Am 3. und 4. April 2014 fand im Hauptstaatsarchiv Stuttgart die Tagung „Offene Archive 2.1 – Social media im deutschen Sprachraum und im internationalen Kontext“ statt. Doch eigentlich begann die Tagung schon früher. Auf dem (nicht nur) Tagungsblog http://archive20.hypotheses.org wurden vorab einige Abstracts der einzelnen Vorträge sowie einige Lebensläufe der Referenten bereitgestellt. Begleitend wurden über Twitter Interviews mit einigen der Referenten geführt.
Ein großes Dankeschön gilt dem Organisationsteam: Dr. Andreas Neuburger und Christina Wolf (Landesarchiv Baden-Württemberg), Dr. Joachim Kemper und Elisabeth Steiger (Stadtarchiv Speyer/ICARUS) und Thomas Wolf (Kreisarchiv Siegen-Wittgenstein).
Ca. 120 Teilnehmer waren nach Stuttgart gekommen. Doch es gab auch Teilnehmer, die nicht vor Ort waren. Sämtliche Vorträge und die sich anschließenden Diskussionen wurden per Livestream übertragen. Die im Tagungsraum installierte Twitterwall ermöglichte es den Teilnehmern vor Ort und zu Hause Gedanken mit einzubringen und sich parallel zu den Vorträgen auszutauschen. Smartphone und Netbook waren dementsprechend nicht nur geduldet, sondern auch willkommen. Das zu diesem Zwecke angebotene WLAN funktionierte allerdings nur bedingt.
Offen für Nutzer
Die Keynote hielt Kate Theimer. Das alte Modell, in dem Wissenschaftler das Archiv zwangsläufig aufsuchten und diese von Archivarinnen und Archivaren als primäre – ja wenn nicht gar einzig relevante – Nutzergruppe betrachtet wurden, trüge nicht mehr. Archive stünden zunehmend in einem gewissen Wettbewerb mit anderen Einrichtungen. Charakteristisch sei dabei – überspitzt formuliert – der Gedanke „If it’s not online I’m going to write about something else.“ Gewissermaßen unbeachtet blieben andere Nutzergruppen. Auch und gerade um diese sollten sich Archive bemühen. Theimers Gedanke eines „business model of archives“ stellt nicht mehr die Akten und die Informationen in den Mittelpunkt, sondern die Nutzer. Sich auf die Interessen und Fragestellungen einer breiten Nutzergruppe einzustellen und diese zu bedienen, ja die Nutzer förmlich auf das Archiv als Quelle zu stoßen sei der Weg, den es zu beschreiten gelte.
Doch Theimer blieb bei ihren Ausführungen über ein offenes Archiv nicht in der digitalen Welt hängen. Dass Archive auch analog und im direkten persönlichen Kontakt offen sein sollten und vor allem auch sein können, illustrierte Theimer durch ein Foto einer Art Pyjama-Party im Archiv.
Offen für Anregungen
Die Nachmittagssektion des ersten Tages bot den Tagungsteilnehmern vor allem Anregungen aus Bereichen, die (noch) nicht zwingend auf Anhieb mit der Archivwelt assoziiert werden. Gerade auf diesen Punkt machte Christoph Deeg aufmerksam. Deeg, der sich auf erfrischende Art und Weise für das Thema Gaming bzw. Gamification stark machte, wies deutlich darauf hin, dass eine Tagung, auf der nur Archivare mit Archivaren sprächen, wenig förderlich sei. Wir brauchen Einflüsse und Anregungen von außen. Nicht zuletzt auch von unsern Nutzern und potentiellen Nutzern. Provokant forderte Deeg auf, den nächsten Archivtag nicht zu besuchen, sollten dort keine Spielekonsolen aufgestellt werden. Käme die Archivwelt diesem Zuruf nach, so wäre der nächste Deutsche Archivtag sicherlich eine übersichtliche Veranstaltung.
Die Vorträge von Christoph Deeg und Marcus Bösch plädierten für die Nutzung des Spieltriebs. Das heißt nicht anderes als – um es mit Eugen Oker zu sagen – dem homo ludens eine Gasse direkt ins Archiv zu schlagen. Spielerische Elemente könnten nicht nur ein Motivator zur Archivnutzung sein, sondern auch die Einbindung der Nutzer in archvarische Tätigkeiten fördern, wie z.B. im Bereich Crowdsourcing.
Dass Archive in der Nutzung von Web2.0-Plattformen und -Möglichkeiten hinter anderen Bereichen bisher zurück bleiben zeigten die Beiträge von Tanja Praske und Alexander Ebel. Praske konnte aufzeigen, dass der Blog als wichtiges Kommunikationsmittel für Museen durchweg eine Erfolgsgeschichte ist. Ebel hingegen stellte die Nutzung von social media in der kirchlichen Arbeit vor: Von der digitalen Begleitung des Konfirmandenunterrichts über gemeinsame Gebete auf Twitter bis hin zu einer Twitterwall im Gottesdienst. Wenn die Museen ihre Arbeit und ihre Themen transparent via Blog präsentieren, warum dann nicht auch Archive? Wenn sogar im Gottesdienst eine Twitterwall steht und Konfirmaden mit Flickr arbeiten, warum dann nicht auch Archive?
Offen für Versuche
Dass solche Anregungen wertvoll und nötig sind, zeigte besonders deutlich Bastian Gillner. Er führte den Teilnehmern vor Augen, dass sich die konkreten archivarischen Arbeitsabläufe in den letzten Jahrzehnten kaum bis gar nicht verändert hätten und dies trotz völlig anderer Vorzeichen und Bedingungen. Zu diesen gehöre auch das Web2.0. Der Diskurs sei noch nicht wirklich in der Fachdiskussion angekommen, so Gillner. Einen goldenen Weg gibt es (noch?) nicht. Web2.0 lernt man nur durch Nutzung von Web2.0. Dazu gehört das Experimentieren; mit Erfolgen als auch mit Sackgassen als Ergebnis.
Offen für Vorbilder
Der zweite Tagungstag wurde eingeleitet durch Vorträge von Kolleginnen und Kollegen aus unseren Nachbarländern. Dabei stellte sich heraus, dass die Diskussion, wie sie im deutschen Archivwesen langsam zunehmend geführt wird, insbesondere in den Niederlanden und Dänemark etwas auf Unverständnis stößt. Die Vorbehalte und Bedenken bezüglich des Einsatzes von social media, die auch in den Diskussionen auf der Tagung hervortraten, scheinen bei unseren Nachbarn nur eine geringe Rolle zu spielen. Die Präsenz von Archiven und Archivmitarbeitern auf Plattformen wie Facebook, Twitter, Flickr oder Pinterest ist stärker und selbstverständlicher als Deutschland der Fall. Eben diese Selbstverständlichkeit fehlt im deutschen Archivwesen.
Offen für die Crowd
Das Thema Crowdsourcing nahm einen Großteil der Tagung ein. Die Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Archivsparten stellten dabei ihre Projekte vor. Bei diesen werden Nutzer vor allem in die Erschließungsarbeit mit einbezogen. So können sie beispielsweise helfen Fotos zu identifizieren und Texte zu transkribieren. Zwei Arbeitsfelder für die den Archiven zum einen oft die Gelder und zum anderen oft das Knowhow fehlen. Archive profitieren dabei jedoch nicht nur vom Input der Nutzer. Verwenden Archive hierfür u.a. stark frequentierte social media Plattformen, so ziehen sie auch ein erhebliches Maß an Aufmerksamkeit auf sich.
Offene Archivare
Dass das Web2.0 und insbesondere social media fester Bestandteil der Kommunikations- und Informationskultur unserer Zeit sind, blieb unbestritten. Allerdings gab es Vorbehalte ob der Sorge, dass nun alles ins Digitale dränge und dabei alles Analoge und Persönliche nun abgeschrieben werden solle. Mehrfach wurde jedoch darauf hingewiesen, dass der Weg in das Web2.0 eine Ergänzung, keine Ablösung sei.
Noch immer gibt es auf diesem Weg einige Hindernisse, auch wenn schon ein gutes Stück des Weges gemacht ist. Noch immer halten sich insbesondere gegenüber social media Vorurteile: Zu viel Zeitaufwand, zu wenig Resonanz, zu viel unwichtige Informationen. Dem gegenüber stehen jedoch die entsprechenden Erfahrungswerte, die zeigen, dass der Einsatz von social media mit einem überschaubaren Zeitaufwand durchaus Früchte trägt. Voraussetzung dafür ist zweifelsohne das Begreifen von social media als Kommunikationsform und das beinhaltet auch „Belanglosigkeiten“ gewissermaßen als Trägermaße für die Information, die Botschaft. Social media ist vor allem eine Frage der Einstellung.
Die Evaluierung ist jedoch nicht leicht. Zwar gibt es unzählige Möglichkeiten des Monitorings, doch lässt sich mit solchen Tools die Frage, ob beispielsweise eine Archiv-Facebook-Seite an sich erfolgreich ist, kaum beantworten. Erfolg bemisst sich nicht nur an Followern und Kommentaren. Wie Neil Bates in seinem Vortrag sagte: „It’s not about traffic. It’s about reach.“
Der Schwarze Peter darf jedoch nicht einfach den Archiven, die in diesem Feld nicht aktiv sind zu geschoben werden. Mehrere Teilnehmer vor Ort und über Twitter wiesen auf die Schwierigkeiten hin, ein entsprechendes Engagement innerhalb der Verwaltung durchzusetzen. Die sich hier anschließenden Fragen und Lösungswege wurden leider nicht erörtert.
Offen in die Zukunft
Folgende Ergebnisse der Tagung haben sich m.E. herauskristallisiert:
- Archivarinnen und Archivare sollten den Nutzer in den Mittelpunkt stellen.
- Archivarinnen und Archivare sollten den Dialog mit dem Nutzer suchen.
- Archivarinnen und Archivare sollten den Dialog auch mit Kreisen außerhalb des Archivwesens suchen.
- Archivarinnen und Archivare sollten ihre Archive öffnen; analog wie digital, wobei keines der beiden das jeweils andere ausschließt.
- Archivarinnen und Archivare sollten sich trauen social media zu nutzen und damit zu experimentieren.
Quelle: http://archive20.hypotheses.org/1658