Das Forschungsprojekt

Am 13. Februar 1870 meldete die Neue Freie Presse: „Unter dem Vorsitze des Herrn Gustav Struve hat sich vorgestern ein Verein der Freunde der natürlichen Lebensweise constituiert.“ Für den darauffolgenden Sonntag wurde eine erste Sitzung angekündigt, bei der unter anderem ein Vortrag zur „ökonomischen Seite der Pflanzenkost“ auf der Tagesordnung stand. Auch wenn diese Vereinsgründung nicht als Beginn einer kontinuierlichen, organisierten Vegetarier/innen-Bewegung Wiens betrachtet werden kann, zeigt sie, dass der „Vegetarianismus“ (so der zeitgenössische Terminus) im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts auch in der Hauptstadt der Habsburgermonarchie angekommen war.
Rund dreißig Jahre darauf hatte sich in Wien eine lebendige vegetarische Szene etabliert. Mehrere Restaurants boten fleischfreie Speisen an, im ersten Reformhaus konnten Interessierte „Pflanzenbutter“ oder vegetarische Kochbücher erstehen und verschiedene Vereine luden zu Vorträgen rund um das Thema Vegetarismus ein. Weitere dreißig Jahre später war zwar die Zahl der Mitglieder im Wiener Vegetarierverein nicht signifikant gestiegen, fleischlose Ernährung war aber über die vegetarische Community hinaus buchstäblich in vieler Munde: Zeitungen druckten vegetarische Rezepte ab und vor allem die Vitaminforschung hatte dazu beigetragen, dass die Ernährungsempfehlungen revidiert wurden und Obst und Gemüse zu Lasten von Fleisch einen höheren Stellenwert im Speiseplan bekamen.

Die NS-Herrschaft bedeutete in vieler Hinsicht das Ende der „ersten“ vegetarischen Bewegung in Wien: trotz Anbiederungsversuchen von Funktionären des Wiener Vegetariervereins und teilweise ideologischen Verbindungslinien duldeten die Nationalsozialisten keine alternativen Lebens- und Gesellschaftsentwürfe.

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Quelle: https://veggie.hypotheses.org/19

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