“Geschwistermeere” – Ein Interview mit Olaf Mörke zu seiner neuen Geschichte des Nord- und Ostseeraums

Unlängst veröffentlichte Olaf Mörke, Professor für Mittlere und Neuere Geschichte an der Christian-Albrechts-Universität Kiel, im Kohlhammer-Verlag eine Geschichte des Nord- und Ostseeraumes. Das Werk trägt einen Titel, der neugierig macht: “Die Geschwistermeere” – was steckt dahinter? Geschichtswerke zum Ostseeraum gibt es so einige, zum historischen Raum Nordsee indes gar nicht so sehr viele (allzumal aktuelle) – nun wendet sich Mörke beiden maritimen Gebieten mit einem integrierten Ansatz zu, der Interesse erregt.

Beiden historischen Räumen hat sich Olaf Mörke im Laufe seiner wissenschaftlichen Laufbahn immer wieder gewidmet. Wir wollten mehr über Idee und Anliegen des Autors wissen und haben ihn zu den “Geschwistermeeren” interviewt. Die Fragen stellte Jan Hecker-Stampehl.

Verwendung mit freundlicher Genehmigung des Kohlhammer-Verlags

Verwendung mit freundlicher Genehmigung des Kohlhammer-Verlags

NordicHistoryBlog: Herr Mörke, der Titel Ihrer Geschichte des Nord- und Ostseeraumes — „Geschwistermeere“ — hat ja eine recht emotionale Färbung. Wie kamen Sie auf den Begriff?

Olaf Mörke: Die Idee kam spontan auf dem Fahrrad in der schottischen Universitätsstadt St. Andrews. Der Titel mag emotional gefärbt sein, er hat durchaus mit meiner persönlichen Verbundenheit mit den Küstenlandschaften an Nord- und Ostsee zu tun. Schließlich lebe ich seit zwei Jahrzehnten in Kiel, habe längere Zeit in den Niederlanden und Großbritannien verbracht. Gleichwohl halte ich ihn für inhaltlich sinnvoll.

Nord- und Ostseeraum gemeinsam in den Blick zu nehmen, stand keineswegs am Anfang meiner Überlegungen. Es ging mir zunächst um ‚meine’ Region, die Cimbrische Halbinsel, und ihren Platz an der Ostsee. Je mehr ich mich eingearbeitet hatte, desto deutlicher wurden mir jedoch die materiellen und ideellen Verbindungen zwischen Nord- und Ostseeregion und vor allem die wichtige Relaisfunktion jener Gegend von der Cimbrischen Halbinsel bis zum Sund. Die Geschwistermetapher finde ich dann gar nicht mehr emotional, sondern höchst rational, wenn man einerseits die Vielfalt der Gemeinsamkeiten und die Komplexität der Beziehungen zwischen beiden Teilregionen bedenkt und wenn man andererseits aber auch sieht, dass Geschwister nun einmal eigenständige Individuen sind. Diesen Spannungsbogen zwischen Gemeinsamem und Trennendem galt es in Grundzügen zu erfassen.

NHB: Kann man mit einer integrierten Geschichte zweier maritimer Räume beiden überhaupt gerecht werden? Wo lagen hier die besonderen Herausforderungen für Sie?

Mörke: Zunächst einmal lag die Herausforderung darin, meine inhaltlichen Vorstellungen mit der Umfangsvorgabe der Reihe (100.000 Wörter!) zu vereinbaren. Das erforderte die Beschränkung auf das für mein inhaltliches Konzept Wesentliche. Dabei blieben Details auf der Strecke. Leicht hätte ich den doppelten Umfang füllen können. Die Vorgabe der 100.000 Wörter wirkte indes disziplinierend, als ich mich ständig fragen musste, was ist zwingend notwendig, um mein Anliegen deutlich zu machen. Dieses Anliegen hatte sich seit der Ursprungsidee in der Auseinandersetzung zwischen den systematisierenden Grundannahmen und den historischen Befunden ständig fortentwickelt. Der Zusammenhang von Schreiben und Denken ist mir dabei einmal mehr sinnfällig geworden.

Das wird meines Erachtens deutlich bei den langfristig wirkenden Identitätsmustern, die neben anderen den Raum der Geschwistermeere sowohl inkludierend als auch exkludierend konturierten und konturieren. Die Herausbildung von Nördlichkeitskonzepten in Selbst- und Fremdwahrnehmung von der Antike bis heute als etwas, was neben anderen Faktoren der Konnektivität entscheidend in Bezug auf die Raumbildung zwischen Island und dem Finnischen Meerbusen wirksam wurde, ist mir in ihrer Oszillation zwischen Überlegenheits- und Freiheitsideen so recht erst während des Schreibens deutlich geworden. Ebenfalls jene eng damit zusammenhängende kulturelle Trennungslinie, die in den jeweiligen Wahrnehmungsmustern von Klaudios Ptolemaios bis in die Gegenwart mit wechselnder Ost-West-Verschiebung durch den Ostseeraum lief und läuft.

NHB: Vor einigen Jahren wurde versucht, den Begriff der Thalassokratie zu lancieren, um eine stärkere geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit „Seeherrschaften“ anzustoßen. Taugt das Konzept aus Ihrer Sicht für maritime Geschichtsräume?

Mörke: Als Idealtyp im Weber’schen Sinn taugt der Begriff allemal. Trotzdem habe ich ihn aus gutem Grund nicht verwendet. Meines Erachtens ist das Risiko ziemlich groß, den Begriff zu überdehnen und alle diejenigen Mächte als Thalassokratie zu markieren, die als Seefahrtsmächte in Erscheinung getreten sind. Das stiftet dann mehr Verwirrung als Klarheit. Beschränkt man sich darauf, unter einer Thalassokratie solche Herrschaftsformen zu verstehen, die „sich spezifisch auf die Beherrschung der See gründeten“, dann trifft das auf eine doch allenfalls sehr begrenzte Zahl von vorstaatlichen oder staatlichen Formationen zu. Auf die in diesem Zusammenhang hin und wieder strapazierte Hanse bestimmt nicht. Auch nicht auf Großbritannien, selbst wenn das patriotische Lied „Rule, Britannia! Britannia rule the waves“ aus dem 18. Jahrhundert so etwas suggerieren mag.

Man muss sehr genau hinschauen, um den Begriff wirklich erkenntnisträchtig fruchtbar zu machen. Das kann man! Im von mir gewählten Darstellungsformat hätte er aufgrund der auf den ersten Blick so großen Eingängigkeit für die Erklärung von allem, was mit dem Meer als „Kontaktarena“ zu tun hat, der auf den zweiten Blick jedoch meines Erachtens viel eingeschränkteren Erkenntnisreichweite diese Fruchtbarkeit nicht entfalten können.

NHB: Konstruktionen des Nordens und von Nördlichkeit, Ursprungslegenden und Geschichts- und Nationenbilder spielen für Ihre Darstellung eine wichtige Rolle — nicht zum ersten Mal in Ihrer Autorschaft. Wie äußert sich das in Ihrem Blick auf den Geschichtsraum Nord- und Ostsee?

Mörke: Das habe ich in meiner Antwort auf Ihre zweite Frage teilweise schon behandelt. Die Themenkomplexe Nördlichkeit, Geschichtsbilder etc. treiben mich in der Tat um. Ich halte die Auseinandersetzung damit im Rahmen einer europäischen, nicht nur der nordeuropäischen Transfergeschichte noch lange nicht für ausgeschöpft. Angesichts aktueller politischer Entwicklungen in den europäischen Nord-Süd- und Ost-West-Verhältnissen, in denen gerade wieder Geschichtsbilder und Abgrenzungsstereotypen mit explizitem oder implizitem Nordbezug eine fatale Wirkung entfalten, ist sie vielmehr dringend geboten. Das zeigt sich nicht nur in der Debatte um die Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union oder in der Diskussion um Griechenland, wo munter von allen Beteiligten mit inkludierenden und exkludierenden Geschichtserzählungen entlang der Windrose gewerkelt oder besser: gezündelt wird, die eine lange Tradition haben. Das zeigt sich auch im Alltäglichen, wenn etwa der neue Werbeslogan Schleswig-Holsteins suggeriert, man sei „der echte Norden“, wobei „Norden“ natürlich positiv besetzt ist. Spätestens, wenn man sich Schleswig-Holstein von Jütland nähert, sollte einem die Absurdität des Werbespruchs deutlich werden. Ich hoffe, dass mein Buch dazu beiträgt, einen kritischen Blick auf solche Denkmuster und ihre Wirkungsräume zu richten.

NHB: Wie sehen Sie den Stellenwert der Nord- und Ostseegeschichte in der deutschen Geschichtswissenschaft? Wollen Sie mit Ihrem Werk auch ein Signal setzen?

Mörke: Es gibt natürlich historiographische Traditionen, in denen das, was um und auf den beiden Meeren geschah, eine wesentliche Rolle spielt. Dafür stehen die Hansegeschichte und an einigen Universitäten – bei Ihnen in Berlin, hier in Kiel, in Greifswald und andernorts – die Nordeuropäische Geschichte. Das Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität ist aber meines Wissens das einzige deutsche Universitätsinstitut, das den Blick auf den Raum von Island bis Russland richtet und dabei die Disziplingrenzen zwischen Nord- und Osteuropäischer Geschichte ankratzt. Die Britischen Inseln und die Niederlande fallen dabei freilich auch aus. Meines Erachtens gehören sie aber dazu, wenn man eine integrierte Geschichte von Nord- und Ostseeraum erforschen möchte – und das nicht in einer Nebenrolle. Die integrierte Raumgeschichte von Nord- und Ostsee bindet eine Fülle von Regionalhistorien zusammen, die ich natürlich nicht gleichwertig abdecken kann. Ich habe gleichwohl versucht, die zahlreichen bereits existierenden Einzelforschungen unter den systematischen Gesichtspunkten einer Kontakt- und Transfergeschichte mit einem weit gespannten kulturhistorischen Interesse, das Wirtschafts- und Politikgeschichte einbezieht, zusammenzuführen und vielleicht die eine oder andere Forschungsperspektive anzuregen. Das Schlagwort von Einheit und Vielfalt eines Raumes wird hoffentlich an dem von mir gewählten Beispiel nachvollziehbar mit Inhalt gefüllt. Wenn das als Signal angesehen werden sollte, hätte ich bestimmt nichts dagegen.

NHB: Herr Mörke, vielen Dank für das Interview!

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/2885

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Die Wikinger kamen nach Berlin – in der Roskilde 6?

Ein Gastbeitrag von Ian Beuermann. Unser Gastautor hat sich die bis vor kurzem in Berlin gezeigte große Ausstellung "Die Wikinger kommen" für uns angesehen und besprochen. Die von den Staatlichen Museen zu Berlin gemeinsam mit dem dänischen Nationalmuseum und dem British Museum produzierte Ausstellung war zuvor bereits in Kopenhagen und London zu sehen. 

Ganz, wie es auch von den Kuratoren geplant war: Das Beindruckendste ist das Schiff:

Die Roskilde 6 im Berliner Martin-Gropius-Bau Flickr, CC-BY-NC-SA Gertrud K.

Die Roskilde 6 im Berliner Martin-Gropius-Bau
Flickr, CC-BY-NC-SA Gertrud K.

Die Roskilde 6 ist ein Riesenschiff, gut 37 Meter lang, das längste jemals gefundene Wikingerschiff, passenderweise entdeckt während Bauarbeiten für das Wikingerschiffmuseum in Roskilde. Das gut zu erkennende Loch, das die Baggerschaufel in den Rumpf gerissen hat, macht gleichzeitig klar, wie zufällig archäologische Funde sein können – und wie bruchstückhaft die uns überlieferten Quellen. Jedenfalls aber kann man sich den Schrecken vorstellen, den solche Schiffe verbreiteten, wenn sie in Europa auftauchten, plündernde und mordende Wikinger ausspien und mit Wertgegenständen und Sklaven wieder verschwanden. Aber genau das tat dieses Schiff wohl nicht: Es handelt sich um ein Prunkschiff, eventuell ein königliches Schiff, gebaut nach 1025, als die typischen hit-and-run Wikingerangriffe auf europäische Märkte und Klöster längst vorbei waren. Die Besatzung der Roskilde 6 waren keine “Wikinger” im klassischen Sinne.

Fibeln und Steigeisen — nur einige der vielen archäologischen Exponate in der Berliner Wikingerausstellung Flickr, CC-BY-NC-SA Gertrud K.

Fibeln und Steigeisen — nur einige der vielen archäologischen Exponate in der Berliner Wikingerausstellung
Flickr, CC-BY-NC-SA Gertrud K.

Und Wikinger im klassischen Sinne will uns die Ausstellung wohl eigentlich auch gar nicht zeigen. Mit ihrer räumlichen Anordnung nach den Themenfeldern “Kontakte und Austausch”, “Glaube und Ritual”, “Macht und Herrschaft” betont sie ökonomische und kulturelle Kontakte zwischen Skandinavien und Europa, sowie Heidentum, Christentum und Sozialstrukturen innerhalb der sich verändernden skandinavischen Gesellschaft. Die Ausstellung folgt also ganz dem Stil der Zeit, die Skandinavier zwischen c.800 und c.1200 als friedliche Händler und Siedler auf der ganzen Nordhalbkugel, und als Heiden und Halbchristen in hierarchischen Gesellschaften zu Hause darzustellen. Andere sonst typische Themen, die hier vielleicht zu kurz kommen, sind die Stellung von Frauen, Bauern und Sklaven.

Selbst das letzte Themenfeld “Krieg und Eroberung” bedient das Wikingerklischee nicht wirklich. Eine umfangreiche Sammlung von Schwertern, Äxten und Zaumzeug nimmt einen ganzen Saal in Anspruch, erscheint aber dank Beschränkung auf rein technische Informationen eher wie eine unblutige Eisenwarenausstellung. Im zweiten Kriegssaal läuft ein Endlosvideo mit dunklen Schwertkampfszenen ohne historischen Bezug, über einer Grube mit (echten!) Skeletten. Hier werden uns die Skandinavier als Opfer präsentiert; es handelt sich um ein Massengrab aus England, mit enthaupteten…ja, was genau? Enthaupteten Männern, in der Ausstellung und im Audioguide noch beschrieben als hingerichtete skandinavische Krieger, in der Führung schon re-interpretiert als erschlagene skandinavische Zivilisten (die Skelette indizieren nach neueren Untersuchungen ein unsportliches ungefährliches, kein Kämpfer-Leben). Harmlose Skandinavier, die von Angelsachsen im Blutrausch massakriert wurden? Das ist das Wikingerklischee auf den Kopf gestellt!

Zur eher friedlichen Stoßrichtung paßt vielleicht auch, daß es ganz überwiegend eine archäologische Ausstellung ist – das klassische Wikingerbild dagegen wird ja besonders eindrucksvoll in europäischen Texten über ihre Angriffe und in skandinavischen Texten über ihre Heldentaten zelebriert. Ein paar skandinavische Texte hat man aber trotzdem hie und da zwischen all den archäologischen Fundstücken eingestreut. Ohne Hintergrundinformation zu den Edda- und Saga-Auszügen, und ohne ein Wort zum schwierigen Verhältnis zwischen Archäologie und Text ist dies nicht sehr gelungen; ein Ganz-oder-gar-nicht bezüglich der schriftlichen Quellen wäre vielleicht besser gewesen.

Replik des Jellinge-Steins in der Wikingerausstellung Flickr, CC-BY-NC-SA Gertrud K.

Replik des Jellinge-Steins in der Wikingerausstellung
Flickr, CC-BY-NC-SA Gertrud K.

Was haben wir hier also? Eine eher traditionell aufgemachte und nicht immer gut beschilderte Ausstellung mit nicht unbedingt gleichmäßigem geographischen Fokus (sehr viel Dänisches, sehr wenig Isländisches), mit teils beeindruckenden berühmten archäologischen Fundstücken von ganz klein bis ganz groß im Original (vom Jellingbecher über den Hiddensee-Goldschatz bis zur Roskilde 6) oder als Replik (der Jellingstein), die einen guten Rundumeindruck vom archäologischen Stand der Forschung zu Skandinaviern zu Hause und in der Ferne c.800–c.1200 gibt, ohne bahnbrechendes Neues zu bieten. Und ja, eine Ausstellung, die uns dezidiert Skandinavier präsentiert, aber – aus Marketinggründen? – “Wikinger” titelt. Hineingehen hat sich trotzdem gelohnt.

Ian Beuermann hat seine Spezialisierung als Mediävist mit Schwerpunkt Nordeuropa vor allem in Norwegen an verschiedenen Institutionen durchlaufen. Seit mehreren Jahren ist er Mitarbeiter und Lehrbeauftragter am Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität zu Berlin, derzeit als Vertretungsprofessor für skandinavistische Mediävistik.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/2821

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What is digitization?

I was attending an authors’ workshop in Vienna on the first days of October, a bunch of Austrian, German and French scholars are preparing an anthology on practices and perspectives on digital humanities. A stunning experience, since this was much more than your standard conference, but an internal meeting of like-minded colleagues who pursue a cultural studies perspective on the digital turn, just as I am trying to. No “proper” papers were given, it was more of an open discussion, “thinking aloud” together, exchanging thoughts, stimulating new takes on the topics discussed, challenging seemingly fixed views on the matter at hand. A very fluid process in a way and even somewhat demanding, a fact that often made me sitting silently because so many thoughts were running through my head. Plus I had a bad sleep on the one overnight stay I had, so the second day I wasn’t that lively.

I was the first to present some thoughts and I had chosen to propose a contribution on digitization “as a cultural technique” as I had called it first. Honestly, I chose the title since I thought it sounded cool, as I even admitted in my presentation. I then had chosen to change it to “digitization from a cultural studies perspective”. Now I am not even sure that is better…but the good thing was the openness that lay at the core of the workshop. So it was accepted that everyone came with unfinished thoughts, first drafts, albeit the level of elaboration differed.

I had been so naive as to have a take on digitization in a very concrete manner, namely the process of retrodigitization of archival or library material. When the discussion began, I instantly became aware of how little I had thought of the societal and broader cultural context of “digitization”. It wasn’t something I had never thought of, just when scribbling down some loose thoughts on what I would be trying to achieve with my contribution, it was all in a hurry and for the sake of having something to lean on during my performance.

The overall idea that I will maintain however, is that one should not see digitization as simply the technical process of transferring an analogue original into digital form. Instead of narrowing it down to the scanning or photographing or transcribing of the primary material, there are many steps in the process of digitization which are based on scholarly competence, intellectual resources and cultural bargaining processes about the standards and methods to be used. What’s more – what good is a digitized source when it rests unused on some server nobody knows about? So, dissemination is one of the key elements of anchoring the digitized material among the users.

We’ve been given scarce time to work out our contributions for mutual commenting among the authors. Sitting here, trying to elaborate the initial thoughts I had, I am sitting with my notes from the discussion and I notice how demanding it is to come up with a 20-page explanation of what digitization actually is. I am assuring myself that there is neither a possibility nor even a necessity to believe it has to – or even can be – exhaustive.

Quelle: http://hatn.hypotheses.org/146

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1864 und die Folgen, Teil 4 | 1864 between nation and region: The need for a new history

A guest contribution by Steen Bo Frandsen. Anniversaries always present a reason to look back and reflect about the past. In earlier times specific dates were chosen for celebrations, mourning or commemorations. Nowadays we experience a bombardment of events stretching over the whole year. The outbreak of the Great War was “celebrated” almost before 2014 began. Nobody could wait until August, and we are already now almost drowned in books and articles commemorating the war. Historians, journalists, directors of museums, film producers and travel agents all want to make money out of this unique occasion. Apart from the scale it is hardly different if we look at 1864 in Denmark. Attention is no longer focused exclusively on April 18th, the date of the decisive battle in Dybbøl. Conferences, exhibitions, re-enactments and other events run non-stop through the whole calendar of 2014. Even a TV series about that fatal year is threatening next autumn. It has been claimed that Danes are the only people to celebrate their own defeats. This is hardly true, but they have even learned to make a business and marketing out of their failures too.

To historians anniversaries are not least about funding. A jubilee itself offers an indisputable argument for “relevance”. What Marxists introduced in the 1970s when they argued that academic work had to be relevant, has now become the deadly weapon of their old enemies. So far anniversaries are the winners when it comes to funding historical research and events. Anything else would be stupid, because a whole industry is now commercialising anniversaries. And so it is in fact not that much about history, but certainly about money.

Why should 1864 be particularly relevant today? What are we supposed to celebrate? What should we remember? The importance of this outstanding year in Danish history is beyond any doubt, and 2014 is not going to change that. But it remains unclear what exactly we should commemorate. A bloody catastrophe and a national debacle? The final breakup of the Gesamtstaat and the birth of the nation-state? That we finally got rid of the Germans? Should we repeat the national myths? Or should we once more condemn the incompetent politicians with their dozens of false decisions?

It used to be much easier. 1864 was closely related to the national ideology, and the defeat was a decisive factor in the success of the nation building. One cannot separate the memory of 1864 from the hatred towards the Prussians as a part of national identity. The overwhelmingly strong neighbour made it easier to explain and forget one’s own mistakes. It made it possible to create the myth of being an innocent victim of an evil empire. Hatred became a constructive element in transforming loss and defeat into something positive to Danish identity. Only for a short time after 1864 the Danes were in fact a nation of losers. The defeat provoked a strong leap forward in the society, and it spread a much more realistic idea about the country’s own resources than was the case in most other nationalisms. 1864 showed the limits of territorial nationalism.

To modern Danish nationalism 2014 looks promising, but the reason is not as much 1864 as the European Elections that once more will boost red-and-white sentiments. Already their predecessors of the 19th century fought against “the European necessity” of the Gesamtstaat. Most politicians have grown tired of nationalist rhetoric however, but they have never been able to exorcize this element from society. The war and the strained relations to the Southern neighbour has been a part of this ever since 1864.

In 1964 thousands of people gathered at Dybbøl to commemorate the war of 1864. They met on the former battlefield around the mill that is one of the most famous national symbols. At this national event on holy ground the social democratic prime minister and ardent pro-European Jens Otto Krag held a speech and urged the Danes to move forward and engage themselves in Europe. He had hardly finished before King Frederik IX – a king that usually did not participate in political discussions – spontaneously held a speech himself in which he stressed the emotional, backward-orientated national memory. The prime minister did not succeed in historicizing the past. On the contrary Dybbøl and the mill remained prominent symbols to the nationalist movement in the long battle against the Common Market and the European Union in the following decades. Nationalists also succeeded in keeping German representatives away from the annual commemorations at Dybbøl until the beginning of the new millennium.

In this way the 18th April at Dybbøl remained a last retreat for a nationalism in the old germanophobic version. Perhaps this was a necessary obligingness towards a sentiment that dominated the development of the countries for a long time. The nationalists never found the right time to show magnanimity and transform the sentiments of the past into something new and constructive. This seem almost absurd compared to the impressive moments of reconciliation at Verdun or other places of much greater loss and horror than Dybbøl. But it also seems strange and inappropriate after 60 years of military alliance and a close relationship between the neighbours.

Even if it can be argued that the success of Tom Buk-Swientys book Slagtebænk Dybbøl (2008) has a lot to do with the return of war to Danish society after Bosnia, Iraq and Afghanistan, it is fascinating and strange at the same time how this long gone war of 1864 still captures the interest and imagination of the Danes. It is important though that Buk-Swienty did not repeat the old national narrative. He did not celebrate the Danish war but stresses the hardship of the soldiers and the problems behind the lines. The national way of describing a war without taking notice of the feelings and ideas of the other side is effectively opposed by quoting enemy voices that clearly demonstrate that the war was a terrifying experience to them too. A critical distance to the tradition can be seen in other publications from later years too. It reflects a certain “post-national” atmosphere, but it also can be seen as a confirmation of the total victory of the nation-state. There is no longer the same old need for drama and emotion. The nation-state and the national community can even do without the old enemy and is developing strategies for peaceful cross border cooperation.

In 2014 the politicians once again want to change the meaning of 1864. Well aware that the 150th anniversary could not be ignored the politicians have made it clear that they do not want the old history to dominate. Instead the anniversary should be an occasion to look forward. The leader of the Region of Southern Denmark, Carl Holst, explicitly stated his wish to push forward a region of growth across the border. It is quite difficult to see 1864 interpreted in a constructive way, but the year might of course be used to reinterpret history and change the focus from war and conflict to the many positive elements that can be found in the region’s past. Over the last decades the Danish-German border region has changed, but even though a much more relaxed and cooperative relationship has developed, the region is still marked by the conflict that reduced it to a sort of double periphery. The national movements that caused the conflict also celebrated the establishment of a clear border (although both sides wanted the border in a different place) as a victory in their national narratives. In the contemporary world it becomes still more evident however that a much closer cooperation is a necessity if this region shall prosper in the future.

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The storming of the Danish fortifications at Dybbøl, historical postcard
Flickr, CC-BY Statens Arkiver – Danish State Archives

The question is if – instead of trying to reinterpret 1864 – one should not search for a different history for the border region. An obvious possibility would be to reconquer the history of the region from the national interpretation of a never-ending conflict between incompatible neighbours. This way of seeing the history of Schleswig was constructed by national historians on both sides during the conflicts of the 19th century. This picture did not develop in the region. It was brought into the region from the outside, from the centres of nationalism in Copenhagen and Kiel. This narrative fuelled the conflict in Schleswig, and later it facilitated the integration of the two halves of the region into their respective nation states. Today the region has returned to a situation that has similarities with the times before the nation-state. At least we are far away from the border regime and the climate of aversion and antagonism of the old nation state. Could it be that the history of the border, the national conflict and 1864 might turn out to be a parenthesis in history?

The history of this region cannot be reduced to a history of conflict. The region was connecting and not the far end of the respective nation states. It was a passage and a transition. These concepts are much better descriptions of a region without a clear and homogeneous character. It was almost impossible to draw a border in this area. Languages, interests, identities and orientations were interwoven. The region showed why Danish and German seemed to be a continuity and not a dramatic break to many foreign observers. Schleswig was even in Denmark known as “Danish Holstein” to stress this complexity.

The 19th century ironically was an epoch of a new type of borders and at the same time one of movement and fast growing contacts to the outer world. It was no coincidence that the national discussions ran parallel to emotional debates about infrastructure. Roads, railroads, and steamship lines were eagerly discussed. Progressive liberals saw new possibilities and a hitherto unknown wealth in the future. They were fascinated by the possibilities to save time and to gain new information. Nationalists and conservatives did not always agree. They were more concerned with the threats against local habits and national identities. Effective lines of communication to the outside world were not an automatic gain. They wanted to control the flow of people and goods. It was important to decide where the Danes should send their dairy and cattle. A great example was the plan to build a railroad from Flensburg to Husum on the West coast of Schleswig. The intension was to open a new connection with Great Britain. The trains should not go any further to the South. The railroad should not be connected with the German railroads. It would only tempt the Danes to deal with their southern neighbours.

Even today infrastructure and the connections across the border on the peninsula are important issues in the public debate. In fact the infrastructure and the need to communicate effectively is probably the best choice if one wanted to propose a historic continuity fundamentally different from the narrative of conflict. Modern suggestions and plans for connections along the peninsula have much in common with past proposals, and even the arguments are quite similar to those of the middle of the 19th century. The problems and the obstacles are often similar too.

If the politicians on both sides of the border really want a change of narrative and a change of perspective in this area they cannot ignore the other dimension of the Schleswigian wars: the regional one. It is necessary to discuss the role of the region with respect to the nation-states and the balance between the economic centres outside the region. In the 19th century the conflict was also a battle between Copenhagen and Hamburg. Schleswig – the modern border region – lost that fight and therefore ended up being a divided periphery. A different development in this region can only be achieved with a much higher degree of cooperation and much less border.

Steen Bo Frandsen is a historian and Professor at the Department of Border Region Studies, University of Southern Denmark in Sønderborg. He has contributed extensively to the history of Danish-German relations and the history of the border region. Be it Schleswig as a lieu de mémoire or the discovery of Jutland in the 19th century, Frandsen is one of the most productive – and provocative – scholars on this field.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/2310

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Der Kampf um die Neutralität – der Zweite Weltkrieg im schwedischen Beredskapsmuseet

Ein Gastbeitrag von Doreen Reinhold. „Für die allermeisten Schweden ist Krieg eine Nicht-Erfahrung“  schreiben Lars Anderson und Mattias Tydén in der Einleitung ihres 2007 erschienen Sammelbandes über Schuld- und Moraldebatten in der schwedischen Nachkriegszeit. Während des Zweiten Weltkrieges verstand sich das neutrale Schweden als „friedliche Oase“ an der europäischen Peripherie, die sich im Verlauf des Krieges zur „Großmacht des Humanismus“ entwickelte. Dieses Selbstverständnis eines Landes, das seit 1814 keine Kriege mehr geführt hatte, nährte sich aus der Vorstellung, dass Frieden etwas spezifisch Schwedisches sei. Begründet wurde die Politik der strikten Neutralität zunächst weniger mit humanistischen Argumenten, als mit dem so genannten Kleinstaatenrealismus [småstatsrealisme]Schweden, als kleines Land, hätte im Kriegsfall kaum eine realistische Chance, sich einem möglichen Aggressor zu widersetzen. Neutralität war aus dieser Perspektive also nicht nur die moralisch überlegene, sondern auch die vernünftigere Politik.

Diese Paradigmen prägten die schwedische Erinnerungskultur in den Nachkriegsjahren nachhaltig. Ähnlich wie in vielen anderen europäischen Staaten begannen vor allem junge Forscher erst in den Neunziger Jahren die bisherige Geschichtsschreibung in Frage zu stellen. Die weitreichenden Zugeständnisse der schwedischen Regierung an Deutschland als Nebeneffekt des småstatsrealisme, die rigide und antisemitisch gefärbte schwedische Flüchtlingspolitik und sogar die vielgerühmte Rettungsaktion der weißen Busse gerieten zunehmend in die Kritik. Diese Debatten halten zum Teil bis heute an und haben die schwedische Erinnerungslandschaft stark verändert.

In dieser Zeit des Umbruchs gründete der Militärgeschichtsenthusiast Johan André zusammen mit seiner Frau Marie ein Museum in der Nähe von Helsingborg, das dem Narrativ des friedlichen Schwedens eine patriotische, kämpferische Perspektive entgegen setzt. Auf den Ruinen der ehemaligen Batteri Helsingborg wurde 1997 das Beredskapsmuseet eröffnet, das an die Bereitschaft des schwedischen Militärs auf einen deutschen bzw. sowjetischen Angriff erinnern soll.

Das neu entstandene Beredskapsmuseet war zu Beginn ein klassisches Militärmuseum, das vornehmlich Waffen- oder Panzertypen aus den 1940er Jahren zeigte. So war das wichtigste Exponat der Sammlung die Kanone „Maja“. Das Geschütz war Teil der sogenannten Skånelinje, die aus mehreren Bunkern und Kanonen bestehend, in den 1940er Jahren als Verteidigungslinie in Erwartung eines deutschen Angriffs entlang der schwedischen Küste errichtet wurde.

Im Bunker der Kanone Maja wurden die ersten Teile des Museums integriert, die ausschließlich Informationen zu den militärischen Aspekten der so genannten „Bereitschaftszeit“ [beredskapstid] vermittelten. Später wurde die Ausstellung mehrfach erweitert. Auf dem Gelände befinden sich heute noch ein weiterer unterirdischer Bunker mit einer Überblicksausstellung zum Zweiten Weltkrieg, eine nachgebildete Kriegsbaracke aus den 1940er Jahren, die sogenannte „Kanonenhalle“, in der mehrere Panzer, große Geschütze u.ä. ausgestellt sind, und eine Flugzeughalle in der, neben dem Museumsshop und -café, verschiedene kleine Wechselausstellungen untergebracht sind. Mit diesen Erweiterungen zeigt das Museum inzwischen viele verschiedene Aspekte des Krieges und der beredskapstid in Schweden auf. Ein klarer Fokus auf das Militärische ist jedoch nach wie vor erkennbar.

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En svensk tiger…
Wikimedia Commons
CC-BY-SA Anders Lagerås

Anders als die übliche Interpretation der „friedlichen Oase“ portraitiert das Museum Schweden als Militärnation auf Abruf und erweckt dabei beinah den Eindruck, Schweden sei nicht nur „bereit“ für den Krieg, sondern tatsächlich beteiligt gewesen. Die schwedische beredskapstid ist nicht mehr Ausnahme, sondern Teil der Geschichte des Zweiten Weltkrieges. Symbolhaft für das Einschreiben der schwedischen Neutralität in die schwedische Militärgeschichte steht das Logo des Beredskapsmuseet „en svenk tiger“. Die Grafik des blau-gelben Tigers wurde 1941 von Bertil Almqvist für die so genannte Wachsamkeitskampagne des Staatlichen Informationsamtes [Statens informationsstyrelse (SIS)] ((Diese 1940–45 tätige staatliche Behörde  hatte die Aufgabe, die öffentliche Meinung zu beobachten und zu beeinflussen, v.a. Pressorgane.] erstellt. Der Slogan „en svensk tiger“ ist im Schwedischen doppeldeutig und kann sowohl mit „ein schwedischer Tiger“ als auch mit „ein Schwede schweigt“ übersetzt werden. Das Wortspiel sollte die schwedische Bevölkerung auf Verschwiegenheit einschwören, um möglichen Spionen keine Details der schwedischen Verteidigungsstrategie zu verraten. Kritik an der neuformierten samlingsregering (die Allparteienregierung, die zur Sicherstellung der inneren Stabilität unter Staatsminister Per Albin 1939 gebildet wurde) und ihrem Kurs war unerwünscht und fand in den wichtigsten Medien der Zeit keine Verbreitung. Diese Beschneidung der Meinungsfreiheit steht heute selbstredend in keinem guten Licht und auch der strategische Nutzen dieser Maßnahme wird heutzutage stark bezweifelt. Viele Schweden empfinden die damalige Informationspolitik der Propagandabehörde SIS als Selbstzensur und höchst undemokratisch.

Die von Almqvist gezeichnete Grafik wurde nach dem Krieg für die Öffentlichkeitsarbeit des schwedischen Militärs weiter genutzt. Bereits in dieser Funktion ist der Tiger ein Symbol für die aktive Verteidigung der schwedischen Neutralität – Verschwiegenheit und Zusammenhalt der Bevölkerung werden mit militärischer Bereitschaft gleichgestellt. Das Beredskapsmuseet verstärkt diese Umdeutung noch einmal indem es in seinem Logo den von Almqvist gezeichneten Tiger auf einem Kanonenrohr platziert. Das Logo soll die kämpferische Bereitschaft der Schweden während der beredskapstid symbolisieren und nimmt damit die Perspektive der Ausstellung für den Besucher bereits vorweg.

In den neunziger Jahren entbrannte ein zehnjähriger Rechtsstreit um die Bildrechte an Almqvists Grafik zwischen dem Museum und dem schwedischen Militär, den, für alle überraschend, das Beredskapsmuseet für sich entscheiden konnte. Heute besitzt das Museum die alleinigen Bildrechte für den blau-gelben Tiger und hat für die Zeit der doppelten Nutzung des Bildes eine hohe Entschädigungssumme erhalten. Den Slogan selbst konnte das Museum jedoch nicht ausschließlich für sich beanspruchen. Unter dem Namen „En svensk tiger“ tritt heute, ganz friedfertig, eine Stockholmer Indieband auf: http://ensvensktiger.net/

Dem stetigen Erfolg des Beredskapsmuseet wird diese Re-interpretation des Slogans sicher keinen Abbruch tun. Offensichtlich findet die patriotisch-kämpferische Perspektive auf die beredskapstid sein Publikum, denn die Besucherzahlen des Museums steigen stetig.

Doreen Reinhold ist Doktorandin am Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität zu Berlin, wo sie an einem Dissertationsprojekt über die museale Darstellung des Zweiten Weltkrieges in Norwegen und Dänemark arbeitet. Ihr Forschungsinteresse gilt dem Erinnern und Gedenken des Zweiten Weltkrieges und des Holocausts in Skandinavien, der Museologie und der jüdischen Geschichte Nordeuropas.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/2145

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1864 und die Folgen, Teil 2 |’This here Schleswig-Holstein rumpus’. British public opinion, 1863–1866

A guest contribution by David G. Kirby.

 

‘This here Schleswig-Holstein rumpus/han’t bin brought about by much/
all, for aught I can compass/speakin Danish for High Dutch’.

This piece of doggerel, published in Punch in the spring of 1864, may be seen as a typical reaction of the British ‘man in the street’ to the crisis in the duchies in 1863–64. What even the Times referred to as the ‘miserable’ question of the duchies puzzled readers of the British press, in spite of lengthy articles seeking to explain the intricacies of the various claims. There was also a great deal happening elsewhere in the world – the Risorgimento in Italy, the Polish revolt, and the civil war in the United States, to name but three major events which claimed the attention of newspaper readers. Nevertheless, the Schleswig-Holstein question was rather more than a troublesome minor issue that might afford what one provincial newspaper dismissed as ‘materials for amusement’ for English readers. For a start, British foreign policy and its concern for the European balance of power was involved. The statements and actions of the Foreign Secretary Lord John Russell came in for heavy criticism, particularly after he appeared in autumn 1862 to propose that Denmark and the three duchies should each have separate governments. ‘Such restless and impotent meddling’, in the view of the Times had proved disastrous in the past for British foreign policy.

Britain was also a signatory of the 1852 London Protocol, about which there was much confusion. On the whole, the provincial press tended towards a sceptical view of the agreement, ‘a dangerously dirty piece of business’ in the opinion of the Dundee Courier and Argus. In radical circles, the hand of autocratic Russia was clearly behind the London Protocol. It was nothing more than the transcript of a protocol concluded by the Danish minister and two Russian emissaries a year earlier in Warsaw, the wealthy industrialist and prominent radical George Crawshay told a packed meeting in Gateshead in February 1864, and the whole purpose of a highly complicated series of appended reservations to the protocol was to bolster the Russian claim to the throne of Denmark in the event of the failure of the Glücksburg line. The major Scottish newspapers were markedly more hostile than their English counterparts towards the Glücksburg claim. In the opinion of the Dundee Courier, it was based solely on the 1852 agreement, forced on all parties as a ‘European necessity’. Prince Christian, the Glasgow Herald informed its readers, was despised by the Danes as a foreign intruder and hated in the duchies for deserting their cause in 1848. The fact that Christian’s daughter Alexandra had only recently married the Prince of Wales seems nowhere to have prompted sympathy for the house of Glücksburg. This may reflect the gross inability of the Danes to pursue their argument in the British press, where German propagandists such as Karl Blind were very successful in having their views published, but it might also be an indication of the rather low esteem in which the British royal family was held at the time.

If the British press was lukewarm at best to the claims of Prince Christian, it did not evince much enthusiasm for the Augustenburg claimant either. The Times believed that the revolutionary implications of duke Friedrich’s claims were feared in Berlin and Vienna and would thus dispose the Prussian and Austrian governments to adopt a moderating position. As late as the end of November 1863 the Times could confidently assert that ‘there is no reason to complain of the conduct of Prussia and Austria on the question of the Danish succession’, and it continued to believe that Prussia and Austria ‘are more sincere than Denmark believes’ (20 Jan 1864). The renowned ‘Thunderer’ was palpably shocked when the two powers decided a week later not to suspend operations against Schleswig in spite of concessions made and promised by Denmark. Within a fortnight of the invasion of Denmark, the Times could only counsel the Danes to concede defeat whilst lamenting the fact that Prussia and Austria had openly repudiated the 1852 agreement.

Düppeler Schanzen. Nach dem Sturm der preussischen Truppen am 18. April 1864. Schanze Nr. 5

The Fortifications at Dybbøl.
After the storming by Prussian troups on April 18th, 1864.
Sconce no. 5
Wikimedia Commons, German Federal Archive Collections, public domainpicture no. 146-1972-055-50     

The notion that the war was simply a continuation of 1848, an attempt by German nationalism to drag the sovereigns in its wake, encapsulated in the words of one of the special correspondents of the Times that ‘the attack is made upon Denmark, but the blow is aimed at Prussia and Austria’, did not find favour in much of the provincial press, where there was deep suspicion of Prussian designs. The conclusion of the piece of doggerel verse published by Punch was that ‘Their true object and endeavour/is a navy to create’, and the port of Kiel was singled out in a number of newspapers as the desired object of Prussian intervention. In contrast to the Times, which tended to see the conservative great powers as the guarantor of peace in Europe in the face of revolutionary upheaval, newspapers of a more liberal persuasion expressed some understanding and sympathy for the aspirations of the German speakers of the duchies.

If in the run-up to the outbreak of hostilities in 1864 British liberal opinion took a dim view of the Prussians for abandoning their own struggle for constitutional liberty and flinging themselves into the hands of the man whom the liberal MP Charles Buxton denounced as ‘that wretched charlatan Count Bismarck’, it did not markedly warm to the Danish cause either. Danish policy in the duchies since 1850 was widely criticised. In ‘A letter to one of his constituents’ the liberal MP Harry Verney adopted an analogy beloved of the Victorian mind. ‘When we see two big schoolboys beating a little boy, and the little fellow sticking up bravely in the unequal contest, we are delighted with the pluck of the little hero, and long to take part for him in the fray. But when we learn that the little boy has been a sad bully to a child smaller and weaker than himself … we feel a painful regret; and then if, on enquiry, we find that the two big fellows are interfering on behalf of a child whom they promised to protect — our warmest sympathy is transferred to the least and weakest victim in the affair.’

Sympathy for Denmark did increase once hostilities commenced in earnest. Typical is the editorial comment of the Bradford Observer on 4 February 1864 which thought that success for the Danes ‘would be a victory for humanity, while the triumph of Germany would only prove that might is right’. However, in common with other provincial newspapers, the Bradford Observer was alarmed by the bellicose articles carried by the London press. There was much concern that Lord Palmerston was contemplating intervention on the Danish side, and worries that the peace party led by the radical MP John Bright would not be up to the task of controlling the wily British prime minister. In words which have an uncomfortable echo at the present moment, the Observer concluded that although sympathy for Denmark is strong, ‘we love peace, and with our nice little balance at our bankers, we are naturally very loth to let ourselves be dragged into war. Technically, we are not bound to go to war for the integrity of Denmark. Is it not natural therefore, that we should, as a people, feel irresolute?’

The crisis did not end with the defeat of Danish forces. Coverage of the Schleswig- Holstein question in the national British newspapers was, if anything, more intense during the Austro-Prussian occupation, with special correspondents regularly filing lengthy reports from Kiel or Flensburg. The tone of these reports is generally the same: all hopes of local independence are being crushed by Prussia. ‘Complaints are heard on all sides that the country is treated as a conquered province’ commented the special correspondent of the Morning Post at the end of January 1865, whilst the York Herald declared in April that Bismarck’s aim from the first was not the liberation and independence of the duchies, but their severance from Denmark in order to enable Prussia to increase its territory and become a maritime power.

It was indeed the role of Prussia that proved to be a turning-point in British attitudes. Hitherto, there had been a fairly common British perception of Germans as dreamy folk, fond of beer and cloudy philosophising. The policy over Schleswig-Holstein pursued by Bismarck changed all that. In the run-up to the final crisis, the British newspapers frequently looked to see what the emperors of France and Russia would do. Prussia was seen either as a restraining influence upon the quasi-revolutionary tendencies of the German Confederation or as still enmeshed in its own internal political struggles.

Bismarck emerged only gradually as the decisive arbiter, but, as the Dundee Courier and Argus reminded its readers in January 1866, the history of the past few years had revealed him as a ‘bold, able and dangerous man’. The British press still expected him to stumble against the forces of liberty, whether in the person of the heir to the Prussian throne or simply public opinion: ‘happily for the world’, the Courier assured its readers, ‘even a Prussian Count in these days cannot expect to found on a solid and stable basis a lasting system of absolutism and reaction.’ Here, as in many other instances, the liberal British press displayed a jaunty optimism that was to be rudely shattered over the next decades.

David Kirby is one of the most prolific experts on the history of Finland, Scandinavia and the Baltic Sea Region in the English-speaking world. As a Reader and later Professor, he taught Modern History at the School of Slavonic and East European Studies at the University of London until his retirement in 2005. He is best known for his two-volume history of the Baltic World (published 1990 and 1995) and has published widely on Finnish history, his Concise History of Finland  being his latest monography on this field. He has been a guest contributor once before on NordicHistoryBlog with a piece on Finnish constitutional development and political culture in the aftermath of independence.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/2255

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1864 und die Folgen, Teil 1 | Dänemark, der Gewinner der Geschichte

Ein Gastbeitrag von Bernd Henningsen. Ganz zweifellos ist das Jahr 1864 ein annus horribilis, ein Schreckens-, auf jeden Fall ein Schicksalsjahr in der deutsch-dänischen Erinnerungskultur – freilich für beide Seiten ganz unterschiedlich konnotiert. Mit dem verlorenen Zweiten Schleswigschen Krieg ist Dänemark definitiv zu einer europäischen Randmacht geworden; wobei das Wort „Macht“ angesichts der verbliebenen (Rest-) Größe ein Widerspruch in sich ist. Allerdings wurde die auto-stereotype Floskel „Dänemark ist ein kleines Land“ bereits vor 1864 benutzt; denn eine periphere Macht und in der Tat ein sehr kleines Land war Dänemark ja de facto bereits seit dem Verlust Norwegens 1814 geworden. Doch fünfzig Jahre haben eine mentale Selbstblockade und eine verherrlichende Sicht auf eine scheinbar gloriose Vergangenheit verhindert, den Verlust auch politisch und kulturell zu verarbeiten. In selbstkritischer Absicht hat beispielweise Søren Kierkegaard (1813–55) seinen Zeitgenossen immer wieder ihre Selbstbezogenheit und ihre Realitätsvergessenheit vorgehalten; er war ja wacher Zeitgenosse der reduzierten Nation, die den wachsenden Verlustschmerz mit parallel wachsendem Nationalismus kompensierte.

Die nach 1864 folgende ökonomische und kulturelle Blüte konnte den neuerlichen Verlustschmerz schwerlich mindern; auch die über Europa hinausreichende (informelle) Machtposition König Christian IX. (1818-1906, auf dem dänischen Thron seit 1863) hat die politische Marginalisierung nicht übertünchen können: Der „Schwiegervater Europas“ (und durch ihn Dänemarks) war durch Verwandtschaftsbeziehungen im monarchischen Netzwerk seiner Zeit zum dynastischen Zentrum der regierenden Häuser geworden, so wurden u.a. ein Sohn König von Griechenland, ein Enkel König von Norwegen, eine Tochter Zarin von Russland, eine andere Königin von England …

Das moderne dänische politische und kulturelle Selbstverständnis – gewöhnlich als „nationale Identität“ etikettiert – hatte und hat unbestritten ihren Nabel im Jahr 1864. Auch für die deutsche Erinnerungskultur war 1864 ein zentrales Datum, es ist aber heute (seit wann eigentlich?) in Vergessenheit geraten, wie so viele Daten deutscher Geschichte vor dem Holocaust in der deutschen Erinnerungskultur nicht mehr auftauchen: Nur wenigen Deutschen dürfte präsent sein, dass mit „Düppel“ – dem Sieg Preußens und der verheerenden dänischen Niederlange – die Basis für die deutsche Reichsgründung 1871 gelegt wurde; nur wenige dürften mit dem Berliner „Alsen-Viertel“ etwas anfangen können; nicht zu reden von der Erzählung um die Siegessäule, deren drei vergoldete Reihen von Kanonenrohren an die preußischen Siege von Düppel (gegen Dänemark), von Königgrätz 1866 (gegen Österreich) und von Sedan 1870 (gegen Frankreich) zeugen sollten. Vergessen heute ist, wie besoffen die preußische (und deutsche) Nation in den Reichsgründungsjahren und bis zum Ersten Weltkrieg war von dem Sieg über die ungleich schwächeren Dänen. In der Essayistik und den Romanen Theodor Fontanes klingt davon einiges an – wie auf der dänischen Seite bei Holger Drachmann oder Herman Bang die zeitgenössische nationale Vernebelung literarisch geadelt wird (die Beispiele der malenden Kunst sind schlichte politische Agitation, auf beiden Seiten).

1864 hat den schlechten Ruf „der“ Deutschen in Dänemark nicht begründet, ihr Ansehen war bereits davor ziemlich ramponiert; so hat bereits der Vater des dänischen politischen Selbstverständnisses, Nikolai Frederik Severin Grundtvig (1783-1872), heftig gegen die präpotenten Deutschen gewettert. Nein, 1864 lieferte für die Erinnerungskultur die Bestätigung, dass Preußen (und Deutsche) einen schlechten Charakter haben, machtbesessen und rücksichtslos sind – der Zweite Weltkrieg und die Besetzung u.a. Dänemarks 1940 lieferten die Bestätigung eines funktionierenden Stereotyps.

Der doppelte Treppenwitz der Geschichte muss in diesem Zusammenhang aber auch erzählt werden: Zum einen gab es ein wie auch immer beleumundetes „Deutschland“, schon gar „die“ Deutschen um 1864 noch nicht; zum anderen existiert heute von den drei damals kriegführenden Mächten nur noch eine: Dänemark. Österreich-Ungarn, das auf Seiten des Deutschen Bundes gegen Dänemark mit böhmischen Soldaten am Zweiten Schleswigschen Krieg beteiligt war, wurde 1919 in Saint Germain in seiner historischen Gestalt getilgt (und wurde ebenfalls ein Kleinststaat), Preußen verschwand 1947 durch Alliierten Kontrollratsbeschluss aus der Geschichte. Dänemark, der Verlierer von 1864, hat in seiner nationalen Gestalt überlebt und darf sich insofern als der Gewinner der Geschichte betrachten. Ja, Dänemark ging sogar vergrößert aus der „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ hervor, ohne an diesem Krieg beteiligt gewesen zu sein; es ereignete sich der historisch ziemlich einmalige Fall, dass ein Nicht-Kriegsteil­nehmer Territorium hinzugewann: Nach einer in Versailles beschlossenen Volksabstimmung wurde 1920 die deutsch-dänische Grenze nach Süden verschoben, Dänemark erhielt Nordschleswig, wurde „wiedervereinigt“.

Und noch über eine Merkwürdigkeit im Zusammenhang mit der Regelkonstruktion von Erinnerungskultur, in diesem Falle auch zur dänischen Geschichte, kann man sich wundern: Am 18. April, dem Gedenktag an die Niederlage von Düppel, dem nachhaltigen Verlustereignis, werden alljährlich in ganz Dänemark die Fahnen auf Vollmast gezogen, es wird also ein Feiertag begangen; am 9. April hingegen werden alljährlich zur Erinnerung an 1940, dem Einmarsch deutscher Truppen 1940 nach Dänemark (und Norwegen) die Fahnen auf Halbmast gesetzt … Sollte es nicht umgekehrt sein?

Dass es 150 Jahre nach der „Schlachtbank Düppel“, also nach dem ersten Akt der deutschen Reichsgründung auf dem Kriegstheater, so gut wie keinen deutschen Erinnerungsnachhall gibt, kann man in bester 68er-Tradition als ein gutes Zeichen wähnen – die kriegerisch-militärische Erinnerungskultur, ja die Selbsterzählung der Nation als aus dem Krieg geboren, spielt heute keine Rolle mehr. Die Nation geriert sich als postnational. Entgegenhalten sollte man dieser Interpretation aber – also der historischen Ignoranz –, dass sie auch als Arroganz des Großen gegenüber dem kleineren Nachbarn gewertet werden kann, dessen Verlusterfahrung ja mindestens einige Generationen beschäftigt hat. Ignoranz steht quer zu Empathie.

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Der Flensburger oder Idstedt-Löwe
Quelle: Wikimedia Commons, CC-BY Soenke Rahn

Das außerordentliche Beispiel für die Empathie-lose deutsche 1864er-Erinnerungskultur ist der Umgang mit dem „Idstedt-Löwen“. Er war 1862 auf dem Flensburger Alten Friedhof zur Erinnerung an den dänischen Sieg von Idstedt 1850 aufgestellt worden; bevor die Preußen 1864 einmarschierten, stürzten aufgebrachte Flensburger ihn, Bismarck ließ ihn als Trophäe nach Berlin bringen und im Zeughaus aufstellen (später in der Kadettenanstalt in Lichterfelde); 1945 wurde er zerlegt und nach Kopenhagen gebracht und im Hof des dortigen Zeughaus-Museums aufgestellt. Das dänische Angebot, ihn wieder nach Flensburg zu verbringen, stieß dort penetrant auf taube Ohren – handelte es sich doch um ein dänisches Siegesmonument! Erst 2010 stimmte der Flensburger Stadtrat einer Wiederaufstellung am angestammten Platz zu – und dort steht er seit 2011 als Manifestation einer gemeinsamen deutsch-dänischen Erinnerungskultur (wie umstritten die Entscheidung auch immer noch ist), „als Zeichen von Freundschaft und Vertrauen zwischen Dänen und Deutschen“, wie es auf einer Tafel heißt. In der Stadt unübersehbar sind Freundschaft und Vertrauen gewachsen, ist doch die Stadt zu einem Handelsmagneten für dänische Grenzreisende geworden, insofern ist das Siegesdenkmal auch eine Reverenz an Handel und Wandel mit dänischen Gästen.

Gedenktafel an der Kopie des Flensburger Löwen am Wannsee, Berlin Quelle: Wikimedia Commons, CC-BY-SA OTFW

Gedenktafel an der Kopie des Flensburger Löwen am Wannsee, Berlin
Quelle: Wikimedia Commons, CC-BY-SA OTFW

Die deutsch-dänische Erinnerungskultur im Grenzgebiet, aber auch darüber hinausreichend, war niemals eine gemeinsame, konnte keine gemeinsame werden. Die vergangenen unsäglichen Löwen-Diskussionen, die seit 1864 währende Sprachlosigkeit, die 1920 und 1940 noch vertieft wurde, belegen die je nationalen Erinnerungs-Unkulturen, in denen vom Gegenüber nur selten etwas wahrgenommen, gar gewusst wurde. Kriegsdenk- und Mahnmale, Erinnerungsmärsche, Museen, ja selbst Forschungsinstitutionen waren den nationalen Erfahrungen und Ereignissen gewidmet, selten nur schien das Bemühen um eine gemeinsam erlittene Geschichte durch. Ganz offensichtlich hat sich diese Empathie-Unwilligkeit in den letzten Jahren geändert. 2014 hätte das Jahr werden können, die Klimaveränderung mit einer symbolischen Geste zu manifestieren – wie es aussieht, werden die dänische Königin und der deutsche Bundespräsident sich aber in Düppel nicht begegnen, sie werden sich auf der deutsch-dänischen „Schlachtbank Düppel“ nicht die Hände geben. Das gemeinsame Erinnern an den Beginn des Zweiten Deutschen Reiches, das zugleich das Erinnern an die schwerste Demütigung Dänemarks in neuerer Zeit darstellt, wird wohl aus irgendwelchen Terminnöten keine gemeinsame symbolische Erhöhung erfahren. Wie froh können wir sein, dass es nur Terminnöte sind …

Was lernen wir aus der Erzählung von der Erinnerungskultur? Im Grunde wesentlich nur, dass sie aus welchen Interessen auch immer eine konstruierte ist. Der Optimist wird sagen, wir verarbeiten unsere geschichtliche Erfahrung, um heute und morgen mit unseren Nachbarn friedlich zusammenzuleben, insofern waren die Opfer von damals der Preis für den Frieden von heute. Der Pessimist wird sagen, dass das erinnert und kultiviert wird, was in der je historischen und politischen Situation gerade das Opportune, das politisch und wirtschaftlich Nützliche. Aus diesen zwei Perspektiven heraus können wir uns dann entscheiden, ob die Erinnerungskultur die Hure des Zeitgeistes ist oder die konstruierte List der Vernunft.

Bernd Henningsen (* 1945) war bis 2010 Professor für Skandinavistik/Kulturwissenschaft sowie Kultur und Politik Nordeuropas und der Ostseeregion am Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität zu Berlin. Er hat u.a. zur skandinavischen Ideengeschichte, politischen Kultur Nordeuropas sowie den deutsch-nordischen Geistesbeziehungen geforscht.

Anmerkung der Redaktion: Eine kürzere Fassung dieses Beitrags erschien jüngst in Ausgabe Nr. 101 von Kennzeichen DK, herausgegeben von der dänischen Botschaft in Berlin.

Seit 14. März ist zudem die Ausstellung Feindschaft & Versöhnung. Das deutsch-dänische Grenzland 1864–2014 in den Nordischen Botschaften in Berlin zu sehen.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/2207

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Nordische Mythologie goes digital: Thor und Odin auf dem Tablet-PC

Ein Gastbeitrag von Thomas Mohnike. Was passiert, wenn man Thor, Odin und Freyja aus den isländischen Manuskripten, den Einführungswerken und Edda-Editionen auf das iPad umsetzt, um sie der „taktilen Leserschaft“ näher zu bringen? Ist dies nicht eine Leserschaft, die oft in Computerspielen wie Age of Conan, World of Warcraft, in Filmen wie Lord of the Rings und Thor, in japanischen Mangas und norwegischem Black Metal die erste Bekanntschaft mit Odin und Loki gemacht haben? Wie muss man sich den Mythen des alten Nordens nähern, damit neuen Nutzer zugleich Spaß und Interesse entwickeln, um in die bekanntermaßen schwierige und oft unbefriedigende Welt der Quellen einzutauchen? Laut MacLuhan und anderen Medientheoretikern verändert sich das, was man erzählt, wenn man das Medium wechselt. Inwiefern hat also die gegenwärtige Medien(r)evolution einen Einfluss auf das, was wir im Bereich der Skandinavistik und der Nordeuropäischen Geschichte zu erzählen haben?

Die beste Art, solche Fragen zu beantworten, ist vielleicht das Live-Experiment. Nach einer Begegnung mit Wouter van der Veen, Dozent an der Université de Strasbourg und Autor einer Applikation zu van Gogh, war schnell der Wunsch geboren: Ja – lasst uns sehen, wie ein derart spannendes wie auch komplexes Thema in diesem neuen Medium aussieht, wie es sich verändert und was es auf andere Art und Weise erklärt. In Zusammenarbeit mit einem schnell gewachsenen und interdisziplinären Team – neben dem Verfasser dieser Zeilen sind hier Pierre-Brice Stahl, Gabriela Antunes und Giacoma Bottà zu nennen, Loïc Sander stand für die graphisch-technische Umsetzung – entstand so Dreams of Valhalla, eine iPad-Applikation, die die Vorteile eines klassischen, typographisch anspruchsvoll gestalteten Buches mit jenen des neuen Mediums kombiniert – Video-Interviews mit Experten und Praktikern der Nordischen Mythologie, interaktive, taktile, didaktische Elemente, hochauflösende Bilder von Manuskripten, die man anfassen und auch – vorsichtig – wieder säubern kann, wenn allzu viele Fingerabdrücke hinterlassen hat.

dreamsofvalhalla

Die Applikation ist in drei große Abschnitte geteilt – Quellen, Mythen und Rezeptionen. Sie sensibilisiert also zunächst dafür, auf welche Quellen wir uns stützen können – und vor welche Probleme diese Quellen uns stellen. Es folgt eine umfassende Einführung in das Erzähluniversum der nordischen Götter, um schließlich am Ende in einem historisch-geographischen Kapitel die Rezeptionsgeschichte zu erläutern und anzudeuten, wo wir heute jene Mythen finden können, und warum sie so aussehen, wie sie heute aussehen. 250 Seiten Texte, Bilder, Manuskripte, 55 Minuten Video und zahlreiche interaktive Elemente – das alles findet sich in dieser iPad-App.

Die interessantesten interaktiven Elemente finden sich vielleicht im Quellenteil. Hier kann der Leser das komplexe Verhältnis von Edda-Liedern und Manuskripten durch Berührung mit dem Finger erfahren und dabei verstehen, wie dynamisch und heterogen das Korpus der Edda-Lieder ist. Ein anderes Element lässt den Benutzer einen Runenstein transkribieren und dabei entdecken, wie faszinierend und doch zugleich enttäuschend Runensteine bezüglich der nordischen Mythen sind.

Dreams of Valhalla – Trailer from arthénon on Vimeo.

Vielleicht die größte Verwandlung im Vergleich zu klassischen Einführungen hat die Präsentation der Mythen erfahren. Inspiriert von neueren Überlegungen zur erzählerischen Instabilität der nordischen Mythen, insbesondere durch die einschlägige Studie von Anette Lassen, haben wir das Erzählen in den Mittelpunkt gestellt: Was erzählen die Mythen über Liebe und Leidenschaft, Krieg und Hass, die Erschaffung der Welt und ihr Ende? Wir versuchen also nicht, einen Pantheon zu erklären, sondern das Erzähluniversum der Mythen zu erkunden, ohne die stellenweise beeindruckende Widersprüchlichkeit glätten zu wollen.

Dreams of Valhalla existiert im Augenblick nur für das iPad. Die Software, die unsere Götter im Hintergrund antreibt, ist noch nicht mit den anderen gebräuchlichen Betriebssystemen kompatibel. Wir hoffen, dass die zuständigen Informatiker bald Rat bei Mimirs Quelle suchen.

Das Wichtigste in Kürze:

Dreams of Valhalla. Erhältlich auf iTunes zum Preis von € 4,49.

Autoren: Thomas Mohnike mit Gabriela Antunes, Giacomo Bottà und Pierre-Brice Stahl.

Verleger, Herausgeber und technische Umsetzung: Wouter van der Veen und Loïc Sander.

Link zur Facebook-Präsenz des Projekts.

Dr. Thomas Mohnike ist Maître de conférences am Département d’études scandinaves an der Université de Strasbourg. Der Literatur- und Kulturwissenschaftler hat zu den skandinavischen Literaturen, der Darstellung des Eigenen und des Fremden in diesen und mit der modernen Rezeption nordischer Mythologie geforscht. Er beschäftigt sich auch mit der Geschichte der Germanenkunde und Skandinavistik an der einstigen “Reichs-Universität” Straßburg.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/1616

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Quellennetzwerke der DDR-Auslandsspionage im Ostseeraum

Ein Gastbeitrag von Kimmo Elo. Der Kalte Krieg brachte auch die Teilung des Ostseeraums mit sich, so dass der berühmte eiserne Vorhang nicht nur durch das kontinentale Europa, sondern auch durch den Ostseeraum lief. Obwohl die nordischen Länder – Finnland, Schweden, Norwegen, Dänemark und Island – alle zur westlichen Gemeinschaft gehörten und eine „imagined community“ (Benedict Anderson) formierten, so sind – was den internationalen Handlungsspielraum der nordischen Länder angeht – unter dieser gemeinschaftlichen Oberfläche auch deutliche Unterschiede erkennbar. Wegen seines mächtigen Nachbars, der Sowjetunion, besaß Finnland den kleinsten Handlungsspielraum. Schweden als neutrales Land (oder zumindest ohne Bündniszugehörigkeit) in der Mitte konnte sich einen relativ großen Handlungsspielraum leisten. Dagegen wurde der internationale Handlungsspielraum der drei NATO-Mitgliedstaaten Norwegen, Dänemark und Island durch diese Bündniszugehörigkeit eingeschränkt.((S. dazu Steinbock, D. (2008). NATO and Northern Europe: From Nordic Balance to Northern Balance. American Foreign Policy Interests, 30(4):196–210; Musiał, K. (2009). Reconstructing Nordic Significance in Europe on the Threshold of the 21st Century. Scandinavian Journal of History, 34(3):286–306.))
Operational lag der Schwerpunkt der DDR-Auslandsspionage auf der Bundesrepublik Deutschland sowie den europäischen NATO-Staaten. Diesen gegenüber spielten die nordischen Staaten eine eher marginale Rolle. Insgesamt wurden zwischen den Jahren 1969 und 1989 insgesamt 6.500 Informationen zu den nordischen Angelegenheiten an die HV A geliefert. Da im gleichen Zeitraum mehr als 450.000 Informationen bei der HV A eingingen, waren die nordischen Länder mit ihrem Anteil von 1,4 % eher das Schlusslicht.

Netzwerk_Ostseeraum

Abbildung 1: Quellen und Lieferungen zu nordischen Angelegenheiten aus dem Quellennetzwerk der HV A im Ostseeraum (Quelle: eigene Berechnungen).
Zum Vergrößern anklicken.

 

Dennoch gab es zwischen den nordischen Ländern auch Unterschiede. In der Abbildung 1 wird jedes Land mit einem Kreis dargestellt. Je mehr Quellen zu diesem Land geliefert haben, desto größer ist der Radius des Kreises. Die Liefermengen werden mit dem Pfeil zu der HV A visualisiert: je breiter der Pfeil, desto mehr wurde geliefert. Was die Quellenanzahl angeht, so war Schweden mit 659 Quellen der Spitzenreiter, gefolgt von Dänemark (557) und Norwegen (451). Das Schlusslicht bildet Finnland mit seinen 352 Quellen. Hier sei jedoch anzumerken, dass die Quellenanzahl alle Quellen beinhaltet, die je zu nordischen Angelegenheiten geliefert. Somit geben sie keine Auskunft darüber, wo diese Quellen tätig gewesen sind.((Datenquelle: BStU, MfS, HV A/MD/2-5, SIRA TDB 11-14 (Stand: 15. September 2011). S. dazu auch Kimmo Elo; Helmut Müller-Enbergs: Suomen merkitys DDR:n ulkomaantiedustelun kohteena. Kosmopolis, 2010, 40(4), S. 31–47.))

Den Liefermengen sind einige interessante Aspekte zu entnehmen. Insgesamt sind die Lieferungen je Quelle sehr gering gewesen. Durchschnittlich hat eine Quelle nur 3–4 Informationen zu spezifisch nordischen Angelegenheiten geliefert und ca. 90 Prozent der Quellen wurden von weniger als fünf Informationen geliefert. Es sieht also so aus, als seien die nordischen Angelegenheiten für die meisten Quellen eher ein marginales Thema gewesen, der Schwerpunkt ihrer Lieferungen lag auf anderen Bereichen. Auch die Spitzenquellen haben die HV A mit Informationen nicht gerade überflutet (Finnland: 76 Lieferungen, Schweden: 59 und Dänemark: 64). Die klare Ausnahme ist Norwegen. Die Spitzenquelle zu norwegischen Angelegenheiten (XV/5368/62, „Lanze“) hat ganze 338 Informationen geliefert.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die nordischen Länder trotz ihrer geo- und sicherheitspolitischen Lage für die HV A operativ eher ein Marginal- bzw. Randgebiet waren. Dabei sei jedoch anzumerken, dass die bisherigen Forschungsergebnisse, vor allem was die Lieferungen angeht, vorwiegend auf Unterlagen mit speziellen Länderhinweisen beruhen. Da Unterlagen zu bestimmten Themenbereichen wie z.B. wissenschaftlicher oder wirtschaftlicher Spionage kaum mit Länderhinweisen versehen worden sind, sind unsere Erkenntnisse über nicht-länderspezifische Tätigkeiten der HV A in den nordischen Ländern sehr lückenhaft. In den kommenden Jahren hoffe ich, zur Schließung dieser Forschungslücke beitragen zu können. Die von mir angewandte historische Netzwerkanalyse hat bereits jetzt ihre Stärken bei Erschließung von verdeckten Verbindungen bewiesen. Daher ist anzunehmen, dass sich diese Methode auch künftig bei der Spurensuche von HV A-Aktivitäten in den nordischen Ländern als effektiv erweisen wird.

Der finnische Historiker Kimmo Elo lehrt Zeitgeschichte an der (finnischsprachigen) Universität Turku sowie an der (schwedischsprachigen) Åbo Akademi. Seine Forschungsschwerpunkte sind u.a. die Geschichte der europäischen Integration und die deutsche Geschichte. In letzter Zeit hat er sich mithilfe der Methode historischer Netzwerkanalyse der Erforschung der Stasi-Tätigkeit in Nordeuropa und weiteren Aspekten der Spionagegeschichte gewidmet. Auf dem Deutsch-Finnischen Historikerseminar in Berlin im Februar 2013 hielt er einen Vortrag zur Stasi-Tätigkeit in Finnland. Die Powerpoint-Folien sind hier abrufbar.

 

 

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/1606

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Das unbekannte trojanische Pferd: Schweden und die DDR im Kalten Krieg

 

Ein Gastbeitrag von Charlotta Seiler Brylla. Das Interesse für die Beziehungen zwischen der DDR und Schweden während des Kalten Krieges scheint nicht nachzulassen. Besonders die Aktivitäten des Ministeriums für Staatsicherheit (MfS) im Königreich Schweden erregen nach wie vor die Aufmerksamkeit von LeserInnen und Medien, was die auch hier auf dem NordicHistoryBlog bereits behandelte letztjährige Debatte über Birgitta Almgrens Buch Inte bara spioner… Stasi-infiltration i Sverige under kalla kriget [Nicht nur Spione…Stasi-Infiltration in Schweden während des Kalten Krieges] zeigte. Schweden war ein Schwerpunktland für die DDR-Außenpolitik und für die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) der Staatssicherheit. Zu keinem anderen nordischen Land wurden so viele Stasi-Berichte generiert wie über Schweden.

Der schwedische Journalist Christoph Andersson, der sich seit Jahrzehnten mit der DDR beschäftigt, hat in einem kürzlich erschienenen Buch neue Fallstudien über den Wirkungsbereich der Stasi in Schweden vorgelegt. Einer der Fälle – Operation Nordlicht – enthüllt, wie das MfS eine Propagandakampagne gegen Schweden plante. Leiter der Operation war eine Abteilung X, eine Sondereinheit der HVA. Ihr spezieller Auftrag galt der Desinformation, im Stasijargon ausgestattet mit der euphemistischen Bezeichnung Aktive Maßnahmen. Ziel der Operation war es, die schwedische Neutralitätspolitik zu demontieren, indem man versuchte, eine langjährige Tradition politischen Doppelspiels nachzuweisen. Es sollte aufgezeigt werden, wie der schwedische Staat und vor allem das schwedische Königshaus mit Nazideutschland kooperiert hätten, obwohl man sich offiziell als „neutral“ darstellte. Dieselbe Doppelmoral präge Schweden im Kalten Krieg: Unter vorgegaukelter Neutralität unterstütze es nun die westliche Nato-Allianz. Der Plan der Abteilung X war, ein Buch über die Aktivitäten Schwedens im Krieg herauszugeben, das im Rahmen der KSZE-Konferenz in Helsinki wie eine Bombe einschlagen und das schwedische Doppelspiel irreversibel diskreditieren sollte.

Die Abteilung X hatte dafür eine geeignete und zwangsläufig zuverlässige Person gefunden: Kurt Vieweg, Professor für Agrarwissenschaft, der in den Kriegsjahren im schwedischen Exil gewesen war. Vieweg hatte nach seiner Rückkehr als Exilkommunist einen guten Stand und konnte Karriere im SED-Regime machen. Relativ schnell geriet er aber in Ungnade, weil er die Zwangskollektivierung kritisierte. In Schweden hatte Vieweg Landwirtschaft studiert und das schwedische Modell kennengelernt, das eine Mischung aus Kooperation und eigenem Besitz favorisierte. Seine Reformideen hatten keinen Erfolg, die Stasi unterstellte ihm stattdessen „Revisionismus“ und „kontrarevolutionäre“ Tätigkeit. Seine Kontakte zu Herbert Wehner, den er ebenfalls in Schweden kennengelernt hatte, sowie ein Versuch, die DDR zu verlassen, führten dazu, dass Vieweg 1958 zu 12 Jahren Zuchthaus wegen Spionage und Republikflucht verurteilt wurde.

1964 kam Vieweg auf Bewährung frei, allerdings unter der Bedingung, fortan für das MfS tätig zu sein. Anfang der 1970er Jahre wurde er für die Operation Nordlicht eingeteilt. Als Schweden-Kenner und mit persönlichen Erfahrungen als Exilant im Krieg schien er für die anstehende Aufgabe perfekt geeignet. Mithilfe unzähliger Akten sollte Vieweg das Buch über Schwedens Rolle im Krieg als eine Art Ghostwriter verfassen. Dann sollten ein schwedischer Autor und ein Verlag gefunden werden, die bereit gewesen wären, ihren Namen für das Buch zu geben.

Aber dazu kam es nicht. Das Manuskript mit dem Arbeitstitel Das unbekannte trojanische Pferd, der Bezug nimmt auf den antifaschistischen Kabarettisten Karl Gerhard, blieb in einer Schublade der Abteilung X. Die DDR-Führung hatte beschlossen, den schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme für zuverlässig zu halten. Im Rahmen der Helsinki-Konferenz hatte Palme sich für den Vertrag, der unter anderem die Grenzen der DDR anerkannte, außerordentlich eingesetzt.

Palme Honecker SvD

 

Die schwedische Tageszeitung Dagens Nyheter
über Palmes DDR-Besuch 1984

Die Beziehungen zwischen Erich Honecker und Olof Palme blieben auch nach der Helsinki-Konferenz gut. Christoph Anderssons zeigt auf seinem Cover ein Foto der Begegnung beider Regierungschefs in Stralsund 1984. Sowohl die DDR-Presse als auch die schwedischen Medien berichteten von gemeinsamen Bestrebungen für Frieden und Abrüstung in Europa. Beinahe zynisch wirkt in diesem Kontext die Tatsache, dass Schweden und die DDR gerade zu diesem Zeitpunkt den Iran-Irak-Krieg durch Waffen-Exporte am Laufen hielten. Mithilfe der vom MfS kontrollierten Außenhandelsabteilung „Kommerzielle Koordinierung“ (KoKo) konnte der schwedische Rüstungshersteller Bofors große Mengen an Schießpulver in den Iran exportieren. Gleichzeitig lieferte ein anderes DDR-Unternehmen Waffen an den Irak. Anderssons Recherchen im BStU-Archiv zeigen, dass finanziellen Interessen sowohl in Schweden als auch in der DDR letzten Endes eine höhere Priorität als der Friedensfrage zukam

Während die Unterlagen der BStU die Geschäfte zwischen Bofors und dem KoKo-Unternehmen IMES bis ins Detail dokumentieren, konnte (durfte?) Birgitta Almgren bei ihrer Akteneinsicht des schwedischen Nachrichtendienstes (Säpo) hingegen keine einzige Akte zu diesen Embargo-Geschäften finden. Wie die Debatte vom letzten Jahr zeigte, ist der Zugang zu den Säpo-Akten willkürlich und in vielen Fällen nicht möglich. Christoph Anderssons Buch macht noch einmal deutlich, dass diese Debatte weiterhin geführt werden muss.

Charlotta Seiler Brylla ist Kultur- und Sprachwissenschaftlerin und ist seit 2009 Universitätslektorin für Deutsch/Linguistik an der Universität Stockholm. Sie arbeitet zum politischen Gebrauch von Sprache, zu begriffsgeschichtlichen Fragestellungen und hat sich bereits in mehreren Projekten ausgiebig mit den Beziehungen zwischen Schweden und der DDR beschäftigt. Derzeit forscht sie zu den rhetorischen und diskursiven Mitteln, welche bei der politischen “Vermarktung” der DDR gegenüber Schweden eingesetzt wurden.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/1561

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