Praxis vs. Theorie und Rüsens neue Historik

 

„Theorie“ ist ein geschichtsdidaktisches Zauberwort zur Professionalisierungsprovokation. Die meisten Studierenden wollen sie nicht und ertragen sie nur widerwillig. Vielen praktizierenden LehrerInnen aller Berufsphasen geht es ebenso, wenn sie ihnen in den seltenen Fortbildungen oder in den (nicht oft gelesenen) geschichtsdidaktischen Texten begegnet.

 

Differenz von Erwartung und Angebot

Studierende und LehrerInnen erwarten von GeschichtsdidaktikerInnen unmittelbare Unterstützung in ihrer täglichen Berufspraxis; und sie tun es gestützt auf eigene Erfahrungen als SchülerInnen, PraktikantInnen oder als beanspruchte Lehrpersonen (mehr oder minder berechtigt) auf eine bestimmte Weise. Das war so in den drei deutschen Ländern, in denen ich als Geschichtsdidaktiker tätig war und das ist so in den vier Schweizer Kantonen, in denen ich es jetzt bin. Diese variierende Differenz zwischen theoriegestütztem geschichtsdidaktischem Angebot und den Erwartungen seiner Zielgruppe sind also offenbar kein regionales, nationales oder gar persönliches Problem. Dass die Didaktik der Geschichte indes sehr viel unternimmt, um vielleicht nicht generell diesen Erwartungen, aber doch gewiss ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden, das hat Michele Barricelli kürzlich dargestellt.

Rüsens Geschichtstheorie

Ich meine allerdings, dass man die Theoriebedürftigkeit der LehrerInnen-„Ausbildung“ und der alltäglichen geschichtsunterrichtlichen Praxis ergänzend auch etwas offensiver diskutieren könnte. Den Anlass dafür bietet das kürzliche Erscheinen eines bedeutsamen Buches, nämlich Jörn Rüsens neuer Historik.1 Dieses Buch ist die späte Summe der vielen originellen geschichtstheoretischen Texte, die Rüsen seit Ende der 1960er Jahre publiziert hat. Darin hat Rüsen viele Ansätze geschichtstheoretischen Denkens neu zusammengedacht und verdichtet. Rüsens Geschichtstheorie ist aber auch deshalb für die historisch-politische Bildung relevant, weil der Autor den Aspekt der lebensweltlichen Verwurzelung jedes historischen Denkens durchgehend und konsequent mitbedacht2 und weil er weiterhin die Didaktik der Geschichte immer schon als eine Dimension der Geschichtswissenschaft reflektiert hat – nämlich als eine praktisch wirksame, sich gesellschaftlich intentional artikulierende Form der Geschichtswissenschaft.3 Geschichtsdidaktik ist eine Praxis der Geschichtswissenschaft, insofern diese sich um Bildung bemüht. Gleichzeitig ist sie aber auch eine Institution, eine eigenständige Teildisziplin mit einem spezifischen Rekrutierungs- und Reputationsapparat – das führt manchmal zu Verwechselungen und falschen Abgrenzungen.

Vom Unterschied zwischen Alltagstheorien …

Es ist eigentlich sehr leicht zu erklären, warum es in der LehrerInnenausbildung nicht nur nicht ohne „Theorie“, sondern auch nur mit vergleichsweise sehr viel „Theorie“ geht, und warum das Gegeneinanderausspielen von „Theorie“ und „Praxis“ in seiner entlastenden Wirkung zwar subjektiv gut erklärbar sein mag, in der Sache aber völlig inadäquat ist. „Theorie“ ist dem Worte nach erst einmal nichts anderes als „Welt-Anschauung“, es ist mehr oder minder bewusste, mehr oder minder gut begründete kontemplative Reflexion von Erfahrung. Diese Reflexion geschieht in der Regel entweder rein subjektiv und führt zu individuellen Alltagstheorien, oder sie wird gar nicht selbst geleistet und als Traditionsprodukt von Autoritäten unbesehen übernommen. Solche tradierten Theorien bilden die Substanz der institutionellen Landschaft, in die wir hineinsozialisiert werden. Wir funktionieren in dieser Landschaft normalerweise ganz gut. Alle Arten von Alltagstheorien sind bereichsbezogen; jeder Studierende hat sie von seinem zukünftigen Beruf, jede Lehrperson egal welcher Berufsphase hat sie in individueller Ausformung vom eigenen aktuellen Berufsfeld („Beliefs“).4

… und wissenschaftlichen Theorien

Was man dagegen gemeinhin „Theorie“ nennt, das sind aufs Ganze gesehen sehr seltene Sonderfälle, nämlich solche Welt-Anschauungen, die sich um explizite Begründung, Traditionskritik, Kontextualisierung und überprüfbare empirische Rückbindung an die Welt bemühen: wissenschaftliche Theorien. Sie sind individuelle Erscheinung, insofern aus ihnen jeweils die Leistung einer TheoretikerIn spricht. Sie sind aber immer auch kollektive Erscheinungen, weil sie Resultate von Bildung, von Diskussion und offenen Kontroversen darstellen. All das unterscheidet sie von Alltagstheorien. Ihr kritisches Verständnis macht den Unterschied zwischen dem Experten und dem Dilettanten. Ein Experte ist als Mensch selbstverständlich weiterhin ein Füllhorn diverser Alltagstheorien, auf seinem Spezialgebiet sollte er diese Alltagstheorien jedoch mit wissenschaftlichen ins Verhältnis gebracht und eine kritische Balance zwischen ihnen gefunden haben. Theoria Cum Praxi (Leibniz) ist also keine hehre Norm, sondern eine schlichte Tatsache unserer alltäglichen Lebensführung. Es kommt bei jeder Qualifikation, auch der beruflichen, auf die Qualität der Theorien an, die in den Prozessen der Lebensbewältigung zur Verfügung stehen, nicht auf das Ob oder Ob-Nicht.5

Studium oder Ausbildung?

LehrerInnen-„Ausbildung“ ist ein irreführender Begriff, und insofern schon ein Fehlkonzept einer Welt-Anschauung. Es geht nicht um eine Berufs-„Ausbildung“ wie die einer BäckerIn oder einer FachverkäuferIn – bei allem Respekt vor diesen Berufen und den darin tätigen SpezialistInnen. Vielmehr geht es um ein wissenschaftliches Studium, das nicht vorwiegend zur Kenntnis und Beherrschung eines Regelkorpus führen soll, sondern zur autonomen (also selbst-gesetzgebenden), anpassungsfähigen, wissenschaftlich informierten Ausübung eines Lehramtes – woraus sich im Übrigen auch die vergleichsweise hervorragende Entlohnung erklärt. Eine solche Berufsausübung setzt die immer wieder zu erneuernde Einsicht in psychologische, bildungswissenschaftliche und v.a. geschichtswissenschaftliche Erkenntnisse und eben auch Theorien unbedingt voraus – und das muss man gelernt haben! Praktika dienen der fallweisen Einübung relevanter Theorien und Empirien in die Situationalität des „pädagogischen Universums“. Abgeschlossen ist das Lehrerwerden mit einem solchen Studium allerdings in keiner Weise. Aus der Lehrerforschung kennen wir den langen, unsicheren und anstrengenden Weg hin zu didaktischer Routine und evtl. auch Meisterschaft.6 Das Studium soll dafür das intellektuelle, also theoretische Rüstzeug bieten, der Prozess des Lehrerwerdens selber dauert Jahrzehnte. Und es gibt auf diesem steinigen Weg keine Abkürzung.

Für Rüsen sind geschichtsbezogene Theorien gar nicht denkbar ohne lebensweltliche Anstiftung, Verankerung und Rückwirkung.7 Er führt die Praxis des Umgangs mit Theorie vor, theoretisch. Die gewiss anstrengende Lektüre und Diskussion von Rüsens Historik könnte für jeden Studierenden eine Etappe auf dem Weg des Lehrerwerdens sein, an die man sich nach vielen Jahren Berufspraxis dankbar erinnern wird. Versprochen.

 

Literatur

  • Rüsen, Jörn: Historik und Didaktik. Ort und Funktion der Geschichtstheorie im Zusammenhang von Geschichtsforschung und historischer Bildung. In: Kosthorst, Erich (Hg.): Geschichtswissenschaft. Didaktik – Forschung – Theorie. Göttingen 1977, S. 48-64.
  • Rüsen, Jörn: Grundzüge einer Historik, 3 Bde., Göttingen 1983-1989.
  • Rüsen, Jörn: Historik. Theorie der Geschichtswissenschaft. Köln u.a. 2013.

Externe Links

 

Abbildungsnachweise
Buchcover von Rüsen, Jörn: Historik, Köln 2013 © Böhlau-Verlag Köln.

Hintergrundbild: © knipseline  / pixelio.de

Empfohlene Zitierweise
Demantowsky, Marko: Praxis vs. Theorie und Rüsens neue Historik. In: Public History Weekly 1 (2013) 14, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2013-889.

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Worüber sprechen wir eigentlich? Geschichtsdidaktik und ihre Praxis

 

Dass die Geschichtsdidaktik praxisfern und theorieverliebt agiere, ist fast ein Gemeinplatz. Der nicht zutrifft. Vielmehr gründet die Disziplin auf einem soliden wissenschaftlichen Fundament und engagiert sich in zunehmend vielfältigen Formen, um die Erträge ihrer Forschung in „die Praxis“ zu transferieren. Ein neues, schlagendes Beispiel dafür sind die Debatten in diesem Blog-Journal. – Oder etwa nicht?

 

Geschichtsdidaktik – zum Appell!

Neulich, in einer leidlich ernsthaft geführten Konversation, erkundigte sich mein besorgt dreinblickendes Gegenüber, ob denn die Geschichtsdidaktik mit all ihren klugen Theorien oder emphatischen Entwürfen sich auch zukünftig auf eine „appellative Funktion“ beschränken wolle, und wenn nicht, wie sie gedenke, die Ergebnisse ihrer manchmal gar empiriebasierten Reflexion in „der Praxis“ zur Geltung zu bringen. Diese Frage hörte ich wahrlich nicht zum ersten Mal. Doch der „Appell“ ließ mich zusammenzucken; ich musste nicht nur an den gereckten Zeigefinger, sondern an salutierende Massen auf Exerzierplätzen und Kasernenhöfen denken. Also hatte mein Gesprächspartner einen neuralgischen Punkt getroffen: Seit ihren Anfängen fahndet die Geschichtsdidaktik sowohl nach ihrer gesellschaftlichen Relevanz als auch, wie jede angewandte Wissenschaft, nach ihrer vorgeschalteten Anwendungseignung.

Was leistet Geschichtsdidaktik?

Ich atmete tief ein: Gewiss arbeite die Geschichtsdidaktik wie jede wissenschaftliche Disziplin zunächst einmal für einen inner circle. Man hält Lehrveranstaltungen ab, betreut den sich qualifizierenden Nachwuchs, setzt Vorträge auf, forscht in Einzelprojekten und Verbünden, stets für und mit Verbündeten. Ja, dabei nutzt man zuweilen eine voraussetzungsvolle Arkansprache, die von Außenstehenden nicht schnell entschlüsselt werden kann. Aber immerhin sei doch eine Langzeitwirkung schon durch die leibhaftige Begegnung mit einem Teil unserer AnwenderInnen, den (späteren) schulischen Lehrkräften, während ihrer Ausbildung oder in Fortbildungen gegeben. Ansonsten diffundieren die Erkenntnisse „der Geschichtsdidaktik“ auf osmotische Weise „in die Praxis“:

  • Wir veröffentlichten mitnichten nur in theoretischen Organen, sondern auch in Zeitschriften und Buchreihen, deren Leserschaft vornehmlich aus MultiplikatorInnen fachdidaktischer Instruktion besteht. Dabei meine ich zu bemerken, dass der hochdrehende fachsprachliche Apparat endlich zurückgefahren wurde. Wenn man sich die rhetorische Geschraubtheit, die akademische Überschwere, die intellektuelle Spreizung so mancher didaktischen Altvorderen nochmals zu Gemüte führt, schreiben wir heute doch verständlicher, versöhnlicher, der „Praxis“ zugewandt. Die blendenden Empfehlungen von Curthoys/McGrath in ihrem luziden Werk „How to Write History that People Want to Read“ könnten glatt einem fachdidaktischen Grundkurs entstammen.
  • Wir unterstützen die boomende Projektszene der außerschulischen historisch-politischen Bildung, die Veranstalter von Geschichtswettbewerben, pädagogische Abteilungen von Gedenkstätten, politische Vereine und NGOs, sogar die Bundeswehr im Zuge ihrer historisch-politischen Bildungsbemühungen. Mittlerweile werden GeschichtsdidaktikerInnen von Museen – undenkbar noch vor zehn Jahren – bereits in der Vorbereitungs- und Konzeptionsphase historischer Ausstellungen gehört, beauftragt, operativ eingebunden.
  • Zwar trifft zu, dass wir in einem Kerngeschäft, der Curriculumarbeit, zuletzt zur Seite gedrängt wurden. FachdidaktikerInnen gehören eher nicht mehr in den erlauchten Kreis der Lehrplankommissionäre. Weckrufe gegen desolate Entwürfe oder Verteidigungsreden für zeitgemäße, gleichwohl in der (Verbands-)Kritik stehende Ansätze gibt es aber noch (zuletzt 2010 im Falle der hessischen Bildungsstandards im Fach Geschichte für die Sekundarstufe I 1). – Wahr bleibt, dass sämtliche vagabundierende Kompetenzmodelle, an denen sich Richtlinienpapiere für das Fach Geschichte ausrichten, auf Vorlagen aus der Geschichtsdidaktik beruhen. Narrative Kompetenz, historische Urteilsbildung, interkulturelles Lernen sind nicht ohne unseren Einfluss in die Geschichtscurricula gelangt, um eben dort „praktisch“ wirksam zu werden.2

Noch Fragen?

Zumutung Praxistauglichkeit

Als ich den Mund meines Partners offen stehen sah, spürte ich vor mir selbst Erleichterung. Dann aber besann ich mich: Was sollte eigentlich diese Inquisition? Wieso darf man behaupten, Erkenntnisse einer bzw. der geschichtsdidaktischen Wissenschaft seien erst dann relevant, gültig, wertvoll, wenn sie Anwendung „in der Praxis“ fänden? Die Soziologie untersucht Heiratsverhalten und Ehescheidungen. Aber würden wir von SoziologInnen jemals eine Empfehlung dazu erwarten, wann man zu heiraten und unter welchen Umständen sich wieder zu trennen habe? Und was ist das überhaupt für eine „Praxis“, die Richtlinien und Handlungsanweisungen von gar nicht unmittelbar Zuständigen zu empfangen begehrt? Schließlich: So wie das Lernen von Geschichte genau nicht heißt, die Geschichten der HistorikerInnen auswendig zu kennen, sondern seine eigenen mit jenen zu vermitteln, meint das Lernen von der Geschichtsdidaktik nicht, deren Konzepte ungeprüft zu übernehmen, sondern mit der selbst erfahrenen Optionenvielfalt in ein fruchtbares Verhältnis zu setzen.

Blog-Journal für welches „Public“?

Mein Kontrahent blinzelte. Nun, dass die Geschichtsdidaktik ein ziemlich selbstbezügliches System sei, beweise sich wieder einmal an jenem neuen Blog-Journal, für das ich wohl auch schriebe. Schrill und übertrieben alarmistisch erschienen ihm darin manche Wortgefechte um Einheitstendenzen und Separatismen innerhalb der Disziplin – wohlgemerkt soweit er ihnen überhaupt folgen könne. Dabei frappiere ihn, dass zur Absteckung der claims zuweilen ein argumentatives, d.h. buchstäblich kämpferisches Waffenarsenal aufgefahren werde, mit dem jenes „Public“, das man doch laut Titel des Blog-Journals erreichen wollte, garantiert verfehlt werde. Von heiterer Positionsregie oder spielerischer Theorieproliferation, wie sie doch wohl einzig ein eben nur interessiertes, nicht schon advokatorisches Publikum angingen, keine Spur. Eher schon wünschte man wohl die jeweils anderen vor sich stramm stehen zu sehen. Appellativ eben.

Ich fasste mir an den Kopf und schaute dem Mann tief in die Augen. Was soll man von so einem halten?

 

Siehe auch Demantowsky, Marko: Praxis vs. Theorie und Rüsen neue Historik. In: Public History Weekly 1 (2013) 14, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2013-889.

Literatur

  • Curthoys, Ann / McGrath, Ann: How to Write History that People Want to Read, Sydney 2009.

 

Abbildungsnachweis
Eingang zur einer Grundschule (ehem. nur für Mädchen) in Mailand, März 2013. © Michele Barricelli.

Empfohlene Zitierweise
Barricelli, Michele: Worüber sprechen wir eigentlich? In: Public History Weekly 1 (2013) 11, DOI: DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2013-629.

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Editorial. Yet Another Journal?

 

There is a rich and diverse range of German-speaking journals in the field of history and civics education. The usual forms of assuring formalised scientific quality are well-established. Now it may seem to the observer that there is no lack of publication opportunities, but rather of texts worth reading and able to stimulate discussion. The excessive demand for materials by editorial boards is distinctly augmented by the plethora of themed volumes appearing on all fronts. However, this large-scale production of texts also raises the question of who is supposed to read all these publications attentively. Seemingly, therefore, it would not be feasible to launch yet another journal, only to compete against the many established ones already available.

 

Three Problems: Publication Frequency, Hermeticism, Marginality

Closer scrutiny reveals that the journal landscape in the field of history and civics education is fraught with characteristic problems and shortcomings. Journal issues are published at long intervals and production times are lengthy (also due to elaborate quality-assurance processes). As a result, it is very difficult to initiate a lively and controversial discussion on the key problems of history and civics education via these journals.  The controversies so very essential for this field of inquiry in particular take place on the margins of conferences. As a rule, moreover, contentious topics and issues remain undocumented and hence fail to develop their potential for wider debate. The contributions to conventional journals lead a somewhat monadic existence. Besides, the skirmishes routinely waged in the footnotes are matters of yesterday. Usually appearing a great deal later, a published response to any such monad is equally monadic. Contributions to the established journals are largely hermetic, sometimes even esoteric. This is due not only to their sophisticated scientific language, but also to the small print run and small circulation range of such journals. Generally, not more than one hundred copies of any given issue are sold, most of which end up filling library shelves. History didacticians thus write mostly for themselves, and hence fail to reach not only their key target audience—teachers—but also a wider public interested in history and civics education. This problem is bound up with a further difficulty: among the general public and its media there are time and again conflicts directly concerning the field of history and civics education. Because history didacticians lead pretty much sheltered existences, forming a public of their own, they are not recognised as experts by journalists covering the field. As a result, the specific rationality potentials developed meanwhile by history didactics over a period of scientific research spanning 60 years remain untapped.

A Paradoxical Solution

What to do? Establish a new journal after all? If so, then this needs to be a journal that provides a solution to the problems commonly besetting journals in the field of historico-political education (publication frequency, hermeticism, and marginality). Over the past months, we have developed a format that enables a lively, almost real-time scientific exchange and renders effective and visible the rationality potentials of the didactics of history and civics education for a wider public and in a shape and form compatible with present-day mass-media formats. Beyond the scientific community mentioned above, the target audiences envisaged for this new journal are above all teachers, journalists, and interested members of the general public, that is to say, groups which thus far have had no access to the ongoing debates on the didactics of history and civics education and that were hardly within reach even for didacticians publishing in established journals.

History Didactics 2.0

Attaining this objective calls for an online medium, because nowadays those seeking information, not least also teachers, do so primarily online. A further requirement is an interactive but low-threshold application so as to involve those colleagues who are not digital natives in lively, non-verbal discourses. At the same time, the planned format strengthens the online presence of history and political education didacticians as well as promotes the necessary adjustment to the digital transformation of everyday life among our students, history teachers, and published opinion. Thus, this online format could lead to satisfying the desiderata for wider and more diversified participation in the current debates on didactics—since it greatly lowers the participation threshold. Nurturing these debates while also continually satisfying professional curiosity will involve harnessing an element of surprise and predictability. While recognised experts with proven research records should be expected to voice their opinions on a regular basis, the contents of their contributions should not be predictable. Accordingly, 12 professors from Austria, Switzerland, and Germany will support the new venture as a team of regular contributors. These authors have been granted absolute freedom to what write what they like within our thematic scope. Every Thursday at 8 a.m. will see the publication of a new and hopefully easily readable and stimulating initial contribution. Comments are welcome on all published contributions—and should not exceed the length of the initial texts.  The outcome will be a blog journal, an entirely new publication format within the landscape of history didactics journals. This format, we believe, may suitably complement existing journals in the field.

Postscriptum

- Some may wonder why our blog journal’s online presence and title are in English. Believe it or not, this is by no means a matter of newfangled self-importance but a decision taken with a view to—from 2014—expanding our team of (German-speaking) regular contributors to English-speaking colleagues and to publishing the entire journal in German and English. Prospective bilingual publication reflects our aim to promote debate and exchange beyond any self-limiting perspective. As such this initial step graphically anticipates the next stage of development.

- The envisaged format is new—also for our contributors. Writing History Didactics 2.0 must be learned anew. So please bear with us during the first couple of months.

- “Public History” is a wide field. Our blog journal seeks to bring into view individual and specifically didactic perspectives. It lays no claim whatsoever to being exclusive, nor to possessing the truth, nor indeed to prescribing the thematic agenda. Fear not, we are not aspiring to “Imperial Overstretch.”

 

Image credit 
(c) Photograph by Jens Märker / Pixelio

Translation (from German)
by Kyburz&Peck, English Language Projects (www.englishprojects.ch)

Recommended Citation
Demantowsky, Marko: Editorial. Yet another journal? In: Public History Weekly 1 (2013) 1, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2013-599.

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Sound des Mainstreams. Geschichtsdidaktik am Scheideweg

 

Die Reflexionen über die Zukunft der Geschichtsdidaktik haben bereits Geschichte, vor allem innerhalb dieser vergleichsweise jungen Disziplin. Der hier vorliegende Diskussionsvorschlag sieht sich als Teil dieser Geschichte und soll als ein Plädoyer für eine zeitgemäße Geschichtsdidaktik als Reflexionswissenschaft gelesen werden. Es geht darum, die tradierten Begriffe und Konzepte und den „Sound“ des geschichtsdidaktischen Mainstreams in Frage zu stellen.

 

„10 Euro in die Institutskasse“

Es scheint um das Ganze zu gehen: „Die Aufgabe der Geschichtsdidaktik“ wird von Monika Fenn beschworen. Und diese sieht sie ganz selbstverständlich – „die geschichtsdidaktische Zunft […] ist sich […] einig darüber“ – im reflektierten Umgang mit Geschichte. Wessen es dazu bedarf, wird von der Autorin gleich mitgeliefert: Man muss narrative Muster „aufdecken“ und sich ein eigenes Urteil bilden. Dies ist aber beides nur möglich, wenn man das „Richtige“ weiß. Überhaupt scheint das „Richtige“ für die Autorin eine große Rolle zu spielen. Ebenso wie die Angst, sich aus dem Elfenbeinturm ihrer Geschichtsdidaktik in die Welt des 21. Jahrhunderts zu begeben. Dieser Duktus, dieser Sound. Pars pro toto? „Wer das Wort ‘Erinnerungskultur’ benutzt“, lese ich den datierten Notizen Peter Sloterdijks, „zahlt ab sofort 10 Euro in die Institutskasse und wird für den Rest der Woche von den Diskussionen ausgeschlossen.“1 Wie ich finde: eine schöne Idee. Auch in der Geschichtsdidaktik sollten wir beginnen, die Begründungsmuster, Denkfiguren, Begriffe und dahinter stehenden Konzepte in Frage zu stellen. Schnell ist doch überall die Rede vom „reflektierten Geschichtsbewusstsein“, von „der“ Geschichtskultur, von „historischer Bildung“, ja sogar manchenorts immer noch von „Ideologiekritik“.

Bescheidwisserei von gestern

Sehe ich diese beiden Aspekte zusammen, dann frage ich mich doch, ob das die Geschichtsdidaktik ist, die historisches Denken in unseren „gebrochenen Zeiten“2 des 21. Jahrhunderts reflexiv begleiten kann (und soll)? Im Gestus des etablierten Bescheidwissers, der auf dem „Richtigen“ beharrt, mit dem zur Schau gestellten kulturpessimistischen Zeigefinger angesichts „missbrauchter“ Quellen und mit Verweis auf Texte, die in einer Zeit geschrieben wurden, in der lediglich von „Geschichte in der Öffentlichkeit“ die Rede war, die Menschen noch mit Wählscheibenapparaten telefonierten und es lediglich drei Fernsehprogramme gab? Denn seien wir ehrlich: Diese Texte waren auf ein Zeitalter zugeschnitten, in dem die Welt das war, was sie heute längst nicht mehr ist: „Ohne dass wir dessen gewahr wurden, ist in einer kurzen Zeitspanne, in jener, die uns von den siebziger Jahren trennt, ein neuer Mensch geboren worden.“3

“… interrupt the following”

„Es geht mir um einen Blick für Blicke.“4 Mit diesem Satz begründet Armin Nassehi seine soziologischen Storys aus der postmodernen Welt des 21. Jahrhunderts. Dies könnte auch zugleich die Intention des vorliegenden Beitrages sein. Es geht mir in diesem Sinne darum, dass die Geschichtsdidaktik Leerstellen skizzieren und Utopien entwerfen sollte, die den eigenen Mainstream geschichtsdidaktischer Argumentation in Frage stellen könnten. Denn die Thematisierung dieser Blicke als mögliche Perspektive für eine zeitgemäße Geschichtsdidaktik könnte dann im besten Fall einen reflexiven Lernprozess in Gang setzen, der das etablierte Konzept des „reflective practitioner“ von Donald Schön auch auf die ExpertInnen der Geschichtsdidaktik übertragen könnte: Perspektivendifferenz als Lernanlass. Denn die Differenz ist die Stärke einer Disziplin, nicht deren Schwäche. Dann sollte es aber nicht darum gehen, den geschichtsdidaktischen Bestand zu wahren, sondern vielmehr darum, Traditionen zu überdenken und Ansätze zu entwickeln, ja etablierte Theorien und Methoden des Faches weiter- und neuzudenken. Nicht ohne Grund zitieren die AutorInnen des Sammelbandes „Manifestos for History”, der sich mit der Vielfalt der Geschichte im 21. Jahrhundert beschäftigt, ein Paradoxon von Jacques Derrida: „To be true to what you follow you have to interrupt the following.“5

Schrägheit und Entdeckung

Um dies aber zu realisieren, muss man manchmal quer denken, neugierig und offen sein, Bestehendes in Frage stellen und Neues ausprobieren. Was die Geschichtsdidaktik m.E. braucht, ist eine kultivierte Form der Schrägheit im Denken, gleichzeitig aber auch einen seriösen und entdeckenden „Blick zurück“ auf die verschüttgegangenen Traditionen des Faches als Reflexionswissenschaft. All dies könnte man als Außenstehender in den Texten der Geschichtsdidaktik vermissen, als Beteiligter auch schmerzlich beim eigenen Schreiben. Aber nur diese Schrägheit, nur dieser Einschnitt, eröffnet uns die Chancen zur Entbürokratisierung des Denkens angesichts der Fragmentarisierung von Weltbezügen und der damit einhergehenden Angst vor dem Verlust des Ganzen. Denn nur dieser Einschnitt, die Derrida’sche Unterbrechung, bietet den notwendigen Raum für die Reflexion des eigenen Tuns. Eine zeitgemäße Geschichtsdidaktik wäre dann eine Geschichtsdidaktik, die sich in diesem Raum bewegt, ohne den Ausgang zu kennen, wäre eine Wissenschaft in Bewegung, von einem Zustand zu einem anderen. Geschichtsdidaktik böte dann die Möglichkeit zur Erkundung fremder Welten, der vorurteilsfreien Begegnung mit anderen Erzählungen, die weder richtig noch falsch, sondern lediglich anders wären: Geschichtsdidaktik als Reflexionsraum historischen Denkens.

 

Literatur

  • Jenkins, Keith: At the Limits of History. Essays on Theory and Practice, London/New York 2009.
  • Munslow, Alun: The Future of History, London 2010.

Externe Links 

 

Abbildungsnachweis
© Jakob Ehrhardt / PIXELIO

Empfohlene Zitierweise
Heuer, Christian: Sound des Mainstreams. Geschichtsdidaktik am Scheideweg. In: Public History Weekly 1 (2013) 7, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2013-466.

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Wer erschlägt hier wen? Historisch-politische Bildung

 

Dass Geschichte und politische Bildung harmonischen Geschwistern gleichen, scheint in der Öffentlichkeit weitgehend unwidersprochen. Unter BildungsexpertInnen an Schule und Universität wird diese Meinung aber keineswegs geteilt, ganz im Gegenteil erscheinen sie dort fast als die biblischen Brüder Kain und Abel. Vonseiten der Geschichtsdidaktik wird befürchtet, dass Geschichte auf Politik verkürzt werde. Die politische Bildung sieht in einer zu starken Annäherung wiederum eine Verengung des Politikbegriffs. Es scheint eindeutig: Geschichts- und Politikdidaktik mögen sich zwar hin und wieder ergänzen, kurzfristige Sympathien sind erlaubt. Ein längerfristiges Zusammenrücken beider Disziplinen ist aber undenkbar und wird abgelehnt.

 

Ein österreichisch-schweizerischer Virus?

Trotz der genannten Einwände tritt nun aber ein Blog Journal, „Public History Weekly“, als Mediatorin auf? Hat gar ein österreichisch-schweizerischer Virus die Redaktion und die AutorInnen befallen? Keine unberechtigte Frage, besteht doch in beiden Ländern traditionell eine enge und zudem nicht immer ruhmreiche Verbindung von Geschichte und politischer Bildung. Die Gründe für diese schwierige Liaison sind vielfältig: In beiden Ländern erschien nach 1945 ein eigenes Fach „Politische Bildung“ nicht so dringlich – die Schweiz hatte ja angeblich mit dem Nationalsozialismus ohnehin nichts zu tun, und Österreich verstand sich bekanntlich als ein „Opfer“ nationalsozialistischer Expansionspolitik. Nach dem Krieg sollte die nationale Integration vorangetrieben und das Bekenntnis zur Demokratie in den Köpfen der Bürger und Bürgerinnen verfestigt werden. Nicht der „Citoyen“, der oder die kritische „AktivbürgerIn“, war gefragt, sondern die Ein- oder auch Unterordnung in die Republik. In diesem Zusammenhang ließ sich Geschichte lange Zeit für nationale Manipulation und Indoktrination instrumentalisieren.

Gefahr der Mythenbildung?

In der Schweiz dienten etwa die Legende des Rütlischwurs und der Bundesbrief von 1291 zur Begründung eines demokratischen Mythos und zur Beschwörung einer vermeintlichen nationalen Harmonie. In Österreich war es wiederum der Opfermythos, der seine Begründung in der angeblichen Friedfertigkeit der österreichischen Bevölkerung bzw. überhaupt im „österreichischen Charakter“ fand. Die habsburgische „Macht des Herzens“ und die große kulturelle Vergangenheit stünden den nationalsozialistischen Verbrechen im Wege. Daher seien die ÖsterreicherInnen während der nationalsozialistischen Diktatur offenbar auch jeglicher Handlungsfähigkeit beraubt worden.

Kulturwissenschaft als Ausweg

Ein solcher Missbrauch von Geschichte liegt Public History Weekly selbstverständlich fern. Ganz im Gegenteil wird historisch-politische Bildung im kulturwissenschaftlichen Sinne verstanden. Herrschafts- und Machtverhältnisse, soziale Strukturen, hegemoniale kulturelle Praktiken oder unterschiedlichen Kategorien wie „Freiheit“ oder „Gerechtigkeit“ sind immer auch historisch zu begründen. Nur mit dem Überschreiten der von den wissenschaftlichen (Teil-)Disziplinen gesetzten Grenzen, durch das Suchen politischer Implikationen in den kulturellen Praktiken oder besser: das Verstehen des Politischen selbst als einen kulturellen Habitus können diese historischen Dimensionen verdeutlicht werden.
Als „liaison dangereuse“ kann historisch-politische Bildung daher nur dann verstanden werden, wenn ein enger Politikbegriff vertreten wird. Eine moderne, kulturwissenschaftlich orientierte historisch-politische Bildung hat sich dagegen mit dem Bewusstseinsbegriff auseinanderzusetzen. Sie beschäftigt sich, wie etwa der Beitrag von Monika Fenn in diesem Blog Journal sehr anschaulich zeigt, mit Geschichtskultur und politischer Kultur. Zu ihren Themen zählen Identitätsbildung, Sozialisationsprozesse und kollektive Gedächtnisse, sie betreibt Ideologiekritik und untersucht die individuelle Deutung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Geschichte und politische Bildung lassen sich hier nicht getrennt denken. Ganz im Gegenteil wäre eine Vernachlässigung dieser Verbindung geradezu bedenklich oder gar sträflich.

Wiederbelebung eines alten Diskurses

Der Diskurs über eine Zusammenführung oder besser: über eine Synthese beider Disziplinen, der bereits in den 1960/70er Jahren geführt wurde, sei daher unter neuen kulturwissenschaftlichen Voraussetzungen wiederbelebt. Damit werden keine alten Gräben aufgerissen, sondern Perspektiven geboten, die dem Geschichts- und Politikunterricht letztlich bereichern können. Provokant sei gefragt: Kann moderner Geschichts- und Politikunterricht denn letztlich etwas anderes sein als historisch-politische Bildung?

 

Literatur

  • Hedtke, Reinhold: Historisch-politische Bildung – ein Exempel für das überholte Selbstverständnis der Fachdidaktiken. In: Politisches Lernen, 21/1-3 (2003), S. 112-122.
  • Hellmuth, Thomas: Politische Bildung als historisch-politische Sinnstiftung: Überlegungen zu einem historisch-politischen Kompetenzmodell. In: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaften, 38/4 (2009), S. 483-496.
  • Lange, Dirk: Historisch-politische Didaktik. Zur Begründung historisch-politischen Lernens, Schwalbach/Ts. 2004 (Studien zu Politik und Wissenschaft).

Externe Links

 

Abbildungsnachweis
(c) The Courtauld Gallery, London. Peter Paul Rubens, 1608, Kain erschlägt Abel, Abbildung gemeinfrei.

Empfohlene Zitierweise
Hellmuth, Thomas: Wer erschlägt hier wen? Historisch-politische Bildung. In: Public History Weekly 1 (2013) 5, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2013-278.

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Vorbilder aus der Geschichte?

Jugendliche heute sind permanent mit den Fragen konfrontiert, wer sie sind, was sie wollen, wohin sie gehen sollen. Zur Beantwortung dieser Fragen scheinen die Lebensgeschichten anderer Menschen eine große Anziehungskraft zu haben. Jugendliche suchen ihre Vorbilder vor allem in der Gegenwart, zuerst bei ihren Eltern, dann oft bei Medien- und Sportstars. Dass sie auch in der Vergangenheit positive Identifikationsfiguren suchen könnten, wird ihnen kaum gezeigt.

 

Nicht Personen, Strukturen!

Spätestens seit Mitte der 1970er-Jahre ist ein personenorientierter Zugang im Geschichtsunterricht verpönt. Geschichtsdidaktik wurde nicht müde, die Gefahren der Personalisierung zu betonen. Das mag damit zusammenhängen, dass sich damals die Geschichtswissenschaft von der biografischen Historiografie abgewandt und der Strukturgeschichte zugewandt hatte. Auch wurden Befürchtungen formuliert, dass mit einem personenorientierten Zugang Jugendliche im Geschichtsunterricht manipuliert und überwältigt würden. Parallel zum Verschwinden von positiven Identifikationsfiguren aus dem Geschichtsunterricht verschwanden auch die Emotionen. Jugendliche sollten zur Vergangenheit eine kritische Distanz aufbauen und einen „reflektierten und (selbst-)reflexiven Umgang mit Geschichte“ erlernen.

Lehrpläne: Die Vorbilder sind verschwunden

So halten sich auch die Lehrpläne Geschichte mit der Nennung von Personen zurück. In den neuen Hessischen Bildungsstandards und Inhaltsfeldern für Geschichte an Realschulen (2011) findet sich kein einziger Name eines Menschen aus der Vergangenheit, den Jugendliche kennen sollten. Hingegen wird großes Gewicht auf die identitätsstiftende Bedeutung von Geschichtsunterricht gelegt: Das Fach Geschichte „stärkt das Einfühlungsvermögen, bietet die Möglichkeit zur Identifikation mit vorbildhaften Personen, vermittelt aber auch die Fähigkeit zur kritischen Distanz“. Die Auswahl der vorbildhaften Personen soll im Geschichtsunterricht den Jugendlichen überlassen werden – so zumindest fordert das die geschichtsdidaktische Theorie: „Es kann und darf im Geschichtsunterricht keine verbindlichen Vorbilder geben, die allen Schülerinnen und Schüler zur Identifikation auferlegt werden; Vorbilder werden aus dem Angebot des Unterrichts von den SchülerInnen individuell ausgewählt“ (Bergmann 1998, 278).

„Mein Vorbild im Fernsehen!“

Und da weder die Geschichtsdidaktik noch die Geschichtswissenschaft konkrete Vorschläge machen, welchen Menschen Jugendliche im Geschichtsunterricht begegnen sollen und welche sich allenfalls als positive Identifikationsfiguren eignen würden, wird dieses Feld von andern Institutionen wie etwa dem Fernsehen besetzt und genutzt. Im November wird die Dokufiction-Serie „Die Schweizer“ in drei Sprachregionen ausgestrahlt. Bei „den Schweizern“ handelt es sich um Werner Stauffacher, Niklaus von Flüe, Hans Waldmann, Guillaume-Henri Dufour, Alfred Escher und Stefano Franscini – alles Männer. Ab November 2013 im Programm der SRG. Diese Männer werden zweifellos künftig prominenter im Schweizer Geschichtsunterricht auftauchen als bisher. Grund dafür sind das attraktive Filmmaterial und die begleitenden Medien. Wohl kann Geschichtsunterricht zur Ausdifferenzierung von Kompetenzen beitragen, wenn beispielsweise beim Porträt von Stauffacher darauf hingewiesen wird, dass einiges davon notgedrungen erfunden werden muss, weil es zu ihm kaum Quellen gibt, oder dass das Geschichtsbild, für das er steht, nämlich der Widerstand “der” Eidgenossen gegen “die” feindlichen Habsburger, erst 200 Jahre später, im Verlaufe des 15. Jahrhunderts entstanden ist. Doch als positive Identifikationsfigur wird Stauffacher heute für Jugendliche nicht mehr dienen können. Wer aber dann?

“nicht nur Völkermörder und Verbrecher”

Der neue Lehrplan 21  für die Deutschschweiz macht hierzu Vorschläge: So sollen SchülerInnen laut Lehrplan einzelne SchweizerInnen porträtieren, die einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des Zusammenlebens oder der sozialen Gerechtigkeit in der Schweiz und der Welt geleistet haben. Als Beispiel – nicht als Vorgabe – werden unter anderen Emilie Kempin-Spyri, Henry Dunant, Marie Heim-Vögtlin, Robert Grimm oder Gertrud Kurz genannt. Mir gefällt dieses Vorgehen in vierfacher Hinsicht: Erstens lebten auch in der Vergangenheit nicht nur Verbrecher und Völkermörder. Viele Menschen haben im Alltag und in verantwortungsvollen Positionen Positives geleistet. Sie sollen wieder stärker in den Blick rücken. Zweitens bekommt damit die Personifizierung und Personalisierung im Geschichtsunterricht wieder einen größeren Stellenwert, was wichtig ist, wenn das Fach zum Aufbau und zur Ausdifferenzierung von Identität beitragen soll. Drittens übernimmt der Lehrplan Steuerungsverantwortung und macht konkrete Vorschläge. Viertens werden diese Vorschläge explizit als Beispiele ausgeschildert. Das ist weniger bestimmend als eine bereits erfolgte Auswahl auf Ebene der Schulgeschichtsbücher. Und die Vorschläge regen zum Weiterdenken an: Wer soll aus der Beispielliste gestrichen werden? Wer fehlt? Und welche Menschen aus Deutschland oder Österreich könnten Schweizer Jugendlichen auch als positive Identifikationsfiguren dienen?

 

 

Literatur

  • Bergmann, Klaus: Geschichtsdidaktik. Beiträge zu einer Theorie historischen Lernens, Schwalbach/Ts. 1998.
  • von Borries, Bodo: Vorbilder im Geschichtsunterricht. In: ders.: Lebendiges Geschichtslernen. Bausteine zu Theorie und Pragmatik, Empirie und Normfrage, Schwalbach/Ts. 2004, S. 416-424.
  • Schneider, Gerhard: Personalisierung / Personifizierung. In: Barricelli, Michele / Lücke, Martin: Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts. Band 1, Schwalbach/Ts. 2012, S. 302-315.

Externe Links

 

Abbildungsnachweis
© Claudio Minutella, Jugendliche betrachten das Bourbaki Panorama in Luzern.

Empfohlene Zitierweise
Gautschi, Peter: Vorbilder aus der Geschichte? In: Public History Weekly 1 (2013) 4, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2013-233.

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Editorial. Noch eine neue Zeitschrift?

 

Die deutschsprachige Zeitschriftenlandschaft ist auf dem Feld der historisch-politischen Bildung reich und vielfältig. Die üblichen Formen der formalisierten wissenschaftlichen Qualitätssicherung sind etabliert. Dem Beobachtenden mag es manchmal scheinen, dass es nicht an Publikationsgelegenheiten mangelt, sondern an lesenswerten und diskussionsanregenden Texten. Dieses Phänomen des redaktionellen Nachfrageüberhangs auf dem Publikationsmarkt wird durch die vielen themenspezifischen Sammelbände, die allenthalben erscheinen, noch deutlich verstärkt. Diese große Textproduktion lässt aber auch die Frage aufkommen, wer das alles noch aufmerksam studieren soll? Es kann deshalb kein sinnvolles Projekt sein, den vielen etablierten Zeitschriften ein weiteres konkurrierendes Organ hinzuzufügen.

 

Drei Probleme: Erscheinungsfrequenz, Hermetik, Randständigkeit

Wenn man genauer hinsieht, kann man feststellen, dass diese Zeitschriftenlandschaft mit charakteristischen Problemen und Defiziten behaftet ist. Die einzelnen Blätter erscheinen in langer Frequenz und mit langer Produktionsdauer (auch wegen der aufwändigen kollektiven Qualitätssicherungen). Dies führt dazu, dass ein lebendiger und kontroverser Austausch über zentrale Probleme der historisch-politischen Bildung im Medium dieser Zeitschriften nur sehr schwer ins Laufen kommt. Solche besonders für diesen Themenbereich so essentiellen Kontroversen finden auf und am Rande von Tagungen statt, werden in der Regel nicht dokumentiert und entwickeln deshalb nicht ihr öffentliches Potenzial. In den gängigen Zeitschriften stehen die einzelnen Beiträge gleichsam als Monaden, und die üblichen Fußnotenscharmützel sind notgedrungen gestrig. Eine publizierte Reaktion auf eine solche Monade ist es im Augenblick ihres viel späteren Erscheinens auch.
Das Schreiben in den etablierten Zeitschriften trägt weitgehend hermetischen, manchmal esoterischen Charakter. Das liegt nicht nur an einer elaborierten Wissenschaftssprache, sondern auch an der geringen Auflagenstärke und Reichweite dieser Zeitschriften. In der Regel werden nicht mehr als wenige hundert Exemplare verkauft, von denen die meisten wiederum in die Bibliotheken wandern und dort die Regale füllen. Die GeschichtsdidaktikerInnen schreiben also weitestgehend nur für sich. Ihre entscheidende Zielgruppe, die LehrerInnen, aber auch eine interessierte Öffentlichkeit erreichen sie kaum.
Damit verbunden ist noch ein weiteres Problem: In der Öffentlichkeit und ihren Medien gibt es immer wieder Konflikte, die das Feld der historisch-politischen Bildung direkt betreffen. Da die GeschichtsdidaktikerInnen sich in einer abgeschirmten Öffentlichkeit bewegen, werden sie von den jeweils verantwortlichen JournalistInnen als ExpertInnen nicht wahrgenommen. Dadurch bleiben die spezifischen Rationalitätspotentiale unausgeschöpft, die von der Geschichtsdidaktik in ihrer mittlerweile 60jährigen wissenschaftlichen Entwicklung erarbeitet worden sind.

Eine paradoxe Lösung

Was tun? Doch eine neue Zeitschrift gründen. Es sollte allerdings eine Zeitschrift sein, die für die Probleme der Frequenz, der Hermetik und der Randständigkeit einen Lösungsansatz bietet. In den vergangenen Monaten ist in diesem Sinne ein Format entwickelt worden, das lebendigen, nahezu echtzeitigen wissenschaftlichen Austausch ermöglicht und das die Rationalitätspotentiale der Didaktiken der Geschichte und Politik effektiv öffentlich und massenmedial kompatibel sichtbar macht. Als Zielgruppen werden über den vorgenannten wissenschaftlichen Kreis hinaus auch und besonders die LehrerInnen, die JounalistInnen und ganz allgemein eine interessierte Öffentlichkeit betrachtet. Das sind Gruppen, die bis anhin keinen Zugang zur Diskussion in den Didaktiken der Geschichte und Politik hatten und umgedreht für publizierende DidaktikerInnen kaum erreichbar waren.

Geschichtsdidaktik 2.0

Um diesen Zweck zu erreichen, braucht man ein Online-Medium, weil sich jeder Interessierte, nicht zuletzt auch die LehrerInnen, heutzutage primär online informiert. Darüber hinaus benötigt man ein interaktives, aber gleichwohl technisch niedrigschwelliges Format, um auch nicht-netzaffine Kolleginnen und Kollegen in lebendige nicht-mündliche Diskurse einzubinden. Gleichzeitig stärkt das geplante Format die Präsenz von Geschichts-und Politikdidaktikern im Netz und befördert dadurch die notwendige Anpassung an den sich vollziehenden digitalen Wandel der Lebenswelt unserer SchülerInnen, der Lehrkräfte in unseren Fächern und der veröffentlichten Meinung. Das könnte wünschenswerterweise dazu führen, dass sich die didaktischen Debatten in ihrer Teilnehmerschaft ausweiten und diversifizieren – weil es nur noch eine sehr niedrige Teilnahmeschwelle gibt.
Um die Debatten zu füttern und die fachliche Neugier immer wieder zu befriedigen, müssen Überraschung und Berechenbarkeit gekoppelt werden. Man muss erwarten dürfen, dass anerkannte und durch Forschung ausgewiesene ExpertInnen sich dort regelmäßig melden und deren Beiträge wiederum dürfen inhaltlich nicht vorab erwartbar sein. Dementsprechend werden 12 ProfessorInnen aus Österreich, der Schweiz und Deutschland das Journal als Stammautoren unterstützen. Diesen AutorInnen wiederum wurde im Themenspektrum der Zeitschrift absolute auktoriale Freiheit eingeräumt, sie können schreiben, worüber sie wollen. Jeden Donnerstag um 8 Uhr wird ein neuer, hoffentlich gut lesbarer und anregender Initialbeitrag erscheinen. Kommentiert werden können alle erschienenen Beiträge – maximal in gleicher Länge wie die Initialtexte.
Das Ganze ist dann ein Blog-Journal, in dieser Form etwas ganz Neues im Spektrum geschichtsdidaktischer Zeitschriften. Vielleicht eine gute Ergänzung.

 

3 „Disclaimer“

- Man mag sich wundern, warum der Auftritt und Titel des Blog-Journals in englischer Sprache gehalten sind. Es handelt sich dabei, man mag es uns glauben, nicht um neumodische Wichtigtuerei. Vielmehr soll unser Autorenstamm ab 2014 um englischsprachige KollegInnen erweitert und das ganze Journal zweisprachig gehalten werden. Wir wollen den Austausch perspektivisch sehr gern grenzenlos ermöglichen. Es handelt sich also um die graphische Vorwegnahme des nächsten Entwicklungsschrittes.

- Dieses Format ist ein neuartiges – auch für die AutorInnen. Schreiben 2.0 will neu gelernt werden. Bitte seien Sie in den ersten Monaten nachsichtig.

- „Public History“ ist ein weites Feld. Das Blog-Journal möchte einzelne, spezifisch didaktische Perspektiven kenntlich machen und erhebt keinerlei Anspruch auf Ausschließlichkeit, Wahrheitsbesitz und Themenmacht. Keine Angst vor dem “Imperial Overstretch”.

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