Staat und Kirche. Politik und Religion

Wann dient Religion als Instrument zur Durchsetzung politisch gewollter Veränderungen? Wie hängen Religion und Politik zusammen? Und gibt es Parallelen zu politischen Ideologien? In Ausgabe 7/2011 des MONTAGSRADIO diskutieren wir die Zusammenhänge von Religion und Politik mit Historiker Henning Pietzsch.

Wo Religion und Kirche in Opposition zum Staat stehen, sucht der Staat nach Ersatzinstitutionen, um das Gemeinschaftsbedürfnis der Menschen zu befriedigen. Auch unter Androhung staatlicher Repressialien gelang es zum Beispiel den Kirchen in der DDR, zum Ort für freiheitliches und oppositionelles Denken zu werden. Nach dem Ende der DDR verloren die Kirchen auf den ersten Blick an Bedeutung. Doch trotz Humanismus und Aufklärung bestimmen auch in unserem westlich geprägten Kulturkreis die Werte und Grundsätze religiöser Glaubensgemeinschaften das Handeln des Einzelnen und staatlich organisierter Systeme. Sie geben Boden für die Sinnerklärung der eigenen Existenz.

MP3 und Timeline gibt es unten…

1:30 Umbruch im Nahen Osten und die Bedeutung der Religion

5:00 Religion als Rückzugsraum

6:30 Gab es religiösen Fundamentalismus in der DDR?

8:00 Oskar Brüsewitz

10:00 „Kirche im Sozialismus“

12:00 Kirche als „bürgerlicher Überrest“

14:00 Kirche und Opposition

17:30 kirchliche Jugendarbeit wird vom Staat als „oppositionell“ eingeordnet

20:00 Bedeutung der Künstler, Heraustreten der Opposition aus der Kirche

22:00 Rolle der Kirche nach 1989

24:00 Überleben der Jugendweihe

26:00 Religiöse Züge des Kommunismus

30:00 Religion und Ideologie: Gemeinsamkeiten und Unterschiede

37:00 Rückkehr des Religiösen in der Gesellschaft?

40:00 Religiöse Einstellung der Diskutierenden

45:00 Religion und Politik heute, Täter und Versöhnung

50:00 Nihilismus, religiöse Nischen und der homo oeconomicus

52:00 Ökonomie, Ersatzreligionen und Warenfetischismus

54:00 Fragebogen

Quelle: http://www.montagsradio.de/2011/05/16/staat-und-kirche-politik-und-religion/

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Kitsch oder Kultur? Über den Sinn und Unsinn von Denkmälern

MONTAGSRADIO, Ausgabe 06/2011. Ein Streitgespräch. Gäste: Der HistorikerWolfgang Wippermann und der Stadtplaner Florian Mausbach. Das Denkmal für Freiheit und Einheit. Über die Bedeutung des Denkmals im 21. Jahrhundert

In einem vitalen, um nicht zu sagen sehr vitalen Streitgespräch diskutieren wir mit einem der Initiatoren des gerade beschlossenen Denkmals für Freiheit und Einheit auf dem Berliner Schloßplatz, dem ehemaligen Präsidenten des Bundesbauamtes, Florian Mausbach und einem der entschiedensten Kritiker, dem Berliner Historiker, Wolfgang Wippermannn.

Ein Disput in Reinkultur!

Denkmäler sind Teil unserer Erinnerungskultur und repräsentieren den Zeitgeist verschiedener Epochen. Sie stehen für ein Ereignis, eine Person oder ein Zustand von Vergangenem und sollen erinnern, mahnen, motivieren und ermutigen. Aber welchen Zweck können sie im 21. Jahrhundert noch erfüllen? Und welcher Moment der Zeitgeschichte muss sich in einem Denkmal manifestieren? Wer ist Adressat, wie soll es gestaltet werden und wo ist der richtige Ort? Und wie viele Denkmäler verträgt eine Nation?

Im November 2007 beschloss der Deutsche Bundestag, das bürgerliche Engagement von Millionen Menschen in der DDR für politische Reformen und demokratische Freiheiten mit einem Freiheits- und Einheitsdenkmal dauerhaft zu würdigen. Die Einigung über den Entwurf erfolgte im April 2011.  Neben dem Gewinner-Projekt “Bürger in Bewegung” des Stuttgarter Architektenbüros “Milla & Partner” und Sasha Waltz sprechen wir mit ihnen über das Holocaust-Mahnmal und Kriegerdenkmäler.

Für Hastige gibt es hier noch die Timeline zum Skippen. Das MP3-File zum Download gibt es hier.

2:00 Architektur für die Demokratie, die Kuppel auf dem Reichstag

4:00 Mausbach: die notwendige symbolische Feier der Demokratie

5:00 Wippermann: „Das Denkmal wird nicht vom Volk, sondern für das Volk gesetzt.“

6:00 „Die Wippe ist Kitsch“, kein authentischer Ort

8:30 Ein Revolutionsdenkmal ist nötig. „Eine Stadt ohne Denkmäler ist wie eine Wohnung ohne Bilder.“

10:00 Denkmäler als Herrschaftslegitimation

11:30 Mausbach: Beschluss des Bundestages für das Denkmal

13:00 Wippermann: Denkmalsprache verbraucht, Kitsch, Holocuast-Mahnmal

17:00 Mausbach: Holocaustmahnmal in Frankfurt

19:30 Wippermann: Inflation der Denkmäler

22:00 Heidmeier: notwendiges Scheitern

24:00 Maubach: notwendiges würdevolles Gedenken

26:00 Wippermann: Gedenkstätten statt Denkmäler, Täter können für Opfer kein Denkmal zu errichten

28:00 Mausbach: Freiheitsdenkmal wichtig für eine wehhafte Demokratie

29:00 die Form des Denkmals

31:00 das interaktive Denkmal

33:00 Wippermann: teurer Kitsch, vorhandene Denkmäler verändern: Neue Wache, Kriegerdenkmal

35:00 Mausbach: man kann die alten Kriegerdenkmäler und Nazigebäude nicht abreißen und die Städte bereinigen

36:30 zum Standort des Freiheits- und Einheitsdenkmals

38:00 der Sockel des alten Kaiserdenkmals für ein demokratisches Denkmal

39:00 die Ausstellung auf dem Alexanderplatz, Kennzeichnung authentischer Orte statt „überhöhter Darstellung“

40:00 Bundeswehrdenkmal

42:00 Pathos und Revolution, Ermutigung durch das Denkmal: ohne Zivilcourage keine Demokratie
45:00 kein Ausdruck denkbar? Wippermann: „Staatsnation ist nicht denkmalwürdig“

47:00 Mausbach: „Abschluss einer lange Geschichte“

Quelle: http://www.montagsradio.de/2011/05/02/kitsch-oder-kultur-uber-den-sinn-und-unsinn-von-denkmalern/

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Ego-Shooter an der Berliner Mauer und Auschwitz als Kulisse für ein Onlinegame

MONTAGSRADIO, Ausgabe 5/2011. Gast: Andreas Lange, Direktor des Computerspielemuseums. Thema: Computerspiele und Ideologie.

Wie passen Computerspiele und Zeitgeschichte zusammen? Welchen ideologischen Auftrag hatten Computerspiele zu Zeiten der Blockkonfrontation? Und welchen haben sie heute? Lassen sich Situationen, Konstellationen und Momente der Zeitgeschichte als Kulisse für Onlinegames nutzen? Drückt sich auch in Spielen das kollektive Unbewußte aus, wie beispielsweise in Mainstreamfilmen?

Ursprünglich als militärische Planspiele konzipiert, bestimmen Computerspiele in kommerzialisierter Form längst unsere Alltags-Kultur. Historische Ereignisse können in der Welt der Computerspiele nach eigenem Belieben nachgespielt oder verändert werden. Hier entscheidet der User selbst seine Positionierung und den Ausgang der Ereignisse.

Mit Andreas Lange, dem Direktor des Computerspielemuseums in Berlin sprachen wir über das umstrittene Mauerschützenspiel und über Auschwitz als Kulisse. 1997 gründete er die weltweit erste Ausstellung über Computerspiele. Wir diskutierten mit ihm die Gefahren, moralische Grenzen aber auch positive Auswirkungen von Computerspielen.
Und hier noch die Timeline für Ungeduldige:
0:45 Wie wird man Direktor eines Computerspielemuseums?
6:30 Das erste indizierte Computerspiel in Deutschland
9:00 Der “Flow” beim Spielen: Spielen macht nicht immer abhängig
12:30 Inwieweit sind historische Themen präsent in Computerspielen?
13:15 Vom Schachspiel zum militärischen Planspiel: Die Wurzeln des Computerspiels
20:50 “Moral ist kein Kriterium beim Spielen”: Andreas Lange über Spielregeln
22:00 Sind alle historischen Zusammenhänge nachspielbar?
25:30 Warum wird im Zusammenhang mit Computerspielen über Moral diskutiert, bei Literatur und Filmen aber nicht?
28:20 Den Flow im Arbeitsalltag mit Gamification erreichen: Wie geht das?
38:40 Computerspiele waren in der DDR nicht negativ behaftet
43:25 So geht Frankreich mit der Computerspielkultur um
44:35 Wie die DDR und die BRD mit Computerspielen umgegangen sind
55:30 Der MONTAGSRADIO-Fragebogen
Hier geht es übrigens direkt zum MP3.

Quelle: http://www.montagsradio.de/2011/04/18/ego-shooter-an-der-berliner-mauer-und-auschwitz-als-kulisse-fur-ein-onlinegame/

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Kunstaktionen, disneyhafte sowjetische Soldaten und persönliche Geschichten zwischen Mauerresten

MONTAGSRADIO, Ausgabe 3/2011. Gast: Axel Klausmeier, Leiter der Stiftung Berliner Mauer und der Gedenkstätte in der Bernauer Straße, Berlin.

Pietätlosigkeit neben respektvoller Erinnerung? Die Berliner Mauer ist in ihrer Geschichte einzigartig. Im August 2011 jährt sich ihr Bau zum 50. Mal. Ihr Fall vor 20 Jahren war gleichzeitig der endgültige Niedergang der kommunistischen Gewaltherrschaft und das Ende des Kalten Krieges. Seitdem ist die Erinnerung an den ehemaligen Schrecken der Berliner Mauer politischer Bildungsauftrag. Wie kann er vermittelt werden, ohne banalisierend und verallgemeinernd zu wirken? Wie kann authentisch und glaubhaft erinnert und gleichzeitig die Bedeutung fürs Jetzt hergestellt werden?

In der aktuellen MONTAGSRADIO-Ausgabe diskutieren wir mit Axel Klausmeier, seit Januar 2009 ist er der Direktor der Stiftung Berliner Mauer. Der studierte Kunsthistoriker und Historiker der Neueren und Mittelalterlichen Geschichte beschäftigt sich insbesondere mit dem Umgang historischer Bausubstanz und ihrem Vermittlungswert.

Wir sprechen mit Axel Klausmeier über das Konzept der Stiftung Berliner Mauer in Abgrenzung zum Mauermuseum Checkpoint Charlie, die geplante Erweiterung der Gedenkstätte Berliner Mauer in der Bernauer Straße und den sich anschließenden politischen Bildungsauftrag. Zudem diskutieren wir mit ihm, ob das Ego-Shooter-Spiel „1378km“, das so genannte „Mauerschützenspiel“, bei dem der Spieler zwischen „Mauerschütze“ und „Republikflüchtling“ wählen kann, als Bildungsinstrument zulässig ist und wo die Potentiale möglicher weiterer Computerspiele liegen.

Und hier noch die Timeline des Gesprächs:

01:00    50 Jahre Mauerbau in der Gedenkstätte Berliner Mauer

02:15    der Mauerbau und seine Verantworter

05:30    Niederlage einer gesellschaftspolitischen Ideologie?

08:15    die Erweiterung der Mauergedenkstätte Bernauer Straße

11:00    die Bedeutung der Bernauer Straße

13:30    Authentizität der Erinnerung?

17:30    Die “Mauer” und ihre Tiefenstaffelung

24:20    Die Stiftung Berliner Mauer und ihr Konzept

28:45    Resonanz der Besucher

35:00   der politische Bildungsauftrag

41: 30    ”1387km” – das Mauerschützenspiel

48:00    Computerspiele als Bildungsinstrument?

55:00    ”Freiheit und Demokratie”

58:00    Das Stadtschloss in Berlin

1:02:00 MONTAGSRADIO-Fragebogen

Quelle: http://www.montagsradio.de/2011/03/21/kunstaktionen-disneyhafte-sowjetische-soldaten-und-personliche-geschichten-zwischen-mauerresten/

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Die Beatles in Hamburg

von Sara Ziaabadi, Philipp Prieth, Jannik Berger –

Hamburg prägte die Beatles wie keine andere Stadt. Die Zeit auf dem Kiez legte den Grundstein für eine unglaubliche Weltkarriere. Hier fanden sie zu ihrem unvergleichlichen Stil und schlossen wichtige Freundschaften. Hier formierten sich die Beatles endgültig zu den „Fab Four“. Über jene Lehrjahre in Hamburg, über kaschemmige Unterkünfte, Arbeitsverbot und Auseinandersetzungen zwischen den Beatles-Mitgliedern und der Hamburger Polizei spricht Sara Ziaabadi mit Stephan Hauke, der seit einem Jahr durch die Ausstellung der Beatlemania führt.

Beatles in Hamburg

Quelle: http://www.hh-geschichten.uni-hamburg.de/?p=48

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Früher lag PISA noch in Italien – Bildungsorganisation in Hamburg

von Gunnar B. Zimmermann -

Nicht erst in der jüngsten Vergangenheit haben Fragen der Organisation schulischer Bildung und Ausbildung im Hamburger Stadtstaat das Potential zu politischen wie gesellschaftlichen Kontroversen gehabt. Wie der folgende Blick in der Vergangenheit zeigt, gehört das diesbezügliche Ringen vielmehr zum Traditionsbestand der Hansestadt.

 

Antwort auf Industrialisierung und Urbanisierung – Das Gewerbeschulwesen

Als die Patriotische Gesellschaft sich in den 1860er Jahren erfolgreich für die Schaffung eines staatlichen Gewerbeschulwesens in Hamburg einsetzte, lag die Notwendigkeit dieses Zieles klar auf der Hand: Im Zuge der Industrialisierung und des stetigen Anwachsens der Stadt waren zahlreiche neue Branchen und Berufe entstanden, die jenseits der akademischen (Funktions-)Eliten auf gut ausgebildete Menschen angewiesen waren. In der neugeschaffenen Schulform verbanden sich emanzipatorische Aufstiegs- und Bildungs­chancen für bislang unterprivilegierte Teile der Gesellschaft mit hinreichend ökonomisch orientierter Substanz für die bislang führenden Kreise der Stadt. So basierte die Entstehung des Gewerbeschulwesens auf einem soliden gesellschaftlichen Konsens.

 

Weimar als Eldorado der schulreformerischen Modellversuche

Die pluralistische Offenheit der Weimarer Jahre führte in Hamburg zu einer ganzen Reihe von schulreformerischen Modellversuchen, von denen die ehemalige Lichtwarkschule sicherlich das heute den meisten Hamburgern noch geläufige Beispiel ist (das Ehepaar Schmidt durchlief hier seine schulische Ausbildung). Ein neuer inhaltlicher Zuschnitt des Lehrplans, eine veränderte Ausrichtung der pädagogischen Rolle des Lehrers im Verhältnis zu den Schülern und auch die Einführung von musisch orientierten Fächern sollte den als autoritär empfundenen pädagogischen Mief der wilhelminischen Jahre vertreiben. Ziel war es, die Schüler in einem emanzipatorischen Klima zu gleichwertigen Mitgliedern einer demokratisch verfassten Gesellschaft zu erziehen. Dieser aufklärerische Impetus lag auch den 1919 erfolgten Gründungen von Universität und Volkshochschule zugrunde, die im Rahmen der Erwachsenenbildung die Partizipation breiterer Bevölkerungskreise an Bildung und Wissenschaft ermöglichen sollten (hierzu und zum Folgenden vgl. Milberg: Schulpolitik 1970).

Insgesamt blieb der reformerische Flügel in der hamburgischen Lehrerschaft aber in der Minderheit. Die Lehranstalten klassischen Zuschnitts bildeten nach wie vor das Gros der Bildungseinrichtungen der Stadt. Ein Blick in die Hamburger Lehrerzeitung (dem ab 1922 erscheinenden Organ der hamburgischen Lehrerschaft) zeigt, mit welcher kontroversen Dynamik über die Entwicklung der Modellschulen, und damit indirekt stets auch über den Bestand der klassischen Organisation von Schule überhaupt, diskutiert wurde.

Vor allem die akademisch gebildeten, konservativ ausgerichteten Oberlehrer (so hießen bis Ende der Weimarer Republik die Lehrkräfte an den höheren Schulen) konnten sich mit Teilen der Reformanstrengungen nicht anfreunden. Sie bemühten sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten um den Erhalt traditioneller Bildungspatente, was in der Auseinandersetzung um den Bestand des humanistischen Gymnasiums mit seiner altsprachlichen Ausrichtung (Griechisch und Latein) einen auch für die Öffentlichkeit wahrnehmbaren Ausdruck fand. Doch für einen offenen Widerstand waren den Oberlehrern die Hände gebunden. Die Neuausrichtung von Schule und Bildung war politisch gewollt und wurde durch die sozialdemokratisch dominierten Senate der Weimarer Jahre und deren Schulsenatoren gestützt. Breite Unterstützung bekamen die Reformgegner hingegen aus Kreisen der städtischen Bildungs- und Funktionselite, die sich um den Verlust des privilegierten Zugangs zu höherer Bildung für den eigenen Nachwuchs und somit auch um den Zugang zu Spitzen­positionen im Machtgefüge des Stadtstaates sorgte.

Hamburger Schule im NS-Staat

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten war es in Hamburg ab 1933 erst einmal mit der offenen Diskussion über die (Aus-)Bildungsorganisation vorbei. Zwar führten die Apologeten des NS-Systems ständig das Wohl der „Volksgemeinschaft“ als Motiv ihres Handelns an, doch hatte ihre Politik auch im Bildungsbereich wenig umwälzenden und keinerlei emanzipatorischen Charakter.

Die demokratische Verfasstheit der Schulleitung (ab 1919 hatten die Lehrerkollegien ihre Schulleiter wählen dürfen) und die Elternmitbestimmung sowie die Reformschulprojekte wurden zugunsten einer straffen, am Führerprinzip orientierten Schulorganisation kassiert (Schmidt: Schulen 2010, S. 31 f.). Die Gleichschaltung aller Lehrer im Nationalsozialistischen Lehrerbund sorgte schnell dafür, dass für abweichende Vorstellungen kein öffentlicher Raum mehr vorhanden war (Schmidt: Schulen 2010, S. 153 ff.). Entscheidungen zur Form der Bildungsorganisation oblagen nun nur noch der mit Nationalsozialisten besetzten Schulbehörde .

Doch wie in vielen anderen politischen Ressorts waren die Nationalsozialisten auch im Bereich der Bildung mit keinem ausgereiften Plan angetreten. Seit ihrer Entstehung hatten sie sich stets in Abgrenzung zu anderen definiert (gegen Demokratie, gegen Pluralismus, gegen den Versailler Vertrag usw.) und hatten darüber die Entwicklung konkreter Pläne vernachlässigt. Auch wenn unter den Nationalsozialisten die Rolle der Volksschulen gestärkt wurde, bedeutete das Jahr 1933 in der äußeren Form der Schulorganisation letztlich eine Rückkehr zum Status quo der wilhelminischen Zeit. Vorhandene Pläne zur Umgestaltung des Bildungs- und Schulsystems wurden in ihrer Entwicklung und Umsetzung durch den Beginn des Zweiten Weltkriegs abgewürgt. Ein trügerischer Pluralismus und hoher Aktivismus herrschte in den Friedensjahren der NS-Herrschaft lediglich in der Frage, wie die nationalsozialistische Weltanschauung in die Lehrpläne zu integrieren sei, wobei aber kein Zweifel daran gelassen wurde, dass die Schulen am Ende lauter stramme Nationalsozialisten hervorbringen sollten.

Nimmt man den starken, durch erlassene Zugangsbeschränkungen erzwungenen Rückgang der Studierendenzahlen an Universitäten und Hochschulen hinzu, wird der bildungsfeindliche Charakter des NS-Systems deutlich. Die Jahre zwischen 1933 und 1945 zementierten letztlich also den seit jeher bestehenden engen Zusammenhang von sozialer Herkunft auf der einen sowie Bildungserfolg und Karrierechancen auf der anderen Seite für weitere zwölf Jahre.

 

Wider den Untertanengeist – Bildungsreform in der Nachkriegszeit

Mit dem Zusammenbruch des NS-Regimes im Frühjahr 1945 setzte sowohl bei den Alliierten als auch bei den neuen politischen Kräften auf deutscher Seite eine intensive Auseinandersetzung mit der Frage ein, wie es zur „deutschen Katastrophe“ hatte kommen können.

Als Faktoren, die Aufstieg und Akzeptanz des Nationalsozialismus begünstigt haben, machte man damals das weitgehende Versagen der Funktionseliten in Staat und Gesellschaft sowie die zu große Undurchlässigkeit zwischen den einzelnen gesellschaftlichen Schichten aus. Die Anfälligkeit der deutschen Gesellschaft für die Versprechungen Hitlers und seiner Gefolgsleute sah man unter anderem im ausgeprägten Untertanenbewusstsein und einer unterentwickelten demokratisch-emanzipa­to­risch­en Grundausrichtung begründet.

Da neben dem Elternhaus die Schule der zentrale Ort zur Vorbereitung junger Menschen auf das Leben ist, versuchten die von der SPD dominierten Senate der frühen Bundesrepublik genau hier auch reformerisch anzusetzen, um stabile Grundlagen für eine pluralistische Demokratie zu schaffen. Vor diesem Hintergrund war es folgerichtig, dass 1945 mit Heinrich Landahl (1895-1971) ein bekennender linksliberaler Demokrat der Weimarer Jahre als Schulsenator eingesetzt wurde.

In den ersten Nachkriegsjahren ging es zwar noch fast ausschließlich um rein materielle Dinge, wie zum Beispiel den Wiederaufbau der zerstörten Schulgebäude, die Anstellung einer ausreichenden Anzahl an Lehrkräften und die Beschaffung geeigneter Lehrmittel (Schmidt: Schule 2010, S. 685 ff.). Doch Landahl bemühte sich auch zeitnah darum, die aus dem Nationalsozialismus gezogenen Lehren in eine Reform der generellen Schulorganisation in Hamburg einmünden zu lassen. Dass Landahl für diese Aufgabe die geeignete Kraft war, stand außer Zweifel. In den Weimarer Jahren hatte er nicht nur als Bürgerschaftsabgeordneter demokratisches Engagement bewiesen, Landahl war auch von 1927-33 als Schulleiter für die eingangs erwähnte Lichtwarkschule verantwortlich gewesen. Somit kannte er sich auch in praktischer Hinsicht mit den Möglichkeiten und Grenzen einer alternativen Schulorganisation bestens aus (Schmidt: Schule 2010, S. 698 ff.).

Ergebnis der politischen und pädagogischen Überlegungen war das Schulgesetz vom 25. Oktober 1949, das einen tiefen Einschnitt in die traditionelle Schulorganisation der Hansestadt darstellte. Eine für Alle verpflichtende sechsjährige Allgemeine Volksschule sollte der Auftakt der Bildungskarriere der Schüler werden. Daran schloss sich je nach Bildungserfolg und Berufsziel ein dreigliedriges System weiterführender Schulen an: Eine auf drei Jahre angelegte Praktische Oberschule sollte die ehemaligen Volksschulen ersetzen. Die Realschulen wurden von einer vierjährigen Technischen Oberschule abgelöst und eine dem Gymnasialabschluss äquivalente Qualifikation sollte nun in sieben Jahren auf der Wissenschaftlichen Oberschule erworben werden. An der Zeitspanne, die zum Erreichen der jeweiligen Bildungspatente nötig war, änderte sich im Vergleich zu früher nichts. Neu war in der äußeren Form nur das um zwei Jahre verlängerte gemeinsame Lernen aller Schüler.

Die Initiatoren versprachen sich von der Reform die Auflösung der beklagten wilhelminischen Untertanenmentalität, eine Liberalisierung und Demokratisierung der Bildungs- und Karrierechancen für alle Menschen sowie daraus resultierend auch einen verbesserten Zugang zu den Machtstrukturen des Landes. Das längere gemeinsame Lernen hielt man pädagogisch für den zentralen Schlüssel, um diese Ziele zu erreichen (vgl. Böhling: Schulsystem 2004, S. 6 ff.).

 

Rolle rückwärts – Bildungsstreit im Bürgerschaftswahlkampf 1953

Doch wie schon in den Weimarer Jahren formierte sich von Seiten der traditionellen konservativen Funktionseliten der Stadt und ihrer politischen Vertreter von Beginn an Widerstand gegen diese Neustrukturierung der (Aus-)Bildungsorganisation. In der offiziellen Beschneidung des Gymnasiums sah man den Untergang der traditionellen humanistischen Bildung gekommen und das längere gemeinsame Lernen stellten Kom­menta­toren unter Kommunismusverdacht (vgl. Böhling: Schulsystem 2004, S. 62 ff.).

Schon bald nach Gründung der Bundesrepublik sorgte somit die in Hamburg stets aktuelle Frage, wer wann und unter welchen Bedingungen einen Zugang zur schulischen Bildung bekommen soll, für neue Frontlinien in der Gesellschaft und zu langwierigen Kontroversen zwischen Befürwortern und Gegnern der Schulreform.

Die Diskussion ebbte auch in den folgenden Jahren nicht ab und begleitete die Hamburger als eines der zentralen Themen in den Wahlkampf der für den Herbst 1953 anstehenden Neubesetzung von Senat und Bürgerschaft. Die konservativen Parteien versprachen bei einem Wahlsieg die Rücknahme der Schulreform und die Rolle rückwärts zum Schulsystem alter Ausprägung. Erneut wurde der Untergang des Abendlandes und der heimliche Sieg des Kommunismus beschworen, für den Wahlkampf öffentlichkeitswirksam zugespitzt und mit einer breiten Pressekampagne begleitet. Diese Zuspitzung verlieh dem durchaus zutreffenden Argument, dass nun die letzte Gelegenheit gegeben sei, ohne große negative Folgen für die Schüler das Bildungsexperiment abzubrechen, die notwendige Stoßkraft.

Der Streit um die Ausrichtung der Schulorganisation in Hamburg trug wesentlich zum Wahlsieg des konservativen Wahlbündnisses mit dem Namen Hamburger-Block aus CDU, FDP, DP (Deutsche Partei) und BHE (Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten) bei. Der neue Senat unter Bürgermeister Kurt Sieveking löste sein Wahlkampfversprechen ein und nahm die Schulreform von 1949 zurück (John: Wahlkampf 1997, S. 205).

 

PISA zum neuen Jahrtausend in Deutschland angekommen

Seit jenem bewegten Herbst des Jahres 1953 gab es in Hamburg in Fragen der äußeren Schulorganisation scheinbar nur wenig Bewegung. Und so weckte erst die im Jahr 2000 von der OECD erstmals publizierte PISA-Studie die Bildungspolitiker und die Öffentlichkeit aus ihrem Dornröschenschlaf. Die Studie stellte dem deutschen Bildungssystem eine schlechte Note beim Wissensstand der Schüler in bestimmten Lehrfächern aus. Viel gravierender war jedoch die Feststellung, dass es in keiner anderen wohlhabenden Industrienation westlicher Prägung einen derart engen Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und -chancen der Schüler und der sozialen Herkunft ihrer Eltern gibt.

Dieser Befund hat in der letzten Dekade zu einer nachhaltigen Diskussion über die Organisation von Bildung in Deutschland geführt und auch in Teilen neue Modelle hervorgebracht, ohne dass die PISA-Nachfolgestudien in der Frage der sozialen Bedingtheit von Lebenschancen eine wesentliche Verbesserung festgestellt haben. Fest steht, dass diese Fragen bis in die jüngste Vergangenheit ihre gesellschaftspolitische Brisanz nicht verloren haben. Schließlich verfolgte die 2010 per Volksentscheid gestoppte schwarz-grüne Schulreform ganz ähnliche Ziele (längeres gemeinsames Lernen, höhere Durchlässigkeit zwischen den Schulformen) wie sie die Reformer 1949 abgestrebt hatten. Und wie damals scheiterte die Reform an einer gebildeten Mittelschicht, die aus subtiler Angst um die Aufstiegschancen ihres Nachwuchses nicht bereit war, die sozialen Schranken bei der Verteilung von Zukunftschancen abzubauen. So scheint Bildungsgerechtigkeit in der Zukunft nur erreichbar, wenn die Pfade der in Hamburg nun schon seit beinahe neunzig Jahren andauernden Diskussion um die Organisation von Bildung verlassen werden und eine von ideologischen Scheuklappen befreite Auseinandersetzung mit dem Themenkreis Raum greift.

 

Literatur

  • Böhling, Björn: Die Auseinandersetzung um das Hamburger Schulsystem 1949-1954, Norderstedt 2004.
  • John, Thomas: Wahlkampf und Bürgerschaftswahlen 1953 in Hamburg, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 83/2 (1997), Seite 205-236.
  • Milberg, Hildegard: Schulpolitik in der pluralistischen Gesellschaft. Die politischen und sozialen Aspekte der Schulreform in Hamburg 1890-1935 (Veröffentlichungen der Forschungsstelle für die Geschichte des Nationalsozialismus in Hamburg 7), Hamburg 1970.
  • Schmidt, Uwe: Hamburger Schulen im „Dritten Reich“ (Beiträge zur Geschichte Hamburgs 64), Band 1, hrsg. v. Rainer Hering, Hamburg 2010.

 

Gunnar B. Zimmermann, M. A. hat an der Universität Hamburg Geschichts- und Politikwissenschaft studiert und arbeitet seit Sommer 2007, u. a. unterstützt durch eine Stipendium der Hamburger Landesgraduiertenförderung, an einer Dissertation über die Entwicklung des Vereins für Hamburgische Geschichte. Seit 2010 ist er in das Forschungsprojekt der Hamburgischen Biografie eingebunden. Arbeits- und Publikationsschwerpunkte liegen im Bereich der politischen Kultur der Weimarer Republik, bei Prozessen kultureller Erinnerung und auf biografischen Skizzen bedeutender hamburgischer Persönlichkeiten.

 

Nicht erst in der jüngsten Vergangenheit haben Fragen der Organisation schulischer (Aus-)Bildung im Hamburger Stadtstaat das Potential zu politischen wie gesellschaftlichen Kontroversen gehabt. Wie der folgende Blick in der Vergangenheit zeigt, gehört das diesbezügliche Ringen vielmehr zum Traditionsbestand der Hansestadt.

 

Antwort auf Industrialisierung und Urbanisierung – Das Gewerbeschulwesen

Als die Patriotische Gesellschaft sich in den 1860er Jahren erfolgreich für die Schaffung eines staatlichen Gewerbeschulwesens in Hamburg einsetzte, lag die Notwendigkeit dieses Zieles klar auf der Hand: Im Zuge der Industrialisierung und des stetigen Anwachsens der Stadt waren zahlreiche neue Branchen und Berufe entstanden, die jenseits der akademischen (Funktions-)Eliten auf gut ausgebildete Menschen angewiesen waren. In der neugeschaffenen Schulform verbanden sich emanzipatorische Aufstiegs- und Bildungs­chancen für bislang unterprivilegierte Teile der Gesellschaft mit hinreichend ökonomisch orientierter Substanz für die bislang führenden Kreise der Stadt. So basierte die Entstehung des Gewerbeschulewesen auf einem soliden gesellschaftlichen Konsens.

 

Weimar als Eldorado der schulreformerischen Modellversuche

Die pluralistische Offenheit der Weimarer Jahre führte in Hamburg zu einer ganzen Reihe von schulreformerischen Modellversuchen, von denen die ehemalige Lichtwarkschule sicherlich das heute den meisten Hamburgern noch geläufige Beispiel ist (das Ehepaar Schmidt durchlief hier seine schulische Ausbildung). Ein neuer inhaltlicher Zuschnitt des Lehrplans, eine veränderte Ausrichtung der pädagogischen Rolle des Lehrers im Verhältnis zu den Schülern und auch die Einführung von musisch orientierten Fächern sollte den als autoritär empfundenen pädagogischen Mief der wilhelminischen Jahre vertreiben. Ziel war es, die Schüler in einem emanzipatorischen Klima zu gleichwertigen Mitgliedern einer demokratisch verfassten Gesellschaft zu erziehen. Dieser aufklärerische Impetus lag auch den 1919 erfolgten Gründungen von Universität und Volkshochschule zugrunde, die im Rahmen der Erwachsenenbildung die Partizipation breitere Bevölkerungskreise an Bildung und Wissenschaft ermöglichen sollten (hierzu u. zum folgenden vgl. Milberg: Schulpolitik 1970).

 

Insgesamt blieb der reformerische Flügel in der hamburgischen Lehrerschaft aber in der Minderheit. Die Lehranstalten klassischen Zuschnitts bildeten nach wie vor das Gros der Bildungseinrichtungen der Stadt. Ein Blick in die Hamburger Lehrerzeitung (dem ab 1922 erscheinenden Organ der hamburgischen Lehrerschaft) zeigt, mit welcher kontroversen Dynamik über die Entwicklung der Modellschulen, und damit indirekt stets über den Bestand der klassischen Organisation von Schule überhaupt, diskutiert wurde.

 

Vor allem die akademisch gebildeten, konservativ ausgerichteten Oberlehrer (so hießen bis Ende der Weimarer Republik die Lehrkräfte an den höheren Schulen) konnten sich mit Teile der Reformanstrengungen nicht anfreunden. Sie bemühten sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten um den Erhalt traditioneller Bildungspatente, was in der Auseinandersetzung um den Bestand des humanistischen Gymnasiums mit seiner altsprachlichen Ausrichtung (Griechisch und Latein) einen auch für die Öffentlichkeit wahrnehmbaren Ausdruck fand. Doch für einen offenen Widerstand waren den Oberlehrern die Hände gebunden. Die Neuausrichtung von Schule und Bildung war politisch gewollt und wurde durch die sozialdemokratisch dominierten Senate der Weimarer Jahre und deren Schulsenatoren gestützt. Breite Unterstützung bekamen die Reformgegner hingegen aus Kreisen der städtischen Bildungs- und Funktionselite, die sich um den Verlust des privilegierten Zugangs zu höherer Bildung für den eigenen Nachwuchs und somit auch um den Zugang zu Spitzen­positionen im Machtgefüge des Stadtstaates sorgte.

 

Hamburger Schule im NS-Staat

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten war es in Hamburg ab 1933 erst einmal mit der offenen Diskussion über die (Aus-)Bildungsorganisation vorbei. Zwar führten die Apologeten des NS-System ständig das Wohl der „Volksgemeinschaft“ als Motiv ihres Handelns an, doch hatte ihre Politik auch im Bildungsbereich wenig umwälzenden und keinerlei emanzipatorischen Charakter.

 

Die demokratische Verfasstheit der Schulleitung (ab 1919 hatten die Lehrerkollegien ihre Schulleiter wählen dürfen) und die Elternmitbestimmung sowie die Reformschulprojekte wurden zugunsten einer straffen, am Führerprinzip orientierten Schulorganisation kassiert (Schmidt: Schulen 2010, S. 31 f.). Die Gleichschaltung aller Lehrer im Nationalsozialistischen Lehrerbund sorgte schnell dafür, dass für abweichende Vorstellungen kein öffentlicher Raum mehr vorhanden war (Schmidt: Schulen 2010, S. 153 ff.). Entscheidungen zur Form der Bildungsorganisation oblagen nun nur noch der mit Nationalsozialisten besetzten Schulbehörde .

 

Doch wie in vielen anderen politischen Ressorts waren die Nationalsozialisten auch im Bereich der Bildung mit keinem ausgereiften Plan angetreten. Seit ihrer Entstehung hatten sie sich stets in Abgrenzung zu anderen definiert (gegen Demokratie, gegen Pluralismus, gegen den Versailler Vertrag usw.) und hatten darüber die Entwicklung konkreter Pläne vernachlässigt. Auch wenn unter den Nationalsozialisten die Rolle der Volksschulen gestärkt wurde, bedeutete das Jahr 1933 in der äußeren Form der Schulorganisation letztlich eine Rückkehr zum Status quo der wilhelminischen Zeit. Vorhandene Pläne zur Umgestaltung des Bildungs- und Schulsystems wurden in ihrer Entwicklung und Umsetzung durch den Beginn des Zweiten Weltkriegs abgewürgt. Ein trügerischer Pluralismus und hoher Aktivismus herrschte in den Friedensjahren der NS-Herrschaft lediglich in der Frage, wie die nationalsozialistische Weltanschauung in die Lehrpläne zu integrieren sei, wobei aber kein Zweifel daran gelassen wurde, dass die Schulen am Ende lauter stramme Nationalsozialsten hervorbringen sollten.

 

Nimmt man den starken, durch erlassene Zugangsbeschränkungen erzwungenen Rückgang der Studierendenzahlen an Universitäten und Hochschulen hinzu, wird der bildungsfeindliche Charakter des NS-Systems deutlich. Die Jahre zwischen 1933 und 1945 zementierten letztlich also den seit jeher bestehenden engen Zusammenhang von sozialer Herkunft auf der einen sowie Bildungserfolg und Karrierechancen auf der anderen Seite für weitere zwölf Jahre.

 

Wider den Untertanengeist – Bildungsreform in der Nachkriegszeit

Mit dem Zusammenbruch des NS-Regimes im Frühjahr 1945 setzte sowohl bei den Alliierten als auch bei den neuen politischen Kräften auf deutscher Seite eine intensive Auseinandersetzung mit der Frage ein, wie es zur „deutschen Katastrophe“ hatte kommen können.

 

Als Faktoren, die Aufstieg und Akzeptanz des Nationalsozialismus begünstigt haben, machte man damals das weitgehende Versagen der Funktionseliten in Staat und Gesellschaft sowie die zu große Undurchlässigkeit zwischen den einzelnen gesellschaftlichen Schichten aus. Die Anfälligkeit der deutschen Gesellschaft für die Versprechungen Hitlers und seiner Gefolgsleute sah man unter anderem im ausgeprägten Untertanenbewusstsein und einer unterentwickelten demokratisch-emanzipa­to­risch­en Grundausrichtung begründet.

 

Da neben dem Elternhaus die Schule der zentrale Ort zur Vorbereitung junger Menschen auf das Leben ist, versuchten die von der SPD dominierten Senate der frühen Bundesrepublik genau hier auch reformerisch anzusetzen, um stabile Grundlagen für eine pluralistische Demokratie zu schaffen. Vor diesem Hintergrund war es folgerichtig, dass 1945 mit Heinrich Landahl (1895-1971) ein bekennender linksliberaler Demokrat der Weimarer Jahre als Schulsenator eingesetzt wurde.

 

In den ersten Nachkriegsjahren ging es zwar noch fast ausschließlich um rein materielle Dinge, wie zum Beispiel den Wiederaufbau der zerstörten Schulgebäude, die Anstellung einer ausreichenden Anzahl an Lehrkräften und die Beschaffung geeigneter Lehrmittel (Schmidt: Schule 2010, S. 685 ff.). Doch Landahl bemühte sich auch zeitnah darum, die aus dem Nationalsozialismus gezogenen Lehren in eine Reform der generellen Schulorganisation in Hamburg einmünden zu lassen. Dass Landahl für diese Aufgabe die geeignete Kraft war, stand außer Zweifel. In den Weimarer Jahren hatte er nicht nur als Bürgerschaftsabgeordneter demokratisches Engagement bewiesen, Landahl war auch von 1927-33 als Schulleiter für die eingangs erwähnte Lichtwarkschule verantwortlich gewesen. Somit kannte sich er auch in praktischer Hinsicht mit den Möglichkeiten und Grenzen einer alternativen Schulorganisation bestens aus (Schmidt: Schule 2010, S. 698 ff.).

 

Ergebnis der politischen und pädagogischen Überlegungen war das Schulgesetz vom 25.10.1949, das einen tiefen Einschnitt in die traditionelle Schulorganisation der Hansestadt darstellte. Eine für Alle verpflichtende sechsjährige Allgemeine Volksschule sollte der Auftakt der Bildungskarriere der Schüler werden. Daran schloss sich je nach Bildungserfolg und Berufsziel ein dreigliedriges System weiterführender Schulen an: Eine auf drei Jahre angelegte Praktische Oberschule sollte die ehemaligen Volksschulen ersetzen. Die Realschulen wurden von einer vierjährigen Technischen Oberschule abgelöst und eine dem Gymnasialabschluss äquivalente Qualifikation sollte nun in sieben Jahren auf der Wissenschaftlichen Oberschule erworben werden. An der Zeitspanne, die zum Erreichen der jeweiligen Bildungspatente nötig war, änderte sich im Vergleich zu früher nichts. Neu war in der äußeren Form nur das um zwei Jahre verlängerte gemeinsame Lernen aller Schüler.

 

Die Initiatoren versprachen sich von der Reform die Auflösung der beklagten wilhelminischen Untertanenmentalität, eine Liberalisierung und Demokratisierung der Bildungs- und Karrierechancen für alle Menschen sowie daraus resultierend auch des Zugangs zu den Machtstrukturen des Landes. Das längere gemeinsame Lernen hielt man pädagogisch für den zentralen Schlüssel, um diese Ziele zu erreichen (vgl. Böhling: Schulsystem 2004, S. 6 ff.).

 

Rolle rückwärts – Bildungsstreit im Bürgerschaftswahlkampf 1953

Doch wie schon in den Weimarer Jahren formierte sich von Seiten der traditionellen konservativen Funktionseliten der Stadt und ihrer politischen Vertreter von Beginn an Widerstand gegen diese Neustrukturierung der (Aus-)Bildungsorganisation. In der offiziellen Beschneidung des Gymnasiums sah man den Untergang der traditionellen humanistischen Bildung gekommen und das längere gemeinsame Lernen stellten Kom­menta­toren unter Kommunismusverdacht (vgl. Böhling: Schulsystem 2004, S. 62 ff.).

 

Schon bald nach Gründung der Bundesrepublik sorgte somit die in Hamburg stets aktuelle Frage, wer wann und unter welchen Bedingungen einen Zugang zur schulischen Bildung bekommen soll, für neue Frontlinien in der Gesellschaft und zu langwierigen Kontroversen zwischen Befürwortern und Gegnern der Schulreform.

 

Die Diskussion ebbte auch in den folgenden Jahren nicht ab und begleitete die Hamburger als eines der zentralen Themen in den Wahlkampf der für den Herbst 1953 anstehenden Neubesetzung von Senat und Bürgerschaft. Die konservativen Parteien versprachen bei einem Wahlsieg die Rücknahme der Schulreform und die Rolle rückwärts zum Schulsystem alter Ausprägung. Erneut wurde der Untergang des Abendlandes und der heimliche Sieges des Kommunismus beschworen, für den Wahlkampf öffentlichkeitswirksam zugespitzt und mit einer breiten Pressekampagne begleitet. Diese Zuspitzung verlieh dem durchaus zutreffenden Argument, dass nun die letzte Gelegenheit gegeben sei, ohne große negative Folgen für die Schüler das Bildungsexperiment abzubrechen, die notwendige Stoßkraft.

 

Der Streit um die Ausrichtung der Schulorganisation in Hamburg trug wesentlich zum Wahlsieg des konservativen Wahlbündnisses mit dem Namen Hamburger-Block aus CDU, FDP, DP (Deutsche Partei) und BHE (Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten) bei. Der neue Senat unter Bürgermeister Kurt Sieveking löste sein Wahlkampfversprechen ein und nahm die Schulreform von 1949 zurück (John: Wahlkampf 1997, S. 205).

 

PISA zum neuen Jahrtausend in Deutschland angekommen

Seit jenem bewegten Herbst des Jahres 1953 gab es in Hamburg in Fragen der äußeren Schulorganisation scheinbar nur wenig Bewegung. Und so weckte erst die im Jahr 2000 von der OECD erstmals publizierte PISA-Studie die Bildungspolitiker und die Öffentlichkeit aus ihrem Dornröschenschlaf. Die Studie stellte dem deutschen Bildungssystem eine schlechte Note beim Wissensstand der Schüler in bestimmten Lehrfächern aus. Viel gravierender war jedoch die Feststellung, dass es in keiner anderen wohlhabenden Industrienation westlicher Prägung einen derart engen Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und -chancen der Schüler und der sozialen Herkunft ihrer Eltern gibt.

 

Dieser Befund hat in der letzten Dekade zu einer nachhaltigen Diskussion über die Organisation von Bildung in Deutschland geführt und auch in Teilen neue Modelle hervorgebracht, ohne dass die PISA-Nachfolgestudien in der Frage der sozialen Bedingtheit von Lebenschancen eine wesentliche Verbesserung festgestellt haben. Fest steht, dass diese Fragen bis in die jüngste Vergangenheit ihre gesellschaftspolitische Brisanz nicht verloren haben. Schließlich verfolgte die 2010 per Volksentscheid gestoppte schwarz-grüne Schulreform ganz ähnliche Ziele (längeres gemeinsames Lernen, höhere Durchlässigkeit zwischen den Schulformen) wie sie die Reformer 1949 abgestrebt hatten. Und wie damals scheiterte die Reform an einer gebildeten Mittelschicht, die aus subtiler Angst um die Aufstiegschancen ihres Nachwuchses nicht bereit war, die sozialen Schranken bei der Verteilung von Zukunftschancen abzubauen. So scheint Bildungsgerechtigkeit in der Zukunft nur erreichbar, wenn die Pfade der in Hamburg nun schon seit beinahe neunzig Jahren andauernden Diskussion um die Organisation von Bildung verlassen werden und eine von ideologischen Scheuklappen befreite Auseinandersetzung mit dem Themenkreis Raum greift.

 

Literatur

 

Böhling, Björn: Die Auseinandersetzung um das Hamburger Schulsystem 1949-1954, Norderstedt 2004.

 

John, Thomas: Wahlkampf und Bürgerschaftswahlen 1953 in Hamburg, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 83/2 (1997), Seite 205-236.

 

Milberg, Hildegard: Schulpolitik in der pluralistischen Gesellschaft. Die politischen und sozialen Aspekte der Schulreform in Hamburg 1890-1935 (Veröffentlichungen der Forschungsstelle für die Geschichte des Nationalsozialismus in Hamburg 7), Hamburg 1970.

 

Schmidt, Uwe: Hamburger Schulen im „Dritten Reich“ (Beiträge zur Geschichte Hamburgs 64), Band 1, hrsg. v. Rainer Hering, Hamburg 2010.

Quelle: http://www.hh-geschichten.uni-hamburg.de/?p=11

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Blockbuster, E-Books und der Herbst 1989 – der Verleger Christoph Links im Gespräch

MONTAGSRADIO, Ausgabe 1/2011. Gast: Christoph Links, Gründer und Leiter des Ch. Links Verlags, Berlin.

Die Verlagsbranche boomt. Jährlich erscheinen 90.000 neue Buchtitel – 30.000 mehr als noch vor 10 Jahren. Zudem sind im Buchhandel insgesamt ca. 1,2 Mio Titel lieferbar. Trotz des digitalen Zeitalters konnte sich das E-Book anscheinend noch nicht gegenüber dem Printmedium “Buch” auf dem Markt durchsetzen.
Christoph Links gründete am 1. Dezember 1989 – knapp einen Monat nach dem Fall der Mauer – mit dem Ch.Links-Verlag den ersten eigenständigen ostdeutschen Verlag. Ein vorangegangener Gründungsantrag Anfang 1989 wurde seitens des DDR-Kultusministeriums mit der Begründung abgelehnt, die sozialistische Planwirtschaft sei mit seinen 78 Verlagen voll ausgelastet.

Christoph Links spricht mit uns über das Internet und seine Auswirkungen auf die Verlage, seine Erinnerungen an den Herbst ’89 und den Vergleich des damalgen Umbruchs mit den aktuellen Revolutionen im arabischen Raum. Dazu sprechen wir mit ihm über die Herausforderung, ein atraktives und wirtschaftlich tragbares Verlagsprogramm zu konzipieren. Und natürlich bearbeitet er auch den MONTAGSRADIO-Fragebogen.

Die Moderatoren sind Kaja Wesner, Jochen Thermann und Markus Heidmeier. Und hier noch die Timeline für Ungeduldige:

- (01:25 min) Veränderungen und Herausforderungen für Verlage durch das Internet und digitale Medien
- (13:15 min) Die wirtschaftliche Situation der Verlage in Deutschland
- (15:55 min) Das Verlags-Programm des Ch. Links Verlages – Ideensetzung und Planungsprozess
- (25:10 min) Besonderheiten einer ostdeutschen Verlagsgründung kurz nach dem Fall der Mauer im Dezember 1989
- (34:14 min) Differenzen zwischen Ost und West – Leseverhalten und Kaufkraft
- (39:20 min) Christoph Links bespricht in der (ostdeutschen) Oberschule Revolutionskonzepte mit Radioredakteuren
- (45:10 min) Demonstration in Buenos Aires mit den Müttern der Plaza de Mayo
- (47:00 min) Die Rettung der Banken mit Steuergeldern ist empörend
- (52:16 min) Die Wiedervereinigung nach westdeutschen Regeln wird Folgen haben
- (59:20 min) Die Herausbildung differenzierter Weltbilder ist notwendig

Gesamtdauer ca. 60 Minuten – und natürlich lohnt auch das komplette Gespräch. Das Gespräch wurde am 10. Februar 2011 aufgezeichnet. Das Audio als MP3-Download gibt es hier. Zum SoundCloud-Player geht es hier lang. Den Player kann mal auf der jeweils eigenen Seite embedden.

Quelle: http://www.montagsradio.de/2011/02/21/blockbuster-e-books-und-der-herbst-1989-%E2%80%93-der-verleger-christoph-links-im-gesprach/

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Aus dem Archiv: Die erste Ausgabe des Montagsradios 2009…

“Ausblick auf 2009″ das war der Titel der ersten Ausgabe des Montagsradios. Im März 2009 starteten wir. 41 Ausgben folgten bis zum Herbst 2010. Das Montagsradio war konstituierendes Element des Onlineportals RevolutionundEinheit.de. Das Portal hatte die Aufgabe, die Diskurse und Debatten der Gedenkjahre 2009 und 2010 zu dokumentieren und einzuordnen. Der Erfolg des Montagsradios führte zur Neuauflage des Formats. Um das Archiv auch hier zugänglich zu machen, werden wir in den kommenden Tagen auch auf Montagsradio.de alle Ausgaben zur Verfügung stellen.

In der ersten Ausgabe vom 22. März 2009 sprachen wir mit dem Botschafter Polens, Marek Prawda über seine Erwartungen an das damals gerade startende Supergedenkjahr. Mit Peter Lange, langjähriger Politikjournalist und heutiger Chefredakteur von Deutschlandradio Kultur, sprachen wir in der gleichen Sendung über die Schwierigkeiten der Medien, historische Jahrestage adäquat abzubilden.


Quelle: http://www.montagsradio.de/2011/01/23/hallo-welt/

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Archiv: Die Türken und die Einheit

Die Türken und die Einheit

Der 9. November 1989 war ein Tag der deutsch-deutschen Euphorie. Auch die Türken in der Bundesrepublik freuten sich mit den Deutschen in Ost und West. Doch schon bald sahen sich viele von ihnen als Verlierer der Einheit. Während die alte Bundesrepublik eine schrittweise Integration zu ermöglichen schien, sahen sie sich im vereinten Deutschland mit gesellschaftlicher Ausgrenzung, mit Fremdenfeindlichkeit und einem härter umkämpften Arbeitsmarkt konfrontiert, so die Beobachtung der Soziologin Nevim Çil. Um den türkischen Blick auf die Wiedervereinigung geht es in unserem aktuellen Montagsradio.

Das Gespräch führte Andreas Stirn.

Zum Weiterlesen:

Nevim Çil: Topographie des Außenseiters. Türkische Generationen und der deutsch-deutsche Wiedervereinigungsprozess. Verlag Hans Schiller 2007. 305 Seiten. ISBN 978-3-89930-192-2. 32,00 €.

Quelle: http://www.montagsradio.de/2010/04/26/die-turken-und-die-einheit/

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Archiv: Stachel im Fleisch des Historikers

Der Dokumentarfilmer Thomas Grimm im Gespräch

“Das Ende des Politbüros” ist sein aktueller Film. Die SED und insbesondere die Mitglieder des Politbüros sind eines seiner großen Themen.

Aber neben den Größen der SED zählen ungezählte Protagonisten des 20. Jahrhunderts zu den Gesprächspartnern des Dokumentarfilmers Thomas Grimm. Seine Firma Zeitzeugen-TV hat hundert von ihnen interviewt. Wir haben mit ihm über die Aufgabe des Filmemachers im Vergleich zum Historker gesprochen.

Quelle: http://www.montagsradio.de/2009/10/20/montagsradio-ausgabe-nr-26-stachel-im-fleisch-des-historikers/

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