18. Eine Gefahr für die Philosophie?

Ich formuliere mal einen Gedanken, der wie so vieles nur teilweise zuende gedacht ist. Er bezieht sich auf eine Gefahr für die Philosophie oder besser für das Philosophieren, die sich mit dem stillen theoretischen und solitären Arbeiten einstellen könnte, wenn man nicht Acht gibt. Vielleicht einstellen könnte, muss ich sagen, wenn ich konsistent bleiben möchte.

Wissenschaftliche Probleme könnten sich von der eigenen Erfahrung ablösen und ein sekundärwissenschaftliches Eigenleben entwickeln. Die Sache mit der Erfahrung ist natürlich, je nach dem, wie ich diese verstehe, angreifbar. Was soll denn schon metaphysische Erfahrung bedeuten (außerhalb des Yoga-Vereins)? Was ich damit meine ist aber etwas anderes: Es ist nicht die subjektive Akkumulation von Konstanten der Funktion der Welt, sondern die intensive Prüfung von Theorien durch die eigene Vernunft. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: Aristoteles’ Ethik behandelt die Charaktere der Akteure und ihre Tugenden. Ethische Tugenden sind Mitten zwischen zwei Extremen. – Jetzt können wir uns darüber unterhalten, wie eine Mitte genau definiert sein könnte. Wir könnten Artikel darüber schreiben und Positionen vertreten, was der ursprängliche Text genau sagen möchte. Diese Arbeit ist wichtig und schön, keine Frage. Aber wenn damit nicht auch die Einkehr in sich selbst einhergeht, sondern „Charakter“, „Mitte“ oder „Form“ zu bloß formalen Begriffen werden, mit denen man so hantieren kann, wie mit einer beliebigen Variable, dann könnte doch etwas fehlen, oder? Vielleicht ist das der Unterscheid zwischen “Wissen” und “Nachvollziehen” oder “Durchdringen”. Wenn ich „weiß“, dass die Seele für Platon drei Teile hat, dann bestehe ich sicher die kommende Prüfung. Wenn ich seine Argumente aber versuche intensiv nachzuvollziehen oder zu durchdringen, dann könnte ich das formale Wissen zugunsten einer Überzeugung aufgeben. Platon hat nicht nur deshalb recht oder unrecht, weil seine Drei-Seelenteile-Position derjenigen im Theaitetos wiederspricht. Sondern auch, weil ich Schwierigkeiten habe, mir die Seele als rein körperlichen und willenlosen Hunger vorzustellen. Das formale Wissen, könnte man argumetieren, reiche aus, um sich über verschiedenste Probleme zu unterhalten, sei aber nicht vollständig.

Naja, das klingt alles nicht nur unausgereift, sondern auch merkwürdig, wenn ich es noch eimal lese. Aber irgendwie scheint mir doch etwas wahres dabei zu sein, im Unterschied zwischen formalem und echtem Wissen. – Was ist eigentlich Bewegung? Raum durch Zeit? Oder was Aristoteles in seiner Physik schreibt?

Ich habe auch die Befürchtung, dass das, was ich sage, sich so anhört, wie die theurgische Phantasterei, die Fowden beschreibt. Schauen Sie doch einmal selbst nach und sagen mir Ihre Meinung: Fowden, Garth (1982): The Pagan Holy man in Late Antiquity Society. In: The Journal of Hellenic Studies 102, S. 33–59.

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/231

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Hinweise zur Bildrecherche

Screenshot flickr.com, Bildersuche "Geschichte" mit Creative-Commons-Lizenzen (22.1.2014)

 

Screenshot flickr.com, Bildersuche "Geschichte" mit Creative-Commons-Lizenzen (22.1.2014)

Screenshot flickr.com, Bildersuche “Geschichte” mit Creative-Commons-Lizenzen (22.1.2014)

Die Redaktion der „Zeithistorischen Forschungen / Studies in Contemporary History“ hat einen umfassenden Ratgeber zur Bildrecherche zusammengestellt,  auf den wir hier im Blog visual-history.de gerne hinweisen möchten. Unter anderem stellt der Ratgeber Bilddatenbanken (nichtkommerziell und kommerziell) und Plattformen vor, gibt eine nach thematischen Schwerpunkten sortierte Übersicht über Bildarchive und präsentiert ausgewählte Bildbände sowie eine aktuelle Sammlung nützlicher Links zur Bildrecherche. Das Dokument steht als pdf zum Download zur Verfügung.

 

Quelle: http://www.visual-history.de/2014/01/22/hinweise-zur-bildrecherche/

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Vier Tricks für eine gelingende Dissertation

Im Blog von Denis Walter bin ich auf sechs Tricks für eine gelingende Promotion gestoßen. Für mich ein guter Anlass, über meine Arbeitstricks nachzudenken. Leider sind es nur vier, aber immerhin … Trick Nr. 1: Arbeiten, wenn andere nicht arbeiten … Continue reading

Quelle: http://grammata.hypotheses.org/199

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Waterloo Chamber, Windsor Castle

Auf ein unerwartetes Beispiel für die, in diesem Fall durchaus wörtlich zu nehmenden, Verflechtungen zwischen Großbritannien und den Gefängnissen Britisch-Indiens bin ich heute gestoßen:

At a spacious hall in Windsor Castle, known as the Waterloo Hall, there is a large and beautiful carpet adorning the floor. It has been the marvel and wonder of many a visitor – and rightly so, as it is the only one of its kind both in size and beauty, and in fact the largest one-piece carpet in the world. The admiration with which this wonderful specimen of handicraft is beheld by visitors is intense indeed, but it is nothing compared with the surprise it causes on being told who made it. To no greater person than the humble Indian prisoner that unique honour belongs! That briefly is a picture of the Indian prisoner – rather an uncommon individual – and a discourse on his official abode, namely the Indian prisons, ought to be informative if not interesting to the British public.1

Der in der Waterloo Chamber im Schloß Windsor liegende Teppich wurde in der Tat im Gefängnis von Agra von Häftlingen gewebt. Heute treffen sich dort jährlich die Mitglieder des Hosenbandordens um gemeinsam mit der Queen zu speisen. Eine nette Anekdote, wie das Empire Einfluss auf die britische Kultur hatte, bis in die Gestaltung von Raumdekorationen hinein.

Die Einführung von Teppichweben als Gefängnisarbeit war aber noch in vielerlei anderer Hinsicht das Produkt von Britsch-Indischen Verflechtungen. Abigail McGowan zeigt, das Teppichweben als Gefängnisarbeit Ausdruck spezifisch kolonialer Diskurse war. Neben der romantisch-orientalistischen Idee  der Bewahrung indischer Traditionen durch “historisch-authentische” Teppichmuster, sollte die Teppichweberei auch dem modernen Kolonialstaat dienen. Die Häftlinge sollten durch Arbeit zu disziplinierten Untertanen erzogen werden und gleichzeitig zur Finanzierung der Gefängnisse beitragen.2

Der Teppich in der Waterloo Chamber ist demzufolge das Ergebnis eines kolonialen Disziplinierungsprojektes, mit seinen charakteristischen Widersprüchen. Während Gefängnisarbeit dem Anspruch nach die Gefangenen erziehen und moralisch bessern sollte, sollte sie gleichzeitig auch abschreckend sein sowie wirtschaftlich profitabel sein. In der Praxis wurde der Fokus vor allem auf die letzten beiden Aspekte gelegt.3

  1. Durai, J. Chinna: Indian Prisons, in: Journal of Comparative Legislation and International Law 11/4 (1929), http://www.jstor.org/stable/754020, S. 245–249, S. 245.
  2. McGowan, Abigail: Convict Carpets: Jails and the Revival of Historic Carpet Design in Colonial India, in: The Journal of Asian Studies 72/2 (2013), S. 391–416. doi:10.1017/S0021911813000028
  3. Bilder vom Raum mit Teppich finden sich hier: http://www.royal.gov.uk/TheRoyalResidences/WindsorCastle/VirtualRooms/TheWaterlooChamber.aspx

Quelle: http://rajprisons.hypotheses.org/122

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Acht Kostbarkeiten 八寶

Von den “Acht Kostbarkeiten” ist nicht nur im Zusammenhang mit Buddhismus und Konfuzianismus die Rede, sondern auch im Zusammenhang mit Gerichten der chinesischen Küche: neben dem “Acht Kostbarkeiten”-Gemüse (babao cai 八寶菜), einem in Sojasauce eingelegten Mischgemüse, ist etwa auch der “Acht Kostbarkeiten”-Reis (babo fan 八寶飯) – eine süße Reisspeise mit kandierten Früchten und anderen Zutaten – zu nennen. Die “Acht Kostbarkeiten” stecken auch in Babaoshan 八寶山 (“Berg der Acht Kostbarkeiten”) – dem “Prominentenfriedhof” der Volksrepublik China.

Bleibt nun also die Frage, was sich hinter den “Acht Kostbarkeiten” verbirgt:

„chu [zhu ], die wunscherfüllende, magische Perle, ch’ein [qian], die Münze, ein Symbol der Wohlhabenheit, fang-shêng, die offene Raute, Emblem von Sieg und Erfolg, shu [書], zwei Bücher, ein Zeichen guter Vorbedeutung von von Gelehrtheit, hua [畫], das Bild sinnbildlich für kulturelle Tätigkeit, ch’ing [qing 磬], der Jade-Klangstein, Sinnbild für Glück, chüeh [jiao ], ein Paar Rhinozeroshornbecher, Symbol für Überfluß und Glück, und ai-yeh [aiye 艾葉], ein Artemisiablatt, wiederum ein Emblem für gute Vorbedeutung.“[1]

Neben diesen acht Symbolen des Konfuzianismus sind hier auch die acht Sinnbilder (ba ji xiang 八吉祥) zu nennen, die die “verschiedenen Aspekte des Buddhismus” symbolisieren: “Meeresschnecke, Schirm, Baldachin, Lotos, Vase, Fisch, endloser Knoten, Rad der Lehre.”[2]

  1. Liste nach dem Glossar bei Herbert Fux (Hg.): 4000 Jahre ostasiatische Kunst (Krems 1978), 292 (‚pa pao‘). Vgl. auch Patricia Bjaaland Welch: Chinese Art. A Guide to Motifs and Visual Imagery (Singapore 2008) 228 f. (‚Eight Precious Things‘), die elf (!) verschiedene Gegenstände erwähnt. In den “Erläuterungen häufig wiederkehrender Begriffe” bei Uwe Frankenhauser (Übers.): Sun Yaoting: Der letzte Eunuch des Kaisers Puyi. Das Leben Sun Yaotings, letzter Eunuch des Kaisers Puyi, erzählt von ihm selbst (München [s.a.] [zuerst Leipzig 1993) 673 spricht von den “acht Kostbarkeiten des Konfuzianismus” bzw. von den “acht Symbolen des Gelehrten”.
  2. Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen (München, 5. Aufl., 1996) 16 (“Acht”).

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/993

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Buchbesprechung: Bertrand Goujon, Monarchies postrévolutionnaires, Paris 2012

Die französische Restauration (1814-1830) und die französische Julimonarchie (1830-1848) stellen ein Kapitel der französischen Geschichte dar, dem bis dato wenig Aufmerksamkeit in der Geschichtsschreibung zuteil wurde. Oft genug wurde die Bourbonenmonarchie als reaktionäres Intermezzo und als zivilisatorischer Rückschlag auf dem Weg zur Verwirklichung der Republik gesehen. Das Juliregime erschien mehr als Vorstufe zum vorläufigen Ende der Monarchie, das mit der Zweiten Republik eingeläutet und 1870 abgeschlossen wurde. Davon gab es sowohl in der französischen als auch europäischen Historiographie seit 1945 nur wenige Ausnahmen, zu den bekanntesten zählen wohl vor allem Guillaume de Bertier de Sauvignys sowie André Jardin und André-Jean Tudesq jeweilige Überblickswerke.[1]

Innerhalb der beiden letzten Jahrzehnte ist jedoch Bewegung in die Geschichtsschreibung der Bourbonen- und Julimonarchie gekommen. Besonders problematisch erscheint heute die Vernachlässigung wichtiger Aspekte und Faktoren der französischen Gesellschaft zwischen 1814 und 1848. Kaum zu übersehen ist, dass Revolution und Kaiserreich noch lange in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nachwirkten und die Legitimitätsgrundlage der Monarchie dauerhaft veränderten. So hat schon Volker Sellin darauf hingewiesen, dass die Charte constitutionnel einen zwar der Gesellschaft aufoktroyierten Kompromiss darstellte, zugleich aber zentrale Ergebnisse der Revolution wie das Parlament oder den Verkauf der Nationalgüter sanktionierte.[2] Emmanuel Fureix hat in seiner wegweisenden Untersuchung zu den Begräbnissen wichtiger Persönlichkeiten der französischen Gesellschaft gezeigt, dass die alten Antagonismen zwischen Ancien Regime und neuer Ordnung fortwirkten.[3] Deutlich wird hier, dass Revolution und Kaiserreich sich zu einem Erfahrungsraum verfestigt hatten, hinter den die Monarchie nicht zurückgreifen konnte.

Dass es vor diesem Hintergrund durchaus sinnvoll ist, diese beiden „monarchies postrévolutionnaires“ in einer Überblicksdarstellung zu behandeln, hat nun Bertrand Goujon vorgeführt. In dem von ihm verfassten zweiten Band der neuen, in den Editions du Seuil aufgelegten „Histoire de la France contemporaine“ entsteht ein komplexes, vielschichtiges und häufig widersprüchliches Bild der französischen Gesellschaft.[4] Der Mehrwert von Goujons Untersuchung besteht darin, die beiden Monarchien als ein Laboratorium traditioneller und fortschrittlicher politischer Systeme vorzustellen, den Anpassungsprozess der Monarchie, die Ausdifferenzierung der jeweiligen Verfassungen und die Herausbildung der parlamentarischen Opposition sehr konzise zu beschreiben. Dass mit dem vergleichsweise eher kurzen Buch (knapp 400 Seiten Text) dennoch eine umfassende Geschichte entstanden ist, die übergreifende soziale, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungen keineswegs vernachlässigt, ist der Fachkenntnis des Autors zu verdanken, der mit großer Souveränität die Auswahl relevanter Themen vorgenommen hat. Goujon gelingt es, aus der Menge an zentralen Aspekten ein beziehungsreiches Geflecht zu weben und dem Leser so eine äußerst kohärente Untersuchung der französischen postrevolutionären Monarchien zu bieten. Daraus hervorgegangen ist nicht nur ein handliches Nachschlagewerk zur französischen Geschichte, sondern zugleich eine sehr tiefgehende Analyse der französischen Gesellschaft zwischen 1814 und 1848. Diese wird ergänzt um eine chronologische Tafel zentraler Ereignisse sowie einer zwar nicht überbordenden Bibliographie, die aber die wichtigsten und vor allem neuesten Publikationen zum Thema enthält.

Eine besondere Stärke der Untersuchung von Goujon liegt in der Periodisierung, mit der der Autor die zentralen politischen Zäsuren zwischen 1814 und 1848 hervorhebt, ohne zugleich die gesellschaftlichen Kontinuitäten aus dem Blick zu verlieren. Goujon arbeitet pointiert die Charakteristika einer ambivalenten Restauration heraus, die zwar den Bruch mit dem Kaiserreich und die monarchische Kontinuität seit Ludwig XVII. betonte, zugleich aber innerhalb einer sich wandelnden Gesellschaft den politischen Kompromiss zu suchen gezwungen war. Goujon legt in diesem Zusammenhang eine überzeugenden Analyse der Charte constitutionelle vor, klärt über die Handlungsoptionen der sich oft abwechselnden Regierungen bis 1830, die Ausdifferenzierungen der politischen Lager sowie das Gewicht zentraler Akteure wie Karl X. oder Minister Decazes auf, der nach dem Ausscheiden von Richelieu 1818 die Politik der Regierung wesentlich bestimmte. Zugleich zeichnet Goujon ein facettenreiches Portrait der gesellschaftlichen Zerklüftungen Frankreichs, in dem gerade in abgeschiedenen ländlichen Regionen wie der Bretagne die Menschen in rückständigen wirtschaftlichen Verhältnissen lebten, während im Elsass oder im Pariser Raum eine fortschrittliche, liberal eingestellte Elite tonangebend war. Diese wirkte zudem unmittelbar auf die politischen Meinungsbildungsprozesse im Parlament ein. Vor diesem Hintergrund analysiert Goujon die Verschärfung der politischen Krise nach dem Attentat auf den Duc de Berry. Der von Karl X. ab 1824 noch forcierte Rechtsruck in der Regierung lief immer mehr der Mehrheitsmeinung im Parlament zuwider.

Bei der Analyse des Regimewechsels von 1830 verlässt sich Goujon nicht allein auf eine kanonisierte Periodisierung, die für die Erklärung des politischen Wandels die Ereignisse während der Trois Glorieuses oft überbewertet. Anstatt allein die politischen Konjunkturen im Juli 1830 zu fokussieren, nimmt Goujon in einem eigenen Kapitel den Zeitraum zwischen 1828 und 1832 in den Blick. Damit widersteht der Autor nicht zuletzt auch der Anziehungskraft des in Frankreich vorherrschenden heroischen Narrativs, nach dem das reaktionäre Regime der Bourbonen durch einen gewaltigen Aufstand in den Straßen von Paris hinweggefegt wurde. Das ist zwar nicht falsch, wird aber nicht den wirtschaftlichen und sozialen Realitäten gerecht, die gewissermaßen im Hintergrund der politischen Ereignisse ab 1828 abliefen. Dazu gehörte ein drastischer Rückgang der Wirtschaftsproduktivität des Landes, eine hohe Arbeitslosigkeit und steigende Lebensmittelpreise. Zudem erfuhr die Gesellschaft einen grundlegenden Wandel, indem Vertreter einer neuen Generation in die Politik vorstießen, die die Monopolisierung von Schlüsselpositionen in der Politik durch die alte Elite scharf kritisierten und auf mehr Mitsprache sowie eine Ausweitung des passiven Wahlrechts drangen. In einem vielschichtigen Portrait dieser Wendezeit wirft Goujon auch einen Blick auf die französische Kultur, in der sich der Konflikt zwischen den „anciens“ und den „modernes“ besonders am Beispiel der literarischen Strömung der Romantik fortsetzte. In diesem Umfeld des tiefen gesellschaftlichen Wandels wird die zunehmende Isolation des Königs und seiner Regierung gegenüber dem Parlament verständlich. Die adresse des 221 vom März 1830 stellte ein Manifest dar, dessen Kritik am autoritären Stil der Regierung ein überwältigendes Echo in der außerparlamentarischen Öffentlichkeit fand.

Die politische Zäsur vom Juli 1830 ist in der Betrachtung Goujons wiederum eine höchst ambivalente. Konnten mit der Neuauflage der Charte wichtige liberale Fortschritte realisiert werden, so blieb die Phase des „mouvement“ und der von den progressiv orientierten Abgeordneten geforderten Reformen doch eine eher kurze Episode. In diesem Kontext ist die Periodisierung von Goujon auch so sinnvoll: sie macht sich nicht die vom Juliregime selbst propagierte Sichtweise eines politischen Aufbruchs zu Eigen, sondern zeigt, wie die Ergebnisse der Julirevolution schon früh die Zeitgenossen zutiefst enttäuschten. Angesichts nur mehr beschränkter Reformen,  wie etwa des Wahlgesetzes vom April 1831, das den Zensus nur geringfügig herabsetzte und vielen daher nicht weit genug ging, entfremdeten sich schon früh viele vom neuen Regime. Auch mehr symbolische Akte des neuen Königs, wie die Entlassung Lafayettes vom Oberkommando der Nationalgarde, erweckten den Eindruck, dass das Juliregime die Revolution mit allen Mitteln zu beenden suchte. In der Betrachtung dieser sich zuspitzenden Krise fokussiert Goujon das Jahr 1840 als vorläufigen Höhepunkt. Hier, so Goujon, sei der Immobilismus des Regimes und dessen Unfähigkeit, die dringendsten Probleme wie die soziale Frage zu lösen, besonders zutage getreten. Sehr überzeugend erscheint das Bild, das der Verfasser vom Parlament zeichnet, in dem finanzstarke Notabeln in der Mehrzahl waren, die sich insbesondere die Interessen der Großwirtschaft zu Eigen gemacht hatten. Repräsentierten sie nur einen sehr kleinen Teil der Gesellschaft, waren sie gegenüber einer Herabsetzung oder gar völligen Aufhebung des Zensus genauso taub wie gegenüber sozialkritischen Studien, die die miserable Lage der Arbeiter in überbevölkerten Pariser oder Lyoner Vororten thematisierten. Die Gegenüberstellung einer im Zuge der Industrialisierung äußerst dynamischen Gesellschaft, in der linke Journalisten, Intellektuelle und Wissenschaftler wie Pierre-Joseph Prudhon, Étienne Cabet oder Louis Blanc über grundlegende Veränderungen der sozialen und politischen Verhältnisse nachdachten, und einer erstarrten Führungskaste in Regierung und Parlament gelingt hier sehr gut. Damit konturiert Goujon zugleich den zentralen Unterschied des politischen Patts während der Juli- und Februarrevolution: traten 1830 Regierung und Parlament auseinander, fand 1848 ein Auseinandertreten von Staat und Gesellschaft statt. Aus der paradoxen Situation, dass das Parlament nicht mehr die Mehrheit in der Bevölkerung widerspiegelte, sich also immer weniger Menschen von den Abgeordneten repräsentiert sahen, ging eine breite Protestbewegung hervor, die das Juliregime und damit den Orleanismus als konservative, marktliberale Regierungsform ad absurdum führte.

[1] Vgl. Guillaume de Bertier de Sauvigny: La Restauration, 1814-1830, Paris ³ 1974 ; sowie André Jardin/ André-Jean Tudesq: La France des notables, 2. Bd., Paris 1989.

[2] Vgl. Volker Sellin: Die geraubte Revolution. Der Sturz Napoleons und die Restauration in Europa, Göttingen 2001.

[3] Emmanuel Fureix: La France des larmes. Deuils politiques à l’âge romantique (1814 – 1840), Seyssel 2009.

[4] Bertrand Goujon: Monarchies postrévolutionnaires, 1814-1848, Paris 2012.

Quelle: http://19jhdhip.hypotheses.org/1484

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E-Tutoren-Kurs für Lehrende an der Hochschule Fulda

Das Thema Onlinelehre und der Einsatz von Tutorinnen und Tutoren ist aus dem Hochschulalltag nicht mehr wegzudenken. Das E-Learning-Labor der Hochschule Fulda bietet daher nicht nur Studierenden die Ausbildung zur E-Tutorin und zum E-Tutor an, sondern ermöglicht es auch regelmäßig den Lehrenden, sich intensiver mit dem Thema Tutorinnen und Tutoren in der Onlinelehre zu beschäftigen. Diese Kurse sind dann ganz konkret auf die Zielgruppe der Lehrenden (Professorinnen und Professoren, Lehrbeauftragte, in der Lehre beschäftige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter) und deren Ansprüche ausgelegt. Präsenzveranstaltung Der Kurs […]

Quelle: http://medienbildung.hypotheses.org/4899

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1914 – Tag für Tag. Multimedialer Rückblick

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Im August vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg. Niemals zuvor hatte eine Auseinandersetzung so viele Menschenleben gekostet, war ein Krieg so grausam geführt worden. Mehr als 15 Millionen Menschen starben in den Kriegsjahren bis 1918. Wie kam es zu dieser Zäsur in der Geschichte? Wie lebten die Menschen damals, was beschäftigte sie in diesen Wochen und Monaten, worüber schrieben Journalisten? Ein multimedialer Rückblick von ZEIT online und dem TV-Sender Arte dokumentiert den Weg zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs und gibt jeden Tag einen Einblick in das Leben von damals, mit einem besonderen Fokus auf Deutschland und Frankreich – immer genau heute vor 100 Jahren:

1914 – Tag für Tag

Quelle: http://1914lvr.hypotheses.org/944

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Datenbanken zur Militärgeschichte Frankreichs auf “Mémoire des hommes” (Mittwochstipp 26)

Die Website Mémoire des hommes des französischen Verteidigungsministeriums ist ein groß angelegtes Internetprojekt, das Datenbanken und Digitalisate aus den Beständen des Service historique de la défense verfügbar macht, zum Teil in Kooperation mit anderen Einrichtungen wie den Archives Nationales. Kernstück … Continue reading

Quelle: http://francofil.hypotheses.org/1936

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