Ein Bild sagt mehr … (XIX): “Die verkehrten Verbeugungen” (1901)

Im Beitrag Sühne wurde eine Karikatur zur so genannten “Sühnegesandtschaft” diskutiert, die die Diskrepanz zwischen den Erwartungen an eine Sühnegesandtschaft und dem tatsächlichen Verlauf thematisierte. Nach dem eigentlichen Sühne-Akt überschlugen sich die Kommentare, wie das Ereigniss einzuschätzen wäre und warum sich wer wann wie verhalten hat. Eine sehr prägnante Interpretation findet sich in der Karikatur “Die verkehrten Verbeugungen.” im Kikeriki vom 15. September 1901:

Kikeriki Nr. 74 (15.9.1901) 1.

Kikeriki Nr. 74 (15.9.1901) 1  | Quelle: ANNO

Die anonyme Karikatur, die knapp die Hälfte der Titelseite der Nummer ausfüllt, zeigt zwei Figuren: Rechts steht hoch erhobenen Hauptes eine männliche, europäisch markierte Figur, die durch die Pickelhaube als Deutscher und durch die Gesichtszüge (und den “Es-ist-erreicht”-Bart) als deutscher Kaiser identifiziert wird. Links steht eine durch Zopf, Kleidung und Kappe mit Pfauenfeder als ‘asiatisch’ markierte Figur. Der Asiate verbeugt sich und reckt dabei dem Deutschen den verlängerten Rücken entgegen, auf dem ein lachendes Gesicht aufgemalt ist.
Darunter eine kurze Zeile:

Wahrscheinlich hat _diese_ Concession den Prinzen Tschun zur Reise nach Berlin bewogen.

Ohne Wissen um den Kontext erscheint das Bild eher banal und nicht besonders originell.
Was ist daran bemerkenswert, dass ein je nach Blickwinkel lächelndes oder hämisch grinsendes) komisches Männchen einer ebenso merkwürdig adjustierten Figur den Allerwertesten entgegenreckt?

Wie aber kommt man (so der Kontext nicht geläufig ist, darauf, was/wer gemeint sein könnte bzw. gemeint ist?
Es empfiehlt sich ein Blick in überregionale Tageszeitungen vom September 1901 nach Berichten über China und das Deutsche Reich und/oder einen Chinesen beim deutschen Kaiser. Für den Anfang sollten einige Berichte  genügen:

  • Neuigkeits-Welt-Blatt Nr. 200 (1.9.1901), 1; Nr. 203 (5.9.1901) 1 f.
  • Neue Freie Presse Nr. 13301 (5.9.1901) 1-3 (mit Abdruck der beim Sühne-Akt gehaltenen Reden)
  • Das Vaterland Nr. 243 (5.9.1901) 1 und 3.
  • Die Arbeiter-Zeitung Nr. 243 (5.9.1901) 1.
  • Pester Lloyd Nr. 212 (5.9.1901) 3.

Im Neuigkeits-Welt-Blatt heißt es am 5. September 1901:

In dem an den seltsamsten Zwischenfällen überreichen Drama des Kreiges mit _China_ darf die jüngste Episode, die famose _Sühn-Expedition_ des Prinzen _Tschun_ als eine der interessantesten erscheinen, wiewohl sie in ihrem Verlaufe nahe daran war, zu einer Farce herabzusinken. [...] Prinz Tschun weigerte sich, die sichere Schweiz zu verlassen, ehe man in Berlin von dem geforderten “Kotau”[1] Abstand nahm.
Diese echt chinesische Zeremonie besteht in einer dreimaligen tiefen Verbeugung des Oberkörpers und einer neunmaligen Rumpfbeuge, und ihre Durchführung erschien dem chinesischen Prinzen, dem Bruder des Kaisers von China, als eine zu große Demüthigung, obgleich sie in China selbst weder unter Prinzen noch unter Mandarinen etwas Seltsames ist.
Nun ist eine Sühneleistung, die nach dem Ausmaß der Verbeugungstiefe berechnet wird, allerdings eine Forderung, der man auch in den Bevölkerungskreisen Deutschlands wenig Geschmack abgewinnen kann, allein es liegt dem Begehren des deutschen Kaisers doch ein tieferer Sinn zu Grunde. In China spielt eben das Zeremoniell in allen Dingen, namentlich aber im Verkehr mit den Vertretern des Auslandes eine große Rolle. Sollten die chinesischen Machthaber den vollen Ernst ihrer Pflicht, für das begangene Verbrechen des Gesandtenmordes Buße zu thun, erkennen, dann müßte dies auch in einer Form geschehen, die ihrem eigenen, dem chinesischen Zeremoniell entspricht und gerade aus der Weigerung des Prinzen Tschun, sich dieser Forderung zu unterwerfen, kann man den Schluß ziehen, daß es den Chinesen noch immer beliebt, Europa mit den gewohnten Ränken zu begegnen.[2]

Und in der sozialdemokratischen Arbeiter-Zeitung vom selben Tag heißt es:

[...] Dem maßlos eitlen Sinn des deutschen Kaisers mag es schmeicheln, die Chinesen einmal so anschnauzen zu dürfen, wie er es sonst nur mit seinen “Unterthanen” wagen dard; aber ob die erlittene Demüthigung den Chinesen imponiren, sie einschütern wird, ist noch sehr die Frage [...][3]

Damit wird klar, was dem zeitgenössischen Leser im September 1901 niemand erklären musste: Die chinesische Seite hat Abbitte geleistet, doch wäre zu bezweifeln, ob das von der chinesischen Seite allerdings tatsächlich ernst genommen wurde.

 

  1. Zum “Kotau” s. den Beitrag Kotau – die chinesische Ehrenbezeugung von Georg Lehner auf De rebus sincis.
  2. Neuig-keits-Welt-Blatt Nr. 203 (5.9.1901) 1 – Online: ANNO.
  3. Arbeiter-Zeitung Nr. 243 (5.9.1901) 1 – Online: ANNO.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1402

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Zur Arbeit mit Karikaturen

Eines der Themen dieses Blogs ist die Begleitung der Arbeit mit/an westlichen Karikaturen über China (einige Beispiele u.a. hier, hier, hier und hier). Das Blog dokumentiert die Arbeit an einem Korpus von mehreren hundert Karikaturen (und Witzzeichnungen) und Tausenden Textstellen aus österreichisch-ungarischen satirischen Periodika, vor allem die Herausforderung, Symbole, Attribute und Anspielungen richtig zu deuten.

Das Medium Karikatur ist ein in der Geschichtswissenschaft unterschätztes Medium. Eine Ausnhame bildet die Geschichtsdidaktik, die in den letzten Jahren verstärkt Karikaturen als Mittel, Interesse an Geschichte zu wecken. entdeckt.  “Einer Karikatur auf der Spur” ist Daniel Bernsen im Blog Medien im Geschichtsunterricht – aufgehängt an einer aus dem Kontext gerissenen, zeitlich falsch eingeordneten Karikatur. Er macht sich auf die Suche und wird (teilweise) fündig – und stellt interessante Fragen zum Bild.

Check 1: Was war in Varzin?
Wikipedia hilft schnell weiter: http://de.wikipedia.org/wiki/Warcino Mit dem Bild hat es nichts zu tun, außer dass wir bestätigt bekommen, dass das Bild später als 1867 (Kaufjahr des Schlosses) zu datieren ist. Das wussten wir aber schon.

Check 2: Gibt es den Punch oder Charivari digitalisiert online?

Die zweite Frage scheint fast als ‘Fangfrage’, wenn impliziert wird, dass das zwei Zeitschriften sein könnten.[1] Leider gibt es in den 1880ern und 1890ern derzeit noch Lücken – und der September 1884 ist (derzeit noch) nicht online.
Die erste Frage ist viel spannender.  Ich hätte sie mir zu dieser Karikatur vermutlich so nicht gestellt – ich hätte eher gefragt, wen/was “ventriloquist of Varzin” meint …

Mit dem Bild auf der LSG-Seite ist m.E. nichts anzufangen – eine aus dem Kontext gerissene Karikatur, bei der Über-/Unterschrift und konkretes Datum fehlt, ist wertlos, denn Karikaturen sind Bild und Abbild ihrer Zeit. Sie bleiben letztlich unverständlich, wenn die zeitliche Einordnung fehlt.

Fügt man den Bild-URL in die Google-Suche ein und sucht mit ‘Bildersuche’, findet sich schnell dieses Bild:

By Неизвестен (Скан иллюстрации в Punch) [Public domain], via Wikimedia Commons

By Неизвестен (Скан иллюстрации в Punch) [Public domain], via Wikimedia Commons

Mit diesem Bild ist schon mehr zu anzufangen- die Seite aus dem Punch liefert alle Angaben, die man braucht[2]: “The Three Emperors, or, the ventriliquist of Varzin” aus Punch or the London Charivari vom 20. September 1884.

Um nicht in eine Methodendiskussion abzugleiten, sei der Leitfaden Wie analysiert und interpretiert man eine Karikatur? im Online-Tutorium Geschichte des FB Geschichte und Soziologie der Universität Konstanz herangezogen. Die folgenden Bemerkungen konzentrieren sich hier auf die ersten zweieinhalb Schritte; auf eine Diskussion, welche Ziele der Karikaturist verfolgte und wie die Karikatur zu werten ist, wird hier verzichtet.

  • Orientierende Betrachtung

    • Das Erscheinungsdatum und die Zeitschrift, in der die Karikatur erschien, sind klar aus dem Bild ablesbar.
    • Der Karikaturist ist durch die Signatur links unten identifiziert, die Tenniel-Signatur ist eindeutig. Ebenso eindeutig ist die Angabe “Swain” (das Studio, das die Karikaturen zum Druck aufbereitet).
    • Beim Thema der Karikatur hilft – wie Daniel Bernsen ausgeführt hat – das Datum.
      Im September 1884 trafen Alexander III., Franz Joseph I. und Wilhelm I. in Skierniewice zusammen. Das Treffen, bei dem auch Bismarck und die Außenminister Gustav Sigmund Graf Kálnoky von Kőröspatak (Österreich-Ungarn) und Nikolaj Karlovič de Girs [Giers] anwesend waren, blieb ohne nachhaltige Wirkung, die Rivalität zwischen Österreich-Ungarn und Russland verhinderte konstruktive Lösungen.
  • Beschreibung
    • Dargestellt ist ein riesenhafter Puppenspieler, der drei kleine Marionetten führt, im Hintergrund eine Art Vorhang, von Rosetten gehalten.
    • Der ‘Puppenspieler’ ist Bismarck – allerdings ohne die in deutschen und österreichisch-ungarischen Karikaturen üblichen “drei Haare”.
    • Die Marionetten trage Uniformen und (leicht verfremdete) Kronen:
      • Die Figur ganz links trägt die Zarenkrone; der Bügelaufsatz (eigentlich ein gefasster Spinell, auf dem ein Kreuz sitzt) ist durch den  Doppeladler aus dem Staatswappen ersetzt ist. Krone, Uniform und der charakteristische Bart identifizieren die Figur als Alexander III.
      • Die Figur in der Mitte trägt die Reichskrone. Uniform und der weiße Backenbart identifizieren die Figur als Wilhelm I.
      • Die Figur rechts trägt die österreichische Kaiserkrone; der blaue Saphir auf dem Kronbügel ist durch den Doppeladler ersetzt. Die weiße Uniformjacke, der Bart und die Krone identifizieren die Figur als Franz Joseph I.
      • Die Bildunterschrift lautet “The three emperors, or, the ventriloquist of Varzin” macht deutlich, dass der ‘Puppenspieler’ ein Bauchredner ist, der die Fäden zieht und die Figuren sprechen lässt. Die Formulierung ‘ventriloquist of Varzin’ verweist auf einschlägige Zirkus-/Variété-Ankündigungen, wo die Künstler als “die Dame ohne Unterleib aus XY” und der “Zauberkünstler aus XZ” angekündigt wurden, der Konnex zwischen Bismarck und Varzin [poln.Warcino] ist eindeutig[3]
  • Erklärung
    • Die Karikatur visualisiert die – in der zeitgenössischen englischen Bewertung der Politik auf dem Kontinent verbreitete – Auffassung von Bismarck als Zentralfigur der Politik, von Bismarck als dem, der die Fäden zieht – und der den/die Kaiser lenkt. Gegenstand ist weniger das Treffen der Monarchen, sondern  eher die Rolle Bismarcks in der Politik.

Wie für alle anderen Karikaturen gilt auch für “The three emperors” die Binsenweisheit, dass sie nur verständlich ist, wenn der Zusammenhang klar ist – und der ist nur mit Kontextwissen erschließbar: Um Bismarck und die dargestellten Herrscher zu erkennen, müssen einschlägige Porträtdarstellungen vertraut sein. Ebenso muss das Zusammentreffen der drei Kaiser 1884 (und dessen Ergebnis) bekannt sein. Falls nicht, dann sieht man eine Puppenspieler, der drei Marionetten führt (was im Grunde grotesk ist), die an Erzgebirge-Nussknacker erinnern.

Ich würde mir zur Karikatur wohl (u.a.) die folgenden Fragen stellen:

  • Wodurch (Gesichtszüge, Frisur, Bart, Uniform/Kleidung, Orden, werden Personen identifiziert?
  • Wer ist der Puppenspieler/Bauchredner?
  • Warum ist Bismarck ohne die “drei Haare” dargestellt?
  • Welche Kronen tragen die drei Kaiser auf dem Kopf?
  • Warum trägt der deutsche Kaiser die Reichskrone? Was bedeutet das?
  • Etc. etc. etc.

Daniel Bernsens Beobachtung

Das passiert gerade bei Karikaturen immer wieder, dass ihre Ausage gut zu einem bestimmten historischen Ereignis zu passen scheint (hier: das Drei-Kaiser-Bündnis von 1873) und ihre Datierung dann daran zu pädagogischen oder illustrativen Zwecken irgendwie “angepasst” wird.[4]

ist vorbehaltlos zuzustimmen. Karikaturen werden häufig reduziert zu einer Übung, um Interesse an einem bestimmten historischen Ereignis zu wecken oder zum schmückenden und/oder originellen und/oder unterhaltsamen Beiwerk. Die Literatur zu Karikatur als Quelle[5] bzw. zum Themenkomplex Karikatur & Unterricht[6] scheint wenig Beachtung zu finden, man orientiert sich am im weitesten Sinn Originellen und/oder an Klassikern. Allerdings sind selbst Klassiker wie Tenniels “Dropping the Pilot” (Punch, 29.3.1890)[7] bei genauem Hinsehen nicht so ohne – denn der im Deutschen gebräuchliche Titel “Der Lotse verlässt das Schiff” fügt (zumindest) eine neue Bedeutungsnuance hinzu, die man diskutieren müsste.

  1. Es gab zahlreiche Zeitschriften, die “Punch” im Titel hatten, und einige, die “Charivari” als Titel oder Nebentitel hatten – aber das würde zu weit führen.
  2. Der Rahmen um die ganzseitige Karikatur und die gerahmte Kopfzeile sind typisch für das Punch-Layout auf Seiten, die ganzseitige Karikaturen enthalten.
  3. Bismarck hatte das Gut Varzin 1867 erworben, wo er zahlreiche Sommer verbrachte.
  4. Einer Karikatur auf der Spur: die Online-Suche Schritt für Schritt. Veröffentlicht am 9. März 2014 von <abgerufen am 10.3.2014>
  5. Vgl. die kursorischen Bemerkungen im Kapitel “Bilderbogen, Karikatur und illustrierte Zeitschrift” in: Christine Brocks: Bildquellen der Neuzeit (Historische Quellen Interpretieren;  Stuttgart: UTB 2012) 43-64.
  6. z.B. Hans-Jürgen Pandel: “Karikaturen. Gezeichnete Kommentare und visuelle Leitartikel.” In: Hans-Jürgen Pandel/Gerhard Schneider (Hg.): Handbuch Medien im Geschichtsunterricht. (Schwalbach/Ts. 2005) 255-276; Politik und Unterricht Heft 3-4/2005 “Gegen den Strich. Karikaturen zu zehn Themen” (2005) [pdf online]; das Heft 18 “Politische Karikaturen” der Zeitschrift Geschichte Lernen, besonders: Wolfgang Marienfeld: “Politische Karikaturen.” In: Geschichte Lernen „Politische Karikaturen“, Heft 18 (1990), S. 13-21. – und der ‘Klassiker’: Dietrich Grünewald, Karikatur im Unterricht: Geschichte, Analysen, Schulpraxis (Weinheim/Basel : Beltz, 1979).
  7. Zu Tenniels Karikatur und einigen Zitaten dieses Bildes s. Hans-Jürgen Smula: “‘Der Lotse geht von Bord’ Karikatur als historisches Zitat.” In: Geschichte lernen Heft 18 (1990) 45-52.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1375

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China-News: Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus … (1871)

Die Wiener Weltausstellung 1873 war die erste im deutschsprachigen Raum – und die erste, an der sich China beteiligte. Die Vorbereitungen dafür begannen auf chinesischer Seite wohl unmittelbar nach dem Abschluss des ‘Freundschafts- Handels- und Schifffahrtsvertrags’ am 2.9.1869.  In den Wiener Blättern finden sich immer wieder Notizen zur Weltausstellung, darunter auch  Meldungen über die Vorbereitungen in China. Diese Texte geben Einblick in die Vorbereitungen und machen deutlich, welcher Anstrengungen es bedurfte, beovr am 1. Mai 1873 die Weltausstellung feierlich eröffnet werden konnte.

Einer dieser Texte findet sich fast gleichlautend in mehreren Wiener Blättern[1]. Er gibt Einblick in die Vorbereitungen – und macht deutlich, welcher Anstrengungen es bedurfte, bevor am 1. Mai 1873 die Weltausstellung feierlich eröffnet werden konnte.

Wiener Zeitung, 3.10.1871

Wiener Zeitung, 3.10.1871 (Ausschnitt)
Quelle: ANNO

Heinrich Joseph Aloys von Calice (1831-1912)[2], der in Shanghai 上海 residierte, hatte sich an den zǒnglǐ yámen 總理衙門[3] in Beijing 北京 gewandt und zur Teilnahme an der für 1873 geplanten Ausstellung eingeladen.

Vom Zǒnglǐ Yámen aus ging die Einladung dann über die verschlungenen Wege der chinesischen Bürokratie:
Der Superintendent der Seezölle von Jiangnan 江南 und daotai 道臺 von Suzhou 蘇州, Songjiang 松江 und Taicang 太倉 wurde vom provisorischen Handels-Superintendenten informiert, dass der Zǒnglǐ yámen die Superintendenten des Handels über die Einladung informiert hätte.
Die Zoll-Superintendenten in den offenen Häfen[4] sollten nun dahingehend instruiert werden, dass potentiell an einer Teilnahme interessierten Gruppen diese Einladung zur Kenntnis gebracht werde.
Als ‘incentive’ würden die für die Ausstellung bestimmten Waren in Österreich-Ungarn von Einfuhrzöllen befreit.
Im Gegenzug befreit die chinesische Regierung die für die Ausstellung bestimmten Waren vom Ausfuhrzoll. Davon erfuhr der Vertreter Österreich-Ungarns allerdings nicht direkt, sondern zuerst über den Direktor der Seezollverwaltung, Sir Robert Hart.[5]

Die ersten Aufrufe dürften wenig Resonanz erzeugt haben, denn Die Presse vom 7. März 1872[6] berichtet über die Berichterstattung im in Hongkong erscheindenden Daily Advertiser vom 18.1.1872:

In der Einleitung [...] wird China, das auf den bisherigen Ausstellungen nur schwach vertreten war, aufgefordert, sich lebhaft an der Aussteillung zu betheiligen und besonders die Auswahl solcher Gegenstände zu treffen, welche die Aufmerksamkeit weitester Kreise und die Naturproducte und Bodenschätze des Landes zu lenken geeignet sind. (Die Presse (7.3.1872) 14)

Die Bemühungen, Aussteller aus China zu gewinnen, waren durchaus erfolgreich, denn die Weltausstellungs-Commission schmetterte lauter werdende Kritik an der unzulänglichen Information über die Ausstellung im Inland (!)  damit ab, dass Anmeldungen aus China und Japan eingelaufen wären …[7].

  1. Wiener Zeitung, Morgen-Post, Die Presse vom 3.10.1871.
  2. Calice hatte 1869-1871 als Vertreter des k.u.k. Ministeriums des Äußern und des kaiserlichen Hauses an der ostasiatischen Expedition nach Siam, China und Japan teilgenommen. und war ab 1871 Ministerresident in Shanghai. 1874 kam er nach Bukarest, 1876 nahm er an der Konferenz von Kohenstantinopel teil, 1877-1880 war er im Ministerium des Äußern, 1880-1906 war er Botschafter in Konstantinopel. Kurzbiographie: “Calice, Heinrich Gf. (1831-1912), Diplomat”. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1950, Bd. 1 (Lfg. 2, 1954), S. 133,
  3. Der Zǒnglǐ Yámen 總理衙門 (eigentlich: Zǒnglǐ gèguó shìwù yámén 總理衙門 ["Amt für die Belange aller Nationen"]) war das 1861 eingerichtete (Proto-)Außenministerium.
  4. Seit 1841/42 waren Shanghai 上海, Ningbo 寧波, Fuzhou 福州, Xiamen 廈門 und Guangzhou 廣州 offen, ab 1858 Nanjing 南京, Hankou 漢口, Shantou 汕頭 [Swatow], Niuzhuang 牛莊 und Tamsui 淡水sowie ab 1860 Tianjin 天津. Bis ins frühe 20. Jahrhundert wurde die Liste der Vertragshäfen immer länger.
  5. Sir Robert Hart (1835-1911) leitete als Inspector-General von 1863 bis 1911 die Imperial Maritime Custom Service (IMCS). S. Stanley Fowler Wright: Hart and the Chinese customs. (Belfast, Published for the Queen’s University [by] W. Mullan, 1950).
  6. Die Presse  Nr. 66 (7.3.1872) 14. Online: ANNO. Wortident auch in: Neue Freie Presse Nr. 2707 (7.3.1872) 7 (Online: ANNO).
  7. “Agitation für die umfassende Beschickung der Weltausstellung” In: Wiener Weltausstellungs-Zeitung Nr. 50 (15.6.1872) [5] Online: ANNO.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1331

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China-News: Der Tod des Jiaqing-Kaisers (1820) in österreichischen Zeitungen

Die lose Reihe China-News widmet sich Zeitungsmeldungen, die Ereignisse in China behandeln. Am Beispiel der Meldungen über den Tod eines Kaisers in österreichischen Blättern sollen hier gezeigt werden, auf welchen Wegen Nachrichten aus Ostasien nach Wien kamen – und wie lange es dauerte, bis ein Ereignis in den österreichischen Zeitungen auftauchte.

Jiaqing-Kaiser

清 佚名 《清仁宗嘉庆皇帝朝服像. By Annonymous Qing Dynasty Court Painter (Palace Museum, Beijing) [Public domain], via Wikimedia Commons

Am 25. Tag des 7. Monats des Jahres Jiaqing 25 (清仁宗嘉慶25年7月25日), am 2. September 1820 starb der Jiāqìng 嘉慶-Kaiser im kaiserlichen Sommerpalast (Bì Shŭ Shānzhuāng 避暑山庄) in Rèhé 热河.[1] Die konkrete Todesursache ist unbekannt, die Angaben in den Renzong rui huangdi shilu 仁宗睿皇帝實錄  sind kryptisch und gaben später zu zahlreichen Spekulationen Anlass, unter anderem: er wäre vom Blitz erschlagen worden.[2]

Es dauerte, bis die Nachricht vom Tod des Kaisers nach Europa kam, die ersten Meldungen finden sich Ende Dezember, also nach etwa drei Monaten:

Kaiserthum China. Authentischen Nachrichten zufolge ist der Kaiser von China, Kia-Kin, mit Tode abgegangen.
(Der Wanderer Nr. 363 (28.12.1820), 624. Online: ANNO)

Nach sichern Nachrichten aus Kjachta[3] ist der Kaiser von China, Kia – Kin, mit Tod abgegangen.
(Wiener Zeitung Nr. 297 (30.12.1820), 1180. Online: ANNO)

Nach sichern Nachrichten aus Kiachta ist der Kaiser von China, Kia – King [sic!], mit Tod abgegangen.
Österreichischer Beobachter Nr. 365 (30.12.1820), 1687. Online: ANNO

Von Wien ins schlesische Opava [dt. Troppau] brauchte diese Nachricht einige Tage. Am 5.1.1821 bringt die Kaiserliche-Königliche schlesische Troppauer Zeitung mit Angabe der Quelle die Meldung aus dem Österreichischen Beobachter.((Kais. König. Schlesische Troppauer Zeitung Nr. 2 (5.1.1821) 11. Online: ANNO.)).

Einige Monate später, im April 1821, taucht das Thema wieder in den Zeitungen Wiens auf.

Nachrichten aus Canton [Guangzhou 廣州] vom 18. October, in Englischen Blättern, melden, daß der Kaiser von China gestorben sey, zwey seiner Söhne kämpften um die Thronfolge, und einige Provinzen hätten dieß benutzt, um sich gegen die regierende Dynastie zu empören. Dabey richtete die von Bengalen eingebrachte Cholera-Krankheit in China große Verheerungen an.
(Wiener Zeitung Nr. 78 (4.4.1821) 309. Online: ANNO)

Ganz ähnlich die Nachricht in der Lemberger Zeitung:

China. Canton, den 18. October. Wir haben hier die Nachricht von dem erfolgten Tode des Kaisers von China erhalten. Dieser Vorfall hat zu einem Streite zwischen seinen beiden Söhnen die Veranlassung gegeben; beide machen Anspruch auf den Thron. Verschiedene Provinzen des Chinesischen Reiches sollen sich in Folge dieses Streites in einem Insurrections-Zustande befinden. [...] (H.C.)[4]
(Lemberger Zeitung Nr. 45 (13.4.1821) 233 – Online:  ANNO)

Ende April kommen Wiener Zeitungen erneut auf die Vorgänge in China zurück:

China. Aus Batavia vom 26. November enthalten Hamburger Blätter Folgendes: Der Kaiser von China ist am 25sten Tage des siebenten Monaths (nach unserer Zeitrechnung am 2. September) zu Ye-h-kol in der Tatarey (Mongoley ?) plötzlich an demselben Tage, als er dort angekommen war, mit Tode abgegangen. Alle Chinesen haben auf erhaltenen Befehl, auf 100 Tage Trauer angelegt. Der zweyte Sohn des Verstorbenen[5] folgt ihm in der Regierung, da der älteste schon in seiner Kindheit verstorben ist. [...]
(Wiener Zeitung Nr. 98 (28.4.1821) 389 – Online: ANNO)

Weitgehend ident findet sich die Meldung auch im Österreichischen Beobachter vom 28.4.1821.[6] In den Wochen danach finden sich in dien Blättern Meldungen über das “Testament”[7]  des Jiaqing-Kaisers, das dieser am 2. September 1820, dem Tag seines Todes verfasst haben soll. Der Österreichische Beobachter, der sich auf “Londoner Blätter” beruft, bringt nur eine kurze Notiz.[8] Andere Blätter drucken den Text vollständig ab, unter anderem die Wiener Zeitung ((Wiener Zeitung Nr. 104 (5.5.1821), 413 – Online: ANNO.)) und -  nach dem Wanderer – die Klagenfurter Zeitung, dort wird das Datum fehlerhaft (“20. September 1820″ anstatt 2. September 1820) angegeben.[9]

Im Juli 1821 wird der Tod des Jiaqing-Kaisers noch einmal Thema – es gibt die ‘offizielle’ Meldung:

China. [...] Die Pekinger Zeitung [d.i.  Jīng bào 京報 ["Peking Gazette"].)) zeigt den Tod des Kaisers Kea King [d.i. Jiaqing] folgendermaßen an: Am fünfundzwanzigsten Tage des siebenten Mondes traten Se. kaiserliche Majestät in der Stadt Jeho Jhre Reise an, um unter den Unsterblichen zu wandeln.
(Österreichischer Beobachter Nr. 202 (21.7.1821) 931 – Online: ANNO

Wortident findet sich diese Meldung unter anderem in der Wiener Zeitung (26.7.1821)[10], in der Lemberger Zeitung (30.7.1821)[11] und in der Troppauer Zeitung (3.8.1821)[12], die sich auf die Wiener Zeitung beruft.

Die kleine Presseschau zeigt die Wege, auf denen Nachrichten aus Ostasien nach Wien kamen: Auf dem Landweg kamen Meldungen über Russland, in der Regel aus Sankt Petersburg, wohin Nachrichten aus China über Kâhta kamen. Auf dem Seeweg kamen zum einen ‘englische’ Meldungen, die zumeist aus Guangzhou stammten, dem einzigen Platz, wo (nicht-russische) Ausländer Handel treiben konnten, zum anderen Meldungen aus Hamburg, die zumeist über Handelsplätze in Südostasien kamen. Der Landweg dauerte etwa drei Monate, der Seeweg dauerte – vor der Einführung von Clippern[13] – etwa sechs Monate. In Anbetracht der technischen Möglichkeiten der Zeit, und der vielen Stationen, über die eine Nachricht ging, bevor sie in einer Zeitung abgedruckt wurde, erscheint inhaltliche Kohärenz und faktische Richtigkeit der Nachrichten bemerkenswert.

  1. Die Anlagen des Palastes in Rehe, des Bì Shŭ Shānzhuāng 避暑山庄 ["Mountain Villa for Avoiding the Heat"] wurden im 18. Jahrhundert errichtet, die Kaiser verbrachten dort die Sommermonate. Seit 1994 steht das “Mountain Resort and its Outlying Temples, Chengde” auf der UNESCO-Welterbe-Liste.
  2. S. dazu: Fabien Simonis <fabsimonis@yahoo.com>: “Cause of Death of Qing Jiaqing Emperor (response)” In: H-ASIA <h-asia@msu.edu>, 12 March 2007, archived at  h-asia discussion logs for March 2007) <abgerufen am 13.2.2014>.
  3. Der Ort Kâhta [Кяхта] war durch den 1727 geschlossenen Vertrag zwischen China und Russland als Handelsplatz zwischen den beiden Reichen festgelegt worden und war nicht nur Umschlagplatz für Waren, sondern auch für Nachrichten.
  4. “H.C.” steht für Hamburgischer Correspondent.
  5. D.i. der Daoguang-Kaiser [Dàoguāng Dì 道光帝] (17.9.1782-25.2.1850).
  6. Österreichischer Beobachter Nr 118 (28.4.1821) 552 – Online: ANNO.
  7. Gemeint ist damit das yízhào 遺詔, ein vom verstorbenen Kaiser hinterlassenes Schreiben, s. Grand dictionnaire Ricci de la langue chinoise Bd. III, Nr. 4549, S. 434.
  8. Österreichischer Beobachter Nr. 125 (5.5.1821) 588 – Online: ANNO.
  9. Klagenfurter Zeitung Nr. 37 (9.5.1821) 5 – Online: ANNO.
  10. Wiener Zeitung Nr. 170 (26.7.1821), 677 – Online: ANNO.
  11. Lemberger Zeitung Nr. 91 (30.7.1821) 480 – Online: ANNO.
  12. Kais. Königl. Schlesische Troppauer Zeitung Nr 62 (3.8.1821) 549 – Online: ANNO.
  13. Die schnellsten dieser Schiffe, die die jeweils erste Tee-Ernte einer Saison nach Europa brachten, legten in den 1860ern die Strecke von der Mündung des Min-Flusses bei Fuzhou nach London in knapp 4 Monaten zurück, die Taeping, die das legendäre “Great Tea Race of 1866″ gewann, legte die Strecke in 102 Tagen zurück.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1284

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Ein Bild sagt mehr … (XVI): “Gelbe Jacken” (1894)

Eine Karikatur ‘funktioniert’, wenn sie spontan dekodiert werden kann, wenn also der Betrachter die Elemente der satirischen Darstellung mit Fakten- und Kontextwissen zu einem bestimmten Ereignis im Moment des Betrachtens verbindet. Die zeitliche Distanz lässt manche Karikatur kryptisch, mitunter unverständlich erscheinen. Manchmal sind einzelne Elemente nicht zu identifizieren, manchmal bleibt der Kontext (‘das Gemeinte’) unklar, manchmal sind alle Elemente klar, doch der Zusammenhang bleibt offen.  Ein Beispiel, das die Herausforderungen von Karikatur als Quelle deutlich macht,  ist das Blatt “Gelbe Jacken”, die Titelseite des Beiblatts zum Kladderadatsch vom 19. August 1894.

Kladderadatsch 1894

Kladderadatsch Nr. 33 (19.8.1894) | UB Heidelberg

Die beiden Panels zeigen in einem asiatisch angehauchten Ankleidezimmer[1] jeweils vier Figuren. Die größeren Figuren sind durch Porträtköpfe und Tags in der Kleidung identifiziert: Georg Leo Graf von Caprivi de Caprera de Montecuccoli (1831-1899), Reichkanzler 1890-1894[2] (jeweils rechts im Bild) und Johannes Franz Miquel (1828-1901), Finanzminister 1890-1901[3] (jeweils links im Bild). Beide sind in ‘asiatische’ Gewänder gehüllt, Caprivi hängt ein langer Zopf nach vorn über die kahle hohe Stirn, Miquel hängt der Zopf über den Rücken.
Auf dem oberen Bild knöpft Miquel die kurze helle Jacke zu, wobei ihm ein (sehr kleinwüchsiger) asiatischer Diener mit einer Kerze leuchtet. Während Caprivi sich im Spiegel mustert, beschmiert sein Diener mit einem großen Pinsel an einem Bambusstiel Miquels Rücken mit dunkler Farbe.
Auf dem unteren Bild sitzt Miquel am Boden und liest. Captrivi steht vor dem Spiegel und knöpft die Jacke zu, während der Diener Miquels den Rücken Caprivis mit Farbe aus aus demselben Topf mit demselben Pinsel beschmiert.

Der konkrete Anlass/Bezugspunkt dieser Karikatur von Ludwig Stutz (1865-1917) aus der deutschen Innenpolititk soll hier nicht weiter diskuteirt werden.

Spannender ist die Frage nach den im Titel erwähnten “gelben Jacken” …[4]

Im September 1894 findet sich in der Deutschen Rundschau ein Beitrag von M. von Brandt[5] zum Chinesisch-Japanischen Krieg. Der Beitrag Die koreanische Frage” (S. 459-463) skizziert die Lage in Ostasien und kommt zum Schluss auf Li Hongzhang 李鴻章 (1823-1901) zu sprechen. Der Autor will dabei explizit das Bild, das in westlichen Zeitungen gezeichnet wurde, zurechtrücken.

In den Berichten, die über die koreanische Frage einlaufen, wird oft, und stets an erster Stelle, Li Hung Chang erwähnt, und zwar meistens in einer Weise, die weder der Stellung und dem Charakter dieses hervorragendsten aller chinesischen Staatsmänner, noch den Schwierigkeiten, gegen welche er zu kämpfen hat, gerecht wird. (S. 462)

Max von Brandt skizziert kurz die Laufbahn Li Hongzhangs und meint dann:

Wenn der Kaiser Li die gelbe Reitjacke, die höchste militärische Auszeichnung genommen hat, so ist das bis auf Weiteres nur ein Zeichen der kaiserlichen Unzufriedenheit, wie solche unter allen Umständen einen unglücklichen Führer oder Beamten trifft. Es ist sogar nicht ausgeschlossen, daß Li, wie dies sehr häufig geschieht, in dem Bericht über die ersten Vorfülle selbst seine Bestrafung beantragt habe; ein Erfolg würde genügen, ihm die verlorene Auszeichnung wieder zu verschaffen. (S. 463)

Gerüchte, Li hätte seine Asuzeichnungen verloren, hatte es seit der Niederlage bei Asan im Juli 1894 gegeben. Ein Dekret vom 17. September 1894[6] machte die Sache offiziell: Li verlor sowohl die huangmagua 黃馬褂 („Gelbe Reitjacke“)[7], die er 1863 für seine Verdienste im Kampf gegen die Taiping 太平erhalten hatte, als auch die sanyan hualing 三眼花翎 (“dreiäugige Pfauenfeder”)[8], die Li  erst wenige Monate zuvor verliehen worden war.[9]

Die ‘gelbe Jacke’ des Li Hongzhang beschäftigte 1894/95 weltweit die Tages- und Wochenzeitungen ebenso wie satirisch-humoristische Blätter, ob aber jede Leserin und jeder Leser des Kladderadatsch den Gedankensprung des Karikaturisten von Ostasien nach Berlin spontan mitmachte, muss offen bleiben …

  1. Der Bildaufbau erinnert an Motive japanischer Farbholzschnitte wie z.B.  Behind the Screen (c. 1673–81) von Hishikawa Moronobu 菱川 師宣 – der Wandschirm im Farbholzschnitt ist in der Karikatur ein Spiegel, das Fenster im Farbholzschnitt ist in der Karikatur ein Gemälde einer asiatischen Landschaft.
  2. Zur Biographie: Heinrich Otto Meisner: „Caprivi, Georg Leo Graf von“, in: Neue Deutsche Biographie 3 (1957), 134 f. [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd11851900X.html.
  3. Kurzbiographie: Rita Aldenhoff: „Miquel, Johannes von“, in: Neue Deutsche Biographie 17 (1994), 553 f. [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd11873413X.html.
  4. Dass die Jacken, die Caprivi und Miquel über langne Kleidern tragen, gelb sind, ist nur dem Text zu entnehmen. Die Jacken sind kurz und weit geschnitten und vorne einreihig mit großen Knöpfen geschlossen, die Ärmel sind gerade geschnitten, weit und (über-)lang.
  5. Maximilian August Scipio von Brandt (1835-1920), der 1875 bis 1893 Gesandter in China gewesen war, galt als einer der besten Ostasienkenner seiner Zeit. – Kurzbiographie: Wolfgang Franke: „Brandt, Max von“, in: Neue Deutsche Biographie 2 (1955), 531 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118934759.html.
  6. Text in englischer Übersetzung: United States Department of State: Foreign relations of United States, 1894 (1894) Nr. 52 (S. 60 f.), Mr. Denby, chargé, to Mr. Gresham (Peking, September 18, 1894).
  7. Die huangmagua 黃馬褂 („Gelbe Reitjacke“), eine Auszeichnung für Verdienste um den Staat, häufig für militärische Leistungen. S. dazu: H. S. Brunnert and V. V. Hagelstrom, Present Day Political Organization of China. Revised by N. Th. Kolessoff, Translated from the Russion by A. Beltchenko, E. E. Moran (Foochow: 1911)., p. 497, nr. 947. – Digitalisat > Bibliotheca Sinica 2.0.
  8. )  , war Li Hongzhang 1863 für seine Verdienste im Kampf gegen die  verliehen worden. D. ((ie kongqueling 孔雀翎 [Pfauenfeder] war eine noch bedeutendere Auszeichnung, von der es  mehrere Abstufungen gab. Die höchste war die Sanyanhualing 三眼花翎, die dreiäugige Pfauenfeder, die in der Regel Angehörigem des Kaiserhauses und besonders verdienten Beamten verliehen wurde. S. dazu: H. S. Brunnert and V. V. Hagelstrom, Present Day Political Organization of China. Revised by N. Th. Kolessoff, Translated from the Russion by A. Beltchenko, E. E. Moran (Foochow: 1911) p. 498, nr. 950.
  9. S. C. M. Paine, The Sino-Japanese War of 1894-1985. Perceptions, Power, and Primacy (Cambridge: Cambridge University Press, 2003)., 101 unter Verweis auf den North-China Herald vom 16.2.1894, p. 145.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1288

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Ein Bild sagt mehr … (XV): En Chine (1898)

En Chine” aus Le Petit Journal Nr. 374 vom 16. Januar 1898 ist ein Klassiker der China-Karikaturen des 19. Jahrhunderts[1] – Symbol für das Agieren der Mächte auf dem Höhepunkt des “Scramble for concessions”, des Wettlaufs um Konzessionen (und Einfluss) in China.

Le Petit Journal Numéro 374 (16.1.1898) | gallica / BnF

Le Petit Journal Numéro 374 (16.1.1898) | gallica / BnF

Das Bild zeigt einen verweifelten Chinesen, der bei der Teilung Chinas, des “gâteau des Rois”, durch die Mächte zusieht:

  • Großbritannien – verkörpert durch Königin Victoria
  • das Deutsche Reich – verkörpert durch Kaiser Wilhelm II.
  • Frankreich – verkörpert durch die Figur der Marianne
  • Russland – verkörpert durch Zar Nikolaus II.
  • Japan – verkörpert durch eine Art ‘Samurai’

Der ‘gateau des rois’ ist nicht bloß der ‘Kuchen der Könige’, sondern eine (zugegeben, ziemlich flache und eher schlichte) Galette des Rois, ein Kuchen, in dem ‘la fève’ versteckt. Der Kuchen wird traditionell geteilt; der Finder der ‘fève’ ist KönigIn für einen Tag. Der Kuchen, der hier geteilt wird, ist China – und einige Teile sind schon reserviert. China kann nur händeringend zusehen und protestieren.

Victoria scheint ein Viertel des Kuchens für sich reserviert zu haben, Wilhelm II hat das Messer in den Kuchen (und in der Hitze des Gefechts gleich in die Tischplatte) gerammt, um das Stück “Kiao-Tchéou” [Jiaozhou 膠州] herauszuschneiden. Nikolaus II. hat die Hand auf einem Stück “Port-Arthur”), Marianne hat die Hand auf seine Schulter gelegt. Nur der Samurai überlegt noch, welches Stück er herausschneiden soll. Die Konstellationen sind eindeutig: Großbritannien und das Deutsche Reich nahe nebeneinander, Frankreich unterstützt Russland, Japan sitzt mit am Tisch, ist aber isoliert.

Betrachtet man die Figuren genauer, zeigen sich zeittypische Muster mit einigen Auffälligkeiten.

  • Nikolaus II. (in Uniform) und Marianne sind in der Darstellung wenig überraschend, die Gesichtszüge sind entspannt und nicht verzerrt.
  • Wilhelm II. (in Uniform mit Pickelhaube) wirkt angespannt/aggressiv, die Stirn ist in Zornesfalten gelegt.
  • China ist zeittypisch markiert: ‘chinesische’ Gewänder (über einem gelben Kleid ein roter, gemusterter Mantel), Kappe mit Pfauenfeder (die Feder ist eher aufgesteckt als am Rangknopf befestigt), langer, dicker Zopf, dünner Bart und lange Fingernägel an beiden Händen
  • Etwas eigenartig ist die Darstellung der Victoria. Kopf und Schleier sind einschlägigen Fotografien/Karten[2] nachgebildet, die Augenbrauen sind hochgezogen. Der auffällige Schmuck und das Kleid mit tiefem Ausschnitt passen nicht so recht, denn Victoria hatte seit dem Tod ihres Ehemannes im Dezember 1861 nur Witwentracht getragen.
  • Japan wird durch eine Art ‘Samurai’ verkörpert: Die Figur trägt eine weiche rote Jacke mit weißem Kragenbeleg, die weiten Ärmel sind hochgeschoben. Die Frisur erinnert an  den Edo-zeitlichen chonmage 丁髷, die traditionelle Frisur der Samurai, die seit August 1871/Meiji 4 durch Haarschneide-Edikte[3] verboten war.[4]

  1. Dazu trägt auch die Verwendung auf Wikipedia in zahlreichen Artikeln zu China, Imperialismus, Ungleichen Verträgen etc. bei. Die Google-Bildersuche liefert etwa 1,7 Millionen Treffer.
  2. Z.B.  NPG x13844: “Queen Victoria” by Alexander Bassano, carbon cabinet card, 1887 (1882).
  3. danpatsurei 断髪令, “Cropped Hair Edict” – vgl. dazu Florian Coulmas: Die Kultur Japans: Tradition und Moderne (Beck’sche Reihe; München: C. H. Beck 2009), 215.
  4. Zum ambivalenten Verhältnis ‘moderner’ JapanerInnen des 19. Jahrhunderts zu traditioneller Kleidung s. das Kapitel “Embodying Japan” in: Christine Guth: Longfellow’s Tattoos: Tourism, Collecting, and Japan (University of Washington Press, 2004), pp. 121-166.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1261

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Der “Marsch der Freiwilligen” 義勇軍進行曲: Vom Titelsong eines Films zur Nationalhymne

Fēngyǔn érnü 風雲兒女 ["Sons and Daughters in a Time of Storm" oder "Children of Troubled Times"] aus dem Jahr 1935 erzählt die Geschichte eines Intellektuellen, der sein eher ‘westliches’ Leben aufgibt, um sich im Kampf gegen Japan zu opfern.  Die Handlung basiert auf einer Geschichte von Tian Han  田漢, der seit Anfang der 1930er Mitglied der Kommunisitischen Partei Chinas war, und der kurz nach der Veröffentlichung dieser Geschichte verhaftet worden war. Das Drehbuch schrieben  Tian Han 田漢 (1868-1968) and Xia Yan 夏衍 (1900-1995). Regisseur dieser Produktion der Diantong Film Company (電通影片公司) war Xu Xingzhi. In den Hauptrollen sind Yuan Muzhi 袁牧之 (1909-1978) und Wang Renmei 王人美 (1914-1987) zu sehen. Die Musik zum Film schreib Nie Er 聶耳 (1912-1935).

Fengyun ernü 風雲兒女 (1935)

Fengyun ernü (1935)
Internet Archive

Der Film wäre nicht weiter bemerkenswert, ähnliche Plots finden sich im linken Film der 1930er häufiger, wäre da nicht der Titelsong, gesungen von Yuan Muzhi und Gu Menghe: Yìyǒngjūn Jìnxíngqǔ 義勇軍進行曲 ["Marsch der Freiwilligen", "March of the Volunteers"]. Das Lied, das  in einem Theaterstück erstmals verwendet wurde und 1935 auf einem Album mit anderen patriotischen Musikstücken und Liedern veröffentlicht erschien, wurde gleichsam zur Hymne des Widerstands gegen die japanische Aggression.[1]

Im Februar 1949, kurz nach der Besetzung Beijings durch kommunistische Truppen erklang der “Marsch der Freiwilligen” als (inoffizielle) Hymne bei einer Konferenz in Prag. Im Sommer 1949 wurde im Zuge der Vorbereitung auf die Gründung der Volksrepublik China ein parteiinterner Ausschuss eingesetzt, um eine Hymne auszuwählen. Unter zahlreichen Vorschlägen fand sich auch der “Marsch der Freiwilligen”. Dieser Vorschlag wurde bei der ersten Plenarsitzung der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes (Zhōngguó rénmín zhèngzhì xiéshāng huìyì 中国人民政治协商会议) am 27. September 1949 angenommen.[2]

Der ursprüngliche Text wurde wiederholt verändert, um ihn den politischen Verhältnissen anzupassen. In den ersten Jahren der Kulturrevolution wurde die Hymne nicht verwendet, da Tian Han eines der ersten Opfer der Kulturrevolution geworden inhaftiert worden war.[3]. Ab 1969 wurde der “Marsch der Freiwilligen” wieder als Hymne verwendet, 1978 legte der Fünfte Nationale Volkskongress das Lied wieder als Hymne fest, allerdings mit leicht verändertem Text. Zuletzt hob eine Resolution der 5. Session des Fünften Nationalen Volkskongresses vom 4. Dezember 1982 hob die Änderungen auf[4] und stellte die ursprüngliche Version von Tian Han wieder her.

Seit 2004 ist die Hymne in der Verfassung der Volksrepublik China festgeschrieben:

Article 31 The title of the fourth chapter of the Constitution, which reads “The National Flag, the National Emblem and the Capital”, is revised to read “The National Flag, the National Anthem, the National Emblem and the Capital”. And one paragraph is added to Article 136 of the Constitution as the second paragraph, which reads, “The national anthem of the People’s Republic of China is the March of the Volunteers”.[5]

 

  1. S. Chang-Tai Hung: “The Politics of Songs: Myths and Symbols in the Chinese Communist War Music, 1937-1949″. In: Modern Asian Studies , Vol. 30, No. 4, Special Issue: War in Modern China (Oct., 1996) | DOI: http://dx.doi.org/10.1017/S0026749X00016838, 901-929, hier S. 901-903.
  2. S. “Resolution on the Capital, Calendar, National Anthem and National Flag of the People’s Republic of China”  (1949).
  3. In dieser Zeit wurde Dōngfāng Hóng 東方紅 ["Der Osten ist rot"] als inoffizielle Hymne verwendet.
  4. AsianLII: Resolution of the Fifth Session of the Fifth National People’s Congress on the National Anthem of the People’s Republic of China (Adopted on December 4, 1982).
  5. “Amendments to the Constitution of the People’s Republic of China (Adopted at the Second Session of the Tenth National People’s Congress and promulgated for implementation by the Announcement of the National People’s Congress on March 14, 2004).”

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1269

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Ein Bild sagt mehr … (XIV): “Die junge Republik” (1912)

Mit dem 1. Januar 1912 -  guó chénglì jìniàn 國成立紀念 – begann offiziell die Republik China. Drei Tage vorher, am 29. Dezember 1911 war Sun Yat-sen 孫逸仙 zum provisorischen Präsidenten ernannt worden. In den europäischen Zeitungen waren die Entwicklungen in China eher Randnotizen, die Schlagzeilen dominierten andere Themen. Das spiegelt sich auch in deutschen satirisch-humoristischen Periodika[1], wo China nur selten groß thematisiert wird. Umso überraschender wirkt die Titelseite des Kladderadatsch vom 14. Januar 1912 mit “Die neue Republik”.

Die neue Republik (Kladderadatsch 65.1912)

“Die neue Republik” (Kladderadatsch Nr. 2 (14.1.1912)
Quelle: Universitätsbibliothek Heidelberg (Nutzung gemäß CC-BY-SA 3.0 DE)

Die Karikatur von Ludwig Stutz (1865-1917) zeigt eine ziemlich durch Kleidung, Bart und Zopf als chinesisch markierte Figur mit einem glänzenden Zylinder auf dem Kopf. “Der chinesische Drache” hat die Arme um die Schultern des französischen Präsidenten Armand Fallières (1841-1931, Präsident 1906-1913[2]) und von US-Präsident William Howard Taft (1857-1930, Präsident 1909-1913[3]) gelegt, die durch Porträt und Inserts markiert sind, bei Fallières steht der Name auf einer Tricolore-Schärpe, bei Taft auf der Frackweste, er trägt die US-Flagge als Kummerbund.

“Der chinesische Drache” spricht zu den beiden:

“Ich sei, gewährt mir die Bitte,
Mang euren Zylindern der Dritte!”

Die Anspielung auf den Schlussvers von Schillers Bürgschaft[4] impliziert den Anspuch, gleichberechtigter Partner zu sein. Der Zylinder ist allerdings nur ‘draufgesetzt’, Kleidung und Haartracht sind traditionell. Ob sich der Chinese jovial zwischen die beiden drängt oder von den beiden gestützt wird, bleibt offen …

  1. In den satirisch-humoristischen Periodika Österreich-Ungarns war das etwas anders, dort finden sich – ganz gegen den internationalen Trend – häufig Bezüge auch China.
  2. Kurzbiographie: Armand FALLIERES (1906-1913) bei elysee.fr.
  3. Kurzbiographie: William Howard Taft auf whitehouse.gov.
  4. Vgl. Friedrich Schiller, “Die Bürgschaft”. In: Ders. (ed.), Musen-Almanach für das Jahr 1799 (Tübingen: Cotta 1799) S. 176-182.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1252

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Ein Bild sagt mehr … (XIII): “Magot de la Chine” (1834)

Nach der Juli-Revolution (1830) begann die Blüte der satirisch-humoristischen Periodika mit La Caricature morale, religieuse, littéraire et scénique. Die erste Nummer der von Charles Philipon (1800-1862) herausgegebene Zeitschrift erschien 4. November 1830, das Blatt war nur im Abonnement erhältlich. Jede Nummer von La Caricature bestand aus vier Seiten Text und zwei ganzseitigen Lithographien, die herausnehmbar waren. Ein großer Teil dieser Blätter stammte von Honoré Daumier (1808-1879), einem der bedeutendsten Karikaturisten der Zeit.

Daumier nutzte die exotische Verfremdung, um die aktuelle Situation in Frankreich zu charakterisieren.[1] Der Mode der Zeit entsprechend konnte sich Daumier nicht entziehen, Chinoiserien (im weitesten Sinn) sind in seinem Œuvre häufiger zu finden. Das Blatt “Magot de la Chine (Tiré du Cabinet de M. Ch. Philipon.)”, das in La Caricature am 28.8.1834 erschien, war wohl das erste Mal, dass Daumier ein China-Motiv aufgriff.[2]

Daumier: Magot de la Chine (1844)

Daumier: “Magot de la Chine (Tiré du Cabinet de M. Ch. Philipon.)” (1844) – Quelle: gallica

“Magot de la Chine” ist ein lachender Buddha (chinesisch bùdài 布袋 (japanisch: hotei, wörtlich “Stoffsack”, “Leinensack”[3]), eine populäre Figur der chinesischen (und japanischen Volksreligion), in der Regel dargestellt als dickbäuchiger lachender Kahlkopf im Mönchsgewand mit mālā [Gebetskette] und einem Sack für Almosen.

Auf den ersten Blick scheint Daumiers Darstellung die geradezu idealtypische Abbildung eines bùdài. ((Dass der Buddha die Gebetskette, die deutlich weniger als 108 Perlen hat), in der Hand hält die auf dem Knie ruht, erscheint vernachlässigbar.)) Erst auf den zweiten Blick werden die zahlreichen Doppel- und Mehrdeutigkeiten erkennbar …

  • Die für Buddha-Darstellungen typischen langen Ohrläppchen[4] sind so lang, dass sie auf den Schultern aufliegen.
  • Die Figur ist nicht kahlköpfig, auf dem höchsten Punkt steht ein kurzes Zöpfchen.
  • Der Buddha lächelt nicht, das Gesicht ist zur Fratze verzerrt.

Der Titel “Magot de la Chine (Tiré du Cabinet de M. Ch. Philipon.)” macht klar, dass es nicht um ein Glückssymbol geht, sondern darum, die Gier des “Bürgerkönigs” Louis-Philippe (1773–1850, regierte 1830-1848) anzuprangern.[5].

“Magot de la Chine” ist die übliche Bezeichnung für Nippes-Figuren aus Ostasien, “magot” (ohne jeden Zusatz) ist mehrdeutig. Im Trésor de la langue française finden sich unter “magot” zwei Einträge:

magot¹
A. Singe à queue rudimentaire du genre macaque vivant en Afrique du Nord et à Gibraltar. [...]
B. Bibelot figurant un personnage plus ou moins grotesque, sculpté ou modelé, provenant ou imité de l’Extrême-Orient. [...][6]

und

magot²
Fam. Somme d’argent assez importante que l’on a thésaurisée et que l’on cache. [...][7]

Daumiers “Magot de la Chine” hat die Gesichtszüge Louis Philippes, das Zöpfchen und die Ohrläppchen ersetzen die Perücke und evozieren die Assoziation “Birne” – und damit die Dekodierung (und damit das Verstehen) der Karikatur sichergestellt ist, gibt es den Zusatz “Tiré du Cabinet de M. Ch. Philipon” ["Aus der Sammlung von Mr. Charles Philipon"].[8] Schon in “Gargantua” (1831) hatte Daumier den Bürgerkönig als von der Gier aufgeblähten Nimmersatt gezeigt, von Gier und Fresssucht aufgebläht – was ihn ins Gefängnis gebracht hatte. Bei “Magot de la Chine” arbeitet er subtiler – und doch wird der König wieder als gierig und gefräßig charakterisiert: der Sack für Almosen kann als Geldsack gedeutet werden.[9].

  1. S. dazu: Elizabeth C Childs: Daumier and exoticism: satirizing the French and the foreign (=Hermeneutics of art, v. 11; New York: Peter Lang 2004).
  2. La Caricature Numéro 199 (28 aout 1834), Pl. 416.
  3. S. Patricia Jaaland Welch: Chinese Art. A Guide to Motifs and Visual Imagery (Tokyo/Rutland, Vermont/Singapore: Tuttle 2008), 191 f. “Laughing Buddha”.
  4. Die buddhistische Kunst war zunächst anikonisch, die ersten erhaltenen Statuen entstanden um 1000 n. Chr. Grundlage der Darstellung waren Lehrreden, die das Aussehen des Buddha beschrieben, vor allem die “32 Merkmale eines Großen Mannes” und die “80 Kleineren Merkmale”, die die 32 großen ergänzen. Dort heißt es, die Ohren wären ‘lang wie Lotosblüten’. Zum Bild des Buddha: Y. Krishan/Kalpana K. Tadikonda: The Buddha image: its origin and development (2nd rev. & enlarged edition; New Delhi: Munshiram Manoharlal Publishers 2012).
  5. Vgl.  Elizabeth C. Childs, “The Body Impolitic: Press Censorship and the Caricature of Honoré Daumier.” In: Dean de la Motte/Jeannene Przyblyski (ed.): Making the News: Modernity and the Mass Press in Nineteenth-Century France (Amherst: University of Massachusetts Press 1999), 43-81, speziell 56 f.
  6. http://atilf.atilf.fr/dendien/scripts/tlfiv5/visusel.exe?11;s=3308966700;r=1;nat=;sol=0;) <abgerufen am 4.1.2013>.
  7. http://atilf.atilf.fr/dendien/scripts/tlfiv5/visusel.exe?12;s=3308966700;r=1;nat=;sol=1; <abgerufen am 4.1.2014>.
  8. Charles Philipon hatte mit “La Métamorphose du roi Louis-Philippe en poire” (1831). [BnF, Estampes et Photographie, Rés. B-16-Boîte] die Birne gleichsam unsterblich gemacht. S. auch: Ursula Koch/Pierre-Paul Sagave/André Fontaine: Le Charivari. Die Geschichte einer Pariser Tageszeitung im Kampf um die Republik (1832 – 1882) ; ein Dokument zum deutsch-französischen Verhältnis. (Köln: Leske 1984), 45-50.
  9. S. dazu auch Childs (2004) 127-129. Die dort hergestellte Verbindung zu Cruikshanks “The court at Brighton à la Chinese!!” von 1816 erscheint allerdings weit hergeholt.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1240

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Formosanisch – Eine Fiktion des 18. Jahrhunderts

Die ‘Formosianischen Sprachen’ (langues formosanes, Formosan languages), die Sprachen der indigenen Völker Taiwans, sind für die Historische Linguistik von höchster Bedeutung. Sie bilden nach Blust mit etwa 300.000 Sprechern und 21 Sprachen 8-10 primäre Zweige des Austronesischen, während alle anderen austronesischen Sprachen (mehr als 1.100 Sprachen mit etwa 300 000 000 Sprechern) zu einem einzigen Primärzweig, dem Malaio-Polynesischen, gehören.[1] Während Blusts Theorien nicht unumstritten sind, herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass Taiwan einer der Ursprungsorte der austronesischen Sprachen ist.[2]

Im Jahr 1703 -  lange bevor die Sprachen Taiwans in den Fokus der Wissenschaft rückten – war ein exotischer Fremder mit bizarren Gewohnheiten die Sensation in London. Er nannte sich George Psalmanazar (oder Psalmanaazaar) und behauptete, ein ‘Ureinwohner’ von Formosa (Taiwan 臺灣) zu sein, von wo ihn Jesuiten nach Frankreich verschleppt hätten, wo er allerdings die Konversion zum Katholizismus verweigert hätte. In London bekehrte er sich zum Anglikanismus, was ihm bei Henry Compton (1632-1713, Bischof von London 1675-1713) Ansehen brachte und ihm die Türen zur Londoner Gesellschaft öffnete,  die nach Berichten aus exotischen Gegenden gierte. Psalmanazar spielte geschickt mit dieser Neugierde, aber auch mit antikatholischen und antijesuitischen Strömungen.[3]

1704 veröffentlichte Psalmanazar An historical and geographical description of Formosa[4] In dieser ‘Beschreibung’ Taiwans, die reine Erfindung ist, finden sich auch Bemerkungen zur Sprache und eine Tafel “The Formosan Alphabet” (Tafel nach S. 268).[5]

Psalmanaazaar: An historical and geographical description of Formosa (1704)

Psalmanaazaar: An historical and geographical description of Formosa (1704)

Während Psalmanazar bald als Schwindler entlarvt war, zogen seine Bemerkungen zum ‘Formosanischen’ noch in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts weite Kreise durch Bücher, die fremde Spachen und Schriften vorstellten, aber auch durch die sogenannten Vaterunser-Sammlungen, also Bücher, die das Vaterunser in 100 und mehr Sprachen abdrucken.

Ein Beispiel ist Benjamin Schultzes Orientalisch- und Occidentalisches A, B, C-Buch aus dem Jahr 1769.[6] Schultze (1689-1760), dem auch der Orientalische und okzidentalische Sprachmeister (1748) zugeschrieben wird,  bringt zunächst das “Alphabetum Formosanum” (S. 103).

Orientalisch- und Occidentalisches A,-B,-C.-Buch (1769)

Orientalisch- und Occidentalisches A,-B,-C.-Buch (1769)

Im Anschluss präsentiert er (weitestegehend) wortident Auszüge des entsprechenden Kapitels (S. 468-474) aus der deutschen Version von Psalmanazars Description, die 1716 von Philipp G. Hübner vorgelegt wurde..[7]

Das Wissen darum, dass Psalamanazar ein Schwindler war, verbreitete sich bald. Trotzdem blieb Psalamanzars Description im 18. Jahrhundert eine der Quellen für alles, was die Insel betraf. Auch der Verfasser des Artikel “Formosa” in Zedler’s Universal-Lexikon[8] merkt jedoch an:

Man hat aber nicht Ursache, auf dieses Auctoris [d.i. Psalmanazar] Beschreibung von FORMOSA viel zu bauen.[9]

Trotzdem stützt sich der Artikel primär auf Pslamanazar (ablesbar an der Wiedergabe der Ortsnamen), die anderen Quellen, die am Ende des Artikels genannt werden und die wesentlich ergiebiger und verlässlicher gewesen wärhen, scheinen nicht verwendet worden zu sein.

  1. Robert Blust: “Subgrouping, circularity and extinction: some issues in Austronesian comparative”. In Zeitoun, E.; Li, P.J.K. Selected papers from the Eighth International Conference on Austronesian Linguistics. (Taipei: Academia Sinica 1999) 31–39.
  2. Vgl. Ethnologue: Languages of the World, Fifteenth Edition (2005), vor allem der Abschnitt “Austronesian” <abgerufen am 21.12.2013>.
  3. Zu Psalamanzar u.a.: Benjamin Breen: “No Man Is an Island: Early Modern Globalization, Knowledge Networks, and George Psalmanazar’s Formosa”. In: Journal of Early Modern History, Volume 17, Issue 4 (2013) 391-417 – DOI: 10.1163/15700658-12342371; Michael Keevak, The Pretended Asian: George Psalmanazar’s Eighteenth-century Formosan Hoax (Detroit, Michigan: Wayne State University Press, 2004.
  4. [George Psalmanaazaar:] An historical and geographical description of Formosa … Giving an account of the religion, customs, manners, &c., of the inhabitants. Together with a relation of what happen’d to the author in his travels; particularly his conferences with the Jesuits, and others, in several parts of Europe. Also the history and reasons of his conversion to Christianity, with his objections against it (in defence of paganism) and their answers … By George Psalamanaazaar, a native of the said island … (London 1704), Digitalisate → Bibliotheca Sinica 2.0  (verschiedene Ausgaben und Übersetzungen).
  5. Zur Sprache vgl. Keevak (2004), ch. “Psalmanazar’s Language” (S. 61-97).
  6. Benjamin Schultzes Orientalisch- und Occidentalisches A, B, C-Buch (Naumburg 1769) Online: Google Books.
  7. George Psalmanazar, Philipp G. Hübner [transl.]: Historische und Geographische Beschreibung der Insel Formosa, Nebst beygefügten Ursachen, warum sich derselbe zur Christl. Religion bekannt. Mit verschiedenen Kupfern  (Franckfurt und Leipzig: Verlegts Daniel Walder/Buchhändler in Augspurg, Coburg/druckts Moritz Hagen 1716). – Digitalisat → Bibliotheca Sinica 2.0.
  8. Zedler 9 (1735) Sp. 1497 f..
  9. Zedler 9 (1735) Sp. 1497 f. s.v. “Formosa”

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1208

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