Aufstieg und Niedergang der Geschichtswissenschaft als Schrittmacher der Gesellschaft

Von Stefan Sasse

Leopold von Ranke
Die Geschichtswissenschaft ist, verglichen etwa mit den Naturwissenschaften, keine besonders alte Disziplin. Zwar gab es immer wieder einzelne Personen, die historische Abhandlungen schrieben - man denke etwa an Tacitus, Thukydides oder Polybios in der Antike -, doch diese erfüllten keinesfalls die Standards, die die Geschichtswissenschaft prägen und waren eher große Erzählungen, häufig mit direkter politischer oder moralischer Zielrichtung. Erste methodische Zusammenstellungen tauchten im 18. Jahrhundert auf - Schiller etwa war ein begeisterter Hobby-Historiker-, doch erst im 19. Jahrhundert entstanden vor allem in Deutschland die Geschichtswissenschaften mit der expliziten Zielsetzung "zu zeigen, wie es gewesen", um das berühmte Wort Leopold von Rankes zu benutzen. Dieser Anspruch purer Objektivität wird heute als Irrtum angesehen, nicht wegen der Intention, sondern wegen seiner Unmöglichkeit. Wir können Geschichte zwangsläufig immer nur durch die Brille unserer eigenen Zeit wahrnehmen und haben keine Möglichkeit, ein "objektives" Geschichtsbild zu erstellen. Objektive Geschichte existiert nicht, und seit diese Erkenntnis auch Eingang in die Lehrpläne gefunden hat stöhnen die Schüler über dieser Komplexität. 

Im Deutschland des 19. Jahrhunderts war Geschichte ein unglaublich populäres Feld, vergleichbar nur mit der Physik zwischen den Weltkriegen und der Ökonomie seither. Keiner dieser Disziplinen ist das Schlaglicht des Ruhms gut bekommen. Der plötzliche Ruhm, den die Vertreter der jeweiligen Disziplin dadurch genossen, stieg einigen nicht nur zu Kopf sondern weckte Erwartungen an ihre Arbeit, die diese unmöglich erfüllen konnte - ein Irrtum, der aus der erwähnten Eitelkeit nicht aufgedeckt wurde. Die Geschichtswissenschaftler des 19. Jahrhunderts sahen ihre Aufgabe hauptsächlich darin, eine Meistererzählung der deutschen Geschichte zu schreiben. Der junge Nationalstaat, der vor kurzem noch aus kleinen Nationen wie Hessen-Nassau oder Baden bestanden und nicht über ein übermäßiges, schon gar nicht ethnisches, Zusammengehörigkeitsgefühl verfügt hatte, verlangte nach einer solchen. Die Historiker lieferten sie und zogen eine direkte Linie von Arminius, den man flugs "Hermann" taufte, und nahmen dankbar Tacitus Zivilisationskritik für bare Münze, um eine in den germanischen Urwäldern herumstreifende, edle Stammesgesellschaft als Urgrund der Deutschen zu konstruieren. Urwüchsige Natur, eine natürliche Ordnung und große Männer, die ihre Stammesbrüder für Großtaten wie den Kampf gegen die Römer zusammenschmiedeten - gerne erkannten sich die Deutschen darin wieder. 

Karl der Große
Über Karl den Großen konstruierte man direkt einen Zusammenhang ins Mittelalter, wo die diffizile Machtpolitik der Lehensfürsten flugs zu einer Kulturmission der deutschen Sendung umdefiniert wurde. Der Dreißigjährige Krieg wurde so zu einem Grundübel, das von außen heraufbeschworen worden war, von Böhmen, Österreichern und Schweden, vor allem aber den Franzosen. Die "Erbfeindschaft" konnte so auch hier auf eine lange Ahnentradition zurückblicken, die sich mit der Aufspaltung von Karls Großreich auch beliebig bis ins Mittelalter verlängern und gegebenenfalls mit Verweis auf Kämpfe zwischen Kelten und Germanen nicht zuletzt während der Völkerwanderung auch in die mystische Urgeschichte ziehen ließ. Echten Erklärungsgehalt für zeitgenössische Phänomene besaß das alles natürlich nicht, aber der Mantel der Geschichte wurde mit all seinem Gewicht gerne jeglicher Politik umgehängt, die einer solchen Rechtfertigung bedurfte. Wer konnte etwa das Kolonialisierungsprogramm kritisieren wenn man sich vor Augen hielt, dass die Bekehrung und Zivilisierung der Barbaren seit Karl dem Großen deutsche Tradition und deutsche Sendung war? Zu versuchen, gegen die Geschichte zu argumentieren, war praktisch aussichtslos, und es verwundert nicht, dass auch die entschiedenen Gegner auf die Geschichte zurückgriffen: Karl Marx postulierte nicht umsonst geschichtliche Gesetzmäßigkeiten, die seiner Theorie die Aura einer religiösen Offenbarung verliehen.

Sein Ende fand all diese Geschichtsklitterei mit den Weltkriegen. Bereits der Erste Weltkrieg sorgte für eine schwere Erschütterung in der Vorstellung, die Deutschen seien alle durch ein mystisches Band des Nationalstaats miteinander verknüpft, und spätestens die Brachialvulgarisierung historischer Ereignisse im Nationalsozialismus trieb jeglichen Anspruch an eine gesamtgesellschaftliche Deutungshoheit aus der Geschichtswissenschaft. Sie verlegte sich auf bescheidenere Ziele, die auch in ihrem Vermögen lagen: ein möglichst detailliertes und aussagekräftiges Modell zu entwickeln und gegebenenfalls der Vereinnahmung der Geschichte durch Laien vor allem in der Politik eine differenzierte Analyse gegenüberzustellen. Die Wissenschaft ist dadurch reicher geworden, reicher an Interpretationen, an Erklärungsmustern, an Ansätzen und an Erkenntnissen. Ohne den Anspruch, eine Meistertheorie bieten zu können, die dem Leben und Streben der Menschen Struktur und Sinn bietet. Für die Hybris der Geschichtswissenschaft musste bitter gebüßt werden. Die Physik hatte Glück; der Kalte Krieg bewahrte sie vor diesem Schicksal, und sie zog sich still wieder auf ihr Fachgebiet zurück. Der Ökonomie ist dieses Glück nicht beschieden, und die aktuelle Debatte um Rogoff und Reinhard zeigt, auf welch fatalen Irrwege die Verabsolutierung von Theorien und Modellen führen kann.

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2013/04/aufstieg-und-niedergang-der.html

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“Emma, die Nackte” oder vom Akt im öffentlichen Raum

 

L'art Vivant_Novembre 1970
Einst wurde Édouard Manét mit seinem Gemälde “Le Déjeuner sur l’herbe” aus dem Salon verjagt. Das Paris der Jahrhunderwende war der Nacktheit der bekannten Prostituierten moralisch nicht gewachsen. Nach hundert Jahren – so könnte man denken - ist der nackte Körper in der modernen Kunst etwas Normales geworden. Auf den ersten Blick ist dem so. In der Kunstwelt der Theater, Museen, Galerien und Kunstmagazine ist der Akt und das Nacktsein als Motiv und Ausdrucksform etabliert. Doch in der Welt des Internets bekommen genau diese Werke immer wieder Probleme. Zum Schutz der Minderjährigen wird auf die Abbildung des Nackten verzichtet. Dies ist zu begrüßen, würde damit nicht auch die Kunstwelt zensiert.

In den letzten drei Jahren hat Facebook mehrmals Museumsseiten gesperrt, weil scheinbar pornographisches Bildmaterial präsentiert wurde. Dass es sich hierbei aber um Kunstwerke gehandelt hat, war der Social-Media-Plattform leider nicht bekannt. Jüngstes Opfer ist das Museum Jeu de pomme, dass auf der Facebook-Seite für eine Ausstellung von Laure Albin Guillot werben wollte und dazu ein Foto mit einer blonden nackten “Venus” präsentiert, gepostet hat. Doch deren entblöste Brust war Grund genug, die gesamte Seite für einen Tag zu sperren. Mittlerweile prangert ein schwarzer Balken darüber. Ähnlich erging es der Londoner Saatchi-Galerie mit einem Werk des Fotografen Philippe Halsmann. (1)

2012 wurde auch die Facebook-Seite des Centre Pompidou gesperrt. Das Pariser Museum für die Kunst der Moderne und Gegenwart warb mit einem der wohl bekanntesten Werke Gerhard Richters für die Panorama Ausstellung. Dabei handelte es sich um das Gemälde “Ema (Akt auf einer Treppe)” aus dem Jahr 1966. Das fotorealistische Werk zeigt die erste Frau des Künstlers. Behutsam fast schwebend kommt sie die Treppe herunter. Die Architektur hinterlegt den weiß-golden schimmernden Akt mit einem unwirklichen Grün. Die Portraitierte blickt konzentriert nach unten, als ob sie den Maler oder Betrachter nicht zur Kenntnis nehmen will. Darüber hinaus ist die Darstellung aufgrund der Unschärfe, die der Künstler dem fotorealistischen Bild am Ende durch das gleichmäßige Verwischen der noch feuchten Farbe verlieh, unnahbar fern. Der gemalte Akt rekurriert auf Marcel Duchamps “Akt eine Treppe herabsteigend” von 1912, der sich im Philadelphia Museum of Art befindet. Richter hatte das Bild in einer Krefelder Ausstellung als Fotografie gesehen und nahm es zum Anlass, sich der klassischen Aufgabe der Aktes zu widmen und sich zugleich demonstrativ gegen Duchamps Postulat vom Ende der figurativen Malerei zu wenden.

Die Nähe von Fotografie und Malerie wurde dem Bild jedoch immer wieder zum Verhängnis. Denn Facebook ist nicht die einzige öffentliche Plattform, die versucht hat, das Richter-Werk zu verbannen. Schon kurz nach der Entstehung des Bildes war sich die Kunstwelt uneinig. So hatte der damalige Direktor der Berliner Nationalgalerie aufgrund der fotografischen Realität, den Ankauf des Bildes vehement abgelehnt: “Ich sammle keine Photos, sondern Malerei”. (2) Und als das Werk 1970 auf dem Cover des französischen Kunstmagazins “L’art vivant” erschien, wurde dem Herausgeber Aimé Maeght  mit einer Anzeige “wegen Verletzung der öffentlichen Moral und des Pornografiegesetzes” gedroht. Erst nachdem er belegt hatte, dass es sich um keine Fotografie, sondern um ein Ölgemälde handle und er sich auf die Tradition der Aktmalerei in der Kunstgeschichte berief, wurde von einer Anklage abgesehen. (3)

Doch am Ende dieser Debatte sollte nicht nur die Kritik am Unwissen der zensierenden Fachggruppen stehen, sondern auch die positive Erkenntnis, dass ein Kunstwerk die Welt immer wieder in Frage stellen kann. Zudem ist es beruhigend zu wissen, dass es Menschen gibt, die die Kunst verstehen und verteidigen, seien es Autoren oder aufgeschlossene Sammler wie Peter und Irene Ludwig, die Richters Akt bereits 1967 erwarben.

 

Anmerkungen

(1) Eva Hess, Prüder als der Vatikan, in: Sonntagszeitung, 21.04.2013.

(2) Dietmar Elger, Gerhard Richter, Maler, Köln 2008, S. 130-134.

(3) EB, Emma, die Nackte, in: Kölner Stadtanzeiger, 29.12.1970.

 

 

Quelle: http://gra.hypotheses.org/722

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Vortrag & Stadtexkursion zu Wiener Hausnummern, 24./25.5.2013

In einem Monat ist es wieder soweit, an der VHS Urania findet mein Hausnummernvortrag und -spaziergang statt!

Wiener Adressen: Hausschilder, Straßennamen und Hausnummern

Vortrag und Exkursion von Anton Tantner im Rahmen von University Meets Public

Beschreibung: Wie findet ein Brief seinen Empfänger? Wie orientieren wir uns in der Stadt? Erst unter Maria Theresia wurden die Häuser in Wien nummeriert, später noch die Straßennamen durch eigene Schilder kenntlich gemacht. Wie dies geschah, ist Thema des Vortrags und der Exkursion. Der genaue Treffpunkt der Exkursion wird im Vortrag bekannt gegeben.

Termin:

Ort: VHS Wiener Urania, 1010 Wien, Uraniastraße 1
Vortrag: Fr, 24.5.2013, 19:00-20:30
Exkursion: Sa, 25.5.2013, 15:00-16:30
Zur Anmeldung

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/351209337/

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Stellenangebot im Bereich kontrollierte Vokabulare für die historische Forschung

Das Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG) in Mainz bietet eine

Stelle für einen sechsmonatigen Forschungsaufenthalt (TV-L E 13)

im Bereich »kontrollierte Vokabulare für die historische Forschung«.

Das Leibniz-Institut für Europäische Geschichte ist eine gemeinnützige Einrichtung zur Förderung der Wissenschaft. Es ist ein selbstständiges außeruniversitäres Forschungsinstitut. Seine Aufgabe ist die wissenschaftliche Erforschung der europäischen Geschichte. Das IEG engagiert sich außerdem bei der Schaffung von Infrastrukturen für Digital Humanities in den historisch arbeitenden Wissenschaften. Unter anderem ist das IEG ein Partner im europäischen DARIAH-Verbund (Digital Research Infrastructure for the Arts and Humanities) und dem deutschen Beitrag, DARIAH-DE.

Im Kontext von DARIAH-DE bietet das IEG eine Stelle für einen sechsmonatigen Forschungsaufenthalt an, möglichst ab Juni 2013. Die Stelle ist in einem Teilprojekt angesiedelt, das sich mit dem Entwurf und der Entwicklung von kontrollierten Vokabularen für die historische Forschung beschäftigt; insbesondere geht es um ein Vokabular für die Beschreibung historischer Ortstypen.

Bewerber sollten entweder einen Hintergrund in Informatik oder einem informatiknahen Fach (z. B. Computerlinguistik) und historisches Interesse haben, oder einen Hintergrund in einer historisch arbeitenden Wissenschaft (z. B. Geschichte, Theologie) und gute Informatikkenntnisse haben.

Es handelt sich um eine halbe Stelle; die Idee ist, dass der Stelleninhaber, die Stelleninhaberin zur Hälfte im Projekt arbeitet und die andere Hälfte der Zeit für die Erarbeitung eines Promotionsprojekts, Förderantrages o. ä. nutzt, mit der Möglichkeit von Austausch und Diskussionen mit Wissenschaftlern am IEG zu profitieren.

Nähere Informationen (in Englisch)

Bewerbungsfrist ist der 7. Mai 2013.

Die Bewerbung von Frauen ist besonders erwünscht. Schwerbehinderte werden bei gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt. Fragen richten Sie bitte an Dr.-Ing. Michael Piotrowski (piotrowski@ieg-mainz.de, Tel. +49 6131 39-39043); bitte beachten Sie die zusätzlichen Informationen in der vollständigen englischsprachigen Ausschreibung).

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=1610

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Das Opfergelände des Himmels und der konfuzianische Staatskult

Das Opfergelände des Himmels (Tiantan 天壇), in westlichen Darstellungen in der Regel vereinfachend und irreführend als “Altar des Himmels”/”Himmelsaltar” beziehungsweise “Himmelstempel” bezeichnet, war der Ort, an dem zwei der wichtigsten Rituale des Staatskultes des kaiserlichen China vollzogen wurden. Dieser Staatskult läßt sich auf vorkonfuzianische Traditionen zurückführen und wurde – durch die Integration vielfältiger Elemente – “Ausdruck jener konfuzianischen Staatsdoktrin, die den Staat zugleich ethisch und kosmologisch legitimierte.”[1].

Die Rituale am Opfergelände des Himmels zählten zu den “großen Opfern”, die in der Regel vom Kaiser persönlich vollzogen wurden. Neben “großen Opfern” (da si 大祀), gab es “mittlere Opfer” (zhong si 中祀) und “Sammelopfer” (qun si 羣祀 ) beziehungsweise “kleine Opfer” (xiao si 小祀).[2]

Plan du Tien-tang ou temple dedié à Chang-ti ou souverain seigneur du ciel / [tirée du P. Duhalde]

Plan du Tien-tang ou temple dedié à Chang-ti ou souverain seigneur du ciel / [tirée du P. Duhalde] | Quelle: gallica

Das Opfergelände des Himmels – durch eine Mauer in zwei gleich große Teile geteilt – wurde zur Zeit der Ming-Dynastie im 9. Jahr der Ära Jiajing 嘉靖 (i.e. 1530) angelegt. Die wohl ausführlichste Beschreibung aus “westlicher” Sicht lieferte der aus den Niederlanden stammende Sinologe J.J.M. de Groot (1854-1921), der im späten 19. Jahrhundert die Opfergelände in Beijing besuchte [3].

Drei Punkte auf dem Opfergelände sollen hier  erwähnt werden:

Runder Hügel auf dem Opfergelände des Himmels, Beijing - Foto: Georg Lehner

Runder Hügel auf dem Opfergelände des Himmels, Beijing – Foto: Georg Lehner

Auf dem im südlichen Bereich gelegenen Runden Hügel (Huanqiu 圜丘) opferte der Kaiser nicht nur zur Wintersonnenwende (dongzhi 冬至) sondern brachte auch im vierten Mondmonat das Gebet um Regen (yu si 雩祀) dar.

In der im nördlichen Bereich gelegenen “Halle des Erntegebets” (Qiniandian 祈年殿) bat er im ersten Mondmonat um eine gute Jahresernte.[4]

Huangqiongyu ("Erhabenes Gewölbe"), Opfergelände des Himmels, Beijing - Foto: Georg Lehner

Huangqiongyu (“Erhabenes Gewölbe”), Opfergelände des Himmels, Beijing – Foto: Georg Lehner

Zwischen den den Nord- und den Südteil dominierenden Punkten lag das Huangqiongyu 皇穹宇, in Übersetzungen meist “Erhabenes Gewölbe” oder “Kaiserliches Himmelsgewölbe” genannt. Darin wurde

“der allerheiligste Fetisch des ganzen Kultes aufbewahrt [...] der ‘Seelensitz’ (shenwei) des Himmelsgottes. Es handelte sich um eine hölzerne Tafel auf einem viereckigen Sockel, in welche die Schriftzeichen huangtian shangdi, ‘erhabener Himmel, oberster Kaiser’, eingeschnitzt waren. Sie stand im nördlichen Teil des Tempelraumes in einem mit Drachenschnitzerei geschmückten Schrein genau in der Nord-Süd-Achse des Tempels mit der Front nach Süden, links und rechts flankiert von den Seelentafeln der verstorbenen Kaiser des herrschenden Hauses.”[5]

 

Mit dem Ende des Kaiserreiches war auch der Staatskult obsolet geworden. Ein letzter Versuch zur neuerlichen Etablierung der Riten am Opfergelände des Himmels wurde schließlich knapp drei Jahre nach dem Ende des Kaiserreiches unternommen. unternommen. Yuan Shikai (1859-1916), Präsident der Republik China, plante, sich zum Kaiser einer neuen Dynastie zu machen und vollzog am 23. Dezember 1914 die zur Wintersonnenwende üblichen Riten am “Opfergelände des Himmels”[6]. Ab 1918 wurde das Gelände als Park öffentlich zugänglich gemacht und 1998 wurde es auf die Weltkulturerbeliste der UNESCO gesetzt[7].

 

  1. Brunhild Staiger, Stefan Friedrich, Hans-Wilm Schütte (Hg.): Das große China-Lexikon. Geschichte – Geographie – Gesellschaft – Politik – Wirtschaft – Bildung – Wissenschaft – Kultur (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2003) Sp. 714 (“Staatskult”, Martin Kern)
  2. Staatliche Kunstsammlungen Dresden: Goldener Drache – Weißer Adler. Kunst im Dienste der Macht am Kaiserhof von China und am sächsisch-polnischen Hof 1644-1795 (München: Hirmer, 2008) 570 (“Zeremonien”, Liang Ke).  Vgl. auch die detaillierte Auflistung der am Ende der Kaiserzeit üblichen Opfer bei H.S. Brunnert, V. V. Hagelstrom: Present Day Political Organization of China (Shanghai: Kelly & Walsh, 1911) 202-207 (no. 572)
  3. J. J. M. de Groot: Universismus. Die Grundlage der Religion und Ethik, des Staatswesens und der Wissenschaften Chinas (Berlin: Reimer 1918) 141-155, zum Kult ebd., 155-186. Daran orientiert sich auch die Darstellung bei Frank Fiedeler: Yin und Yang. Das kosmische Grundmuster in den Kulturformen Chinas (Köln: DuMont, 1993) 68-75 (“Die Opferstätte des Himmels”)
  4. Vgl. Brunnert/Hagelstrom: Present Day Political Organization, 203
  5. Fiedeler: Yin und Yang, 70
  6. Dieter Kuhn: Die Republik China. Entwurf für eine politische Ereignisgeschichte. 3., überarb. u. erw. Aufl., Heidelberg: edition forum 2007), 143 und 148.
  7. Vgl. http://whc.unesco.org/en/list/881

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/399

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Ein unbekanntes Fragment mit den Homilien des Beda Venerabilis

In den letzten Jahren wurden die 386 liturgischen Fragmente, die sich hauptsächlich an den Amtsrechnungen der ehemaligen preußischen Ämter befanden, wissenschaftlich bearbeitet.[1] Ein weiterer Band soll nun die nicht-liturgischen Fragmente erschließen, so dass der gesamte Fragmentbestand aus dem Historischen Staatsarchiv in Königsberg dann der Forschung vorliegt. Die meisten der in diesem Bestand vorhandenen deutschsprachigen Fragmente wurden von Ralf Päsler bereits aufgearbeitet.[2] Gleichwohl sollen diese deutschen Fragmente und die neu aufgetauchten in dem abschließenden Katalog erneut aufgeführt werden.

Recto-Seite 2 mit Beschriftung des Trägerbandes GStA Berlin, vorläufige Signatur XX. HA, Hs 86, Nr. 21 (Bild: Anette Löffler)

Recto-Seite 2 mit Beschriftung des Trägerbandes
GStA Berlin, vorläufige Signatur XX. HA, Hs 86, Nr. 21
(Bild: Anette Löffler)

In diesem Fundus befindet sich ein Doppelblatt aus Pergament, das als Kopert zur Jahresrechnung des Amts Neuhaus in den Jahren 1600/1601 gedient hatte, wie die Kopert-Beschriftung aus dem frühen 17. Jahrhundert ausweist.[3] Die Bindungslöcher der Jahresrechnung sind noch sichtbar, ebenso der Platz des ehemaligen Signaturschildchens. Das für die Sekundärverwendung als Kopert an den Rändern umgeknickte Pergament wurde inzwischen in der Restaurierungsabteilung des GStA geglättet. Die 1. Seite des Doppelblatts wurde am Rand beschnitten, was einen Textverlust von ca. 20% nach sich zog. Mit einem Schriftraum von 370 x 230 mm und einem Außenmaß der kompletten Seite von 400 x 260 mm besaß der ehemalige Codex eine stattliche Größe im Großfolio-Format.

Die Ausstattung ist vergleichsweise unspektakulär. Die Überschriften sind in roten Majuskeln gehalten. Neben einzeiligen schwarzen Lombarden existiert zu Beginn einer neuen Homilie eine vierzeilige rote Lombarde mit ornamentaler Verzierung. Bei der Schrift handelt es sich um eine spätkarolingische Minuskel. Die Datierung dieser Minuskel sowie die Provenienzbestimmung gestaltet sich hingegen schwieriger als erwartet.

Das Schriftbild der Minuskel ist sehr einheitlich und weist einen gleichmäßigen Duktus auf. Die einzelnen Buchstaben sind wenig geneigt. Ober- und Unterlängen sind vergleichsweise kurz, lediglich beim x sind sie weiter nach unten ausladend.  Abbreviaturen werden außerordentlich zurückhaltend verwendet. Der Schreiber benutzt sie lediglich bei Worten wie dni/dno/dns (domini/domino/dominus), xpo/xpm/xpi (Christo/Christum/Christi), apli/aplis (apostoli/apostolis), usq (usque), ee (esse), spu (spiritu), frs (fratres), nros (nostros), kmi (karissimi), nob (nobis), oma (omnia), sci (sancti), dm/ds/do (deum/deus/deo). Pro wird selten abgekürzt (z. B. proposita: Verso-Seite 2, rechte Spalte, Z. 23), dasselbe gilt für per (z. B. semper: Recto-Seite 1, rechte Spalte, 5, Z. von unten). Generell verwendet der Schreiber den gängigen Abkürzungsstrich für m und n. Eine spezifische Ausprägung findet sich bei e caudata, also etwa in den Wörtern nre (nostre) oder ecce (ecclesie). Hier führt der Schreiber von der unteren Rundung des e einen keilförmigen Strich von rechts oben nach links unten.

Aufgrund der Schriftmerkmale ergibt sich eine Datierung in die 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts. Allerdings weist das äußere Erscheinungsbild auf die Abschrift von einer wesentlich älteren Vorlage. Darauf  weist bspw. auch der Schriftmodus auf der Verso-Seite 1 hin, wo eine neue Homilie beginnt. Sowohl die Schrift als auch die Anlage dieser Textstellen verweisen auf einen älteren Text. Die Rubriken führen wie im Homéliaire bavarois folgenden Text [vi]gilia sancti Petri [et Pauli] euangelium secundum Iohannem, gefolgt von dem Text aus Iohannes 21,15-19. Im Anschluss findet sich die Rubrik Omelia [venera]bilis Bede presbiteri [de eode]m lectione.[4] Auch die Schrift ist einer älteren Quelle nachempfunden, indem die Rubriken in Majuskeln ausgeführt werden und zudem auch die Schrift der Vorlage imitiert wird. Dies zeigt sich bspw. an dem Majuskel-M, das durch seine Bögen ganz eindeutig auf entsprechende alte Quellen hinweist.

Ein Vergleich mit anderen Texten ergibt bezüglich der Datierung ein gewissermaßen leicht diffuses Bild. Eine Datierung in die 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts erscheint deshalb angebracht.[5] In Verbindung mit einer möglichen Provenienz gestaltet sich das Bild allerdings nicht einheitlicher. Zwar sind die meisten der von der Schrift vergleichbaren Handschriften im weitestgehend süddeutschen Raum einzuordnen, dennoch dürfte das hier vorliegende Fragment nicht zwangsläufig ebenfalls in dieser Gegend zu verorten sein. Ähnliche Schriftelemente finden sich bspw. in einem möglicherweise aus Köln stammenden Psalter Hs 45, der um 993/996 geschrieben wurde, wobei diese Datierung für die hier vorliegenden Fragmente nicht in Frage kommen.[6] Gleiches gilt für die ähnliche Schriftausprägung in dem Homiliar Cod. Aug. perg. XVI von der Reichenau, das in das 2. Drittel des 10. Jahrhunderts datiert wird.[7] Zwei weitere liturgische Handschriften bzw. Fragmente aus der Mitte des 11. Jahrhunderts sind von der Schrift noch vergleichbar. Dies ist einmal ein Pontifikale aus Südost-Deutschland, welches sich heute in der Stadtbibliothek Schaffhausen befindet,[8] sowie ein wahrscheinlich aus England stammende Psalterfragment aus dem Bestand des Schlossmuseums Sondershausen.[9]

Die in diesem Fall statthaft erscheinende Datierung in die 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts ist eben auch der uneinheitlichen Überlieferung sowie der alten Vorlage geschuldet. Damit ist aber auch wahrscheinlich, dass das vorliegende Homiliar-Fragment nur ganz allgemein aus dem deutschen Überlieferungsbereich stammt. Eine Entstehung in Preussenland scheidet aufgrund des Alters somit vollständig aus.

Auf welchen Wegen diese Handschrift nach Preussenland gelangte, ist nicht mehr rekonstruierbar. Im Ordensland müssten selbstverständlich eine erhebliche Anzahl derartiger Handschriften in Benutzung gewesen sein. Allein schon für das Stundengebet waren derartige Bücher notwendig. Allerdings sind kaum Hinweise auf die Existenz von Homiliaren im Ordensland zu finden. In den Statuten des Deutschen Ordens finden sich weder in der Regel noch in den Gesetzen oder in den Gewohnheiten entsprechende Indizien für eine Verwendung von Homiliaren.[10] Im Großen Ämterbuch des Deutschen Ordens, in dem auch der Buchbesitz in den einzelnen Komtureien, Pfarren und Kirchen wenn auch sehr plakativ und lediglich in quantitativem Maßstab aufgeführt wird, kommt nur zum Jahr 1405 für die Pfarrei Thorn ein omelia de sanctis vor.[11] Nicht von der Hand zu weisen ist natürlich auch die Vermutung, dass die Handschriften, die wir heute als Homiliare bezeichnen in den mittelalterlichen Quellen anderweitig bezeichnet werden, etwa als Lectionarium, Sermonarium o.ä.[12] Auch Arno Mentzel-Reuters konnte in seiner Habilitation über den Buchbesitz im Deutschen Orden keine expliziten Homiliare erkennen.[13] Im Großen Ämterbuch finden sich unter den Begriffen buch mit sermones oder predigbucher wenigstens einige wenige Nachweise.[14] Auch ein buch dorinne lectiones kommt in den Jahre 1507 und 1508 für Preussisch Mark vor.[15]

Dennoch befanden sich im Ordensbesitz mit Sicherheit Homiliare. Nach der Reformation und der Umwandlung des preußischen Ordensstaates in ein weltliches Herzogtum wurde ein Teil der ehemaligen Buchbestände der Ordenskonvente in der Ordensliberei Tapiau aufbewahrt.[16] Diese Bestände wurden 1541-1543 in die Schlossbibliothek nach Königsberg überführt. Von dieser Überführung existiert ein heute im GStA Berlin aufbewahrtes Verzeichnis.[17] Dort finden sich zwar mehrfach Predigtsammlungen sowie einige liturgischen Handschriften, unter den knapp 340 Büchern ist jedoch kein Homiliar genannt oder umschrieben.

Wie die meisten Jahresrechnungen der preußischen Ämter sind auch die des Amtes Neuhaus nahezu lückenlos überliefert. Weitere Fragmente wurden für einige Neuhauser Jahresrechnungen „verarbeitet“. So sind auch die Jahre 1593/94, 1601/02, 1605/06, 1607/08, 1614/15, 1615/16, 1617/18 sowie 1619/20 mit liturgischer Makulatur versehen.[18] In diesen Zeitraum fügt sich das vorliegende Fragmente den Rechnungsjahren 1600/01 perfekt ein. Außerdem legt dies den Gedanken nahe, dass diese Amtsrechnungen offensichtlich von demselben Buchbinder in einer Art konzertierter Aktion eingebunden wurden. Ihre Zugehörigkeit zu einer Konventsbibliothek des Deutschen Ordens gewinnt dadurch an Gewicht, dass es sich bei der liturgischen Makulatur um Handschriften handelt, die der Liturgie des Deutschen Ordens folgten.[19]

Beginn der Homilie zu Vigilia Petri et Pauli GStA Berlin, vorläufige Signatur XX. HA, Hs 86, Nr. 21 (Bild: Anette Löffler)

Beginn der Homilie zu Vigilia Petri et Pauli
GStA Berlin, vorläufige Signatur XX. HA, Hs 86, Nr. 21
(Bild: Anette Löffler)

Inhaltlich gesehen handelt es sich um Teile der Homilien 20 und 22 des Beda Venerabilis.[20] Aus den fehlenden Textteilen ergibt sich, dass es sich bei diesem Doppelblatt um das zweitinnerste einer Lage handeln muss. Beide Homilien entstammen dem Sanktorale. Homilia 20 birgt Teile zu dem Fest der Geburt Johannes des Täufers (24. Juni), Homilia 22 mit dem Initium Virtutem nobis perfectae dilectionis den Beginn zur Vigil von Petrus und Paulus (28. Juni). Diese beiden Homilien finden sich außer im Homéliaire bavarois noch im Homiliar von Mondsee, im Homiliar des Hrabanus Maurus sowie in der Sammlung des Smaragdus.[21] Ihren Stammplatz besitzen diese beiden Homilien allerdings im Homeliar des Paulus Diaconus, wo sie auch direkt aufeinander folgen.[22] In der genannten Reihenfolge erscheinen die beiden Homilien auch im Homeliar von Mont Saint-Michel, einer Handschrift des 12. Jahrhunderts.[23] Die Homilie zur vigilia von Petrus und Paulus ist allerdings nicht mit der im Fragment vorliegenden identisch, obwohl das Initium gleich beginnt, dann aber wie schon aus der Überschrift im Codex kenntlich sich als Omelia Claudii presb. de eodem lectione, also einem Auslegungsteil des Alcuin zum Johannes-Evangelium, erweist.[24]

Die textliche Überlieferung orientiert sich überwiegend an der Handschriftenfamilie, die in der Edition der Classis I B (Codices deteriores) zugehörig sind.[25] Lediglich mit der Handschrift L der Classis II A (Codices meliores) weist das Fragment weitere Gemeinsamkeit in der Textüberlieferung auf.[26]Alle vier Textzeugen stammen aus dem 10. bis 11. Jahrhundert. Allerdings sind im vorliegenden Fragment weitere, in der Edition nicht berücksichtigte, Textvarianten vorhanden. In Homilia 20 wird das Wort autem durch ein enim ersetzt.[27] Und zu Beginn der Homilia 22 heißt es im Fragment totiens statt toties und wenige Zeilen darunter in dominum statt in deum.[28] Noch eine weitere Abweichung taucht in Homilia 22 auf, nämlich die Einfügung von et gegen Ende des Textes.[29]

 

[1] Anette Löffler: Fragmente liturgischer Handschriften des Deutschen Ordens im Historischen Staatsarchiv Königsberg (Einzelschriften der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung 18, hg. von Udo Arnold), Lüneburg 2001; dies.: Fragmente liturgischer Handschriften des Deutschen Ordens aus dem Historischen Staatsarchiv Königsberg/Preußen II (Einzelschriften der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung 24, hg. von Udo Arnold), Marburg 2004; dies.: Fragmente liturgischer Handschriften des Deutschen Ordens im Historischen Staatsarchiv Königsberg/Preußen III (Einzelschriften der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung 28, hg. von Udo Arnold), Marburg 2009.

[2] Ralf Päsler: Katalog der mittelalterlichen deutschsprachigen Handschriften der ehemaligen Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg (Schriften des Bundesinstituts für Ostdeutsche Kultur und Geschichte 15, hg. von Uwe Meves), Oldenburg 2000, hier S. 154-179. Dazu auch ders.: Deutschsprachige Sachliteratur im Preußenland bis 1500. Untersuchungen zu ihrer Überlieferung (Aus Archiven, Bibliotheken und Museen Mittel- und Osteuropas 2, hg. von Klaus Garber und Axel E. Walter), Köln 2003.

[3] Signatur des Trägerbandes: GStA Berlin, XX. HA., Ostpr. Fol. 7662. Das Fragment trägt die vorläufige Signatur Hs 86, Nr. 21.

[4] Henri Barré: Les Homéliares carolingiens de l’École d’Auxerre. Authenticité – Inventaire – Tableaux comparatifs – Initia (Studi e Testi 225), Città del Vaticano 1962, S. 25-26 und 218.

[5] Für kollegialen Rat danke ich einmal mehr Prof: Dr. Herrad Spilling, Stuttgart.

[6] Glaube und Wissen im Mittelalter. Die Kölner Dombibliothek, Köln 1998, S. 219-224, mit weiterer Literatur.

[7] Vor dem Jahr 1000. Abendländische Buchkunst zur Zeit der Kaiserin Theophanu, Köln 1991, S. 116-117, mit weiterer Literatur.

[8] Europas Mitte um 1000, hg. von Alfried Wieczorek / Hans-Martin Hinz, 3 Bde., Stuttgart 2000, hier Bd. 3, S. 434-435.

[9] Bestandskatalog zur Sammlung Handschriften- und Inkunabelfragmente des Schloßmuseums Sondershausen, hg. von Gerlinde Huber-Rebenich / Christa Hirschler (Sondershäuser Kataloge III), bearb. von Matthias Eifler, Almuth Märker und Katrin Wenzel, Jena 2004, S. 119.

[10] Max Perlbach (Hg.): Die Statuten des Deutschen Ordens, Halle 1890, ND Hildesheim 1975.

[11] Walther Ziesemer (Hg.): Das Größe Ämterbuch des Deutschen Ordens, Danzig 1921, S. 462, Z. 7.

[12] Ein mitteldeutsches Lektionarfragment aus der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts befindet sich bspw. unter den deutschen Königsberger Fragmenten, s. Ralf Päsler: Katalog der mittelalterlichen deutschsprachigen Handschriften der ehemaligen Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, hg. von Uwe Meves (Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 15), München 2000, S. 173.

[13] Arno Mentzel-Reuters: Arma spiritualia. Bibliotheken, Bücher und Bildung im Deutschen Orden (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 47, hg. von Michael Knoche), Wiesbaden 2003.

[14] Ziesemer (wie Anm. 11) für den obersten Marschall in der Komturei Königsberg in den Jahren 1431-1438 16 predigebucher, S. 29, Z. 15; S. 32, Z. 13; S. 34, Z. 35; S. 39, Z. 6; S. 40, Z.21 oder für die Sakristei der Komturei Osterrode 1449 5 bucher sermonen S. 337, Z. 31 und 35.

[15] Ziesemer (wie Anm. 11), S. 146, Z. 27 und S. 147, Z. 37.

[16] Hans-Georg Malz: Das Bibliothekswesen des Deutschen Ordens in Preußen unter besonderer Berücksichtigung des Verzeichnisses der Ordensliberei Tapiau, ungedruckte Diplomarbeit, Köln 1970, hier S. 55 ff.

[17] GStA Berlin, EM, Tit. 71,1, Nr. 43. Ein weiterer Abdruck auch bei Eckhard Grunewald: Das Register der Ordensliberei Tapiau aus den Jahren 1541-1543, in: Berichte und Forschungen. Jahrbuch des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 1 (1993), S. 55-91.

[18] Löffler I (wie Anm. 1), Nr. 128, S. 157-158; Nr. 133-137, S. 162-169; Nr. 139, S. 170-172.

[19] Nr. 128, 135, 137, 139 und 140: Missale OT;Nr. 133 und 134: Antiphonarium OT;

[20] Beda Venerabilis Opera, Pars III: Opera homiletica, Pars IV: Opera rhytmica (Corpus Christianorum, Series Latina 122), Turnhout 1965, S. 333-334, 342, 344 und. 346-348. Patrologiae cursus completus, series Latina (künftig: PL), hg. von Jacques-Paul Migne, Paris 1844 ff., 94, Sp. 210-214 und 214-219.

[21] Barré (wie Anm. 4), S. 25-26 und 218.

[22] Reginald Grégoire: Homéliaires liturgiques médiévaux. Analyse de mansucrtits (Biblioteca della „Studi medievali“ 12), Spoleto 1980, S. 461, Nr. 44-45, in der Überlieferung der Karlsruher Handschrift Hs. Augiensis 15 aus dem 9. Jahrhundert..

[23] Raymond Étaix: Homéliaries patristiques latins. Recueil d’études de manuscrits médiévaux (Collection des études Augustiniennes, Série moyen âge et temps modernes 29), Paris 1994, S. 281, Nr. 129, zu Beginn des Sommerteils des Sanktorale.

[24] Étaix (wie Anm. 23), S. 281; PL 100, Sp. 1000D-1003B.

[25] CCSL 122 (wie Anm. 20), S. XVII-XVIII.

[26] CC SL 122 (wie Anm. 20), S. XVIII.

[27] CCSL 122, (wie Anm. 20), S. 333, Z. 178.

[28] CC SL 122 (wie Anm. 20), S. 344, Z. 7 und 10.

[29]  CC SL 122, (wie Anm. 20), S. 347, Z. 206, zwischen erant und ceteri.

Über die Autorin: Dr. Anette Löffler M.A. promovierte zu einem Thema der spätmittelalterlichen hessischen Landesgeschichte. Nach der Promotion war sie in verschiedenen Handschriftenabteilungen, in Bibliotheken und Archiven als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Liturgie des Deutschen Ordens, Fragmentforschung sowie die Erforschung mittelalterlicher Buch- und Bibliotheksbestände.

Sie können den gesamten Beitrag auch als pdf-Datei herunterladen: download

 

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/889

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IFK-Vortrag von Martin Mauersberg über die griechischen „Kolonien“

Kommenden Montag am IFK: Vortrag von Junior Fellow Martin Mauersberg!

Martin Mauersberg: Das Unbehagen an der Tautologie. Waren die Griechischen Kolonien „Kolonien“?

Zeit: Mo, 29.4.2013 , 18:00 Uhr
Ort: IFK, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien

Betrachtet man altertumswissenschaftliche Publikationen des vergangenen Jahrzehnts zur griechischen Kolonisation, die auf einer allgemeineren Ebene dieses Phänomen der Besiedlung der Mittelmeerküsten durch Personengruppen aus dem Ägäisraum in der Zeit zwischen dem 8. und 6. Jahrhundert v. u. Z. behandeln, sind klare Zeichen eines bestimmten Unbehagens beobachtbar. Dieses manifestiert sich darin, dass sich die AutorInnen dazu veranlasst sehen, Stellung zu der Verwendung des Begriffs Kolonie zu beziehen. Das Unbehagen wird dadurch ausgelöst, dass das Bild der aktuelleren Rekonstruktionen nicht mehr unbedingt mit dem Begriff Kolonie übereinstimmt. Die Konsequenzen, die daraus gezogen werden, fallen sehr unterschiedlich aus, wobei die pragmatische Position der Beibehaltung überwiegt. Aber gerade dieses Beharren auf dem Begriff, bei gleichzeitigem Eingeständnis seiner Mangelhaftigkeit, macht deutlich, dass es sich nicht bloß um ein Problem seiner Übereinstimmung mit dem von ihm bezeichneten Phänomen handelt. Es geht vielmehr um die fundamentale Verankerung der durch ihn transportierten sinnstiftenden Muster. Deshalb müssen wir die Grundbedingungen des modernen altertumswissenschaftlichen Blicks auf weit zurückliegende Ereignisse zur Diskussion stellen.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/351208927/

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Links zu 1848 und zur Politikgeschichte des 19. Jahrhunderts (1)

Schon zu lange hat dieses Blog keinerlei Linkliste – nicht weil das nicht von Anfang an als wünschenswert erschienen wäre, sondern weil der Vorsatz, noch weitere Links zu suchen, bislang der Veröffentlichung des schon Bekannten im Wege stand. Dabei soll es aber nicht länger bleiben. Daher hier eine erste Auswahl sowohl an Webseiten als auch an Blogs von Institutionen und Gruppen, die uns in der einen oder anderen Weise zu den Themen von „achtundvierzig“ relevant erscheinen.

Wer Seiten kennt – oder selbst betreibt! – die auf einer solchen Liste stehen sollten, hier aber nicht aufscheinen, ist herzlich eingeladen, über einen Kommentar Hinweise zu geben. Diese werden dann in einen Teil (2), und womöglich noch weitere, zu diesem Beitrag einfließen.

Blogs

Das 19. Jahrhundert in Perspektive

Eines von mehreren Blogs, die vom oder am Deutschen Historischen Institut in Paris betrieben werden – einer der Institutionen, die für die Initiierung von de.hypotheses.org und für dessen Betrieb maßgeblich waren und sind. Hier werden die Forschungsprojekte und Aktivitäten des DHIP zum 19. Jahrhundert vorgestellt, daneben auch Forschungsvorhaben anderer zur Geschichte Deutschlands, Frankreichs und Europas im 19. Jahrhundert. Außerdem werden Hinweise auf Veranstaltungen und Neuveröffentlichungen des Instituts und anderer Einrichtungen publiziert.

Actualité du XIXe siècle

Blog der Société d’histoire de la Révolution de 1848 et des révolutions du XIXe siècle (siehe unten). Berichtet wird insbesondere über neue Publikationen, Abschlussarbeiten und Veranstaltungen in Frankreich, namentlich zur Geschichte der Revolutionen, aber auch zu zahlreichen anderen Aspekten der Geschichte dieser Zeit.

Revolution-francaise.fr

Das Blog der Société d’études robespierristes, Herausgeberin der vielleicht berühmtesten revolutionsgeschichtlichen Zeitschrift, der Annales historiques de la Révolution française. Natürlich überwiegend zu den Jahren 1789 ff., aber wer wollte auch nur für einen Augenblick behaupten, dass die für die Geschichte der Revolutionen im 19. Jahrhundert verzichtbar wären?

Webseiten

Société d’histoire de la Révolution de 1848 et des révolutions du XIXe siècle

Zweifellos in ganz Europa die ausgewiesenste und aktivste Gesellschaft speziell zur Erforschung der Revolution von 1848. Die Société besteht bereits seit 1904 unter wechselnden Namen. In jüngeren Jahrzehnten hat sich das Spektrum der in ihr vernetzten Forschungen zum 19. Jahrhundert vielfach erweitert, ohne freilich das zentrale Interesse an 1848 und den weiteren Stationen der „revolutionären Sequenz“ je aus dem Blick zu verlieren. Die wichtige Zeitschrift der Gesellschaft, die Revue d’histoire du XIXe siècle, ist erfreulicherweise zu großen Teilen online verfügbar.

Hambach-Gesellschaft

Die 1986 gegründete Gesellschaft trägt ihren Namen in Erinnerung an das berühmte Hambacher Fest von 1832. Sie widmet sich der Erforschung der liberalen und demokratischen Bewegungen in Deutschland, aber auch der Gegner der Demokratie, und bekennt sich dazu, dass „die Werte und Ziele des Hambacher Festes gelebt und immer wieder verinnerlicht werden müssen. Die europäische Einigung, eine dauerhafte Friedenssicherung und eine gerechte Sozialordnung sind nicht die Ergebnisse eines abgeschlossenen historischen Prozesses: Daran zu erinnern und für diese Werte einzutreten sind wichtige Ziele“. Hierzu wird neben der Organisation von Veranstaltungen unterschiedlicher Art die Zeitschrift Jahrbuch der Hambach-Gesellschaft herausgegeben.

Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte

Die Erinnerungsstätte ist eine 1974 gegründete Außenstelle des Bundesarchivs in Rastatt, einem wichtigen Schauplatz revolutionärer Ereignisse besonders im Mai/Juni 1849. Neben der Revolution von 1848/49 beschäftigt sie sich insbesondere auch mit den Freiheitsbewegungen in der DDR und den Ereignissen von 1989. Zu beiden Themen kann dort eine Dauerausstellung besichtigt werden; zudem ist die Erinnerungsstätte Schauplatz von Vorträgen, versteht sich als politisches Diskussionsforum und ist als außerschulischer Lernort anerkannt.

demokratiegeschichte.eu

Die Seite präsentiert die Inhalte der vom Institut für geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz konzipierten Ausstellung auf dem Hambacher Schloss, eine Reihe von biographischen Artikeln sowie weitere Informationen und Links zur Geschichte der Revolutionen und der Grund- und Freiheitsrechte in Deutschland und Europa im 19. Jahrhundert.

Forum Vormärz Forschung

Das Forum widmet sich der Förderung der öffentlichen, wissenschaftlichen und literarischen Rezeption der Literatur des Vormärz. Gerade weil dabei auch besonderes Augenmerk auf den Zusammenhang von gesellschaftlicher und literarischer Entwicklung gelegt wird, ist keineswegs nur für LiteraturwissenschaftlerInnen, sondern durchaus auch für HistorikerInnen viel Interessantes dabei.

 

Quelle: http://achtundvierzig.hypotheses.org/191

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Wie hältst Du’s mit der Qualität? Gretchen online

Dieser Blogpost ist als Beitrag zur Vorbereitung der Tagung „Nachwuchs in den Geisteswissenschaften“ am 10. und 11. Juni am Deutschen Historischen Institut Paris gedacht, die die Frage nach den Folgen der digitalen Revolution auf den geisteswissenschaftlichen Nachwuchs stellt (#dhiha5). Am Ende der Veranstaltung soll ein gemeinsam von französischen und deutschen Nachwuchswissenschaftlern auf den Weg gebrachtes Manifest stehen.

Wie man ein solches Unternehmen vorbereitet? Mit einer Blogparade. Vier Themenbereiche:

1. Wie verändert die Digitalisierung unsere Forschungskultur?

2. Wie sollten Nachwuchswissenschaftler während des Studiums auf die Umbrüche vorbereitet werden?
3. Wie können die beiden wissenschaftlichen Eckpfeiler „Qualitätssicherung“ und „Evaluierung“ ins Digitale transferiert werden?
4. Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf das wissenschaftliche Curriculum und wie stehen die Bedürfnisse des Nachwuchses zum Angebot der Forschungsförderer?

Auf geht’s, ich beschäftige mich mit Punkt 3. Und bin gespannt, was die französischen Kollegen aus der Fragestellung machen, denn ich hege die dunkle Ahnung, dass ein Terminus wie „Qualitätssicherung“ ein typisch deutscher ist und dass gerade der Umgang mit Netzformaten zur Kommunikation und Publikation in Frankreich sehr viel weniger skepsisbehaftet und deutlich spielerischer ist als bei uns, und das eben nicht nur im privaten Bereich, sondern auch im professionellen, gar wissenschaftlichen Kontext.

Aber fangen wir mit dem zweiten Begriff an, der „Evaluierung“. Es scheint auf der Hand zu liegen, dass mit steigendem Anteil wissenschaftlicher Online-Publikationen ein permanentes Schrauben an den (häufig zementiert wirkenden) Anerkennungsmechanismen innerhalb der Wissenschaft stattfinden sollte, wie sie etwa bei Berufungen oder Drittmittelvergaben angewendet werden. Mit Online-Publikationen sind hier explizit nicht nur eBooks oder Open-Access-Zeitschriften gemeint, die in der Regel ISB- und ISS-Nummern besitzen und zumindest formal schon heute problemlos in den wissenschaftlichen CV Eingang finden (wobei das Problem des Impact Factors offenkundig bleibt, hier aber außen vor bleiben soll). Gemeint sind also insbesondere auch jene scheinbar innovativen Netz-Publikationsformate wie Blogs, Mikroblogs (z.B. Twitter) oder Wikis. Tatsächlich bestimmen sie im privaten Bereich längst das Leben des Nachwuchses – nicht so das professionelle. Web 2.0 bleibt Privatvergnügen und wird dem Doktorvater oft in vorauseilendem Gehorsam hinter vorgehalter Hand gebeichtet – weil an vielen Lehrstühlen ein geringes Maß an Erfahrung mit neuen Textformaten dementsprechende Vorurteile nährt. Ganz gleich, wie anspruchsvoll die vom Nachwuchs online kommunizierten Inhalte sind, die Assoziation mit ungezählten privaten Blogs und Foren, deren Anspruch nicht weit über den Austausch von Häkelmustern hinausgeht, klebt wie Teer an den Schreibtischen vieler Professoren. Und die Skepsis scheint dominant vererbt zu werden, zumindest gewinnt man diesen ernüchternden Eindruck im Gespräch mit jungen Wissenschaftlern. Que faire?

Ich versuche es hier so konkret wie möglich:

  • Ein wichtiger erster Schritt ist mit der Gründung wissenschaftlicher Blogumgebungen wie etwa de.hypotheses.org und der Vergabemöglichkeit von ISS-Nummern für etablierte Blogs getan. Dass Letzteres bislang nur durch die französische Nationalbibliothek erfolgt, erscheint symptomatisch für die German Angst vor dem Verfall von Wissenschaftskultur durch das Internet.
  • Ob eine ähnliche Evaluierungsgrundlage für andere Textgenres im wissenschaftlich genutzten Netz möglich ist, bleibt fraglich. Wie etwa sollte sie bei Twitter aussehen? Nationale Einrichtungen für die Anerkennung professionell genutzter Accounts? Keine schöne Vorstellung, zumal der Reiz eines Twitteraccounts für die anderen Twitteranians auch in der richtigen Mischung fachlicher Tweets und dem Ausdruck von Persönlichkeit begründet liegt, wozu eben auch die eine oder andere private Botschaft gehört. Und hier zeigt sich vielleicht eines der Grundprobleme: Social Media ist mit Spaß verbunden, und beides ist leider wenig kompatibel mit offiziellen Evaluierungsrichtlinien.
  • Abgesehen vom Mikroblogging gibt es aber eine Reihe von Online-Formaten, die heute schon häufiger und besser in Antrags- und Bewerbungszusammenhängen verwertet werden könnten (Blogs, Wikis, Kommentare, Preprints usw.). Natürlich ist der Ruf nach mehr Offenheit bei den Förderinstitutionen und Universitäten gerechtfertigt. Andererseits – ganz primär und zuallererst – auch jener nach mehr Mut bei Antragstellern und Bewerbern. Ich hoffe auf eine Generation, die mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der sie online kommentiert oder Forschungsskizzen und -diskurse bloggt, die ihr substanziell erscheinenden Beiträge auch in der eigenen Literaturliste im DFG-Antrag aufführt. Und hier sind wir bei einem weiteren Grundproblem: Trauen wir als Wissenschaftler uns wirklich (schon), Substanzielles (nur) online zu publizieren, oder landet es nicht doch auf Papier?

Zurück zur Frage der Qualitätssicherung, die ja zumindest für das Blogwesen bereits anklang, wo Blogportalbetreiber als redaktionsähnliche Filter agieren können, um die Wissenschaftlichkeit publizierter Inhalte sicherzustellen.

Andererseits stellt sich die Frage, ob es nicht geradezu absurd ist, einem Medium die Standards eines alten Mediums (die des Papiers, das nur begrenzten Platz bietet) überzustülpen, nur um die Ansprüche derer zu bedienen, die sich vom alten Medium (noch) nicht lösen. Das Absurde daran ist wohl, dass man auf diese Weise das neue Medium daran hindert, seine spezifischen Mehrwerte und Vorteile zu entfalten, und damit ist der Teufelskreis perfekt, weil die Anreize für Akzeptanz oder gar Umstieg damit beschnitten werden. Seit Langem schon gibt es daher – oft als traumtänzerische Idealisten belächelte – Verfechter der These „publish first filter later“[1] als Antwort auf die immer wiederkehrende Frage, wie denn Qualitätssicherung für wissenschaftliche Netzinhalte organisiert werden solle angesichts der wachsenden Textberge (die es by the way auch auf Papier gibt).

Aber sie haben gute Argumente, diese Verfechter. Internet ist per se weniger Publikation denn Kommunikation. Nahezu alle wirklich erfolgreichen Netzformate setzen auf individuelle Selektion, das heißt den Verzicht auf eine objektive filternde Instanz, an deren Stelle das Individuum als Filter tritt. Das ist natürlich stark vereinfacht, weil es de facto immer filternde Gruppen gibt, die den Einzelnen entlasten: Bei Facebook und Twitter filtern die Bekanntenkreise vor und mit. Bei der Wikipedia sind es die, die neben mir selbst über Spezialwissen zum jeweiligen Artikel verfügen und so weiter. Entscheidend aber ist der Verzicht auf die (vermeintlich) neutrale Vorinstanz. Erfolg hat, was wahrgenommen wird. „Wahrgenommen zu werden“ hat natürlich je nach Thema unterschiedliche Schwellen: Ein gutes Blogpost zu einem abseitigen historischen Spezialthema wird mit 20 ernsthaften Lesern und drei Kommentaren als ähnlich erfolgreich gelten können wie ein tausendfach geklickter Artikel zu Angela Merkels Urlaubsfotos auf Spiegel Online. Es geht nicht um Masse, sondern um Machbarkeit. Zweifellos ist die Machbarkeit, also die Fähigkeit zum Erreichen möglichst vieler potentiell Interessierter, online größer als in einem papiernen Fachjournal mit winziger Auflage. Das qualitativ schlechte Blogpost zum obigen Spezialthema hat nur 5 Leser, keinen Kommentar und bleibt unsichtbar, während der Link zum guten per Emails, Twitter, Literaturliste und Mund-zu-Mund-Propaganda in der Wahrnehmung der Fachkreise hochgespült wird. So sähe das „filter later“ im Idealfall aus. Wie realistisch das Szenario ist, liegt in unser aller Hand.

Apropos realistisch: Realistisch ist, dass das klassische Peer Reviewing – wie oft blind auch immer – auf absehbare Zeit zumindest in den Geisteswissenschaften tonangebend bleibt. Das (insbesondere deutschsprachige) geisteswissenschaftliche Währungssystem ist behäbig. Der Unterschied zwischen „online“ und „offline“ bleibt so lange ein verhältnismäßig kleiner, wie sich ein vorgelagertes Peer Reviewing „unsichtbar“ abspielt und das vermeintlich fertige Textwerkstück ganz am Ende statt auf Papier ins Netz gegossen wird. Ein vorgelagertes Open-Peer-Reviewing kann es öffnen, eventuell sogar fortentwickeln oder ergänzen, bleibt aber der alten Idee verhaftet, es gäbe so etwas wie einen „fertigen Text“, der zum Zeitpunkt der offiziellen Publikation zumindest temporär statisch sein soll und darf.

Dass dies eine Illusion ist, deren Ursprung im Papier begründet liegt, ist offensichtlich. Um beim oben skizzierten Idealfall zu bleiben: Das gute Spezialpost nimmt natürlich die drei eingegangenen fundierten Kommentare von Kollegen aus aller Welt auf, verarbeitet sie und publiziert ein neues Post, einen Aufsatz oder eine Monographie – selbstverständlich online und selbstverständlich mit Kommentarmöglichkeit. Denn was ist schon fertig.

[1] Z.B. David Gauntlett oder Hubertus Kohle. Der Slogan geht zurück auf Clay Shirky (2008): “Here Comes Everybody. The Power of Organizing Without Organizations”

Quelle: http://rkb.hypotheses.org/498

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