AK Studie zum Thema Credit Scoring

Credit Scoring als “smarte” Diskriminierung im digitalen Kapitalismus [1]

Die Studie analysiert das Phänomen des Credit Scorings von Privatpersonen aus Sicht der Technikfolgenabschätzung. Neben den wesentlichen rechtlichen Rahmenbedingungen sowie einer Vorstellung der zentralen Stakeholder der Branche, erfolgt vor allem eine kritische Auseinandersetzung mit den Methoden des Scorings sowie den sich daraus ergebenden sozialen Implikationen. Den Abschluss bilden Handlungsempfehlungen zu einer sozialverträglichen Gestaltung des Technologie- und Politikfeldes.

Dabei lässt sich grundsätzlich sagen, dass die Verfahren des Scorings gerade durch die Digitalisierung im Zuge der letzten Jahre hinsichtlich ihrer Eingriffsintensität einen wesentlichen Wandel erfahren haben. Während die bonitätsbezogene Informationssammlung über Privatpersonen und die Kontrolle der VerbraucherInnen über sogenannte „Schwarze Listen“ bereits seit den 1960er Jahren existiert, geht das Verfahren des Credit Scorings in seiner Qualität über derartige Negativdatenbanken hinaus. Statt einer eindimensionalen Betrachtung der Zahlungsmoral erfolgt eine multidimensionale Analyse sämtlicher Lebensumstände einer Person. Ein Blick auf die internationale Scoringlandschaft zeigt hier bedenkliche Tendenzen. So werden die Scoring-Modelle zunehmend mit externen, mitunter auch datenschutzrechtlich sensiblen Informationen angereichert die in ihrem ursprünglichen Entstehungskontext nicht für die Bonitätsbewertung gedacht waren.

Diesen Entwicklungen steht eine weitgehende Unwissenheit der VerbraucherInnen um diese Verfahren gegenüber – aufmerksam wird man erst, wenn negative Aspekte offenbar werden. Während die kreditgebende Wirtschaft die Notwendigkeit des Credit Scoring als Teil des Risikomanagements begründet und versucht die Vorhersage der Zahlungsausfallwahrscheinlichkeit zu präzisieren, schlagen Daten- und KonsumentenschützerInnen Alarm und diagnostizieren einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Selbstbestimmtheit des Privatlebens der VerbraucherInnen, welche in diesem Spiel als strukturell Schwächere der Dominanz des Kreditsystems ausgeliefert sind.

AK Pressekonferenz am 02. Juli in Wien.

AK Pressekonferenz am 02. Juli in Wien.

Dabei scheinen tiefgreifende Scoring-Verfahren zur Risikominimierung gerade dann unglaubwürdig, wenn Zahlungsausfälle der Schuldner ohnehin über (mehrere) zusätzliche Sicherheiten, wie Hypotheken oder Versicherungen einkalkuliert sind. Grundsätzlich nachvollziehbar ist, dass die Kreditvergabe nicht ohne weitere Sicherheiten und Begutachtungsverfahren ablaufen kann, und der Gläubiger den potentiellen Schuldner genauer unter die Lupe nehmen will, bevor Kredit gegeben wird. Zugleich darf jedoch nicht vergessen werden, dass Gläubiger ganz wesentlich von der Kreditvergabe profitieren und diese gerade bei Banken eigentlich zur Wert- und Geldschöpfung dient.

Die Verwendung von personenbezogenen Scoring-Verfahren zur Bonitätsbewertung ist ein interessenpolitisch stark umkämpftes Terrain. Dementsprechend schwierig ist es, zu konkreten Informationen bezüglich Mechanismen, Algorithmen und verwendeter Daten zu kommen. Während über das Scoring von Unternehmen Informationen verfügbar sind, ist der Bereich des Scorings von Privatpersonen und VerbraucherInnen nahezu tabu. Von Auskunfteien, Versicherungen und der kreditgebenden Wirtschaft werden diesbezüglich weder die verwendeten Variablen, noch die definierten Risikoklassen offengelegt. Für den einzelnen Betroffenen ist es mitunter sogar in der Hausbank nicht möglich, den eigenen Score zu erfahren. Während der konkrete Algorithmus des Scorings dem Betriebsgeheimnis unterliegt, ist die Informations- und Auskunftspflicht über andere Aspekte der personenbezogenen Bewertung jedoch sogar gesetzlich festgeschrieben. Aufgrund der bestehenden Intransparenz ist ein Dialog zwischen den Vertragspartnern in der Praxis oft nicht möglich. Auch die Rechtsansprüche auf Richtigstellung und Löschung der Daten versagen weitgehend.

Gerade aufgrund der Masse an Verbraucherkrediten sowie der rasanten Digitalisierung sämtlicher Lebensbereiche wäre eine verstärkte Problematisierung dieser Vorgänge angebracht. Die Verbreitung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien hat die Erfassung, Archivierung und Analyse personenbezogener Daten zudem wesentlich erleichtert und in ihrer Qualität zugleich tiefer, weitreichender und subtiler gemacht. Letztlich ergeben sich daraus zahlreiche neue Möglichkeiten zur analytischen Vermessung von Sozialität.

Die digitale Spur in Form des individuellen Zahlungsverhaltens liefert einen detailreichen Einblick in den Alltag von VerbraucherInnen. Ob der aktuelle Arbeitgeber, die Höhe der Miete, oder die letzte Onlinebestellung ganz nach dem Motto „Zeige mir dein Zahlungsverhalten und ich sage dir wer du bist“ ist es der kreditgebenden Wirtschaft über derartige Datensammlungen möglich, ihrer KlientInnen zu analysieren und deren Glaubwürdigkeit und Zahlungsmoral zu werten. Mittels statistischer Prozesse werden ganze Bevölkerungssegmente kategorisiert und zu Gunsten der kreditgebenden Wirtschaft (aus)sortiert. Dabei entscheiden derartige Prozesse immer öfter darüber, ob und zu welchen Konditionen VerbraucherInnen überhaupt als Vertragspartner akzeptiert werden.

Doch den herangezogenen Informationen und Methoden mangelt es oft an Aktualität und unmittelbarem Bezug zum Zahlungsverhalten. Wie die Studie zeigt, kann die Vielschichtigkeit des Lebens durch die formale Methodik der Statistik bestenfalls annähernd, jedoch niemals vollkommen objektiv und wertfrei wiedergegeben werden. Wie bei jedem quantitativ-statistischen Verfahren, können im Zuge von Credit-Scoring-Prozessen diverse qualitative Besonderheiten der sozialen Wirklichkeit zwangsläufig nicht berücksichtigt werden. So kann die automationsunterstützte Kreditwürdigkeitsbewertung letztlich zu wirtschaftlicher Ungleichbehandlung und stereotyper Diskriminierung führen.

Eine adäquate Regulierung des Verbraucher-Scorings sollte daher jedenfalls die Transparenz gegenüber den Betroffenen sichern. Zudem ist über konkretere Schranken für die Anwendung derartiger Verfahren sowie die dabei verwendeten Datenarten nachzudenken. So sollte Arbeitgebern oder Vermietern jedenfalls untersagt sein, bei ihren Entscheidungen auf Scoring-Verfahren zurückzugreifen. Auch die Anwendung unterhalb einer zu bestimmenden Bagatellgrenze dient der Eingrenzung ausufernden Datensammelns und Überwachens. Letztlich geht es in der Regulierung des Scorings aber auch um die praktische Durchsetzbarkeit bereits existierender Rechtsansprüche.

 


[1] Studie: Rothmann, Robert; Sterbik-Lamina, Jaro; Peissl, Walter (2014): “Credit Scoring in Österreich”; Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ITA/ÖAW); Studie im Auftrag der Bundesarbeiterkammer (AK Wien); ITA-Projektbericht Nr.: A66. ISSN: 1819-1320 | ISSN-Online: 1818-6556. pdf

Siehe auch: science.apa.at

 

Quelle: http://www.univie.ac.at/identifizierung/php/?p=5674

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