Stalingrad im kollektiven Gedächtnis der Wolgograder Bevölkerung. Wie sich der Generationenwechsel auf die Erinnerung auswirkt

bundesarchiv_bild_183-w0506-316_russland_kampf_um_stalingrad_siegesflaggeÜber dem zentralen Platz in Stalingrad weht die sowjetische Fahne – die Rote Armee hat gesiegt; Ende Januar, Anfang Februar 1943, Foto: Bundesarchiv, Bild 183-P0613-308 / CC-BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Für die historische Perzeption und das sogenannte kollektive Gedächtnis in der Russländischen Föderation stellt der Zweite Weltkrieg eine entscheidende Zäsur dar. Die russländische Erinnerungskultur ist geprägt von einem Siegeskult, der Stolz und eine gewisse Ehrerbietung den Veteranen gegenüber offenbart.

In diesem Blog-Eintrag wird untersucht, wie die Schlacht von Stalingrad von der Wolgograder Bevölkerung kollektiv erinnert wird, und inwieweit der Wandel der Generationen die Rezeption der Schlacht von Stalingrad verändert. Dies ist insbesondere für die Identitätsbildung, welche sich aus der kollektiven Erinnerung speist, eine bedeutende Frage, denn eine Änderung des allgemeinen Gedächtnisses ist auch für den Wandel der ‚nationalen Identität‘ verantwortlich.

 

Zunächst soll die historische Entwicklung der allgemeinen sowjetisch-russischen Erinnerung skizziert werden.

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Quelle: https://erinnerung.hypotheses.org/1067

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Die „Generationen“ des Zweiten Weltkriegs: Journalismus

Die Journalistin Sabine Bode hat 2004 begonnen, eine ganze Reihe von Büchern zu den verschiedenen Generationen des Zweiten Weltkriegs zu schreiben, von der „vergessenen Generation“ der Kriegskinder über die Nachkriegskinder bis hin zu den Kriegsenkeln.1Das Thema der Kriegs- aber auch der Nachkriegskinder gewann bis 2012 zunehmend an Popularität, wobei Generationenzuschreibungen wie „geprügelte Generation“ und „Generationen im Schatten des Zweiten Weltkriegs“ bei den Buchtiteln häufig vorkommen.2
Dabei ist der Generationenbegriff für diese Gruppen nicht sehr passend, da diese sich oft selbst nicht als Generation mit gemeinsamer Identität und gemeinsamen Erfahrungen begreifen.3 Vielleicht führen diese Bücher aber auch gerade erst zum Entstehen dieses Generationengefühls, was sich daran ablesen lässt, dass diese Selbstzuschreibung zunehmen,4 beispielsweise bei Selbstberichten in Internetforen und Blogs.5
In den Büchern von Bode wird festgestellt, dass die Kriegskinder „lange von der psychologischen Forschung so gut wie unbeachtet“ geblieben und daher Langzeitfolgen schwer zu beurteilen sind.6 Für die besondere „German Angst“ stellt Bode die These auf, dass von den Kriegskindern der Jahrgänge 1928 bis 1945 „unbewußte[...] Ängste an Nachgeborene weitergegeben wurden“,7 was zu einem extremen Sicherheitsbedürfnis in der Nachkriegszeit geführt habe. Bode, selbst ein 1947 geborenes Nachkriegskind, berichtet im gleichnamigen Buch über ihre erste große Angst in ihrer Kindheit, an die sie sich erinnern kann: die Angst vor einem Dritten Weltkrieg bei Ausbruch des Koreakriegs:8

„’Krieg’ gehörte zu meinem frühen Wortschatz. Als Dreijährige wurde ich mehrmals am Tag ermahnt: ‚Pst, Nachrichten! Krieg!’ Die Erwachsenen wollten Radio hören. Etwas Unheimliches ballte sich in unserer Küche zusammen: Korea im Sommer 1950. Der Zweite Weltkrieg lag gerade fünf Jahre zurück, als die Angst vor einem Dritten Weltkrieg aufstieg. In dieser Zeit konnte ich manchmal vor Angst nicht einschlafen. [...] Der Krieg war aus und überall.“

Bode beurteilt die Ergebnisse der deutschen Nachkriegskinderstudie sehr kritisch, da dabei vor allem Messungen für die Einteilung der Kinder nach der Kretschmarschen Typenlehre vorgenommen worden seien, nach der Methode: „Was man nicht messen kann, das existiert auch nicht“9 . Umgekehrt ist es bei der vorgestellten Literatur so, dass die „Übertragungen“ zwischen den Generationen kaum objektiv nachgewiesen wurden. Wissenschaftliche Kriterien der Reliabilität, Objektivität und Validität sind hier nicht anwendbar oder werden gar durch Subjektivität als Erkenntnismittel ersetzt. Seit 2012 ist das Thema Nachkriegskindheit auch in den Zeitungen häufiger präsent.10  Mittlerweile werden Workshops veranstaltet und spezielle Kriegs- und Nachkriegskinder-Therapien angeboten. Fernsehserien wie „Unsere Mütter, unsere Väter“11 und Dokus wie „Wir Kriegskinder – wie die Angst in uns weiterlebt“12 führen das Thema in die Familien, die so Anlass geben, vielleicht zum letzten Mal, einen intergenerationellen Austausch zu führen, die Vergangenheit einzuordnen und Fragen zu stellen, wie es vorher in vielen Fällen oft nicht getan wurde.

Quelle: Foerster, S. (2013). Von den „Deutschen Nachkriegskindern“ zu einer Längsschnittstudie der Entwicklung über die Lebensspanne. Evaluation der Methodologie einer Stichprobenreaktivierung (Diplomarbeit). Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn, S. 10-12.
  1. Bode, S. (2004). Die vergessene Generation. Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen. München: Piper.
    Bode, S. (2008). Die deutsche Krankheit. German Angst. München: Piper.
    Bode, S. (2009). Kriegsenkel. Die Erben der vergessenen Generation. Stuttgart: Klett-Cotta.
    Bode, S. (2011). Nachkriegskinder. Die 1950er Jahrgänge und ihre Soldatenväter. Stuttgart: Klett-Cotta.
  2. Lorenz, H. (2005). Kriegskinder: Das Schicksal einer Generation. List Taschenbuch.
    Lorenz, H. (2012). Weil der Krieg unsere Seelen frisst. Wie die blinden Flecken der Vergangenheit bis heute nachwirken. Berlin: Ullstein.
    Müller-Münch, I. (2012). Die geprügelte Generation: Kochlöffel, Rohrstock und die Folgen. Stuttgart: Klett-Cotta.
    Ustorf, A.-E. (2010). Wir Kinder der Kriegskinder. Die Generation im Schatten des Zweiten Weltkriegs (4. Aufl.). Freiburg: Herder.
  3. Radebold, H. (2009). Die dunklen Schatten unserer Vergangenheit. Hilfen für Kriegskinder im Alter (3., aktualisierte und erweiterte Auflage.). Stuttgart: Klett-Cotta. S. 216
  4. vgl. dazu Wierling, D. (2010). Generations as Narrative Communities. Some private sources of public memory in Postwar Europe. In F. Biess & R. G. Moeller (Hrsg.), Histories of the Aftermath. The Legacies of the Second World War in Europe (S. 102–120). Oxford (UK): Berghahn Books.
  5. Asmussen, A. (20. Oktober 2011). Vom Krieg in der Seele. Nachkriegskinder erzählen. GeZeiten.SHZ.de. Abgerufen 27. Juli 2013, von http://gezeiten.shz.de/Artikel/Nachkriegskinder/1062_Vom_Krieg_in_der_Seele_%E2%80%93_Nachkriegskinder_erz%C3%A4hlen
    englischblau. (25. April 2012). Susanne Bode, Kriegskinder und Kriegsenkel. Traumaforum. Abgerufen 27. Juli 2013, von http://www.traumaforum.eu/viewtopic.php?f=74&t=3038
    Forum Kriegsenkel. (2013). Forum Kriegsenkel. Abgerufen 27. Juli 2013, von http://www.forumkriegsenkel.de/Aktuelles.htm
    Kriegsenkel.at. (2013). Abgerufen 27. Juli 2013, von http://kriegsenkel.at/
    Kriegskind.de. (2013). Abgerufen 25. Januar 2013, von http://www.kriegskind.de/index.html
    Kriegskinder-fuer-den-Frieden.de. (2013). Abgerufen 25. Januar 2013, von http://www.kriegskinder-fuer-den-frieden.de/literatur.htm
    Kriegskindheit.de. (2013). Abgerufen 25. Januar 2013, von http://www.kriegskindheit.de/
    Nachkriegskinder.blog.de. (2013). Abgerufen 27. Juli 2013, von http://nachkriegskinder.blog.de/
    Nachkriegskinder.eu. (2013). Abgerufen 25. Januar 2013, von http://www.nachkriegskinder.eu/
    Weltkrieg2kindheiten.de. (2013). http://www.weltkrieg2kindheiten.de. Abgerufen 25. Januar 2013, von http://www.weltkrieg2kindheiten.de
    Hoock, M. (2013). Nachkriegskinder: Die 1950er Jahrgänge und ihre Soldatenväter (Sabine Bode). Leser-Welt.de. Abgerufen 25. Januar 2013, von http://www.leser-welt.de/index.php?option=com_content&view=article&id=5551:nachkriegskinder-die-1950er-jahrgaenge-und-ihre-soldatenvaeter-sabine-bode&catid=92:sozialwissenschaft-recht-und-wirtschaft-&Itemid=83
    König, H. (Januar 2012). Rezensionen: Die 1950er Jahrgänge und ihre Soldatenväter (Gebundene Ausgabe) von Sabine Bode. Buch, Kultur und Lifestyle: Geschichte, Politik und Wirtschaft. Abgerufen 27. Juli 2013, von http://helga-koenig-gpw.blogspot.de/2012/01/rezensionendie-1950er-jahrgange-und.html
    Manns, E. (9. September 2012). Die Klassenarbeit der Nachkriegskinder. Zwei Dinge. Abgerufen 27. Juli 2013, von http://www.zwei-dinge.de/2012/09/09/die-klassenarbeit-der-nachkriegskinder/
    Planet Portugal. (11. August 2009). Wie isst man Lupinenkerne? Planet Portugal. Abgerufen 27. Juli 2013, von http://planetportugal.blogspot.de/2009/08/wie-isst-man-lupinenkerne.html
    Röhrig, T. (2013). Thoms Bericht – 1976, Ravensburger TB. Tilman Röhrig. Abgerufen 27. Juli 2013, von http://www.tilman-roehrig.de/111-0-Thoms-Bericht—1976-Ravensburger-TB.html
    Stelzer, H. (3. November 2011). Ein Nachkriegskind erzählt von seinen Eltern. Heike-Stelzer.de. Abgerufen 27. Juli 2013, von http://www.heike-stelzer.de/index.php/presse
    Straub, R. (4. Mai 2008). Wir Achtundsechziger (6): Die Nachkriegskinder. Eine moralisch-hedonistische Generation wendet sich gegen eine skeptische Generation. Zettels Raum. Abgerufen 27. Juli 2013, von http://zettelsraum.blogspot.de/2008/05/wir-achtundsechziger-6-die.htm
  6. Bode, S. (2004). Die vergessene Generation. Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen. München: Piper. S. 19
  7. Bode, S. (2008). Die deutsche Krankheit. German Angst. München: Piper. S. 33
  8. Bode, S. (2011). Nachkriegskinder. Die 1950er Jahrgänge und ihre Soldatenväter. Stuttgart: Klett-Cotta. S. 15; vgl. Foerster, S. (2012). Der Faktor „Angst“ vor dem Koreakrieg. Konrad Adenauer und die westdeutsche Bevölkerung 1950 (Magisterarbeit.). Bonn: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität.
  9. Bode, S. (2004). Die vergessene Generation. Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen. München: Piper. S. 59–60
  10. Arnim, G. (17. April 1992). Immer noch eine schmerzende Wunde: Nachkriegskinder befragen ihre Eltern: „Mein Gott, wart ihr alle blind?“ Die Zeit. Abgerufen von http://www.zeit.de/1992/17/mein-gott-wart-ihr-alle-blind
    Arnim, G. (25. November 2011). Zweiter Weltkrieg: Trost reicht nicht. Die Zeit. Abgerufen von http://www.zeit.de/2011/48/L-P-Bode
    David, I. (12. Oktober 2012). „Kinder der Verlierer“. Mittendrin. Das Nachrichtenmagazin für Hamburg-Mitte. Abgerufen 27. Juli 2013, von http://hh-mittendrin.de/2012/10/kinder-der-verlierer/
    Diez, G. (29. März 2013). Warum Sigmar Gabriel in der NS-Debatte der gute Deutsche ist. Spiegel Online. Abgerufen von http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/warum-sigmar-gabriel-in-der-ns-debatte-der-gute-deutsche-ist-a-891681.html
    dpa. (17. Juli 2013). Geschichte: Feuersturm-Überlebende Ängste an Kinder weiter. Die Zeit. Abgerufen von http://www.zeit.de/news/2013-07/17/geschichte-feuersturm-ueberlebende-aengste-an-kinder-weiter-17143207
    Engelmann, A. (15. Dezember 2012). Wer spricht schon noch vom Krieg? Neues-Deutschland.de. Abgerufen 17. Dezember 2012, von http://www.neues-deutschland.de/artikel/807379.wer-spricht-schon-noch-vom-krieg.html
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    Glaubitz, U. (17. Mai 2013). Berufsfindung. Dunkle Linien der Familie. Spiegel Online. Abgerufen 30. Mai 2013, von http://www.spiegel.de/karriere/berufsstart/berufsfindung-dunkle-linien-der-familie-a-900389.html
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    Jung, I. (27. März 2013). Zweiter Weltkrieg: Erzählt doch, was mit euch geschah. Hamburger Abendblatt. Abgerufen 28. März 2013, von http://www.abendblatt.de/kultur-live/article114798847/Erzaehlt-doch-was-mit-euch-geschah.html
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    Mattern, T. (12. Juni 2013). Ältere Menschen sind traumatisiert. Krieg hat heute noch Nachwirkungen. Allgemeine Zeitung. Abgerufen 16. Juni 2013, von http://www.azonline.de/Muensterland/Kreis-Coesfeld/Luedinghausen/Aeltere-Menschen-sind-traumatisiert-Krieg-hat-heute-noch-Nachwirkung
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    Pluwatsch, P. (16. November 2002). Die vergessene Generation. Ein Leben lang schwiegen die Kinder des Zweiten Weltkrieges über ihre Erfahrungen. Nun beginnen sie zu reden. Kölner Stadtanzeiger. Köln.
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  12. Dorhölt, D. (2013). Wir Kriegskinder – Wie die Angst in uns weiterlebt. Die Story im Ersten. Das Erste.

Quelle: http://zakunibonn.hypotheses.org/1329

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