Das Opfergelände der Erde (Ditan 地壇)

Das in Reiseführern und populären Darstellungen meist in verkürzter Form als “Erdaltar” bezeichnete Opfergelände der Erde (Ditan 地壇) in Beijing wurde 1530 – im neunten Jahr der Ära Jiajing 嘉靖 – angelegt.[1] Dieses Opfergelände lag knapp außerhalb des nördlichen Teils der um die Innere Stadt (neicheng  内城) errichteten Stadtmauer (in der Nähe des Anding-Tores (Andingmen 安定門).

Die gesamte Anlage ist als “Gegenstück” des in der Südlichen bzw. “Äußeren Stadt” (waicheng 外城) gelegenen Opfergeländes des Himmels zu sehen. Im Unterschied zu letzterem basiert die Gestaltung des Opfergeländes der Erde auf geraden Zahlen und rechteckigen Formen. Es dominiert die Zahl sechs. So befinden sich an der Nordseite des eigentlichen “Altars” sechs Marmortore (dagegen nur je eines im Osten, Süden und Westen). Die quadratische Altarterrasse (fangze tan 方澤壇) ist von einer quadratischen Einfassung umgeben. Die Terrasse selbst ist in zwei Ebenen gegliedert und ist über vier – je achtstufige – Treppen zu erreichen.[2]

Altar of Earth, Beijing

Hinweistafel bei der Altarterrasse am Opfergelände der Erde. – Foto: Georg Lehner, 2011 

Im konfuzianischen Staatskult war der Ditan 地壇 fixer Bestandteil der “Großen Opfer”. Alljährlich zur Sommersonnenwende (xiazhi 夏至) vollzog der Kaiser hier die Opferzeremonien.[3]

Etwas mehr als ein Jahrzehnt nach dem Ende des Kaiserreichs wurde das ehemals für den nun obsolet gewordenen konfuzianischen “Staatskult” in einen Park umgewandelt und der Öffentlichkeit erstmals zugänglich gemacht.[4] 1933/34 gab es Bemühungen, die Opfergelände wieder “rückzubauen”, 1938 wurde der Park geschlossen und erst einige Jahre nach Gründung der Volksrepublik China erneut der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.[5]

Lesen Sie auch:
- Das Opfergelände des Himmels und der konfuzianische Staatskult
- Das Opfergelände für die Götter des Bodens und der Feldfrüchte (Shejitan 社稷壇)

  1. Zur 1530 vom Kaiser vorgenommenen Veränderung und Vermehrung der Opfergelände vgl. Vgl. Lei Gao, Jan Woudstra: “From landscape of gods to landscape of man: Imperial altars in Beijing.” Studies in the History of Gardens & Designed Landscapes vol. 31, no. 4 (2011) 233. – doi: 10.1080/14601176.2011.587279.
  2. Vgl. Patricia Bjaaland Welch: Chinese Art. A Guide to Motifs and Visual Imagery (Singapore 2008) 227 (“Six”).
  3. Vgl. H.S. Brunnert / V. V. Hagelstrom: Present Day Political Organisation of China (Shanghai: Kelly and Walsh, 1912) 203 sowie J. J. M. de Groot: Universismus. Die Grundlage der Religion und Ethik, des Staatswesens und der Wissenschaften Chinas (Berlin 1918) 187-196, zum Termin für diese Opferzeremonie vgl. ebd., 192.
  4. Gao/Woudstra: “From landscape of gods to landscape of man”, 248.
  5. Gao/Woudstra: “From landscape of gods to landscape of man”, 252.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1470

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Das 18. Jahrhundert und die Kulturgeschichte Chinas

Bei der diesjährigen Ausgabe der Ringvorlesung “Kulturgeschichte des euro-atlantischen Raumes im globalen Kontext”, die jedes Sommersemester am Institut für Geschichte der Universität Wien angeboten wird[1], habe ich für die China gewidmete Vorlesungseinheit am 13. Mai das 18. Jahrhundert in den Mittelpunkt meiner Ausführungen gestellt.

Die einleitenden Bemerkungen galten neben dem “Kulturbegriff im Chinesischen” auch der Unterscheidung der Begriffe “China” und “Chinesisches Reich” bei der Beschäftigung mit der Geschichte der Qing-Dynastie (1644-1912)[2].

Ein Überblick über die drei “großen” Kaiser der Qing, die von 1662-1796 über das Reich herrschten[3] orientierte sich in diesem Rahmen naturgemäß an den in dieser Zeit realisierten kulturellen (und hier vor allem literarischen) Großprojekten: Wörterbücher, Enzyklopädien, Kompilationsprojekte. Die Südreisen des Kangxi- und des Qianlong-Kaisers[4] und die dichterischen Ambitionen des letzteren kamen dabei ebenso zur Sprache wie die Förderung des Lamaismus durch den kaiserlichen Hof[5].

Das im Verlauf dieses Semesters bei der Ringvorlesung wiederholt aufgegriffene und für verschiedene Zeiten und Kulturen betrachtete Thema Chronologie und Kalender wurde im Falle Chinas im Zusammenhang mit Aspekten des konfuzianischen Staatskults beleuchtet. Neben dem chinesischen Tierkreis (2014 ist ein Jahr des Pferdes) und dem Sexagesimalzyklus[6] habe ich auch auf die Bedeutung von Glocken- und Trommeltürmen für die Zeitsignale (in Beijing beispielsweise bis ins Jahr 1924) hingewiesen. Im Zusammenhang mit dem konfuzianischen “Staatskult” rückte das Opfergelände des Himmels[7] in das Zentrum der Betrachtung.

Zur Veranschaulichung kaiserlicher Macht und Repräsentation folgten zunächst Bemerkungen zur mit dem Drachen verknüpften Symbolik (der fünfklauige Drache war bis zum Ende des Kaiserreiches allein dem Kaiser vorbehalten) und andererseits Einblicke in die Architektur der “Verbotenen Stadt”[8]. Bemerkungen zum System der Beamtenprüfungen[9]  standen am Ende dieser Vorlesungseinheit.

Yuanmingyuan

In den Ruinen der “Gebäude im westlichen Stil” auf dem Gelände des Yuanmingyuan – Foto: Georg Lehner 

Eine der Fragen im Anschluss an die Vorlesung galt dem Ausmass der chinesisch-westlichen Kulturkontakte und Kulturtransfers im 18. Jahrhundert. Am sichtbarsten wurde die Aufnahme europäischer Stilelemente wohl in den sogenannten “Gebäuden im westlichen Stil” auf dem Areal des Yuanmingyuan 圓明園 (heute auch als “Alter Sommerpalast” bezeichnet).

Etwas mehr als ein Jahrhundert nachdem diese Gebäude durch die Jesuitenmissionare errichtet worden waren, zerstörten im Herbst 1860 britische und französische Truppen dieses Ensemble – die heute zu sehenden Ruinen lassen die einstige Pracht nur noch erahnen …

  1. Zu den beiden von mir im Sommersemester 2013 gestalteten Vorträgen vgl. “Transkulturalität und Kulturgeschichte. Zum Auftakt einer Ringvorlesung” sowie  “2500 Jahre in 90 Minuten? Kulturgeschichte Chinas” in einer Ringvorlesung”.
  2. Vgl. dazu “Kultur und Raum – Überlegungen zum “Kulturraum” China”.
  3. Kangxi 1662-1722, Yongzheng 1723-1735 und Qianlong 1736-1795/96.
  4. Vgl. dazu “nanxun 南巡 – Kaiserliche Reisen in den Süden”,
  5. Vgl. dazu “Die Qing-Kaiser und der Lamaismus”.
  6. Vgl. dazu “Der 60-Jahr-Zyklus der chinesischen Chronologie”.
  7. Vgl. dazu “Das Opfergelände des Himmels und der konfuzianische Staatskult”
  8. Vgl. dazu “Zur chinesischen Bezeichnung der Verbotenen Stadt”, “Das Mittagstor – der Eingang zum Kaiserpalast” und “Qianqinggong – der ‘Palast der Himmlischen Reinheit’”
  9. Auf De rebus sinicis dazu bisher: “Kostspieliges Studium – mit Beharrlichkeit zum Erfolg – zwei Legenden” und “Karpfen und Karriere”.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1125

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Das Opfergelände für die Götter des Bodens und der Feldfrüchte (Shejitan 社稷墰)

Gemeinsam mit den Opfern für Himmel, Erde und die kaiserlichen Ahnen zählten die Opfer für die Götter des Landes und der Feldfrüchte (sheji 社稷, eigentlich: “die Götter des Erdbodens und die der Hirse”)[1] zur Gruppe der “großen Opferrituale” im Rahmen des konfuzianischen “Staatskults”. Auf dem dafür vorgesehenen Opfergelände wurde diesen Göttern zweimal jährlich, einmal im zweiten Frühlingsmonat, das zweite Mal im zweiten Herbstmonat geopfert.[2]

Shejitan - Foto: Georg Lehner

“Altar” auf dem Opfergelände der Götter des Landes und der Feldfrüchte – Foto: Georg Lehner

Eine in diesem Blog schon wiederholt herangezogene Beschreibung Pekings aus dem 19. Jahrhundert geht sehr ausführlich auf dieses Opfergelände ein:

Sche-tsi-tan, der Altar, wo man die Geister Sche und Tsi anbetet, westlich von dem ‘Thor der Grundsätze’ [Duanmen] gelegen. Der Altar ist vierseitig, der Vordertheil sieht nach Norden; er bildet zwei übereinander stehende Carre’s, jedes von fünf Fuß Höhe. Der obere Theil hat 50 Fuß und der untere Theil 53 Fuß im Durchmesser. Die Perrons haben vier Rampen, jede mit 4 Stufen, und das Ganze ist von weißem Marmor. Der Fußboden des Altars besteht aus geschlagener Erde mit fünf Farben, welche die fünf Weltgegenden symbolisch darstellen. Die Mauer, welche die innere Umschließung bildet, hat 764 Fuß Länge, 4 Fuß Höhe und 2 Fuß Stärke. Sie ist mit glasirten Ziegeln mit vier Farben bekleidet, wovon jede an eine besondere Weltgegend erinnert und die Krone ist ebenfalls mit vierfarbigen Dachziegeln gedeckt. Die Umfassungsmauer hat vier zweisäulige Thore. Säulen, Schwellen und Stürze sind von weißem Marmor; die Flügel sind von Holz und zinnoberroth angestrichen. [...].[3]

Seit Herbst 1914 ist das Areal für die Öffentlichkeit zugänglich. In der nördlich des Altars gelegenen Halle des Gebets wurde der als ‘Vater des Landes’ (guofu 國父) verehrte Republiksgründer Sun Yatsen (Sun Zhongshan 孫中山) nach seinem Tod im März 1925 aufgebahrt. 1928 erfolgte schließlich auch die Umbenennung des Geländes in Sun Yatsen-Park (Zhongshan gongyuan 中山公園).[4]

Vgl. auch: Das Opfergelände des Himmels und der konfuzianische Staatskult

  1. Vgl. Charles O. Hucker: Dictionary of Official Titles in Imperial China (Stanford 1985) 416 (no. 5133: “‘she-chi t’an [...] Altar of the Soil and Grain [...].” sowie Frank-Rainer Scheck (Hg.) Volksrepublik China. Kunstreisen durch das Reich der Mitte (Köln, 3., überarb. Aufl., 1988) 213: “Altar der Erdgötter und der Fruchtbarkeit”.
  2. Vgl. dazu H. S. Brunnert, V. V. Hagelstrom: Present Day Political Organization of China. Revised by N. Th. Kolessoff (Shanghai 1911) 204 sowie J. J. M. de Groot: Universismus. Die Grundlage der Religion und Ethik, des Staatswesens und der Wissenschaften Chinas (Berlin 1918) 223.
  3. “Beschreibung der Stadt Peking”, Allgemeine Bau-Zeitung, Jg. 1859, S. 330. Digitalisat: ANNO. Vgl. auch de Groot: Universismus, 221 f.
  4. Vgl. Scheck (Hg.): China, 213.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1099

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Kulturgeschichte Chinas im Netz (IV): Vier Jahre “Bibliotheca Sinica 2.0″

In loser Folge werden Webseiten präsentiert und rezensiert, die sich mit der Kulturgeschichte Chinas im weitesten Sinne beschäftigen. Vgl.  “Kulturgeschichte Chinas im Netz (I)” , “Kulturgeschichte Chinas im Netz (II)”, “Kulturgeschichte Chinas im Netz (III)”.

Bei der Lektüre und Durchsicht “westlicher” Darstellungen zur Kulturgeschichte Chinas drängt sich der Gedanke auf, den historischen Wurzeln dieser Fremdwahrnehmung, das heißt: der Darstellung der chinesischen Kultur in “westlichen” Publikationen nachzuspüren[1]

Für ältere Publikationen (bis zum Erscheinungsjahr 1939) liefert die “Bibliotheca Sinica 2.0″ – im Dezember 2009 in der derzeitigen Form begonnen und nunmehr mit bisher rund publizierten 2700 Artikeln – dafür die ideale Grundlage. Durch die Sammlung entsprechender Links erleichtert sie den Zugriff auf Digitalisate der “westlichsprachigen” China-Literatur.[2].

Die “alte” Weisheit, dass Digitalisierungsprojekte nur dann wirklich sinnvoll und “nachhaltig” sind, wenn die digitalisierten Bücher anschließend auch gelesen beziehungsweise von der Forschung rezipiert und ausgewertet werden, zeigte sich auch schon bei der Arbeit an “De rebus sinicis”.

Als Beispiel dafür können die dem Beitrag “Das Opfergelände des Himmels und der konfuzianische Staatskult” zu Grunde liegenden Recherchen dienen. Der Gedanke, für die Darstellung der für den konfuzianischen Staatskult dienenden Opfergelände – die vielfach auch als “Altäre” bezeichnet werden – auf J. J. M. de Groot: Universismus. Die Grundlage der Religion und Ethik, des Staatswesens und der Wissenschaften Chinas (1918) – kam mir erst bei der Lektüre einschlägiger Sekundärliteratur.[3].

Eine Fülle weiterer Titel aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert mögen in ähnlicher Weise auch und gerade im Zusammenhang mit der Kulturgeschichte Chinas herangezogen werden. Spiegeln die Publikationen jener Zeit (und – von einigen Ausnahmen abgesehen – nicht zuletzt auch die Arbeiten der damaligen Sinologen) zwar das damals vorherrschende sehr negative allgemeine China-Bild wieder, so enthalten Sie dennoch zahlreiche Informationen über die Kultur des zu Ende gehenden beziehungsweise bereits untergegangenen Kaiserreichs wieder. In diesem Sinne wird “De rebus sinicis” auch künftig auf diese Werke zurückgreifen. Das Motto dazu  könnte “Digital verfügbar und daher neu gelesen” lauten!

  1. Zahlreiche Beispiele für ein solches “Nachspüren” bietet Monika Lehner in ihrem Blog “Mind the gap(s)”.
  2. Zu Hintergrund und Geschichte der Bibliotheca Sinica 2.0″ vgl. “Mind the gap(s)”: “Bibliotheca Sinica 2.0.” vom 31.5.2013, publiziert anlässlich der Veröffentlichung des 2500. Artikels.
  3. Im konkreten Fall ein entsprechender Hinweis zum “Altar” des Ackerbaues bzw. zum “Altar des Ersten Landmanns” (Xiannongtan 先農墰): Peter Greiner: “Das Hofzeremoniell der Mandschu-Dynastie.” Palastmuseum Peking. Schätze aus der Verbotenen Stadt  (Frankfurt a.M. 1985) 69 Anm. 6.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/927

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Die “heiligen Berge” Chinas (I): Der Kult der “Fünf Berge”

Seit dem Beginn der historischen Zeit kam den Bergen in China wiederholt kultische Bedeutung zu.[1] Nach traditioneller Anschauung garantierten bestimmte Berge – in Analogie zu der vom Herrscher ausgeübten Mittlerfunktion zwischen Himmel und Erde “den festen Bestand des Kosmos”[2]. Diese fünf Berge (wuyue 五嶽) standen für die einzelnen Himmelsrichtungen – der Taishan 泰山 im Osten, der Hengshan 衡山 im Süden, der Huashan 華山 im Westen, der Hengshan 恆山 im Norden und der Songshan 嵩山 in der Mitte.[3] Im 1. Jh. v. Chr. wurde das Opfer an die Fünf Berge in die kultischen Handlungen der Herrscher (“Staatskult”) aufgenommen und auch nach dem Ende der Han-Dynastie (220 n. Chr.) beibehalten. Im 5. Jh. nach Chr. befolgten selbst die nomadischen Eroberer Nordchinas diesen Kult.[4]

Dass dem Taishan dabei besondere Bedeutung zukommt, zeigt nicht der Umstand, dass der französische Sinologe Edouard Chavannes (1865-1918) dem Berg bereits 1910 eine Monographie gewidmet hatte[5], sondern auch der Blick in die den Themen Mythologie und Symbolik gewidmeten Nachschlagewerke. Für die Daoisten ist der Taishan Sitz des Dongyue dadi 東嶽大帝, des Kaisers des östlichen Gipfels. Dieser “ist zugleich Lebensspender und Richter, der die Geburt und den Tod jedes Menschen bestimmt. Für die vergeltende Gerichtigkeit verantwortlich, reguliert er entsprechend dem moralischen Verhalten der Menschen deren Lebensspanne und Wiedergeburt”[6] Wie Eberhard schreibt, fand man früher vor Häusern Sandsteinblöcke mit der Inschrift “Der Taishan wagt zu widerstehen” (Taishan shi gan dang 泰山石敢當) – Ziel und Zweck dieser Inschrift war die Abwehr von Gespenstern und Dämonen.[7]

Die Besteigung des Berges galt seit alters her als probates Mittel, um das Schicksal günstig zu stimmen. Es war jedoch nicht allen beschieden, bis zum Gipfel zu gelangen:

“Aber der Berg rächt sich, wenn ein Unwürdiger es wagt, ihn zu besteigen. Qin Shi Huangdi, der unerbittliche Einiger im 2. Jahrhundert v. Chr., wollte den Berg besteigen, um die Anerkennung des Himmels für seine Herrschaft zu erlangen. Er wurde von einem wütenden Gewitter abgewiesen.”[8]

  1. Zur kulturellen Bedeutung von Bergen in der Geschichte Chinas vgl. u. a. Kap. 1 und 2 bei Thomas H. Hahn: Formalisierter wilder Raum. Chinesische Berge und ihre Beschreibungen (shanzhi 山志). Diss., Heidelberg, 1996. http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:16-opus-72876 . Vgl. ferner Werner Eichhorn: Die Religionen Chinas (Die Religionen der Menschheit 21; ed. Christel Matthias Schröder; Stuttgart: Kohlhammer, 1973) 72-75 („Heilige Berge“) sowie die Karte “Heilige Stätten Chinas” in Metzler Lexikon Religion 1 (1999) 213.
  2. Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen (München, 5. Aufl., 1996) 35.
  3. Vgl. dazu u.a. Patricia Bjaaland Welch: Chinese Art. A Guide to Motifs and Imagery (Singapore 2008) 240 (“Five Sacred Mountains of Daoism”), UNESCO: “The Four Sacred Mountains as an Extension of Mt. Taishan”. Das Buch von William Edgar Geil: The Sacred 5 of China (Boston/New York 1926), die erste westliche Studie zu allen dieser fünf Berge wurde vor einigen Jahren ins Chinesische übersetzt: Zhongguo wuyue 中國五嶽 (Shandong huabao chubanshe 山東畫報出版社, 2006).
  4. Vgl. dazu Anning Jing: The Water God’s Temple of the Guangsheng Monastery. Cosmic Function of Art, Ritual & Theater (Sinica Leidensia 53; Leiden 2002) 82.
  5. Edouard Chavannes: Le T’ai Chan. Essai de monographie d’un culte chinois (Paris 1910).
  6. Hans Wilhelm Haussig, Egidius Schmalzriedt (Hg.): Wörterbuch der Mythologie. Bd. 6: Götter und Mythen in Ostasien (Stuttgart 1994) 822 (“Taishan”).
  7. Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole, 277 (“T’ai-shan”).
  8. Cecilia Lindqvist: Eine Welt aus Zeichen: Die Chinesen und ihre Schrift (München 1990) 56.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/654

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Das Opfergelände des Himmels und der konfuzianische Staatskult

Das Opfergelände des Himmels (Tiantan 天壇), in westlichen Darstellungen in der Regel vereinfachend und irreführend als “Altar des Himmels”/”Himmelsaltar” beziehungsweise “Himmelstempel” bezeichnet, war der Ort, an dem zwei der wichtigsten Rituale des Staatskultes des kaiserlichen China vollzogen wurden. Dieser Staatskult läßt sich auf vorkonfuzianische Traditionen zurückführen und wurde – durch die Integration vielfältiger Elemente – “Ausdruck jener konfuzianischen Staatsdoktrin, die den Staat zugleich ethisch und kosmologisch legitimierte.”[1].

Die Rituale am Opfergelände des Himmels zählten zu den “großen Opfern”, die in der Regel vom Kaiser persönlich vollzogen wurden. Neben “großen Opfern” (da si 大祀), gab es “mittlere Opfer” (zhong si 中祀) und “Sammelopfer” (qun si 羣祀 ) beziehungsweise “kleine Opfer” (xiao si 小祀).[2]

Plan du Tien-tang ou temple dedié à Chang-ti ou souverain seigneur du ciel / [tirée du P. Duhalde]

Plan du Tien-tang ou temple dedié à Chang-ti ou souverain seigneur du ciel / [tirée du P. Duhalde] | Quelle: gallica

Das Opfergelände des Himmels – durch eine Mauer in zwei gleich große Teile geteilt – wurde zur Zeit der Ming-Dynastie im 9. Jahr der Ära Jiajing 嘉靖 (i.e. 1530) angelegt. Die wohl ausführlichste Beschreibung aus “westlicher” Sicht lieferte der aus den Niederlanden stammende Sinologe J.J.M. de Groot (1854-1921), der im späten 19. Jahrhundert die Opfergelände in Beijing besuchte [3].

Drei Punkte auf dem Opfergelände sollen hier  erwähnt werden:

Runder Hügel auf dem Opfergelände des Himmels, Beijing - Foto: Georg Lehner

Runder Hügel auf dem Opfergelände des Himmels, Beijing – Foto: Georg Lehner

Auf dem im südlichen Bereich gelegenen Runden Hügel (Huanqiu 圜丘) opferte der Kaiser nicht nur zur Wintersonnenwende (dongzhi 冬至) sondern brachte auch im vierten Mondmonat das Gebet um Regen (yu si 雩祀) dar.

In der im nördlichen Bereich gelegenen “Halle des Erntegebets” (Qiniandian 祈年殿) bat er im ersten Mondmonat um eine gute Jahresernte.[4]

Huangqiongyu ("Erhabenes Gewölbe"), Opfergelände des Himmels, Beijing - Foto: Georg Lehner

Huangqiongyu (“Erhabenes Gewölbe”), Opfergelände des Himmels, Beijing – Foto: Georg Lehner

Zwischen den den Nord- und den Südteil dominierenden Punkten lag das Huangqiongyu 皇穹宇, in Übersetzungen meist “Erhabenes Gewölbe” oder “Kaiserliches Himmelsgewölbe” genannt. Darin wurde

“der allerheiligste Fetisch des ganzen Kultes aufbewahrt [...] der ‘Seelensitz’ (shenwei) des Himmelsgottes. Es handelte sich um eine hölzerne Tafel auf einem viereckigen Sockel, in welche die Schriftzeichen huangtian shangdi, ‘erhabener Himmel, oberster Kaiser’, eingeschnitzt waren. Sie stand im nördlichen Teil des Tempelraumes in einem mit Drachenschnitzerei geschmückten Schrein genau in der Nord-Süd-Achse des Tempels mit der Front nach Süden, links und rechts flankiert von den Seelentafeln der verstorbenen Kaiser des herrschenden Hauses.”[5]

 

Mit dem Ende des Kaiserreiches war auch der Staatskult obsolet geworden. Ein letzter Versuch zur neuerlichen Etablierung der Riten am Opfergelände des Himmels wurde schließlich knapp drei Jahre nach dem Ende des Kaiserreiches unternommen. unternommen. Yuan Shikai (1859-1916), Präsident der Republik China, plante, sich zum Kaiser einer neuen Dynastie zu machen und vollzog am 23. Dezember 1914 die zur Wintersonnenwende üblichen Riten am “Opfergelände des Himmels”[6]. Ab 1918 wurde das Gelände als Park öffentlich zugänglich gemacht und 1998 wurde es auf die Weltkulturerbeliste der UNESCO gesetzt[7].

 

  1. Brunhild Staiger, Stefan Friedrich, Hans-Wilm Schütte (Hg.): Das große China-Lexikon. Geschichte – Geographie – Gesellschaft – Politik – Wirtschaft – Bildung – Wissenschaft – Kultur (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2003) Sp. 714 (“Staatskult”, Martin Kern)
  2. Staatliche Kunstsammlungen Dresden: Goldener Drache – Weißer Adler. Kunst im Dienste der Macht am Kaiserhof von China und am sächsisch-polnischen Hof 1644-1795 (München: Hirmer, 2008) 570 (“Zeremonien”, Liang Ke).  Vgl. auch die detaillierte Auflistung der am Ende der Kaiserzeit üblichen Opfer bei H.S. Brunnert, V. V. Hagelstrom: Present Day Political Organization of China (Shanghai: Kelly & Walsh, 1911) 202-207 (no. 572)
  3. J. J. M. de Groot: Universismus. Die Grundlage der Religion und Ethik, des Staatswesens und der Wissenschaften Chinas (Berlin: Reimer 1918) 141-155, zum Kult ebd., 155-186. Daran orientiert sich auch die Darstellung bei Frank Fiedeler: Yin und Yang. Das kosmische Grundmuster in den Kulturformen Chinas (Köln: DuMont, 1993) 68-75 (“Die Opferstätte des Himmels”)
  4. Vgl. Brunnert/Hagelstrom: Present Day Political Organization, 203
  5. Fiedeler: Yin und Yang, 70
  6. Dieter Kuhn: Die Republik China. Entwurf für eine politische Ereignisgeschichte. 3., überarb. u. erw. Aufl., Heidelberg: edition forum 2007), 143 und 148.
  7. Vgl. http://whc.unesco.org/en/list/881

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/399

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