Ich war gerade im Urlaub. Ich weiß. Geisteswissenschaftliche Tätigkeit ist eigentlich keine Arbeit, deshalb braucht man auch eigentlich keinen Urlaub. Denn Arbeit ist nur das, was anstrengend und am besten körperlicher Natur ist. Sie ist nämlich dann besonders Arbeit, wenn man sich über sie beschwert und keine Lust darauf hat und wenn man dabei schwitzt und andere Leute sehen, dass man sich anstrengt. So wie Joggen eben nur mit Gehalt.
Aber lassen Sie doch mal Fünfe gerade sein und auch einen Geisteswissenschaftler, der nur selten bei der „Arbeit“ schwitzt und dem seine Tätigkeit Spaß macht, in den Urlaub gefahren sein. Um genau zu sein einmal mehr in das Land des Diderod, Dumas und Hugo. Bei meiner Reise an die atlantischen Pyrenäen sind mir drei Dinge aufgefallen, wovon nur eines relevant ist: 1. Das Wort Pyrenäen ist schwerer zu schreiben, als man denkt. 2. Deutsche Urlauber sind nicht mehr an ihrem Outfit von anderen Urlaubern zu unterscheiden. Denn Funktionskleidung, Dreistufenhose für alle Wetterlagen, weiße Sportsocken, Sturmfeste Jacken und Fahrradsonnenbrillen sieht man bei engagierten französischen Vätern neben Kindern in Schlappen und normal gekleideten Ehefrauen ebenso wie einst wohl vornehmlich bei Deutschen. Europa wächst eben zusammen. Und das mit gutem Recht, denn besonders wenn man den eleganten Aufstieg zum ca. 900m hohen Gipfel von La Rhune unternehmen möchte, ist es wichtig, dass ein einziges Familienmitglied auf alle Witterungen und unvorhersehbaren Launen der Natur vorbereitet ist. Zumindest bis es oben in der Hütte Cola, Burger, Fisch und Souvernirs aus der Gegend zu kaufen gibt. Ich glaube, ich habe sogar jemanden mit Kompass gesehen. Naja, jedenfalls habe ich mich auch dort irgendwie heimisch gefühlt.
Und drittens ist mit aufgefallen, dass es mir viel leichter fiel, Platon zu lesen als wenn ich in meiner Alltags-Routine bin. Warum? Tja, wenn ich das wüsste. Ich konnte aber einige Dialoge lesen, ohne dass ich am Ende den Eindruck hatte, nur einen Brei mit Informationsstücken aufgenommen zu haben, bei dem ich eigentlich im Nachhinein nichts mehr wiedergeben kann, als dass ich etwas gelesen habe, dessen Zusammenfassung eine andere Person im Internet veröffentlicht hat und die ich mir zum Verständnis holen muss. – Ich glaube, ich habe Muße gehabt. – Und dabei ist es mir ganz deutlich geworden, dass geisteswissenschaftliche Arbeit zwar einerseits aus Anstrengung und Verwaltung der Literatur, Recherche und Korrekturen besteht, dass der Hauptteil der Arbeit aber etwas von Hephaistos’ Netz hat. Denn wenn man ein Problem hat und sich mit aller Macht versucht herauszuwinden, wird es einfach unlösbarer und fester. Die Strategie muss dort genau andersherum laufen und zwar mit Lockerung und ohne heftigen Trotz mit Milde die Probleme zu lösen zu versuchen, ohne ihnen Gewalt antun zu wollen, sondern mit Feingefühl, Zeit und Eleganz. Fragen Sie mal Aphrodite und Ares, was diese jetzt im Nachhinein davon halten und auch Eros, den Landstreicher. Für mich ist es jedenfalls klar: Intellektuelle Arbeit lässt sich nicht durch Gewalt zu Ende bringen, sondern braucht immer seine Zeit, seine Muße.
Und übrigens heißt Muße oder Ruhe im Griechischen scholê (σχολή). Und von diesem Wort ist unsere Schule abgeleitet. Aristoteles schreibt, dass wir um der Muße willen arbeiten, nicht Erholungsurlaub nehmen, um arbeiten zu können, wie man meinen könnte, wenn man sich die Gesetzeslage anschaut. Aber damit das nicht missverstanden wird: Muße ist nicht die Zeit der Untätigkeit. Muße ist die Zeit, in der man zwanglos der wertvollsten Tätigkeit nachgehen kann. Welche die Wertvollste Tätigkeit ist? Na, das wissen Sie doch.
[Alternatives Ende:] Muße ist nich der Aufstieg zu La Rhune, sondern der Moment an dem man der Schönheit des Ausblickes über den Golf von Biskaya gewahr wird. (Jaja, ich weiß, was Sie denken: “Wenn ich den dat nächste Mal sehe, klatscht et. Aber nisch Beifall.”)
LG
D.