Das Gschnas der Genossenschaft der Bildenden Künstler Wiens bildete einen der Höhepunkte des Wiener Faschings und wurde dadurch auch Thema in satirisch-humoristischen Periodika. Der größte Teil beschränkt sich auf kurze Wortspiele und Anspielungen auf die ‘Chineser’ in Wien. Eine Ausnahme gibt es: Der Floh widmete dem Gschnas die Doppelseite “Skizzen vom Künstlerfest 1892″[1] – eine Collage aus ‘chinesischen’ Typen und Karikaturen der Attraktionen des “Fests in Groß-Peking”.
http://mindthegaps.hypotheses.org/wp-admin/post.php?post=1704&action=edit&message=10 Der Floh Nr. 10 (6.3.1892) 4-5. Quelle: ANNO
Betrachtet man die Seite ohne Wissen um den Kontext wirken die einzelnen Elemente wie wenig originelle Versatzstücke zeittypischer China-Karikaturen: kleine Männchen in merkwürdigen Kleidern, Zöpfe in allen Längen, Faltschirmchen, Pfauenfedern, Palmen, chinesische Dächer und gepinselte Schriftzüge. Kombiniert mit Informationen aus den Tageszeitungen von Ende Februar/Anfang März 1892 ergibt sich ein gaz anderes Bild.
Floh – Bilderbogen | Schema
Der Titel (1) läuft in zwei Bändern von oben nach unten. Wie in den meisten gepinselten Schrifzügen, die asiatisch wirken sollen, sind die ‘Pinselstriche’ sehr gleichförmig, hier fangen die Striche fein an und werden zum Ende des Strichs breiter – die dabei gebildeten Buchstaben wirken plump und wenig ästhetisch. Die Verbindung gepinselt = asiatisch ist jedoch dauerhaft und fix im visuellen Vokabular verankert.[2]
Die in einem farbig angelegten Feld tanzenden Figuren (2) illustrieren den Typus des ‘Chinesen’ in satirisch-humoristischen Periodika der Zeit: eher beleibte Figuren, meist in wadenlangen Röcken/Kleidern und Jacken mit weiten Ärmeln, an den Füßen Schuhe mit weißen (Stoff-)Sohlen.
“Theyer’s Raritätenkabinett” (3) und “Panneaux v. Petrowiz” (4) gehörten zu den Höhepunkten der Ausstattung. Der Architekt Leopold Theyer (1851-1937)[3] gestaltete für sein “Raritäten-Kabinett” aus Sperrholz, Papier und Farbe ‘asiatische’ Gegenstände, auch Waffen mit “Kaffeemühlenantrieb”:
Der sehr complicirte Mechanismus dieser ungefährlichen Mord-Instrumente ist meist auf dem Kaffeemühlen-Systeme aufgebaut.[4]
Im Bilderbogen verarbeitet sind zwei Kästchen mit Einlegearbeit, das Pfalnzgefäp mit den Drachen (die aus Rebwurzeln gemacht waren), ein Gewehr mit Kaffeemühle – und “eine zweigeschwänzte grüne Löwin mit rothen Augen” ((“Local-Anzeiger” der Presse Nr. 59 (28.2.1892) 14 – online: ANNO.))
Von der anderen Seite aus betritt man ein reizendes chinesisches Interieur. Hier haben Maler Petrovits und Architekt Theyer ein geradezu blendendes chinesisches Museum zusammengestellt. Porzellanarbeiten und japanische Lackkästen, phantastische Musik-InsTrumente, und zahlreiche, theils aus Tapetenstoffen und kartenblättern zusammengearbeitete, theils gemalte, theils plastisch gearbeitete Bilder, lauter chinesische Volkstypen darstellend, Möbel mit Perlmutter und Metall eingelegt – Alles blutigster “Gschnas”, aber von täuschender Wirkung.[5]
Der Maler Ladislaus Eugen Petrovits (1839-1907)[6] gestaltete für sein Panneau ‘chinesische’ Volkstypen – die in der Karikatur sehr wienerisch wirken:
Da ist ein prächtiger Fiaker, ein urgrober Hausknecht [d.i. die Figur ganz rechts]- in chinesischen Lettern hat dieses Bild die Aufschrift: “A Blick, a Watschen, a Leich!” [7], dann der Sonntagsreiter, das Stubenmädchen, der Sicherheitswachter mit dem Fiakertarif in der Tasche und vor allem die elegante junge Dame [d. i. die Figur ganz links], der das Unglück passieren mußte, sich in die Leine, an der sie den kleinen Mops spazieren geführt, zu verwickeln. Das arme Thierchen pendelt an der grünen Schnur weitab aus dem Bilde heraushängend.”[8]
Eine Attraktion des Festes waren die “Pagoden” (5), rund 150 Figuren in Form von ‘Wackelpagoden’, die Schauspielerinnen und Schauspieler, Politiker und Beamte darstellten. Der größte Teil dieser Figuren war mit einem Mechanismus ausgestattet, der den Kopf in Bewegung setzte:
[...] die “Pagodln”, der mit unterschlagenen Beinen und auf dem Dickbauch verschlungenen Armen gebildete bekannte Typ des kopfnickendne Chinesen [...] Die Mehrzahl der Köpfe ist nicht carikirt sondern bei aller Flüchtigkeit der improvisirten Arbeit von frappirender Porträt-Aehnlichkeit.[9]
Die Bilder “Aus d. geistigen Groß-Peking” (6) zeigen bekannte Persönlichkeiten im ‘chinesischen’ Gewand. Die Darstellungen sind vereinfachte (und stark verkleinerte) Auszüge aus Das geistige Großpeking ((Das geistige Großpeking (Wien: Verlag der Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens [ohne Datum]), Der Band präsentiert Porträtkarikaturen, die die Mitglieder der Gesellschaft bildender Künstler und andere Kulturschaffende der Zeit in ‘asiatischen’ Gewändern darstellen. Ergänzt werden diese durch Kurzbiographien dieser “Pekinger”: (obere Reihe, von links): Felix ((D.i. der Maler Eugen Felix (1836-1906) – zur Biographie: “Felix, Eugen, Maler” In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Band 1 (1957) 296).)) (S. 19 in “Das geistige Großpeking”) , Maireder[10] (S. 33) und Trentin A. (ungebildet)[11] (S. 61); (untere Reihe, von links): Notsch[12] (S. 37), Girardi[13] (S. 15), Udel[14] (S. 63) und Roth[15] (S. 45). Wenzel Noltsch wirkt einigermaßen ‘chinesisch’, er trägt die Kappe mit Rangknopf und herabhängender Pfauenfeder, Mayreder hat ein Zöpfchen, doch insgesamt beschränkt sich das ‘asiatische’ auf geblümte/gemusterte Gewänder, die an Haus- oder Morgenmäntel erinnern.
Die “Typen” in der Mitte (7 und 8)und in der linken unteren Ecke (10) zeigen Figuren in ‘asiatischen’ Kostümen, wobei sich zu phantasievollen Elementen (wie den Kopfbedeckungen der beiden Figuren in den Karierten Gewändern) und den allgemein üblichen Zöpfen vor allem bei den weiblichen Figuren chinesische und japanische Elemente mischen. Die beiden nur teilweise dargestellten Figuren (7) sind in Kimono-ähnliche Gewänder mit breiten Bindegürteln gehüllt, die vollständig dargestellte Figur mit dem Blattfächer trägt Kleidung, die an chinesische Vorbilder erinnert.
Das ‘chinesische’ Tor (9) karikiert den Eingang zu den Festräumen – die mit allen Arten von Ankündigugne beklebte Mauer und das Tor mit dem geschwungenen Dach wird in Zeitungsberichten wiederholt beschrieben:
Den Eingang in die chinesische Riesenstadt wehrt die berühmte chinesische Mauer, reich mit bunten Plakaten und vielfältigen Anschlagzetteln beklebt.[16]
Vor dem Tor sitzt unter einem Schirm eine dickbäuchige Figur, die den so genannten “lachenden Buddha” [xiàofó 笑佛 oder bùdài 布袋 (=japanisch: hotei) erinnert.
"Prix fix nix" (9) zeigt eine der zentralen Installationen beim Fest: eine Statue des Wiener Bürgermeisters Dr. Johann Nepomuk Prix (1836-1894)[17]. Am Fuß dieses Standbildes sitzen zwei Wiener Gemeinderäte: links Karl Lueger (1844-1910), rechts Ferdinand Dehm (1846-1923):
In der Mitte des Oberlichtsaales auf dem Ehrenplatze steht das Porcelan[sic]-Monument des Bürgermeisters von Groß-Peking. Wie ein alter Heiliger Hält Bürgermeister D. Prix, dessen Kopf von sprechender Porträtähnlichkeit ist, in der einen Hand ein Modell des Rathhauses, in der andern den eisernen Mann desselben[18] Sein faltiger Mantel zeigt auf weißem Grunde in blauem Email den großen chinesischen Drachen und anderes Fabelgethier aus dem Reich der Mitte. [...] Seitwärts flankirt wird das Monument durch einen Vertreter der Opposition und einen der Mehrheit. Zu ersterem ist der böse Lueger gesessen, dessen Kopf, wenn man an der Figur rührt, “Nein” schüttelt; sein Gegenstück ist Gemeinderath Dehm. Die Gestalt sagt, “warum denn nicht, mir ist’s recht”, der Kopf nickt Ja. Die weiße Porcelanfigur Lueger’s hat das Zwiebel- und Knoblauchmuster des alten Meißnerstyls als Allegorie seiner antisemitischen Richtung, der brave Dehm ein schönes Vergißmeinnichtmuster. Der Meister dieses Bürgermeister Standbildes und seiner Nebenfiguren ist Professor König. [19]
Lueger und Dehm sind so eindeutig dargestellt, dass es keiner Zusatzinformation bedarf, Prix wird durch die inschrift am Sockel identifiziert. Auch die im Bilderbogen dargestellten “Pagoden” (5) dürften für das Publikum erkennbare Karikaturen gewesen sein.
An diesem Beispiel zeigen sich die Herausforderungen der Arbeit mit historischen Karikaturen sehr deutlich, denn beim genaueren Hinsehen erweisen sich die (aus der Distanz wenig witzigen, manchmal fast plumpen) Zeichnungen als überaus vielschichtig.
Teil 1: Ein ‘chinesisches’ Wien
Teil 2: Die Medaille zum Fest
Teil 3: “Seine Umgebung und Groß-Peking. Ein Handbuch für Reisende am 29. Februar 1892″
Teil 4: Das Fest im Spiegel satirisch-humoristischer Periodika
Teil 5: Das Chinabild in “Groß-Peking”
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- Der Floh Nr. 10 (6.3.1892) 4-5. Online: ANNO – Anmerkung: Das Digitalisat ist leider nur Schwarz-Weiß, was gerade beim Floh, dem ersten Wiener Blatt, das farbige Karikaturen und Zeichnungen brachte, sehr bedauerlich ist. Das Original konnte nicht eingesehen werden.
- Es sei hier auf Firmenschilder asiatischer Läden, Vor-/Nachspann asiatischer Filme in Fassungen für den Westen und ähnliches verwiesen.
- Zur Biographie: “Theyer, Leopold (1851–1937), Architekt, Kunsthandwerker und Lehrer” In: Österreichisches Biographisches Lexikon Bd. 14 (2014) 294 f.
- Wiener Zeitung Nr. 49 (1.3.1892) 4. Online → ANNO.
- Wiener Zeitung Nr. 49 (1.3.1892) 4 – online: ANNO.
- Zur Biographie: “Petrovits, Ladislaus Eugen (1839-1907), Maler und Illustrator” In: Österreichisches Biographisches Lexikon Bd. 8 (1979) 7.
- “Ein Blick, eine Ohrfeige, eine Leiche!”
- “Local-Anzeiger” der Presse Nr. 59 (28.2.1892) 14 – online: ANNO.
- “Local-Anzeiger” der Presse. Beilage zu Nr. 59 (28.2.1892) 14 – online: ANNO.
- D.i. der Architekt Carl Mayreder.
- D.i. der Maler Angelo Trentin (1850-1912).
- D. i. der Maler Wenzel Ottokar Noltsch (1835-1908).
- D.i. der Schauspieler Alexander Girardi (1850-1918).
- D. i. der Musiker und Sänger Karl Udel [Udl] (1844-1927).
- D. i. der Architekt Franz Roth (1841-1909), der 1890-92 Präsident der Gesellschaft bildender Künstler war.
- Wiener Zeitung Nr. 49 (1.3.1892) 3 – online: ANNO.
- Zur Biographie: “Prix, Johann Nep. (1836-1894), Jurist und Kommunalpolitiker”. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1950, Bd. 8 (1981), 287.
- Gemeint ist der “Rathausmann“, die Figur eines Ritter mit Standarte, die auf der Spitze des mittleren Turms des Wiener Rathauses steht. Im Bilderbogen fehlt der Rathausmann, Prix scheint eher auf etwas zu deuten.
- “Local-Anzeiger” der Presse. Beilage zu Nr. 59 (28.2.1892) 14 – online: ANNO.
Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1704