Kloster und Wissen. Einige Thesen zur Diagrammatik der Philosophia mundi.

 

Zu Beginn des Jahres wurde eine deutlich erweiterte Fassung meiner Masterarbeit veröffentlicht, die mittlerweile auch online über den Freiburger Dokumentenserver zugänglich ist.1 In dieser Arbeit habe ich mich mit der so genannten Arnsteinbibel, London BL Harley 2798 und Harley 2799 beschäftigt.

“Das […] Buch behandelt die monastische Wissenskultur des hohen Mittelalters und basiert auf einer mit dem Erasmus Prize for the Liberal Arts and Sciences (2013) ausgezeichneten Qualifikationsschrift des Autors. Anhand wissenschaftlicher Diagramme der so genannten Arnsteinbibel (British Library Harley 2799) werden die lebensweltlichen Bedingungen von Wissen im Prämonstratenserstift Arnstein a.d. Lahn im frühen 13. Jahrhundert untersucht. Dabei eröffnet sich dem modernen Betrachter ein ungewohnter, genuin mittelalterlicher Zugang zu naturwissenschaftlichem Wissen, das in Arnstein eine spirituelle und liturgische Dimension erhielt.“2

Harley 2799, fol. 166r (This image identified by the The British Library, is free of known copyright restrictions)

In dieser Arbeit vertrete ich unter anderem die These, dass der Diagrammzyklus in Harley 2799 größtenteils auf der Philosophia mundi Wilhelm von Conches basiert.

Harley 2799, fol, 242r. (This image identified by the The British Library, is free of known copyright restrictions)

Ich interpretiere die drei Diagramme auf folio 242r der Bibel als diagrammatische Synthese einer komplexen Stelle im zweiten Buch der Philosophia, in der die Beziehung zwischen dem Kosmos (vor allem dem jeweiligen Stand der Sonne zu den verschiedenen Jahreszeiten) und dem menschlichen Körper beschrieben wird. Diese inhaltliche Interdependenz zwischen den astronomischen und medizinischen Phänomenen entspricht einer didaktischen Interdependenz zwischen den drei Diagrammen.3

Diese These scheint mir inhaltlich überzeugend, sie war in zweierlei Hinsicht aber nicht unproblematisch: Zum einen bezeugt der überlieferte mittelalterliche Katalog der Abtei4 keinen Eintrag, der sich eindeutig auf das Werk des nordfranzösischen Magisters beziehen ließe; und zum anderen konnte ich bislang keine entsprechenden Diagramme in der Überlieferung des zweiten Buches der Philosophia mundi ausfindig machen.

Erst nach Fertigstellung des Manuskripts der Arbeit konnten mit freundlicher Hilfe von Prof. Dr. Paul Dutton mittlerweile drei Handschriften gefunden werden, die zur Illustration der Textstelle auf eine ähnliche diagrammatische Formensprache wie die Arnsteinbibel zurückgreifen: Paris BNF Lat. 6560, Paris BNF Lat. 11130 sowie Zürich Car. C. 137 (299 Mohlberg).

Die beiden Pariser Handschriften sind mittlerweile (leider ebenfalls erst nach Abschluss des Manuskripts) online konsultierbar, bislang allerdings völlig unzureichend und fehlerhaft beschrieben.

Alle drei Handschriften stammen vermutlich aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, die genaue Herkunft ist bislang nicht bekannt. Sie stellen neben der Arnsteinbibel die einzigen bekannten Zeugnisse dieser diagrammatischen Tradition dar. Während Lat. 11130 und Car. C. 137 die Zusammenhänge im Text ähnlich der Arnsteinbibel mit mehreren (zwei) Diagrammen illustrieren, sind die entsprechenden Elemente in Lat. 6560 in einem Diagramm zusammengefasst.

Paris BNF lat. 11130, fol. 47v und 48r.
Paris BNF lat. 6560, fol. 53r.

Diese neue Überlieferungslage stärkt die im Buch vertretene These, die Abtei habe tatsächlich eine Abschrift der Philosophia mundi besessen, die als Vorlage des Diagrammzyklus zu sehen ist.5

In seinem Standardwerk Album of Science hat sich John Murdoch 1984 wie folgt zur Erforschung der diagrammatischen Produktion geäußert:

„Our knowledge of how manuscript illustrations were produced is infinitely more complete in the case of the well known artistic miniatures of illuminated medieval manuscripts than in that of the scientific illustration or diagram.”6

Ich möchte an dieser Stelle vorsichtig die Vermutung äußern, dass die nunmehr vier Zeugen der Diagrammtradition einen seltenen Blick hinter die Kulissen dieser Produktion ermöglichen und hierzu einige knappe Thesen skizzieren:

Die vier Zeugen lassen sich im Hinblick auf ihre Komplexität sortieren: Das eine Ende der Tradition bildet die Arnsteinbibel, die den Zusammenhang zwischen Kosmos und Körper mit drei Diagrammen darstellt. Lat. 6560 steht am anderen Ende, da es den gleichen Sachverhalt in einem einzigen Diagramm vereint (auch wenn auf der Folgeseite das Verhältnis der Elemente erneut dargestellt wird). Lat. 11130 und Car. C. 137 nehmen mit zwei Diagrammen eine Mittelstellung ein.

Es ist dabei verlockend, über diese unterschiedliche Komplexität auf verschiedene Phasen der Entwicklung dieser Diagramme zu schließen. Da der Arnsteinbibel wichtige gestalterische Elemente fehlen, die den anderen Handschriften gemein sind (hier sind vor allem die versetzte Anordnung der Sternzeichen sowie die doppelwandigen Halbkreise mit den Himmelsrichtungen und den Jahreszeiten zu nennen), scheint es wahrscheinlich, dass die Bibel einer früheren Entwicklungsstufe der Tradition entspricht. Lat. 6550 wäre in dieser Lesart der Endpunkt dieser Entwicklung.

In diesem Fall böte sich hier ein aufschlussreicher Einblick in die Entstehung dieser diagrammatischen Traditionen:

Eine ursprünglich diagrammfreie Fassung des zweiten Buches der Philosophia wurde vermutlich zur Klärung des komplizierten Textes mit Illustrationen versehen, die die wesentlichen Elemente der Textstelle verdeutlichen. Der Urheber dieser Abbildungen bediente sich dabei des klassischen bekannten Formenrepertoirs und war bemüht, die sehr unterschiedlichen thematischen Felder des Textes zu isolieren, gleichzeitig aber auch ihre Beziehung deutlich zu machen. Diese graphische Umsetzung besticht durch ihre Einfachheit, hat aber auch eine entscheidende Schwäche: Man muss erst erkennen, dass die drei Diagramme aufeinander zu beziehen sind, damit die Abbildungen ihren Sinn entfalten können.

Diesem Umstand trägt die zweite Entstehungsstufe in Lat. 11130 und Car. C. 137 Rechnung. Hier wird D2, also der Lauf der Sonne durch die Jahreszeiten, in die graphisch reduzierte Abbildung des Kosmos integriert und dem Schema der Elemente gegenüberstellt. So wird ein besseres Verständnis gewährleistet; die Diagramme verlieren dadurch aber auch an Bildlichkeit und werden abstrakter.

Lat. 6560 könnte nun den letzten Schritt in dieser Entwicklung darstellen. Die Elemente wurden auf ein stark abstrahierendes Diagramm reduziert. Die ursprünglichen klassischen Formen sind in einem neuen Diagramm aufgegangen.

Diese Beobachtungen – sollten sie sich erhärten lassen – legen den Schluss nahe, dass hochmittelalterliche  Diagramme nicht einfach aus dem Nichts geschaffen werden konnten, sondern zunächst aus dem überlieferten Formenspektrum schöpfen mussten. Damit bestätigt sich die Vermutung von Ramírez-Weaver:

“The creator of a diagram, even a new one […] was restricted by standard techniques of visualization […] medieval preferences for the formal arrangements
of charted information (like rotae), and a relatively straightforward adherence to well-known ›facts‹ […].”7

Einmal etabliert werden diese Diagramme dann zunehmend abstrahiert und in ein einzelnes Diagramm integriert.

Diese Überlegungen sind sicherlich noch sehr vorläufig und bedürfen eingehender Prüfung. Rätselhaft ist zum Beispiel das plötzliche Verschwinden dieser diagrammatischen Tradition mit Lat. 6560 ab dem 13. Jahrhundert. Die drei Handschriften der Philosophia, Car. C. 137, Lat. 11130 und Lat. 6560, scheinen auf jeden Fall in einer Beziehung zueinander und zur Arnsteinbibel zu stehen, die näher zu untersuchen sich sicherlich lohnen würde.8

  1. Schonhardt, Michael: Kloster und Wissen – Die Arnsteinbibel und ihr Kontext im frühen 13. Jahrhundert. (Reihe Septem, 2) Freiburg 2014.
  2. Kurzbeschreibung auf Freidok.
  3. Vgl. Schonhardt: Kloster und Wissen, S. 58-61.
  4. Ediert in Gottlieb, Theodor: Über mittelalterliche Bibliotheken. Leipzig 1890, S. 293-298.
  5. Vgl. Schonhardt: Kloster und Wissen, S. 98-100.
  6. Murdoch, John: Album of Science, Antiquity and the Middle Ages. New York 1984, S. 15.
  7. Ramírez-Weaver, Eric: Creative Cosmologies in Late Gothic Bohemia: Illuminated Diagrams and Memory Tools for the Court of Wenceslas IV, in: Manuscripta Bd. 54 (2010), S. 21–48, hier S. 31.
  8. Ein wichtiger Beitrag ist in dieser Hinsicht sicherlich von der geplanten Edition der Philosophia durch Paul Edward Dutton im CCCM zu erwarten.

 

 

Quelle: http://quadrivium.hypotheses.org/228

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Pariser Historische Studien: weitere Bände online!

Im Rahmen der Retrodigitalisierung der Buchreihe Pariser Historische Studien stehen nun vier weitere Bände kostenlos zur Verfügung. Die Nummern 91, 92, 95 und 96 sind bei perspectivia.net online.

Guido BraunGuido Braun: La connaissance du Saint-Empire en Franec du baroque aux Lumières 1643-1756.

Inhalt
Introduction – Le droit public allemand depuis les traités de Westphalie jusqu’à la fin du XVIIe siècle – La diplomatie française et la Constitution du Saint-Empire de Richelieu à Mazarin -  La France et les langues de l’Empire, du baroque aux Lumières – La France et l’histoire du droit public de l’Empire sous les règnes de Louis XIV et de Louis XV – Les Français et les institutions impériales. Du monde des diplomates à la culture des élites – Conclusion générale: Comment, de 1643 à 1756, les Français voyaient-ils l’Empire?

Thorsten Hiltmann

 

Thorsten Hiltmann: Spätmittelalterliche Heroldskompendien. Referenzen adeliger Wissenskultur in Zeiten gesellschaftlichen Wandels (Frankreich und Burgund, 15. Jahrhundert).

Inhalt
Einführung – Definition der Quellengruppe – Struktur der Heroldskompendien und ihre Überlieferung – Die Inhalte der Heroldskompendien – Zusammenfassung und Einordnung der Ergebnisse

 

Peter GeissPeter Geiss: Der Schatten des Volkes. Benjamin Constant und die Anfänge liberaler Repräsentationskultur im Frankreich der Restaurationszeit 1814-1830.

Inhalt
Einleitung – Ideen- und verfassungsgeschichtliche Rahmenbedingungen liberaler Repräsentationskultur – Liberake Repräsentationskultur und Öffentlichkeit – Liberale Repräsentationskultur zwischen Hauptstadt und Provinz. Zwei Regionalstudien – Schlussbetrachtung

Christine Howald

 

 

Christine Howald: Der Fall Nicolas Fouquet. Mäzenatentum als Mittel politischer Selbstdarstellung 1653-1661.

Inhalt
Einleitung – Nicolas Fouquet: Quo non ascendet? – Schloss und Sammlung im Schatten Mazarins: Fouquets Kulturpatronage der Jahre 1653-1655 – Auf dem Weg zur königlichen Gunst: Prachtbau und Propaganda 1656-1661 – Die letzte Chance: das Fest vom 17. August 1661 – Epilog

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Siehe auch:

Bände 20-29 der Pariser Historischen Studien online, in: Digital Humanities am DHIP, 24.09.2013, http://dhdhi.hypotheses.org/2023.

Die ersten elf Bände der Pariser Historischen Studien online verfügbar, in: Digital Humanities am DHIP, 17.10.2012, http://dhdhi.hypotheses.org/1290.

Pariser Historische Studien ab Herbst im Open Access online, in: Digital Humanities am DHIP, 20.6.2012, http://dhdhi.hypotheses.org/847.

Quelle: http://dhdhi.hypotheses.org/2157

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Osloer Munch-Museum lanciert Crowdsourcing für Coding der Briefe an Edvard Munch

Foto: Munch-Museum, Oslo / Norway

Foto: Munch-Museum, Oslo / Norway

Die Briefe und Texte von Norwegens bedeutendstem bildenden Künstler Edvard Munch (1863-1944), der viele Jahre auch in Deutschland lebte und arbeitete, sind bereits online, ediert und kommentiert. Nun legt das Osloer Munch-Museum nach: Per Crowdsourcing geht es nun auch an die Briefe an Munch, die digital in Text und Bild veröffentlicht und per XML/TEI erschlossen werden sollen. Nach dem Vorbild des erfolgreichen Crowdprojekts Transcribe Bentham werden via Wiki die automatisiert erfassten Briefabschriften mit den Scans der Originalbriefe abgeglichen; anschließend erfolgt die Erschließung mit XML/TEI Level 4. Vorbildlich hat man hier erklärt, dokumentiert und unterstützt, um auch in Sachen “Spitze Klammern” gänzlich unerfahrenen Freiwilligen die Möglichkeit zur Mitwirkung zu geben – ein perfekter Einstieg ins Textcoding. So stehen u.a. deutschsprachige Videotutorials und ein komfortables Editionsfenster mit umfangreicher Werkzeugleiste bzw. -schaltflächen für die bequeme (und fehlerminimierte) Codierung zur Verfügung. Nach Freigabe durch die Redaktion werden die fertig bearbeiteten Briefe auf http://www.emunch.no der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.  Ein gelungenes Modell, das auch in Deutschland vermehrt Schule machen könnte.

Laut Hilde Bøe, Projektleiterin und Redakteurin von http://emunch.no/, stellt das Projekt im skandinavischen Raum den ersten Versuch einer solchen Teamarbeit zwischen Museum und Publikum dar. Im Munch-Museum ist man gespannt, wie diese Art digitaler Gemeinschaftsarbeit  – in den digitalen Geisteswissenschaften im Ausland zunehmend populär – angenommen wird. «Wir benötigen Freiwillige, die Handschriften in norwegischer, dänischer, schwedischer, französischer und nicht zuletzt in deutscher Sprache lesen können, denn etwa die Hälfte der Briefe an Munch ist deutschsprachig,» so Bøe. Freiwillige sollten außerdem die Bereitschaft zum digitalen Arbeiten in einem Wiki mitbringen, benötigen ansonsten jedoch keine Vorkenntnisse.

Unbenannt

Gut verständliche Erläuterungen und Richtlinien, Online-Support und Videotutorials erleichtern den Einstieg ins Wiki.

 

Das Arbeitsfenster mit Werkzeugleiste, Transkription und Faksimile.

 

«Das Museum besitzt rund 5.800 an Edvard Munch adressierte Briefe, und es ist fantastisch, dass diese jetzt zusammen mit den Briefen Munchs im Internet zugänglich gemacht werden», meint die leitende Konservatorin des Museums, Ute Kuhlemann Falck. «Es handelt sich um historisches Quellenmaterial, das nicht nur für die Munch-Forschung von Interesse ist, sondern auch für andere Forschungsfelder, die wir noch gar nicht absehen können.»

Die andere Seite der Korrespondenz zugänglich zu machen, trägt dazu bei, Munchs eigene Texte zu erläutern, auszuloten und zu nuancieren – ein sehr wichtiger Schritt, so Forschungsbibliothekar Lasse Jacobsen. Man hofft, durch die Arbeit auch weitere Briefautoren zu identifizieren – enthält die Korrespondenz doch einen Teil bislang nicht namentlich zugeordneter Verfasser. Unter den zahlreichen bekannten Namen finden sich u.a. Julius Meyer-Graefe, Gustav und Luise Schiefler, Harry Graf Kessler, August Macke, Elisabeth Förster-Nietzsche, Christian Krohg, August Strindberg und Stèphane Mallarmé.

Wiki: http://www.emunch.no/wiki/index.php/Briefe_an_Edvard_Munch
Einführung und Erläuterungen, Videotutorials: http://www.emunch.no/wiki/index.php/Erste_Schritte
Richtlinien für Transkription und Erschließung: http://www.emunch.no/wiki/index.php/Richtlinien
Direkt zum Archiv: http://www.emunch.no/wiki/index.php/Handschriften
eMunch – Edvard Munchs Texte (digitales Archiv): http://www.emunch.no/

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=3668

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DFG fördert “herausragende Forschungsbibliothek” des IOS

Im Rahmen der Förderung herausragender Forschungsbibliotheken hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft ein Projekt des IOS zum “Aufbau eines Portals georeferenzierter versteckter Karten zu Ost- und Südosteuropa (GeoPortOst)” in vollem Umfang bewilligt. Das beantragte Vorhaben stellt ein Pilotprojekt für den elektronischen Nachweis und die georeferenzierte Präsentation versteckter Karten dar. Als Ausgangsbasis dient ein Zettelkatalog mit dem Nachweis von 16.000 unselbständigen Karten zu Osteuropa (davon 400 urheberrechtsfrei), die sich in Monografien und Sammelbänden befinden. Dieser Katalog wird zunächst in die Datenbank des B3Kat retrokonvertiert. Zudem werden weitere 250 Bücher (Erscheinungszeitraum zwischen 1850 und 1918) zu Südosteuropa, die Karten enthalten, daraufhin durchgesehen, ob diese geeignet sind, einen Beitrag für die Forschung zu leisten. Auf diese Weise können weitere 500 urheberrechtsfreie Karten ausgewählt und katalogisiert werden. Nachdem diese formale Erschließung abgeschlossen ist, werden die 900 vor 1918 erschienenen Karten mittels GND inhaltlich beschrieben. Anschließend werden sie digitalisiert und mit der proprietären Applikation Georeferencer zunächst rudimentär georeferenziert. Nach Erstellung eines Metadatensets werden die Karten für die Georeferenzierung durch Crowdsourcing freigegeben. Schließlich werden die versteckten Karten in ein Portal (GeoPortOst) eingebunden und recherchierbar gemacht. Damit werden versteckte Karten erstmals elektronisch nachgewiesen. Für die Ost- und Südosteuropaforschung entsteht dadurch ein zentraler Ort für die Recherche von Karten. Das Projekt steht somit in der Tradition der Tiefenerschließung von Bibliotheksbeständen des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung (IOS) und seiner Vorgängereinrichtungen.

Quelle: http://ostblog.hypotheses.org/166

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Musikgeschichte als Sonatenform oder das Ende der Musik als Reprise der Geschichte

Seit meiner Lektüre von Alexander Demandts Metaphern für Geschichte (1978) halte ich gerne und ausgiebig Ausschau nach Sprachbildern für Musikgeschichte. Demandt teilt häufig verwendete Metaphern nach Bedeutungsfeldern ein. Dabei unterscheidet er organische, technische, Jahreszeiten-, Theater- und Bewegungsmetaphern. Als ich kürzlich in Musikzeitschriften aus den 1950er Jahren blätterte, begegnete mir folgende Vorstellung: Die Musikgeschichte verlaufe wie eine Sonatenform. Auch wenn es sich hier strenggenommen um keine Metapher, sondern um einen Vergleich handelt, drängt sich die Frage auf: Wie ist Musikgeschichte als Sonatenform zu verstehen? Haben wir es mit einer Double-function Form1 in ungeahnter Dimension zu tun?

Eine kurze Erläuterung der Sonatenform vorab: Es handelt sich dabei um eine (zumeist) dreiteilige Form, die seit dem 18. Jahrhundert vornehmlich in Sonaten, kammermusikalischen Werken und Symphonien zu finden ist. Idealtypisch – hinsichtlich der Formenvielfalt allerdings notwendigerweise verkürzt – lässt sich das Formmodell so darstellen: Im ersten Teil, der „Exposition“, werden zwei Themen vorgestellt bzw. es gibt zwei Bereiche, die in einem Kontrast (Tonart, Charakter) zueinander stehen. Im zweiten Teil, der „Durchführung“, erfolgt die motivisch-thematische Verarbeitung des zuvor vorgestellten Materials. Und schließlich wird im dritten Teil, der „Reprise“, die Exposition wiederholt, wobei der zuvor aufgestellte Kontrast hier (tonartlich) aufgelöst wird.

Nun schreibt Frederick Goldbeck, Musikkritiker und Musikologe, im Jahre 1954: „Es sieht ganz so aus, als entspräche der Gang der Musikgeschichte dem Gang der so schicksalsträchtigen Sonatenform. Vom Mittelalter bis zu Beethoven: Exposition aller Themen, von der Gregorianik bis zur Sonate. Von Beethoven bis zum Ende der Romantik: Durchführung, Modernität als Stauung, Dynamik, Dissonanz; Stretta der Harmonik und des Kontrapunkts. Von Debussy an: Zyklus der Wiederholung, variierende Wiederaufnahme und paradoxe Gleichzeitigkeit, [sic] aller Themen, Modernität als Auseinandersetzung mit der wieder vergegenwärtigten Vergangenheit.“2

Dieser Text ist freilich mit zwinkerndem Auge geschrieben. Dennoch, umsonst ist das Bild einer Sonatenform nicht gewählt. Welche Auffassung von Musikgeschichte steckt also dahinter? Ein kurzer Umriss: Bis zur Klassik werden neue musikalische Momente gesetzt, es werden Formen, Satztechniken und Ordnungsprinzipien des Tonvorrats entwickelt. In der Romantik werde das Gegebene „durchgeführt“, es werde dynamisiert, verschärft, von allen Seiten beleuchtet. Die musikalische Moderne und alles darauf Folgende stelle dann eine Wiederholung des Bisherigen dar: Es handle sich um einen Abschnitt der Musikgeschichte, in dem nichts genuin Neues passiert. Eine starke These! Selbst die Zwölftonmusik, die in den 1920ern und teilweise noch in den 1950ern als radikal und revolutionär galt, versteht Goldbeck als Spielart der Tonalität (aus der Phase der Exposition): „Hier wird dem dynamisch-harmonischen Prinzip unbedingt die Treue gehalten. Hier folgt Dissonanz auf Dissonanz […].“3 Die Folge von Dissonanzen, so lautet sein Argument, sei letztlich zurückzuführen auf die Vorstellung von Dreiklängen (Konsonanzen), die sich dahinter verberge.

Angesichts von so unterschiedlichen musikalischen Phänomenen wie Neoklassizismus und Zwölftonmusik fragt sich Goldbeck: „ […] sind das nicht lauter tastende, naive Versuche, sich in der neuen Situation der erweiterten Perspektive zurechtzufinden und Vergangenheit und Gegenwart zu kontrapunktieren?“4 Dabei fasst er diese neue Situation so auf: Bis zu Richard Wagner habe die zeitgenössische Musik immer die bisherige Musik ersetzt. Dies sei nun nicht nicht mehr der Fall; die zeitgenössische Musik erweise sich „als unersetzlicher Augenblick dieser Musikgeschichte und als unumgängliche Auseinandersetzung mit dieser Musikgeschichte.“5 Goldbeck möchte hier nicht dem Historismus das Wort reden, vielmehr wird in seinen Ausführungen eine (frühe) postmoderne Einstellung sichtbar: Es gibt keine neuen Ideen mehr, sondern lediglich das Aufgreifen des schon Verfügbaren. Die Moderne als Reprise der Geschichte: Äußert sich hier eine Variante von Hegels These zum Ende der Kunst? Einer Kunst, in der keine bedeutende neue Entwicklung stattfinden kann, weil sie nach Goldbeck nicht anders kann als in den „Zyklus der Wiederholung“ einzutreten?

Zu dieser Deutung der Musikgeschichte gibt es vieles anzumerken, ich möchte hier nur zwei Kritikpunkte herausgreifen. 1) Viele Komponisten zielten in den 1950er Jahren ausdrücklich darauf ab, mit der Tradition zu brechen und ganz neue Musik zu komponieren, etwa mit synthetisch erzeugten Klängen in der elektronischen Musik. Diese Entwicklung hat – so lässt sich mit einigem Recht sagen – tatsächlich ein neues Kapitel in der Musikgeschichte aufgeschlagen (um ebenfalls ein Bild zu wählen). 2) Eine Auseinandersetzung mit Musikgeschichte, um Goldbecks Worte aufzugreifen, war auch für Komponisten im 19. Jahrhundert unumgänglich. Die musikalischen Neuerungen etwa eines Richard Wagner sind ohne seine kreative Rezeption von verschiedenen Komponisten (Beethoven, Gluck u.a.) und Strömungen nicht zu denken. Inwiefern ein qualitativer Unterschied besteht zwischen der Art, wie Wagner und wie Schönberg Tradiertes aufgreifen und verarbeiten – im Sinne von Durchführung und Wiederholung – ist nach meiner Auffassung nicht einzusehen.

Doch der Vorstellung einer Reprise als „variierende Wiederaufnahme und paradoxe Gleichzeitigkeit“ in Hinblick auf die Moderne ist auch etwas abzugewinnen. Besonderes Merkmal des Musiklebens des 20. und 21. Jahrhundert ist die allgegenwärtige Verfügbarkeit von Musikgeschichte nach den technischen Revolutionen der Medien. Darüber hinaus ist seit gut 100 Jahren in der (abendländischen) klassischen Musik kein vorherrschender Stil, keine vorherrschende Strömung oder Kompositionstechnik mehr auszumachen. Viele (aber nicht alle) Komponisten gehen heute davon aus, dass ihnen jedes Material aus jeder Epoche für ihre eigenen Werke frei verfügbar ist.

Wie jedes Sprachbild verrät der Vergleich mit der Sonatenform einiges darüber, wie der jeweilige Autor (Musik-) Geschichte auffasst, welche Selektionen und Hierarchisierungen er vornimmt und was er für den zukünftigen Verlauf prognostiziert. Als abgeschlossenes symmetrisches Gebilde hat die Sonatenform als Geschichtsbild keine Zukunft der Musik zu bieten. (Das oft beschworene Ende der Kunst wird von Goldbeck zwar als solches nicht benannt, als Denkfigur wohl aber impliziert.) Doch verweist das Bild der Sonatenform auf ein entscheidendes Merkmal der Musik seit dem 20. Jahrhundert, nämlich die Gleichzeitigkeit höchst unterschiedlicher Musiken und Ästhetiken, die – mehr oder weniger konfliktreich – nebeneinander existieren.

 

 

1„Double-function Form“ bedeutet, dass eine musikalische Form, nach der gewöhnlich ein einzelner Satz gestaltet ist, auch die übergeordnete Form eines mehrsätzigen Werkes bestimmt.

2Frederick Goldbeck, “Dissonanzen-Dämmerung”, in: Melos 21 (1954), S. 5.

3Ebd., S. 4.

4Ebd., S. 5.

5Ebd., S. 5.

Quelle: http://avantmusic.hypotheses.org/151

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Österreichische Zeitschrift für Volkskunde online

Die Österreichische Zeitschrift für Volkskunde (1947ff) wurde mitsamt den Vorgängerzeitschriften Zeitschrift für österreichische Volkskunde (1895-1918) und Wiener Zeitschrift für Volkskunde (1919-1944) eingescannt, die PDFs stehen nun bis zum Jahrgang 2011 unter http://www.volkskundemuseum.at/ozv_jahrgange zur Verfügung.
[via Alltagsdinge/Susanne Breuss]

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/894831738/

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Das Community-Management stellt sich vor: Lisa Bolz

Lisa BolzSeit Juni 2014 bin ich im Team des Community-Managements von de.hypotheses.org und Mitarbeiterin am Deutschen Historischen Institut Paris im Bereich der Wissenschaftskommunikation. Zudem suche ich regelmäßig nach Zeit für meine Dissertation zur Auslandsberichterstattung in der deutsch-französischen Presse sowie zum Zirkulieren internationaler Informationen im Journalismus. Die Arbeit entsteht als Cotutelle an der École des Hautes Études en Sciences de l’Information et de la Communication und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und wird demnächst im Blog “Das 19. Jahrhundert in Perspektive” näher vorgestellt.

Nach vielen Jahren als freie Mitarbeiterin im Lokaljournalismus konnte ich nicht anders als Stift und Notizblock gegen Tastatur und Bildschirm einzutauschen, um über meine Auslandsaufenthalte zu schreiben (hier oder hier). Durch das Bloggen über meine Alltagserfahrungen in verschiedenen Ländern habe ich erlebt, wie etwas Unbekanntes während des Schreibens vertraut werden kann und wie ich Leser an dieser Erfahrung teilhaben lassen kann. In Paris wohne ich übrigens seit September 2012 in und seitdem hat mich die Stadt mit all ihren Facetten nicht mehr losgelassen.

Wissenschaftlich interessiere ich mich vor allem für Medien- und Kommunikationstheorien, internationale und interkulturelle Kommunikation, Journalismusforschung sowie deutsch-französische Pressegeschichte. Ich mag die Atmosphäre in Bibliotheken, habe einen Hang zu statistischen Verfahren in Sozial- und Geisteswissenschaften, lese mit Vorliebe möglichst ausgefallene Theorien und stöbere nur zu gerne in den Zeitungen des 19. Jahrhunderts.

Quelle: http://redaktionsblog.hypotheses.org/2402

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Tagungsprogramm des Workshops

Kein Bund fürs Leben?
Eheleute vor kirchlichen und weltlichen Gerichten

Workshop zur Ehegerichtsbarkeit vom Mittelalter bis in die Neuzeit
10. bis 11. September 2014
Seminarraum Geschichte 2 (2. Stock, Stiege 9)
Universität Wien (Universitätsring 1, 1010 Wien)

Als einen (vorläufigen) Schlusspunkt unseres Forschungsprojekts veranstalten wir im September einen Workshop. Gemeinsam mit internationalen Forscherinnen und Forschern wollen wir Ideen, Konzepte, Begriffe, Probleme und (Zwischen-)Ergebnisse diskutieren. Neben dem Austausch auf theoretisch-methodischer Ebene bzw. auf einer konkreten empirischen Basis soll das In-Beziehung-Setzen von Studien zur Ehegerichtsbarkeit unterschiedlicher Regionen und Zeiten im Mittelpunkt des Workshops stehen.

Interessierte sind herzlich willkommen!


 

Vorläufiges Tagungsprogramm (als PDF)

Mittwoch, 10. September 2014

13:00 Uhr
Begrüßung

13:15–16:30 Uhr
Spielregeln und Spielräume
Chair und Respondenz: Karin Neuwirth, Johann Weißensteiner

Andrea Griesebner (Wien)
Rechtliche Rahmenbedingungen frühneuzeitlicher Eheprozesse. Eine praxeologische Annäherung

Duane Henderson, Miriam Hahn (München)
Zwischen concordia und sententia. Das Zusammenspiel außergerichtlicher und gerichtlicher Konfliktlösungen in den Freisinger Offizialatsbüchern des 15./16. Jahrhunderts

Iris Fleßenkämper (Münster)
„Ein wachendes Auge auf beide Persohnen haben“: Zur Rolle der Kirche bei der Regulierung von Ehekonflikten in der frühneuzeitlichen Grafschaft Lippe

Kaffee/Tee

17:00–18:30 Uhr
Von der Eingabe zur Abfrage: Online-Datenbanken

Andrea Griesebner, Georg Tschannett (Wien)
Über die Datenbank des Wiener Forschungsprojekts

Duane Henderson, Miriam Hahn (München)
Über die Datenbank des Freisinger Forschungsprojekts

 

Donnerstag, 11. September 2014

9:30 – 13:00 Uhr
I Argumentative Strategien
Chair und Respondenz: Michaela Hohkamp, Rainer Beck

Susanne Hehenberger (Wien)
Das fehlende fleischliche Band. Sexuelles Unvermögen in Ehetrennungs- und Annullierungsklagen vor dem Wiener und Passauer Konsistorium

Claire Chatelain (Lille)
Ein adeliges Beamtenpaar vor Gericht: Eingesetzte Kapitalsorten im Eheverfahren zur Trennung von Tisch und Bett am Ende der Regierungszeit von Ludwig XIV.

Ulrike Bohse-Jaspersen (Hagen)
Weiblichkeitskonzepte und Männlichkeitsvorstellungen in der spätkolonialen Gesellschaft Boliviens. Martina Vilvado y Balverde gegen Antonio Yta – eine Klage auf Eheannullierung in Sucre aus dem Jahr 1803

Mittagessen

14:30 – 16:30 Uhr
II Argumentative Strategien
Chair und Respondenz: Caroline Arni, Elinor Forster

Georg Tschannett (Wien)
„Das ist eine Liebe!“ Ehebruch, Untreue und andere (Liebes-)Verhältnisse. Geschlechtsspezifische Narrationen und Sexualnormen in den Scheidungsakten des Wiener Magistrats (1783 bis 1850)

Zuzana Pavelková Čevelová (Prag)
Ehestreitigkeiten vor dem erzbischöflichen Gericht in Prag


Quelle: http://ehenvorgericht.wordpress.com/2014/06/23/tagungsprogramm-des-workshops/

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