Seminar mit Fabrice Flipo an der EHESS Paris
Zusammen mit dem Forschungsnetzwerk RT21 der Association Française de Sociologie organisierte Anahita Grisoni am 27.6. ein Seminar mit Fabrice Flipo zur Vorstellung und Diskussion seines im Januar 2014 erschienenen Buches “Nature et politique. Contribution à une anthropologie de la modernité et de la globalisation”
Flipo macht in seinem Buch vier für die politischen Ökologie grundlegende Themenbereiche aus: das Recht, soziale Bewegungen, die Ökonomie und die Religion bzw. Remystifikation. Durch all diese Bereiche zieht sich eine Grundfrage: haben die “grüne” Politik und insbesondere ökologische Sozialbewegungen die Tendenz, die Belange des Menschen gegenüber denen der Natur zurückzustellen? Bezogen auf die vier Bereiche ergeben sich daraus Fragen wie: Ist zu befürchten, dass ein strengeres Umweltrecht die Menschenrechte beschneidet? Wie nah sind ökologische Bewegungen faschistischen und völkischen Ideologien? Was bedeutet es, eine Ökologie auf Werten, nicht auf Interessen aufbauen zu wollen – wie viel Freiheit steckt im Markt? Und: Laufen wir Gefahr, die Errungenschaften der Aufklärung durch ein quasi-religiöses Verhältnis zur Natur zu verlieren?
Flipo nimmt bei seinen Untersuchungen einerseits Bezug auf die großen ideengeschichtlichen und politischen Leitgedanken, über die die einzelnen Bewegungen sich definieren oder gegen die sie sich wenden und anhand derer sie sich dem politisch rechten oder linken Lager, den “Aufklärern” oder den “Mystifizierern” zuordnen lassen. Andererseits wird deutlich, dass ein wesentliches Merkmal ökologischer Bewegungen darin besteht, sich genau diesen Einteilungen und Grenzziehungen zu entziehen. Ein Grund hierfür liegt in der skeptischen Haltung gegenüber Machtstrukturen und der entsprechenden Weigerung, dauerhaft in diese Strukturen einzuwandern. Einen anderen Grund sieht Flipo in dem Umstand, dass es in Frankreich nahezu keinen Dialog zwischen politischen und sozialen Akteuren und der akademischen Welt gibt, viele der akademischen Darstellungen der politischen Ökologie stark verzerrt und z.T. diffamierend sind und deshalb kaum ein fruchtbarer Austausch zwischen den Akteuren und einer theoretischen Formulierung ihrer Anliegen entsteht.
Flipo gelingt eine sehr umfassende Darstellung des Themenbereichs, wobei der Fokus klar auf der Verbindung von Praxis und Theorie, von Verhalten der Sozialbewegung und ideengeschichtlicher Einordnung und Beurteilung liegt, und weniger auf der Frage, was genau unter einem Recht der Natur, einer ökologischen Ökonomie etc. zu verstehen wäre. Für den deutschen Leser ist das Buch nicht zuletzt deshalb interessant, da dieser Fokus und die Ergebnisse, die daraus resultieren – u.a. der starke Gegensatz zwischen ökologischer Sozialbewegung und etablierter Politik – kleinere und größere Unterschiede zur deutschen ökologischen Bewegung sowie zur hiesigen grünen Politik und zu deren Selbstverständnis vor Augen führen.