„Weltweit vor Ort“: Revolutionserwartungen in Italien? Antonio Gramsci im Jahr 1917

Ist 1917, das Jahr der russischen Oktoberrevolution, auch als ein Epochenjahr für Italien anzusehen? Das Königreich Italien, das 1915 in den Ersten Weltkrieg eingetreten war, blieb 1917 vor allem im Bann der Kriegsereignisse. Die dramatische Niederlage von Caporetto, der Vormarsch der deutsch-österreichischen Truppen und die Flucht von großen Teilen der Bevölkerung aus Nordostitalien lösten zwar einen Schock aus, führten aber nicht zum Zusammenbruch des Staates oder zu einer revolutionären Umwälzung. Umso aufmerksamer wurde die russische Revolution von den sozialistischen Intellektuellen Italiens beobachtet, allen voran vom 1891 auf Sardinien geborenen Antonio Gramsci, der 1917 als Journalist in der sozialistischen Presse Turins aktiv war. 1921 gehörte er zu den Begründern der Kommunistischen Partei Italiens. 1937 starb der wichtigste antifaschistische Intellektuelle Italiens, für den auch Max Weber kein Unbekannter war, nach langjähriger Haft in Rom. Gramsci kann als einer der einflussreichsten marxistischen Denker des 20. Jahrhunderts gelten, sein OEuvre fand nach 1945 weltweite Ausstrahlung. Es beeinflusst bis zum heutigen Tage nicht nur die italienischen Sozialisten und Kommunisten, sondern ebenso die marxistisch geprägte Linke inner- und außerhalb Europas, darunter auch postkoloniale Intellektuelle.



[...]

Quelle: http://mws.hypotheses.org/38805

Weiterlesen

Wider Utopie und Realität aus marxistischer Perspektive – von Peter Schadt

„Vielleicht wird die wahre Gesellschaft der Entfaltung überdrüssig und läßt aus Freiheit Möglichkeiten ungenützt, anstatt unter irrem Zwang auf fremde Sterne einzustürmen“ (Adorno – Minima Moralia).

Gegen die Versuche einer positiven Ausmalung einer anderen Welt schrieb Adorno bereits in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts in seinem Werk Minima Moralia, dass in jeder Utopie bereits ein Moment der bestehenden Gesellschaft gesickert sei. Die Idee einer anderen Gesellschaft ist nach Adorno immer schon durchsetzt von den Bestimmungen des Bestehenden – und sei es nur in dem Versuch, diese zu negierendenn auch hier bleibt das Bestehende der (negative) Ausgangspunkt der Utopie. Adorno wirft also die Frage auf, ob das, was als wünschenswert vorgestellt wird, vielleicht gar nicht so wünschenswert ist, sondern vielmehr (negatives) Spiegelbild der „verwalteten Welt“. Damit leistet sich der Vertreter der kritischen Theorie freilich einen Widerspruch. Einerseits sieht er in den Utopien seiner Zeit Überbleibsel oder schlechte Negationen des Kapitalismus, andererseits liefert er selbst einen Beweis dafür, dass man diese Fehler gar nicht machen muss, da sie von außen erkennbar sind – immerhin fallen sie Adorno als solche Fehler auf. Aber ist mit dieser falschen Utopiekritik tatsächlich schon alles gesagt über die marxistische Kritik an dieser? Hat Adorno sich einfach geirrt und die Utopie als Leitmotiv hat gesiegt?

[...]

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/9927

Weiterlesen

Zum Tod von Stuart Hall (1932-2014)

Stuart Hall (1932-2014), Quelle: Wikimedia Commons

Gestern starb Stuart Hall, Medienwissenschaftler, postkolonialer Kulturkritiker, Historiker und Anti-Rassismus-Aktivist im Alter von 82 Jahren. Der Guardian veröffentlichte einen ausführlichen Nachruf plus einer Reihe von älteren Beiträgen und Interviews.

Neben einer Liste seiner Werke finden sich auf der englischen Wikipedia Links zu Interviews und Videomitschnitten seiner Vorlesungen.


Einsortiert unter:Biographie, Ereignis, Erinnerung, Geschichte, Historiker, Kolonialismus, Linke Debatte, Uncategorized

Quelle: http://kritischegeschichte.wordpress.com/2014/02/11/zum-tod-von-stuart-hall-1932-2014/

Weiterlesen

Zum Tod von Stuart Hall (1932-2014)

Stuart Hall (1932-2014), Quelle: Wikimedia Commons

Gestern starb Stuart Hall, Medienwissenschaftler, postkolonialer Kulturkritiker, Historiker und Anti-Rassismus-Aktivist im Alter von 82 Jahren. Der Guardian veröffentlichte einen ausführlichen Nachruf plus einer Reihe von älteren Beiträgen und Interviews.

Neben einer Liste seiner Werke finden sich auf der englischen Wikipedia Links zu Interviews und Videomitschnitten seiner Vorlesungen.


Einsortiert unter:Biographie, Ereignis, Erinnerung, Geschichte, Historiker, Kolonialismus, Linke Debatte, Uncategorized

Quelle: https://kritischegeschichte.wordpress.com/2014/02/11/zum-tod-von-stuart-hall-1932-2014/

Weiterlesen

Online-Quellen über den „Entdecker“ der neolithischen Revolution Vere Gordon Childe

Vere Gordon Childe (Public Domain)

Das Weblog Entdinglichung hats gefunden: Es gibt neue Texte des marxistischen Archäologen Vere Gordon Childe (1892-1957) online im Marxists Internet Archive (MIA). Gordon hatte u.a. den Begriff der neolithischen Revolution geprägt. Im MIA findet man nun:

Die Biographie Childes ist wirklich ein Spiegel der Zeit in der ersten Häfte des 20. Jahrhunderts. Unbedingt lesenswert ist hierzu der Beitrag Gordon Childe and Marxist archaeology von Neil Faulkner in International Socialism.


Einsortiert unter:Historiker

Quelle: https://kritischegeschichte.wordpress.com/2011/10/30/online-quellen-uber-den-entdecker-der-neolithischen-revolution-vere-gordon-childe/

Weiterlesen

Im Handgemenge der Vergangenheit: Ellen Meiksins Wood

Ellen Meiksins Wood

Bereits vor einem Jahr erschien die deutsche Ausgabe von Ellen Meiksins Wood Democracy against Capitalism. Renewing historical materialism. Um es vorweg zu nehmen: Das Buch enthält mit dem Beitrag Klasse als Prozess und Verhältnis einen elementaren methodischen Text für Sozialwissenschaftler(innen) im allgemeinen und Historiker(innen) im Besonderen – nicht zuletzt weil darin der Ansatz des Historikers E. P. Thompson erläutert und weitergeführt wird.

Doch zuvor ein paar Zeilen zum Buch selbst. Das Original erschien 1995 und war schon damals eine Zusammenfassung verschiedener Essays, die Wood zwischen 1981 und 1994 publiziert hatte. Insofern überrascht es nicht, dass die Texte in Democracy against Capitalism ein Zeugnis bereits zurückliegender innermarxistischer Debatte sind.

Deshalb wirkt das Buch zumindest aus heutiger Sicht etwas oldfashioned und ist es zum Teil auch. Wood arbeitet sich an Louis Althusser, Max Weber und anderen alten Männern der Sozialtheorien ab. Das erscheint streckenweise weniger als Erneuerung des historischen Materialismus, denn als Wiederaufnahme alter Schlachten. Im Nachhinein betrachtet wäre es schon in den 1980ern produktiver gewesen, frisch an das Thema heranzugehen und den alten Granden nicht soviel Raum zu geben. Vor allem, wenn man sich von ihnen distanzieren will. Aber die Herren waren damals wohl zu dominant.

Probleme des ahistorischen strukturalistischen Marxismus

Die deutsche Ausgabe lohnt sich aber schon wegen dem Beitrag Klasse als Prozess und Verhältnis. Ellen Meiksins Wood versucht darin, aus dem Werk E.P.Thompsons eine Klassentheorie herauszufiltern. Und sie stellt dabei Thompsons Ansatz dem strukturalistischen Marxismus gegenüber. Wood nimmt Thompson gegenüber Althusser und seinen Verteidigern in der New Left  in Schutz. Ihre intellektuellen Opponenten haben klingende Namen wie Stuart Hall, Perry Anderson oder Nikos Poulantzas.

Dem strukturalistischen Marxismus wirft sie vor, dass er in seinen abstrakt-formalen Analysen voraussetzt, was eigentlich erst entsteht. Schon in der Einleitung des Bandes schreibt sie:

Die Fragen, um die es hier geht, sind sowohl historisch wie auch theoretisch. Das historische Hauptproblem ist jene in nicht-marxistischen Darstellungen kapitalistischer Entwicklung fast universell verbreitete und von manchen Spielarten des Marxismus geteilte Tendenz, kapitalistische Prinzipien und Bewegungsgesetze in die Geschichte hineinzulesen und den Aufstieg des modernen  Kapitalismus zu erklären, indem man gerade das, was zu erklären wäre, bereits voraussetzt. Das Gegenmittel gegen dieses wesentlich teleologische Vorgehen ist, Geschichte anstelle der Teleologie zu setzen. (20)

Und man kann sagen, Wood insistiert hier auf den klassischeren Ansatz: Das Werk von Marx und Engels besteht zu großen Teilen aus realsoziologischen, (zeit-)historischen Ausführungen. Doch sowohl der Leninismus als auch der westliche Marxismus messen dem eine untergeordnete Bedeutung bei. So kann Wood zu Recht sagen, dass lediglich E.P. Thompson diese klassische Tradition fortgeführt und weiterentwickelt hat. Leo Kofler, Wolfgang Abendroth, Dipesh Chakrbarty und viele andere wären vielleicht auch zu nennen, aber Thompson ist natürlich der einflussreichste und wichtigste.

Ich will es etwas zuspitzen: Für den strukturalistischen Marxismus hat die real-historische Analyse eigentlich nur die Rolle eines schmückenden Beiwerks. Denn innerhalb der strukturalistischen Denkgebäude scheint völlig klar, wie die Geschichte laufen musste. Für Subjekte und Alternativen ist dort wenig Raum. Und als E.P. Thompson auf der Basis seiner historischen Forschungen diesen Ansatz in Frage stellte, wurde ihm postwendend Relativismus vorgeworfen. Er vernachlässige die ökonomischen Zwänge und anderes mehr.

Wood kontert, Thompson habe nicht vor, diese Zwänge der Subjektivität und historischen Kontingenz unterzuordnen.

Ihm geht es vielmehr darum, dieser Art von umgekehrten Subjektivismus, Voluntarismus und Idealismus, die sich in die Analyse einschleicht, denen eine historische und soziologische Basis fehlt, die historische Untersuchung entgegenzusetzen. (106)

Die Gefahr des Voluntarismus sieht sie eher bei einer von jeder konkreten Forschung abgehobenen Theorie gegeben. Wood macht in einem anderen Artikel anhand der Staatsanalyse von Nikos Poulantzas die Gefahren plastisch:

So beschreibt Poulantzas im Grunde auch den europäischen Absolutismus. Der absolutistische Staat wird als kapitalistischer Staatstyp bezeichnet, nicht weil ein tatsächlicher Bezug zur kapitalistischen Produktionsweise vorliegen würde (Poulantzas gibt sich Mühe zu betonen, dass kapitalistische Verhältnisse in diesem Stadium rudimentär waren), sondern weil er bestimmte formale Strukturmerkmale aufweist, die er mehr oder weniger willkürlich als in der Theorie mit der kapitalistschen Produktionsweise übereinstimmend eingeführt hat.

In diesen theoretischen Überlegungen findet sich gleichermaßen ein Übermaß an rigidem Determinismus wie an Willkürlichkeit und Kontingenz – zuviel abstrakt-theoretische, geradezu idealistische Determination und zuwenig historische Kausalität [...] Im Grunde wurde theoretischen Übereinstimmungen a priori Vorrang vor realen historischen Verhältnissen eingeräumt. (63f)

In diesem Blog haben wir übrigens ein weiteres Beispiel, das zeigt, wie wichtig es ist, analytisch zuerst die konkreten gesellschaftlichen Kämpfe in den Blick zu nehmen: Der bürgerliche Staat – Thesen zur historischen Entwicklung

Klasse als Verhältnis und Prozess: Der Ansatz von E.P. Thompson

Man könnte auch sagen, die Tradition, für die E.P. Thompson steht, arbeitet in erster Linie mit der Analyse von Bewegungen, sozialen Kämpfen, Klassenkämpfen. Und dann gibt es natürlich ein Definitionsproblem: Wann ist eine Klasse eine Klasse? Wann ist sie „an sich“ da und wann hat sie das „für sich“ festgestellt?

Wood weist alle Klassenbegriffe zurück, die sich auf eine soziale Lokalisierung beschränken:  Klasse als eine bestimmte Schicht oder eine bestimmte soziale Lage. Auch das Verhältnis zu den Produktionsmitteln reicht ihr als Kriterium nicht aus. Für eine Analyse sind ihr diese Zugriffe zu statisch. Und sie verweist auf E. P. Thompsons Klassenbegriff, der Klasse als Prozess und Verhältnis begreift. Damit sei er in der Lage, „klassenspezifisches Handeln bei fehlendem Klassenbewusstsein erkennen und darstellen zu können“. (85) Denn:

Die Hauptaufgabe marxistischer Klassentheorie ist weniger die Erklärung von Klassen“positionen“ als die Erklärung von Prozessen der Klassenbildung – das ist der springende Punkt (87)

Thompson nehme die Prinzipien des historischen Materialismus und dessen Auffassung von materiell strukturierten historischen Prozessen ernst und behandle den Prozess der Klassenbildung als einen historischen Prozess, der durch die „Logik“ materieller Determinationen genormt werde.

Klasse ist mit anderen Worten, ein Phänomen, das nur im Prozess sichtbar wird. (88)

Die Auseinandersetzung mit Ellen Meiksins Wood lohnt sich also, wobei man ihre Texte manchmal sehr genau lesen muss. Wood bleibt im theoretischen Handgemenge und das macht es manchmal schwer, ihr zu folgen. Thompson selbst ging da weit weniger theoretisch heran. Er sagte, die Basis- und Überbau-Theorie ist nicht zu retten und zeigte mit The Making of the English Working Class (1963) konkret warum.

Ingrid Scherf und Christoph Jünke haben übrigens Woods Texte ins Deutsche übersetzt. Vielen Dank dafür.

Ellen Meiksins Wood (2010): Demokratie contra Kapitalismus. Beiträge zur Erneuerung des historischen Materialismus. Aus dem Englischen von Ingrid Scherf und Christoph Jünke, Neuer ISP Verlag, Köln/Karlsruhe.


Einsortiert unter:Literatur, Methodik

Quelle: http://kritischegeschichte.wordpress.com/2011/07/31/im-handgemenge-der-vergangenheit-ellen-meiksins-wood/

Weiterlesen