Journal-Panorama zur gemeinsamen Obsorge
Das heutige Journal-Panorama befasste sich mit der gemeinsamen Obsorge. Susanne Krischke präsentierte fünf unterschiedliche Perspektiven auf das neue Modell.
Getrennt und doch gemeinsam: Gemeinsame Obsorge auf dem Prüfstand
Gestaltung: Susanne Krischke17.000 Ehen wurden allein im vergangenen Jahr geschieden, betroffen waren mehr als 19.000 Kinder. Damit beide Elternteile auch nach der gescheiterten Ehe Teil des Lebens ihrer Kinder bleiben, gibt es die gemeinsame Obsorge: Seit 1. Februar ist sie der Regelfall nach Scheidungen. Väter, die mit der Mutter ihres Kindes nicht verheiratet waren, haben ebenfalls die Möglichkeit, auch gegen den Willen der Mutter die gemeinsame Obsorge zu beantragen.
Nicht immer steht die gut gemeinte Theorie mit der Praxis in Einklang. Was für die einen selbstverständlich ist, ist für die anderen nicht realisierbar, zeigen die ersten Erfahrungen. Wirkt die gemeinsame Obsorge in konfliktreichen Scheidungen eskalierend oder deeskalierend? Wir beleuchten das Modell aus fünf Blickwinkeln.

Quelle: http://ehenvorgericht.wordpress.com/2013/12/09/journal-panorama-zur-gemeinsamen-obsorge/
#OED13 | OER-Lernmaterialien zum Ersten Weltkrieg | segu | Workshop am Freitag, 13.12.2013, in Berlin
Die Werkstatt_bpb veranstaltet am 13.12.2013 den Workshop #OED13 Open Educational Development: Erster Weltkrieg | Bildungsmaterial selber machen. Hier vorab die Folien zur Präsentation OER-Lernmaterialien zum Ersten Weltkrieg. Im Mittelpunkt des Beitrags von Christoph Pallaske steht die Modulserie Erster Weltkrieg von segu Geschichte.
Jakob von Vitry: Okzidentale Geschichte (Jacobus de Vitriaco: Historia Occidentalis, deutsch), 3
[Fortsetzung des Übersetzungsprojekts[1]]
Drittes Kapitel
Von den Räubereien und Eintreibungen der Mächtigen durch sie selbst oder durch ihre Spießgesellen und über ihre verschiedenen Verbrechen[2]
Während der Herr spricht, dass es besser zu geben statt zu nehmen sei, füllten die Menschen jener Zeit, und vor allem die, die die Regierungsgewalt über andere empfangen hatten, nicht nur durch ungesetzliche Schenkungen die Hände der Gierigen, oder erpressten durch Sammlungen und ungebührende Eintreibungen Geld von den Unterworfenen auf ihre eigene Verdammnis hin, sondern sie unterdrückten durch Plünderungen und gewaltsame Räubereien fortwährend, mal im Verborgenen, mal öffentlich, unvorsichtige oder schwache Menschen auf grausame Weise. Dabei waren sie sich nicht genügend gewahr, dass geschrieben steht: „Wehe, der du raubst, denn du wirst beraubt werden.“[3]Über diese sagte der Herr durch den Propheten: „Die das Fleisch meines Volkes fraßen, seine Haut abzogen und seine Knochen zerbrachen, werden zum Herrn schreien, er wird sie nicht erhören und sein Antlitz vor ihnen verbergen.“[4] Die Elenden bedenken nämlich ihre letzten Dinge nicht, wie Jeremia sagt: „Schmutz ist an ihren Füßen, weil sie das Ende nicht bedacht hat.“[5] „Dem Geringen kommt Erbarmen zu, die Mächtigen aber werden heftige Folter erleiden“,[6] und großes Gericht droht den Großen. Dieselben aber suchten nicht nur nach Beute, sondern verwüsteten auch ganze Landstriche durch Brand, und sie schonten nicht die Ländereien und Besitztümer der Klöster und Kirchen, da sie mit frevlerischer Hand die Heiligtümer aufbrachen und das dem geistlichen Dienst Gewidmete aus dem Innersten und von der Brust des Herrn wegschleppten. Den Armen und dazu seine Güter gaben sie ihren ruchlosen Spießgesellen preis, während sie in leichten Fällen untereinander wetteiferten. Mit Eisen gegürtet besetzten sie die Straßen und öffentlichen Plätze, wobei sie die Pilger und Geistlichen nicht verschonten. In den kleinen Orten und auch den Städten erfüllten Meuchelmörder und Verbrecher die Häuser, Plätze und verborgenen Orte, und lagen, durch das Blut der Unschuldigen geschützt, überall im Hinterhalt. Selbst auf dem Meer plünderten Freibeuter und Piraten, weil sie das göttliche Urteil nicht fürchteten, nicht nur die Händler und Pilger aus, sondern sie versenkten sie meist auch auf den Meeresgrund, indem sie ihre Schiffe anzündeten.
Die Fürsten jedoch und die ungläubigen Machthaber, die Verbündeten der Diebe, die eigentlich gehalten waren, den Frieden zu wahren und die Untergebenen zu verteidigen, und weiterhin die Verderben bringenden Menschen von den Untergebenen gleichsam wie Wölfe von den Schafen durch Abschreckung fernzuhalten, gewährten, nachdem sie Geschenke von ruchlosen und unheiligen Menschen aus Gier nach zeitlichem Gewinn angenommen hatten, ihnen Schutz und Begünstigung. Wenn sie einen Dieb sahen, liefen sie mit ihm, als ob sie sagen wollten: „Gib uns den Beuteanteil, der Geldbeutel sei einer für uns alle.“[7] Und so unterstützten sie die Diebe, Räuber, Kirchenschänder, Wucherer, Juden, Messerstecher und Mörder, die aufrührerischen Menschen, die sie eigentlich schwer bestrafen, von Grund auf ausrotten und aus der Mittel entfernen sollten, wobei sie selbst ohne Grund das Schwert trugen. Sie ließen sie ungestraft Übeltaten begehen, wo doch der Herr durch den Propheten sagt: „Sucht die Gerechtigkeit, helft dem Unterdrückten, schafft Recht der Waise und verteidigt die Witwe.“[8]
Sie selbst jedoch, die unreine Hunde waren und keine Sättigung kannten, die mit den höllischen Raben nach Leichen schnappten, unterdrückten die Armen mit Hilfe ihrer Vögte und ihrer Spießgesellen. Sie beraubten die Witwen und Waisen, während sie heimtückisch waren, Verleumdungen verbreiteten und viele Verbrechen begingen, um durch Folter Geld zu erpressen. Meistens wurden die Wehrlosen in Kerker und Fesseln verschleppt und die Unschuldigen gefoltert aus keinem anderen Grund, als weil man glaubte, dass sie noch etwas besäßen. Und vor allem die, die wegen der Verschwendungssucht und der Ausschweifung ihrer Herren schon nichts mehr besaßen, wurden für Turniere und die pompöse Eitelkeit der Welt, für überflüssige Ausgaben, Schulden und Zinsen in Fesseln gelegt. Aber auch Spielleute und Jongleure, Possenreißer, Landstreicher und Narren, Hofschranzen und Ehebrecher verzehrten den Besitz der Räuber, wie wenn sie zu ihrem Fürsten oder Tyrannen sagen wollten: „Reiße nieder, reiße nieder, bis auf den Grund.“[9] „Kreuzige, kreuzige“[10], schlachte und iss.
Dieselben Fürsten aber erlaubten zum Vollmaß ihrer eigenen Verdammnis den Huren und Bordellen, den Spielern, Wirtshäusern und Spelunken, die den Fallgruben der Räuber und den Synagogen der Juden ähneln, dem ungerechten Maßnehmen, den gefälschten Waagen und anderen Krankheiten dieser Art, die die Welt und ihre Staaten und Länder besetzten, und die sie austilgen, zerstören, verderben und zerreißen sollten, fortwährend zu wachsen. Nicht nur diejenigen, die solches verüben, sondern auch diejenigen, die zustimmen, werden das Reich Gottes nicht besitzen.
[1] Nachdem wir am 28. November mit dem Übersetzungsprojekt zur Historia Occidentalis begonnen haben, folgt hier nun das dritte Kapitel. Bitte beachten Sie zum besseren Verständnis immer die Einleitung, mit Informationen zur Vorgehensweise beim Übersetzungsprojekt und zum Editionstext, der die Grundlage für diese Übersetzung bildet: http://mittelalter.hypotheses.org/2529.
[2] Hist. Occ. III, ed. Hinnebusch, S. 79-81.
[3] Jes 33,1, eigentlich „vae qui praedaris nonne et ipse praedaberis“ (BSV).
[4] Mi 3,3.
[5] Klgl 1,9.
[6] Weish 6,7.
[7] Spr 1,14.
[8] Jes 1,17.
[9] Ps 136,7 (Ps 137,7).
[10] Lk 23,21.
(pdf-Version)
Empfohlene Zitierweise: Jakob von Vitry: Okzidentale Geschichte 1-2, übers. von Christina Franke, mit einer Einleitung von Björn Gebert, in: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte, 9. Dezember 2013, http://mittelalter.hypotheses.org/2634 (ISSN 2197-6120).
Das Leben einer Kaiserin im Film: Wu Zetian 武則天 (1939/1949/1963)
Die Kaiserin Wu – eigentlich Wǔ Zétiān 武則天 (625-705, Wǔ Zhào 武曌 690-705) ist eine der umstrittenen Persönlichkeiten der chinesischen Geschichte – und eine, die immer wieder in der Literatur und in Filmen thematisiert wird.
Wǔ Mèiniáng 武媚娘 war die Tochter eines Kaufmanns, die 637 als Konkubine an den kaiserlichen Hof des Tang Taizong kam. Sie wurde Konkubine des Kronprinzen, des späteren Tang Gaozong. Durch Intirgen und Mordkomplotte beseitigte sie ihre Gegner, um zur Haupfrau aufzusteigen. Nach dem Tod des Kaisers, den sie selbst über Jahre vergiftet hatte, kam einer ihrer Söhne auf den Thron – denn Frauen können nicht das ‘Mandat des Himmels’ empfangen.
Nach mehreren Revolten, die niedergeschlagen wurden, setzte sie sich 690 mit Hilfe buddhistischer Mönche selbst als Wǔ Zhào 武曌 auf den Thron. Ihre Herrschaft war ein ständiger Kampf gegen mögliche Konkurrenten. Durch Krankheit geschwächt, konnte sie ihre Gegner nicht mehr bekämpfen – und wurde Opfer einer Palastintrige der Ex-Kaiserin Wei, der Ehefrau des Zhongzong). Die Regierung der Wǔ Zhào 武曌 war geprägt von ausgedehnter territorialer Expansiongroßer territorialer Expansion – einerseits nach Zentralasien, andererseits wurde der nördliche Teil der koreanischen Halbinsel Teil Chinas.
Wǔ Zétiān 武則天 wurde in chinesischen Chroniken in einem stark negativen Licht dargestellt. Jüngere Forschungen zeichnen jedoch ein differenierteres Bild.[1]

Empress Wu (1939) | Internet Archive
Das Leben der Wǔ Zétiān 武則天 ist Thema zahlreicher Romane chinesischer und westlicher Autorinnen und Autoren,[2] sowie zahlreicher chinesischer Fernsehserien und Filme.
Der wohl erste dieser Filme entstand 1939: Wǔ Zétiān 武則天 (1939) von Regisseur Fāng Pèilín 方沛霖 mit Violet Koo (Gù Lánjūn 顾蘭君, 1917–1989) in der Titelrolle.
Der Film zeichnet den Weg der Wǔ Zétiān 武則天 von der Konkubine zur Herrscherin nach. Der Film, der im von Japan besetzten Shanghai entstand, war für das Publikum in den von Japan kontrollierten Teilen Chinas bestimmt.[3]
Süäter entstanden zwei weitere Filme mit dem Titel Wǔ Zétiān 武則天 : 1949 der Streifen Wǔ Zétiān 武則天 ["Empress Wu Zetian" mit Hung Sau-man [kǒng Xiùyún 孔繡雲]) in der Hauptrolle[4] und 1963 Wǔ Zétiān 武則天 ["The Empress Wu Tse-tien"] aus der Produktion des Shaw Brothers Studio mit Li Li-hua [Lǐ Lìhuá 李麗華] in der Titelrolle[5].
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- S. Dora Shu-Fang Dien, Empress Wu Zetian in Fiction and in History: Female Defiance in Confucian China. (Hauppauge [NY]: Nova Science Publishers, 2003).
- U.a.: José Frèches: L‘impératrice de la soie. I La Toit du Monde, II Les Yeux de Buddha, III: L’Usurpatrice (2003), dt. Die Seidenstraße. I. Die Händlerin, II. Die Färberin, III. Die Herrscherin (2003), Shan Sa, Impératrice (2003), Lin Yutang: Lady Wu. A true story(1957).
- Kinnia Shuk-ting Yau: Japanese and Hong Kong film industries : understanding the origins of East Asian film networks (= Routledge studies in the modern history of Asia, 57; London/New York, N.Y.: Routledge 2010), 20.
- “武則天 (1949)” in der Hong Kong Movie Database.
- Wǔ Zétiān 武則天 ["The Empress Wu Tse-tien"] in der Internet Movie Database.
Glossar: Freundschaft (im Netz)
Wer ist ein/e Freund/in? Die Definition der Begriffe “Freunde” und “Freundschaft” ist auch ohne Bezugnahme auf soziale Netzwerke schwierig. Ist ein Freund/in eine Person aus dem nahen Umfeld, mit dem man Interessen oder Aktivitäten teilt, oder für den man gegenseitige kameradschaftliche Gefühle hegt? Welche Rolle spielen Vertrauen, Wertschätzung und Zuneigung in einer frei gewählten Freundschaft? Gibt es funktionierende Freundschaften zwischen Menschen, die nicht gleichgestellt sind? Und vor allem, sind alle Freundschaften in unserem Leben gleich? Wer sind Freunde/innen im Netz? So verschieden die […]
Fundstücke
- Spiegel TV hat einen 20 Jahre alten Bericht über ein Treffen der Ritterkreuzträger in Celle. Da läuft's einem kalt den Rücken hinunter. Ein Glück ist die Bande mittlerweile ausgestorben.
- Die SZ hat ein Stück über die Räterepublik Bayern und den Hitlerputsch.
- Die Zeit hat einen guten Überblick über die Geschichte Nordkoreas.
- In der Welt wird berichtet, wie das deutsche Soldatendenkmal in Sedan verfällt, weil die Bundesregierung sich nicht als zuständig betrachtet.
Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2013/12/fundstucke_9.html
Glossar: Dunbar Number
Robin Dunbar wurde 1947 in Liverpool geboren. Er ist ein britischer Anthropologe, Primatologe und Psychologe. Mit der Beantwortung seiner Forschungsfrage “How Many Friends Does One Person Need?” ermittelte er die maximale Anzahl an Menschen, mit denen man befreundet sein kann. Dunbar glaubt an eine Gruppengröße von 150. Vor 20 Jahren beschäftigte Dunbar sich mit der Größe von Gruppen bei verschiedenen Affenarten. Er fand heraus, dass die Größe der Gruppen im Zusammenhang mit der Größe des Gehirns steht. Er berechnete das Verhältnis von Gehirnrinde (Neokortex) […]
Koloniale Gefängnisse in Britisch-Indien
Mein Dissertationsprojekt beschäftigt sich mit dem Gefängnissystem, das im 19. Jahrhundert in Britisch-Indien entstand. Dabei soll es vor allem darum gehen, wie Wissen über Haft- und Straftechniken in lokalen Kontexten sich entwickelte, sich global verbreitete und welche Veränderung dieses Wissen durch die globale Zirkulation erfuhr.
Momentan bin ich dabei, die einschlägige Literatur zur Entstehung des modernen Gefängnisses und seiner Entwicklung zu sichten. Dabei wird schnell klar, dass in Europa das Zellengefängnis und die Haft sich als zentrale Merkmale des Strafsystems etablieren. Für Michel Foucault war diese „Geburt des Gefängnisses“ ein Teil in der sich entwickelnden Disziplinarmacht des modernen Staates. Im neuzeitlichen Gefängnis, das um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert entstand, ging es nicht mehr um Wegsperren und Bestrafen, sondern Disziplinierung und Erziehung des Gefangenen.1
Inwieweit sich dieses “moderne Disziplinarsystem” in europäisch beherrschten Kolonien etablierte, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten. Eine Gruppe nimmt eine unvollständige Umsetzung des foucaultschen Idealtyps in den Kolonien an, während andere eine bewusste Nichtanwendung der disziplinarischen Prinzipien durch die Kolonialmacht sehen. In beiden Fällen entstand jedoch ein ausgeprochen repressives und durch Gewalt geprägtes Haftsystem, das aber gleichzeitig Häftlingen, ihren Angehörigen, Wärtern, Anstaltsleitern und Dritten Räume für eigenständiges Handeln bot.
Bisher bin ich der Auffassung, dass eine Bewertung kolonialer Gefängnisse als mehr oder weniger “modern” im Vergleich zu Europa nicht sinnvoll ist. Vielversprechender erscheint mir, das Gefängnis im Zusammenhang mit der Entwicklung von Herrschaftsstrukturen im kolonialen Staat zu untersuchen. Warum baute der Staat überhaupt teure Gefängnisse? Welche Überlegungen leiteten ihn dabei? Inwieweit wurde vorhandenes Wissen über Haft und Strafen umgesetzt, was wurde weshalb anders gemacht und was veränderte sich durch neue praktische Erfahrungen im Strafvollzug? Und schließlich, gab es einen Austausch von solchem “Strafvollzugswissen”, etwa zwischen verschiedenen Kolonialmächten, oder auch zwischen “westlichen” und “nicht-westlichen” Wissensträgern? Ein wichtiges Anliegen ist mir, binäre Kategorien von “Kolonisierern” vs. “Kolonisierten” oder “Staat vs. Häftlinge” zu hinterfragen.
Diese groben Fragen und Interessen leiten derzeit meine Literaturrecherche. Über zentrale Themen der Arbeit, wie “colonial knowledge”, Wissenschaft und Wissenstransfers, subalterne agency, das Spannungsverhältnis zwischen Diskursen über das Gefängnis sowie koloniale Gesellschaften und deren praktischen Folgen, werde ich in Zukunft hoffentlich detaillierter bloggen.
- Ich werde im Verlauf meiner Arbeit sicher noch ausführlicher über die manche Aspekte meiner Arbeit bloggen. Hier will ich zunächst nur ein paar meiner Anfangsideen skizzieren, weshalb ich auf Literaturangaben verzichte.
Codices im Netz – Die Digitalisierung mittelalterlicher Handschriften und ihre Konsequenzen
Ende November 2013 fand in Wolfenbüttel eine kleine, vom Mittelalter-Komitee der Herzog August Bibliothek organisierte Tagung zum Thema “Konsequenzen der Digitalisierung” statt. Zur Einstimmung in die Tagungsthematik hatten die drei Organisatoren (Stephan Müller/Wien, Felix Heinzer/Freiburg und ich) kurze Statements vorbereitet, die aus der jeweils eigenen Perspektive inhaltliche und methodische Herausforderungen der fortschreitenden Digitalisierung von mittelalterlichen Bibliotheksbeständen und Konsequenzen für deren Erforschung reflektieren. Meine Eingangsüberlegungen können hier in leicht überarbeiteter Form nachgelesen werden. Auf der Tagung hielten ferner Erik Kwakkel (Leiden), Björn Ommer (Heidelberg), Manuel Braun (Stuttgart), Sonja Glauch und Florian Kragl (Erlangen) Vorträge zu laufenden Digital-Humanities-Projekten im Bereich der Analyse, Paläographie, Edition und Auswertung mittelalterlicher Handschriften. Die Ergebnisse der Tagung sollen in einem gemeinsamen Konzeptpapier zusammengefasst und als Blogbeitrag auf de.hypotheses publiziert werden.
Noch ein Turn
Von all den intellektuellen und technischen turns, die die Geistes- und Sozialwissenschaften im letzten Jahrhundert durchgeführt haben, ist der digitale zweifellos von einer anderen Natur und einer breiteren Wirkung, auch wenn nicht jeder in der akademischen Welt von uneingeschränkter Euphorie erfüllt ist. Die Entwicklung von Digitalität (digitality), im Sinne der Konzeptualisierung durch Nicholas Negroponte als ‘the condition of being digital’, ist nicht nur von allgemeiner gesellschaftlicher Relevanz, vielmehr birgt sie auch bedeutende Konsequenzen für die akademische Welt und die Art und Weise, wie wir forschen. Hierbei stellt sich, insbesondere auch bei dem Thema der Wolfenbütteler Veranstaltung die grundlegende Frage: Digitalität verändert zweifellos unseren akademischen Alltag, aber wie sind diese Veränderungen methodologisch, und wenn man es so formulieren will, epistemologisch zu begleiten?
Vor allem die Sicherung, Dokumentierung und Bereitstellung des kulturellen Erbes in seiner materiellen Vielfältigkeit und Heterogenität stellen uns vor neue Herausforderungen. Hier sind grundlegende methodische Konzepte nicht nur für die so genannten Digital Humanities, sondern für alle geisteswissenschaftlichen, insbesondere auch die historisch arbeitenden Disziplinen insgesamt zu entwickeln. Die Frage ist also eindeutig nicht mehr die Frage nach dem ob der Digitalität und der digitalen Wissensbestände, sondern die nach dem wie. Der Bogen an Möglichkeiten spannt sich von mittlerweile anerkannten Parametern wie der Entwicklung und Anwendung von internationalen Standards, der prinzipiellen Verfügbarkeit des digitalisierten Materials über den Open Access Gedanken und der langfristigen Sicherung dieses Materials über die systematische Dokumentation der digitalen Erschließungstools bis hin zur Herausbildung und Akzeptanz neuer Publikations-, Evaluations- und Anerkennungskulturen im Rahmen digital-gestützter, geisteswissenschaftlicher Forschungsprozesse.
Kulturelle Artefakte und Forschungsobjekte im Wandel
Insbesondere wird nicht nur das Verhältnis zwischen Objekt bzw. Artefakt und wissenschaftlichem Beobachter neu ausgerichtet, sondern auch die prinzipielle Daseinsform dieser beiden Akteure im wissenschaftlichen Prozess, der unter Umständen entkörpert, entzeitlicht und enträumlicht werden kann. Es geht auch darum, das Verhältnis auszuloten zwischen dem historischen (analogen) Objekt und dessen digitalen Repräsentanten bzw. Abstraktionen, oder wie es unsere Oxforder Kollegin Ségolène Tarte formuliert, deren digitalen Avataren, die durchaus ihre eigene Existenzformen haben und auch eigene Gefahren im wissenschaftlichen Umgang mit ihnen bergen. Ferner gibt es auch die so genannten “digital born objects”, die so intendiert, gezielt produziert und ausschließlich digital existieren, wie etwa die nur virtuell vorhandene 3D-Rekonstruktion einer Handschriftenseite aus einem heute völlig verkohlten Fragment oder die Rekonstruktion eines Artefakts, das nie existierte, dessen Planung jedoch aus schriftlichen Quellen bekannt ist. Und schließlich gibt es Formen der Hybridität, der unterschiedliche Existenzformen vereinen.
In diesem Spannungsfeld der Objektvielfalt sind Forschungsprojekte im Rahmen der digitalen Erschließung und Analyse von Handschriftenbeständen angesiedelt, welche entsprechende Erkenntnismöglichkeiten eben nur durch die Existenz der Digitalisate ermöglichen. Dies betrifft sowohl das Digitalisat im Sinne der Einzelüberlieferung (etwa die Analyse einer Handschrift bzw. kleinerer Quellengruppen) als auch der Möglichkeit der Analyse und Auswertung von sehr großem Datenmaterial, das nur mit computergestützten Methoden zu bewältigen ist (hierzu hat Björn Ommer einen spannenden Vortrag zur Computer Vision gehalten). Die Herausforderung im Bereich der Digitalisierung ist es aber auch, wie bereits vielfach und auch auf der Wolfenbütteler Veranstaltung unterstrichen wurde, nicht nur Antworten auf die Fragen von heute (die wir ja kennen und formulieren können) zu finden, sondern auch zukünftige Fragen, die wir unter Umständen heute noch gar nicht fassen können, zu ermöglichen. Dies erfordert eine teilweise unübliche, noch zu erlernende methodologische Offenheit, und eine über die Perspektiven der Einzelfächer hinausgehende grundlegende Bereitschaft zur Interdisziplinarität.
Im Hinblick auf historische Bibliotheksbestände ist die Ausgangslage eine auf den ersten Blick Erfreuliche: Früh hat sich das “digitale” Augenmerk auf diese einmaligen Kulturbestände gerichtet, so dass inzwischen solide Erfahrungswerte vorhanden sind, und vielfach auch entsprechende Digitalisierungsstandards entwickelt werden konnten. Die Anzahl der Digitalisierungsprojekte oder der virtuellen Rekonstruktionsprojekte zu mittelalterlichen Bibliotheken ist etwa bereits für den europäischen Raum kaum zu überschauen, ganz zu schweigen von Vorhaben zu nicht-europäischen Schriftkulturen. Teilweise entstehen – auch durch besondere Umstände bedingt und abhängig von der jeweiligen Fragstellung oder Schwerpunktsetzung – so genannte Insellösungen, die nicht immer mit gängigen Digitalisierungs- und Kodierungsstandards kompatibel sind, und die somit auch eine Vergleichbarkeit und eine Interoperabilität der unterschiedlichen Digitalisierungsprojekte bereits auf nationaler Ebene erschweren. Hier wird eine der wichtigen Herausforderungen der nächsten Zeit sein, Brücken zu schlagen und Austauschmöglichkeiten der Formate zu ermöglichen, um übergreifende Untersuchungsszenarien zu ermöglichen.
Verlässt man die reine Digitalisierungsebene der Bestände in Richtung wissenschaftliche Erschließung, so können einerseits ausgehend von bereits vorhandenen, digitalisierten und entsprechend annotierten Beständen weiterführende Forschungsprojekte angeschlossen werden. Aus dem Trierer DFG-Projekt „Virtuelles Scriptorium St. Matthias“, das die heute dislozierte, mittelalterlich Bibliothek von St. Matthias in Trier virtuell rekonstruiert, ist zum Beispiel das größere, vom BMBF geförderte Kooperationsprojekt „eCodicology“ entstanden, in dem u. a. Philologen, Buchwissenschaftler und Informatiker aus Darmstadt, Karlsruhe und Trier Algorithmen zum automatischen Tagging mittelalterlicher Handschriften entwickeln, die Makro- und Mikro-Strukturelemente einer Handschriftenseite im Hinblick auf Layout und Aufmachung automatisch erkennen und diese Informationen in die Metadaten zu jedem Image einpflegen. Das geht so weit gut, weil wir uns quasi ins gemachte Bett legen, sprich eigene, homogene Daten zu 500 mittelalterlichen Handschriften zu forschungsfragengetriebenen Analysen verwenden können.
Hybridität der Angebote in den digitalen Wissensräumen und Hürden im Forschungsalltag
Anders sieht es bezüglich der Quellengrundlage bei Vorhaben bzw. forschungsgetriebenen Einzelfragen aus, die man gerne als “traditionelle” Vorgehensweise bezeichnet (aber nicht ganz zutreffend, da diese doch eine zeitlose Daseinsform geisteswissenschaftlicher Forschung darstellt), und die auch nicht mit einem vorhandenen, homogenen digitalen Korpus etwa einer Bibliothek bzw. einem bereits fertigen Digitalisierungsprojekts zu einem bestimmten Thema zu bewältigen ist (bzw. es zur Zeit noch nicht ist). Ich möchte hier von einem eigenen Beispiel ausgehen: Im Rahmen einer Untersuchung zur Kulturgeschichte der Annotation habe ich an einer kleineren interdisziplinären Fallstudie, bei der der Ausgangsgedanke war, die Textgeschichte (und auch Texterfindung) des berühmten Architekturtraktates des antiken Autors Vitruvius durch die Überlieferung annotierter Exemplare vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit zu erforschen. Eine erste Stichprobe ergab, (u.a. auch dank der Existenz einer Online-Vitruv-Datenbank, die zumindest einen Teil der Zeitstrecke abdeckte), dass offenbar genügend Digitalisate entsprechender zentraler Handschriften, Inkunabeln und frühen Drucke für diese Fallstudie zugänglich sein müssten. Soweit die Theorie, die Praxis sah jedoch etwas anders aus: Viele Digitalisate, auch aus bekannten Bibliotheken bzw. auf der Europeana-Plattform, waren qualitativ so heterogen, dass zum Teil im schwarz-weißen Avatar der Buchrand selber und auch die eigentlich im Ausgangsobjekt vorhandenen Marginalien nicht mehr erkennbar waren. Ferner gab es regelmäßig Fehlverknüpfungen bzw. ungenaue Zuweisungen der Digitalisate einerseits innerhalb der Bibliothekskataloge selber und andererseits (wenn auch in geringerer Anzahl) in die vorhandene Vitruvdatenbank. Was hier unter Umständen für eine wissenschafts- oder architekturhistorische Fragestellung zu verschmerzen gewesen wäre (aber wahrscheinlich auch dort nicht), war aus philologischer Sicht methodisch deprimierend. Das Resultat war, dass ich die im Netz gewonnenen Daten zwar genauestens im Sinne einer Quellenkritik und auf dem Hintergrund eines Gesamtkorpus geprüft habe, aber dann entschieden habe, das digitale Angebot eher als Zusatzmöglichkeit zu nutzen und sonst gezielt wiederum das Original in der Bibliothek aufzusuchen. Trotz des vermeintlich überlieferungsgeschichtlich gut dokumentierten Vitruv, hat also das zur Zeit vorhandene, recht üppige digitale Angebot nicht gereicht, um (bereits jetzt) eine digital indizierte Einzelstudie durchzuführen, unter anderem eben wegen der unterschiedlichen Qualität der Digitalisate und deren Erschließung. In diesem Zusammenhang kommen die Historizität und Heterogenität der Bestandsdigitalisierung selber zum Vorschein, die im Laufe der letzten fünfzehn Jahre entsprechende Variabilitäten erzeugt hat. Insgesamt wäre es bestimmt interessant für Vitruv-Forschergemeinschaft, auf eine auch eine unkomplizierte, kollaborative Forschungsplattform zurückzugreifen, in der eigene zusätzliche Digitalisate und Erkenntnisse hätten eingepflegt werden können, und so langsam aus dem vorhandenen digitalen Angebot zu schöpfen bzw. diesen gezielt zu ergänzen.
Als Zwischenfazit bleibt im Bereich der einzelnen forschungsfragengetriebenen Analysen (die man auch als bottom-up-Prozesse verstehen kann) der Befund eines qualitativ hybriden Angebots im Bereich der Digitalisierung und der digitalen Erschließung mittelalterlicher Quellen, bei dem wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehr genau darauf achten müssen, womit wir es zu tun haben (bzw. in anderen Worten: Prüfe, bevor du dich bindest). Dies sollte jedoch kein Grund sein, digitale Quellen nicht zu nutzen, sondern auch als Ermutigung verstanden werden, sich für eine Verbesserung des Angebots und dessen transparente Dokumentation zu engagieren, und sich auch konsequent für eine entsprechende heuristische Quellenkritik (“critique des sources”) einzusetzen, wie wir es ja sonst auch bei der “traditionellen” Quellenarbeit mit historischem Material tun.
Brainstorming für eine übergreifende Dokumentation einer bestands- und forschungsorientierte Digitalisierung
Die Frage ist ferner, wie man internationale Standards, offene Schnittstellen und Best Practice-Verfahren für die Digitalisierung und Erschließung dieser Bestände nicht nur entwickeln kann (denn die gibt es ja vielfach schon), sondern auch so propagieren kann, dass Insellösungen eher vermieden bzw. mit ihren Besonderheiten anknüpffähig werden, sowie Anforderungen der disziplinenindizierten Grundlagenforschung (wie etwa mit dem Vitruvbeispiel) aufgefangen werden können.
In dieser Hinsicht wäre der Gedanke eines internationalen Digital Documentation Platform of Manuscript Collections überlegenswert (hier könnte dann Erik Kwakkel zum Beispiel nach allen digitalisierten, westeuropäischen Handschriften des 12. Jahrhunderts sammlungsübergreifend suchen, wie er es sich in seinem Wolfenbütteler Vortrag gewünscht hat). Sinnvoll wären in diesem Sinne auch grenzüberschreitende Zusammenschlüsse versierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die als interdisziplinär aufgestelltes Gremium auch methodologisch-infrastrukturell operieren und das Verhältnis von Digitalisat und analoger Vorlage sowie das Verhältnis zwischen digitalisiertem historischem Objekt und Wissenschaftlern theoretisch ausloten (im Sinne kollaborativer Zusammenarbeit, ohne top-down-Vorgehen). Dabei wären Synergien mit anderen Initiativen zu digitalen Forschungsinfrastrukturen (etwa Nedimah, Dariah u. a.) und Census-Vorhaben zur mittelalterlichen Überlieferung auszuloten und anzustreben.
Auch die Erarbeitung eines Kriterienkatalogs oder “Qualitätssigels” zur wissenschaftlichen Bewertung der digital zur Verfügung stehenden Handschriften bzw. Sammlungen sollte überlegt werden, anhand dessen die Benutzerin auf der jeweiligen Homepage übersichtlich und transparent über das Datenmaterial und dessen Aufbereitung informiert wird, und ihr auch die Möglichkeit eines direkten Feedbacks gegeben wird (etwas was ich mir schon lange für das VD16 und VD17 zum Beispiel wünsche). Notwendig sind ferner die Entwicklung und Auslotung von konkreten Benutzerszenarien und Benutzerstudien, mit deren Hilfe dokumentiert werden kann, welche Anforderungen an Digitalisate sowohl disziplinenorientiert als auch in übergreifender Sicht gestellt werden können und müssen.
Und schließlich sollten Studierende und der wissenschaftliche Nachwuchs frühzeitig für die Gesamtproblematik der Digitalisierung, dem Umgang mit dieser sowie ihrer Konsequenzen sensibilisiert und entsprechend ausgebildet werden – dies nicht nur in den neuen Studiengängen der Digital Humanities, sondern allgemein in den Einzeldisziplinen im Sinne einer traditionellen Heuristik und Quellenkunde im Umgang mit digitalisiertem Kulturgut.
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Für die Diskussion über und Anregungen zu meinem Eingangsstatement danke ich den Tagungsteilnehmerinnen und Tagungsteilnehmern sowie Vera Hildenbrandt (Trier Center for Digital Humanities), Falko Klaes (Universität Trier, Ältere Deutsche Philologie) und Georg Schelbert (Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Kunstgeschichte).
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Literatur (Auswahl)
Claudine Moulin, Multiples vies paratextuelles: Vitruve, De Architectura, 2013 (abrufbar unter: http://annotatio.hypotheses.org/222)
Nicholas Negroponte, Being Digital, New York 1996
Ségolène Tarte, Interpreting Ancient Documents: Of Avatars, Uncertainty and Knowldege Creation, ESF exploratory workshop on Digital Palaeography, Würzburg, Germany, http://tinyurl.com/esfDPwkshp, Talk given on 22d July 2011(http://oxford.academia.edu/SegoleneTarte/Talks/49627/Interpreting_Ancient_Documents_Of_Avatars_Uncertainty_and_Knowldege_Creation)
Virtuelles Skirptorium St. Matthias: http://www.stmatthias.uni-trier.de/ (DFG-Projekt
ECodicology: Algorithmen zum automatischen Tagging mittelalterlicher Handschriften: http://www.digitalhumanities.tu-darmstadt.de/index.php?id=ecodicology (BMBF-Projekt)