Wer sich mit der Geschichte uneindeutiger Körper beschäftigt, wird schnell mit Zensur-Phänomenen konfrontiert. Das betrifft insbesondere auch Textausgaben und Übersetzungen historischer Quellen, die zwischen der Mitte des 19. und Mitte des 20. Jahrhunderts erschienen sind. Als Einstieg drei Beispiele: 1. Der Chronist Matthäus Paris (gest. 1259) berichtet in seiner Chronica maior von „Androgynen“ in Lincoln: Eine „unheilverkündende und unerhörte“ Begebenheit habe sich dort im Jahre 1246 zugetragen. Eine adelige Frau, verheiratet und Mutter mehrerer Kinder, habe eine andere adelige Frau geschwängert, und zwar „in […]
Zensierte Zwitter. Über zensierte Ausgaben und Übersetzungen historischer Quellentexte
Wer sich mit der Geschichte uneindeutiger Körper beschäftigt, wird schnell mit Zensur-Phänomenen konfrontiert. Das betrifft insbesondere auch Textausgaben und Übersetzungen historischer Quellen, die zwischen der Mitte des 19. und Mitte des 20. Jahrhunderts erschienen sind. Als Einstieg drei Beispiele:
1. Der Chronist Matthäus Paris (gest. 1259) berichtet in seiner Chronica maior von „Androgynen“ in Lincoln: Eine „unheilverkündende und unerhörte“ Begebenheit habe sich dort im Jahre 1246 zugetragen. Eine adelige Frau, verheiratet und Mutter mehrerer Kinder, habe eine andere adelige Frau geschwängert, und zwar „in einer neuen und wundersamen Weise“. Um dieses Wunder zu erklären, verweist der Chronist auf die gelehrte Auslegung des Schöpfungsberichts: Dort heiße es, dass Gott den Menschen als Mann und Frau geschaffen habe (Gen. 1, 27), die Glosse (gemeint ist ein Werk von Petrus Cantor) aber bemerke zu dieser Stelle, dass es auch androgyne Menschen gebe, die zeugen und empfangen könnten. Letztlich sind es also Berichte über das Wundervolk der Hermaphroditen, wie sie seit der Antike und bis weit in die Neuzeit tradiert wurden, auf die der Chronist sich hier beruft.
Das wäre nicht weiter erstaunlich – viel interessanter ist, wie im 19. Jahrhundert mit diesem Text umgegangen wurde.
Aufgrund ihrer Bedeutung v.a. für die englische Geschichte wurde die Chronik schon im 19. Jahrhundert ins Englische und (teilweise) ins Deutsche übersetzt, keine Selbstverständlichkeit für eine mittelalterliche Chronik. Die deutsche Übersetzung von 1896 erwähnt die „Androgynen“ nicht, was nicht viel bedeuten muss, da es sich um eine Auswahlübersetzung handelt. Die englische Übersetzung von 1853 hingegen ist eine vollständige Übersetzung - verzichtet ausgerechnet auf die oben zitierte Episode, und beruft sich (Bd. 2, S. 166, online hier) auf ihre angebliche Unübersetzbarkeit: "The contents of this chapter being untranslatable, we give the Latin text, which is as follows: "Sub ejusdem anni curriculo, …"
2. Die Konstanzer Chronik (14./15. Jh.) berichtet zum Jahr 1388 von einem Mensch, der doppelte Geschlechtsorgane hatte, in zeitgenössischen Begriffen also ebenfalls ein „Hermaphrodit“. Anders als der gelehrte, auf Latein schreibende Matthew Paris verwendet der Konstanzer Chronist aber nicht diesen gelehrten Begriff; „hat ain zagel, hat ein fud“, schreibt er schlicht und deutlich, um die doppelten Geschlechtsorgane (Penis und Vulva) zu benennen. Eines aber hat er mit Mathew Paris gemeinsam – in den Druckausgaben wurde die Passage zensiert. Die erste Ausgabe der Konstanzer Chronik (durch Mone, hier online), obwohl sonst vollständig, ließ die Passage kommentarlos weg, die zweite (Ruppert) ersetzte sie immer noch durch eine Fußnote mit einer knappen (inhaltlich durchaus zutreffenden) Paraphrase.
3. Ein Kapitel des Paedagogos des Clemens von Alexandrien (gest. um 215), in dem es um Zwitter geht (mehr dazu hier), wird in der weit verbreiteten englischen Übersetzung (Schaff; hier online) stark gekürzt, ohne dass dies im Vorwort erwähnt würde. Erst eine Fußnote zur Kapitelüberschrift erläutert: "For obvious reasons, we have given the greater part of this chapter in the Latin version. [...]." Aus „offensichtlichen“ Gründen „muss“ der griechische Text des Originals auf Latein anstatt auf Englisch wiedergegeben werden – welche offensichtlichen Gründe dies sind, wird nicht gesagt. Immerhin wird die Zensur, bei aller sprachlichen Verschleierung, hier als solche erkennbar. In der deutschen Clemens-Übersetzung in der „Bibliothek der Kirchenväter“ (hier) ist nicht einmal das der Fall - hier wird ein noch kleinerer Teil des Paedagogos-Kapitels übersetzt – und der Rest fehlt ganz, ohne jeden Hinweis darauf, dass hier etwas fehlte!
Mit solchen zensierenden Eingriffen, Nicht-Übersetzungen, Verschleierungen rechnet man bei Textausgaben des 19. und 20. Jahrhunderts bei erotischen und allgemein sexuellen Themen, vor allem, wenn es um homosexuelle Akte und Beziehungen geht – zum Beispiel die berüchtigte Martial-Ausgabe der Loeb Classical Library: Bis zur Neuausgabe 1993 bot sie „einschlägige“ Verse anstatt in englischer in italienischer Übersetzung, die übrigens auch nicht vom Übersetzer selbst stammte, sondern einer Übertragung des 18. Jahrhunderts entnommen war. (Näheres kann man in der klugen Rezension Howells in der Classical Review, siehe hier, nachlesen.)
Die hier zitierten Zensur-Beispiele fallen aber auf dem ersten Blick nicht in dieses Muster: Der „Hermaphrodit von Lincoln“ begeht zwar Ehebruch, aber Matthew Paris berichtet denkbar knapp darüber und in irgendeiner Weise anstössig zu sein. Der Mensch mit doppelten Genitalien, der in der Konstanzer Chronik erwähnt wird, führt ein geordnetes Eheleben: Aufgewachsen als Katharina, nannte er sich später Hans, heiratete eine Frau, und das Konstanzer Gericht bestätigt die Gültigkeit ebendieser Ehe; alles recht langweilig. Erst recht ist Clemens von Alexandrien ziemlich unverdächtig: Die imkriminierten Passagen leugnen die Existenz von „echten“ Hermaphroditen und diskutieren dann angebliche „hermaphroditische“ Tiere wie die Hyäne und den Hasen, um die entsprechenden Speiseverbote des Alten Testamentes (und des sog. Barnabasbriefes) zu deuten. Dogmatisch nicht ganz jedermanns Tasse Tee, aber moralisch jedenfalls unverdächtigt.
Nicht die Darstellung sexueller Handlungen, erst recht nicht moralische Wertungen, sondern allein die Erwähnung von „Hermaphroditen“ ist es offenbar, die bei Herausgebern und Übersetzern des 19./20. Jahrhunderts als problematisch gesehen wurde. Gerade weil antike und mittelalterliche Texte für die meisten Leser wenn überhaupt, dann nur in Übersetzungen zugänglich sind, dürften die oben zitierten Beispiele nicht ohne Wirkung sein. Teilweise gibt es neuere Übersetzungen (z.B. von Clemens), aber gerade dank Google books und Co. erleben die alten, oft gemeinfreien Übersetzungen derzeit eine regelrechte Renaissance. Umso wichtiger ist es, dass man damit zu rechnen lernt, dass Hinweise auf Menschen zwischen den Geschlechtern in diesen Ausgaben gezielt eliminiert wurden.
Blog: Kryptographiegeschichte der Antike, des Mittelalters und der Neuzeit
Das Leben des Gaius Tranquillus Suetonius (Sueton)
Es wurde keine Biographie über Sueton (bürgerlich: Gaius Tranquillus Suetonius) verfasst, seine Lebensdaten lassen sich nur „aus seinen eigenen Werken sowie aus einigen Briefen des jüngeren Plinius erschließen.“1 Laut einer 1953 gefundenen Inschrift ist Sueton zwischen 70 und 75 n. Chr. in Hippo Regius geboren, welches im heutigen Algerien liegt. Er starb um 140 n. Chr.
Sueton hatte durch seinen ritterlichen Familienstand und die guten Verbindungen seines Großvaters und Vaters stets engen Kontakt zum politischen Machtzentrum des römischen Reiches. Dazu kam, dass er mit seiner Familie in Rom wohnte, also unmittelbar im Zentrum des Geschehens des römischen Reiches. Im Jahre 121 n.
[...]
Quelle: http://jbshistoryblog.de/2015/01/das-leben-des-gaius-tranquillus-suetonius-sueton/
Legende und Geschichte – die römische Königszeit, Teil 4
Tarquinius Superbus |
Tarquinius Thronergreifung, Comic aus den 1850er Jahren |
Michaelangelos Darstellung der Sibyll |
Lucius Junius Brutus |
Tyrannenmord |
Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2014/11/legende-und-geschichte-die-romische.html
Legende und Geschichte – die römische Königszeit, Teil 3
Lucius Tarquinius Priscus |
Cirus Maximus in einem Modell |
Servius Tullius |
SPQR-Standarte |
Neuzeitliche Darstellung einer Senatssitzung (Cicero vs. Catalina) |
So oder so dienen die ersten sechs römischen Könige allesamt als Sagen, anhand derer zum einen die Entwicklung Roms als auch die klassischen römischen Tugenden - Treue, Tapferkeit, (politische) Ambition, Führungsstärke, Entschlossenheit - illustriert werden konnten. Die Könige sind überlebensgroße Figuren, oftmals durch göttliche Fügung limitiert und mit langen Regierungszeiten gesegnet, die aber gleichzeitig stets durch andere ambitionierte Männer unter Druck geraten. Was also passiert, wenn diese Männer kein Ventil für ihre Ambitionen finden, und wenn der König selbst nicht ein weiser, fähiger Mann, sondern stattdessen ein hochmütiger Tyrann ist? Nun, dann wird es wohl Zeit, eine Republik zu gründen, nicht wahr?
Senatssitzung - Cesare Maccari (Public Domain)
Alfred Heuss - Römische Geschichte
Simon Baker - Rom - Aufstieg und Untergang einer Weltmacht
Martin Jehne - Die römische Republik - Von der Gründung bis Caesar
Guy de la Bedoyere - Die Römer für Dummies
Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2014/09/legende-und-geschichte-die-romische.html
Frühe Nachrichten über China: Seide, die vom Baum gekämmt wird …
Kostbare Seidenstoffe waren in Europa seit langem bekannt und begehrt, Herkunft und Gewinnung der Seide aber blieben ein gut gehütetes Geheimnis, [1] was zu zum Teil abenteuerlichen Erklärungsversuchen führte.
Im Wörterbuch der Gebrüder Grimm heißt es unter “Seide“: “das gespinnst des seidenwurms, als noch unverarbeitetes naturerzeugnis: die seyden, sericum, bombyx Maaler 371c”. Der Beitrag verweist auf den Eintrag “Seide” in Die teütsch Spraach[2] von Josua Maaler (1529-1599)) aus dem Jahr 1561.
Weiter heißt es im Wörterbuch der Gebrüder Grimm:
[...] ahd. Seres sizzent hina verro ôstert in eben India, die stroufent aba iro boumen eina wolla, dia wir heiʒên sîdâ, dia spinnet man ze garne, daʒ karn farewet man misselîcho, unde machôt darûz fellôla. Notker 1, 97, 7 Piper [...]
Also: “Die Seres wohnen im fernen Osten neben Indien.[3] Sie streifen von ihren Bäumen eine Wolle, die wir ‘sîdâ’ nennen, die spinnt man zu Garn, das Garn färbt man unterschiedlich, und macht daraus ‘fellôla’.”
Diese Passage findet sich in der althochdeutschen Übersetzung und Kommentierung von De consolatione philosophiae des Anicius Manlius Severinus Boethius (um 480-524 oder 525) , die der St. Galler Mönch Notker der Deutsche (um 950-1022)[4] anfertigte.
Die Stelle im Codex Sangallensis 825[5], konkret die Zeilen 3-6:
St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 825, p. 84 – Boethius, De consolatione philosophiae (http://www.e-codices.unifr.ch/de/list/one/csg/0825)
Demnach wächst die Seide in langen Fäden auf Bäumen und wird ‘ausgekämmt’. Das Bild von der Seide, die auf Bäumen wächst, findet sich unter anderem bei Plinius und Herodot. Ob dabei tatsächlichSeide gemeint ist, ist zweifelhaft, denn die Beschreibungen deuten eher auf Baumwolle (Gossypium arboreum) hin …
Bei Plinius, Naturalis historia 6, 23 heißt es:
[...]primi sunt hominum qui noscantur Seres, lanicio silvarum nobiles, perfusam aqua depectentes frondium canitiem, unde geminus feminis nostris labos redordiendi fila rursusque texendi: tam multiplici opere, tam longinquo orbe petitur ut in publico matrona traluceat. [...]
Bostock übersetzt diese Passage:
The first people that are known of here are the Seres, so famous for the wool that is found in their forests. After steeping it in water, they comb off a white down that adheres to the leaves; and then to the females of our part of the world they give the twofold task of unravelling their textures, and of weav- ing the threads afresh. So manifold is the labour, and so distant are the regions which are thus ransacked to supply a dress through which our ladies may in public display their charms. [6]
Der Übersetzer merkt an, dass Plinius Seidenraupen (eigentlich die Larven des Seidenspinners) und deren Kokons in Buch 11, Kapitel 27 im Abschnitt über die “Koische Seide”[7]. Plinius bezeichnet die Larven des Seidenspinners als “bombyx”[8] und beschreibt die Entstehung der Kokons nicht als ein Sich-Einspinnen, sondern als Nester, die durch Filz- und Walkprozess entstehen.
Bei Herodot liest man, dass in Indien Bäume wild wachsen, die eine Wolle produzieren, die in Schönheit und Güte die von Schafen übertrifft, und dass die Inder Kleidung von diesen Bäumen tragen (Herodot, Historien III, 106).
Die Meinung, dass Seide auf Bäumen wächst, findet sich noch bei Isidor von Sevilla in den kurzen Bemerkungen zu den “Seres”:
Seres a proprio oppido nomen sortiti sunt, gens ad Orientem sita, apud quos de arboribus lana contexitur. [9]
Im Codex Sangallensis 621, S. 40,, einer im 9. Jahrhundert entstandenen St. Galler Abschrift der Historiarum adversum paganos libri VII des Paulus Orosius notiert im 11. Jahrhundert Ekkehart IV.[10] in einer Glosse zu “[...] qua oceanus Sericus tenditur [...]”[11]:
Ubi et Seres gentes qui serica uellera arboribus natura quadam suis inpendentia mittunt. [...].
Heidi Eisenhut[12] verweist als Quelle für diese Informationen auf Stellen bei Plinius und Isidor von Sevilla, sieht aber die oben erwähnte Stelle im Boethius-Kommentar als wahrscheinlichere Quelle.
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- Zu den ältesten Funden und zu ersten Nachrichten s. Anastasia Pekridou-Gorecki “Seide.” Der Neue Pauly. Herausgegeben von: Hubert Cancik, Helmuth Schneider (Antike), Manfred Landfester (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte). Brill Online, 2014. Reference. Universitaet Wien. 09 July 2014 http://referenceworks.brillonline.com/entries/der-neue-pauly/seide-e1107010. First appeared online: 2006.
- Josua Maaler: Die teütsch Spraach : alle Wörter, Namen und Arten zuo reden in hochteütscher Spraach, dem ABC nach ordenlich gestellt unnd mit guotem Latein gantz fleissig unnd eigentlich vertolmetscht, dergleychen bisshär nie gesähen / Dictionarium germanicolatinum novum : hoc est, Linguae Teutonicae, superioris praesertim, thesaurus / durch Josua Maaler, Burger zuo Zürich = a Iosua Pictorio Tigurino confectus & in lucem nunc primum editus (Tiguri : excudebat Christophorus Froschouerus 1561). Digitalisat: e-rara.ch.
- Eduard von Tscharner übersetzt: “Die Seres wohnen fern von hier nach Osten in der Ebene Indien.” [Ed. von Tscharner: "China in der deutschen Dichtung des Mittelalters und der Renaissance" In: Sinica, JG. IX (1934) 8, Fußnote e.]. Zur Übersetzung von ‘in eben’ vgl. Heinrich August Schrötensack: Grammatik der neuhochdeutschen Sprache [Nachdruck der Ausgabe Erlangen 1856] (Documente linguistica, Reihe VI: Grammatiken des 19. Jahrhunderts; Hildesheim/New York: Olms 1976) 336.
- Notker III., genannt Notker Labeo, Notker Teutonicus oder Notker der Deutsche. Zur Biographie: Anna Grotans: „Notker Labeo“, in: Neue Deutsche Biographie 19 (1998), S. 362-364 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118588869.html.
- St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 825, p. 84 (http://www.e-codices.unifr.ch/de/list/one/csg/0825).
- [Pliny the Elder, Naturalis Historia. Translated, with copious notes and illustrations, by the late John Bostock and H. T. Riley. (Bohn's Classical Library, London: H.G. Bohn 1855) Book 6, ch. 20.].
- D.i. die Seide der Raupe des Pistazienspinners (Pachypasa otus), die von der Insel Kos stammte und in Rom begehrt war, bevor die Seide aus China verfügbar wurde. S. Rolf Hurschmann: “Coae Vestes.” Der Neue Pauly. Herausgegeben von: Hubert Cancik, Helmuth Schneider (Antike), Manfred Landfester (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte). Brill Online, 2014. Reference. Universitaet Wien. 09 July 2014 http://referenceworks.brillonline.com/entries/der-neue-pauly/coae-vestes-e302400. First appeared online: 2006.
- Bombyx mori = Seidenspinner oder Maulbeerspinner.
- Isidorus Hispalensis: Etymologiarum libri XX, 9, II, 40.
- Zur Biographie: Franz Brunhölzl: „Ekkehart IV.“, in: Neue Deutsche Biographie 4 (1959), S. 433-434 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118529722.html.
- Heidi Eisenhut: Die Glossen Ekkeharts IV. von St. Gallen im Codex Sangallensis 621 (Diss. Zürich 2006). (Monasterium Sancti Galli 4, St. Gallen 2009) (Betaversion), 1,2,47.
- Heidi Eisenhut: Die Glossen Ekkeharts IV. von St. Gallen im Codex Sangallensis 621 (Diss. Zürich 2006). (Monasterium Sancti Galli 4, St. Gallen 2009) (Betaversion), 040a7-11.
Legende und Geschichte – die römische Königszeit, Teil 2
Münze mit dem Abbild Tullus Hostilius |
Kampf gegen Veji und Fidernae |
Schwur der Horatier |
Münze mit Abbild Ancus Marcius |
Ancus Marcius repräsentiert mehr oder weniger die Konsolidierungsphase Roms. Die Kriege gegen die Latiner dienten wie zu Romulus Zeiten der Vergrößerung der Bevölkerung, die einfach im eigenen Territorium angesiedelt wurde (und das Bürgerrecht erhielt). Das römische Bürgerrecht dient hier bereits als eine Art Zuckerbrot, das begleitend zum Gebrauch der militärischen Peitsche benutzt wird.
Gleichzeitig aber sind die anderen in Ancus Marcius fallenden Vorgänge interessant. Seine weiteren Stadtbefestigungen vergrößerten und konsolidierten das römische Siedlungs- und Wirtschaftsgebiet. So schloss er den Hügel Janiculum an Rom an, der westlich des Tibers lag und trotz seiner Größe nicht zu den ursprünglichen "Sieben Hügeln" von Rom zählt. Hierzu wurde eine Brücke gebaut, die die römische Dominanz beider Tiber-Ufer besiegelte. Neue Stadtbefestigungen und ein öffentliches Gefängnis zementierten diesen Status Quo auch gegen Feinde der öffentlichen Ordnung.
Marktplatz in Ostia (GNU 1.2 FoekeNoppert) |
George Washington |
Alfred Heuss - Römische Geschichte
Simon Baker - Rom - Aufstieg und Untergang einer Weltmacht
Martin Jehne - Die römische Republik - Von der Gründung bis Caesar
Guy de la Bedoyere - Die Römer für Dummies
Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2014/07/legende-und-geschichte-die-romische.html
Legende und Geschichte – die römische Königszeit, Teil 1
Romulus und Remus werden von der Wölfin gesäugt |
Entdeckung von Romulus und Remus |
Raub der Sabinerinnen |
Romulus kehrt siegreich aus dem Krieg zurück |
Die Ehrlichkeit in diesem Teil des Gründungsmythos ist überraschend. Nicht nur sind Romulus und Remus uneheliche Kinder (wenngleich mit göttlichem Vater). Rom selbst ist auch eine Stadt des Abschaums der Region, die ihr Überleben nur durch einen Bruch des Gastrechts und Massenvergewaltigungen sichert. Dass die Römer eine solche Herkunftsgeschichte nicht als ehrabschneidend betrachteten, sondern sie stattdessen mit Stolz erzählten, spricht Bände über ihr Selbstverständnis. Doch ein Staat war Rom noch nicht. Vielmehr muss man es sich als ein großes Militärcamp vorstellen, das seinen Nachbarn ein ziemlich großer Dorn im Auge war und mit dem nicht verhandeln konnte, weil es offensichtlich keine Konventionen einhielt. Besonders kultiviert waren die Römer auch nicht. Das stieß ihren Nachkommen sauer auf, aber da Romulus nicht alle guten Taten vollbracht haben konnte, brauchte es einen weiteren mystischen Urvater: Numa Ompilius.
Porträt Numas |
Mit Numa beginnt, was sich später als dauerhafte Tradition römischer Intellektueller erweisen sollte: die Glorifizierung der Vergangenheit. Die Gestalten sind titanisch, von reiner Gesinnung und überbordender Weisheit. Sie sind Verkörperungen des virtus, der unübersetzbaren römischen Tugend. So weist Numas Geschichte einige Züge auf, die die Römer in ihren Herrschern sehen wollten: das Pflichtbewusstsein und das Zögern der Annahme der Herrschaft. Nie sollte die Macht um ihrer selbst willen erstrebt werden, sondern stets als Ausdruck des Pflichtgefühls gegenüber dem Staat verstanden werden. So sind die römischen Könige auch nicht miteinander verwandt; sie werden als "beste Männer" berufen. Zahlreiche republikanische Politiker würden später vorgeben, diesem Ideal zu folgen, und selbst die Kaiser inszenierten sich zu Zeiten als selbstlose Diener des Staates. Seinen neuzeitlichen Ausdruck findet es dann etwa in Friedrich dem Großen, der ebenfalls gerne die Illusion aufrecht erhielt, bescheidener Staatsdiener Nummer 1 zu sein.
Ein Augur erklärt Numa zum König |
Der letzte Aspekt Numas - die Pazifizierung der Römer und ihre Umwandlung in eine Gesellschaft von Bauern - hatte offensichtlich keinen Bestand. Bereits unter Numas Nachfolger, Tullus Hostilius, werden die Römer wieder fleißig Kriege führen. Wichtig ist diese Episode vor allem für den zunehmenden Zivilisationsgrad der jungen Gemeinde: nicht nur wandelt sie sich langsam in den "melting pot", der sie auch später sein würde und in dem die zahlreichen italischen Volksstämme "Römer" wurden. Die Landwirtschaft behielt in der römischen Mentalität immer einen besonderen Stellenwert: der Patrizier von Rang besaß eine Farm in Italien, von der er seinen Lebensunterhalt bezog. Der Stand eines Bürgers bemaß sich am Landbesitz. Und der Ruf nach einer Rückkehr zu den Wurzeln (sprichwörtlich) war in der römischen politischen Kultur nie fehl am Platz. Wann immer es in der Hauptstadt turbulent und dekadent zuging, wandte man sich sehnsüchtig an die Agrargesellschaft "von einst", die so wohl nie bestanden hatte, aber ein steter Fixpunkt im öffentlichen Bewusstsein war.
Sie findet sich etwa auch bei Tacitus wieder, der ein komplettes Buch "Über die Landwirtschaft" verfasst hat, das sich weniger in konkreten Techniken ergötzt (obwohl auch diese natürlich eine Rolle spielen), sondern vielmehr die Bedeutung der Landwirtschaft für das römische Seelenleben unterstreichen. Die Soldaten der frühen römischen Legionen waren allesamt Bauern, die nach dem Feldzug auf ihre Scholle zurückkehrten. Nach der Heeresreform des Marius war das Ende der Dienstzeit eines Soldaten mit einem Stückchen Land verbunden, und die Veteranen verlangten natürlich nach Land in Italien - das gar nicht zur Verfügung stand, weil die Patrizier es in erträgliche Latifundien verwandelt hatten. Eine der größten Krisen der Republik, der Aufstieg und Fall der Gebrüder Gracchus, wurde über die populistische Forderung einer Aufteilung des Landes unter die Armen vom Zaun gebrochen. Es verwundert daher nicht, dass spätere Generationen diese Fixierung auf die Landwirtschaft in der Mystik der römischen Frühgeschichte suchen würden - auch wenn dies der Erfindung eines weisen Friedensfürsten bedurfte, der den Namen Numa Pompeius trug.
Buchhinweise:
Klaus Bringmann - Römische Geschichte - Von den Anfängen bis zur Spätantike
Alfred Heuss - Römische Geschichte
Simon Baker - Rom - Aufstieg und Untergang einer Weltmacht
Martin Jehne - Die römische Republik - Von der Gründung bis Caesar
Guy de la Bedoyere - Die Römer für Dummies
Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2014/06/legende-und-geschichte-die-romische.html
Eine Einführung in die Begriffsgeschichte der Demut
Zweifellos. Der Begriff Demut hat seine Ursprünge in der alttestamentlich-jüdischen, der griechisch-römischen sowie in der urchristlichen Tradition.
In der griechisch-römischen Tradition standen die Begriffe humilis oder ταπεινóς im sozialen und politischen Kontext: „sozial Hochgestellte“ standen über den „sozial Niedriggestellte[n]“1, das heißt den Unterschichten (humiliores) der Plebejer war die herrschende Oberschicht der Patriziern übergeordnet. Die Demütigen waren somit die Beherrschten und Niedergedrückten, die in bescheidenen Verhältnissen lebten. Gemäß dem damaligen Denken führte eine „niedrige Stellung“ aber auch „zu niedriger Gesinnung“ (Wengst 1987, S. 17). So muss der niedrig Gestellte niedere Arbeiten ausführen, die seinen Körper, sein Denken sowie seine Seele „unnütz“2 machen. Auch wird der Charakter der Demütigen in der zeitgenössischen Geschichtsschreibung negativ beschrieben.
Aus der Demut konnte man im griechisch-römischen Verständnis nur durch den sozialen Aufstieg entfliehen. Ein sozialer Abstieg in die Demut bedeutete aber für Plutarch, einen Angehörigen der römischen Oberschicht, nicht seine ursprüngliche Gesinnung zu verlieren und einen demütigen und verwerflichen Charakter anzunehmen3 . So ist die lobenswerte Tugend der Tüchtigkeit (virtus) „nicht an äußere Vorgaben gebunden“4 und kann selbst unter widrigen Umständen wie Armut und Niedrigkeit (humilitas) gelebt werden.
Obwohl eine Haltung der Selbstlosigkeit im Sinne des Altruismus der damaligen Ordnung der Ständegesellschaft widersprach, wird die Tugend der Bescheidenheit in der antiken Literatur mitunter auch positiv beschrieben: So kann jemand von seiner Gier nach Reichtum und Ruhm abkehren und zur Bescheidenheit gelangen. Oder aber er wird, wie Plutarch deutlich macht, von Gott korrigiert und zur Bescheidenheit zurückgeführt.5
Kontrastierend zur griechisch-römischen Tradition wird in den jüdischen Schriften häufig Partei ergriffen für die Gedemütigten und die zu Unrecht erniedrigten. Dabei wird auch der Missstand angeprangert, dass die herrschende Oberschicht häufig nicht das tut was recht ist, sondern die Unterschicht mit Gewalt unterdrückt und sich auf ihre Kosten bereichert. Gott stellt sich selbst auf die Seite der Gedemütigten und Entrechteten und die Erniedrigten sollen bei ihm ihre Zuflucht suchen und die Hoffnung erhalten, dass Gott der Unterdrückung ein Ende setzen wird.6 In diesem Licht erscheinen auch die Prophezeiungen über den kommenden Messias, der für Gerechtigkeit sorgen wird.
Im jüdischen Verständnis konnte eine erlebte Demütigung und ein Leben in bescheidenen (demütigen) Verhältnissen zu einer Tugend der Demut führen, die in einer Solidargemeinschaft praktiziert wird, in der man auf die Demütigung anderer verzichtet.7 So wird in den Qumran-Texten die Demut als „willige Einordnung in die Gruppe unter Zurücksetzung individueller Interessen“ bezeichnet, das heißt es besteht eine „Loyalität gegenüber der Gemeinschaft“ 8 , weshalb Demut nicht erniedrigend und erdrückend von oben herab erfolgen kann.
Das Verständnis der Demut in der urchristlichen Tradition ist wiederum stark vom jüdischen Verständnis geprägt, aber es zeigen sich auch griechisch-hellenistische Einflüsse.9 So ist zu konstatieren, dass auch in den christlichen Schriften die Demütigung durch die unterschiedlichen sozialen Stellungen und dem Unterschied von Arm und Reich bekannt ist.10 Am deutlichsten wird das Verständnis von Demut an der Person des Jesus, der nach den christlichen Schriften, als Sohn Gottes auf die Erde ins das Niedrige gekommen ist und als Mensch den Geringsten solidarisch geworden ist. Im Evangelium des Matthäus (11, 28-30) spricht Jesus davon, dass alle Mühseligen und Beladenen zu ihm kommen sollen, denn er bietet ihnen einen Ort der Ruhe an, weil er demütig ist und solidarisch und daher den Beladenen und Gedemütigten zugehörig. Auch Jesus lebt die Solidargemeinschaft vor, in der die Demut nicht den eigenen Vorteil sucht, sondern den des Nächsten.11 So könne Jesus, der im Zusammenhang mit seiner Auferstehung erklärt, dass ihm „alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben ist“12 als demütiger Herrscher „seine Herrschaft […] in einer solidarischen Praxis der von ihm Beherrschten“13 vollziehen.
Während Paulus dieses Verständnis der Demut in seinen Schriften aufgreift und erläutert, finden sich bereits im 1. Clemensbrief Anzeichen für den Wandel des Verständnisses der Demut im christlichen Verständnis. So wird in 1. Clemensbrief 63,1 die Demut als eine Einordung in eine hierarische Ordnung verstanden bzw. als gehorsame Untertänigkeit und ein sich fügen unter die Gemeindeleitung, was sich vom Verständnis nicht mit der Lehre von Jesus und Paulus verträgt, sondern sich eher in die Tradition griechisch-römischen Denkens einordnen lässt (14. Dieses im 1. Clemensbrief dargelegte Verständnis der Demut als Untertänigkeit hat sich laut Wengst aber im weiteren Verlauf der Kirchengeschichte am stärksten ausgebildet.
Literaturtipp: Wengst, Klaus: Demut – Solidarität der Gedemütigten. München 1987.
Empfohlene Zitierweise: Blümel, Jonathan (2013): Eine Einführung in die Begriffsgeschichte der Demut. In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]
- Siehe Wengst, Klaus: Demut – Solidarität der Gedemütigten. München 1987. S. 15. ↩
- Siehe Wengst. München 1987. S. 18. ↩
- Siehe Wengst. München 1987. S. 22-29. ↩
- Siehe Wengst. München 1987. S. 30. ↩
- Siehe Wengst. München 1987. S. 32f. ↩
- Siehe Wengst. München 1987. S. 42. ↩
- Vgl. Wengst. München 1987. S. 45. ↩
- Siehe Wengst. München 1987. S. 66f. ↩
- Siehe Wengst. München 1987. S. 69. ↩
- Siehe Wengst. München 1987. S. 79-84. ↩
- Vgl. Wengst. München 1987. S. 90. ↩
- Siehe (Matthäus 28,18). ↩
- Siehe Wengst. München 1987. S. 95. ↩
- Siehe Wengst. München 1987. S. 97-102 ↩
Quelle: http://jbshistoryblog.de/2013/08/eine-einfuhrung-in-die-begriffsgeschichte-der-demut/