In den Sonntagsreden von Wissenschaftsfunktionären, bei der Einrichung neuer Forschungszentren und Cluster heißt es oft, man müsse die Forschung aus dem Elfenbeinturm befreien. Die Forscher sollten bei der Gelegenheit gleich mit befreit werden, da sie sich sonst hoch über der Erde, abgeschottet von den alltäglichen Bezügen und Belangen, ihr Refugium bauten. Diese ihre eigene Welt, die nur sie oder eine kleine Gruppe von “Eingeweihten” verstehe, gilt als unschicklich und unzeitgemäß. Weg mit diesem Priestertum aller Wissenschaftler, die sich im Presbyterium hinter den Chorschranken verschanzen und den Laien (!) den Zutritt lieber verweigern! Recht haben sie, die Sonntagsredner und Wohlmeinenden. Auch ich gehöre zu ihnen. Die Wissenschaft muss mit der Öffentlichkeit kommunzieren, transparent werden, sich vorzeigen und darstellen. Die 99 Prozent der nicht an Hochschulen und Forschungseinrichtungen tätigen Steuerzahler finanzieren uns und haben ein Anrecht darauf zu sehen, was mit ihrem Geld passiert. Deshalb sind Blogs nötig. Deshalb sehe ich die totale Anglifizierung der Universitäten kritisch. Deshalb müssen sich gerade Geistes- und Sozialwissenschaftler in die gesellschaftlichen und politischen Angelegenheit und Debatten einbringen. Auf diese Weise geben sie Gesellschaft und Staat etwas zurück. Ein guter Forscher kann seine Tätigkeit auch der sprichwörtlichen “Oma mit der Tüte” erklären. Er kann vor allem auch […]
“Eine Tagung zur Frage, ob kulturelle Institutionen durch die sozialen Medien nun auch publizistisch tätig werden müssen”
eCulture Dialogue Hamburg – Creating Digital Access to Culture. “Ja, es gibt Tagungen mit griffigeren Titeln, gar keine Frage.” So schön und herrlich ironisch beginnt, erzählt und endet der erfrischende und wahre Blogbeitrag zu der gleichnamigen Tagung in Hamburg, bei der es nicht um das WIE ging, sondern wieder einmal und leider noch immer darum, OB Social Media für Museen “sein müssen”.
Ausschreibung: Franz StephanPreis 2014 für Geschichte und Kultur der Habsburger…
*****Franz Stephan Preis 2014 für Geschichte und Kultur der Habsburger Monarchie im 18. Jahrhundert*****
aus. Gesucht werden Verfasserinnen oder Verfasser von Dissertationen oder von Arbeiten vergleichbarer Bedeutung zur Habsburger Monarchie im 18. Jahrhundert, die in deutscher, französischer oder englischer Sprache verfasst sind.
Weiters schreibt die Gesellschaft einen
****Franz Stephan Förderpreis 2014 für Diplom- oder Masterarbeiten*****
aus, die in diesem Themen- und Disziplinenfeld an österreichischen Universitäten eingereicht wurden.
Die mit einem Preis Ausgezeichneten werden
- eingeladen, im Wintersemester 2014/15 im Rahmen der festlichen Verleihung ihre Arbeiten vor-zustellen,
- mit einem Geldpreis prämiert und dazu
- die Möglichkeit haben, im Jahrbuch der Gesellschaft eine Zusammenfassung ihrer Forschungsergebnisse zu veröffentlichen.
Der Vorstand der Gesellschaft entscheidet in einem mehrstufigen Begutachtungsverfahren unter Beiziehung von thematisch jeweils ausgewiesenen Fachberaterinnen und Fachberatern über die Preiswürdigkeit der Arbeiten und verständigt die preiswürdigen Kandidatinnen und Kandidaten. Auf die Verleihung des Preises besteht kein Rechtsanspruch.
Die Gesellschaft ist bestrebt, durch die Preisvergabe ein nachhaltiges Interesse an der Erforschung des 18. Jahrhunderts zu wecken. Der Preis ist im Gedenken an seine besonderen Verdienste als Förderer der Wissenschaften und Künste in und für Österreich nach Franz Stephan von Lothringen, dem Gemahl Maria Theresias, benannt. Mitglieder der Gesellschaft haben zur neueren wissenschaftlichen Erforschung über ihn Wesentliches beigetragen.
Bewerbungen richten Sie bitte spätestens bis zum 31. Mai 2014 (Datum des Poststempels) an die
Österreichische Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts
c/o Obmann ao. Univ.-Prof. Dr. Franz Eybl, Institut für Germanistik,
Universität Wien, Universitätsring 1, A-1010 Wien
email: franz.eybl@univie.ac.at
Open Access: Schönberger/Sutter Hg: Kleine Geschichte der Protestformen
Schönberger, Klaus/Sutter, Ove: Kommt herunter, reiht euch ein ... Eine kleine Geschichte der Protestformen sozialer Bewegungen. Berlin/Hamburg: Assoziation A, 2009.
http://www.assoziation-a.de/dokumente/Eine_kleine_Geschichte_der_Protestformen.pdf
Es finden sich darin u.a. Beiträge zur Geschichte der Demonstration, zu Fahnen, Graffiti und Transparenten wie auch "(K)eine Theorie des Tortenwerfens".
via http://blog.zhdk.ch/kschoenberger/2014/01/18/kommt-herunter-reiht-euch-ein-kleine-geschichte-der-protestformen-jetzt-online/
Die langen Schatten des „kurzen 20. Jahrhunderts“: Japan und der Erste Weltkrieg in Ostasien
Von Torsten Weber
Der Erste Weltkrieg spielt in der Geschichtsschreibung und im öffentlichen Diskurs Japans traditionell nur eine sehr untergeordnete Rolle. Dies liegt zum einen an anderen historiographischen Traditionen, denen zufolge der Weltkrieg in die kurze und meist weniger beachtete Regierungszeit des Taisho-Kaisers (1912–1926) fällt.
Weit größere Beachtung finden dagegen die längeren und ereignisreicheren Meiji- (1868–1912) und Showa-Zeiten (1926–1989). Mit der Meiji-Zeit begann nicht nur die rapide „Modernisierung“ des Landes nach westlichen Vorbildern, sondern es fallen damit auch die militärischen Erfolge gegen das chinesische Qing-Reich (1894–1895) und das Russische Reich (1904–1905), die Japans regionale Vormachtstellung begründeten,zusammen. In Kombination mit der Showa-Periode, in die nicht nur der Zweite Weltkrieg fällt, sondern auch der Aufstieg Nachkriegsjapans zur wirtschaftlichen Weltmacht, wirkt die Taisho-Zeit als bloßes Interregnum. Zudem nimmt der Erste Weltkrieg verglichen mit der Bedeutung des Russisch-Japanischen und des sogenannten „Fünfzehnjährigen Krieges“ (1931–1945) gegen China sowie später die USA und andere westliche Kolonialmächte auch rein faktisch einen bescheideneren Platz in der Geschichte Japans ein.
Dennoch gibt es seit einigen Jahren Bestrebungen, den Ersten Weltkrieg auch in Japan wieder stärker ins Zentrum des historischen Interesses zu rücken. Dies liegt auch am Einfluss globalhistorischer und transnationaler Geschichtsschreibung, durch die unter anderem Themen aus der Geschichte der ostasiatischen Nachbarländer Japans stärker in die japanische Historiographie einfließen. Dort nimmt vor allem das Jahr 1919 als Ursprung des anti-japanischen Widerstandes eine besondere Position ein. Darüber hinaus versucht insbesondere der renommierte japanische Ideenhistoriker Yamamuro Shinichi (Kyoto Universität) schon seit einigen Jahren, die historische Bedeutung des Ersten Weltkrieges auch für Japan selbst zu unterstreichen. Im Jahr 2008 setzte er in einer Befragung der Zeitung Asahi Shinbun den Ersten Weltkrieg an die Spitze einer Liste der zehn bedeutendsten Ereignisse der modernen Geschichte Ostasiens, noch vor dem Zweiten Weltkrieg und dem Russisch-Japanischen Krieg. Aus seiner Sicht entsprangen dem „Großen Europäischen Krieg“, wie er zeitgenössisch in Japan überwiegend bezeichnet wurde, viele politische Ideen sowie Ereignisse, die die folgenden Jahrzehnte bis in die Gegenwart geprägt haben. Als Beispiele nennt Yamamuro unter anderem die Entstehung anti-kolonialer Bewegungen, eines durch internationale Organisationen institutionalisierten Internationalismus sowie die Herausbildung einer modernen Massenkultur, die gleichzeitig auch eine Kritik an der Moderne hervorbrachte. Für Japan, das in Folge des Ersten Weltkrieges zunehmend in Konflikt mit den USA, China und Russland gekommen war, habe der Krieg gleichzeitig auch die Konstellation des Zweiten Weltkrieges vorangekündigt. Yamamuro geht darüber hinaus davon aus, dass sich in Japan verhältnismäßig früh – um das Jahr 1920 – bereits ein Bewusstsein bildete, dass es sich beim Weltkrieg nur um einen ersten handelte, dem bald ein zweiter (gegen die USA) folgen könnte.
Damit sieht Yamamuro ähnlich wie Eric Hobsbawm große ideelle und strukturelle Kontinuitäten, die als Beginn des „Zeitalters der Extreme“ (Hobsbawm) ihren Ursprung im Ersten Weltkrieg haben, allerdings im Falle Ostasiens nicht mit dem Ende des Kalten Kriegs enden. In Ostasien dauert der Kalte Krieg vielmehr an und mit ihm in mancher Hinsicht auch das „Zeitalter der Extreme“. Anstelle ideologischer Spannungen, die auch in Ostasien deutlich in den Hintergrund getreten sind, markieren wirtschaftliche und strategische Interessen sowie nationalistische Rhetorik die Eckpunkte der Streitigkeiten. Als lange Schatten des „kurzen 20. Jahrhunderts“ (Hobsbawm) reichen diese bis in die Gegenwart. Für Japan sind dabei besonders die angespannten Beziehungen zu seinen Nachbarn problematisch. Mit Russland, Südkorea, der Volksrepublik China und auch Taiwan streitet es über Territorien. Zwar hat keiner dieser rivalisierenden Gebietsansprüche direkt mit dem Ersten Weltkrieg zu tun, doch ist er durch entsprechende Regelungen territorialer Fragen zugunsten Japans eng mit dieser Problematik verbunden. Insbesondere mit Südkorea und der Volksrepublik China streitet Japan zudem auch über zahlreiche historische Fakten (u. a. Nanking-Massaker, Zwangsprostitution, Invasionskrieg) und die Bewertung dieser (u. a. in Geschichtsbüchern, Museen und Gedenkstätten) innerhalb der modernen Geschichte Ostasiens. Auch diese haben meist nur indirekt mit dem Ersten Weltkrieg und Japans Beteiligung daran zu tun. Dessen eigentliche Geschichte ist nämlich schnell erzählt: Als Verbündeter Englands erklärte Japan im August 1914 dem Deutschen Reich den Krieg und erreichte im September die deutsche Kolonie Jiaozhou (Kiautschou) um die Stadt Qingdao (Tsingtau) in der Provinz Shandong (Shantung) an der Nordostküste Chinas. Mit der Kapitulation des deutschen Kommandanten Alfred Meyer-Waldeck im November 1914 endete der militärische Teil des Ersten Weltkrieges in Ostasien im engeren Sinne, lange bevor die Schlacht um Verdun überhaupt begonnen hatte. Bereits zuvor hatten Japan, Australien und Neuseeland die deutschen Besitzungen im Pazifik erobert. Die mehr als 4.000 deutschen und österreichischen Kriegsgefangenen verbrachten nach der Kapitulation eine vergleichsweise angenehme Zeit in verschiedenen Lagern in Japan, von denen das in Bando auf der Insel Shikoku besonders bekannt wurde. Dort wurde nicht nur Kuchen gebacken, Tennis gespielt und eine Lagerzeitschrift gedruckt, sondern im Juni 1918 auch zum vermutlich ersten Mal in Japan Beethovens Neunte Symphonie komplett mit Schlusschor aufgeführt. Das Deutsche Institut für Japanstudien (DIJ) Tokyo verfügt über eine umfassende Sammlung zum Bando-Lager, die online zugänglich ist (bando.dijtokyo.org).
Die Folgen des schnellen japanischen Erfolges vor allem gegen die deutsche Kolonie in China beflügelten die Expansionspläne des japanischen Militärs. Im Januar 1915 übergab die japanische Regierung dem chinesischen Präsidenten Yuan Shikai die berüchtigten „21 Forderungen“, mit denen sich Japan langfristig wirtschaftliche und politische Kontrolle über China verschaffen wollte. Der Tag der Annahme der Forderungen wurde als „Tag der nationalen Demütigung“ (9. Mai) in China über Jahrzehnte in Erinnerung gehalten. Der Ausdruck „nationale Demütigung“ (guochi) spielt bis heute in China eine wichtige Rolle in der patriotischen Erziehung und im öffentlichen Diskurs. Allerdings wird er heute selten mit den „21 Forderungen“ in Verbindung gebracht, sondern bezieht sich auf verschiedene historische Ereignisse oder auf die japanische Invasion Chinas insgesamt. Auch in den anti-japanischen Demonstrationen der vergangenen Jahre, die sich zumeist gegen japanischen Geschichtsrevisionismus und die Besuche hochrangiger japanischer Politiker des umstrittenen Yasukuni-Schreins in Tokio richten, dient „Vergesst niemals die nationale Demütigung“ (wuwang guochi) als Slogan der Demonstranten. Diese nationalistischen Massendemonstrationen stehen nicht nur rhetorisch in engem Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg. Die Entscheidung der Versailler Friedenskonferenz, die japanischen Kriegseroberungen in China nicht direkt an China zurückzugeben, sondern zunächst unter japanische Verwaltung zu stellen, riefen im Frühjahr 1919 die ersten umfangreichen Massenproteste in chinesischen Städten hervor. Die darauf folgende Vierte-Mai-Bewegung gilt als Geburtsstunde des populären politischen Nationalismus in China. Sie hat zu einer massiven und nachhaltigen Verschlechterung des Japanbildes in weiten Teilen der chinesischen Bevölkerung geführt.
Ähnlich liegt der Fall Koreas, das seit dem Ende des Russisch-Japanischen Krieges 1905 unter weitgehender japanischer Kontrolle stand und 1910 von Japan annektiert wurde. Lenins und Wilsons Proklamationen des Selbstbestimmungsrechtes der Völker weckten hier wie in weiten Teilen der übrigen kolonialisierten Welt hohe Erwartungen. Doch der „Wilsonsche Moment“ (Manela) verstrich, und die Neugestaltung der Weltordnung in Versailles ließ das Leid und die Interessen der Kolonialisierten weitgehend außer Acht. Enttäuschungen darüber führten in Korea wie in China zu Massendemonstrationen. Am 1. März 1919 versammelten sich bis zu zwei Millionen Koreaner, um landesweit für die Unabhängigkeit von Japan zu demonstrieren. Die Bewegung wurde von den japanischen Besatzern brutal unterdrückt, Korea blieb bis 1945 unter Japans Herrschaft. Der 1. März ist heute nationaler Feiertag in Südkorea, der 4. Mai wird als „Tag der Jugend“ in der Volksrepublik China in Erinnerung gehalten.
Ähnlich liegt der Fall Koreas, das seit dem Ende des Russisch-Japanischen Krieges 1905 unter weitgehender japanischer Kontrolle stand und 1910 von Japan annektiert wurde. Lenins und Wilsons Proklamationen des Selbstbestimmungsrechtes der Völker weckten hier wie in weiten Teilen der übrigen kolonialisierten Welt hohe Erwartungen. Doch der „Wilsonsche Moment“ (Manela) verstrich, und die Neugestaltung der Weltordnung in Versailles ließ das Leid und die Interessen der Kolonialisierten weitgehend außer Acht. Enttäuschungen darüber führten in Korea wie in China zu Massendemonstrationen. Am 1. März 1919 versammelten sich bis zu zwei Millionen Koreaner, um landesweit für die Unabhängigkeit von Japan zu demonstrieren. Die Bewegung wurde von den japanischen Besatzern brutal unterdrückt, Korea blieb bis 1945 unter Japans Herrschaft. Der 1. März ist heute nationaler Feiertag in Südkorea, der 4. Mai wird als „Tag der Jugend“ in der Volksrepublik China in Erinnerung gehalten.
Auch in Japan selbst wurden während des Krieges und in dessen unmittelbarer Folge Rufe nach sozialen, politischen und ökonomischen Reformen lauter: 1918 demonstrierten Hunderttausende gegen steigende Reispreise, 1919 wurde das Wahlrecht reformiert, 1920 eine sozialistische Partei gegründet ebenso wie eine Gesellschaft für Frauen, die sich erfolgreich für deren Recht auf politische Betätigung einsetzte. Zahlreiche kulturelle und politische Publikationen und Organisationen entstanden, wie die Frauenzeitschrift Fujin Koron (1916 bis heute) und die Gesellschaft für Aufklärung (Reimeikai, 1918), die offen für die Rechte der von Japan kolonialisierten Völker eintrat. Die vom Wilsonschen Idealismus und der Russischen Revolution inspirierten Bewegungen für Gleichheit, Freiheit, Demokratie und Pluralismus sorgten so für eine gesellschaftliche, kulturelle und intellektuelle Blüte in der Nachkriegszeit – blieben aber ohne nennenswerten Einfluss auf die japanische Kolonialpolitik.
Die japanische Geschichtswissenschaft hat in den vergangenen Jahren im Zuge transnationaler Forschungen oft kollaborativ mit chinesischen und koreanischen Kolleginnen und Kollegen wichtige Werke zur Aufarbeitung der japanischen Kolonialgeschichte vorgelegt und damit zur wissenschaftlichen Stabilisierung historischer Narrative beigetragen. Gleichzeitig hat allerdings die japanische Regierung durch Maßnahmen, die wohlwollend als ungeschickt, anders aber auch als provokativ eingestuft werden können, schwelende Konflikte um das historische Bewusstsein und die Aufarbeitung der Kriegsvergangenheit weiter verschärft. Die ambivalenten und oft auch offen apologetischen Äußerungen führender japanischer Politiker zum japanischen Imperialismus sowie der öffentlich vorgetragene Geschichtsrevisionismus müssen Chinesen und Koreaner fast zwangsläufig an die historisch erlittenen nationalen Demütigungen durch Japan erinnern. Diese langen Schatten des „kurzen 20. Jahrhunderts“, das als „Zeitalter der Extreme“ in mancher Hinsicht auch für Japan und Ostasien im Ersten Weltkrieg begann, reichen noch heute sogar bis in Fußballstadien. Dort zeigten südkoreanische Fans während eines Spiels ihrer Mannschaft gegen Japan beim Ostasien-Cup im Juli 2013 ein übergroßes Banner mit der Aufschrift „Ein Volk, das seine Geschichte nicht kennt, hat keine Zukunft“. Ein gemeinsames Erinnern an den Ersten Weltkrieg und dessen vielfältige – auch positive – Folgen für Japan und Ostasien könnte einen großen Schritt in Richtung Aussöhnung und friedlicher Koexistenz bedeuten.
Torsten Weber ist seit April 2013 wissenschaftlicher Mitarbeiter am DIJ Tokyo. Er forscht zur modernen Geschichte Ostasiens mit Schwerpunkt auf Asiendiskursen und Geschichtspolitik. Am DIJ leitet er das Forschungsprojekt „Sozio-politische Glücksdiskurse im imperialen Japan“.
Antiziganismus. Was können wir tun?
Umfangreiche und detaillierte Curricula, eine unübersehbare Auswahl an Lernmaterialien und gleichzeitig eine schwindende Zahl an Geschichtslektionen sind alltägliche Herausforderungen für Geschichtslehrkräfte der Sekundarstufe I. Lässt sich da ein spezieller Inhalt wie zum Beispiel die Geschichte von Roma, Sinti und Jenischen rechtfertigen? Unbedingt!
Das Roma-Kind mit der Waffe
Auf dem Titelbild des Schweizer Magazins „Weltwoche“ vom 5. April 20121 zielte ein Roma-Kind mit einer Pistole direkt auf die Lesenden. Das Bild und der dazu gehörende Artikel lösten eine heftige Debatte aus. Sie sind ein krasses, aber sprechendes Beispiel für den Befund einer kürzlich von der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus publizierten Studie zur Berichterstattung über Roma in Schweizer Medien. Die Studie zeigt eine markante Zunahme der Pressebeiträge in den letzten Jahren – und inhaltliche Unterschiede: Berichte über Roma im Inland fokussieren meist auf Aspekte wie Bettelei, Kriminalität und Prostitution, während Ausland-Beiträge mehr über Diskriminierung und Integrationsbemühungen berichten.2
Lernanlässe: die heutige Presse
Der Umgang unserer Mehrheitsgesellschaft mit Roma, Sinti und Jenischen ist heute also ein vieldiskutiertes Thema in der Öffentlichkeit. Ihre Medienpräsenz bietet Lehrkräften die Möglichkeit, exemplarischen, problemorientierten und multiperspektivischen Unterricht zu gestalten. Der Lebensweltbezug ist dabei hoch, zumal in vielen Klassen SchülerInnen mit Migrationshintergrund sitzen, die täglich Erfahrungen mit Diskriminierung und Ausgrenzung machen. Für exemplarischen Unterricht in politischer Bildung bieten sich zunächst Presseberichte an: Sie werfen Fragen auf – bezüglich ihrer Fokussierung, bezüglich der Stereotypisierung mancher Vorwürfe, aber auch bezüglich der angesprochenen Problemfelder. Welche Behauptungen lassen sich belegen, welche widerlegen? Wo lassen sich Pauschalisierungen und Vorurteile ausmachen? Wie reagieren Behörden auf die öffentliche Diskussion? Und schließlich: Was weiß man eigentlich über Anzahl, Herkunft und Lebensweise von Roma, Sinti und Jenischen? Kurz, hier bieten sich mannigfache Anknüpfungen für Klafkis Schlüsselthema „gesellschaftlich produzierte Ungleichheit“.3
Das Unrecht an den Jenischen
Die Beschäftigung mit Antiziganismus hat aber auch eine historische Komponente. Sinti und Roma bildeten nach den Juden die zweitgrösste Opfergruppe der Nationalsozialisten. Ihre Stigmatisierung, Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung folgten dem Muster der Shoah, wenn auch nicht überall gleich gnadenlos wie bei der jüdischen Bevölkerung. Auch in der Schweiz gab es eine Form schwerer Diskriminierung: „1926 begannen das Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse der Stiftung Pro Juventute mit Unterstützung des Bundes sowie andere Fürsorgeinstitutionen, den Jenischen systematisch die Kinder (…) wegzunehmen und sie in Pflegefamilien, psychiatr. Anstalten und sogar Gefängnissen unterzubringen, um sie zur Sesshaftigkeit umzuerziehen. Erst 1973 erwirkten die Betroffenen mit Unterstützung der Medien das Ende dieser Massnahmen.“4 In zwei knappen Sätzen beschreibt das Historische Lexikon der Schweiz einen Vorgang, den der Historiker Thomas Meier als „beispielloses dunkles Kapitel der jüngeren Schweizer Geschichte“ bezeichnet.5 Der Hintergrund ist tatsächlich erschreckend: Aufgrund von rassistisch erscheinenden Ressentiments trennte eine private Stiftung mit Unterstützung der Behörden rund 600 Kinder von ihren jenischen Eltern und platzierte sie in Pflegefamilien oder in Heimen. Ziel war es, die fahrende Kultur der Jenischen zu eliminieren, die als gesellschaftlich unerwünscht galt. Zurück blieben gebrochene Eltern und traumatisierte Kinder. Eine Tragödie in einem vom Leid der Katastrophen des 20. Jahrhunderts weitgehend verschonten Land.
Aktuelle Initiativen in der Schweiz
Kultur und Geschichte von Roma, Sinti und Jenischen sind sowohl im Internet wie in der Qualitätspresse und in der Fachliteratur immer besser dokumentiert. Trotzdem braucht es von den Lehrpersonen nach wie vor einige Anstrengung, die Informationen zu sichten und thematisch zu fokussieren. Entsprechend gestaltete Lehrmittel und Lernmaterialien sind noch eher dünn gesät. Die Pädagogische Hochschule Nordwestschweiz hat sich deswegen in zwei Tagungen dem Thema angenommen. Die Resultate der ersten Tagung 2013 zu den aktuellen Forschungsergebnissen zum Antiziganismus werden im Januar 2014 erscheinen. An einer zweiten Tagung6 anlässlich des Holocaust-Gedenktages 2014 sollen Möglichkeiten der schulischen und ausserschulischen Vermittlung diskutiert werden. Ihre Resultate werden voraussichtlich online zur Verfügung gestellt werden. Antiziganismus hat Potential für den Unterricht – und zwar für Geschichte wie für Politische Bildung. Entsprechende Themen sind aber komplex. Es gilt, inhaltlich korrekt zu sein und bestehende Narrationen kritisch zu hinterfragen. Dazu bedarf es alltagstauglicher Instrumente für die Lehrkräfte – und ein Engagement wie auch eine Kompetenzerweiterung der AutorInnen von Lehrmitteln und Curricula.
Literatur
- Bogdal, Klaus Michael: Europa erfindet die Zigeuner. Eine Geschichte von Faszination und Verachtung. Frankfurt a.M. 2011.
- Schär, Bernhard / Ziegler, Béatrice (Hrsg.): Antiziganismus in Europa und der Schweiz. Geschichte, Kontinuitäten und Reflexionen, Zürich 2014 (erscheint im Januar).
- Galle, Sara / Meier, Thomas: Von Menschen und Akten. Die Aktion «Kinder der Landstrasse» der Stiftung Pro Juventute, Zürich 2009 (mit DVD-ROM).
Externe Links
- Der Bildungsserver Berlin-Brandenburg bietet eine aktuelle Übersicht über verfügbare Unterrichtsmaterialien zu Sinti und Roma in Deutschland und gibt weitere Hinweise auf Quellen und Dokumentationen. URL: http://bildungsserver.berlin-brandenburg.de/sinti_roma.html (zuletzt am 81.1.14).
- Informationen zu Schweizer Fahrenden bietet die kürzlich publizierte Website der Stiftung „Zukunft für Schweizer Fahrende“. URL: www.stiftung-fahrende.ch/geschichte-gegenwart/ (zuletzt am 8.1.14).
- Homepage des Historikers Thomas Huonker zu Geschichte und Gegenwart der Jenischen in der Schweiz. URL: http://www.thata.ch (zuletzt am 8.1.14).
Abbildungsnachweis
© Dominik Sauerländer.
Empfohlene Zitierweise
Sauerländer, Dominik: Antiziganismus. Was können wir tin? In: Public History Weekly 2 (2014) 3, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2014-1165.
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Quelle: http://public-history-weekly.oldenbourg-verlag.de/2-2014-3/antiziganismus-koennen-wir-tun/
Methodik, Schmuddelkind der Geschichtsdidaktik? Eine österreichische Perspektive
Die Geschichtsdidaktik kämpft in Österreich nach wie vor um den durchgängig anerkannten Status einer Teildisziplin der Geschichtswissenschaft, wenn nicht sogar um den einer eigenen wissenschaftlichen Disziplin. Es gibt bislang keinen ordentlichen Lehrstuhl für Geschichtsdidaktik an einer Universität. An den Pädagogischen Hochschulen sind die Abdeckungen wenn überhaupt am ehesten mit denen in der Schweiz vergleichbar. Die intensiven geschichtstheoretischen und geschichtsdidaktischen Diskussionen und Forschungen seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und auch aktuelle Bemühungen haben zwar viel erreicht, doch die Geschichtsdidaktik konnte sich nicht gänzlich befreien von den an den Lehrerausbildungsseminaren des vorigen Jahrhunderts geprägten und bis heute nachwirkenden Vorstellungen in den Köpfen vieler, wonach die Disziplin vor allem Methodik wäre.
“Schulpunzierung”?
Nicht selten wird „Fachdidaktik“ dabei mit dem Erstellen von Arbeitsblättern und Overheadfolien gleichgesetzt.1 Befördert wird diese Vorstellung von der „reinen Vermittlungsdisziplin“ nicht zuletzt an österreichischen Hochschulstandorten, an denen die Geschichtsdidaktik nicht mit Professuren und einer entsprechenden Ausstattung abgedeckt ist, sondern durch Lehrbeauftragte aus dem Schuldienst, die durch Doppelbelastungen zwischen Lehre in der Klasse und im Hörsaal oft nicht ausreichend Zeit für eine wissenschaftliche Weiterqualifikation am Standort finden, geschweige denn breit empirisch zu forschen. Engagierte Ausnahmen gilt es hier hervorzuheben! Die Didaktik der Geschichte gilt seit Karl-Ernst Jeismann aber eigentlich als die „Wissenschaft vom Geschichtsbewusstsein in der Gesellschaft“. Ein Diktum, das in der Community gerne verwendet wird und dem sich viele Generationen von GeschichtsdidaktikerInnen anschlossen. Es wurde durch unterschiedlichste theoretische und empirische Studien untermauert. Schließlich war es ein Befreiungsschlag, der von einem wenig distinkten Dasein zwischen Geschichtswissenschaft und Allgemeiner Didaktik wegführte. Es kam zudem zur Emanzipation von der „Schulpunzierung“. Die Geschichtsdidaktik weitete sich zugunsten zusätzlich relevanter Bereiche zwischen individuellem und kollektivem historischen Denken und den daraus erwachsenden Objektiviationen (Geschichtskultur) aus.
Selbstreferenzielles System ohne Praxisanbindung?
Was sich jedoch im gleichen Maße entwickelte, war eine gewisse Distanz zur Schulpraxis. Während sich die theoretische und empirische Geschichtsdidaktik bis zum heutigen Tag – dank differenzierter Zugangsweisen und Profilierungen – in einer wissenschaftlichen Sphäre positionierte, existierten nach wie vor die Mühen der konkreten Geschichtsstunde von LehrerInnen. Alltägliche Praxis und wissenschaftlicher Überbau klafften, glaubt man den Unkenrufen der österreichischen Lehrerschaft im Rahmen der Fort- und Weiterbildung, immer weiter auseinander, nicht nur im sprachlichen Habitus beim Reden über den Geschichtsunterricht. Handelt es sich bei weiten Teilen der Geschichtsdidaktik tatsächlich um ein selbstreferenzielles System, ohne die Nöte der Schule wahrzuhaben? Wurde gar die praxisrelevante geschichtsdidaktische Methodik zum „Schmuddelkind“ des Faches? – zu nah am konkreten Problem, zu fern der theoretischen Abstraktion? Es stellt sich daher die Frage, inwieweit pragmatische bzw. (fach)methodische Anliegen aus der Praxis und vor allem auch deren Verquickung mit pädagogischen Problemlagen in konkreten Schulklassen (Heterogenität/ Diversity, Motivation, Leseschwächen, Verhaltenskreativität etc.) von der Geschichtsdidaktik weitgehend ignoriert werden dürfen.
Ungewollte Didaktik in Österreich
Zu Recht war seit dem PISA-Schock ein Hinwenden zum Fachspezifischen und zu den ureigenen Agenden notwendig. Hans-Jürgen Pandels Kritik an den „fremden Importen“2, welche das Fach aushöhlten oder gar die fachspezifischen Aspekte abschafften, war mehr als berechtigt. Doch im Zusammenspiel zwischen der Realität in den Schulklassen, der Leistungsfähigkeit der SchülerInnen und den Anforderungen der Geschichtsdidaktik an einem besseren Geschichtsunterricht zeigen sich für SchulpraktikerInnen nicht selten Anforderungen, die aufgrund fehlender methodischer Modelle als überzogen wahrgenommen werden. Ein Theorie-Praxis-Gap kann festgestellt werden. Für Österreich ist zu beobachten, dass die sprachliche und begriffliche Präzision sowie die einer Wissenschaft innewohnende Tradition im Umgang mit älteren Denkrichtungen in jenem Teilbereich der Geschichtsdidaktik, welcher sich der fachspezifischen schulischen Vermittlung zuwendet und daher als angewandte Wissenschaft begriffen werden kann, von der eigentlichen Zielgruppe – den LehrerInnen – tendenziell abgelehnt wird. Dies hat jedoch mehrere Gründe. Nicht verschweigen sollte man für Österreich die Tatsache, dass viele im Dienst stehende GeschichtslehrerInnen überhaupt keine fachdidaktische Ausbildung erhielten und in der Fortbildung im Heute aber in Teilen einem als übergroß erscheinenden und hoch differenzierten Begriffs- und Methodenapparat gegenüberstehen. Die administrative Praxis des Einsatzes von ungeprüften GeschichtslehrerInnen in der Pflichtschule verschärft diese Situation zudem. Auch scheint es, dass die „bildungspolitisch dominierende didaktische Orthodoxie“, welche alleine die Inhalte sieht, lieber auf das „Faktenlernen“ beharrt und sich gegenüber Änderungen in den Lehrplänen (z.B. fachspezifische Methoden, eigenständiges Denken) als resistent erweist.3 Es wundert dann jedoch wenig, wenn dort auch neopositivistische Positionen im Umgang mit Geschichte und Vergangenheit eingenommen werden.4
Balance tut not!
Es stellt sich weiter die Frage, wie die Methodik der Geschichtsdidaktik zwischen wissenschaftlicher Forschung & Entwicklung, Transferangeboten der Lehrerfortbildung und des Schulbuchmarkts, der gelebten Praxis sowie ihrer professionellen Selbstreflexion in konkreten Lernsettings die notwendige Balance halten kann. Dabei soll hier kein platter Praxis-Theorie-Gegensatz zum Selbstschutz der handelnden Personen an den Schulen oder an den akademischen Einrichtungen aufgebaut werden, sondern für eine enge produktive und gegenseitig wertschätzende Zusammenarbeit plädiert werden. Zudem darf die geschichtsdidaktische Methodik bei praxisnahen, am schulischen Alltag orientierten Umsetzungsversuchen nicht allzu schnell von ihren eigenen VertreterInnen an den tertiären Einrichtungen ins wissenschaftliche Abseits gestellt werden, weil dadurch der nötige Ausgleich und die darin lagernden Erkenntnischancen a priori verloren gehen. Eine adäquate geschichtsdidaktische Methodik wird sich daher hinkünftig um zweierlei kümmern müssen: Nämlich (1) um ihre wissenschaftliche Begründbarkeit, die nicht nur aus normativen bzw. theoretischen Setzungen bestehen kann, und (2) um einen relevanten Praxisbezug, der von den LehrerInnen im Feld angenommen wird. Klaffen die beiden Pole immer weiter auseinander, steht zu befürchten, dass beide Seiten sich als inadäquate „Spielkameraden“ wahrnehmen und den SchülerInnen damit am wenigsten geholfen ist.
Literatur
- Kühberger, Christoph / Windischbauer, Elfriede: Individualisierung und Differenzierung im Politikunterricht. Offenes Lernen in Theorie und Praxis, Schwalbach/Ts. 2013.
- Mayer, Ulrich / Pandel, Hans-Jürgen / Schneider, Gerhard (Hrsg.): Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht, 4. Aufl., Schwalbach/Ts. 2013.
Externe Links
- Auswahl an Literatur zur geschichtsdidaktischen Methodik auf historicum.net: URL: http://www.historicum.net/kgd/auswahlbibliographie/geschichtsdidaktische-methodik/ (zuletzt am 22.1.14)
- Interpretationslinien der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung: URL: http://www.bpb.de/lernen/unterrichten/geschichte-begreifen/42309/methoden (zuletzt am 22.1.14)
Abbildungsnachweis
© Jutta Rotter / pixelio.de
Empfohlene Zitierweise
Kühberger, Christoph: Methodik als “Schmuddelkind” der Geschichtsdidaktik? Eine österreichische Perspektive. In: Public History Weekly 2 (2014) 3, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2014-1263.
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Der Holocaust-Gedenktag am 27. Januar 2014 in Hamburg
Am 27. Januar 2005, anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau im Jahr 1945, verabschiedete das Parlament der Europäischen Union die „Entschließung zum Gedenken an den Holocaust sowie zu Antisemitismus und Rassismus“.1 Bereits seit dem Jahr 1996 ist der „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus” in Deutschland ein gesetzlich verankerter Gedenktag.2 Der Holocaust-Gedenktag ist über die Jahre in Deutschland zu einem festen Bestandteil der nationalen Erinnerungskultur geworden, zu dem jedes Jahr eine Vielzahl von Gedenk-, Bildungs- und Kulturveranstaltungen stattfinden. […]
Wie Adenauer einmal nicht gestört werden wollte
Konrad Adenauer wird von Zeitgenossen als geduldiger Zuhörer geschildert, solange es konzentriert um die Sache ging. “Eins aber haßte der Kanzler, nämlich Palaver” (Richard Stücklen in Schwarz 1991: 22).
Jede gute Vorzimmerkraft hat Mittel und Wege, den Chef aus endlosen Gesprächen zu befreien. Anneliese Poppinga, seit 1958 Adenauers Sekretärin, reichte ihm Nachrichten wie die folgende herein, die vor einigen Jahren in den Autographenhandel kam. Die Frankfurter Allgemeine berichtete seinerzeit über dieses Stück.
Was ist das – aktenkundlich gesehen? Innerdienstlicher Schriftverkehr des Palais Schaumburg, zweifellos. Solcher Schriftverkehr begegnet in zwei Stilformen (vgl. Meisner 1969: 194; Kloosterhuis 1999: 469):
- Als innerdienstliche Verkehrsschriftstücke, die sich an den Formen der an externe Empfänger gerichteten Schreiben orientieren,
- als Aufzeichnungen, die von der Form her eigentlich immobile Aktenvermerke sind, aber von der Funktion her als Verkehrsschriftstücke dienen; der Aktenvermerk bekommt Beine.
Die persönliche Anrede im vorliegenden Stück verweist eindeutig auf ein innerdienstliches Verkehrsschriftstück. In einer Aufzeichnung würde an ihre Stelle eine entsprechende Überschrift treten, und unter dem Text würde ein Vorlagevermerk in der damals noch üblichen Art stehen:
Hiermit
Herrn Bundeskanzler
ergebenst vorgelegt.
Und da hier von der Sekretärin an den Kanzler, also von “unten” nach “oben”, über einen Sachverhalt, nämlich die verflossene Zeit, berichtet wird, müsste es sich nach der klassischen aktenkundlichen Lehre um einen innerdienstlichen Bericht mit einer (impliziten) Bitte um Weisung handeln. Die Weisung, ihn nicht zu stören, hat Adenauer dann unmittelbar aufgesetzt.
An sich wurde und wird in der Ministerialbürokratie für diesen Kommunikationsweg die alternative Form der Aufzeichnung benutzt, die heute, in gewandelter Form, als Leitungsvorlage bezeichnet wird (vgl. meinen Artikel vom 29. August 2014). Für die Kommunikation zwischen Chef und Vorzimmer wäre dieses bürokratische Vehikel aber völlig überzogen.
Dann heißt es in der FAZ aber, der Text stünde auf einem Briefbogen des Bundeskanzlers. (Es ist nicht ersichtlich, wie der Ausschnitt der Abbildung gewählt wurde, und welcher Adressblock mit “Bonn am Rhein” sich da im rechten Viertel durchdrückt.) Ein Kopfbogen würde natürlich zu keiner Form innerdienstlichen Schriftverkehrs passen, selbst wenn man die persönliche Bezeichnung “Der Bundeskanzler” zugleich als Behördenbezeichnung nimmt, wie es bei den meisten Bundesministerien ja bis in die Neunzigerjahre offiziell der Fall war.
An diesem Punkt der Untersuchung muss sich die Aktenkunde die Sinnfrage gefallen lassen. Wir befinden uns außerhalb der Zone bürokratischer Standardisierung der Schriftlichkeit, von der die Systematische Aktenkunde, die ein Schriftstück nach Form und Funktion bestimmen soll, ausgeht (Beck 2000: 68). Die klassische Lehre scheint mir doch stark von normiert arbeitender Verwaltung im engeren Sinne geprägt zu sein. Im Umfeld der politischen Entscheidungsträger spielt die Form der produzierten Schriftstücke eine weit geringere Rolle.
Die Verfasserin hätte ihre kurze Nachricht, die sie dem Bundeskanzler verdeckt in einer Laufmape gebracht haben wird, im Grunde auch auf ein Formular für “Büronotizen” schreiben können – so würden Verwaltungspraktiker das Stück ansprechen.
Aktenkundlich reflektiert ist dieser Begriff nicht. Ein zu hohes Niveau begrifflicher Abstraktion leistet der Rezeption der Aktenkunde durch im Archiv arbeitende Historiker meiner Meinung nach aber einen Bärendienst.
Ich danke Dr. Peter Wiegand, Hauptstaatsarchiv Dresden, für den Hinweis auf dieses Stück und Frau Antje Winter, Stadtarchiv Troisdorf, für Informationen zum Gebrauch in Adenauers Büro.
Literatur
Beck, Lorenz Friedrich 2000. Leistung und Methoden der Aktenkunde bei der Interpretation formalisierter Merkmale von historischen Verwaltungsschriftgut. In: Brübach, Nils, Hg. 2000. Der Zugang zu Verwaltungsinformationen: Transparenz als archivische Dienstleistung. Veröffentlichungen der Archivschule Marburg 33. Marburg. S. 67–79.
Kloosterhuis, Jürgen 1999. Amtliche Aktenkunde der Neuzeit: Ein hilfswissenschaftliches Kompendium. In: Archiv für Diplomatik 45, S. 465–563 (Preprint).
Meisner, Heinrich Otto 1969. Archivalienkunde vom 16. Jahrhundert bis 1918. Leipzig.
Schwarz, Hans-Peter, Hg. 1991. Konrad Adenauers Regierungsstil. Rhöndorfer Gespräche 11. Bonn.
Die Schultern, auf denen wir stehen
Die Parallelen zwischen den Bibeldeutungen des Hieronymus und Auslegungstraditionen der rabbinischen Literatur, die wir in diesem Blog untersuchen, sind anderen Wissenschaftlern schon viel früher aufgefallen. Ihre Namen sind verbunden mit der aufblühenden jüdischen Wissenschaft, die u.a. in Breslau am dortigen Jüdisch-Theologischen Seminar ein wichtiges Zentrum hatte. Im Folgenden sollen hier drei Vertreter dieser großen Tradition kurz vorgestellt werden.
Moritz Rahmer (1837-1904)
In Breslau hatte Mitte des 19. Jahrhunderts Rabbiner Dr. Moritz Rahmer studiert, der vor allem in Magdeburg wirkte (Kurzbiografie der Universität Magdeburg). Er publizierte in jüdischen wissenschaftlichen Zeitschriften seine Untersuchungen zu den hebräischen Traditionen bei Hieronymus und lieferte damit die unmittelbare Vorlage für die Arbeit dieses Blogs. Aufgrund seiner umfassenden Bildung war Rahmer nicht nur in der Lage, die rabbinische Literatur, sondern auch die Schriften der Kirchenväter zu überblicken. Durch ihn bin ich beispielsweise auf die bemerkenswerte Darstellung des Hieronymus gestoßen, wie sich der sich lateinische Kirchenvater seine Kenntnisse der hebräischen Sprache aneignete. Diese Bildung Rahmers stellt für heutige Leser eine Herausforderung dar: Lateinische oder hebräische Zitate werden von ihm grundsätzlich nicht übersetzt, da er das Verständnis beider Sprachen voraussetzt.
Louis Ginzberg (1873-1953)
Wahrscheinlich bekannter als Rahmer dürfte Louis Ginzberg sein, dessen monumentales Werk The Legends of the Jews (1909-1928) weite Verbreitung gefunden hat. Ende des 19. Jh. schrieb er in Heidelberg eine Dissertation zum Thema: Die Haggada bei den Kirchenvätern. Der später nach Amerika ausgewanderte Wissenschaftler, der jahrzehntelang am Jewish Theological Seminary of America einen Lehrstuhl innehatte, zeigt hier seine souveräne Beherrschung des Themas. Sprachlich gilt das selbe für ihn wie für Moritz Rahmer: Die Beherrschung der lateinischen und der hebräisch/aramäischen Sprache und Literatur ist ihm Selbstverständlichkeit.
Samuel Krauss (1866-1948)
Der nächste Wissenschaftler ist Prof. Samuel Krauss, der Rektor der Israelitisch Theologischen Lehranstalt in Wien war. Ich habe ihn schon einmal an anderer Stelle etwas ausführlicher vorgestellt. Krauss verfasste das Werk Griechische und Lateinische Lehnwörter in Talmud, Midrasch und Targum, das heute noch für unsere Untersuchungen sehr nützlich ist.
Im Grunde genommen greifen wir hier in diesem Blog also die Fäden auf, die der damaligen jüdischen Wissenschaft aus den Händen gerissen, bzw. deren Forschungen in der Patristik lange ignoriert wurden. Angelika Neuwirth hat in ihrem Buch »Der Koran als Text der Spätantike« darauf hingewiesen, dass es ebenfalls jüdische Wissenschaftler – allen voran Abraham Geiger – waren, die eine Koranforschung betrieben, bei der sie ihre umfassenden Sprachkenntnisse in die Lage versetzten, die gemeinsamen und doch so differenzierten Auslegungstraditionen von Rabbinen, Kirchenvätern und dem Koran erstmalig zusammensehen zu können. Auch von diesen Leistungen zehrt die Forschung bis heute.