Nachlese DHd 2014: Technische Infrastruktur

Im Fokus von Session 4: Technische Infrastruktur standen Themen wie Basisdienste, Hosting Services und operative IT-Dienste und damit Aspekte des technischen Fundaments von DARIAH-DE, die durch eine enge Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Geisteswissenschaften und Rechenzentren erarbeitet werden. Geleitet wurde die Session von Tibor Kálmán (GWDG) und Peter Gietz (DAASI), die auf der Basis praktischer Anwendungsfälle nicht nur einen Überblick über die Komponenten und Funktionsweise der Basisinfrastruktur boten, sondern insbesondere auch auf integrative Aspekte eingingen, um Fragestellungen der Einbindung weiterer Dienste sowie der Nutzbarkeit und Nachhaltigkeit angebotener Services zu beleuchten.

Unterstützt wurden sie dabei durch Thomas Kollatz und Harald Lordick (beide STI), welche anhand von praktischen Anwendungsfällen verdeutlichten, dass die in DARIAH-DE entwickelte, technische Infrastruktur bei der Bearbeitung von Forschungsprojekten einen Nutzen auf unterschiedlichen Ebenen bietet: So finden im Rahmen der von Thomas Kollatz vorgestellten Projekte epidat [1] und RiR [2] eine Vielzahl von Services der technischen Infrastruktur ihre Anwendung. Das Spektrum der unterstützen Aufgaben reicht dabei von den eher koordinativen und organisatorischen Aufgaben des Projektmanagements, die mit Hilfe von Basisdiensten wie Wiki, Jira und Etherpad erleichtert werden, hin zu dem Hosting virtueller Maschinen, der Anbindung der DARIAH-DE AAI sowie dem Einsatz des DARIAH-DE Geobrowsers [3] zur Analyse und Visualisierung z. B. epigraphischer Daten. Harald Lordick präsentierte mit seiner mobilen Web-App “Orte jüdischer Geschichte” [4] einen weiteren, aus geisteswissenschaftlichem Antrieb entstandenen Dienst, der auf Basis einer Positionserkennung Orte jüdischer Geschichte in der Umgebung des Benutzers findet und anzeigt. Ein erkennbares Ziel der App besteht dabei in der Generierung überraschender Ergebnisse durch die Bereitstellung einer neuartigen, auf der geographischen Position eines Benutzers basierenden Perspektive auf Dokumente. Auch bei der Umsetzung der App kann auf Dienste, wie Geoservice und Geobrowser, insbesondere aber auch auf Knowhow der technischen Umsetzung z. B. zu Lizenzen oder Aspekten der Datenaufberetung zurückgegriffen werden.

Wie es auch aus der DARIAH-DE Übersichtsgrafik [5] hervorgeht, bietet die technische Infrastruktur in ihrem Kern Software-, Platform- und Infrastruktur-Hosting sowie operative Dienste als technische Basis für darauf aufbauende Projekte. Darüber hinaus tritt die technische Infrastruktur insbesondere auch als Vermittler zwischen den Interessen der Fachwissenschaften und der Rechenzentren auf. Ein konkretes Beispiel für diese vermittelnde Rolle spiegelt sich bei der Einbindung neuer Dienste wider, wobei nicht nur das im Rahmen des DARIAH-DE Service Lifecycle [6] gebündelte und dokumentierte Knowhow zur Verfügung steht. Projekte werden in Zukunft zudem durch je einen technischen und einen fachwissenschaftlichen Mentor begleitet, um bei der Entwicklung und Einbindung von Diensten zu unterstützen und so z. B. auch Fragen der technischen Anbindung der REST-basierten DARIAH-DE Storage Schnittstelle [7] oder der DARIAH-DE AAI in direkter Kommunikation schnell zu lösen.

Besonders zu betonen ist auch, dass sich DARIAH-DE im Rahmen der technischen Infrastruktur nicht als Insel, sondern als Teil eines Netzes einer Vielzahl weiterer Infrastrukturen sieht und einen besonderen Fokus auf die Erkennung und Nutzung von Synergien legt. Eine besondere Rolle spielt dabei das Thema der Nachhaltigkeit, welches im Rahmen der im März gestarteten Folgephase von DARIAH-DE in Form eines dedizierten Clusters behandelt wird. Zentrale Aspekte dieses Clusters bestehen in der Erarbeitung von Konzepten und Strategien zur langfristigen Bereitstellung virtueller Maschinen und Dienste, aber auch der Beratung geisteswissenschaftlicher Forschungsprojekte. Mit der DARIAH eHumanities Infrastructure Service Unit (DeISU) soll hierzu bis 2016 eine zentrale Anlaufstelle für Geisteswissenschaftler geschaffen werden, die auch nach der Förderphase von DARIAH-DE zwischen fachwissenschaftlichen Anforderungen und technischen Diensten vermittelt.

Referenzen

[1] epidat – epigraphische Datenbank | digitales Textarchiv: http://www.steinheim-institut.de:50580/cgi-bin/epidat
[2] Relationen im Raum. Visualisierung topographischer Kleins(st)rukturen: http://www.steinheim-institut.de/wiki/index.php/RiR
[3] DARIAH-DE Geo-Browser: http://geobrowser.de.dariah.eu/
[4] Orte jüdischer Geschichte: http://app-juedische-orte.de.dariah.eu/
[5] DARIAH-DE Übersichtsgrafik: http://de.dariah.eu/dariah-visualisiert
[6] DARIAH-DE Service Lifecycle: https://dev2.dariah.eu/wiki/display/DARIAHDE/DARIAH+Service+Life+Cycle
[7] DARIAH-DE Storage API: https://dev2.dariah.eu/wiki/download/attachments/10618851/DARIAH-Storage-API-v1.0_final.pdf

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=3357

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Erfolg und Emergenz in den Digital Humanities – ein Tagungseindrucksausschnitt

von Fabian Cremer, Max-Planck-Institut zur Erfoschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften

Es könnte durchaus aufhorchen lassen, mit welcher Selbstverständlichkeit ökonomische Kategorien zur Beschreibung oder Beurteilung wissenschaftlicher Vorhaben herangezogen werden, trotz der weit verbreiteten Kenntnis des Drucks [1], dem die drittmittelgeprägten Digital Humanities als Beutegemeinschaft ausgesetzt sind. Im gleichnamigen Panel der DHd 2014 [2] hängt der expliziten Frage nach dem „Mehrwert“ der Informationstechnologie in geisteswissenschaftlichen Projekten, implizit auch das Legitimationsbedürfnis einer Disziplin an, die neben ihrem Selbstverständnis auch ihre Förderwürdigkeit aus den Innovationsmomenten zieht, die in dieser Verbindung von Geisteswissenschaft und Informatik mitunter stecken. Die Entstehung des Mehrwerts lässt sich aus der Marxschen Theorie des Kapitalismus [3] auf die stärker erkenntnisgewinnorientierte Aspekte der Wissenschaft übertragen: Mit dem den Einsatz von Informationstechnologien im Arbeitsprozess der GeisteswissenschaftlerInnen entsteht ein Produkt, dessen Gegenwert über den der jeweils aufgebrachten Arbeitsleistung hinausgeht, ein wissenschaftliches Surplus. Von diesen emergenten Eigenschaften der wissenschaftlichen und personellen Verbindungen in den Digital Humanities zeugen die drei Erfolgsgeschichten, die in der Mehrwertsession erzählt wurden.

Das Forschungsgebiet kunsthistorisch motivierter Analyse von Musikvideos, in dem sich Thorsten Wübbena kunsthistorisch und Matthias Arnold informationstechnologisch bewegen [4], zeigt idealtypisch, welche Möglichkeiten sich nach dem Fall analoger Barrieren ergeben. Genuin digitale oder im Analogen nur schwer wissenschaftlich rezipierbare Medien wie Musikvideos, ergeben sich der Analyse ihres komplexen und in Bewegung befindlichen Bezugssystems aus Text, Bild und Musik in einer webbasierten Arbeitsumgebung zur Videoannotation [5] nicht nur leichtgängiger sondern auch nachhaltiger. Ohne Medienbrüche direkt im Material arbeiten zu können, erlaubt außerdem nicht nur bessere Analysebedingungen, sondern eröffnet in der wissenschaftlichen Kommunikation den Diskurspartnern auch einen anderen Zugriff auf die eigene Argumentationsgrundlage, die visuelle Materialerschließung in der digitalen Arbeitsumgebung. Der bisher unvermeidliche Umweg über den Text, die Abstraktion über die Verschriftlichung, wird vermieden.

Im Untersuchungsfeld der Wanderungsbewegungen von Musikern im 16. Und 17. Jahrhundert lässt sich anhand der Projektfolge Musici-Musmig [6] eines der Phänomene der Digital Humanities exemplarisch verfolgen, der Fokuswechsel von einer im Umfang beschränkten aber tiefgehenden Erschließung zu einer räumlich und thematisch breiteren Datenbasis mit reduzierterem Detailgrad und generalisierenden Ordnungsstrukturen. Neben der Notwendigkeit, sich dabei mit informationstechnologischen Methoden der Aufbereitung von Daten, ihrer Maschinenlesbarkeit und Modellierung auseinanderzusetzen (und dann davon zu profitieren), erschloss sich die hilfreiche Wirkung der Technologien im gemeinsamen Vortag von Berthold Over und Torsten Roeder ganz unmittelbar in den im Projekt eingesetzten Visualisierungsstrategien mit Karten und Bewegungsmustern, denn die Komplexität der untersuchten Phänomene, die Netzwerke und Dynamik von Personen, Orte, Zeiträume, Ereignissen und Beziehungen, ist in der linearen Struktur von Text und Sprache weit schwerer erfahrbar.

Die lineare Struktur von Text und ihre Formalisierbarkeit machen sich hingegen Christian Riepl und die Sprachwissenschaft zu Nutze. Der transkribierte und morphologisch und morphosyntaktisch ausgezeichnete hebräische Text des Alten Testamentes war in den letzten 30 Jahren kontinuierlich Gegenstand sprachwissenschaftlicher Fragestellungen, unter dem Kontrastmittel heutiger Dreijahresforschung eine Ewigkeit. An der Geschichte der „Biblia Hebraica transcripta“ [7] lassen sich zahlreiche Lehren für die Digital Humanities ziehen, die hier nur pointierter Form erscheinen können: Eine langfristige und dauerhafte Auseinandersetzung ist keine wissenschaftliche und technologische Innovationsbremse. Geisteswissenschaft kann in der Auseinandersetzung mit der Stukturliebe und formalisierten Denkweise der Informatik auch methodisch profitieren. Erhalt und stetige Erweiterung und Anreicherung digitaler Datenbestände sind der Schlüssel für die Pluralität und Kontinuität ihrer Nutzung. Dialogische Prinzipien in der Interaktion von Mensch und Maschine sorgen dafür, dass die Geisteswissenschaft weder in die Sklaverei formalisierter Regelwerke der Technik getrieben wird, noch in den Grenzen menschlicher Erfassungsvermögens gefangen bleibt.

Neben dem im Call der Konferenz geforderten „analytischen Mehrwert“ boten die drei Projektvorstellungen inspirierende Auseinandersetzungen mit Problemen, die sie ohne die beteiligten Computer sicher nicht gehabt hätten.

 

[1] http://www.dfg.de/foerderung/grundlagen_rahmenbedingungen/drittmitteldruck/

[2] DHd 2014. Digital Humanities – methodischer Brückenschlag oder “feindliche Übernahme”? Chancen und Risiken der Begegnung zwischen Geisteswissenschaften und Informatik, 1. Jahrestagung der Digital Humanities im deutschsprachigen Raum, 25.-28. März 2014, Universität Passau, http://www.dhd2014.uni-passau.de/

[3] Karl Marx: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 112, http://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/131

[4] Portable Musicvideos: http://www.portablemvs.net; Thorsten Wübbena: http://d-nb.info/gnd/123312396, http://www.kunst.uni-frankfurt.de/de/mitarbeiter/seiten/thorsten-wuebbena/zur-person/; Matthias Arnold: http://www.asia-europe.uni-heidelberg.de/en/people/person/persdetail/arnold.html

[5] http://pan.do/ra

[6] Europäische Musiker in Venedig, Rom und Neapel (1650-1750): Musik, Identität der Nationen und kultureller Austausch: http://www.musici.eu; Music migrations in the early modern age: the meeting of the European East, West and South: http://musmig.hypotheses.org/; Berthold Over: http://d-nb.info/gnd/135197848, http://www.musikwissenschaft.uni-mainz.de/musikwissenschaft/personen/over.htm; Torsten Roeder: http://www.bbaw.de/die-akademie/mitarbeiter/roeder

[7] Biblia Hebraica transcripta – Forschungsdatenbank 3.0: http://www.bht.gwi.uni-muenchen.de/; Christian Riepl: http://d-nb.info/gnd/135197848, http://www.itg.uni-muenchen.de/personen/riepl_christian/index.html

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=3268

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