Die zehn moralischen Verpflichtungen

Im allgemeinen wird die Ausformulierung der im kaiserzeitlichen China geltenden grundlegenden Normen für zwischenmenschliche Beziehungen dem Konfuzius zugeschrieben. Die fünf gesellschaftlichen Beziehungen (wulun 五論) basieren auf strengen Hierarchien, beruhen aber auf Gegenseitigkeit, wodurch sich insgesamt “zehn moralische Verpflichtungen” (shiyi 十義) ergeben.

In seiner Übersetzung des Liji 禮記 (“Buch der Sitte”) formulierte es Richard Wilhelm:

“Fünf Wege gibt es auf Erden, die immer gangbar sind, und die darauf wandeln sind von dreierlei Art. Sie heißen Fürst und Diener, Vater und Sohn, Gatte und Gattin, älterer und jüngerer Bruder und der Verkehr der Freunde: diese fünf sind die immer gangbaren Wege auf Erden.”[1]

Zur Wechselseitigkeit dieser Beziehungen heißt es dort:

“Was verlangt das sittliche Verhalten des Menschen? Daß der Vater gütig sei und der Sohn ehrerbietig, der ältere Bruder nachsichtig und der jüngere sich unterordne, der Gatte treu sei und die Gattin gehorsam, das Alter freundlich und die Jugend fügsam, der Fürst milde und der Diener ergeben: diese zehn Verhaltensweisen sind die Menschenpflichten.”[2]

 Diese zehn moralischen Verpflichtungen in diesen fünf Beziehungen werden wie folgt zusammengefasst:

  • Wohlwollen des Herrschers und Loyalität des Staatsdieners zum Fürsten (junren chenzhong 君仁臣忠)
  • Väterliche Sanftmut und kindliche Pietät (fuci zixiao 父慈子孝)
  • Freundlichkeit und Respekt zwischen älterem und jüngerem Bruder (xiongyou digong 兄友弟恭)
  • Harmonische Beziehungen zwischen den Eheleuten (fuchang fusui 夫唱婦隨)
  • Großzügigkeit der Älteren und Unterordnung der Jüngeren (changhui youshun 長惠幼順)

Unter diesen “zehn moralischen Verpflichtungen” werden – abgesehen vom Verhältnis zwischen Fürst und Staatsdiener – in Darstellungen zur Kulturgeschichte Chinas wohl vor allem zwei Aspekte betont: Neben der kindlichen Pietät – die schließlich in den von Guo Jujing 郭居敬 zur Zeit der Yuan-Dynastie (1260-1368) verfassten “24 Beispielen der Kindespietät” (ershisi xiao 二十四孝) ihren literarischen Ausdruck fand [3] – ist es vor allem die untergeordnete Stellung der Frau im kaiserzeitlichen China, durch die die oben erwähnte “Harmonie” zwischen den Eheleuten “sichergestellt” werden sollte.

 

  1. Li Gi. Das Buch der Sitte des älteren und jüngeren Dai. Aufzeichnungen über Kultur und Religion des Alten China. Aus dem Chinesischen verdeutscht und erläutert von Richard Wilhelm (Jena 1930) 11.
  2. Zitiert nach Walter Böttger: Kultur im Alten China (Leipzig: Urania, 1977) 160.
  3. Vgl. Weimin Mo, Wenju Shen: “The Twenty-Four Paragons of Filial Piety: Their Didactic Role and Impact on Children’s Lives” Children’s Literature Association Quarterly 24,1 (1999) 15-23 und auch http://www.ruf.rice.edu/~asia/24ParagonsFilialPiety.html

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/439

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