Eine Quellensammlung zum Büßerinnenhaus St. Hieronymus in Wien

Das bis etwa 1570 bestehende “Büsserinnenhaus” am heutigen Franziskanerplatz in Wien wurde 1383/84 gegründet, um Prostituierte zu resozialisieren. Eine Urkunde Herzog Albrechts III. vom 25. Februar 1384 sagt: zu enthalnisse der armen freyen frawen, die sich von offenen sundigen unleben dem allmechtigen Got zu puss und pezzerung begeben wellent. Der Wiener Kunsthistoriker und Handschriftenexperte Martin Roland hat zu dieser geistlichen Gemeinschaft eine umfassende Quellen- bzw. Regestensammlung ins Netz gestellt, die bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts reicht. Wenn er in einer Mail an mich von [...]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/6074

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Glorious Revolution 1688/89

English version follows in a few (anything between 1-30) days

Heute, wie bereits angekündigt, mal wieder etwas mehr Informationen zu meiner Dissertation: eine der spannendesten Absetzungen von Herrschern war mMn die Absetzung von James II (dt.: Jakob II.) von England in der sogenannten Glorreichen Revolution von 1688/89. Nachdem ich hier keine 20 Seiten schreiben wollte (wie in der Diss), habe ich mich an einem Kurzüberblick versucht, der nun doch recht lang geworden ist. Diese zwei Jahre englischer Geschichte zusammenzufassen, stellte sich als schwieriger als erwartet heraus. Lange Rede, kurzer Sinn: hier nun meine Version der Glorious Revolution (andere Sichtweisen werden demnächst ebenfalls vorgestellt) in 766 Wörtern.

Was passierte bei der Glorious Revolution?

Mit dem Begriff „Glorious Revolution“ bezeichnet man die Vorgänge in England, Schottland, Irland und selbst in den amerikanischen Kolonien 1688/89: beginnend mit einer Petition sieben Bischöfe, die sich gegen eine Deklaration des englischen Königs James II richtete, dann ein Letter of Invitation sieben englischer Adlige an William of Orange, den Statthalter der Niederlande, in England nach dem Rechten zu sehen und schließlich die militärische Invasion der Niederländer unter William of Orange, die Flucht James II aus England und die Übertragung der Krone auf William und seine Frau Mary.

Was genau war da nun los?

Das Grundproblem war, dass James II als englischer König und damit auch Oberster der Anglikanischen (protestantischen) Kirche ein Katholik war. England wiederum war größtenteils protestantisch, und hielt den Katholizismus für Teufelswerk. Letzteres ist nicht zu unterschätzen: die Einstellung gegenüber Katholiken war hysterisch und geprägt von Ängsten vor einer Re-Katholisierung Englands, vor der Gefahr, dass die weniger als 5% englischer Katholiken nachts Protestanten im Schlaf ermorden würden und vor Ludwig XIV. von Frankreich als Erzfeind.

Gegen diesen Anti-Katholizismus hatten selbst die anglikanischen Lehren von Königstreue und Gehorsam keine Chance. Als James II versuchte, das Leben in England für Katholiken einfacher zu machen und ihnen die gleichen Rechte zu geben, die auch Gläubige der Anglikanischen Kirche hatten, stiess er auf massiven Widerstand.

Zum Konflikt kam es aber erst, als seine (katholische) Königin Mary of Modena schwanger wurde und nun die Gefahr einer katholischen Thronfolge drohte. Nicht nur Engländer sahen besorgt auf den wachsenden Bauch von Mary und wollten ihre Schwangerschaft bzw. später den Sohn von James und Mary nicht wahrhaben. Bevor der kleine James Francis Edward dazwischenfunkte, war schließlich die älteste, anglikanische Tochter von James Thronerbin gewesen. Und Mary, besagte älteste Tochter, war nicht nur selbst gut anglikanisch, sondern sogar mit dem protestantischen „Helden“ William of Orange verheiratet, der sich schon 1672 als Retter der Niederlande gegen Ludwig XIV. behaupten konnte. Neben protestantisch war William auch ein wahrer Meister der Propaganda und der Beeinflussung der öffentlichen Meinung, besonders auch in England, und seine Stilisierung als Retter des Protestantismus fand Anklang bei einem anti-katholischen Volk unter einem katholischen König.

Da also die Gefahr der katholischen Nachfolge wuchs und James II mit seiner pro-katholischen Politik weitermachte, bereitete sich William of Orange auf eine Invasion Englands vor – zu sehr befürchtete er, dass ein katholisches England sich mit Frankreich verbünden könnte, was nicht Gutes für seine Niederlande erwarten ließ.

In England wiederum wehrten sich sieben Bischöfe auf dem traditionellen Weg der Petition gegen einen Befehl des Königs, eine religiöse Toleranzerklärung von ihren Kanzeln verlesen zu müssen. Dieser Protest, der durch Druckschriften weit verbreitet wurde, veranlasste James II dazu, die Bischöfe anzuklagen, im Tower einzusperren und ihnen den Prozess zu machen. Nicht nur, dass die Bischöfe in diesem Prozess freigesprochen wurde, durch sein hartes Vorgehen verspielte sich James so einige Sympathien und machte die Bischöfe zu Helden, die frenetisch gefeiert wurden.

Gleichzeitig mit der Freilassung der sieben Bischöfe am 30. Juni 1688 sandten sieben (sieben scheint irgendwie die optimale Anzahl für kleine Protestgruppen zu sein) Politiker einen Einladungsbrief an William III. und gaben ihm damit die Legitimation, nach England zu kommen.

Zunächst erstmal bereitete William III. jedoch einen wahren Propaganda-Krieg vor, der seinen bevorstehenden Angriff auf England rechtfertigen sollte. Besonders seine Deklaration vom 10. Oktober ist als ein wahres Meisterwerk politischer Propaganda einzuschätzen.

Am 05. November 1688 landete William III. schließlich mit seiner Armee im Südwesten Englands, in Torbay. James II, der eine Landung so spät im Jahr bis zuletzt für unwahrscheinlich gehalten hatte, versammelte seine Armee bei Salisbury. Nach einigen Desertionen an entscheidenden militärischen und politischen Stellen, verlor James II die Nerven und zog sich nach London zurück. Dieser Rückzug wurde weit und breit als Niederlage gedeutet und führte zu weiteren Desertionen. Kurze Zeit später, im Dezember 1688 floh James II aus England nach Frankreich. William konnte nun in London Stellung beziehen, während die in London anwesenden Lords über die Weiterführung der Regierung berieten.

Ein Konventionsparlament, welches von William für den 22. Januar 1689 einberufen wurde, beschloss schließlich, die Flucht James II als Abdankung zu deuten und William und Mary die Krone anzubieten (dieses Angebot kam nach ein bisschen Druck von William und seinen Unterstützern zustande). In der Declaration of Rights, die der späteren Bill of Rights zugrunde liegt, wurde diese Lösung präsentiert und veröffentlicht: James II hatte seinen Thron abgedankt, William und Mary wurden aufgrund der Thronvakanz und ihrer Vorfahren zu seinen Nachfolgern bestimmt (und der neugeborene Sohn von James II wurde, wie üblich, ignoriert).

Die Versuche von James II seine Krone durch einen Angriff über Irland zurückzuholen, scheiterten schlußendlich.

Quelle: http://csarti.net/2013/10/glorious-revolution-168889/

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Die neun Dreifüße

Unter den frühesten Gefäßtypen der chinesischen Kunstgeschichte kam dem Dreifuß (ding 鼎) besondere Bedeutung für die politische Symbolik zu. Die Entwicklung der Dreifüße dürfte ihren Anfang mit urtümlichen Kochtöpfen genommen haben. Als politisches Symbole wurden Dreifüße in ein mythisches Altertum zurückdatiert. Die Legende will es, dass der mythische Urkaiser Huangdi 黃帝 (der “Gelbkaiser”) den Besitz von neun Dreifüßen mit der Herrschaft über China gleichsetzte. Während der Zhou-Zeit (11.-3. Jh. v. Chr.) symbolisierten die neun Dreifüße die neun Provinzen des Landes. Sollte einer dieser neun Dreifüße in Verlust geraten, ging man vom baldigen Ende der Dynastie aus.[1]

In seinem Buch Das chinesische Denken schrieb Marcel Granet über die neun Dreifüße:

Das Metall hierfür hatten die Neun Hirten als Tribut geliefert, und Yü konnte auf diesen seinen Kesseln die ‘Embleme’ der Wesen aller Länder darstellen, den diese ‘Embleme’ hatte er als Huldigungsgeschenke aus den 9 Gebieten empfangen. Die in diesen Symbolen beschlossene Macht war derartig, daß die Neun Kessel als Entsprechung der Welt gelten konnten; sie bewirkten, daß im ganzen Kosmos Ordnung und Frieden herrschte.[2]

Die neun Dreifüße waren schließlich während der Zhou-Zeit verloren gegangen. Der Erste Kaiser, der 221 v. Chr. den Einheitsstaat gründete, wollte diese neun Dreifüße wiederfinden: “Dies gelang auch, aber als ein Dreifuß gerade bis zur Wasseroberfläche hochgezogen war, tauchte ein Drache aus dem Bronzegefäß empor und zerbiß das Seil, an dem es hing.”[3]

  1. Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Die Chinesen und ihre Schrift (München: 5. Aufl., 1996) 66 (‘Dreifuß’) sowie Patricia Bjaaland Welch: Chinese Art. A Guide to Motifs and Visual Imagery (Singapore 2008) 262 (‘Tripod’).
  2. Marcel Granet: Das chinesische Denken. Inhalt – Form – Charakter. Übers. und eingel. von Manfred Porkert; mit einem Vorw. von Herbert Franke (Frankfurt a.M., 5. Aufl. 1997 [frz. 1934; dt. Übers. 1963]) , 128.
  3. Lothar Ledderose: “Die Kunstsammlungen der Kaiser von China.” In: Ders. (Hg.): Palastmuseum Peking. Schätze aus der Verbotenen Stadt (Frankfurt a. M. 1985) 42; vgl. dazu Jeannette Shambaugh Elliott: The Odyssey of China’s Imperial Art Treasures (Seattle 2005), 6. Belege für die historiographische Überlieferung der Legende bei Dorothee Schaab-Hanke: “Wenn die Dreifüße zu versinken drohen …. Zu Grant Hardys Worlds of Bronze and Bamboo.” In: Oriens Extremus 42 (2000/01) 213 f.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/824

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Berliner Geschichtswerkstatt entwickelt App zur Geschichte der NS-Zwangsarbeit

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Mit der von der Berliner Geschichtswerkstatt entwickelten “Zeitzeugen-App” wird erstmals versucht, das Smartphone für die Bildungsarbeit zur Geschichte der NS-Zwangsarbeit in Berlin zu nutzen. Mit Ausschnitten aus Videointerviews mit Zeitzeugen, Fotos und Karten lassen sich ihre Spuren und Wege in fünf Touren nachverfolgen – zu Fuß, per Fahrrad oder mit der S-Bahn.

Die “Zeitzeugen-App” ist kostenlos und in deutscher und englischer Sprache via iTunes erhältlich: https://itunes.apple.com/de/app/zwangsarbeit.-die-zeitzeugen/id645930289?mt=8. Eine Android-Version soll folgen.

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=2376

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Princip in Theresienstadt

Die aktuelle Ausgabe der Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft veröffentlicht einen Aufsatz von Hans Hautmann über Gavrilo Princip in Theresienstadt (PDF), der nicht nur die antiserbischen Pogrome nach dem Attentat von 1914, sondern auch das weitere Schicksal der Attentäter behandelt, deren skandalöse Haftbedingungen einem Todesurteil gleichkamen. Am Schluss geht Hautmann auf einen Prozess ein, der 1918 gegen die zwei Wachsoldaten Franz Weichenhein und Rudolf Bednar geführt wurde; diesen wurde vorgeworfen, anlässlich der Überstellung zweier Attentäter in ein anderes Gefängnis mit letzteren fraternisiert zu haben. Hier nur eine kleine Korrektur: Hautmann zitiert in diesem Zusammenhang einen Artikel aus der Arbeiter-Zeitung vom 8.5.1918; richtig wäre der 4.5.1918.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/498222660/

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Duisburger Lokalpolitiker wollen Denkmal verhindern

Die Mandatsträger von SPD und CDU der Bezirksvertretung Süd in Duisburg lehnten in Ihrer Sitzung am 26.09.2013 die Eintragung des Bodendenkmals „Böckumer Leitgraben“ in Denkmalliste ab und sorgten damit lokal für Schlagzeilen.

Die Beschlussvorlage 13-1065, den „Böckumer Leitgraben“ als Bodendenkmal in die Denkmalliste einzutragen, sorgte bei den Mandatsträgern fraktionsübergreifend  für Heiterkeit.

Joseph Paeßens (CDU) sagte: „Mich laust der Affe. Das ist nun wirklich kein Denkmal!“, es war von „einem Witz“ die Rede oder von: „bloß weil irgendein Bauer im 16. Jahrhundert mit der Schippe einen Graben gezogen hat.“. Der Fraktionsvorsitzende der SPD Hartmut Ploum schlug erheitert vor, doch auch die ostfriesischen Entwässerungsgräben bei Emden unter Denkmalschutz zu stellen. [1]

Der sog. „Böckumer Leitgraben“ ist ein gut im Gelände zu erkennender Entwässerungsgraben aus dem 15./ 16. Jahrhundert, der auf einer Niederterrasse angelegt wurde. Die aufwendigen Bauarbeiten wurden notwendig, weil durch den örtlichen Mühlenstau sich die hydrologischen Bedingungen veränderten und der Grundwasserspiegel deutlich anstieg. Der Graben verlief ursprünglich offen als 2 m breite und 1 bis 2 m tiefe Rinne durch das Gelände. Heute ist er durch Erosion noch 1m breit und entsprechend flacher.[2]

Anders als ein moderner Straßengraben diente er nicht zur Entwässerung von Oberflächenwasser, sondern war eine wasserbauliche „Entsumpfungsanlage“. Der damals angestiegene Grundwasserspiegel drohte nämlich die  Felder und das Dorf zu überschwemmen. Ohne diesen ehemals breiten und tiefen Graben hätten die ansässigen Bauern ihre Heimat verlassen müssen. Somit ist dieser unscheinbare Graben wichtig für die regionale Geschichtsschreibung im Duisburger Süden, der ohne diesen Graben ganz sicher anders aussehen würde.

Näheres dazu kann man in der offiziellen Eintragungsbegründung der örtlichen Stadtarchäologie nachlesen. Dazu wurden auch Bilder und ein Lageplan veröffentlicht.

Es ist natürlich nicht so, dass Kommunalpolitiker sich nicht für lokale Geschichtsschreibung interessieren. Die Initiative auf Eintragung des Böckumer Leitgrabens erfolgte auf Antrag der SPD-Fraktion 2005 Drucksache 05-2916. Die Duisburg-Süd-SPD hat damit ihren eigenen Antrag abgelehnt.

Man kann gespannt sein, wie die Sache jetzt weitergeht. Üblicherweise reicht die zuständige Untere Denkmalbehörde eine Beanstandung ein, so dass die Eintragung noch einmal von der Bezirksvertretung Süd behandelt werden müsste. Die Tagesordnung der nächsten Sitzung der Bezirksvertretung Süd am 17.10.2013 ist noch nicht veröffentlicht worden.

In die Denkmalliste eingetragen wird der „Böckumer Leitgraben“ aber in jedem Fall. Wenn die Denkmaleigenschaften eines Bodendenkmals nachgewiesen sind, wie im Fall des Böckumer Leitgrabens, sieht das DSchG NRW kein Ermessen vor. Die Eintragung ist zwingend. Die Einwände der Politik spielen dann keine Rolle. Zumindest wenn es nach dem Gesetz geht….

Weiterführende Links

http://www.derwesten.de/staedte/duisburg/sued/spott-ueber-dreckigen-kanal-als-denkmal-aimp-id8519995.html

http://www.derwesten.de/staedte/duisburg/sued/entwaesserungsprobleme-vor-600-jahren-id1471060.html

Quelle: http://minuseinsebene.hypotheses.org/825

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Duisburger Lokalpolitiker wollen Denkmal verhindern

Die Mandatsträger von SPD und CDU der Bezirksvertretung Süd in Duisburg lehnten in Ihrer Sitzung am 26.09.2013 die Eintragung des Bodendenkmals „Böckumer Leitgraben“ in Denkmalliste ab und sorgten damit lokal für Schlagzeilen.

Die Beschlussvorlage 13-1065, den „Böckumer Leitgraben“ als Bodendenkmal in die Denkmalliste einzutragen, sorgte bei den Mandatsträgern fraktionsübergreifend  für Heiterkeit.

Joseph Paeßens (CDU) sagte: „Mich laust der Affe. Das ist nun wirklich kein Denkmal!“, es war von „einem Witz“ die Rede oder von: „bloß weil irgendein Bauer im 16. Jahrhundert mit der Schippe einen Graben gezogen hat.“. Der Fraktionsvorsitzende der SPD Hartmut Ploum schlug erheitert vor, doch auch die ostfriesischen Entwässerungsgräben bei Emden unter Denkmalschutz zu stellen. [1]

Der sog. „Böckumer Leitgraben“ ist ein gut im Gelände zu erkennender Entwässerungsgraben aus dem 15./ 16. Jahrhundert, der auf einer Niederterrasse angelegt wurde. Die aufwendigen Bauarbeiten wurden notwendig, weil durch den örtlichen Mühlenstau sich die hydrologischen Bedingungen veränderten und der Grundwasserspiegel deutlich anstieg. Der Graben verlief ursprünglich offen als 2 m breite und 1 bis 2 m tiefe Rinne durch das Gelände. Heute ist er durch Erosion noch 1m breit und entsprechend flacher.[2]

Anders als ein moderner Straßengraben diente er nicht zur Entwässerung von Oberflächenwasser, sondern war eine wasserbauliche „Entsumpfungsanlage“. Der damals angestiegene Grundwasserspiegel drohte nämlich die  Felder und das Dorf zu überschwemmen. Ohne diesen ehemals breiten und tiefen Graben hätten die ansässigen Bauern ihre Heimat verlassen müssen. Somit ist dieser unscheinbare Graben wichtig für die regionale Geschichtsschreibung im Duisburger Süden, der ohne diesen Graben ganz sicher anders aussehen würde.

Näheres dazu kann man in der offiziellen Eintragungsbegründung der örtlichen Stadtarchäologie nachlesen. Dazu wurden auch Bilder und ein Lageplan veröffentlicht.

Es ist natürlich nicht so, dass Kommunalpolitiker sich nicht für lokale Geschichtsschreibung interessieren. Die Initiative auf Eintragung des Böckumer Leitgrabens erfolgte auf Antrag der SPD-Fraktion 2005 Drucksache 05-2916. Die Duisburg-Süd-SPD hat damit ihren eigenen Antrag abgelehnt.

Man kann gespannt sein, wie die Sache jetzt weitergeht. Üblicherweise reicht die zuständige Untere Denkmalbehörde eine Beanstandung ein, so dass die Eintragung noch einmal von der Bezirksvertretung Süd behandelt werden müsste. Die Tagesordnung der nächsten Sitzung der Bezirksvertretung Süd am 17.10.2013 ist noch nicht veröffentlicht worden.

In die Denkmalliste eingetragen wird der „Böckumer Leitgraben“ aber in jedem Fall. Wenn die Denkmaleigenschaften eines Bodendenkmals nachgewiesen sind, wie im Fall des Böckumer Leitgrabens, sieht das DSchG NRW kein Ermessen vor. Die Eintragung ist zwingend. Die Einwände der Politik spielen dann keine Rolle. Zumindest wenn es nach dem Gesetz geht….

Weiterführende Links

http://www.derwesten.de/staedte/duisburg/sued/spott-ueber-dreckigen-kanal-als-denkmal-aimp-id8519995.html

http://www.derwesten.de/staedte/duisburg/sued/entwaesserungsprobleme-vor-600-jahren-id1471060.html

Quelle: http://minuseinsebene.hypotheses.org/825

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“Was auch immer das heißt”: Diplomatische Aktenkunde in der Bundespressekonferenz

 

Wer sich als Neuling in die Aktenkunde einarbeitet, wird die meiste Energie wohl in das Teilgebiet der Systematischen Aktenkunde investieren müssen. Hier geht es darum, anhand gemeinsamer formaler Merkmale Gruppen von Aktenschriftstücken zu identifizieren, in die ein konkret vorliegendes Stück eingeordnet werden kann. “Die begriffliche Kennzeichnung des Schriftstücks soll dabei dem schnelleren Erkennen wichtiger Kontextinformationen dienen” (Beck 2000: 69). Die Systematische Aktenkunde ist also ein wichtiges Werkzeug der Quellenkritik. Zugegebenermaßen verführt die barocke Pracht von Begriffsbildungen à la “Behördendorsualdekret” dazu, dieses Teilgebiet als Selbstzweck zu betreiben und die Anwendung der Aktenkunde darauf zu verengen (vgl. ebd.: 77). Bei aller Skepsis gegenüber babylonischem Systembau ist jedoch die Notwendigkeit nicht zu bestreiten, den Dingen einen Namen zu geben, die uns in den Akten erwarten – und keineswegs nur im Archiv!

In der Regierungspressekonferenz vom 8. Juli dieses Jahres ging es auch um “angebliche Umtriebe der NSA in Deutschland”, um das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut und um die Verwaltungsvereinbarungen zum G10-Gesetz; tagespolitisch interessierte Leser werden diese Debatte verfolgt haben. Und in diesem Zusammenhang fragten Journalisten nach Verbalnoten, die zwischen der Bundesrepublik und den Westalliierten gewechselt worden seien:

Zusatzfrage: Es gab 1968 aber nicht nur eine Verwaltungsvereinbarung, sondern auch eine „verbal note“, was auch immer das heißt. Das ist angeblich die Grundlage für die Spionage von „Echelon“ in 2004 gewesen. Ist diese „verbal note“ genauso zur Akte gelegt …?

Beyer-Pollok [Sprecher des Bundesinnenministeriums]: … Mit dem Begriff „verbal note“ kann ich jetzt nichts anfangen. Das kommt so ein bisschen aus der Diplomatensprache. Aber hier meinen Sie möglicherweise etwas anderes, was mit dem Verwaltungsabkommen zu tun hat. Dazu habe ich ja eben schon etwas ausgeführt.

“So ein bisschen aus der Diplomatensprache”. Der ebenfalls anwesende Sprecher der Auswärtigen Amts verschaffte Klärung:

Schäfer: … Eine Verbalnote oder ein Verbalnotentausch ist die offizielle, förmliche Kommunikation zwischen Staaten. Das sind Schreiben beziehungsweise Briefe, die zwischen Staaten in einer bestimmten Form ausgetauscht werden und einen bestimmten politischen, manchmal auch juristischen Inhalt haben.

Diese Erklärung war auf die Situation bezogen und hat das journalistische Publikum nicht mit Details belastet. Wenn wir es genauer wissen wollen, sehen wir uns zunächst eine diplomatisch-praktische Definition aus einer offiziösen Veröffentlichung an:

“Die Verbalnote ist ein unpersönliches, an eine fremde Mission gerichtetes Schreiben mit Geschäftszeichen, der Überschrift ‘Verbalnote’, einer international festgelegten Höflichkeitsformel und Schlussformel. Sie trägt einen Siegelabdruck und wird nicht unterschrieben.” (Beuth 2005: 127)

Bauen wir diese Definition nun hilfswissenschaftlich aus: Verbalnoten werden zwischen einer diplomatischen Vertretung und dem Außenministerium des Gastlandes ausgetauscht. Souveräne Staaten befinden sich protokollarisch immer auf Augenhöhe: Ein Rangunterschied – das primäre Klassifikationsmerkmal nach der klassischen Lehre Meisners – besteht somit nicht. Möchte man eher nach dem Schreibzweck klassifizieren, so führt die Erkenntnis, dass es sich um eine Mitteilung handelt, und somit weder um eine Weisung noch um einen Bericht, zu keinem anderen Ergebnis.

Diese Mitteilungsschreiben Ranggleicher sind nun unpersönlich stilisiert, also nicht im Briefstil, den die Selbstbezeichnung des Verfassers mit “ich” kennzeichnet. Typischerweise beginnen sie etwa so: “Das Auswärtige Amt beehrt sich, der Botschaft von X mitzuteilen, dass …” Für eine Anrede ist in diesem Formular kein Raum, sie wird durch die mittig angebrachte Überschrift “Verbalnote” ersetzt. Gleichfalls logisch ist der Wegfall der Unterschrift, an deren Stelle das Behördensiegel tritt.

Charakteristisch ist die erwähnte Höflichkeitsformel, auch “Courtoisie” genannt, die in der Tat international auf monotone Art standardisiert ist: “Die Botschaft von X benutzt diesen Anlass, das Auswärtige Amt erneut ihrer ausgezeichnetsten Hochachtung zu versichen”. Die möglichen Variationen sind minimal. Das ist natürlich kein Deutsch. Diese Formeln stammen direkt aus dem jahrhundertelang stilprägenden französischen Kanzleizeremoniell (und sind dort ja auch heute noch im geschäftlichen wie privaten Bereich üblich).

Verbalnoten sind das Massenschriftgut der Diplomatie und an sich für Alltagsgeschäfte eher technischer Natur vorgesehen. Gerade die Diplomatie hat aber Bedarf für einen flexiblen Formengebrauch, um Subtexte zu formulieren und Botschaften zu nuancieren. Dazu kann schon eine kleine Veränderung in der Courtoisie dienen, oder die absichtsvolle Benutzung einer Verbalnote für eine politische Angelegenheit, die eigentlich eher ein persönliches Schreiben des Botschafters an den Außenminister erfordern würde. Ein wunderbar flexibles Instrument also, das zu kennen auch für außenpolitische Berichterstatter wichtig ist.

Damit ist, wohlgemerkt, nur der Ist-Zustand beschrieben. Die Genese dieser Stilform ist kompliziert, weil bis in das 20. Jahrhundert neben der völlig unpersönlichen, fingiert von der Behörde als solcher verfassten Verbalnote auch die “Note” begegnet, die ebenfalls in der dritten Person stilisiert ist, in der aber eine natürliche Person als Verfasser auftritt, die sich mit “Der Unterzeichnete” einführt. Solche Noten haben eine Anrede und eine Unterschrift (Meyer 1920: 51 f.; Meisner 1935: 53 f.). Die Wikipedia irrt mit ihrer Weiterleitung von “Verbalnote” nach “Diplomatische Note”!

Dies weiter zu diskutieren, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Zu diesem Problemkreis werde ich übrigens am 4. November im Archiv der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin-Dahlem referieren.

Literatur:

Beuth, Heinrich W. (2005): Regiert wird schriftlich: Bericht, Weisung und Vorlage, in: Auswärtiges Amt. Diplomatie als Beruf, hrsg. von Enrico Brandt/Christian F. Buck, 4. Aufl., Wiesbaden, S. 119–128.

Beck, Lorenz Friedrich (2000): Leistung und Methoden der Aktenkunde bei der Interpretation formalisierter Merkmale von historischen Verwaltungsschriftgut, in: Der Zugang zu Verwaltungsinformationen: Transparenz als archivische Dienstleistung, hrsg. von Nils Brübach, Marburg (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg, Bd. 33), S. 67–79.

Meisner, Heinrich Otto (1935): Aktenkunde. Ein Handbuch für Archivbenutzer mit besonderer Berücksichtigung Brandenburg-Preußens, Berlin.

Meyer, Hermann (1920): Das politische Schriftwesen im deutschen Auswärtigen Dienst: Ein Leitfaden zum Verständnis diplomatischer Dokumente, Tübingen.

 

 

 

 

 

Quelle: http://aktenkunde.hypotheses.org/97

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“Was auch immer das heißt”: Diplomatische Aktenkunde in der Bundespressekonferenz

Wer sich als Neuling in die Aktenkunde einarbeitet, wird die meiste Energie wohl in das Teilgebiet der Systematischen Aktenkunde investieren müssen. Hier geht es darum, anhand gemeinsamer formaler Merkmale Gruppen von Aktenschriftstücken zu identifizieren, in die ein konkret vorliegendes Stück eingeordnet werden kann. “Die begriffliche Kennzeichnung des Schriftstücks soll dabei dem schnelleren Erkennen wichtiger Kontextinformationen dienen” (Beck 2000: 69). Die Systematische Aktenkunde ist also ein wichtiges Werkzeug der Quellenkritik. Zugegebenermaßen verführt die barocke Pracht von Begriffsbildungen à la “Behördendorsualdekret” dazu, dieses Teilgebiet als Selbstzweck zu betreiben und die Anwendung der Aktenkunde darauf zu verengen (vgl. ebd.: 77). Bei aller Skepsis gegenüber babylonischem Systembau ist jedoch die Notwendigkeit nicht zu bestreiten, den Dingen einen Namen zu geben, die uns in den Akten erwarten – und keineswegs nur im Archiv!

In der Regierungspressekonferenz vom 8. Juli dieses Jahres ging es auch um “angebliche Umtriebe der NSA in Deutschland”, um das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut und um die Verwaltungsvereinbarungen zum G10-Gesetz; tagespolitisch interessierte Leser werden diese Debatte verfolgt haben. Und in diesem Zusammenhang fragten Journalisten nach Verbalnoten, die zwischen der Bundesrepublik und den Westalliierten gewechselt worden seien:

Zusatzfrage: Es gab 1968 aber nicht nur eine Verwaltungsvereinbarung, sondern auch eine „verbal note“, was auch immer das heißt. Das ist angeblich die Grundlage für die Spionage von „Echelon“ in 2004 gewesen. Ist diese „verbal note“ genauso zur Akte gelegt …?

Beyer-Pollok [Sprecher des Bundesinnenministeriums]: … Mit dem Begriff „verbal note“ kann ich jetzt nichts anfangen. Das kommt so ein bisschen aus der Diplomatensprache. Aber hier meinen Sie möglicherweise etwas anderes, was mit dem Verwaltungsabkommen zu tun hat. Dazu habe ich ja eben schon etwas ausgeführt.

“So ein bisschen aus der Diplomatensprache”. Der ebenfalls anwesende Sprecher der Auswärtigen Amts verschaffte Klärung:

Schäfer: … Eine Verbalnote oder ein Verbalnotentausch ist die offizielle, förmliche Kommunikation zwischen Staaten. Das sind Schreiben beziehungsweise Briefe, die zwischen Staaten in einer bestimmten Form ausgetauscht werden und einen bestimmten politischen, manchmal auch juristischen Inhalt haben.

Diese Erklärung war auf die Situation bezogen und hat das journalistische Publikum nicht mit Details belastet. Wenn wir es genauer wissen wollen, sehen wir uns zunächst eine diplomatisch-praktische Definition aus einer offiziösen Veröffentlichung an:

“Die Verbalnote ist ein unpersönliches, an eine fremde Mission gerichtetes Schreiben mit Geschäftszeichen, der Überschrift ‘Verbalnote’, einer international festgelegten Höflichkeitsformel und Schlussformel. Sie trägt einen Siegelabdruck und wird nicht unterschrieben.” (Beuth 2005: 127)

Bauen wir diese Definition nun hilfswissenschaftlich aus: Verbalnoten werden zwischen einer diplomatischen Vertretung und dem Außenministerium des Gastlandes ausgetauscht. Souveräne Staaten befinden sich protokollarisch immer auf Augenhöhe: Ein Rangunterschied – das primäre Klassifikationsmerkmal nach der klassischen Lehre Meisners – besteht somit nicht. Möchte man eher nach dem Schreibzweck klassifizieren, so führt die Erkenntnis, dass es sich um eine Mitteilung handelt, und somit weder um eine Weisung noch um einen Bericht, zu keinem anderen Ergebnis.

Diese Mitteilungsschreiben Ranggleicher sind nun unpersönlich stilisiert, also nicht im Briefstil, den die Selbstbezeichnung des Verfassers mit “ich” kennzeichnet. Typischerweise beginnen sie etwa so: “Das Auswärtige Amt beehrt sich, der Botschaft von X mitzuteilen, dass …” Für eine Anrede ist in diesem Formular kein Raum, sie wird durch die mittig angebrachte Überschrift “Verbalnote” ersetzt. Gleichfalls logisch ist der Wegfall der Unterschrift, an deren Stelle das Behördensiegel tritt.

Charakteristisch ist die erwähnte Höflichkeitsformel, auch “Courtoisie” genannt, die in der Tat international auf monotone Art standardisiert ist: “Die Botschaft von X benutzt diesen Anlass, das Auswärtige Amt erneut ihrer ausgezeichnetsten Hochachtung zu versichen”. Die möglichen Variationen sind minimal. Das ist natürlich kein Deutsch. Diese Formeln stammen direkt aus dem jahrhundertelang stilprägenden französischen Kanzleizeremoniell (und sind dort ja auch heute noch im geschäftlichen wie privaten Bereich üblich).

Verbalnoten sind das Massenschriftgut der Diplomatie und an sich für Alltagsgeschäfte eher technischer Natur vorgesehen. Gerade die Diplomatie hat aber Bedarf für einen flexiblen Formengebrauch, um Subtexte zu formulieren und Botschaften zu nuancieren. Dazu kann schon eine kleine Veränderung in der Courtoisie dienen, oder die absichtsvolle Benutzung einer Verbalnote für eine politische Angelegenheit, die eigentlich eher ein persönliches Schreiben des Botschafters an den Außenminister erfordern würde. Ein wunderbar flexibles Instrument also, das zu kennen auch für außenpolitische Berichterstatter wichtig ist.

Damit ist, wohlgemerkt, nur der Ist-Zustand beschrieben. Die Genese dieser Stilform ist kompliziert, weil bis in das 20. Jahrhundert neben der völlig unpersönlichen, fingiert von der Behörde als solcher verfassten Verbalnote auch die “Note” begegnet, die ebenfalls in der dritten Person stilisiert ist, in der aber eine natürliche Person als Verfasser auftritt, die sich mit “Der Unterzeichnete” einführt. Solche Noten haben eine Anrede und eine Unterschrift (Meyer 1920: 51 f.; Meisner 1935: 53 f.). Die Wikipedia irrt mit ihrer Weiterleitung von “Verbalnote” nach “Diplomatische Note”!

Dies weiter zu diskutieren, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Zu diesem Problemkreis werde ich übrigens am 4. November im Archiv der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin-Dahlem referieren.

Literatur:

Beuth, Heinrich W. (2005): Regiert wird schriftlich: Bericht, Weisung und Vorlage, in: Auswärtiges Amt. Diplomatie als Beruf, hrsg. von Enrico Brandt/Christian F. Buck, 4. Aufl., Wiesbaden, S. 119–128.

Beck, Lorenz Friedrich (2000): Leistung und Methoden der Aktenkunde bei der Interpretation formalisierter Merkmale von historischen Verwaltungsschriftgut, in: Der Zugang zu Verwaltungsinformationen: Transparenz als archivische Dienstleistung, hrsg. von Nils Brübach, Marburg (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg, Bd. 33), S. 67–79.

Meisner, Heinrich Otto (1935): Aktenkunde. Ein Handbuch für Archivbenutzer mit besonderer Berücksichtigung Brandenburg-Preußens, Berlin.

Meyer, Hermann (1920): Das politische Schriftwesen im deutschen Auswärtigen Dienst: Ein Leitfaden zum Verständnis diplomatischer Dokumente, Tübingen.

 

 

 

Quelle: http://aktenkunde.hypotheses.org/97

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“Was auch immer das heißt”: Diplomatische Aktenkunde in der Bundespressekonferenz

Wer sich als Neuling in die Aktenkunde einarbeitet, wird die meiste Energie wohl in das Teilgebiet der Systematischen Aktenkunde investieren müssen. Hier geht es darum, anhand gemeinsamer formaler Merkmale Gruppen von Aktenschriftstücken zu identifizieren, in die ein konkret vorliegendes Stück eingeordnet werden kann. “Die begriffliche Kennzeichnung des Schriftstücks soll dabei dem schnelleren Erkennen wichtiger Kontextinformationen dienen” (Beck 2000: 69). Die Systematische Aktenkunde ist also ein wichtiges Werkzeug der Quellenkritik. Zugegebenermaßen verführt die barocke Pracht von Begriffsbildungen à la “Behördendorsualdekret” dazu, dieses Teilgebiet als Selbstzweck zu betreiben und die Anwendung der Aktenkunde darauf zu verengen (vgl. ebd.: 77). Bei aller Skepsis gegenüber babylonischem Systembau ist jedoch die Notwendigkeit nicht zu bestreiten, den Dingen einen Namen zu geben, die uns in den Akten erwarten – und keineswegs nur im Archiv!

In der Regierungspressekonferenz vom 8. Juli dieses Jahres ging es auch um “angebliche Umtriebe der NSA in Deutschland”, um das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut und um die Verwaltungsvereinbarungen zum G10-Gesetz; tagespolitisch interessierte Leser werden diese Debatte verfolgt haben. Und in diesem Zusammenhang fragten Journalisten nach Verbalnoten, die zwischen der Bundesrepublik und den Westalliierten gewechselt worden seien:

Zusatzfrage: Es gab 1968 aber nicht nur eine Verwaltungsvereinbarung, sondern auch eine „verbal note“, was auch immer das heißt. Das ist angeblich die Grundlage für die Spionage von „Echelon“ in 2004 gewesen. Ist diese „verbal note“ genauso zur Akte gelegt …?

Beyer-Pollok [Sprecher des Bundesinnenministeriums]: … Mit dem Begriff „verbal note“ kann ich jetzt nichts anfangen. Das kommt so ein bisschen aus der Diplomatensprache. Aber hier meinen Sie möglicherweise etwas anderes, was mit dem Verwaltungsabkommen zu tun hat. Dazu habe ich ja eben schon etwas ausgeführt.

“So ein bisschen aus der Diplomatensprache”. Der ebenfalls anwesende Sprecher der Auswärtigen Amts verschaffte Klärung:

Schäfer: … Eine Verbalnote oder ein Verbalnotentausch ist die offizielle, förmliche Kommunikation zwischen Staaten. Das sind Schreiben beziehungsweise Briefe, die zwischen Staaten in einer bestimmten Form ausgetauscht werden und einen bestimmten politischen, manchmal auch juristischen Inhalt haben.

Diese Erklärung war auf die Situation bezogen und hat das journalistische Publikum nicht mit Details belastet. Wenn wir es genauer wissen wollen, sehen wir uns zunächst eine diplomatisch-praktische Definition aus einer offiziösen Veröffentlichung an:

“Die Verbalnote ist ein unpersönliches, an eine fremde Mission gerichtetes Schreiben mit Geschäftszeichen, der Überschrift ‘Verbalnote’, einer international festgelegten Höflichkeitsformel und Schlussformel. Sie trägt einen Siegelabdruck und wird nicht unterschrieben.” (Beuth 2005: 127)

Bauen wir diese Definition nun hilfswissenschaftlich aus: Verbalnoten werden zwischen einer diplomatischen Vertretung und dem Außenministerium des Gastlandes ausgetauscht. Souveräne Staaten befinden sich protokollarisch immer auf Augenhöhe: Ein Rangunterschied – das primäre Klassifikationsmerkmal nach der klassischen Lehre Meisners – besteht somit nicht. Möchte man eher nach dem Schreibzweck klassifizieren, so führt die Erkenntnis, dass es sich um eine Mitteilung handelt, und somit weder um eine Weisung noch um einen Bericht, zu keinem anderen Ergebnis.

Diese Mitteilungsschreiben Ranggleicher sind nun unpersönlich stilisiert, also nicht im Briefstil, den die Selbstbezeichnung des Verfassers mit “ich” kennzeichnet. Typischerweise beginnen sie etwa so: “Das Auswärtige Amt beehrt sich, der Botschaft von X mitzuteilen, dass …” Für eine Anrede ist in diesem Formular kein Raum, sie wird durch die mittig angebrachte Überschrift “Verbalnote” ersetzt. Gleichfalls logisch ist der Wegfall der Unterschrift, an deren Stelle das Behördensiegel tritt.

Charakteristisch ist die erwähnte Höflichkeitsformel, auch “Courtoisie” genannt, die in der Tat international auf monotone Art standardisiert ist: “Die Botschaft von X benutzt diesen Anlass, das Auswärtige Amt erneut ihrer ausgezeichnetsten Hochachtung zu versichen”. Die möglichen Variationen sind minimal. Das ist natürlich kein Deutsch. Diese Formeln stammen direkt aus dem jahrhundertelang stilprägenden französischen Kanzleizeremoniell (und sind dort ja auch heute noch im geschäftlichen wie privaten Bereich üblich).

Verbalnoten sind das Massenschriftgut der Diplomatie und an sich für Alltagsgeschäfte eher technischer Natur vorgesehen. Gerade die Diplomatie hat aber Bedarf für einen flexiblen Formengebrauch, um Subtexte zu formulieren und Botschaften zu nuancieren. Dazu kann schon eine kleine Veränderung in der Courtoisie dienen, oder die absichtsvolle Benutzung einer Verbalnote für eine politische Angelegenheit, die eigentlich eher ein persönliches Schreiben des Botschafters an den Außenminister erfordern würde. Ein wunderbar flexibles Instrument also, das zu kennen auch für außenpolitische Berichterstatter wichtig ist.

Damit ist, wohlgemerkt, nur der Ist-Zustand beschrieben. Die Genese dieser Stilform ist kompliziert, weil bis in das 20. Jahrhundert neben der völlig unpersönlichen, fingiert von der Behörde als solcher verfassten Verbalnote auch die “Note” begegnet, die ebenfalls in der dritten Person stilisiert ist, in der aber eine natürliche Person als Verfasser auftritt, die sich mit “Der Unterzeichnete” einführt. Solche Noten haben eine Anrede und eine Unterschrift (Meyer 1920: 51 f.; Meisner 1935: 53 f.). Die Wikipedia irrt mit ihrer Weiterleitung von “Verbalnote” nach “Diplomatische Note”!

Dies weiter zu diskutieren, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Zu diesem Problemkreis werde ich übrigens am 4. November im Archiv der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin-Dahlem referieren.

Literatur:

Beuth, Heinrich W. (2005): Regiert wird schriftlich: Bericht, Weisung und Vorlage, in: Auswärtiges Amt. Diplomatie als Beruf, hrsg. von Enrico Brandt/Christian F. Buck, 4. Aufl., Wiesbaden, S. 119–128.

Beck, Lorenz Friedrich (2000): Leistung und Methoden der Aktenkunde bei der Interpretation formalisierter Merkmale von historischen Verwaltungsschriftgut, in: Der Zugang zu Verwaltungsinformationen: Transparenz als archivische Dienstleistung, hrsg. von Nils Brübach, Marburg (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg, Bd. 33), S. 67–79.

Meisner, Heinrich Otto (1935): Aktenkunde. Ein Handbuch für Archivbenutzer mit besonderer Berücksichtigung Brandenburg-Preußens, Berlin.

Meyer, Hermann (1920): Das politische Schriftwesen im deutschen Auswärtigen Dienst: Ein Leitfaden zum Verständnis diplomatischer Dokumente, Tübingen.

 

 

 

Quelle: http://aktenkunde.hypotheses.org/97

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