Konkretes Abbild oder abstrakte Vorstellung? Zur Interpretation des Wappenfrieses im Festsaal des Kardinals Gaillard de La Motte in Avignon (Les fastes du cardinal Gaillard de La Motte)

Zum ersten Mal in der Kirchengeschichte wurde im Jahr 1334 die Stadt Avignon zum Austragungsort einer Papstwahl, obwohl bereits 25 Jahre zuvor unter Clemens V. die päpstliche Residenz dorthin verlegt worden war. Seinem Neffen, dem ebenfalls aus Bordeaux stammenden Gaillard de La Motte wurde als Kardinal und Apostolischer Protonotar die Ehre zuteil, den erwählten Benedikt XII. im Januar 1335 zum Papst zu krönen und damit in sein Amt einzuführen. Der Kardinal besaß einen noblen Stadtwohnsitz in der Rue du Collége in Avignon, unweit des späteren Papstpalastes gelegen. Innerhalb des Stadtwohnsitzes des Kardinals Gaillard de La Motte befindet sich ein Festsaal, welcher der Zeit gemäß üppig ausgemalt ist und Vergleiche mit anderen Wandbemalungen des 14. Jahrhunderts nicht zu scheuen braucht. Die bildlichen Darstellungen des 140 m² großen Saals zeigen eine Vielzahl von wilden Tieren, von denen sich die meisten auf der Flucht befinden. Bei diesem sogenannten Jagdfries steht die Hirschhatz als Königsdisziplin der adligen Hochwildjagd für den Betrachter im Mittelpunkt. Dieses Bildprogramm wird in einem engen Zusammenhang zur Raumnutzung gesehen, indem die vorgestellten Wildtierarten zum einen konkret auf die im Festsaal dargereichten Speisen verweisen, zum anderen aber auch generell die elitären Gäste in einem standesgemäßen, repräsentativen Rahmen in Szene setzen könnten. […]

Quelle: http://heraldica.hypotheses.org/954

Weiterlesen

Ellis Island: Island of Hope, Island of Tears – Ein Praktikumsbericht (Teil 2)

MusErMeKu-Gastautorin Jennifer Hofmann hat im Rahmen eines Praxissemesters ein Auslandspraktikum am Ellis Island Immigration Museum in New York City absolviert. Im ersten Teil ihres Blogbeitrags ging sie auf die Hintergründe ein, wie sie zu dem Praktikum kam. In diesem Beitrag stellt sie das Museum und ihre Aufgaben im Praktikum näher vor. Meinen Arbeitsplatz im Ellis Island Immigration Museum war mit einmal Umsteigen von der Subway auf das staff boat gut zu erreichen. Die Insel, die zum größten Teil durch nachträgliche Aufschüttung entstand, liegt im Hafen […]

Quelle: http://musermeku.hypotheses.org/990

Weiterlesen

CfP: Pop im Alter, transatlantisch und transrheinisch

Gleich drei aktuelle Calls fragen nach Beiträgen zu Pop:

1. Pop im Alter

Die Gleichsetzung von Pop mit Jugendkultur will eine Gesprächsrunde in Frage stellen: Der GAM e.V. (Gesellschaft – Altern – Medien) stellt seine 5. Jahrestagung unter das Thema „Pop im Alter“. Wie der Verein mitteilt, bilde den Mittelpunkt der für den 27.-29. Juni 2014 anberaumten Tunzenberger Kamingespäche “die Entwicklung und die Aneignung der Popkultur im höheren Lebensalter bis hin zu ihren Wurzeln in der Jugend sowie das Wechselverhältnis von Medienaneignung und Identität bezogen auf Popkultur”.

Verfolgt werden laut Call zwei Ziele: Perspektiven, Ansätze und Methoden der Forschung zur Ästhetik und deren Aneignung von Popkultur im Alter sollen nachgezeichnet und aktuelle Forschungsergebnisse vorgestellt werden. Außerdem würden Handlungsfelder für eine künftige Alter(n)smedienforschung aufgezeigt. Pop werde dabei nicht auf Musik beschränkt, sondern sei ein Sammelbegriff für Kultur als Alltagspraxis in der Aneignung mit dem Ziel der Identitätsbildung. Identität verstehe man sowohl als “Ausdruck der individuellen Einzigartigkeit als auch als Zeichen der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft”. Schwerpunkt der Tagung sei die Bedeutung von Pop in Bezug zur Lebenswelt der Subjekte. Damit nehme sie keine medien-, sondern eine subjektzentrierte Perspektive ein. Die Bedeutung von Pop werde vielmehr im Rahmen der Identitätsfindung und -bildung als lebenslanger Prozess verstanden.

Die Gespräche auf Schloss Tunzenberg (Niederbayern) sollen “einer ausgewählten Gruppe von Sozial- und KulturwissenschaftlerInnen, Kulturschaffenden und pädagogisch Handelnden” die Möglichkeit geben, sich “in einer anregenden Umgebung anhand eigener Forschung und Praxis vertieft mit dem Thema Alter(n) und Medien im sozialen Kontext auseinanderzusetzen”.

Der vollständige Call findet sich hier. Die Deadline wurde soeben verlängert bis zum 24. März 2014.

2. Amerika-Euphorie – Amerika-Hysterie. Populäre Musik made in USA in der Wahrnehmung der Deutschen 1914–2014

Das Deutsche Volksliedarchiv Freiburg veranstaltet aus Anlass seines 100. Bestehens eine Geburtstagstagung zur affirmativen und kritischen Rezeption US-amerikanischer Musikkultur in Deutschland von 1914 bis heute. Mit dem Ziel, einen interdisziplinären, multiperspektivischen Zugang zum in Rede stehenden Phänomen zu eröffnen, sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen eingeladen, Themenvorschläge einzureichen. Leitfragen könnten sich auf die teilkulturelle Aneignung der Musik (z.B. in Jugendkulturen), die Thematisierung der USA in deutschsprachiger Musik oder öffentliche/mediale Diskurse (in Ost und West) beziehen. Vier Sektionen widmen sich den Themenfeldern:

- Jazz-Rezeption in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
- Rock’n’Roll und Jugendkultur im Nachkriegsdeutschland
- Vietnam, Flower Power und die „68er“
- Pop-Giganten in Film, Funk und Fernsehen – und Internet

Der vollständige Call findet sich hier. Die Deadline ist der 31.03.2014.

3. Deutsch-französische Schnittstellen in Populärkultur und Medien. Interkulturelle Vermittlungsprozesse und Fremdwahrnehmung

Welche Bilder von Frankreich werden in Deutschland in Medien der Populärkultur vermittelt und umgekehrt? Welche diesbezüglichen Entwicklungen lassen sich diesbezüglich seit den 1950er Jahren feststellen? Diese Fragen will eine Sektion auf dem 9. Kongress des Frankoromanistenverbandes vom 24.bis 27 September 2014 in Münster beantworten.

Leitfragen sind: Inwiefern sind Bilder des Anderen von stereotypen Darstellungsweisen geprägt? Stellen sie auch einen Raum für die interkulturelle Vermittlung von differenzierteren Wissensbeständen dar? Wie verhalten sich die zumeist populären Diskurse der „nicht intentionalen“ Mittlerinstanzen zu traditionellen Mittlerfiguren und –institutionen, die implizit oder explizit eine Diskurshoheit beanspruchen? Welche Wechselbeziehungen gibt es zwischen Selbstbild und Fremdbild bei Figuren oder Medien, die in beiden Ländern präsent sind?

Konkret benannt werden folgende Felder:

- Populäre Musik wie Chanson oder Schlager: Hier werden in zumeist suggestiver Form Sehnsuchtsorte beschworen, aber vielleicht auch Wissensbestände über die andere Kultur geschaffen. Beispielsweise könnten Sängerinnen und Sänger in den Blick genommen werden, die wie France Gall, Frédéric Mey / Reinhard Mey oder auch Georges Moustaki beidseits des Rheins tätig waren und durch ihr – bisweilen sehr genau an das jeweilige Publikum angepasstes – Œuvre kulturvermittelnd tätig waren.
- Fernsehen: Bilder des Anderen entstehen auch fernab der Nachrichten und dokumentarischer Genres, etwa durch die Darstellung Angela Merkels in den „Guignols de l’info“ und allgemein in Variété-Sendungen oder Unterhaltungsshows.
- Populärer Spielfilm: Wie im Bereich des Chansons / Schlagers können auch hier Figuren in den Mittelpunkt rücken (Romy Schneider, Pierre Brice) oder aber einzelne Spielfilme näher betrachtet werden.
- Populärkulturelle Manifestationen des Anderen in Sachbüchern (Reiseführer, Kochbücher, Ratgeberliteratur etc.). Neben der eigentlichen journalistischen Tätigkeit entfalten z.B. viele Auslandskorrespondenten eine rege publizistische Aktivität, die – unabhängig von Einzelereignissen – Bilder des Anderen generiert, festigt und tradiert (U. Wickert, C. Calla, P. Hugues u.v.a.).
- Weitere potenzielle Gegenstände von Beiträgen könnten Werbung, Jugendmagazine, „bandes dessinées“ oder Musicals sein; ebenso willkommen sind Vorschläge aus dem Bereich der Populärliteratur.

Der vollständige Call findet sich hier. Deadline war der 31.1.2014.

Quelle: http://pophistory.hypotheses.org/1187

Weiterlesen

Ellis Island: Island of Hope, Island of Tears – Ein Praktikumsbericht (Teil 1)

Für viele Studierende geisteswissenschaftlicher Fachrichtungen gehört ein Praktikum zum festen Bestandteil ihres Studiums. Immer häufiger werden Praktika als obligatorische Station im Studienplan verankert, besonders an Fachhochschulen. Doch auch wenn die Studienordnung kein Praktikum vorschreibt, wie es besonders an Universitäten häufig noch der Fall ist, kann heute kaum jemand darauf verzichten, bereits während des Studiums praktische Erfahrungen zu sammeln und einen Einblick in den beruflichen Alltag zu erhalten. Auch Auslandsaufenthalte erweitern den Blickwinkel, ermöglichen neue Perspektiven und können neue Impulse für das Studium geben. Warum […]

Quelle: http://musermeku.hypotheses.org/978

Weiterlesen

Ausstellung: Geschichte und Politik zwischen 1914 und 1989 in DDR-Comics

In der DDR kannte sie jeder: die Comiczeitschriften ATZE und MOSAIK. Mit monatlichen Auflagen in Millionenhöhe gehörten sie zum Alltag von Generationen. Von 1955 bis 1975 zogen die MOSAIK-Helden der Digedags, später dann die Abrafaxe in jahrmarktsbudenbunten Abenteuern durch die Zeitalter und Kontinente. Dabei folgten ihre Schöpfer nicht nur der eigenen künstlerischen Fantasie, sondern waren einem erstaunlich bildungsbürgerlichen Anspruch verpflichtet. Das von 1955 bis 1991 erschienene Magazin ATZE hingenen wurde von Comics mit politischem Hintergrund dominiert.

aus: Atze 6/1988

Die Ausstellung im Kunstverein Tiergarten Berlin zeigt, wie Geschichte und gesellschaftliche Entwicklung in einem für kommunistische Diktaturen ungewöhnlichem Medium interpretiert wurden. Erstmals überhaupt wurde das Prinzip der angestrebten kompletten „Durchherrschung“ aller Lebensbereiche am Beispiel der kulturellen Sphäre diskutiert: Text und Bild der Comics hatten mit der Darstellung geschichtlicher oder zeithistorischer Ereignisse in allen anderen DDR-Medien übereinzustimmen. Entsprechend entfaltet sich anhand von Bildern, Objekten und Fotografien vor dem Besucher die Ikonografie des Sozialismus.

aus: ATZE 7/1977, S. 5

In der Ausstellung werden Motive aus den Comics neben die medialen Vorlagen der Grafiker gestellt. Im Fall von ATZE adaptierte man z.B. sowjetische Filme oder DEFA-Produktionen mit politischen Inhalten wie der Oktoberrevolution, führenden Politikern wie Ernst Thälmann oder historischen Ereignissen wie dem Mauerbau. Lebensgroße Figuren wie z.B. von DDR-Präsident Wilhelm Pieck machen die Orientierung an Heiligendarstellungen und religiöser Ikonografie deutlich.

Das „MOSAIK-Kollektiv“ orientierte sich dagegen vorwiegend an populärwissenschaftlichen Werken und Bildbänden beispielsweise zur Erdgeschichte, Geographie, Technik- und Industrieentwicklung. 1959/60 erleben die Digedags Abenteuer auf dem erdähnlichen Planeten Neos. Dort ist die schöne neue Zukunftswelt nach der Vollendung von Walter Ulbrichts ehrgeizigem Wirtschaftsprogramm bereits Wirklichkeit geworden.

aus: ATZE 12/1975, S. 5

Großformatige Comicpanels stehen in der Ausstellung in Korrespondenz zu Modellen ihrer prägnantesten Motive: Dazu gehören das erste und einzige in der DDR entwickelte Düsenpassagierflugzeug oder das ehrgeizige Projekt einer Einschienenbahn, das am Beispiel eines PIKO-Spielzeugmodells vorgestellt wird. Auch die doppelseitige Comic-Zukunftsphantasie des Flughafens Berlin-Schönefeld vom Februar 1960 wird manchen Besucher von heute nachdenklich stimmen.

Nach offizieller Kritik an zuviel Klamauk wandte sich MOSAIK der Technikgeschichte zu, wobei insbesondere die akribische Transformation historischer Bildvorlagen aus Geschichte und Kunst, z.B. nach Georgius Agricola oder William Hogarth, in ein zeitgenössisches Bildvokabular besticht. Auf vielfältige Weise öffnet die Ausstellung ein Panorama von historischen, kunstgeschichtlichen und wissenschaftlichen Referenzen und verdeutlicht, wie zentral auch die zunächst sich an junge Menschen richtenden Publikationen der DDR-Comics ATZE und MOSAIK im Kontext politischer Programmatik und Propaganda zu begreifen sind.

Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus und der Galerie der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig und wurde kuratiert von Dr. Thomas Kramer (Berlin). Sie wurde ermöglicht aus Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Eröffnung:
Galerie Nord, Turmstraße 75, 10551 Berlin am 28. Februar um 19 Uhr.

Es sprechen:
Dr. Ralf F. Hartmann, Kunstverein Tiergarten
Dr. Matthias Rößler, Präsident des Sächsischen Landtags
Rainer Eppelmann, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Dr. Thomas Kramer, Kurator

Ausstellung: 29.2. – 29.3.2014, Di – Sa, 13-19 Uhr

Quelle: http://pophistory.hypotheses.org/1175

Weiterlesen

Zu mittelalterlichen Wappenbesserungen und neuen Ansätzen in der Heraldik. Vortrag und Interview mit Laurent Hablot (Poitiers) an der Universität Münster

Am 20. Januar sprach Laurent Hablot (Poitiers) in der französischsprachigen Vortragsreihe “La jeune génération des médiévistes français invitée à Münster” am Historischen Seminar der Universität Münster über Devisen und Wappenbesserungen im Spätmittelalter. Wie immer bei dieser Vortragsreihe, gibt es zum … Continue reading

Quelle: http://heraldica.hypotheses.org/888

Weiterlesen

Propaganda im mittelalterlichen Mailand – das Wappen der Visconti

Die Schlange der Visconti ist ein noch heute sehr bekanntes, in italienischen Firmenlogos weiterlebendes Wappenbild. Auf den ersten Blick scheint es gerade durch seine einzigartige Komposition leicht zu entschlüsseln. Bei einer näheren Beschäftigung zeigt sich jedoch, wie schwer eine eindeutige … Continue reading

Quelle: http://heraldica.hypotheses.org/788

Weiterlesen

Essbare Wappen I: Von der Heraldik eines Festmahls

Ob an Gebäudewänden, in Büchern verschiedener Gattungen, als Blasonierungen oder plastisch an Denk- und Grabmälern, Wappen begegnen uns als medial äußerst vielseitiges Phänomen. Daher erstaunt es auf den ersten Blick kaum, dass Wappendarstellungen auch vor mittelalterlichen Festmahlen nicht Halt machten. … Continue reading

Quelle: http://heraldica.hypotheses.org/806

Weiterlesen

Der Holocaust-Gedenktag am 27. Januar 2014 in Hamburg

Am 27. Januar 2005, anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau im Jahr 1945, verabschiedete das Parlament der Europäischen Union die „Entschließung zum Gedenken an den Holocaust sowie zu Antisemitismus und Rassismus“.1 Bereits seit dem Jahr 1996 ist der „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus” in Deutschland ein gesetzlich verankerter Gedenktag.2 Der Holocaust-Gedenktag ist über die Jahre in Deutschland zu einem festen Bestandteil der nationalen Erinnerungskultur geworden, zu dem jedes Jahr eine Vielzahl von Gedenk-, Bildungs- und Kulturveranstaltungen stattfinden. […]

Quelle: http://musermeku.hypotheses.org/944

Weiterlesen

Popgeschichte wird Sektion auf dem 50. Deutschen Historikertag 2014

Das Jahr beginnt für uns mit einer guten Nachricht: Der 50. Deutsche Historikertag, der vom 23. bis 26. September 2014 unter dem Thema “Gewinner und Verlierer” in Göttingen tagen wird, hat eine Sektion zur Popgeschichte angenommen. Hier das Konzept der Sektion:

“The Winner Takes It All”.
Popgeschichtliche Narrative des 20. Jahrhunderts zwischen Ausbeutung und Emanzipation

Vom Lastwagenfahrer zum Welt-Star, vom Punk zur Modezarin, vom Ghetto-Kid zum Plattenproduzenten: Die Popgeschichte hat viele Erfolgsgeschichten hervorgebracht. Der Star ist der geradezu emblematische Akteur einer massenkulturellen Aufmerksamkeitsökonomie des 20. Jahrhunderts, denn wo die Bestätigung einer institutionalisierten Kultur fehlt, haben Siegergeschichten legitimatorische Funktion. Als moralisches Korrektiv dienen Verlierergeschichten: vom raschen Abstieg, frühen Drogentod oder dem Niedergang ganzer Branchen, etwa der Musikindustrie. Derartige Narrative spiegeln individuelle Auffassungen vom richtigen Leben und legitimen Streben wider und konstituieren auf überindividueller Ebene gesellschaftliche und wirtschaftliche moral economies.

Die Sektion möchte nicht nur solche populären Erzählungen von Erfolg und Scheitern auf den Prüfstand stellen, sondern auch etablierte akademische Narrative. Auch den wissenschaftlichen Diskurs über die Popkultur des 20. Jahrhunderts prägen Dichotomien, in denen die Rollen von Gewinnern und Verlierern je nach Denkschule klar verteilt sind: Mal erscheinen darin Jugendliche als widerständige Opponenten gegen eine Hegemonialkultur, mal sind sie willenlose Opfer der Manipulation einer kommerzialisierten Konsumindustrie. Die Fallstudien des Panels hinterfragen solche Zuschreibungen und stellen damit ein neues Themenfeld in den Mittelpunkt, das als eines der zentralen medialen, ökonomischen und politischen Handlungsfelder des 20. Jahrhunderts mehr Aufmerksamkeit der Geschichtsschreibung verdient.

Anhand von Fallbeispielen werden unterschiedliche Forschungsperspektiven vorgestellt, die sich teils ergänzen, teils aber auch im Widerspruch zu einander stehen. Seinen Schwerpunkt hat das Panel in der Zeitgeschichte nach 1945, schlägt aber einen Bogen in die erste Hälfe des 20. Jahrhunderts um Brüche und Kontinuitäten mit älteren Epochen zu thematisieren, etwa in einem ersten Beitrag mit dem „Jazz Age“. Solche Kontinuitäten lassen sich anhand von Tanz-Spektakeln nachverfolgen, die im späten 20. Jahrhundert die Form massenmedial vermittelter Wettbewerbe angenommen haben.

Diese “dance circles” im Streetdance wurzeln teils ebenso wie der urbane Cakewalk um 1900 im „Black Atlantic“ und ermöglichten Formen von Öffentlichkeit, in denen neben ästhetischen auch ethische Fragen verhandelt wurden, etwa von Anpassung und Widerstand. Alles zu geben, um zu gewinnen, ist bis in die Tanz-Fernsehshows der Gegenwart ein zentrales Narrativ, in dem eine Geschichte der Moderne präsent ist, die Freiheit nicht im Projekt der Selbstverwirklichung durch Arbeit suchte: Auch im “dance circle” gibt es Wettbewerb zwischen den Tänzern, er findet aber unter anderen institutionellen Bedingungen statt. (Astrid Kusser)

Nach diesem medien- und körpergeschichtlichen Einstieg öffnet das Panel in einem zweiten Schritt das Spannungsfeld zwischen Konsumption und Produktion indem es den Siegeszug anglophoner Popmusik in Westdeutschland seit den 1960er Jahren in den Blick nimmt. Bisher wurde dieser Erfolg zumeist mit dem Bedürfnis jugendlicher Konsumenten erklärt, die als wichtigste Käuferschaft für populäre Musik nach einem Sound verlangten, der ihren gewandelten Bedürfnissen Ausdruck gab und aus den USA und Großbritanniens importiert wurde.

Gegen dieses Narrativ, das dazu tendiert, die Eigendynamik der Musikproduktion und -vermarktung auszublenden, wird mit einem produktionsorientierten Ansatz argumentiert: Verglichen mit den USA stand die westdeutsche Musikwirtschaft der drei Nachkriegsjahrzehnte in einer personellen, kognitiven und stilistischen Kontinuität, die das heimische Pop-Produkt auf die Verliererstraße brachte. Eine Trendwende zeichnete sich erst um 1980 ab, als Strukturveränderungen auf globaler wie nationaler Ebene bis dahin unerprobten deutschen Produzenten, Musikern und Repertoires Vermarktungschancen eröffneten. Das Beispiel plädiert für das Thema „Kulturproduktion“ als neues Forschungsfeld für die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. (Klaus Nathaus)

Dieser Interpretation steht, drittens, eine stärker auf die Konsumenten bezogene Perspektive gegenüber. Kulturindustrielle Produkte wurden auch in einer von den Produzenten nicht intendierten Weise zu Sinn-Konstruktionen herangezogen. Dies lässt sich etwa anhand der Mitte des 20. Jahrhunderts zahlreich entstehenden Star- bzw. Fanclubs beobachten, die Hundertausende überwiegend jugendliche Mitglieder auf die Figuren ihrer jeweiligen Stars einschworen, deren erfolgreiche Karrieren ihnen als Vorbild dienten.

Gegen diese organisierten Formierungen des Generationengeschmacks regte sich Protest von links und rechts über die „falschen Vorbilder“ – ein Narrativ, das teils auch den akademischen Diskurs prägt. Dabei wird zumeist die aktive kulturpolitische Rolle von Fan-Clubs übersehen: In Nachfolge bürgerlicher Geschmacksgemeinschaften des 19. Jahrhunderts (Wagner-Gesellschaften, Kunst- und Museumsvereine) betrieben organisierte Schlager- und Pop-Fans den Übergang von imagined zu organized communities und setzten zunehmend erfolgreich ihren Anspruch auf Repräsentation in der Medienöffentlichkeit durch. Dabei bildeten sie eigenen kulturellen Praxen im Sinne jenes „listenreichen“ Umgangs mit den Produkten (de Certeau) heraus, der einen „aktiven“ Konsum kennzeichnet, und trugen so zur Formierung einer zunehmend pluralistischen Popkultur bei. (Bodo Mrozek)

Mit deren Ausbreitung und Etablierung wandelten sich – viertens – auch biographische Entwürfe. Anhand der Erzählungen von (Auto-)Biographien in den Kategorien von Verlierern und Gewinnern lässt sich der Wandel in zeitgenössischen und retrospektiven Selbst- und Fremddeutungen der 1970er und 1980er Jahre thematisieren. Lange Zeit wurden vor allem negative Folgen von deviantem Verhalten beschrieben: soziales Außenseitertum, Abdriften in Kriminalität und Sucht, Versagen und Scheitern in einem Lebensabschnitt, in dem Bildung und Ausbildung sowie die Gewöhnung an Verantwortung und Pflichterfüllung im Vordergrund stehen sollten.

Seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts gewinnt ein anderes Narrativ an Bedeutung, das die „Verschwendung der Jugend“ als ein Gelingen interpretiert. Jugendkulturelle Lebensentwürfe renitenter Punks oder hedonistischer Beatniks, deren Wurzeln sich bis in die Romantik zurückverfolgen lassen, werden als erfülltes, weil intensiv und kompromisslos subjektiv gelebtes Leben interpretiert: Diese affirmativen (Selbst-)Beschreibungen der Popkultur als befreiend, individualisierend oder widerständig bedürfen der Historisierung und rücken die für die Popgeschichtsschreibung originäre Quellengattung der Selbstzeugnisse in den Mittelpunkt. (Alexa Geisthövel)

Mit diesen vier unterschiedlichen Fallbeispielen will das Panel Popgeschichte als ein breites Set von Methoden und Problemen vorstellen. Dabei wird weder für einen neuen „Turn“ plädiert, noch ein radikaler Bruch mit bewährten Methoden behauptet. Vielmehr geht es um den Ausblick auf ein junges Forschungsfeld, das inhaltlich zu etablierten Bereichen der Wirtschafts-, Protest- oder Konsumgeschichte anschlussfähig ist, aber neue Quellen erschließt und andere Forschungsperspektiven einnimmt. Die Sektion will somit den Gewinn popgeschichtlicher Ansätze und Fragestellungen für die Historiographie des 20. Jahrhunderts aufzeigen.

Liste der ReferentInnen und vorläufige Referatstitel:

1. Prof. Dr. Detlef Siegfried (Universität Kopenhagen):
Popgeschichte: Probleme und Perspektiven“ (Einleitung)

2. Dr. Astrid Kusser (Universidade Federal Rio de Janeiro):
“Dance Craze, dance circle. Wettbewerb in medialen Tanzspektakeln um 1900 und um 1980“

3. Dr. Klaus Nathaus (University of Edinburgh):
“Erfolgswege und Sackgassen: Pfadabhängigkeit als Erklärung für die anglo-amerikanische Dominanz der Popmusik in (West-)Deutschland 1900-1980“

4. Bodo Mrozek, M.A. (Freie Universität Berlin / ZZF Potsdam):
„Losers united: Fan-Clubs als Geschmacks-Avantgarden von den 1950er bis in die 1980er Jahre“

5. Dr. Alexa Geisthövel (Medizinhistorisches Institut der Charité, Berlin):
„Gelebtes Leben: Wie verschwendete Jugend wertvoll wurde“

Quelle: http://pophistory.hypotheses.org/1134

Weiterlesen