Auch mit Hilfe der elektronischen Volltextsuchen stößt man nur mit viel Glück auf die Ausführungen von Karl Steiff und Gebhard Mehring in ihren “Geschichtliche Lieder und Sprüche Württembergs” (1912, S. 71-74 Nr. 21 – online Wikimedia Commons).

Steiff/Mehring edierten drei Versionen, wobei jede Version verschiedene Schlussvarianten aufwies. Als älteste Überlieferung wurde von ihnen Christoph Lehmanns Florilegium Politicum auctum von 1662 entnommen, wo es am Ende heißt: “were ich Herr der gantzen Welt” (Digitalisat). Eindeutige Anspielungen auf den Spruch fanden sie aber schon in einem Ereignislied aus dem Dreißigjährigen Krieg um 1620, und in einem Dialog von 1628 wird der Spruch als “Sprichwort” angesprochen.

Mit Google Books findet man ältere Belege. Etwas jünger als Lehmann sind die Iocoseria eines Hilarius 1659 (VD 17; Digitalisat) ohne Schluss-Satz. Um 1625 notierte sich ein Straßburger Bürger die Verse, wobei er das “Braunschweiger Veldt” ergänzte (Abdruck). In das Ende des 16. Jahrhunderts kommt man zurück mit einer Danziger Handschrift (Katalog), wobei der Kontext auf eine Niederschrift nicht nach 1594 deutet:

Hett ich der Venediger Macht
Und der Augsburger Pracht
Nürnberger Witz
Strasburger Geschütz
Und der Ulmer Geld
So were ich der reichst in der Welt.

Die älteste mir bekannte Überlieferung stammt aus einer Basler Musikhandschrift von 1591, die online eingesehen werden kann.2 Sie enthält noch weitere Zeilen über Schweizer Verhältnisse.

Ausgeschlossen ist es nicht, dass noch ältere Belege auftauchen. Aber die Argumentation, mit der Steiff/Mehring ihre Datierung um 1500 begründen, leuchtet mir nicht ein. Wenn in einem württembergischen Spruch von 1520 von Ulmer Gold die Rede ist, so ist es alles andere als zweifelsfrei, dass eine Anspielung auf die hier besprochene Priamel vorliegt. Ein Blick in Google Books zeigt, dass “Ulmer Gold” ein feststehender Begriff war. Er konnte auch ohne Rückgriff auf den Spruch als Metapher für die finanzielle Potenz der Reichsstadt Ulm gebraucht werden. Ein anderer Spruch aus dem Lager Herzog Ulrichs reimte 1519:

“Nürnberg hübsch metzger macht
der weber von Augspurg treibt den pracht”

Auch hier drängt sich meiner Meinung nach nicht auf, dass die Formulierung die Priamel voraussetzt. Denkbar ist auch, dass eine frühere Fassung mit dem Reim Macht/Pracht als Zwischenglied zwischen der weitverbreiteten jüngeren Version und der Priamel Nürnbergischer Provenienz “Hett ich des keisers weib” aus dem 15. Jahrhundert, die als Vorbild des jüngeren Spruchs gelten kann, anzunehmen ist.3

Was hat man zu beachten, wenn man den Spruch als Geschichtsquelle auswerten möchte?

Zunächst sollte man die Datierung um 1500 nicht übernehmen, sondern vorsichtiger deutlich machen, dass die Priamel erst am Ende des 16. Jahrhunderts erstmals belegt ist.

Es liegt auf der Hand, dass man je nach angenommener Entstehungszeit geneigt ist, den historischen Kontext ganz unterschiedlich zu beurteilen. Um 1500 passt der Spruch prima, während hundert Jahre später schon das Konzept (oder soll man sagen: Klischee?) “Niedergang der Städte” allzu nahe liegt. Schon Lieder des 17. Jahrhunderts (von 1681) haben den Spruch mit der aus ihrer Sicht abweicheneden Wirklichkeit konfrontiert (Steiff/Mehring S. 72 nach Ditfurth). Unabhängig von seinem Wirklichkeitsgehalt war der Spruch bis ins 19. Jahrhundert äußerst beliebt4, wozu sicher auch die Drucküberlieferung beitrug. In den Materialien von Siebenkees 1792 ist von dem “bekannten schon hundertmahl gedruckten Verschen” die Rede.

Der Spruch betont – zugrundegelegt ist die Fassung der Danziger Handschrift – die finanzielle Potenz der oberdeutschen Reichsstädte Nürnberg, Augsburg, Ulm und Straßburg, die mit der machtvollen Serenissima verglichen werden. Bei Ulm steht das Kapitalvermögen im Vordergrund, was aber nicht so verstanden werden darf, dass der Autor die anderen Städte in ihrer finanziellen Leistungskraft abwerten will. Die Erwähnung der Nürnberger Innovationskraft (der Nürnberger Witz hat einen eigenen Wikipedia-Artikel), des Augsburger Luxus und des Straßburger Geschütze-Exports (der erst mit den Burgunderkriegen begann, so Steiff-Mehring) unterstreicht den abschließend (“were ich der reichst”) thematisierten Aspekt sehr großen Reichtums. Als zeitgenössische Wahrnehmung der frühkapitalistischen Macht der oberdeutschen Städte-Republiken wird die Priamel ja noch heute im wissenschaftlichen Diskurs gern zur Veranschaulichung eingesetzt.

  1. Zu Priameln siehe die Beispiele in Archivalia, zur hier besprochenen: http://archiv.twoday.net/stories/948987942/ (mit weiteren Nachweisen
  2. e-manuscripta.ch. Zur Handschrift F IX 70 siehe den Google-Schnipsel aus dem Katalog der Musikhandschriften 1988 und den Handschriftenkatalog.
  3. Siehe etwa das Katalogisat von Werner Hoffmann: http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/projekt-Dresden-pdfs/M%2042.pdf
  4. Siehe auch Wander und Plaut.

Quelle: http://frueheneuzeit.hypotheses.org/1782

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Wie alt ist die Priamel “Hette ich Venediger macht”?

Worauf sich der Nürnberger Freiherr von Kreß in einer bayerischen Parlamentsdebatte 1831 bezog, ist eine in der Frühen Neuzeit weit verbreitete Spruchweisheit in Form einer Priamel.1) Es ist alles andere als trivial, zu diesem viel zitierten Spruch eine wissenschaftliche Erörterung aufzufinden. Auch mit Hilfe der elektronischen Volltextsuchen stößt man nur mit viel Glück auf die Ausführungen von Karl Steiff und Gebhard Mehring in ihren “Geschichtliche Lieder und Sprüche Württembergs” (1912, S. 71-74 Nr. 21 – online Wikimedia Commons).

Steiff/Mehring edierten drei Versionen, wobei jede Version verschiedene Schlussvarianten aufwies. Als älteste Überlieferung wurde von ihnen Christoph Lehmanns Florilegium Politicum auctum von 1662 entnommen, wo es am Ende heißt: “were ich Herr der gantzen Welt” (Digitalisat). Eindeutige Anspielungen auf den Spruch fanden sie aber schon in einem Ereignislied aus dem Dreißigjährigen Krieg um 1620, und in einem Dialog von 1628 wird der Spruch als “Sprichwort” angesprochen.

Mit Google Books findet man ältere Belege. Etwas jünger als Lehmann sind die Iocoseria eines Hilarius 1659 (VD 17; Digitalisat) ohne Schluss-Satz. Um 1625 notierte sich ein Straßburger Bürger die Verse, wobei er das “Braunschweiger Veldt” ergänzte (Abdruck). In das Ende des 16. Jahrhunderts kommt man zurück mit einer Danziger Handschrift (Katalog), wobei der Kontext auf eine Niederschrift nicht nach 1594 deutet:

Hett ich der Venediger Macht
Und der Augsburger Pracht
Nürnberger Witz
Strasburger Geschütz
Und der Ulmer Geld
So were ich der reichst in der Welt.

Die älteste mir bekannte Überlieferung stammt aus einer Basler Musikhandschrift von 1591, die online eingesehen werden kann.2 Sie enthält noch weitere Zeilen über Schweizer Verhältnisse.

Ausgeschlossen ist es nicht, dass noch ältere Belege auftauchen. Aber die Argumentation, mit der Steiff/Mehring ihre Datierung um 1500 begründen, leuchtet mir nicht ein. Wenn in einem württembergischen Spruch von 1520 von Ulmer Gold die Rede ist, so ist es alles andere als zweifelsfrei, dass eine Anspielung auf die hier besprochene Priamel vorliegt. Ein Blick in Google Books zeigt, dass “Ulmer Gold” ein feststehender Begriff war. Er konnte auch ohne Rückgriff auf den Spruch als Metapher für die finanzielle Potenz der Reichsstadt Ulm gebraucht werden. Ein anderer Spruch aus dem Lager Herzog Ulrichs reimte 1519:

“Nürnberg hübsch metzger macht
der weber von Augspurg treibt den pracht”

Auch hier drängt sich meiner Meinung nach nicht auf, dass die Formulierung die Priamel voraussetzt. Denkbar ist auch, dass eine frühere Fassung mit dem Reim Macht/Pracht als Zwischenglied zwischen der weitverbreiteten jüngeren Version und der Priamel Nürnbergischer Provenienz “Hett ich des keisers weib” aus dem 15. Jahrhundert, die als Vorbild des jüngeren Spruchs gelten kann, anzunehmen ist.3

Was hat man zu beachten, wenn man den Spruch als Geschichtsquelle auswerten möchte?

Zunächst sollte man die Datierung um 1500 nicht übernehmen, sondern vorsichtiger deutlich machen, dass die Priamel erst am Ende des 16. Jahrhunderts erstmals belegt ist.

Es liegt auf der Hand, dass man je nach angenommener Entstehungszeit geneigt ist, den historischen Kontext ganz unterschiedlich zu beurteilen. Um 1500 passt der Spruch prima, während hundert Jahre später schon das Konzept (oder soll man sagen: Klischee?) “Niedergang der Städte” allzu nahe liegt. Schon Lieder des 17. Jahrhunderts (von 1681) haben den Spruch mit der aus ihrer Sicht abweicheneden Wirklichkeit konfrontiert (Steiff/Mehring S. 72 nach Ditfurth). Unabhängig von seinem Wirklichkeitsgehalt war der Spruch bis ins 19. Jahrhundert äußerst beliebt4, wozu sicher auch die Drucküberlieferung beitrug. In den Materialien von Siebenkees 1792 ist von dem “bekannten schon hundertmahl gedruckten Verschen” die Rede.

Der Spruch betont – zugrundegelegt ist die Fassung der Danziger Handschrift – die finanzielle Potenz der oberdeutschen Reichsstädte Nürnberg, Augsburg, Ulm und Straßburg, die mit der machtvollen Serenissima verglichen werden. Bei Ulm steht das Kapitalvermögen im Vordergrund, was aber nicht so verstanden werden darf, dass der Autor die anderen Städte in ihrer finanziellen Leistungskraft abwerten will. Die Erwähnung der Nürnberger Innovationskraft (der Nürnberger Witz hat einen eigenen Wikipedia-Artikel), des Augsburger Luxus und des Straßburger Geschütze-Exports (der erst mit den Burgunderkriegen begann, so Steiff-Mehring) unterstreicht den abschließend (“were ich der reichst”) thematisierten Aspekt sehr großen Reichtums. Als zeitgenössische Wahrnehmung der frühkapitalistischen Macht der oberdeutschen Städte-Republiken wird die Priamel ja noch heute im wissenschaftlichen Diskurs gern zur Veranschaulichung eingesetzt.

  1. Zu Priameln siehe die Beispiele in Archivalia, zur hier besprochenen: http://archiv.twoday.net/stories/948987942/ (mit weiteren Nachweisen
  2. e-manuscripta.ch. Zur Handschrift F IX 70 siehe den Google-Schnipsel aus dem Katalog der Musikhandschriften 1988 und den Handschriftenkatalog.
  3. Siehe etwa das Katalogisat von Werner Hoffmann: http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/projekt-Dresden-pdfs/M%2042.pdf
  4. Siehe auch Wander und Plaut.

Quelle: http://frueheneuzeit.hypotheses.org/1782

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