Das asiatische Pressewunder

The continued resilience of Print Media in Asia. Plenary Session auf der Jahrestagung der IAMCR (International Association for Media and Communication Research), Hyderabad, 19. Juli 2014

Wenngleich ‚Resilienz‘ im Veranstaltungstitel steckt, fällt der Begriff im Lauf der 90 Minuten nur hin und wieder. Die Vortragenden bieten keine Definitionen an, allenfalls Umschreibungen wie ‚converting‘ oder ‚transisting‘. Es gibt für die rund 200 Zuhörer einiges Interessantes über den Wandel des indischen, bengalischen und chinesischen Mediensystems zu hören. Doch es bleibt vor allem die Einsicht hängen, dass es nicht nur unterschiedliche Ansichten über das Wie von Resilienz gibt, sondern vielmehr auch hinsichtlich der Frage, auf was sich der Begriff innerhalb der Printmedien überhaupt beziehen sollte.

Dr. N. Bhaskara Rao, Gründer und Chef des Centre for Media Studies (CMS) in Neu-Delhi, wird als „India’s pioneer in media research“ vorgestellt. Ihm zufolge gelte in Indien ‚Print is King‘, sowohl auf dem Leser- als auch auf dem Werbemarkt. Das Land verzeichne eine steigende Nachfrage nach Nachrichteninhalten in allen Mediengattungen. Viele neue Nachrichtenkanäle sind in den letzten zehn Jahren auf Sendung gegangen. Doch es seien die Zeitungen, deren Boom in der jüngeren Vergangenheit auf ein Schlagwort verdichtet werden könne: Regionalisierung. Der gestiegene Hunger nach Nachrichten in der jeweiligen Muttersprache lässt jenseits der führenden englischsprachigen Titel neue, regionale Absatzmärkte und auf ihnen neue Titel blühen – kein Wunder in einem Land mit über 120 Sprachen und unzähligen Dialekten. Die Zukunft seien etwa „Hindi-speaking media“. Indirekt ist der Zeitungsboom auch eine Folge von steigender Alphabetisierung und Bildung im Allgemeinen: „The more you see, the more you read“, so Rao. Für die indische Mittelschicht repräsentiere ein Abonnement auch einen gewissen Status, was Online-Medien in dieser Form nicht (oder zumindest nicht sichtbar) bieten könnten. Bei einem Leserkreis von bislang 400 Millionen Menschen und einer Alphabetisierung von rund drei Viertel der Bevölkerung gibt es noch viel Luft nach oben. Die Abwanderung der Rezipienten von Print- zu Online-Medien sei minimal und werde vom Print-Boom überkompensiert, besonders durch Erstleser, so Rao. Auch Shudipta Sharma, Dozent am Department of Communication and Journalism an der University of Chittagong in Bangladesh, bestätigt die Zugkraft der Alphabetisierung für sein Land.

Siddharth Varadarajan hat als Ex-Chefredakteur und Krisenreporter der Hindu eine etwas andere Perspektive auf den indischen Zeitungsmarkt. Er stellt fest, dass es mehr um Geschäftsmodelle gehe als um Journalismus. Jenseits des Wachstums der regionalsprachlichen Zeitungen und trotz absoluter Auflagenzuwächse sei die Situation der alten, englischsprachigen Qualitätstitel schwierig. Der niedrige Verkaufspreis habe dazu geführt, dass Zeitungen fast ausschließlich von Werbeeinnahmen und den in Indien weitverbreiteten „paid news“ abhängig seien. Aber auch fast alle Nachrichtensender würden defizitär arbeiten, Online-Medien hätten gleichermaßen bislang kein tragfähiges Geschäftsmodell gefunden, so Varadarajan. Dennoch, und für westliche Ohren ungewohnt: Print ist Indiens Werbeträger Nummer eins und vereinigt zwei Drittel der gesamten Werbeerlöse auf sich. Während Rao in der Rolle der Zeitungen als Werbeträger den zweiten großen Wachstumsmotor neben der Bildungsexpansion sieht, steht und fällt Varadarajan zufolge die Resilienz der Zeitungsverlage letztlich damit, ob sie es schaffen, ihre Stärke als verantwortungsvolle Gatekeeper auf neue Publikationsformate zu übertragen. Gleichwohl sei es nicht entscheidend, ob Nachrichten in Zukunft (auch) noch auf Papier gedruckt würden. Varadarajan, ganz Journalist: Die Tugenden des Qualitätsjournalismus – Recherche, Relevanzzuweisung, Kommentierung – müssten vielmehr erweitert werden auf Fähigkeiten im Umgang mit der Geschwindigkeit und Interaktivität von Online-Medien. Man dürfe sich also künftig noch viel weniger allein als Journalist der Printausgabe von The Hindu sehen, sondern genauso für die Website und alle anderen Ausspielkanäle verantwortlich fühlen.

Eine dritte, weit politischere Perspektive bringt Dr. Debao Xiang ein, Associate Professor an der School of International Journalism in Shanghai. Die Entwicklung von Staatsmedien zu kommerziellen und sozialen Medien habe das chinesische Mediensystem in den vergangenen 20 Jahren gekennzeichnet. Drei große Zeitungen, erst um die Jahrtausendwende gegründet, wurden in den letzten Jahren eingestellt. Dies sei aber nicht mit einem Niedergang des Journalismus gleichzusetzen. Vielmehr gehe es bei den meisten Titeln um ein erfolgreiches ‚converting‘ oder ‚transisting‘, seit China vor 20 Jahren an das Internet angeschlossen wurde. Xiang skizziert den Masterplan: Von der Regierung nach einem Parteitagsbeschluss geleitet und von Medien- und IT-Firmen umgesetzt habe sich der Wandel von Print zu Online technologiegerieben, marktorientiert und rezipientenzentriert vollzogen. Das neue Massenmedium sei Social Media, von Xiang auch als ‚new media‘, ‚grassroot media‘ oder ‚public media‘ bezeichnet. Hierzu zählen Internetdienste wie ein chinesisches Facebook, ein Messenger und RSS-Feeds der Zeitungen, mit denen sich die alten Printanbieter neu erfunden hätten. Die Online-Angebote seien nun sogar beliebter als die entsprechenden Printprodukte.

Zusammengefasst hat der Printsektor also einmal weniger (Stichwort Bildungsexpansion) und einmal mehr (Regionalisierung als Marketingstrategie, neue Onlineangebote) zur eigenen Resilienz beigetragen. Da die indischen Qualitätstitel Probleme haben und die neuen Blätter eher am Geldverdienen interessiert zu sein scheinen als an einer (wie auch immer definierten) öffentlichen Aufgabe (paid content, Abhängigkeit von Werbung und damit von hohen Reichweiten), ist zudem fraglich, ob Auflagenwachstum hier tatsächlich mit einer Resilienz des Systems Massenmedien gleichgesetzt werden kann.

Quelle: http://resilienz.hypotheses.org/228

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