Kurt Schwitters: Die Sammelkladden. Sinn oder Unsinn?

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Endlich ist es hier!

Ich werte Sinn gegen Unsinn.” – schrieb einst Schwitters, – “Den Unsinn bevorzuge ich, aber das ist eine rein persönliche Angelegenheit. Mir tut der Unsinn leid, dass er bislang so selten künstlerisch ausgeformt wurde, deshalb liebe ich den Unsinn.” (MERZ, 1920)

Im Jahre 2011 besuchte ich eine Schwitters-Tagung, während der unter Anderem auch die Problematik besprochen wurde, ob es einen Sinn macht, den Collagist/Autor/Designer/Allround-Meister/MERZ-Künstler Kurt Schwitters neu zu editieren  (s. meinen Kurzbericht).

Denn 1973-1981 erschien bereits eine 5-bändige Sammlung der literarischen Werke von Kurt Schwitters, herausgegeben von Friedhelm Lach. Das war damals eine kleine (oder gar grosse) Revolution. Klar, “Anna Blume”, oder auch “Auguste Bolte” waren längst salonfähig, und landeten im Mainstream, gar ab und zu im Schulprogramm. Jeder wusste, dass Schwitters nicht nur seine Bilder nagelte, sondern auch dieses eigenartiges Liebesgedicht mit allen 27 Sinnen verfasste. Doch diese Ausgabe von Lach zeigte der Öffentlichkeit, dass das literarische Oeuvre von Schwitters all die Jahre in seinen Ausmassen kaum bekannt war. Auch ich bin durch diese Ausgabe an Schwitters’ literarische Werke gestossen.

Doch leider, wie es so oft passiert in der Geschichte der Avantgarden, war diese Ausgabe wissenschaftlich nicht haltbar. Bereits kurz nach dem Erscheinen des ersten Bandes kamen die kritische Stimmen.

So schrieb beispielsweise Jörg Drews über

den “philologischen Skandal”: “grobe Textentstellungen, typographische Entstellungen, [...] auf komplizierteste Weise fehlerhafte Verfahrensweise im Umgang mit Texten” (in Drews, Jörg: “…nur neunmal heute ohnmächtig geworden”. Kritik der großen Kurt-Schwitters-Ausgabe, in: SZ. München, 7./8.7.1973, Nr. 154, S. 132 , zitiert nach: Die Sammelkladden, S. XXII)

Urs Widmer beklagte in seiner Rezension in der FAZ:

Es ist ein Jammer, daß diese wichtige Ausgabe durch die ungenügende philologische Sorgfalt des Herausgebers zu einer halben Sache geworden zu sein scheint. (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.08.1973, S. BuZ5)

Und bedenken Sie – bei einem Avantgardist, der mit Wort und Schrift experimentiert, kann jede kleinste Abweichung vom Original verheerende Folgen in der wissenschaftlichen Analyse nach sich ziehen. Es ist so, wie einen neuen Himmelkörper zu analysieren, ohne dabei zu wissen, dass es sich lediglich um eine Staubpartikel auf dem Objektiv des Teleskops handelt.

Also hat es für die ordentliche wissenschaftliche Untersuchung auf jeden Fall Sinn, die Texte Schwitters neu zu transkribieren und zu editieren. Da bin ich noch caspardavidfriedricher als MERZ-Meister. Und die nette, aber leider nicht mehr verlässliche Lach-Ausgabe von Schwitters ist eher für die vegnügliche unkritische Urlaubs-Lektüre geeignet. (Mir tut sie sonst auch leid, die Lach-Ausgabe,  deren größte Verdienst war, Schwitters neu  entdecken zu lassen).

Und kann es besser machen, als diejeinigen, die bereits an der Quelle sitzen: im Schwitters-Archiv.

So liegt es hier vor mir: Kurt Schwitters, ALLE TEXTE, Band 3. Die Sammelkladden 1919-1923, herausgegeben von Ursula Kocher, Isabel Schulz, Kurt und Ernst Schwitters  Stiftung in Kooperation mit dem Sprengel Museum Hannover.

Im Folgenden werde ich nach und nach meine Eindrücke über diese Neuedition schildern. Sehen Sie es als eine Rezension, oder als einen Erlebnisreport, oder als einen Reisebericht.

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Kurt Schwitters. Die Sammelkladden 1919-1923.
Bearbeitet von Julia Nantke und Antje Wulff. Reihe: Kurt Schwitters. Alle Texte, hrsg. von Ursula Kocher und Isabel Schulz, Kurt und Ernst Schwitters Stiftung in Kooperation mit dem Sprengel Museum Hannover, Bd. 3.
De Gruyter, Berlin 2014.

Quelle: http://merzdadaco.hypotheses.org/59

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