Über das geozentrische Weltbild des Mittelalters III – die Planeten und Ihre Bewegungen

Nachdem im letzten Beitrag der sublunare Bereich des Kosmos thematisiert wurde, nähert sich die Reihen heute der himmlischen Welt mit einigen Erklärungen zu den Planeten, die auf sieben Sphären die Erde umwandern. In den Ausführungen zur sublunaren Welt habe ich mich vor allem auf die Vorstellung von Aristoteles gestützt, der die vier Elemente unter der Sphäre des Mondes anordnet. Bis ins 12. Jahrhundert ging aber man davon aus, dass das Element des Feuers den Raum der Planeten einnehmen würde, den Äther. So schreibt Wilhelm von Conches in seinem Erstwerk, der Philososphia mundi:

„Also das Feuer: es ist die Erstreckung vom Mond nach oben hin, die auch Äther genannt wird. Seine Ausstattung aber ist all das, was oberhalb des Mondes erblickt wird, d.h. die Fixsterne und Wandelsterne.“[1]

Vor der Rezeption von Aristoteles naturphilosophischen Schriften, also vor dem 13. Jahrhundert, war das die gängige Beschreibung der himmlischen Sphären. Die himmlischen Sphären beherbergten zunächst die Planeten, die man von den Fixsternen am Firmament unterschied (dazu im nächsten Beitrag). Der angelsächsische Mönch Beda schreibt im frühen Mittelalter in seiner Enzyklopädie De natura rerum:

„The stars [gemeint sind die Fixsterne], borrowing their light from the sun, are said to turn with the world since they are fixed in one place, as opposed to being carried unfixed, with the world standing still. The exception is those that are called planets, that is, wanderers.”[2]

Bei Macrobius, einem im Mittelalter hoch geschätzten spätantiken Autor, lesen wir:

„The errant planets were thus named by the ancients because they are borne along in their own course, moving from west to east in a contrary direction to that of the greatest or celestial sphere; moreover, they all have similar movements and travel at the same rate of speed, and yet they do not all complete their orbits in the same amount of time.“[3]

Zunächst zu den Planeten selbst. Sieben kannte man an der Zahl, wobei man Sonne und Mond ebenfalls als Planeten ansah. Die Erde galt natürlich nicht als Planet und Pluto war noch nicht bekannt. Diese Planeten wandern auf einer eigenen Umlaufbahn oder Sphäre um die unbewegliche Erde, wie auf dieser Abbildung des Kosmos schön zu sehen ist.

 

Für ihren Erdumlauf brauchen die Planeten unterschiedlich lange, da ihre Kreisbahn bei zunehmender Entfernung zur Erde natürlich größer wird. Hieraus – und natürlich durch ihre unterschiedliche Sichtbarkeit – lässt sich dann auch eine Reihenfolge der Planeten ableiten, die in Antike und Mittelalter aber nicht unumstritten war. Im Kern war vor allem die Position der Sonne in diesem System umstritten.

Beda hat sich zum Beispiel für folgende Variante entschieden, der auch die Abbildung inhaltlich folgt (was aber nicht bedeutet, dass die Abbildung auf Beda basiert):

 „The highest of the planets is the star of Saturn, freezing cold by nature, completing a circuit of the zodiac in thirty years. Next is the star of Jupiter, temperate, completing its circuit in twelve years. Third is the star of Mars, blazing hot, completing its circuit in two years. In the middle is the sun, completing its circuit in 365 days and a quarter. Beneath the sun is Venus, which is also called Lucifer and Vesper, completing its circuit in 348 days. It never recedes further from the sun than 46 degrees. Next to it is the star of Mercury, with a circuit swifter by nine days. Sometimes it shines before the rising of the sun, sometimes after its setting. It is never remoter from the sun than 22 degrees. Last is the moon, accomplishing its course in 27 and 1/3 days, thereafter lingering in company with the sun for two days.”[4]

Wilhelm von Conches folgt eher Platon, der eine andere Reihenfolge vertritt und wählt dabei eine Argumentation, die recht typisch für das hohe Mittelalter ist:

 „Hierauf ist zu erörtern, warum die Chaldäer meinen, die Sonne sei der vierte, Platon und die Ägypter, sie sei der sechste Planet. Die Wahrheit ist, daß die Sonne unterhalb von Merkur und Venus in der Nähe des Mondes ist. Da nämlich der Mond kalt und feucht ist, war es nötig, daß ihm die Sonne, die warm und trocken ist, benachbart sei, auf daß durch die Sonnenwärme die Mondkälte, durch ihre Trockenheit seine Feuchtigkeit gemildert würde, damit die Sonne nicht, wenn sie in Erdnähe steht und dann über sie dominiert, übermächtig einherkäme und die Erde aus dem Gleichmaß bringe.“[5]

Im späten Mittelalter entscheidet man sich dann unter dem Einfluss von Aristoteles endgültig dafür, die Sonne an die vierte Stelle zusetzen.

So viel zur Reihenfolge der Planeten – zurück zu deren bereits angesprochene Bewegung, die den modernen Menschen im ersten Moment wohl etwas irritieren dürfte. Klar, wir wissen heute, dass sich die Planeten inklusive Erde um die Sonne drehen. Von der Erde aus gesehen lässt sich der Lauf der Planeten aber durchaus als Kreisbahn um die Erde beschreiben (Unregelmäßigkeiten in dieser Kreisbahn wurden durchaus registriert und durch verschiedene Theorien in das geozentrische Weltbild integriert). Es ist wichtig zu verstehen, dass sich im Grunde zwei Bewegungen der Himmelskörper beobachten lassen, eine „natürliche“ und eine „erzwungene“:

 „It was almost a general opinion of all the philosophers that the sun, the moon, and the other planets move by natural motion from west to east […]. But although their movement is contrary to the firmament’s, still the firmament [gemeint ist die Sphäre der Fixsterne] draws them back with it daily to the west and east.”[6]

Einmal am Tag werden also alle Planeten ohne eigenes Zutun von Ost nach West getragen. Am augenscheinlichsten natürlich die Sonne, die damit den Sonnentag erleuchtet. Diese Bewegung entspringt aber eigentlich nicht den Planeten (sie entspricht nicht deren natürlicher Bewegung), sondern wird durch die Sphäre der Fixsterne ausgelöst – wem das jetzt nicht ganz klar ist, der sollte einfach den Beitrag zum Firmament abwarten. Die Planeten selbst bewegen sich in ihrer natürlichen Bewegung eigentlich von West nach Ost (natürlich gibt es auch hier unterschiedliche Positionen antiker und mittelalterlicher Gelehrter), und zwar durch den sogenannten Zodiak, den Tierkreis.

 

Himmelskarte mit Tierkreiszeichen und Sternbildern in Deckfarben auf grünem Untergrund aus BSB CLM 210, fol. 113v

Dieser Tierkreis ist eigentlich nichts anderes als ein Hintergrund, ein Maßstab, vor dem man den Lauf der Planeten messen kann. Dazu muss man wissen, dass die damals bekannten Planeten des Sonnensystems sich auf einer Fläche um die Sonne bewegen.

Bahn der Planeten um die Sonne (Quelle: Wikimedia Commons)

Betrachtet man von der Erde aus den Nachthimmel, werden die Planeten also immer vor dem Hintergrund der selben, wenn auch wechselnden, Sternzeichen zu sehen sein, bis sie ihre Kreisbahn vollendet haben. Diesen Kreis durch die Sternzeichen nannte man den Tierkreis, den Zodiacus. Wer sich die obige Karte genauer ansieht, kann diesen Zodiacus am Rand des letzten Kreises erkennen.

Da die einzelnen Planeten unterschiedlich große Bahnen besitzen, umwandern sie nicht nur die Erde, sondern auch den Tierkreis in unterschiedlicher Zeit. Der Mond braucht dazu etwa einen Monat, die Sonne ein Jahr. Die Bahnen mit ihren Umlaufzeiten sind ebenfalls auf der obigen Karte abgebildet.

Die Sonne durchwandert also jedes Sternzeichen in etwa in einem Monat, und zwar von West nach Ost. Das bedeutet, dass sie etwa jeden Monat vor (im Sinne von vor dem Hintergrund eines) bzw. mit einem anderen Sternzeichen des Tierkreises aufgeht. Gleiches gilt in anderen Zeitabständen für alle Planeten. Gerade der Lauf der Sonne und des Mondes hatte große Auswirkungen auf das Leben auf der Erde, sie bedingten zum Beispiel die unterschiedlichen Jahreszeiten.

Der Umlauf der Planeten – vor allem von Sonne und Mond ­ war für die Menschen im Mittelalter daher extrem wichtig. Außerdem ließ sich darüber die Zeit bestimmen, vor allem das äußerst wichtigen Osterdatum (der Ostertermin war jeweils der erste Sonntag nach dem Frühlingsvollmond). Durch ihre zyklischen Bewegungen erlaubten die Planeten nicht nur das bloße feststellen des Datums, man konnte diese Bewegungen sogar durch mathematische Prozesse vorhersagen und in ablesbare Tabellen umwandeln, so dass man die Sterne und Planeten selbst gar nicht mehr beobachten musste.

Thorney Computus, Oxford, Saint John’s College, MS 17, fol. 7v und 8r. Quelle: http://blog.metmuseum.org/

Die jeweilige Position der Planeten war aber auch aus anderen Gründen wichtig. Jedem Planeten schrieb man bestimmte Eigenschaften zu, die Auswirkungen auf den menschlichen Organismus hatten. Die Planeten konnten etwa Krankheiten verstärken, oder die Laune vermiesen, aber auch angenehme Seiten des Lebens waren von ihnen betroffen. So schreibt Wilhelm von Conches:

„Der vierte [Planet] ist, nach Anordnung der Platoniker, die Venus, ein warmer und feuchter Stern; darum ist sie heilsam. Sie umläuft den Tierkreis in ungefähr einem Jahre. Man lastet ihr an, sie habe mit Mars Ehebruch getrieben, weil sie im oberen Abschnitt ihres Umlaufkreises, wenn sie in die Nähe des Mars gerat, weniger heilsam ist. Göttin der Wollust wird sie genannt, weil sie Warme und Feuchte zuteilt und da ja in denen, die warm sind und feucht, die Wollust stark ausgeprägt ist (dies, worüber wir im Kapitel über den Menschen ausführlicher sprechen werden, wollen wir nur kurz antönen, um Venus [der Göttin der Gefälligkeit] gefällig zu sein: die Warm Trockenen verlangen arg nach der Wollust wegen ihrer Hitzigkeit, doch wegen ihrer Trockenheit vertragen sie die Wirkung nicht; und wenn sie Wollust genießen, so schadet sie ihnen sehr. Die Kalt-Feuchten dagegen verlangen kaum nach ihr, doch vertragen sie ihre Wirkung gut. Doch die Kalt-Trockenen verlangen nicht nach der Wollust und vertragen ihre Wirkung nur selten. Die Warm-Feuchten dagegen verlangen nach ihr und genießen auch ihre Lust, und ihrem Körper ist der Genuß sehr zuträglich).“[7]

In einer Handschrift des 13. Jahrhunderts aus dem Zisterzienserkloster Altzella (UB Leipzig MS 1306) hat man übrigens genau diesen Abschnitt geschwärzt – wohl um die Novizen nicht von ihren eigentlichen Aufgaben im Kloster abzulenken.

Gefährlich konnte es werden, wenn sich bestimmte Planeten in einem Sternzeichen zu einer sogenannten Konjunktion versammelten. Eine solche Versammlung war aus der Sicht der Zeit durchaus in der Lage schlimme Katastrophen auszulösen. Zum Glück erlaubte die zyklische Bewegung der Himmelskörper eine Vorhersage solcher Ereignisse. Als sogenannte Toledobriefe (angeblich erstellt von einem Astronomen aus Toledo, dem damaligen Eldorado der Astronomie), zirkulierten Prophetien, in denen vor einer solchen Versammlung und schwerem Sturm und Erdbeben gewarnt wurde.[8]

Noch im 16. Jahrhundert formulierte der Tübinger Professor Johannes Stöffler eine ähnliche Warnung, die, befeuert durch den Druck, zu der so genannten Sintflut Debatte führte:

„Im Monat Februar ereignen sich 20 Konjunktionen, von denen 16 in einem wäßrigen Sternzeichen passieren, die zweifellos auf so ziemlich dem ganzen Erdkreis bezüglich Wetter, Königreiche, Provinzen, Verfassung, Würden, Vieh, Meerestiere und alle Landbewohner Veränderung, Wechsel und Bewegung bedeuten, wie sie sicherlich seit Jahrhunderten von Geschichtsschreibern oder von den Massen kaum wahrgenommen wurden. Erhebet daher eure Häupter, ihr Christen!“[9]

Der scheinbare Umlauf der Planeten beruht nach heutigem Kenntnisstand natürlich auf falschen Annahmen. Trotzdem konnte er im Rahmen des geozentrischen Weltbildes genutzt werden und ermöglichte relativ präzise astronomische und chronologische Vorhersagen, die sich sogar mathematisch automatisieren ließen. Dass diese Vorhersagen mitunter Befürchtungen auslösten, die wir heute als Aberglauben verlachen würden, mag uns heute befremdlich vorkommen. Im Grunde basierten sie aber auf den wissenschaftlichen Vorstellungen ihrer Zeit.

 

[1] Wilhelm von Conches: Philosophia mundi (ed. und üb. von Maurach, Gregor). Pretoria 1980, S. 138.

[2] Beda: On the Nature of Things and On Times (üb. von Kendall, Calvin und Wallis, Faith). Liverpool 2010, S. 80.

[3] Macrobius: Commentary on the dream of Scipio (üb. von Stahl, William Harris). New York 1990, S. 148.

[4] Beda: On the Nature of Things (wie Anm. 2), S. 81 (Hervorhebungen von mir).

[5] Wilhelm von Conches: Philosophia (Wie Anm. 1), S. 149.

[6] Wilhelm von Conches: A dialogue on natural philosophy (üb. von Ronca, Italo). Notre Dame 1997. S. 68.

[7] Wilhelm von Conches: A dialogue on natural philosophy, S. 147.

[8] Vgl. etwa Grauert, Hermann von: Meister Johann von Toledo. In: Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse (1901) S. 111-325 (https://archive.org/stream/sitzungsberichte1901bayeuoft#page/110/mode/2up); aktueller: Mentgen, Gerd: Astrologie und Öffentlichkeit im Mittelalter. Stuttgart 2005.

[9] Stuhlhofer, Franz: Humanismus zwischen Hof und Universität. Georg Tannstetter (Collimitius) und sein wissenschaftliches Umfeld im Wien des frühen 16. Jahrhunderts. Wien 1996, S. 136. Zur Sintflutdebatte im Allgemeinen vgl. Talkenberger, Heike: Sintflut. Prophetie und Zeitgeschehen in Texten und Holzschnitten astrologischer Flugschriften 1488–1528. Tübingen 1990; außerdem Mentgen (Wie Anm. 6).

Quelle: http://quadrivium.hypotheses.org/167

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Performances Staging Archive! Staging History! Wien 23.-25.1.2013

Spannende Performance an der Wiener Akademie der Bildenden Künste, angekündigt vom Salon 21:

Performances im Rahmen des “Rundgangs 2014″ der Akademie der Bildenden Künste Wien

Ort: Schillerplatz 3, 1010 Wien
Zeiten: Do, 23.01.2014, 19.00-20.30 Uhr; Fr, 24.01.2014, 17.30-19.00 Uhr; Sa, 25.01.2014, 19.00-20.30 Uhr

In diesem Semester arbeitet die Akademie der Bildenden Künste choreografisch sowie inhaltlich mit der Live-Performerin Anat Stainberg zusammen. “The thing that’s characteristic of my performance is that I literally do drag the whole studio onto the stage” (Laurie Anderson)

Das Performative ist in aller Munde und erfährt dadurch eine Überstrapazierung, eine Abnutzung – aber dieses MIS-used muss nicht zwangsläufig zu einer Verwerfung führen sondern kann auch Wiederbelebung von Performance-Kunst sein. Wie kann das Performative überhaupt erfasst werden? Dazu haben sie die Studierenden des Kurses in Archive wie die Sammlung Frauennachlässe begeben und sich auf die Suche nach unterschiedlichen Gesten des Archivierens gemacht. Wer archiviert was und wen? Wie konstituiert sich ein Archiv der ephemeren Kunst? Wie verhalten sich Dokumente und wie können sie zum Reden gebracht werden? Welche Rolle spielt dabei die Erinnerung und das Erzählen?
“I am just so DONE with ‘the performative’. It is overused and mostly MIS-used. From now on, I’m only going to use word ‘enactment’.” He replied, “You better hurry.” (according to A. Fraser).

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/615269535/

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2015 | 100 Jahre Völkermord an den Armeniern | Herausforderung für den Geschichtsunterricht


 
Deportation von Armeniern aus Kharpert, April 1915 (Public Domain, Wikimedia Commons)
 

Das Gedenkjahr 2014 holt den Ersten Weltkrieg ins öffentliche Bewusstsein zurück. In der hiesigen breiten medienöffentlichen Beschäftigung mit der vermeintlichen „Urkatastrophe“ (Kriege sind keine Katastrophen, sondern von Menschen verursacht) fällt allerdings auf, dass (zumindest bislang) nur wenig kontrovers debattiert wird. Beispielsweise sorgt die durch Clarks „Schlafwandler“ erneut aufgerollte Kriegsschuldfrage längst nicht mehr für so große Aufregung wie noch vor einem halben Jahrhundert die Fischer-Kontroverse. Auch das gelegentliche Bemühen, Parallelen zwischen 1914 und 2014 herzustellen, verfängt nicht wirklich.

Das kann sich 2015, wenn sich im April der Beginn des Völkermords an den Armeniern zum 100. Mal jährt, ändern. Die gezielte Tötung von hunderttausenden Armeniern bei Todesmärschen und Massakern (die Schätzung der Opferzahlen reicht von 300.000 bis 1.500.000; häufig angenommen wird eine Zahl zwischen 800.000 und 1.000.000) in den Jahren 1915/16 wird heute von den meisten Historikern als Völkermord bezeichnet. Die Anerkennung dieses Genozids im Sinne der UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (von 1948) ist umstritten; bisher 22 Staaten haben die Massentötungen offiziell in diesem Sinne anerkannt, außerdem auch internationale Organisationen wie die UN-Menschenrechtskommission und das Europäische Parlament. Die deutsche Bundesregierung hat (trotz verschiedener Anträge im Bundestag) eine solche Anerkennung bislang nicht ausgesprochen (ein wichtiger Hintergrund hierfür: das Deutsche Reich war seinerzeit Bündnispartner des Osmanischen Reichs). Der Streitpunkt (auch im Zusammenhang mit einem möglichen EU-Beitritt) liegt besonders in der Verweigerung der Türkei, die Ereignisse während des Ersten Weltkriegs als Völkermord zu bezeichnen. Um sich einen Überblick über die ideologischen Hintergründe zu verschaffen, die zur Vertreibung der Armenier führten – der Prozess “der Transformation des osmanischen Vielvölkerstaates zu einem türkischen Nationalstaat” – und die zugleich wichtige Ursache für die bis heute andauernde Leugnung in der Türkei bilden, kann der Beitrag Nationale Vision und Gewaltpolitik: Der Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915/16 von Mihran Dabag als Einstieg dienen. Zugleich zeichnet sich in den letzten Jahren aber auch ab, dass in der türkischen Gesellschaft zunehmend kontrovers über die Ereignisse von 1915/16 debattiert wird.

Auf der Fachdidaktischen Tagung für Geschichte und Politik des Volksbunds
Deutsche Kriegsgräberfürsorge und des niedersächsischen Kultusministeriums in Hannover im Februar 2012, auf der Mihran Dabag o.g. Vortrag hielt, wurde auch die Frage diskutiert, ob und wie sich der Völkermord an den Armeniern angemessen im Geschichtsunterricht behandeln lässt. Auf die besondere Problematik angesichts häufig vieler türkischstämmiger Schüler/innen in den Klassenzimmern wurde bereits vielfach hingewiesen, beispielsweise in einer Ausgabe der Zeitschrift des Geschichtslehrerverbandes Geschichte für heute (aus 2013) oder auch auf einer Themenseite von Planet Wissen. Zum politischen Streit kam es 2002, als das Land Brandenburg den Völkermord an den Armeniern in den Lehrplan aufnahm. Aus didaktischer Sicht desaströs wäre – kommt der Armenier-Genozid im Unterricht zur Sprache -  eine gegenseitige, nationalen Zuschreibungen folgende Vorwurfshaltung: euer Holocaust hier, euer Armenier-Genozid dort. Bemerkenswert ist – um solche Stereotype  aufzubrechen – der Beitrag Völkermord an den Armeniern von Martin Stupperich, den er ebenfalls auf der Tagung in Hannover vorgestellt hat. Stupperich konstatiert sich “widersprechende nationale Selbstbilder [...] Haben wir auf deutscher Seite ein selbstkritisches Narrativ, so finden wir auf türkischer Seite ein heroisierendes.” (S. 1f.) Stupperich schlägt (für den Oberstufenunterricht) erstens eine Rekonstruktion der Massentötungen aus den Akten des Auswärtigen Amtes vor. Zweitens verfolgt er ein Unterrichtskonzept (ab S. 13), das die heutigen Auseinandersetzungen und Debatten über die Anerkennung des Völkermordes zum Gegenstand macht. Überzeugend an diesem Vorgehen ist der Anspruch, die emotional aufgeladene Debatte zu verstehen und die Interessenlagen der Akteure nachzuvollziehen. Hierfür lassen sich insbesondere geschichtskulturelle Materialien wie z.B. Presseartikel heranziehen. In diesem Zusammenhang lässt sich auch die Rezeptionsgeschichte des Holocaust in Deutschland vergleichen. Erst die Auseinandersetzung mit geschichtspolitischen Debatten lässt die kontroverse Berteilung der Vergangenheit und die perspektivische, nicht selten nationalistisch verengte Bedingtheit der hart aufeinandertreffenden Positionen deutlich werden. Eine solche Beschäftigung mit dem Armenier-Genozid könnte insbesondere während der 2015 erwartbaren medienöffentlichen Debatte einen wichtigen Beitrag zum interkulturellen Lernen leisten. Es wäre dabei erstens erstrebenswert, Lernangebote und konkrete Materialien (auch online) zur Verfügung zu stellen. Zweitens wäre ein Austausch über – sicher gelegentlich schwierige – konkrete Umsetzungen und Erfahrungen der Thematisierung des Armenier-Genozids im Geschichtsunterricht notwendig.

empfohlene Zitierweise    Pallaske, Christoph (2014):2015 | 100 Jahre Völkermord an den Armeniern | Herausforderung für den Geschichtsunterricht In: Historisch denken | Geschichte machen | Blog von Christoph Pallaske, vom 20.1.2014. Abrufbar unter URL: http://historischdenken.hypotheses.org/2343, vom [Datum des Abrufs].

Quelle: http://historischdenken.hypotheses.org/2343

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Normalität, Konformität und deviantes Verhalten – Von Benjamin Gröschl

Konformität und Abweichung bestimmen als relationale Basiskategorien die subjektive Typisierung der Lebenswelt und so auch die daraus entstehenden Objektivationen. Normalität bildet die gemeinsame Grundlage und muss doch ebenso diskursiv und kontextabhängig beschrieben werden. Dieser Artikel widmet sich daher dem Versuch, … Continue reading

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/5824

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FES: Veröffentlichungen zu Friedrich Ebert und seiner Zeit vom Geschäftsführer der Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte Prof. Dr. Walter Mühlhausen

http://www.ebert-gedenkstaette.de/pb/,Lde/Startseite/Die+Stiftung/Prof_+Dr_+Walter+Muehlhausen.html (unten) Die Publikationsliste des Geschäftsführers der Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte Prof. Dr. Walter Mühlhausen enthält einige weiterführende Publikationen zur Geschichte der SPD und zu Friedrich Ebert.

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2014/01/4920/

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Der “Marsch der Freiwilligen” 義勇軍進行曲: Vom Titelsong eines Films zur Nationalhymne

Fēngyǔn érnü 風雲兒女 ["Sons and Daughters in a Time of Storm" oder "Children of Troubled Times"] aus dem Jahr 1935 erzählt die Geschichte eines Intellektuellen, der sein eher ‘westliches’ Leben aufgibt, um sich im Kampf gegen Japan zu opfern.  Die Handlung basiert auf einer Geschichte von Tian Han  田漢, der seit Anfang der 1930er Mitglied der Kommunisitischen Partei Chinas war, und der kurz nach der Veröffentlichung dieser Geschichte verhaftet worden war. Das Drehbuch schrieben  Tian Han 田漢 (1868-1968) and Xia Yan 夏衍 (1900-1995). Regisseur dieser Produktion der Diantong Film Company (電通影片公司) war Xu Xingzhi. In den Hauptrollen sind Yuan Muzhi 袁牧之 (1909-1978) und Wang Renmei 王人美 (1914-1987) zu sehen. Die Musik zum Film schreib Nie Er 聶耳 (1912-1935).

Fengyun ernü 風雲兒女 (1935)

Fengyun ernü (1935)
Internet Archive

Der Film wäre nicht weiter bemerkenswert, ähnliche Plots finden sich im linken Film der 1930er häufiger, wäre da nicht der Titelsong, gesungen von Yuan Muzhi und Gu Menghe: Yìyǒngjūn Jìnxíngqǔ 義勇軍進行曲 ["Marsch der Freiwilligen", "March of the Volunteers"]. Das Lied, das  in einem Theaterstück erstmals verwendet wurde und 1935 auf einem Album mit anderen patriotischen Musikstücken und Liedern veröffentlicht erschien, wurde gleichsam zur Hymne des Widerstands gegen die japanische Aggression.[1]

Im Februar 1949, kurz nach der Besetzung Beijings durch kommunistische Truppen erklang der “Marsch der Freiwilligen” als (inoffizielle) Hymne bei einer Konferenz in Prag. Im Sommer 1949 wurde im Zuge der Vorbereitung auf die Gründung der Volksrepublik China ein parteiinterner Ausschuss eingesetzt, um eine Hymne auszuwählen. Unter zahlreichen Vorschlägen fand sich auch der “Marsch der Freiwilligen”. Dieser Vorschlag wurde bei der ersten Plenarsitzung der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes (Zhōngguó rénmín zhèngzhì xiéshāng huìyì 中国人民政治协商会议) am 27. September 1949 angenommen.[2]

Der ursprüngliche Text wurde wiederholt verändert, um ihn den politischen Verhältnissen anzupassen. In den ersten Jahren der Kulturrevolution wurde die Hymne nicht verwendet, da Tian Han eines der ersten Opfer der Kulturrevolution geworden inhaftiert worden war.[3]. Ab 1969 wurde der “Marsch der Freiwilligen” wieder als Hymne verwendet, 1978 legte der Fünfte Nationale Volkskongress das Lied wieder als Hymne fest, allerdings mit leicht verändertem Text. Zuletzt hob eine Resolution der 5. Session des Fünften Nationalen Volkskongresses vom 4. Dezember 1982 hob die Änderungen auf[4] und stellte die ursprüngliche Version von Tian Han wieder her.

Seit 2004 ist die Hymne in der Verfassung der Volksrepublik China festgeschrieben:

Article 31 The title of the fourth chapter of the Constitution, which reads “The National Flag, the National Emblem and the Capital”, is revised to read “The National Flag, the National Anthem, the National Emblem and the Capital”. And one paragraph is added to Article 136 of the Constitution as the second paragraph, which reads, “The national anthem of the People’s Republic of China is the March of the Volunteers”.[5]

 

  1. S. Chang-Tai Hung: “The Politics of Songs: Myths and Symbols in the Chinese Communist War Music, 1937-1949″. In: Modern Asian Studies , Vol. 30, No. 4, Special Issue: War in Modern China (Oct., 1996) | DOI: http://dx.doi.org/10.1017/S0026749X00016838, 901-929, hier S. 901-903.
  2. S. “Resolution on the Capital, Calendar, National Anthem and National Flag of the People’s Republic of China”  (1949).
  3. In dieser Zeit wurde Dōngfāng Hóng 東方紅 ["Der Osten ist rot"] als inoffizielle Hymne verwendet.
  4. AsianLII: Resolution of the Fifth Session of the Fifth National People’s Congress on the National Anthem of the People’s Republic of China (Adopted on December 4, 1982).
  5. “Amendments to the Constitution of the People’s Republic of China (Adopted at the Second Session of the Tenth National People’s Congress and promulgated for implementation by the Announcement of the National People’s Congress on March 14, 2004).”

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1269

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3. Januar-TwInterview mit Prof. Dr. T. Mills Kelly

Am Freitag, 17.1., fand das dritte der angekündigten Januar-TwInterviews statt. Mein Gesprächspartner war Prof. Dr. T. Mills Kelly, Professor für Europäische Geschichte an der George Mason University (Fairfax, Virginia). Das Gespräch drehte sich vor allem um sein neues Buch “Teaching History in the Digital Age” (2013) und damit verbundene Probleme des Geschichtslernens an Schulen und Hochschulen heute. Ich danke T. Mills Kelly sehr herzlich für seine Bereitschaft, sich für den Fragesteller und die Mit-LeserInnen im Netz Zeit zu nehmen.

Nachzulesen ist das TwInterview hier: http://storify.com/mdemanto/twinterview-mit-prof-dr-t-mills-kelly

Ich danke @mareike2405, @yaho007, @ClaudineMoulin, @BigSamThompson für ihre Mitwirkung.

 

Quelle: http://digigw.hypotheses.org/531

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2. Januar-TwInterview mit Prof. Dr. Claudine Moulin

Am Freitag, 17.1., fand das zweite der angekündigten Januar-TwInterviews statt. Meine Gesprächspartnerin war Prof. Dr. Claudine Moulin, Leiterin des Trier Center for Digital Humanities. Das Gespräch berührte ihre persönlichen Erfahrungen als Digital Humanist, aber vor allem auch die Arbeit des Trierer Zentrums.

Ich danke Claudine Moulin sehr herzlich für ihre Bereitschaft, sich Zeit zu nehmen und auf alle meine Fragen freundlich und offen zu antworten. Ich habe viel gelernt und viel Stoff zum Nachdenken bekommen. Die Zeit war allerdings zu kurz für die vielen Fragen, die andere und auch ich mit ihr sehr gern auch noch besprochen hätten.

Nachzulesen ist das TwInterview hier: http://storify.com/mdemanto/twinterview-mit-claudine-moulin

Ich danke @mareike2405, @CDHTrier und @csporled für Ihre Mitwirkung!

Quelle: http://digigw.hypotheses.org/529

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