Wirtschaft, Politik und Militär – diese drei Elemente waren im NS-Regime eng miteinander verbunden. Als die sogenannte “Blitzkriegsstrategie” der ersten beiden Jahre des Zweiten Weltkriegs an ihr plötzliches Ende kam, musste die NS-Führung auf politischer Ebene die Kriegsstrategie anpassen. Doch musste, um den Krieg weiterführen zu können, vor allem aber die Kriegswirtschaft für die länger andauernden und ressourcenbindenden Kriege umstrukturiert werden.
Im Zuge des sogenannten „Unternehmen Barbarossa“ erließ Adolf Hitler am 20. Juni 1941 den Befehl, in den Krieg gegen die Sowjetunion einzutreten. Bereits am 22. Juni 1941 durchbrachen deutsche Panzertruppen die ersten sowjetischen Stellungen, so dass deutsche Infanterieeinheiten weiter in das Landesinnere vordringen konnten.1 In der deutschen Führung war man sich sicher, mit der bis dahin an der Westfront erfolgreichen Strategie des „Blitzkriegs“ innerhalb kürzester Zeit wichtige sowjetische Stellungen einnehmen und den letztendlichen Sieg herbeiführen zu können. Doch bereits im August 1941 mehrten sich auf Seiten der deutschen militärischen Führung unter Generalstabschef Halder erhebliche Zweifel am Erreichen eines schnellen Sieges: Das Vordringen der deutsche Truppen geriet durch die personellen und materiellen Verluste ins Stocken, denn das unüberschaubar große Kriegsterrain und die zahlenmäßige Überlegenheit der Roten Armee waren unterschätzt worden. Obwohl die deutschen Truppen im Oktober 1941 in der Doppelschlacht von Wjasma und Brjansk der Roten Armee erhebliche Verluste zufügten, schafften es die deutschen Truppen nicht, den von Hitler erlassenen Befehl, die sowjetische Hauptstadt Moskau anzugreifen, erfolgreich durchzuführen. Extreme Witterungsbedingungen und eine sowjetische Gegenoffensive am 5./6. Dezember 1941 drängten die deutschen Truppen bis auf weiteres zurück. Statt einem schnellen Sieg sah sich die deutsche Führung nun einem Zweifrontenkrieg gegenüber, zudem erklärte auch die USA am 11. Dezember 1941 dem Deutschen Reich den Krieg.2 Die bereits 1941 auf deutscher Seite erlittenen Verluste sowohl materieller als auch personeller Art waren erheblich. Außerdem schienen mit dem Scheitern vor Moskau die schnell führbaren Kriege an ihr jähes Ende gekommen zu sein. So erkannte die deutsche Führung, dass für länger andauernde Kriege neben einer Anpassung der Kriegsstrategie vor allem das gesamte kriegswirtschaftliche Konzept umgestellt werden musste.3 Hitler übertrug nun die Aufgabe der Effektivierung der Rüstungsindustrie und ihre Ausrichtung auf lange, ressourcenbindende „Abnutzungskriege“ Albert Speer, dem bisherigen Generalbauinspektor der Reichshauptstadt. Als neuer Reichsminister für Bewaffnung und Munition übernahm Speer dabei vor allem „den Auftrag die Wirtschaft des „Dritten Reichs“ mit Entschiedenheit auf die Erfordernisse der Kriegsführung umzustellen.“4
Speer übernahm von seinem Vorgänger Fritz Todt, der am 8. Februar 1942 bei einem Flugzeugabsturz tödlich verunglückt war, das 1940 eingerichtete Reichsministerium für Bewaffnung und Munition. Die sogenannte „Organisation Todt“ war ab März 1940 damit beauftragt, das „Kompetenz- und Koordinationschaos“5 zwischen den wirtschaftspolitischen Entscheidungsträgern durch eine zentrale, vereinfachte Planungsbehörde zu ersetzen. Nach der Niederlage vor Moskau wurde Todts „Stellung durch einen Führererlass“ entschieden aufgewertet, doch vermochte er bis zu seinem Tod keine tiefgreifenden Maßnahmen zur schnellen Rüstungssteigerung in die Wege zu leiten.6 Mit der darauffolgenden „Speerschen Selbstverwaltung“ sollten die Kompetenzen und Befugnisse der Rüstungsproduktion in sogenannten „Lenkungsbereichen“ wie „Ringen“ und „Ausschüssen“ gebündelt werden. Diese Gremien wurden von den Industrievertretern selbst besetzt. So entstand in den Kriegsjahren von 1942 bis 1944 zwischen der deutschen Privatwirtschaft und dem NS-Regime eine hochkomplexe Kooperationsstruktur, die für die Industrievertreter die erstmalige Möglichkeit der “Selbstverwaltung” mit sich brachte.7
Die Speersche „Selbstverwaltung der Industrie“ war alternativlos staatlich vorgegeben und bot den für alle deutschen Betriebe verbindlichen Rahmen für ihre wirtschaftlichen Aktivitäten. Der Anreiz für die Unternehmen, „freiwillig“ an der „Selbstverwaltung der Industrie“ teilzuhaben und mit den staatlichen Behörden zu kooperieren und für sie Rüstungsaufträge abzuwickeln, lag in folgendem Prinzip: Indem Todt und Speer die Industrie als Kooperationspartner scheinbar auf Augenhöhe mit den staatlichen Behörden hob und der Industrie in ihren Bereichen Verantwortung und Selbstständigkeit zugestanden und übertrugen und sie an der Macht der nationalsozialistischen Herrschaft teilhaben ließen, waren staatliche Eingriffe auf die Autonomie der Unternehmen nicht mehr so offensichtlich bzw. wurden von den Unternehmen anfangs nur in wenigen Fällen als störend empfunden.8 Doch die Regulation bzw. beabsichtigte Verschärfung des Wettbewerbes durch Speers Behörden stellte einen Eingriff in den Markt und in die Autonomie der Unternehmen dar. Darüber hinaus bestimmten in den Ausschüssen und Ringen die marktführenden Unternehmen, die sich in den ausgetragenen Konkurrenzkämpfen durchsetzen konnten, die unternehmerischen Entscheidungen aller übrigen Unternehmen, die in den Selbstverwaltungsorganen waren und profitierten von ihrer Dominanz. Auch dies war ein Eingriff in die Autonomie der Unternehmen und bedeutete eine Einschränkung ihrer Handlungsfreiräume. Zweifellos verschwammen mit der „Selbstverwaltung der Industrie“ die Grenzen zwischen „staatlicher Wirtschaftsadministration“ und „privatwirtschaftlicher Sphäre“,9denn diese war eine Schnittstelle zwischen Industrie und Staat. In dieser Selbstverwaltung der Industrie wuchs auch im Laufe des Krieges die politische Mitverantwortung.10 Genauso waren die führenden Figuren dieser Organisationsform, nämlich die „NS-Industriellen“, geschickt eingesetzte „Zwitter“, die die Vermischung von Staat und Industrie symbolisierten und gleichzeitig einen staatlichen Zugriff auf unternehmerischen Handlungsraum ermöglichten.11
Gewisse Handlungsfreiräume der Unternehmen bestanden für die Zeit unter Speer im Wesentlichen darin, dass die Unternehmen gegensätzliche Interessen wie ihr Streben nach Selbsterhaltung und der Ausrichtung auf eine Friedenswirtschaft verfolgen konnten, ohne dass ihnen dafür staatliche Repressalien drohten. Mag dies dem mangelnden Durchgreifen der Speerschen Behörden geschuldet sein, die auch strukturelle Probleme der Selbstverwaltung nicht effektiv zu bewältigen vermochten, so muss doch darauf hingewiesen werden, dass die Unternehmen in der Verfolgung ihrer unternehmerischen Interessen und in der späteren Entwicklung von Interessen, die sich gegen die kriegswirtschaftlichen Ziele Speers richteten, lediglich ihr ökonomisches Streben nach Wachstum, Profit und längerfristigem Überleben zum Ausdruck brachten, das jedes privatwirtschaftliche Unternehmen, das in einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung agiert, kennzeichnet.12
Empfohlene Zitierweise: Blümel, Jonathan (2013): Das “Unternehmen Barbarossa” und die deutsche Kriegswirtschaft. In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]
- Vgl. Hartmann, Christian: Unternehmen Barbarossa. Der deutsche Krieg im Osten 1941-1945. München 2011. S. 38. ↩
- Vgl. Hartmann 2011. S. 37-44. ; Wehler, Hans-Ulrich: Der Nationalsozialismus. Bewegung, Führerherrschaft, Verbrechen 1919-1945. München 2009. S. 255. ↩
- Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Der Nationalsozialismus: Bewegung, Führerherrschaft, Verbrechen, 1919-1945. München 2009. S. 255. ↩
- Siehe Hildebrand, Klaus: Das Dritte Reich. München 2009. S. 88 ; Vgl. auch Müller, Rolf-Dieter: Albert Speer und die totale Rüstungspolitik im totalen Krieg, in: Kroener, Bernhard R. / Müller, Rolf-Dieter / Umbreit, Hans: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Organisation und Mobilisierung des deutschen Machtbereichs. Kriegsverwaltung, Wirtschaft und personelle Ressourcen. 1942-1944/45. Stuttgart 1999. S. 275. ↩
- Siehe Erker, Paul: Industrieleiten in der NS-Zeit: Anpassungsbereitschaft und Eigeninteresse von Unternehmern in der Rüstungs- und Kriegswirtschaft. Passau 1994. S. 16. ↩
- Vgl. Wehler 2009. S. 256 ; Müller in: Kroener / Müller / Umbreit. 1999. S. 276. ↩
- Vgl. Tooze, Adam: Ökonomie der Zerstörung: die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus. Bonn 2007. S. 647. ↩
- Vgl. Erker in: Erker, Paul / Pierenkemper, Toni: Deutsche Unternehmer zwischen Kriegswirtschaft und Wiederaufbau. Studien zur Erfahrungsbildung von Industrie-Eliten. München 1999. S. 8. ↩
- Siehe Volkmann, Hans-Erich: Ökonomie und Expansion: Grundzüge der NS-Wirtschaftspolitik: Ausgewählte Schriften. München 2003. S. 100. ↩
- Vgl. Volkmann 2003 S. 76. ↩
- Vgl. Erker in: Erker / Pierenkemper 1999. S. 7. ↩
- Vgl. Buchheim, Christoph: „Unternehmen in Deutschland und NS-Regime 1933-1945. Versuch einer Synthese“, in: Historische Zeitschrift 282 (2006). S. 379-381. ↩