Stalins „Technologie der Macht“ – ein Lehrstück

Als das populäre Leningrader Stadtoberhaupt Sergej Kirov am 1. Dezember 1934 das Opfer eines tödlichen Anschlags wurde, war es für Stalin ein willkommener Vorwand eine gründliche Abrechnung mit seinen Gegnern in Gang zu setzen. Es war die Stunde Null des „Großen Terrors“, der bis 1938 hunderttausenden „Konterrevolutionären“ und „Volksfeinden“ das Leben kosten, das ganze Land in Angst und Schrecken versetzen und beispielloses Leid über die Bevölkerung bringen sollte.

Der im Schnellverfahren von einem Militärtribunal des Mordes an Kirov schuldig gesprochene Leonid Nikolaev wurde bereits am 29. Dezember 1934 hingerichtet. Anschließend machte man den vorgeblich „politisch Verantwortlichen“ den Prozess: einer Gruppe von Parteikadern um Grigorij Zinov‘ev und Lev Kamenev, den Hauptprotagonisten der innerparteilichen Opposition, die 1926 und 1927 zusammen mit Lev Trockij (seit 1929 im Exil) der Machtstellung Stalins entgegenzuwirken suchte.

Das nichtöffentliche Gerichtsverfahren –  gewissermaßen ein Probelauf für die Schauprozesse der Folgejahre –  endete am 16.

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Quelle: https://ostbib.hypotheses.org/1744

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WZB-Geschichte en passant. Aufbau und Zerfall des Interaktionssystems Luhmann/WZB

Gästebuch des IIMV – Internationales Institut für Management und Verwaltung am WZB, Eintrag vom 1. März 1974, Niklas Luhmann (WZB-Archiv)

Das Wissenschaftszentrum Berlin – den Namenszusatz „für Sozialforschung“ erhielt es erst 1985 – war von Anfang an groß gedacht. Das im Februar 1969 durch eine interfraktionelle Gruppe von Bundestagsabgeordneten in Form einer gemeinnützigen Gesellschaft mbH gegründete Zentrum sollte – so hält es ein Memorandum zur WZB-Gründung fest – mit mehreren Institutsvorschlägen eine international besetzte und multidisziplinär ausgerichtete Einrichtung für neuartige Forschungen nach amerikanischem Muster werden. Zunächst wurde jedoch nur ein „Internationales Institut für Management und Verwaltung“ (IIMV) zur Entwicklung von Nachwuchsmanagern realisiert. Dieses könne, wie der Wissenschaftsrat in einer wohlwollend-kritischen Stellungnahme konstatierte, mit der Erforschung von Planungs- und Entscheidungsprozessen in Verwaltung und Wirtschaft eine wissenschaftspolitische Lücke in der Grundlagenforschung schließen. Vorgesehen waren anfangs noch wissenschaftliche Institute für Friedens- und Konfliktforschung, Linguistik und Lebensweltforschung, Urbanistik sowie ein Berliner Zentrum für fortgeschrittene Studien. Die angestoßenen Ideen und Pläne zur Errichtung dieser Institute konnten jedoch allesamt nicht durchgesetzt werden.



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Quelle: https://leibnizarc.hypotheses.org/1235

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Blutiges Russland

1„Ein großartiger Sensationsroman aus der Russischen Revolution von Graf Pavel Bobrinski ... ein Roman, der bereits ganz Europa aufgerüttelt hat.„

So titelt der Herausgeber des von März bis Mai 1928 im Belgrader Verlag „Ilustracija“ erschienenen Fortsetzungsromans „Krvava Rusija“, der die Liebesgeschichte einer Gräfin und eines Proletariers inmitten der Wirren der Oktoberrevolution erzählt.

Ob es sich – was angesichts des Autorennamens denkbar wäre – um eine Übersetzung aus dem Russischen handelt, wer der Graf Pavel Bobrinski gewesen ist bzw. wer sich eigentlich hinter dem Namen des Verfassers versteckt – all diese Fragen konnten leider bislang nicht beantwortet werden. Denn weder der Autor noch der Titel figurieren in irgendeiner der gängigen Bibliographien. Weltweit ist das Werk in keinem Bibliothekskatalog nachgewiesen – im Katalog der Serbischen Nationalbibliothek in Belgrad ist der Titel lediglich als ein Desideratum verzeichnet.

3 Die Bayerische Staatsbibliothek konnte kürzlich 52 der insgesamt 60 erschienenen Folgen des 722 Seiten langen Kolportageromans erwerben (Signatur Res/81.8955). Das Deckblatt eines jeden Oktavheftchens, die 1928 innerhalb eines Viertel Jahres drei- bis viermal die Woche erschienen, ziert jeweils eine andere, inhaltsbezogene, Schwarz-Weiß-Zeichnung. Das dünne, saure Zeitungspapier ist zwar seinem Alter entsprechend vergilbt, sonst aber in einem recht guten Zustand.

Filip Hlušička

 

Krvava Rusija 1c

Quelle: http://ostbib.hypotheses.org/636

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Seiferts Seidenkleid

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Jaroslav Seiferts Gedichtband „Samá láska“ („Lauter Liebe“) erschien 1923 in dem Prager linksorientierten Verlag „Večernice“ von Vortel und Rajman.

Die Osteuropasammlung der Bayerischen Staatsbibliothek besitzt ein bemerkenswertes Exemplar dieser Erstausgabe (BSB-Signatur: Res/81.91489).

Das ursprünglich broschierte Büchlein ist mit einem buntgemusterten Seideneinband versehen, das Originaldeckblatt ist hinten mit eingebunden.

3

Ebenfalls hinten mit eingebunden ist ein Doppelblatt mit einem handgeschriebenen Gedicht aus der Feder von einem biographisch nicht näher fassbaren Dr. Josef Šebek. Es ist in roter und schwarzer Tinte ausgeführt und als „Komunistický manifest pracujích žen“ („Kommunistisches Manifest arbeitender Frauen“) überschrieben.

4Der Text dieses „Manifests“ persifliert expressis verbis jenes Paradestück Seifertscher proletarischer Poesie -  die Gedichtsammlung „Samá láska“ – dem es im Fall der vorliegenden Erstausgabe gleichsam einverleibt ist.

Wenn es denn wahr ist, was Šebek in der Schlussanmerkung zu seinem Spottgedicht mitteilt, geht die Persiflage allerdings weit über den Text hinaus – sie wird gewissermaßen stofflich: Das „Manifest“ hätte nämlich im Literaturwettbewerb einer renommierten Prager Textilienhandlung zu Weihnachten des Jahres 1923 Seide im Wert von 200 Kronen gewonnen. Aus der Seide sei ein Kleid für seine kleine Tochter Šárka geschneidert und in einen übrig gebliebenen Rest Stoff dann Seiferts „Samá láska“ samt den sie persiflierenden preisgekrönten „Versen“ von deren Autorenhand  – zum Andenken! – eingebunden worden.

5Der raffinierte, ja perfide Spott des zweifellos lustigen Herrn Dr. Šebek hinderte seine Tochter keineswegs daran, den Dichter Seifert zu lieben. Wie aus diversen mit Bleistift – vermutlich vom Vater und, später, der erwachsenen Tochter – geschriebenen Bemerkungen hervorgeht, war sie es, die das Bändchen (eventuell samt dem dazu passenden Kleidchen) zu ihrem 11. Geburtstag bekam. Sie war es, die daraus auf einer Weihnachtsfeier  des Jahres 1926 oder 1927 das „Neujahrsgedicht“ („Báseň k Novému roku“) vortrug. Und sie war es, die am 21. Januar 1986 bei plus 10 Grad mit dem Hund Heidi und diesem Buch auf dem Prager Laurenziberg saß – am Tag von Seiferts Begräbnis.

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Jaroslav Seifert selbst signierte auf dem Titelblatt am 18. Oktober 1930.

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Filip Hlušička

 

 

Quelle: http://ostbib.hypotheses.org/535

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