Von Katja Fausser (Körber-Stiftung) Der Zweite Weltkrieg und seine Folgen ist insbesondere in den Ländern West-, Mittel- und Osteuropas ein dominantes Thema. Das Leben unter nationalsozialistischer und kommunistischer Diktatur sowie die Nachkriegszeit sind im Lokal-, Regional- und Familiengedächtnis in Europa weiterhin sehr präsent. Im Workshop II zur ererbten Zeitzeugenschaft berichtete ich gemeinsam mit Gabriele Woidelko (beide Mitarbeiterinnen der Körber-Stiftung) über Ansätze der Friedenserziehung durch zivilgesellschaftliche Angebote für junge Europäer_innen zur Aufarbeitung von Familiengeschichte. Für die Tagung haben wir den Fokus auf Narrationen junger Europäer_innen … Wenn es knirscht in den Erzählungen: Vom Wert selbstbestimmter Aneignung von Geschichte durch junge Europäer_innen weiterlesen →
Ein Soldat war nie nur ein Soldat
Der Ehemann im Ersten Weltkrieg
Jennifer Hake
Da mit der Einberufung in den Ersten Weltkrieg „den Familien der Ernährer, Berater, Vater [und] hauptsächliche Träger des sittlichen Zusammenhalts entzogen“ wurde,[1] änderte sich vielfach auch das klassische Bild des Mannes. Dessen Aufgabe war es von nun an, für das Vaterland zu kämpfen. Während die Aufgaben und Verantwortlichkeiten der Soldaten im Vergleich zu ihren früheren Leben stark abnahmen, nahmen die der Frauen mehr und mehr zu. Birte Kundrus, die über die Kriegerfrauen des Ersten und Zweiten Weltkrieges geforscht hat, schreibt „aufgrund der Übernahme von Mannesarbeit und ihres eigenständigen Handelns“[2] wie beispielsweise das Tätigen von Geschäften gar von einer „Vermännlichung“. Aus den Briefen des Soldaten August Jasper geht hervor, dass er seine Frau Bernhardine mit ihren neuen Aufgaben nie ganz allein ließ. Er war nicht nur Soldat, sondern versuchte auch aus der Ferne weiterhin ein fürsorglicher Vater und liebender Ehemann zu sein, in dem er seiner Familie in seinen Briefen mit Rat und Tat bei Seite stand. So gab er seiner Frau beispielsweise Ratschläge, wie sie das Geschäft führen, was sie kaufen sollte oder benötigte: „Ich glaube aber die vierte Sorte tut es jetzt genug. Denn das andere ist jedenfalls doch zu teuer.
[...]
Comic-haftes bei Keith Haring
Noch bis zum 30. August zeigt die Kunsthalle der HypoVereinsbank in München Keith Haring — Gegen den Strich. Mit dieser umfangreichen Ausstellung wird in Deutschland erstmals der Künstler Haring im Kontext seines politischen Gedankens thematisiert. Die von Dieter Buchhart kuratierte Schau war bereits in Paris (2013) und San Francisco (2014/15) zu sehen und gastiert nun in München.1 Anhand von einigen in diesem Rahmen ausgestellten Werken werde ich an dieser Stelle herausarbeiten, inwiefern in der Bildsprache von Haring Comic-Elemente zu finden sind.
Keith Harings (1958—1990) Vater führte seinen Sohn bereits in dessen Kindheit in Kutztown an das Zeichnen von Cartoons heran, indem er gemeinsam mit ihm dieser Beschäftigung am Küchentisch nachging.2 Als Jugendlicher widmete er sich weiterhin dieser Tätigkeit und ersann eigene Comic-Figuren.3 Von den Werken Pierre Alechinskys, eines Künstlers der CoBrA-Gruppe, dessen oftmals Panel-artige Strukturen umfassende Gemälde Haring 1976 in Pittsburgh gesehen hatte, zeigte er sich ebenso beeindruckt wie von einem Besuch in Disneyland im darauffolgenden Jahr.4
[...]
Quelle: http://comics.hypotheses.org/153
Tagungsbericht zur Auftaktkonferenz der „1989 Generation Initiative“ am 26.06.2015 in London
Friederike Runge
Angeregt durch einen Artikel des Europa-Historikers Timothy Garton Ash (University of Oxford) in der Tageszeitung The Guardian fand am 26. Juni 2015 an der London School of Economics (LSE) eine Konferenz der 1989 Generation Initiative statt. Garton Ash hatte in seinem Artikel bezüglich der Generation ‘89 bemerkt, es sei „not yet clear what broader political vision this generation represents, how it will change Europe and whether it will appeal to a wider world.” Die InitiatorInnen der Konferenz – vor allem Studierende und AbsolventInnen der LSE – hatten Garton Ashs Überlegungen zum Anlass genommen eine Veranstaltung zu konzipieren, auf der es laut eigens verfasstem Mission Statement darum gehen sollte, die Ziele der Europäischen Union (vor dem Hintergrund der aktuellen Krise des Integrationsprozesses) neu zu definieren, um sie den Bedürfnissen einer neuen Zeit und einer neuen Generation von EuropäerInnen anzupassen. Der nun langsam in verantwortungsvolle Positionen kommenden Generation von 1989, so die dahinter stehende These, obliege es, Verantwortung für die Ausgestaltung der Europäischen Idee zu übernehmen und konkrete Anstöße für die Weiterentwicklung des Integrationsprozesses zu geben.
Vor diesem Hintergrund war die Konferenz vor allem als Auftaktveranstaltung eines längerfristigen Prozesses konzipiert, die internationale Studierende, LSE Absolventinnen und bereits mitten im Berufsleben stehende ExpertInnen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft zusammenbringen sollte. Gemeinsam sollten aktuelle Herausforderungen Europas identifiziert und konkrete Strategien und Lösungsansätze für einige der Kernbereiche des europäischen Einigungsprojektes formuliert werden.
[...]
„Projekt Putin“ – Piraterie und Bibliotheken
Das Phänomen „Giftschrank“ in Bibliotheken ist bekannt – der Giftschrank beherbergt Bücher und Dokumente, die nicht jedermann zugänglich gemacht werden dürfen oder sollen – sei es, weil sie gesetzlich verboten sind, sei es, weil ihre Inhalte extremistisch sind oder aus anderen Gründen im jeweiligen Umfeld als politisch oder moralisch bedenklich eingestuft werden. Die Inhalte von Giftschränken ändern sich mit der Zeit – Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sind sie auf Antrag in der Regel zugänglich.
Anders steht es mit Büchern, die aus Urheberschutzgründen nie hätten erscheinen dürfen – so z.B. die jüngst beim Moskauer Verlag Algoritm publizierte Serie „Projekt Putin“: Es handelt sich um eine Reihe von Büchern über den russischen Präsidenten, als deren Urheber bekannte westliche Autoren genannt sind – meist prominente englischsprachige Journalisten und Analysten, so z.B. Donald Jensen und Luke Harding. Die Autoren selbst wussten nichts von diesen russischen Übersetzungen ihrer Werke. In einigen Fällen gibt es gar keine Originale zu den vorgeblichen Übersetzungen, sondern die Bücher wurden von Algoritm offenbar aus verschiedensten Quellen zusammengestückelt.
Der 1996 in Moskau gegründete Verlag (http://algoritm-izdat.
[...]
Quelle: http://ostbib.hypotheses.org/921
Wider Namenzauber und die Aura der AutorInnen – ein Versuch der Zeitschrift Volltext im Jahr 2011
Klingende Namen von AutorInnen – und von Verlagen – steuern unsere Wahrnehmung und Wertschätzung von Texten, kein vernünftiger Mensch wird das gänzlich abstreiten wollen.1
Diese vor vier Jahren in einem Editorial der Literaturzeitung Volltext (Nr. 3/2011) vorgelegte Analyse ist von andauernder Gültigkeit; originell war der in der damaligen Ausgabe gewählte Umgang mit dem aufgeworfenen Problem: Die Redaktion ersetzte nämlich die Namen der AutorInnen schlicht durch Nummern und schrieb dazu:
Wie irritierend stark dieser Namenzauber allerdings wirkt, wird erst sinnfällig, wenn man ihm die Grundlage entzieht, indem man die Namen tilgt. Das prestige-ökonomische Spielfeld ist mit einem Schlag nivelliert, der Text steht plötzlich ohne Aura vor uns. Guten Tag. So schauen Sie also in Wirklichkeit aus!2
Zugleich wurde aber Entwarnung gegeben:
[...]
Quelle: http://nummer.hypotheses.org/121
Wer ist der eigentliche Feind?
Lea Griesing
Vor und zu Beginn des Ersten Weltkrieges herrschte in Deutschland eine patriotische Hochstimmung, ja eine „Atmosphäre sich überbietender Vaterlandsliebe“.[1] Die unterschiedlichsten Autoren verfassten patriotische Lieder, Gedichte, Bücher und gestalteten Broschüren und Plakate. Die deutsche Propaganda setzte dabei visuell ganz auf Bilder entschlossener und siegesgewisser Soldaten, in denen der eigene Ehemann, Sohn oder Vater wiedererkannt werden sollte. Und mehr noch:
„In Deutschland dienten die propagandistischen Bilder – auch [die] für das feindliche Ausland bestimmten – fast ausschließlich der Bestätigung des deutschen Selbstbildes als überlegenes Kulturvolk das sogar noch im Krieg seinen Feinden Gerechtigkeit widerfahren ließ; ein unschuldiges Opfer, das gerade aufgrund seiner Überlegenheit angegriffen wurde.“[2]
Die eigene Selbstüberhöhung brachte bei erfolgreicher Propagandawirkung zugleich mit sich, dass das Gegenüber als untergeordnet angesehen wurde und Feindbilder entstanden. Die selbst zugeschriebene Opferposition verstärkte im ,Idealfalle‘ die übersteigerte Abwehrhaltung gegenüber dem Feind. Stereotype Feindbilder wurden propagiert und sollten Teil der deutschen Mentalität werden.
[...]
Vom Kriegsaustritt zum Kriegseintritt
Drei Fragen an Bruno Cabanes über sein Werk
Août 14, La France entre en guerre,
Paris, Editions Gallimard, 2014
Die Verwirklichung des Projekts « Die Höhe 108 bei Berry-au-Bac » war für die französischen und deutschen Teilnehmer mit der Lektüre vielfältiger Werke verbunden, die uns erlaubten, die Debatten und die Fragen besser zu verstehen, die vor allem für das Verfassen einer histoire croisée der Höhe 108 während des Ersten Weltkriegs wichtig waren. Dabei haben vor allem die Erinnerungen durch das 100-jährige Jubiläum des Kriegsbeginns zur Publikation von zahlreichen neuen Beiträgen geführt. Einer dieser Beiträge erregte meine Aufmerksamkeit: Août 1914, La France entre en guerre von Bruno Cabanes, Professor für Geschichte an der Ohio State University.
Das Werk besteht aus acht Kapiteln, die alle dem August 1914 gewidmet sind. Die ersten drei befassen sich mit der Kriegserklärung und mit den Wallungen in einem Frankreich, das noch von dem Attentat auf Jean Jaurès gezeichnet war.
[...]
Hofdienerschaft – wie viele Diener gab es am Hof?
Viele Zahlen kursieren über die Größe der Höfe in der Frühen Neuzeit. Da finden sich Angaben, die zum Teil in die Tausende gehen. Um das Jahr 1700 etwa soll der kaiserliche Hofstaat in Wien 1000 Personen umfasst haben und vom Versailler Hof Ludwigs XIV. sind Zahlen zu lesen, die noch weit darüber hinausgehen. Doch sind diese Zahlen pure Übertreibung oder beruhen sie tatsächlich auf der damaligen Wirklichkeit? Wer sind diese vielen Menschen, die da am Hof sind?
Gerade in älteren kulturgeschichtlichen Werken und in vielen populären Werken über Höfe finden sich Zahlen, die in die tausende gehen. Sicher wird man die ein oder andere Zahl einer gezielten Übertreibung zuschreiben können, denn den Höfen der Frühen Neuzeit wurde gerne Monstrosität nachgesagt, das immerwährende Fest, das dort geherrscht haben soll, sollte versinnbildlicht werden, der übertriebene Luxus brauchte einen Beleg und der lässt sich wohl mit nichts besser aufzeigen als mit einer atemberaubenden Anzahl von Menschen, die sich in den schier unendlich großen Schlössern tummelten. Da wurden dann auch gerne mal Personen mitgerechnet, die gar nicht zum eigentlichen Hofstaat gehörten, die Gäste oder Tagelöhner waren oder aber es wurden Personenzahlen gleich frei erfunden.
Wie aber sehen die Zahlen aus, die sich in zeitgenössischen Quellen finden?
[...]
Erst ich und dann die anderen?
Kameraden im Krieg
Niklas Costa Gouveia
„Ich habe es jetzt besser als ihn die anderen noch hatte“,[1] berichtet Heinrich Echtermeyer seinem Bruder Bernhard in einem Feldpostbrief vom 25. Oktober 1916. Er hat soeben eine neue Position zugeteilt bekommen und kümmert sich nun um zwei Pferde und übernimmt Versorgungsaufgaben.[2] Bereits diese wenigen Worte machen deutlich, wie froh Echtermeyer über jede andere Art von Beschäftigung ist, solange er nicht im Schützengraben oder an der Front Dienst leisten muss. Es gefalle ihm „doch besser wie in Graben das Posten stehen“.[3] Es wirkt, als gehe es Echtermeyer in erster Linie um sein Wohl und als sei er nur wenig am Schicksal seiner Kameraden interessiert, die noch in vorderster Linie im Einsatz sind.