Irische Geschichte, Teil 5: Bürgerkrieg und Spaltung

Von Stefan Sasse

Teil 1 findet sich hier. In ihm wurde beschrieben, wie Irland seit der Personalunion mit der englischen Krone eine wechselhafte Beziehung mit England unterhielt und vor allem durch seine inneren Konflikte gespalten war, die entlang der Konfessionsgrenzen und Besitzverhältnisse verliefen. In Teil 2 wurde deutlich gemacht, wie die Politik der britischen Regierung und des Parlaments eine immer stärkere Wechselwirkung mit Irland entwickelten, in dem sich eine nationalistische Bewegung zu bilden begann und stets an Boden gewann. Als Großbritannien sich für die Selbstverwaltung Irlands, die Home Rule, entschied, hatten die Devolutionisten, die die totale Unabhängigkeit wollten, bereits deutlich an Boden gewonnen. Teil 3 beschrieb die zunehmende Gewaltbereitschaft zwischen den Unionisten in Ulster und den Nationalisten im Rest des Landes und die Konflikte um die Home Rule und wie diese Konflikte durch den Ersten Weltkrieg erst vertagt und dann verschärft wurden. In Teil 4 wurde gezeigt, wie die Iren den bewaffneten Kampf gegen die Briten aufnahmen und bereits in diesen Tagen der inner-irische Konflikt zu einer Art verdeckten Bürgerkrieg wurde. Auch die irische Nationalbewegung spaltete sich über das Ergebnis des Konflikts - die Teilung Irlands und den Dominion-Staus - und begann den bewaffneten Kampf gegeneinander.

Soldaten der irischen Armee auf einem Schiff
Prinzipiell war für die Counties im Norden Irlands vorgesehen, dass die Grenzen provisorisch waren und dass eine Kommission sie entlang der Präferenz der Bewohner festlegen würde. Diese Regelung war stark im Interesse der neuen Irischen Republik, denn die Unionisten im Norden stellten nicht auch nur annähernd in der gesamten Fläche der sechs Counties die Mehrheit; wenn die Kommission auch nur bei der Hälfte eine unionistische Mehrheit gefunden hätte, wäre dies eine Überraschung gewesen. Ein solcherart zusammengesestutztes Nordirland aber wäre praktisch nicht lebensfähig gewesen; eine winzige Enklave am Nordostzipfel des Landes, von den lebenswichtigen Verbindungen der Industriegebiete (die unionistisch und protestantisch waren) und dem sie versorgenden Umland (das eher nationalistisch und katholisch war) abgeschnitten. Der aufkeimende Bürgerkrieg zwischen den Vertragsgegnern um Éamon de Valera und den Befürwortern um Michael Collins aber enthob Großbritannien dieses Problems. 


Um britische Hilfe im Kampf gegen die Rebellen zu erhalten, akzeptierte die Regierung in Irland schnell den Status Quo. Nordirland wurde mit den Vertragsgrenzen unabhängig vom Rest Irlands und bekam von Großbritannien die Selbstverwaltung zugestanden. Im Gegenzug erließ London der Irischen Republik die Schulden, die es im Teilungsvertrag übernommen hatte (was ein für die internationale Anerkennung entscheidender Schritt gewesen war) und versorgte es mit Waffen und Munition für den Kampf gegen die Rebellen. 

Regierungstruppen
Der eigentliche Bürgerkrieg begann im Sommer 1922. Die ersten freien Wahlen der Irischen Republik erbrachten eine solide Mehrheit für die Sinn Féin, die den Vertragsschluss befürwortete und zu diesem Zeitpunkt effektiv unter Kontrolle Michael Collins stand. Die IRA selbst war über den Vertrag gespalten; die Mehrheit unterstützte auch hier Collins' Regierung. Nachdem Terroristen der vertragsfeindlichen IRA bei einem Anschlag in London den pensionierten General Henry Hughes Wilson ermordeten drohte die Regierung in London damit, Schritte gegen die Rebellen zu ergreifen wenn Collins dies nicht selbst unternahm. Nachdem die vertragsfeindliche IRA auch noch den irischen General JJ O'Connel kidnappte, ließ Collins die Hochburg der Rebellen in Dublin angreifen und erobern. Innerhalb kürzester Zeit wurde im ganzen Land gekämpft. Die Ironie der Situation dürfte den Briten gefallen haben, denn die Iren wandten nun die Taktiken, mit denen sie zuvor die Briten bekämpft hatten, gegeneinander an. 

Während die Regierung versuchte, die Rebellen aufzugreifen und gefangenzunehmen oder zu töten (was ihnen wegen der Kenntnis des Landes und der Spaltung des Landes besser gelang als den Briten während des Unabhängigkeitskriegs, lauerten die IRA-Rebellen den Anführern der Republik auf und versuchten sie zu ermorden. Auch Michael Collins selbst fiel einem solchen Hinterhalt zum Opfer. Insgesamt aber verzeichnete die IRA wesentlich weniger Erfolg im Kamof gegen ihr republikanisches Pendant, das die Taktiken aus eigener Anschauung viel zu gut kannte. Die Republik schreckte nicht davor zurück, Exekutionen an Gefangenen durchzuführen um so Rache für Anschläge zu nehmen und führte immer wieder konzentrierte Schläge gegen die Kommandostruktur der Rebellen durch. Der militärische Anführer der IRA, Liam Lynch, fiel im April 1923 einem solchen Angriff zum Opfer. Die neue Führung der IRA unter Frank Aiken und Éamon de Valera drängte daraufhin auf Frieden, und die IRA legte die Waffen nieder. Ein Friedensvertrag allerdings wurde nie geschlossen, und der entstehende Friede war von höchst brüchiger Natur, schon alleine, weil viele IRA-Anführer (unter anderem de Valera) verhaftet wurden.  

Denkmal für die erschossenen IRA-Kämpfer in Ballyseedy
Trotz des gerade erst beendeten Bürgerkriegs und des offensichtlichen Siegs der Republik wurden sofort nach Ende der Feindseligkeiten erneut Wahlen abgehalten - ein Schritt, der die liberale und demokratische Natur der neuen irischen Republik unterstrich, besonders, da auch die Vertragsgegner an den Wahlen teilnehmen durften (selbst diejenigen, die im Gefängnis saßen). De Valera und seine Vertragsgegner gewannen rund ein Drittel der Stimmen; die unter dem Banner der "Cumann na nGaedheal" (Bündnis der Gälen) angetretenen Vertragsbefürworter gewannen allerdings eine komfortable Mehrheit, die sie bis 1932 halten konnten. Auch die ersten Schritte der neuen Regierung waren angesichts der gerade erst überstandenen Verwerfungen im Kampf gegen Großbritannien und dem Bürgerkrieg erstaunliche Leistungen des liberalen Staatsgedankens: eine neue Polizei wurde geschaffen um die verrufene RIC zu ersetzen, und die gewählten lokalen County Councils wurden aufgelöst und durch von der Zentralregierung ernannte County Managers ersetzt. 

Die Polizei, die "Garda Síochána" (Hüter des Friedens), war unbewaffnet und politisch neutral - erneut, angesichts des gerade überstandenen Bürgerkriegs eine erstaunliche Entwicklung. Die Ersetzung der County Councils dagegen kann nicht gerade als besonders demokratisch gelten, da an ihre Stelle ernannte Beamte traten. Gleichzeitig aber war der Schritt notwendig, um den Zugriff der Regierung auf das ganze Land zu gewährleisten, denn viele der Councils waren noch voller Vertragsgegner, und praktisch alle waren bis auf die Knochen korrupt und verhinderten eine vernünftige Verwaltung des Landes. Gleichzeitig blieben viele Notstandsgesetze weiter in Kraft, die während der sporadisch stattfindenden IRA-Attacken jeweils eingesetzt wurden, um Verdächtige en masse gefangenzusetzen und abzurteilen. Gleichzeitig allerdings wurden bis 1924 alle Gefangenen aus dem Bürgerkrieg, auch etwa de Valera, entlassen. 

Kevin O'Higgins
Die Vertragsgegner formierten sich 1926 in einer eigenen Partei, der " Fianna Fáil" (Republikanische Partei), die allerdings - wie damals die IPP - ihre Sitze nicht einnahm und das Parlament boykottierte. Der Schritt bedeutete jedoch gleichzeitig auch die Trennung vom militanten Arm der Vertragsgegner, der IRA, die ohne politische Vertretung blieb. Diese Boykotthaltung wurde 1927 aufgegeben, als die IRA General Kevin O'Higgins ermordete, der im Bürgerkrieg für die Exekutionen zuständig gewesen war. Die "Fianna Fáil" machte damit klar, dass sie die IRA nicht mehr unterstützte, die daraufhin in der Irischen Republik stark an Einfluss verlor und sich mehr und mehr auf terroristische Anschläge verlegte.

In Nordirland dagegen nahm die IRA eine andere Entwicklung. Sie hatte bereits während des Unabhängigkeitskriegs in Opposition zu den Unionisten gestanden und diese mindestens ebenso erbittert wie die Briten bekämpft. Der Friedensvertrag 1920 sorgte eher für eine Verschärfung dieses Konflikts als für seine Auflösung. Die IRA in Nordirland war fest entschlossen, den Vertrag zu bekämpfen und die Vereinigung beider Landesteile mit Gewalt zu erwirken. Die RIC, die im Gegensatz zur Irischen Republik nicht aufgelöst wurde, erhielt bald Unterstützung durch die Ulster Special Constablery (USC), während die Regierung den Notstand ausrief und mit Kriegsrecht gegen die IRA zu Felde zog. Die USC bestand dabei fast vollständig aus den alten Ulster Volunteers, so dass die alten religiösen und politischen Konflikte nahtlos ins Polizeisystem übertragen wurden: die katholische IRA bekämpfte entschlossen die protestantische USC. In den Kämpfen zwischen 1920 und dem Ende des Bürgerkriegs im Süden 1923 starben hunderte von Menschen. 

Sinn Féin Plakat gegen die RUC
Die Gewalt schuf ein allgemeines Klima der Furcht, und die Repressalien der nordirischen Regierung gegen die katholische Minderheit (die pauschal der Unterstützung der IRA verdächtigt wurde) trieb viele Katholiken in die Emigration über die Grenze, was die Zurückgebliebenen nur noch mehr isolierte. Die Versuche der nordirischen Regierung, mit der Auflösung der USC und der Schaffung der "Royal Ulster Constabulary" (RUC) eine religiös gemischte Einheit mit beruhigender Wirkung zu schaffen scheiterte trotz des Transfers vieler katholischer Polizeibeamter von der RIC zu der neuen RUC; die katholische Bevölkerung akzeptierte die RUC niemals als "ihre" Polizei und entfremdete sich zunehmend von dem neuen nordirischen Staat, eine Entwicklung, die durch die Diskriminierungspolitik der nordirischen Regierung noch weiter verstärkt wurde. 

Die zwei Hauptinstrumente dieser Diskriminierung waren das auch aus den USA bekannte "Gerrymandering", bei dem die Grenzen der Wahlbezirke so gezogen wurden, dass Mehrheiten für die unionistischen Parteien gesichert waren - entweder stopfte man möglichst viele Katholiken zu unionistischen Mehrheiten und neutralisierte so ihre Stimme, oder man fasste die mehrheitlich katholisch bewohnten Bezirke solcherart zusammen, dass sie starke Enklaven mit stabilen, wenn auch schmalen protestantischen Mehrheiten enthielten. Dieses undemokratische System wurde durch die zweite Säule noch verschärft, die das Wahlrecht auf "primary tenants" (die eigentlichen Mieter; die damals besonders om sozial niedrig stehenden, katholischen Milieu weit verbreiteten Untermieter wurden dadurch ausgeschlossen), deren Frauen und Landbesitzer beschränkte und den (protestantischen) Firmen mehrfaches Stimmrecht hab. Dieses System, das in Großbritannien in den 1940er Jahren abgeschafft wurde, bestand in Nordirland bis 1969 und garantierte bis in die 1960er Jahre hinein die unumschränkte Herrschaft der Protestanten über die katholische Minderheit.

Die katholische Minderheit wurde zudem ökonomisch diskriminiert. Weder war sie in den mittleren und oberen Verwaltungsrängen präsent, noch fanden sie Anstellung in den wichtigsten Branchen wie dem Schiffbau oder dem Maschinenbau. Die Entfremdung vom Staat wurde nur dadurch in Grenzen gehalten, dass Nordirland im Gegensatz zur Irischen Republik den Trend Großbritanniens zum Wohlfahrtsstaat mitmachte, der den armen Katholiken ein soziales Fangnetz bot. In der Irischen Republik dagegen hielt sich der Staat sehr zurück und senkte im Gegenzug die Steuern stark ab.

Literaturhinweise: 
Richard English - Armed Struggle - The history of the IRA 
T. R. Dwyer - Michael Collins
Michael Collins (DVD, Spielfilm)
The Wind that shakes the Barley (DVD, Spielfilm)


Bildnachweise: 
Soldaten auf Schiff - National Library of Ireland on The Commons (gemeinfrei)
Regierungstruppen - unknown - personal collection (gemeinfrei)
Ballyseedy - Patrick McAleer (CC-BY-SA 2.5)
Kevin O'Higgins - unbekannt (gemeinfrei)
Plakat - Ógra Shinn Féin (CC-BY-SA 3.0)

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2013/06/irische-geschichte-teil-5-burgerkrieg.html

Weiterlesen

Bern Lecture on Digital Heritage II

Olia Lialina über  “Aging Online — Eternal Present and Perpetual Future in Digital Culture

Zu Gast bei der zweiten Bern Lecture on Digital Heritage ist Olia Lialina, Netzkünstlerin der ersten Stunde und Professorin an der Merz Akademie in Stuttgart. Sie wird in ihrem Vortrag über Alterungsphänomene und Temporalität im Internet und seinem Umfeld sprechen.

Titel: Aging Online — Eternal Present and Perpetual Future in Digital Culture

Datum: Fr. 05.07.2013 um 17:30 Uhr

Ort: Hochschule der Künste Bern, grossen Aula  (Fellerstrasse 11, CH – 3027 Bern; Haltestelle: Bümplitz Nord)

Sprache: Englisch

Eintritt: frei

Die Veranstaltung findet im Rahmen des Jubliäumsjahres 10 Jahre HKB statt und ist dem MAS PDACH assoziiert.

Weitere Veranstaltungen

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=1897

Weiterlesen

Bilder des Bundesarchivs zum Puzzlen

Über den Webauftritt “CC PLAY” können Personen und Momente der deutschen Geschichte spielerisch erlebt werden.

Beispielbild vom 27. Juli 1991Beispielbild vom 27. Juli 1991Quelle: BArch, B 145 Bild-F088836-0033 / Joachim Thum (bearb. durch CC PLAY)

Im Rahmen der inzwischen beendeten Kooperation von Bundesarchiv und Wikimedia Deutschland e.V. wurden zehntausende Fotos des Bundesarchivs unter der Creative Commons (CC)-Lizenz 3.0 by-sa der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt. Aus diesem Fundus hat das Kölner Game Studio the Good Evil zahlreiche Bilder ausgewählt und das kostenlose digitale Puzzle-Spiel “CC PLAY” entwickelt.

Auf ungewöhnliche Weise erfahrbar werden so weite Teile der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Herausragende und alltägliche, heitere und sehr dunkle Momente u.a. aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Sport: “Vom Hitlerputsch 1923 bis zur Birkensafternte in Colditz 1985″. Probieren Sie es aus!

Zum Bilderpuzzle CC PLAY des Unternehmens “The Good Evil”

Quelle: http://archive20.hypotheses.org/717

Weiterlesen

“Erziehung, Bildung und Geschlecht. Männlichkeiten im Fokus der Gender-Studies” (Hrsg.: M. Baader u.a.) – Eine Rezension von Sylvia Eder

Der Sammelband ist aus der Jahrestagung 2009 der Kommission „Pädagogische Anthropologie“ der DGfE hervorgegangen, welche an der Universität Hildesheim zum Thema „Erziehung, Bildung und Geschlecht – Männlichkeiten im Fokus der Gender-Studies“ stattgefunden hat. Die Herausgebenden präsentieren in ihrem Werk Geschlechterverhältnisse … Weiterlesen

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/4446

Weiterlesen

Online-Umfrage zu den Schwierigkeiten beim Zugriff auf Holocaust Archivalien

Die International Holocaust Remembrance Alliance (ehemals Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance, and Research) hat eine Online-Umfrage zu den Schwierigkeiten beim Zugriff auf Holocaust-Archivalien gestartet. Das Ziel der Umfrage ist die Identifizierung der Probleme und zukünftige Lösungsmöglichkeiten.

Die Umfrage ist in Deutsch, Englisch, Französisch und Russisch verfügbar und sollte nur wenige Minuten im Anspruch nehmen.

Wir bitten die Befragten, möglichst ausführliche Antworten zu geben.

Wenn Sie Fragen haben oder weitere Informationen benötigen, besuchen Sie bitte http://www.holocaustremembrance.com/focus/archives oder E-Mail: ihra.survey@gmail.com

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=1889

Weiterlesen

Zwischen dashboard und front end: Junge Wissenschaftler üben die Kunst des Bloggens

Lösen blogging, twitter und facebook in der Historiographie  bald klassische Hilfswissenschaften wie Epigraphik, Sphragistik oder Numismatik ab? Mit dieser provozierenden (wenngleich nicht ganz ernst gemeinten) Frage eröffnete der Historiker Bodo Mrozek am 25. Juni in Potsdam einen Workshop über wissenschaftliches Bloggen.

Die Veranstaltung fand statt am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, der Max Weber-Stiftung, dem Deutschen Historischen Institut Paris, dem Arbeitskreis Popgeschichte und der Plattform de.hypotheses.org. Mareike König, „digital native“ vom DHI-Paris und Sascha Foerster, Community-Manager der der Max-Weber-Stiftung, nahmen zahlreiche (weniger überraschend: vornehmlich junge, durchaus überraschend: mehrheitlich weibliche) Interessierte mit in die Blogosphäre der Geisteswissenschaften.

Vollbesetzte Reihen: Der Potsdamer Workshop “Wissenschaftliches Bloggen”
stieß vor allem bei jungen Wissenschaftlerinnen auf großes Interesse.

Mareike König (DHI Paris) und Sascha Foerster (Max Weber-Stiftung) führen in Potsdam in die Praxis des Bloggens ein.

Vorgestellt wurde die Plattform hypotheses.org, ein nicht-kommerzielles europäisches Blogportal für Geistes- und Sozialwissenschaften. Hypotheses ermöglicht, das Genre des Blogs und seinen eigenen Stil in wissenschaftlicher Seriosität zu verankern – nur wissenschaftliche Blogs dürfen auf hypotheses eröffnet werden. Darunter sind sowohl persönliche Blogs einzelner Wissenschaftler als auch Gruppenblogs, die an einem gemeinsamen Thema arbeitende Wissenschaftler vereinen. Projektbezogene Blogs begleiten etwa eine Konferenz oder ein Editionsvorhaben. Viele Blogs richten sich an die breite Öffentlichkeit, manche auch an ein spezifisches Fachpublikum. Der französische Begriff für letztere, „carnets de recherche“, macht deutlich was die Kernidee des wissenschaftlichen Bloggens ist: Das eigene wissenschaftliche Arbeiten und Denken, das bisher meist als Gekritzel in privaten Notizbüchern landete, öffentlich machen.

<em>Carnet de recherche moderne et à l'ancien:</em> Vom Block zum Blog.

Carnet de recherche moderne et à l’ancien: Vom Block zum Blog.

Frankreich erschien in der Präsentation vielfach als Vorreiter und Deutschland in Hinblick auf das wissenschaftliche bloggen tatsächlich immer wieder als das in diesen Tagen viel gekalauerte Neuland. Das gilt nicht nur für die aktiv Bloggenden in den Wissenschaften, sondern auch für die großen Institutionen, die für die Dokumentation, Archivierung, Verbreitung und damit nicht zuletzt auch Anerkennung wissenschaftlicher Arbeiten verantwortlich zeichnen. Zur Praxis der Bibliotèque Nationale de France an Blogs eigene ISSN-Ziffern zu vergeben und sie damit in ihren Katalog aufzunhmen, musste die Deutsche Nationalbibliothek erst durch eine „Pflichtablieferungsverordnung“ getragen werden. Und auch die VG-Wort hat Blog-Publikationen in ihr Vergütungssystem aufgenommen.

Der Workshop führte angehende und
erfahrene BloggerInnen zusammen.

Die Diskussion während des Workshops machte deutlich: Das Bloggen fordert die Welt-, Selbst- und Arbeitsbilder der Geisteswissenschaften in vielen Punkten radikal heraus. Sich für drei Jahre in sein Kämmerchen einzuschließen, dort Aktenberge und Datenmengen anzuhäufen und dann mit einem fertigen dicken (und in der Regel nur für ein winzigen Publikum lesbaren) Werk zurück ans Licht der Öffentlichkeit zu kommen, ist noch immer der verteidigte Status quo. Beim Bloggen macht man Skizzen, Vermutungen, Ideen, liefert Prozesshaftes und Unfertiges –kann das Wissenschaft im hehren alten Sinne sein?

Die Fragen, die die Teilnehmenden ansprachen, zielten somit auch vor allem auf die Absicherung als wissenschaftlicher Nachwuchs: Mache ich mich nicht angreifbar, wenn ich öffentlich mache, das ich etwas nicht weiß? Wie schütze ich mich davor, dass andere meine noch nicht zwischen zwei Buchdeckeln festgeschriebenen Ideen abkupfern? Verpulvere ich nicht mein Material für wichtige Aufsätze und Bücher, wenn ich es vorher schon gebloggt habe?

Das Bloggen sei eine Form der wissenschaftlichen Publikationen neben anderen, die auch weiter ihre Berechtigung behalten würden, argumentierte Mareike König. Welches im konkreten Fall die angemessene Form ist, müsse jeder für sich entscheiden. Angesichts der Ausdifferenzierung der Publikationsformen, würden die Chancen, die das Bloggen dabei bietet aber immer deutlicher: Die kleinere Form, die zeitliche Beschleunigung im Vergleich zu den zähen peer-review-Publikationen, die Öffnung des Leserkreises und die potenziellen Anregungen durch die direkte Kommunikation mit dem Publikum, zählten zu den großen Vorteilen. Vor allem aber bildet das bloggen über die eigene Forschung – so eine wesentliche Erkenntnis des Workshops –  eine ständige Trainingseinheit in wissenschaftlichem Arbeiten: Es übt das Strukturieren und Schreiben von Texten, schult das Loslassen eigener Texte im Publikationsprozess, unterstützt das Netzwerken mit anderen und trainiert darin, sich selbst und die eigene Forschung einer interessierten Öffentlichkeit bekannt zu machen.

PopHistory-Bloggerinnen Glaucia Peres da Silva und Sarah Zalfen (v.l.n.r).

PopHistory-Bloggerinnen Glaucia Peres da Silva und Sarah Zalfen (v.l.n.r).

Sascha Foerster gab schließlich Einblicke in die Praxis des Bloggens. Er öffnete die technische Werkzeugkiste des digitalen Historikers: Social media, Facebook, google+, twitter und co. Foerster stellte den technischen Aufbau von hypotheses.org vor und ebnete den Teilnehmenden damit den Weg zum ersten eigenen Blog. Vom Anlegen eines eigene Profils, über das Erstellen des ersten Artikels bis zum Einfügen von Bildern sowie der Recherche und Angabe der korrekten Urheberrechte, konnten die Blogneulinge das Erlernte Schritt für Schritt in einem eigenen (natürlich vor öffentlichen Blicken geschützten) Testblog erproben und umsetzten. Front end und back end, widget, dashboard und tagging waren für die Teilnehmer am Ende des Tages keine Fremdworte mehr.

Der Vortrag von Mareike König lässt sich auf Slideshare abrufen.

(Text und Fotos: CC BY-3.0 DE.)

Quelle: http://pophistory.hypotheses.org/865

Weiterlesen

„Gutes Wetter – Schlechtes Wetter“ – Eine Ausstellung wird geplant (Teil 1)

Im MusErMeKu-Blog gibt die Gastautorin Jennifer Hofmann spannende Einblicke in ihre Tätigkeit im Schwäbischen Bauernhofmuseum Illerbeuren. In drei Beiträgen stellt sie ein Ausstellungsprojekt vor, an dem sie im Rahmen ihres Museumsvolontariats mitgewirkt hat: die Realisierung der Sonderausstellung „Gutes Wetter – Schlechtes … Weiterlesen

Quelle: http://musermeku.hypotheses.org/292

Weiterlesen

Die Herolde im römisch-deutschen Reich des späten Mittelalters

Forschungsprojekt: Dissertation (Mittelalterliche Geschichte) WWU-Münster, abgeschlossen im März 2013[1]

Herold Jörg Rugen mit bayerischem Wappenrock. Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2936, Part 2, fol 11v. en.wikipedia [public domain] Wikimedia Commons

Herold Jörg Rugen mit bayerischem Wappenrock. Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2936, Teil 2, fol 11v. en.wikipedia [public domain] Wikimedia Commons. Siehe auch den Blog Archivalia von Klaus Graf

 

Die Herolde wurden in der Forschung lange Zeit auf ihre heraldischen Kenntnisse reduziert. In den vergangenen beiden Jahrzehnten hat das Heroldsamt aber eine historiographische Neubewertung erfahren, die auf dem Leitbild der spätmittelalterlichen Herolde als Spezialisten der Zuteilung, Verbreitung und Registratur adliger Ehre beruht. In diesem Zusammenhang wird auf die Bedeutung des Institutionalisierungsprozesses der Herolde ab dem 14. Jahrhundert verwiesen, der mit der Aufnahme der Herolde an die Höfe von Fürsten verbunden war: Herolde wurden zu einem Bestandteil des höfischen Umfelds und richteten sich in ihrem Amtsverständnis darauf aus.

Die Forschung zu den Herolden im römisch-deutschen Reich hat von diesem erneuerten Forschungsinteresse jedoch nur in bescheidenem Maße profitiert. Eine Überprüfung der an französischen und burgundischen Beispielen entwickelten Thesen zur Entstehung, Organisation und Funktion des Heroldsamtes ist mit Blick auf das römisch-deutsche Reich bislang noch nicht geleistet worden. Eine solche Untersuchung habe ich in meiner Dissertationsschrift vorgelegt. Dabei ist es mir gelungen, die vorgestellten Forschungsthesen anhand der deutschen Befunde zu kontextualisieren und zu konkretisieren.

Mein Dissertationsprojekt ist multiperspektivisch angelegt. Dies betrifft zum einen den international vergleichenden Zugriff auf das Thema, zum anderen die methodische Herangehensweise, welche die Sozial-, Politik- und Militärgeschichte berührt. Auch kommt in der Arbeit ein kulturhistorischer Ansatz zum Tragen, der ganz allgemein als das methodische Bemühen Wahrnehmungsmuster, Sinnhorizonte und Praktiken in die historische Analyse mit einzubeziehen verstanden wird.

Die Ergebnisse meiner Dissertation möchte ich anhand von vier Thesen vorstellen. Die Analyse des Heroldsamts im römisch-deutschen Reich schreibt sich – so die erste These – in die Forschungen zu den internationalen Beziehungen im späten Mittelalter ein. Vor diesem Hintergrund wurde auf die Methoden des historischen Vergleichs und der Kulturtransferforschung zurückgegriffen. Essentiell für das Verständnis der Entwicklung des Heroldsamtes im römisch-deutschen Reich ist dessen Einordnung in einen kulturellen Transferprozess, der unter Einbeziehung eigener vorhandener kultureller Traditionen im römisch-deutschen Reich und durch den Vergleich der strukturellen Bedingungen in der Ausgangs- und Empfangsgesellschaft kausal verortet werden kann. Der Vergleich bietet die Möglichkeit, Beziehungen zwischen dem konkreten Untersuchungsgegenstand und allgemeineren gesellschaftlichen Gegebenheiten in europäischer Perspektive herzustellen. Auf diese Weise ordnet sich die Geschichte der Herolde in die Konzeption einer Geschichte der (kulturellen, aber auch diplomatischen und politischen) Beziehungen ein, die sich nicht als Gegenüberstellung unterschiedlicher politischer Strukturen, sondern als Verflechtungsgeschichte verschiedener gesellschaftlicher Felder versteht. Damit betont die vorliegende Arbeit die Bedeutung eines solchen Zugangs für die mittelalterliche Adelsforschung insgesamt.

Meine zweite These habe ich von der Frage ausgehend entwickelt, auf welche Weise die deutschen Herolde und ihr Amt sich zunächst in der adligen Welt und dann später an den Adelshöfen etabliert haben. Dabei habe ich auf die in der Sozialgeschichte bekannte Patron-Klientel-Beziehung, die bis dato vor allem zur Beschreibung von Klientelnetzwerken mit dem Ziel der politischen Einflussnahme genutzt wurde, als heuristisches Modell zurückgegriffen,. In Hinblick auf die Herolde lässt sich mittels dieses Ansatzes die Gewährung des Zugangs der aus sozial niederen Verhältnissen stammenden Herolde zu den Zentren der adligen Gesellschaft im 13. und 14. Jahrhundert und deren Verpflichtung zur Treue sowohl gegenüber ihrem Patron als auch gegenüber dem gesamten Adel erklären. Ab der Mitte des 14. Jahrhunderts rückt die Beziehung zwischen Patron und Klientel erneut in den Vordergrund, als Herolde allmählich in feste Anstellungen aufgenommen werden. Auf dieser Grundlage erweist es sich als zielführend, Unterschiede zwischen Herolden weniger auf individuelle Faktoren als vielmehr auf Gegensätze zwischen angesehenen und minderrangigen, bedürftigen und saturierten, fahrenden und patronisierten Herolden zurückzuführen. Schließlich ist die Patronage von Herolden dadurch charakterisiert, dass großer Aufwand zur Legitimation einerseits und zur repräsentativen Darstellung der Beziehung andererseits aufgebracht wird.

Von den Aktivitäten der Herolde ausgehend komme ich zur dritten These. Die gesellschaftliche Wirkung von Medien ist von sozialen, politischen und kulturellen Rahmenbedingungen abhängig, die über deren konkrete Einsatzmöglichkeiten und Auswirkungen bestimmen. Die Herolde bilden für den Adel im späten Mittelalter ein wichtiges Kommunikationsmedium, weil sie in der Folge ihrer institutionellen Anpassung an das höfische Umfeld ihrer Herren mit der Außen- und Innendarstellung ebendieser und des Adels in praktisch allen Lebensbereichen betraut sind. Durch die ständige Frequentation des adligen Milieus genießen sie als Referenzpunkt und Wissensmediator in Fragen zu Personen und zur adlig-höfischen Kultur auch außerhalb des Adels hohes Ansehen. Diese Kenntnisse vermitteln Herolde ebenfalls in eigenen Schriften, deren Wertschätzung sich daran zeigt, dass ihre Arbeiten bereits ab dem Ende des 15. Jahrhunderts im Druck erscheinen. Der lang anhaltende Bedarf nach den Herolden und die Vermittlung ihres Wissens auch im Druck werden aus der als soziales Konstrukt zu begreifenden Beziehung zwischen Medieneinsatz und gesellschaftlichen Wandlungsprozessen verständlich. Die Herolde als Medien adliger Kommunikation haben die Wandlungen adligen Selbstverständnisses begleitet und sich ebenfalls Prozessen der Transformation ausgesetzt, wodurch sie im römisch-deutschen Reich über zwei Jahrhunderte als ein Leitmedium der Adelsgesellschaft attraktiv bleiben.

Foto vom 19.06.2006 durch Philip Allfrey bei en.wikipedia, from Wikimedia Commons

Prozession von englischen Herolden, Windsor Castle. Foto vom 19.06.2006 durch Philip Allfrey bei en.wikipedia, from Wikimedia Commons

Von dieser engen Wechselbeziehung zwischen Adel und Heroldsamt ausgehend ist auch die vierte These entwickelt. Essentielle Bestandteile des Amtsverständnisses der Herolde im römisch-deutschen Reich und konstitutive Elemente der Adelskultur sind Ehre und Schande. Ihre Zuschreibung und Wahrnehmung strukturieren nicht nur interpersonale Beziehungen, sondern spielen auch aufgrund der großen Bindungsmacht von Emotionen eine bedeutende Rolle in der politischen Praxis. Ausdruck und Bekräftigung finden sie in Ritualen und Praktiken, welche die Kohärenz einer Gruppe nach innen stärken und ihre Abgrenzung nach außen steigern. In diesem Zusammenhang kommt den Herolden eine wichtige Rolle in der Darstellung und ständigen Aktualisierung dieser Werte- und Normenordnung zu, da sie nur auf diese Weise deren Funktion als Handlungsoption der Adligen bewahren können. Die Analyse des Heroldsamtes trägt dazu bei, die soziale Emotion der Ehre und Schande als ein zentrales Element der sozialen Rolle der Adligen im späten Mittelalter zu historisieren.

Auch wenn das Heroldsamt insbesondere im Commonwealth noch existiert, mag es heute teilweise seltsam und fremd vorkommen. Dieser Alterität gegenüber stellen die von mir problematisierte Bedeutung von Ehre und Schande oder der Einfluss von Medien auf soziale Realität Aspekte dar, die in der heutigen Gegenwart präsent sind. In meinem Dissertationsprojekt verbinde ich beide Niveaus, um einen neuen Blick auf mittelalterliche Phänomene zu werfen und zu zeigen, auf welche Weise die Mediävistik Reflexionswissen für unsere eigene Zeit bereitstellen kann.

Zuerst veröffentlicht bei http://mittelalter.hypotheses.org/1574

[1] Der folgende Beitrag baut auf der Vorstellung der Ergebnisse meiner Arbeit am 25.03.2013 an der WWU-Münster auf. Für Anregungen im Vorfeld danke ich Julia Crispin (Münster), Georg Jostkleigrewe (Münster) und Bastian Walter (Wuppertal).

Quelle: http://heraldica.hypotheses.org/311

Weiterlesen

Zwei Ortswechsel des Brünner Fragamts

Bislang wusste ich, dass das Brünner Fragamt zunächst im Löscherhaus untergebracht war und 1777 ins Karchesische Haus in der Altfröhlichergasse Nr. 512 übersiedelte. Nachdem ich nun den Wochentlichen Intelligenz-zetl des Fragamts für 1775 durchgesehen habe, kann ich berichten, dass es in diesem Jahr gleich zweimal seinen Standort wechselte: Ab 24. April 1775 war es in der obern Brünnergasse, in des Edlen von Rosenzweig Hause, N.ro 230, zu ebener Erde zu suchen (WIZ, 20.4.1775, Nr.16, unpaginiert) und schon drei Monate später musste es melden:

Stete Veränderungen sind verdrüßlich; aber man muß es doch gleichwohl melden: Das K.K. privil. Zeitungsamt ist von 19 dieses {19.7.1775} an, in der neuen Fröhlichergasse, N. 446 im zweyten Stockwerk. (WIZ, 13.7.1775, Nr.28, unpaginiert)
Wobei 446 eventuell ein Druckfehler für richtig 448 sein könnte, denn im Oktober 1775 hieß es: das k.k. Frag- und Kundschaftsamt hier in Brünn, in der Neufröhlicher Gassen N.ro 448 (WIZ, 19.10.1775, Nr.42, unpaginiert)

Wochentlicher Intelligenz-zetl aus dem Fragamte der Kaiser-Königl. privilegirten Lehen-Bank zu Brünn in Mähren (WIZ).

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/434212377/

Weiterlesen