Das ernste Spiel mit den Würfeln

Im Krieg setzt man sein Leben aufs Spiel – diese Metapher kann man vielfach variieren und fortsetzen, auch in der Variante, daß das Leben ein Würfelspiel ist: Man muß halt Glück haben, und dies gilt insbesondere für den Soldaten. Die Konnotation des Würfel- und Glückspiels mit dem Soldatenstand war in der Vormoderne und eben auch in der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs geläufig. Dieser Thematik hat sich jetzt Barbara Stollberg-Rilinger in einem Aufsatz angenommen, der kürzlich erschienen ist: Um das Leben würfeln. Losentscheidung, Kriegsrecht und inszenierte Willkür in der Frühen Neuzeit, in: Historische Anthropologie 22 (2014), S. 182-209. Im Zentrum steht also gar nicht das Würfeln als Zeitvertreib der Söldner, sondern sein Einsatz bei Kapitalstrafen im Militär: Wer von den Delinquenten tatsächlich hingerichtet werden sollte, wurde mithilfe des Würfels ausgelost. Der Beitrag geht sehr grundsätzlich vor: Zunächst wird das Losen als Entscheidungsverfahren betrachtet, dann der dazu einschlägige gelehrte Diskurs in der Vormoderne. Dabei geht es auch um die Frage, welche Rolle das Losverfahren im damaligen Kriegsrecht spielte. Schließlich werden einige Beispiele aufgegriffen, um die vormodernen Normen an der historischen Praxis zu messen.

Der Aufsatz selbst ist nicht auf die Epoche des Dreißigjährigen Kriegs, sondern auf die gesamte Frühe Neuzeit bezogen. Dies empfiehlt sich schon deswegen, weil es gar nicht so sehr viele Beispiele für einen Losentscheid bei Hinrichtungen im Krieg bzw. beim Militär gibt – für ein einigermaßen tragfähiges Sample muß man schon durch die Jahrhunderte gehen. Vor allem aber ist dieses Vorgehen sinnvoll, weil sich auf diese Weise die historische Entwicklung besser nachvollziehen läßt. Ich will an dieser Stelle den Argumentationsgang gar nicht im Einzelnen referieren, die Lektüre dieser Seiten sei jedem Leser auch als Beispiel für gute Wissenschaftsprosa empfohlen. Hervorheben möchte ich aber den Umstand, daß der gelehrte (Rechts-)Diskurs, der sich stark auf das antike Vorbild der Dezimation stützte, mit einem nicht kodifizierten Kriegsrecht konkurrierte. Zumindest gilt dies für die Beispiele aus der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs.

Hier wird zunächst die Bestrafung des Regiments Madlo angeführt, das nach der katastrophalen Niederlage in der zweiten Schlacht bei Breitenfeld 1642 zur Dezimation verurteilt wurde. Dieses Verfahren folgte, wie Stollberg-Rilinger zeigt, ganz dem antiken römischen Vorbild. Anders hingegen das zweite Beispiel, das Frankenburger Würfelspiel im Jahr 1625: Dies war letztlich eine Bestrafungsaktion nach einer unterdrückten Revolte oberösterreichischer Bauern, die sich den angekündigten Rekatholisierungsmaßnahmen widersetzten. Die zu Bestrafenden waren also keine Söldner, und die Bestrafung folgte nicht einem Urteil am Ende eines Prozesses, sondern sollte recht unverblümt als blutiges Exempel zur Abschreckung dienen. Daß durch das Würfeln – je zwei Delinquenten würfelten in Frankenburg gegeneinander um das Leben  einige Rebellen doch noch mit dem Leben davon kamen, sollte wohl als Mäßigung der eigentlichen Bestrafung erscheinen. Tatsächlich aber signalisierte das Frankenburger Losverfahren, daß auf die Bauern militärische Normen angewandt wurden, was diese erst recht als Hohn empfinden mußten. Ein Jahr später brach dann der eigentliche Oberösterreichische Bauernaufstand los; weder hatten die Hinrichtungen die Bauern abschrecken noch die Begnadigungen per Würfelentscheid die Stimmung beruhigen können.

Eigentlich taugt das Frankenburger Würfelspiel nicht, wenn man nur Beispiele für die Bestrafung von Militärs gelten lassen will (die Autorin weist selbst darauf hin; S. 203 u.205). Hier bleibt dann nur das Regiment Madlo nach Breitenfeld 1642. Tatsächlich ein prominentes Exempel, das auch publizistisch Wellen geschlagen hat. Gibt es doch noch mehr Beispiele für Dezimationen, eben nur in kleinerem Rahmen, die vielleicht deswegen nicht so bekannt sind? Im Aufsatz sind auf S. 206 noch zwei „kleine“ Vorfälle genannt, mir selbst fällt dazu nichts weiter ein – was nicht viel heißen muß. Aber wenn wir diesen Befund gelten lassen, steht schon die Frage im Raum, warum die Dezimation so selten angewandt wurde. Denn vor drakonischen Strafen schreckten die Obrigkeiten damals bekanntlich nicht zurück. Aber vielleicht zauderten sie doch, wenn es um die hier angesprochenen Dimensionen ging: Auch wenn nur jeder Zehnte zur Hinrichtung ausgewürfelt wurde, erreichten diese Hinrichtungen doch ein Ausmaß, das an Kapitalvernichtung grenzte. Eine Armee kostete unglaublich viel Geld, die Söldner anzuwerben und zu unterhalten verlangte enorme finanzielle Leistungen. Die Investition in dieser Weise zu liquidieren, mochte schwer fallen. Zumal das Losverfahren womöglich auch noch unter den insgesamt wenig kampffähigen Söldnern die Kriegsknechte treffen konnte, die tendenziell von guter soldatischer Qualität waren. Und ob ein solches Bestrafungsverfahren die betreffende Kriegspartei als potentiellen Arbeitgeber für Söldner attraktiv erscheinen ließ, die ihre Kriegsdienste anboten, war zu bezweifeln. Fraglos behielten Würfel für die Söldner ihren ungebrochenen Reiz – aber sicher nur beim Glücksspiel.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/564

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