Werkstattgespräch des Bayerischen Forschungsverbundes ForChange,
10. April 2014, Universität München, Kleine Aula, Moderation: Katharina Fuhrin
Nach etwa einer Stunde hat Harald Lesch einen Vorschlag: eine Wissenschaft, die anders funktioniert als die Gesellschaft, die sie finanziert. Ein wissenschaftliches System, das sich dem politischen Druck entzieht. Eine LMU, die einfach nicht an Exzellenzinitiativen teilnimmt, sondern mit Augsburg, Passau, Regensburg Projekte macht. Mit all den kleinen Universitäten rundherum. Wir sind schon Rolls-Royce. Wir haben es gar nicht nötig, uns an solchen Wettbewerben zu beteiligen. Solidarität statt Konzentration und spätkapitalistische Ökonomisierung.
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Harald Lesch hat ein Faible für starke Bilder, für Gedankenspiele, für Pointen. Er habe nie für möglich gehalten, dass es an der Universität eines Tages nur noch um „Schotter“ gehen werde. „Ich mache Physik für 30 Millionen. Was machen Sie?“ Wissenschaft sei zur Akquise verkommen. Was man auch tue: Hauptsache eine große Summe. Er, Harald Lesch, Professor in München seit 20 Jahren und Aushängeschild der Wissenschaftssendungen im ZDF, wundere sich, dass sein Präsident nicht längst abends im Büro erscheint und sagt: „Herr Lesch, ich bin enttäuscht von Ihnen!“
Um Universität und Journalismus geht es an diesem Abend in der Kleinen LMU-Aula und damit auch um Resilienz: Was wird aus einer Wissenschaft, die sich an die Selektionslogik der Massenmedien anpasst? Die Präsenz in der Öffentlichkeit mit Leistung verwechselt? Matthias Kohring, Professor für Kommunikationswissenschaft in Mannheim, spricht in seiner Keynote von einer „fatalen“ Entwicklung. New Public Management heiße der Trend, der Universitäten zu Unternehmen werden lasse und öffentliche Legitimation erfordere. Früher habe man sich nur gegenüber dem Wissenschaftsministerium verantworten müssen. Jetzt, ohne diesen „Puffer“, würden die „Stakeholder“ fragen: Gesellschaft, Industrie und Geldgeber, Studierende und Eltern. Antwort eins: Indikatoren erfinden, die von Leistung zeugen. Impact, Drittmittel, Rankings. Antwort zwei: Sichtbarkeit erzeugen. Tag der offenen Tür, Nacht der Wissenschaft, Professoren in der Presse.
Matthias Kohring sagt, dass so etwas inzwischen in Zielvereinbarungen stehe zwischen Hochschulleitungen und frisch Berufenen. Sichtbarkeit als Indikator für Relevanz. In einer großen Studie haben Kohring und sein Kollege Frank Marcinkowski (Münster) die Spitzen der deutschen Universitäten gefragt, wie wichtig ihnen eine gute Presse sei. 8,3 auf einer Skala von null (völlig egal) bis zehn. Noch höher war der Wert, als es um den Zwang zur öffentlichen Profilierung ging (8,5). Massenmedien funktionieren anders als Wissenschaft, sagt Kohring. Was dort erscheint, muss einfach sein und leicht verständlich. Die Folgen: andere Themen und andere Qualitätskriterien, Entsolidarisierung und falsche Erwartungen, vor allem in Sachen Verwertbarkeit. Matthias Kohring bezweifelt, dass sich „die Menschen da draußen“ für „vorgeführte Schaukämpfe“ aus der Wissenschaft interessieren. „Wofür tun wir es dann?“
Patrick Illinger, Leiter des Wissens-Ressorts bei der Süddeutschen Zeitung, weiß, wofür sich niemand interessiert: Wissenschaftspolitik. Bewilligungen, Evaluierungen, Personal. All das, was die Professoren in ihrem Alltag am meisten umtreibt. Illinger beklagt, dass ihm Forscher fast nie erzählen, was sie in den letzten Monaten Spannendes entdeckt haben. Immer nur das eine. Falls jemand mit seinem Thema in die Süddeutsche will: Patrick Illinger hat ein einfaches Kriterium. Was würde er seinen Freunden erzählen, abends beim Bier? Illinger kritisiert die eigene Zunft ein bisschen (zu wenig investigativ, noch zu wenig journalistisch) und lobt die Wissenschaft. Vorbei sei die Zeit der Universitätspostillen, die auf acht Seiten siebenmal den Rektor hatten. Vorbei auch die Zeit der Institutsdirektoren, die Reportern Hausverbot erteilten, auch wenn sich manche Forscher immer noch um ihr Image sorgen würden, wenn Zeitung oder Fernsehen anrufen.
Luise Dirscherl leitet an der LMU die Stabsstelle Kommunikation & Presse und bezweifelt, dass die Themen Wissenschaft und Wissen in den Medien boomen. Ihre These: immer größere Konkurrenz (Universitäten, Netzwerke, Forschungsverbünde) um immer weniger Abdruckplätze. Völlig verschwunden sei die kleine Meldung über eine Entdeckung hier und eine dort. Stattdessen gehe es eher um größere Zusammenhänge, um Politiknähe. Es ist gerade drei Tage her, dass Annette Schavan ihren Rückzug aus dem Hochschulrat der Universität angekündigt hat. Schlechte Presse inklusive. Luise Dirscherl beschreibt, was sich in den zehn Jahren ihrer Amtszeit verändert hat: gezielte Pressemitteilungen und viel mehr eigene Berichterstattung. Ein Forschungsmagazin zum Beispiel, das von Martin Thurau gestaltet werde, einst Wissenschaftsjournalist bei der Süddeutschen Zeitung. Während dort früher Professoren für Professoren geschrieben hätten und Medienauftritte überhaupt argwöhnisch beobachtet worden seien, gehöre es heute zum Selbstverständnis der meisten Wissenschaftler, auch Kommunikator zu sein. Manchmal fehle es noch am Verständnis für die Medienlogik, aber dafür sei eine Pressestelle schließlich da.
Harald Lesch braucht diese Hilfe nicht. „Ich mache das, weil es mir Spaß macht.“ Über die Wünsche der Öffentlichkeit habe er nicht groß nachgedacht. Umso mehr offenbar über das, was mit der Universität passiert. Lesch kritisiert die Jagd nach Schlagzeilen als ein Ausweichmanöver, das sich ganz gut mit dem Begriff Resilienz beschreiben lasse. Der Leistungsdruck und die Drohung Mittelentzug würden von den Kollegen schließlich verlangen, Aufmerksamkeit zu ergattern. Sich selbst sieht Lesch als „Sänger“ und Öffentlichkeitsarbeiter. Er habe aufgehört, Anträge zu stellen und Gutachten zu schreiben, als er zum Fernsehen gegangen sei. „Totale Einflusslosigkeit“ in seinem Bereich: das sei der Preis gewesen. Vielleicht kann er deshalb an diesem Abend auch zum Mahner in Sachen Resilienz des Wissenschaftssystems werden. Das Ausweichen in die Medien sein ein „Fluchtreflex“, und ein Professor, der aus Sorge um Drittmittelanträge darauf verzichte, ein öffentlicher Intellektueller zu sein, habe seinen Beruf verfehlt. Natürlich hat Lesch auch für seine Kollegen eine schöne Metapher: Dackel, die einem Zipfel Wurst hinterher hecheln. „Der schlaue Hund bleibt sitzen, weil er weiß: Die Wurst kommt irgendwann wieder.“
Quelle: http://resilienz.hypotheses.org/16