Die Auswirkung des Lustprinzips auf Crowdsourcing

wasserfallDie Überschrift könnte suggerieren, dass es sich bei dem Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung um einen reinen Spaßfaktor handelt. Den ganzen Tag Lachen und Freude – im Ernst, das wäre für jeden zuviel und ist so nicht gemeint.

 

Über- und Unterforderung

Worum es eigentlich geht, ist die Herausforderung, die für den Einzelnen weder zu leicht noch zu schwierig sein sollte. Über- und Unterforderung bedeutet Stress. Im Extremfall kann man bei quantitativer Überforderung in den Burnout geraten. Das leuchtet ein. Aber Unterforderung soll Stress sein? Jawohl! Diese Form der Unterforderung, wird mit Boreout bezeichnet. Menschen, die an ihrem Arbeitsplatz nicht genügend zu tun haben oder zu leichte Aufgaben zu bewältigen haben, leiden unter denselben Stresssymptomen wie die, die sich vor zuviel Arbeit nicht retten können. Das klingt paradox. Aber Fehler kann man machen, weil der Arbeitsanfall einfach zu groß ist und Zeitdruck besteht, oder weil man die Arbeit völlig lustlos mit einem gähnenden Gefühl der Langeweile erledigen soll. Bei beiden Formen kann es zu Persönlichkeitsveränderungen kommen, die z.B. in einer Depression enden können. (Es gibt noch weitere Auswirkungen, aber ich möchte nicht zu detailliert auf diese beiden Krankheitsbilder eingehen.)

Das ideale Anforderungsniveau

Ideal ist deshalb eine Aufgabe, die fordert, ohne zu über- oder zu unterfordern. Ist man dann ganz bei der Sache, also nicht mit sich selbst sondern den Dingen um sich herum beschäftigt, kann es zum Flow kommen. In diesem Zustand vergisst man die Zeit und erlebt ein Gefühl großer Sorgenfreiheit, weil sich unser Bewusstsein mit unserem Tun verbindet. Ein Grund dafür ist unsere Aufmerksamkeit: Sie wird auf ein begrenztes Reizumfeld fokussiert. Arbeitsergebnisse werden unwichtig. Auch das ist verständlich: würde man bei der Bearbeitung einer Aufgabe ständig daran denken, ein ganz bestimmtes Ergebnis erzielen zu müssen, würde man sein eigenes Handeln stärker kontrollieren. Csikszentmihalyi beschreibt das treffend wie folgt: „Was gewöhnlich im Flow verlorengeht, ist nicht die Bewußtheit des eigenen Körpers oder der Körperfunktionen, sondern lediglich das Selbst-Konstrukt, die vermittelnde Größe, welche wir zwischen Stimulus und Reaktion einzuschieben lernen.“

Gamification und Flow

Gamification, die Anreicherung einer Anwendung mit Features, die diese zu einem Spiel machen, ist derzeit ein großes Thema. Sicher ist es so, dass durch den Spielspaß die Anwendung eine höhere Attraktivität erhalten soll. Dadurch bleiben die Nutzer etwas länger bei der Stange. ARTigo ist hier als Beispiel für eine gamifizierte Crowdsourcing-Anwendung zu nennen. Ziel ist es, Tags für die Verschlagwortung der Bilddatenbank zu erhalten. Und „Verschlagwortung“ hört sich nicht gerade sexy an. Also warum nicht ein Spiel daraus machen?

Gamification und Flow gehören aber nicht zwangsläufig zusammen. Sicher kommt es durch Gamifizierung, wie etwa der Jagd nach Punkten durch eine Wettkampfsituation – vielleicht noch Zeitdruck – zu einer gewissen inneren Spannung beim Nutzer. Und möglicherweise kommt er dadurch in den Flow. Aber weit wichtiger als eine Wettkampfsituation ist das Anspruchsniveau der Aufgabe. Dies zeigt die folgende Rangfolge, in der Csikszentmihalyi 8 Gründe beschreibt, die „Aktivität erfreulich machen“. Untersucht wurden dabei Kletterer, Komponisten, Tänzer, Schachspieler und Basketballspieler:

  1. Lust an der Aktivität und an der Anwendung von Können,
  2. die Aktivität selber: das Muster, die Handlung, die darin liegende „Welt“,
  3. Entwicklung persönlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten,
  4. Freundschaft, Kameradschaft,
  5. Wettbewerb, sich mit anderen messen,
  6. sich an eigenen Idealen messen,
  7. Ausleben von Gefühlen,
  8. Prestige, Achtung, Ruhm.

Am wichtigsten ist also die Aufgabe selbst, erst danach auf Platz 4, wird das Erleben von Gemeinschaft und auf Platz 5 die Wettbewerbssituation als attraktiv empfunden. Prestige und Ruhm, extrinsische Faktoren, liegen auf dem letzten Platz.

Die Gefahr von zuviel Flow: Sucht

Flow enthält Suchtpotential: Durch Gewöhnung kann man davon abhängig werden, so dass der Alltag daneben grau und eintönig wirkt. Bei zu starker Spezialisierung können Personen nur bei bestimmten Aufgabenstellungen in den Flow kommen. Alles andere wird als langweilig empfunden. Das ist durchaus bedenklich, denn Sucht setzt eine Abwärtsspirale in Gang. Wer hier an süchtige Computerspieler denkt, liegt nicht falsch. Aber auch ganz ehrenwerte berufliche Tätigkeiten beinhalten ein flowbasiertes Suchtpotential. Csikszentmihalyi hat hierzu Chirurgen befragt. Sie verglichen die Tätigkeit des Operierens mit einem Rausch. Einer der Befragten erzählte, wie er nach vielen Jahren ohne Ferien mit seiner Frau in den Urlaub fuhr. Bereits nach zwei Tagen, die beide mit Besichtigungen zugebracht hatte, fühlte er sich ruhelos und meldete sich beim örtlichen Krankenhaus. Den Rest seines Urlaubs verbrachte er mit Operieren.

Spaß bei der Arbeit ist das eine. Aber wenn sie zur Sucht wird, können die daraus resultierenden Folgen wie Alkoholismus, Familienzerrüttung und Selbstmord Leben gefährden und zerstören.

Was bedeutet das vorher Gesagte für Crowdsourcing?

  • Zunächst einmal sollte das ideale Anforderungsniveau beachtet werden. Eine Anwendung, die langweilt oder die Anwender überfordert, führt zu niedrigen Nutzerzahlen. Und wer es einmal ausprobiert hat und abgesprungen ist, kommt so schnell nicht wieder.
  • Ideal wäre, wenn der Anwender etwas lernen kann. Seine Fähigkeiten und Fertigkeiten verbessern kann, wie es ja weiter oben in der Aufzählung heißt.
  • Gamifizierung bietet die Möglichkeit, die Anwendung für die Nutzer erfreulich und genussvoll gestalten zu können. Aber: Eine Gamifizierung ist nicht alleiniger Garant für eine gelungene Anwendung.
  • Auch die Umsetzung des Gemeinschaftsgedankens ist ein Beitrag, eine Crowdsourcing-Anwendung attraktiv zu gestalten.
  • Die Umsetzung des Wettbewerbsgedankens ist ebenfalls ein gutes Element.
  • Wenn die Anwendung die Emotionen der Anwender anspricht, dann ist das ebenfalls ein Baustein für den Erfolg.

Deutlich wird hierbei, dass nicht ein Feature allein die Anwendung erfolgreich macht, sondern es auf eine gut abgestimmte Komposition ankommt.

Weitere Artikel dieser Serie:

  1. Auftakt zur Artikelreihe: Was macht Crowdsourcing erfolgreich?
  2. Crowdsourcing: Definition und Prozessbeschreibung
  3. Die Auswirkung von Kontrolle und Orientierung auf Crowdsourcing
  4. Die Auswirkung von Gemeinschaft auf Crowdsourcing
  5. Die Auswirkung von Selbstwerterhöhung auf Crowdsourcing
  6. Die Auswirkung von Lustgewinn und Unlustvermeidung auf Crowdsourcing

Literatur:

Csikszentmihalyi, Mihaly: Das Flow-Erlebnis. Jenseits von Angst und Langeweile: im Tun aufgehen. Stuttgart 2000, 8. Auflage

Bild: „Eine Tour zu den japanischen Wasserfällen“ von Katsushika Hokusai, 1833-34, Honolulu, Honolulu Academy of Arts. Digitale Quelle: www.artigo.org

Quelle: http://games.hypotheses.org/1550

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SUB Bremen digitalisiert Zeitungsbestände des 17. Jahrhunderts

Twitter sei Dank! habe ich heute erfahren, dass die Staats- und Universitätsbibliothek Bremen in Zusammenarbeit mit dem Institut für Deutsche Presseforschung der Universität Bremen ein groß angelegtes Digitalisierungsprojekt zu den Zeitungsbeständen des 17. Jahrhunderts unternimmt. So heißt es auf der Projektseite:

“Von Mai 2013 bis April 2015 werden in der SuUB Bremen die Zeitungen des 17. Jahrhunderts im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts digitalisiert, katalogisiert, elektronisch erschlossen und anschließend auf dem Portal Digitale Sammlungen der SuUB Bremen online bereitgestellt. – Es handelt sich hierbei um ca. 605 Zeitungstitel, 300 Zeitungsunternehmen, 60.000 Ausgabenexemplare mit ca. 330.000 Seiten insgesamt.”

Das sind erfreuliche Neuigkeiten für die Greflinger-Edition, die u.a. auch die von Greflinger und seinen Nachfolgern (die beiden Söhne Ludwig und Friedrich Konrad Greflinger) zwischen 1664 und 1730 redaktionell betreute, zusammengestellte sowie gedruckte und selbst vertriebene Zeitung “Der Nordische Mercurius” editorisch und bibliographisch bearbeiten wird. Durch die Digitalisierung der (vermutlich vollständigen) Zeitungsbestände an der SuUB Bremen wird eine große Hürde genommen für das Greflinger-Projekt! Und selbstverständlich werden die von mir nach den Richtlinien der TEI P5 erfassten Texte der Zeitungen im Rahmen der GG_dHKA ebenfalls zur Nachnutzung unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden.

Quelle: http://greflinger.hypotheses.org/52

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„Digital Humanities meets Information Science“

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Am 19. März 2014 findet der 5. Potsdamer I-Science Tag unter dem Motto “Digital Humanities meets Information Science” an der FH Potsdam statt (wir berichteten). Es werden zentrale Themen der Entwicklung der Digital Humanities und die Schnittstellen zu den Informationswissenschaften thematisiert.  Der I-Science Tag soll als Diskussionsforum für GeisteswissenschaftlerInnen verschiedener Disziplinen, BibliothekarInnen, ArchivarInnen und InformatikerInnen dienen.

Unter den entsprechenden Links finden Sie jetzt das vorläufige Programm sowie weitere Infos zur Tagung und Anmeldung.

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=3050

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Propaganda im mittelalterlichen Mailand – das Wappen der Visconti

Die Schlange der Visconti ist ein noch heute sehr bekanntes, in italienischen Firmenlogos weiterlebendes Wappenbild. Auf den ersten Blick scheint es gerade durch seine einzigartige Komposition leicht zu entschlüsseln. Bei einer näheren Beschäftigung zeigt sich jedoch, wie schwer eine eindeutige … Continue reading

Quelle: http://heraldica.hypotheses.org/788

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Vom “Zeitalter der Extreme” zum “Jahrhundert der Chancen”

Ekkehard Klausa beim Montagsradio

Der englische Historiker Eric Hobsbawm (1917-2012) hat in den 1990er Jahren zwei Formeln geprägt, um das zerrissene 20. Jahrhundert zu beschreiben: “das Zeitalter der Extreme” und “das kurze 20. Jahrhundert”. Was genau wird mit diesen Formeln beschrieben? Ist die Rede vom “Zeitalter der Extreme” – 20 Jahre nach der Veröffentlichung von Hobsbawms “The Age of Extremes” – überholt? Mit welchen Begriffen lässt sich das 20. Jahrhundert alternativ fassen?

Mit diesen Fragen beginnt und endet das erste MONTAGSRADIO des “Supergedenkjahres” 2014, das auf der 7. Geschichtsmesse in Suhl aufgezeichnet wurde. Im Gespräch mit dem Juristen, Soziologen und Journalisten Dr. Ekkehard Klausa diskutieren Miriam Menzel und Patrick Stegemann darüber hinaus die Bedeutung des 20. Jahrhunderts für nationale und europäische Gründungsmythen und wagen eine Prognose für das 21. Jahrhundert als “Jahrhundert der Chancen”.

Ekkehard Klausa ist u.a. an der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und der Freien Universität Berlin tätig. In der Reihe “MONTAGSRADIO – Vor Ort in Suhl”, gefördert von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, werden im Februar und März 2014 drei weitere Gespräche zu diesen Themen veröffentlicht:

Mit der Medienwissenschaftlerin Dr. Anja Hawlitschek und der BStU-Mitarbeiterin Franziska Scheffler sprechen wir über die Digitalisierung der historisch-politischen Bildung in Form von Geocaching, Serious Games, E-Learning-Umgebungen und Co.

Mit dem Regisseur und Schauspieler Stefan Weinert sprechen wir über seinen mittlerweile preisgekrönten Dokumentarfilm “Die Familie”.

Mit Dr. Thomas Schleper, Leiter des Projektverbunds “1914 – Mitten in Europa”, diskutieren wir über neue Zugänge zur “Urkatastrophe” des 20. Jahrhunderts, die Vielfalt der europäischen Erinnerung an den Ersten Weltkrieg und Möglichkeiten der Synthese.

 

Für einen schnellen Überblick: die Timeline zum Gespräch mit Ekkehard Klausa

00:25 Zum Begriff „Zeitalter der Extreme“

03:10 Die europäische Dimension des „Zeitalters der Extreme“

05:12 Die Verrohung des Geistes am Beginn des „Zeitalters der Extreme“

08:45 Ist das „Zeitalter der Extreme“ vorbei?

12:50 Erinnerung an das “Zeitalter der Extreme”: Mahnung und geistige Integration

15:45 Nationale Gründungsmythen und europäische Erinnerungskultur

18:15 1989/90 & 2004: Happy End des “Zeitalters der Extreme”?

22:00 Alternativen zur Formel “Zeitalter der Extreme”

24:36 Prognose: Das 21. Jahrhundert als “Jahrhundert der Chancen”

26:30 Die “Gedenkstätte Deutscher Widerstand” im Supergedenkjahr 2014

28:30 Der MONTAGSRADIO-Fragebogen

 

Foto: Ekkehard Klausa zu Gast im MONTAGSRADIO (Kooperative Berlin)

Quelle: http://www.montagsradio.de/2014/02/14/vom-zeitalter-der-extreme-zum-jahrhundert-der-chancen/

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Zugang zu Kulturgut – Netzwerken im digitalen Zeitalter

CIDOC Jahreskonferenz 2014

Dresden/Deutschland, 6. – 11. September 2014

Die Jahrestagung von CIDOC, dem internationalen Komitee für Museumsdokumentation von ICOM, findet vom 6. bis 11. September 2014 in Dresden (Deutschland) statt. Die Teilnahme steht allen Interessierten aus Museen und Kulturorganisationen offen.

Die Konferenz beginnt mit einer Reihe von Workshops am Sonnabend, den 6.  und Sonntag, den 7. September 2014. Die Haupttagung wird am Montag, den 8. September 2014 durch die Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst des Freistaates Sachsen eröffnet.

An drei Tagen (vom 8.-10-September) finden parallele Sessions zu den verschiedenen Tagungsthemen statt. Am Donnerstag, den 11. September, können die Teilnehmer an verschiedenen Exkursionen teilnehmen.

Im Mittelpunkt der Diskussionen und Vorträge steht der Umgang mit den Möglichkeiten des digitalen Zeitalters, um Zugang zu den Museumsbeständen und dem kulturellen Erbe zu ermöglichen. Vernetzte Informationen erlauben Wissenschaftlern und Interessierten neue und erweiterte Einblicke. Museumsfachleute aus aller Welt beschäftigen sich auf dieser Tagung mit folgenden Schwerpunkten:

  •    Metadaten
  •    Vernetzt arbeiten – Linked Data
  •    Mehrsprachige Terminologien als Grundlage für Wissen und Forschung
  •    Arbeitsabläufe in der Museumsdokumentation
  •    Langzeitbewahrung digitaler Daten
  •    GIS-Anwendungen und kulturelles Erbe
  •    Digitale Dokumentation in der Archäologie
  •    Immaterielles Kulturerbe

English:

Access and Understanding – Networking in the digital era

CIDOC Annual Conference 2014

Dresden/Germany, 6th-11th September 2014

The annual conference of CIDOC, the International Committee for Documentation of ICOM, will take place from 6th – 11th of September 2014 in Dresden, Germany. Anyone interested from museums and cultural organizations is cordially invited to participate.

The conference starts with a series of workshops on Saturday 6th and Sunday7th of September 2014. The main conference is opened by the State Minister for Higher Education, Research and the Arts of the Free State of Saxony on Monday 8th of September 2014.

Parallel sessions on the different conference themes take place on the following three days (8th to 10th September). On Thursday 11th of September the attendees could join different excursions.

Discussions and papers will focus on the access to museum collections and cultural heritage in the digital age. Linked data information provide scientists with new and wider perspectives. Experts from museums around the world will address the following themes:

  •    Metadata
  •    Networking – Linked data
  •    Multilingual Terminology as basis for knowledge and research
  •    Processes in Museum Documentation
  •    Long Term Preservation of Digital Data
  •    GIS-applications in Cultural Heritage
  •    Digital documentation in archaeology
  •    Intangible Cultural Heritage

 

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=3047

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„Bitte leeren Sie den Papierkorb, Madame!“ – nochmal zur Dreyfusaffäre

Die Dreyfusaffäre fasziniert noch heute und bietet mit ihren vielfältigen Facetten sowie ihrer verworrenen Handlung aus Spionage, Manipulationen und gefälschten Dokumenten reichlich Platz für Fantasie. Bei der Lektüre der Forschungsliteratur und dem Abfassen eines kleinen Kapitels zur Affäre für das Buch „Verfeindung und Verflechtung. Deutschland – Frankreich 1870-1918“ fiel mir die merkwürdige Benennung einer der Protagonistinnen auf: “Madame Bastian”.

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Abb. 1 Von Marie Bastian aus dem Papierkorb geholt: das “bordereau”

Madame Bastian erlangte Berühmtheit, weil sie in der deutschen Botschaft in der Rue de Lille den Papierkorb des Militärattachés Maximilian von Schwartzkoppen leerte und den Inhalt – anstatt ihn in der Heizungsanlage zu verbrennen – an die französische Spionageabwehr, die sogenannte „Sektion für Statistik“ in der französischen Armee übergab. Damit nahm bekanntlich die Dreyfusffäre ihren Lauf, setzte die Sektion doch im September 1894 ein zerrissenes Dokument – den als “bordereau” bezeichneten, hier abgebildeten Begleitbrief – wieder zusammen. Der bordereau ließ auf die Übergabe geheimer Informationen an den deutschen Militärattaché durch einen französischen Offizier schließen. Als angeblichen Verräter machte die Sektion den jüdischen Hauptmann Alfred Dreyfus aus. Er wurde verhaftet und in einem nicht-öffentlichen Prozess und unter Verwendung eines “Geheimdossiers” rechtswidrig zu Degradation, lebenslanger Haft und Verbannung verurteilt.

Elsässischer Herkunft: Madame Bastian

In der Forschungsliteratur ist zumeist von der „Putzfrau Madame Bastian“ die Rede, wobei „Putzfrau“ und „Madame“ zwei Begriffe sind, die – im Deutschen zumindest – so recht nicht zueinander passen wollen.

So liest man in einem der Standardwerke zur Dreyfusaffäre aus dem Jahr 1994 über den sogenannten „üblichen Weg“, in dem Papiere aus der Deutschen Botschaft in die Sektion für Statistik kamen:

“Madame Marie Bastian, Putzfrau in der Botschaft, übergab den Inhalt seines Papierkorbes in der Kapelle der Kirche Sainte-Clotilde einem Offizier der Sektion.”1

Ein aktuelleres Beispiel ist das monumentale Werk von George R. Whyte, „Die Dreyfus-Affäre. Die Macht des Vorurteils“2 . Darin werden auf über 600 Seiten die Ereignisse Tag für Tag in Kurzform dargestellt, ein Buch, das sich übrigens hervorragend für einen historischen Twitteraccount eignen würde, über den die Dreyfusaffäre nacherzählt werden könnte…

Auf S. 31 steht unter dem Eintrag 22. Juli 1894:

„Schwartzkoppen fasst dann ein Memorandum ab, wahrscheinlich für seine Vorgesetzten in Berlin. Aber anstatt es abzuschicken, zerreißt er es und wirft die Stücke in den Papierkorb. Mme Bastian (v. September 1889) findet diese Fetzen und liefert sie zu gegebener Zeit bei der Section de Statistique ab.“

Unter dem angegeben Verweis zum September 1889 steht auf S. 13 des Buches:

„Die deutsche Botschaft beschäftigt Madame Bastian (geborene Marie Caudron), eine Putzkraft. (…)“

In den deutschen Quellen der Zeit taucht Marie Bastian bereits als „Madame Bastian“ auf, manchmal auch als “Die Bastian”. Sie war elsässischer Herkunft – was sie zumindest im Nachhinein verdächtig machen musste -, verheiratet und zum Zeitpunkt der Affäre um die 40 Jahre alt. Ihr Agentinnen-Name von französischer Seite war „Auguste“ oder “August”. Ihr deutscher Arbeitgeber glaubte, sie sei Analphabetin, aber in Wirklichkeit tat sie nur so und konnte sehr gut lesen.

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Abb. 2: Kein Papierkorb zu sehen: das Büro in der deutschen Botschaft Paris zu Beginn des 20. Jahrhunderts

 

Was ein Spion verdient

Nachdem durch einen Artikel in der Times vom 29. August 1899 bekannt wurde, wie die Dokumente aus der Botschaft an die französische Spionageabwehr kamen, setzte sich Marie Bastian mit ihrem Mann ins Ausland ab. Für ihre Spionagetätigkeit hatte sie von der französischen Sektion für Statistik monatlich 100-250 Francs kassiert. Kein schlechtes Gehalt: Zum Vergleich: Esterhazy, der wahre Spion und Schuldige, wollte für Übergabe von Dokumenten von der deutschen Seite 2.000 Francs, bekam aber nur 1.000. Und ein französicher Leutnant verdiente damals ein Jahresgehalt von knapp 2.000 Francs.3 Mit den Gehaltszahlungen an Marie Bastian war nach der Aufdeckung Schluss: Um die deutsch-französischen Beziehungen nicht weiter zu belasten, wurden die monatlichen Zahlungen per Befehl am 15. August 1899 eingestellt, obwohl ihr diese bis zum Lebensende versprochen waren! Die Verdienste fürs Vaterland hat man ihr also nicht gedankt. Es gab aber zumindest im Oktober 1899 noch eine Einmalzahlung von 1.000 Francs.4

Der Kaiser verfügte persönlich, dass in der Botschaft fortan nur noch deutsches Personal eingestellt werden sollte, und zwar Personen, die kein Französisch konnten, am besten ehemalige Soldaten, auf keinen Fall jedoch Franzosen. Und er fügte hinzu: oder Engländer.5 Soweit zur Qualität der Spionageabwehr von deutscher Seite.

Madame: zeitgenössicher Lokalkolorit oder zweifelhafter Anstrich?

Warum ist nun heutzutage oftmals von “Madame Bastian” und nicht von „Marie Bastian“ die Rede?6 Will man damit deutlich machen, dass es sich um eine Französin handelte, die für ihr eigenes Land spionierte? Dafür hätte freilich auch der Zusatz eines Adjektivs – „die französische Putzfrau Marie Bastian“ – gereicht. Oder soll das vorgeschaltete „Madame“ für Lokalkolorit sorgen, was man im Roman (z.B. „Intrige“ von Robert Harris, 20137 ) verstehen könnte, nicht aber in der Forschungsliteratur?

Vielleicht hat man das „Madame“ einfach aus der französischen Literatur übernommen, wo Frau Bastian stets als Mme Bastian auftaucht. Aber warum ist dann bei Lucie Dreyfus, der Ehefrau von Alfred Dreyfus, immer von Lucie Dreyfus und nicht von Madame Dreyfus die Rede?

Und warum übersetzt man “Putzfrau”, nicht aber “Madame”, so dass diese beiden Begriffe aufeinandertreffen und eine heuristische Spannung schaffen, die im Deutschen sicherlich sozialen Ursprungs ist. “Bitte leeren Sie noch den Papierkorb, Madame!”, klingt zwar schön, kann man sich als Dialog aber nur schwer vorstellen…

Oder soll das Wort “Madame” vielleicht Marie Bastian einen zweifelhaften Anstrich geben? Aber in welcher Hinsicht?

Es bleiben viele offene Fragen, doch eine muss zumindest beantwortet werden: Soll ich in meinem eigenen Text mit der bisherigen Geschichtsschreibung brechen und aus der „Putzfrau Madame Bastian“ die „französische Reinigungskraft Marie Bastian“ machen? Ein bisschen täte mir das Leid, Madame…

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Abbildung 1: Der zerrissene und wieder zusammengesetzte “Bordereau”, Archives Nationales, public domain: http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:003_Bordereau_recto.jpg

Abbildung 2: Botschaftsbüro zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Postkarte, abgedruckt in: Jörg Ebeling, Ulrich Leben, Das Palais Beauharnais. Residenz des deutschen Botschafters, 2010, S. 11, mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Forum für Kunstgeschichte Paris, alle Rechte dort weiterhin vorbehalten.

Zur Dreyfusaffäre siehe auch:

Mareike König, Die Dreyfus-Affäre in der wilhelminischen Öffentlichkeit (Buchbesprechung), in: Das 19. Jahrhundert in Perspektive, 28.1.2014, http://19jhdhip.hypotheses.org/1479.

Mareike König, Dokumente zur Dreyfusaffäre im Internet, in: Das 19. Jahrhundert in Perspektive, .

Aglaja Weindl, Ausstellungen zur Dreyfusaffäre in Frankreich und Deutschland – eine Übersicht, in: Das 19. Jahrhundert in Perspektive, 3.2.2014, http://19jhdhip.hypotheses.org/1590.

  1. Vincent Duclert, Die Dreyfus-Affäre. Militärwahn, Republikfeindschaft, Judenhaß, Berlin 1994, S. 12.
  2. George R. Whyte, Die Dreyfus-Affäre. Die Macht des Vorurteils, Frankfurt a.M. 2010
  3. Vgl. Louis Begley, Der Fall Dreyfus. Teufelsinsel, Guantánamo, Alptraum der Geschichte, Frankfurt a.M. 2009, S. 73.
  4. Maurice Baumont, Au cœur de l’Affaire Dreyfus, Paris 1976, S. 360.
  5. Ibid.,  S. 362.
  6. Eine löbliche Ausnahme ist der Wikipedia-Artikel zur Dreyfusaffäre, http://de.wikipedia.org/wiki/Dreyfus-Aff%C3%A4re.
  7. Engl. An Officer and a Spy, einen Roman, den ich  uneingeschränkt empfehlen kann.

Quelle: http://19jhdhip.hypotheses.org/1510

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Opening congress of COST Action IS1301: New Communities of Interpretation. Contexts, Strategies and Processes of Religious Transformation in Late Medieval and Early Modern Europe

As I am writing this, the first Congress of a new European network is being opened: Since last September, COST Action IS1301 has been under way, with over 100 researchers setting out to study ‘Contexts, Strategies and Processes of Religious Transformation’. Many people working on religion and/or book history in the Late Medieval and Early Modern period will already have heard of this COST Action, but for those who haven’t, some basic facts:

COST Action networks are very large research networks financed by the European Union to further issues that are already being researched in many European countries. Obviously, there is much potential in galvanizing themes that are being treated in a disconnected fashion in national and disciplinary research cultures. In our case, the COST Action works as a four-year network established through a series of congresses and workshops – a staggering 6 or 8 a year – with attendant publications and website (under construction). Training schools (Summer schools) and some grants enabling travel will be advertised specifically for young researchers.

The theme of IS1301 – short title „New communities of interpretation“ is uniquely apt to this framework, I think: Put together by a team of scholars under the guidance of Sabrina Corbellini from Groningen, it is basically a federation of individual scholars, research groups and smaller networks all working on the ‘long fifteenth century’ and on religious transformations occurring in the Late Medieval and Early Modern period – transformations that are strongly connected and can only be explained in relation to each other, but which have been seen through the lens of national research perspectives, or, alternately, divvied up between literature, history and other disciplines. Seeing from the vantage point of medieval historian, the network seems to contain an great number of literature scholars – which makes it highly interesting, as there are many different research interests and grand narratives of religious change at work which do not conform with the usual fare of historians. Even though I am not an expert in the field, I am also impressed by what seems a great number of people working very closely with the material texts, not only their content, but also their transmission and mediality.

It is hard to sum up this huge endeavour in short words, but the general idea, to me, seems to be to re-work a field currently marred by the deeply rutted tracks of older grand narratives of ‘the Reformation’, ‘humanism’, ‘modernization’ and so on. To quote from the original application (downloadable from the COST website as ‘Memorandum of understanding’, the period is „traditionally depicted as one of great cultural discontinuity and binary oppositions between learned (Latin) and unlearned (vernacular) and ecclesiastical hierarchy and the lay believers. Challenging stereotypical descriptions of exclusion of lay and non-Latinate people from religious and cultural life the project, with participation of European entities from at least 12 countries, will concentrate on the reconstruction of the process of emancipation of the laity and the creation of new “communities of interpretations”. The project will therefore analyze patterns of social inclusion and exclusion and examine shifts in hierarchic relations amongst groups, individuals and their languages, casting new yet profoundly historical light on themes of seminal relevance to present-days societies.“

After a kick-off meeting at Brussels last fall, this congress is the first big event of the network, and it will mostly be used to set the agenda in our different WGs (work groups ) and discuss approaches. Below I list some of the programme, which is largely mixed between discussion and short presentations.

I hope to be able to write a conference report later….

Programme: Plenary Meeting COST Action IS 1301

New Communities of Interpretation”

Rome, 13-15 February 2014

In collaboration with: Academia Belgica Royal Dutch Institute in Rome British School at Rome

Plenary Meeting COST Action IS 1301, “New Communities of Interpretation Rome, 13-15 February 2014

Thursday 13 February Location: Academia Belgica, Via Omero 8, 00197 Rome

14.00-18.00: Plenary session Welcome by Chair and Vice-Chair

Sabrina Corbellini & John Thompson: Centers, peripheries, individuals and communities: the “behind the scenes” of the COST-Action Pavlina Rychterova: The power of language: late medieval social identities and the vernaculars

Géraldine Veysseyre & OPVS-research team: From Flexibility to Popularity? Or the Other Way Round? Old Pious Vernacular Successes Crossing Borders Bart Ramakers: Collecting, reading, writing, performing: the practice approach

 

Friday 14 February

9.00-12.00: WG-sessions

Locations: WG1: British School at Rome (Via Antonio Gramsci 61, 00197 Rome) WG2: Academia Belgica (Via Omero 8, 00197 Rome) WG3: Royal Dutch Institute (Via Omero 10, 00197 Rome)

12.00-14.00: Lunch (Academia Belgica, Via Omero 8, 00197 Rome) 14.00-17.00: WG-sessions

Locations: WG1: British School at Rome (Via Antonio Gramsci 61, 00197 Rome) WG2: Academia Belgica (Via Omero 8, 00197 Rome) WG3: Royal Dutch Institute (Via Omero 10, 00197 Rome)

19.00-22.00: MC-meeting (Dutch Institute, Via Omero 10, 00197 Rome) Saturday 15 February Location: Academia Belgica (Via Omero 8, 00197 Rome)

9.00-12.00: Plenary session with presentation of results and ideas from WG-sessions; discussion of future plans and outreach activities; exchange of ideas about joint research activities within Horizon 2020.

Meeting WG1: Theoretical Approaches 14th February 2014, British School at Rome

9.00-10.00: introduction Elisabeth Salter and Pavlina Rychterova

Defining the main tasks of WG1; Basic information on WG members; Possible inclusion of other members; Modes of collaboration with the other WGs

10.00-12.00: Contexts, categories, and terminology (Chair/Discussion leader: John Thompson)

Speakers

The psychology of literary responses’, Vincent Gillespie

Terminology and category across the “confessional divide”’, Mette Birkedal Bruun

Early medieval vernacularity, Norbert Kössinger

12.00-13.00: Lunch

13.00-15.00: Disciplinary perspectives and interdisciplinary possibilities (Chair / Discussion Leader: Sita Steckel)

Speakers Using historical anthropology’, Gabor Klaniczay

Philological perspectives. Literacy patterns and the transmission of Middle English’, Jeremy Smith (tbc)

The uses of social history approaches (and other methods) for understanding personal religious experience and popular devotion’, Tomas’s Wislicz

15.00-16.00: Research Highlights Reading nuns: complementary or functional bilingualism?’, Gabor Farkas Kiss

The importance of parish studies in understanding the Counter Reformation in the Low Countries’, Michal Bauwens

16.00-17.00: General discussion

Meeting WG2: Strategies of Transformation: Translating, Reading, Writing, Collecting and Performing

14th February 2014, Academia Belgica

9:00-12:00: Welcome, very brief introduction of all present

Presentations of selected projects (10-15 minutes each)

Subarea: Texts

Cécile Caby (CEPAM UMR 7264, CNRS-Université de Nice), ‘Late medieval versions (latin or vernacular) of Vita Honorati

Dávid Falvay (University Eötvös Loránd of Budapest – ELTE), ‘The Multiple Recensions of the Italian Meditationes Vitae Christi

Waldemar Kowalski (Prof., Kielce, Poland), ‘Catechisms in 16th-Century Poland and Their Role in Religious Transformation

Marta Bigus (Ghent University, Belgium), ‘The Decalogue revisited. The Ten Commandments and vernacular moral instruction in the Low Countries, ca. 1300-1550

Delphine Mercuzot (BnF, Paris), ‘Caxton and the printing of vernacular devotional texts

Marie Anne Polo de Beaulieu (EHESS, Paris), Transformations of Medieval exempla through Sermon Performance, Translation and Edition

12.10-14.00 Lunch

14:00-17:00: Presentations of selected projects (10-15 minutes each)

Subarea: People Communities, and Practices

Eyal Poleg (Queen Mary College, London), ‘Performing the Bible, The Bible in Performance: Liturgy Across Print and Reformation

Elizabeth Solopova (Oxford University), From popular piety to liturgical ritual: the ownership of the Wycliffite Bible in the 15th century’

Erminia Ardissino (University of Torino), ‘Women Interpretative Communities in Early Modern Italy

Andreas Pietsch (Münster, Germany, Early Modern History), ‘Spirituality beyond the churches? Domestic devotion and confessional ambiguity in Early Modern Nothern Europe

Adam Poznański, ‘Thomas Rehdiger (1540 – 1576) and his collection of books

Laura Fenelli, Marina Gazzini, Massimiliano Bassetti, Francesco Bianchi: Cultures and Religious Practices in Late Medieval Italy’

Meeting WG3: European Networks of Knowledge Exchange 14th February 2014, Royal Dutch Institute

9.00-12.00: Session I

9.00-10.30 Welcome

Objectives and operating models (Paweł Kras, Chiara Lastraioli)

Presentation of participants 10.30-12.00: Socio-religious transformations of late medieval and early modern Europe

Research proposals and general discussion

12.00-14.00: Lunch 1

4.00-17.00: Session II

14.00-15.30: Current research projects:

  1. Spirituality and religious practice: continuity and change
  2. Moving people and the circulation of religious texts
  3. Intellectual and popular culture

15.30-17.00: Programme and organisation of the first conference in Cracow (26-27 September 2014)

 

Quelle: http://diversitas.hypotheses.org/73

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Geschichtsdarstellung im Internet: Nordeuropa und der Zweite Weltkrieg

Auf dem studentischen Wissenschaftsblog Eisbrecher ist neue Aktivität zu vermerken. Im Rahmen eines von mir unterrichteten Kurses Erinnerungskultur 2.0 – Nordeuropa und der Zweite Weltkrieg im Internet haben sich Studierende im Laufe des Wintersemesters mit Geschichtsdarstellungen im Netz beschäftigt.

Icebreaker von Flickr

Flickr Commons
Tyne & Wear Archives & Museums

Nun ist die Auseinandersetzung so weit gediehen, dass sie sich in publizistischer Form niederschlägt: Auf dem Eisbrecherblog analysieren die Studierenden ausgewählte Internetseiten, die sich mit bestimmten Facetten der Geschichte Nordeuropas im Zweiten Weltkrieg beschäftigen. Da geht es z.B. um das finnisch-deutsche Verhältnis während des Krieges, das Schicksal der norwegischen Kriegskinder (die Beziehungen norwegischer Frauen mit deutschen Soldaten entstammten) und um die Zeit der deutschen Besatzung Norwegens. Zunächst stand die Erarbeitung des wichtigsten historischen Hintergrundwissens an. Zudem war eine der wichtigsten Aufgaben und auch ein Bedürfnis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, nach passenden Analysekategorien für die Untersuchung von Internetseiten zu suchen. Reicht da die klassische geschichtswissenschaftliche Quellenkritik aus oder wieviel medienwissenschaftliche / -theoretische Fundierung muss noch her? Eine (unsortierte) erste Sammlung von Gedanken hierzu sah folgendermaßen aus:

  • äußere Gestaltung
  • Aufbau
  • sprachliche Gestaltung
  • sachliche Darstelllung, nicht polemisierend
  • MedieneinsatzAktualität (Seite an sich, Links)institutionelle Anbindung
    • Bilder
    • Archivmaterialien
    • Herkunft?
    • verlinkt oder Google-Suchergebnisse?
  • Verfasser oder Herausgeber erkennbar, mit Namen benannt?
  • offensichtliche Auslassungen oder Ergänzungen
  • Adressat / Zielgruppe erkennbar?
  • Umfang – eher Überblick oder detaillierte Teildarstellung?
  • interaktive Elemente vorhanden, um Userbeteiligung zu ermöglichen (z.B. Kommentarfunktion)
  • Werbung auf der Seite (verweist gegebenenfalls auf Zielgruppe)?
  • kostenpflichtige Inhalte vorhanden?
  • Verweis auf wissenschaftliche Literatur
  • wird mit Fußnoten oder anderen Verweisen gearbeitet?
  • wie “schön” ist die Seite gestaltet? — problematisch: Schlichtheit könnte wegen Konzentration auf den Inhalt entstehen
  • Statistiken, falls zugänglich: wie stark ist die Seite nachgefragt? hoher Traffic?
  • Navigation zuverlässig und logisch?
  • Qualität der Abbildungen

Nachdem die Studierenden ihre Teilgebiete für die Arbeit in Kleingruppen gefunden hatten, musste eine passende Umsetzungsform gefunden werden. Letztlich fiel die Entscheidung dann für das Blogformat, mit dem fast alle nun erste Erfahrungen sammeln. Schließlich wurde gemeinsam ein Analyseleitfaden erarbeitet, an den man sich zwar nicht sklavisch halten muss, der aber einen gewissen Rahmen anbietet und der die wichtigsten Analyseobjekte benennt:

  1. Technische bzw. “bibliographische” Angaben zur Seite
  2. Aufbau und Struktur – Eindruck der Startseite, Inhaltsverzeichnis vorhanden?, Fließtext oder Stichpunkte?, Zusammenfassung vorhanden?, Zwischenüberschriften, Einzelbeitrag oder Portal?, angebunden oder ausgelagert
  3. Inhalte – Absichten und Anspruch, welche Informationen, theoretisch fundiert, Genre (Augenzeugenbericht oder wissenschaftliche Auseinandersetzung), Quellenangaben, wie groß- oder kleinformatig ist die Themenwahl, offensichtliche Auslassung oder Ergänzung bemerkbar, Adressaten
  4. Gestaltung – Bilder (unterschriften), Navigation, Layout, Verlinkungen, Schriftart, Umfang, Sprache, Werbung vorhanden, Medieneinsatz, Logos von Institutionen?
  5. Fazit – keine reine Zusammenfassung, sondern eine wertende und nochmals gewichtende Kritik – Glaubwürdigkeit (als Gesamteindruck)

Die Schreibarbeit wird auch nach dem Ende der Vorlesungszeit weitergehen. Wer also an den Themen Interesse findet,  kann per Mail-Follow-Funktion oder RSS-Feed dranbleiben.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/2137

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