Koloniale Sammelwut – Zur Restitution geraubter Gebeine

Die neue Ausgabe  der iz3w fragt gerade nach dem politischen Umgang mit den Schädeln und Gebeinen, die in der Zeit des Imperialismus aus den Kolonien geraubt wurden (siehe hier das Inhaltsverzeichnis). “Dieses Thema mag auf den ersten Blick abseitig erscheinen”, schreiben die Herausgeber. Doch die derzeitigen Rückgabeprozesse bringe die gesamten vergangenheitspolitischen Defizite im Zusammenhang mit der kolonialen Gewalt auf die Agenda.

Das Problem im Aufriss:

Vor über 100 Jahren brachten deutsche Wissenschaftler zahlreiche Schädel und Gebeine etwa aus „Deutsch-Südwestafrika“ nach Deutschland, auch um damit „Rassenforschung“ zu betreiben. Bis heute lagern sie in deutschen Universitätseinrichtungen und Museen. Die Nachfahren der Opfer bestehen auf Rückführung (Restitution) der Schädel ins heutige Namibia, auf offizielle Schuldanerkennung und Reparationszahlungen.

Und das Editorial führt aus:

Nun sehen sich immer mehr anatomische und anthropologische Sammlungen der Frage gegenüber, wie sie sich zu unrechtmäßig erworbenen Gebeinen verhalten und wie sie mit ihrer eigenen rassistischen Geschichte umgehen sollen. Die Restitutionsforderungen werfen viele weitere Fragen auf: Herkunftsländer und Nachkommen der Opfer kolonialer Verbrechen fordern Anerkennung, Aufarbeitung und Entschädigung für erlittenes koloniales Unrecht. Das beginnt mit einer würdigen Rückführung der Gebeine und der Bereitstellung von Mitteln für Gedenkstätten. Es geht weiter damit, den Zusammenhang zu den kolonialen Eroberungen und Kriegen aufzuzeigen. Im Hinblick auf den deutschen Genozid im heutigen Namibia 1903-1908 verknüpfen Opfergruppen mit der Restitution die Anerkennung dieses Tatbestands seitens der deutschen Regierung. Sie fordern eine offizielle Entschuldigung und Entschädigung, und sie wollen sich nicht mit einigen restituierten Schädeln oder mit von Deutschland dekretierten Programmen abspeisen lassen. In den Herkunftsländern tritt mit den Restitutionen der Prozess der Aufarbeitung der Kolonialgeschichte ebenfalls in eine neue Phase.

Es geht also um weit mehr als nur um würdige Bestattungen. Eine angemessene Entschädigung für den Massenmord und die verheerenden Folgen der imperialistischen Zerstörung ist das Thema.  Schließlich ist die heutige Unterentwicklung ganzer Kontinente nicht zuletzt ein Ergebnis des Kolonialismus – wie unter anderem Mike Davis in seinem Buch Die Geburt der Dritten Welt (2004) zeigen konnte.

So werden die historischen Gebein- und Schädelsammlung Teil der globalen Verteilungskämpfe.


Einsortiert unter:Erinnerung, Geschichtspolitik, Kolonialismus, Literatur

Quelle: https://kritischegeschichte.wordpress.com/2012/07/09/koloniale-sammelwut-zur-restitution-geraubter-gebeine/

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