Zur Geschichte des Hospitals St. Martin in Linz (Teil 1: 1461-1863)


Posten der Stadtrechnung von 1465/66, als Zimmerleute „uff dem hospitaill gearbeyt eynen dach an tzo brochen betten“.
Posten der Stadtrechnung von 1465/66, als Zimmerleute „uff dem hospitaill gearbeyt eynen dach an tzo brochen betten“.

Bis weit in die Neuzeit hinein stellte die Großfamilie das soziale Netz der Gesellschaft dar, garantierte sie ihren Mitgliedern doch im Normalfall ein Leben lang Fürsorge bei Krankheit oder im Alter. Für bedürftige allein stehende Personen wie Witwen oder Witwer, Waisenkinder und sonstige Menschen ohne Angehörige, die häufig in oder am Rande der Armut lebten, sorgten seit dem Mittelalter Stadt und Kirche mittels Stiftungen und Armenfonds. An der Schwelle zur Armut lebte auch ein beträchtlicher Teil der werktätigen Gesellschaft; viele Tagelöhner, Knechte und Mägde und ebenso ein Teil der Handwerker und Ackerbauern konnten ihr Auskommen nur durch zusätzlichen Nebenerwerb sichern. Die Armenstiftungen wurden stets mit Almosen und Schenkungen reicher Bürger, oft im Zusammenhang mit Testamenten und in der Hoffnung auf Fürbitte durch die Armen, großzügig bedacht und wiesen daher einen umfangreichen Besitz an Geld- und Sachwerten auf, der durch Geldgeschäfte wie Darlehen und Hypotheken noch vermehrt wurde. Die Verwaltung des umfangreichen Besitzes des städtischen Linzer Hospital- und Armenwesens war für die Administratoren nicht immer leicht zu bewältigen, so dass zum Ende des 17. Jahrhunderts die Überprüfung der Besitztümer und die Erstellung eines neuen Hauptrentbuches nötig wurde. Mittels der Erträge wurden nicht nur die Bedürftigen der eigenen Stadt, sondern mitunter auch in Not geratene Nachbarorte unterstützt. Ein Teil der Einkünfte aus den Armenfonds diente zur Unterbringung Bedürftiger in eigens dafür bestimmten Häusern, den so genannten Hospitälern.

Ehemalige Herberge "Zum Heiligen Geist", heute Marktplatz 23 (rechts im Bild)
Ehemalige Herberge “Zum Heiligen Geist”, heute Marktplatz 23 (rechts im Bild)

Die ursprüngliche Funktion eines Hospitals oder, wie es ebenfalls bezeichnet wurde, Gasthauses war neben der Pflege Kranker die Beherbergung Armer und vor allem Durchreisender, häufig Pilger. Alte Menschen konnten zudem bei entsprechender finanzieller Gegenleistung (weshalb sie mitunter auch als „Pfründner“ bezeichnet wurden) ihren Lebensabend in der Fürsorge des Hauses verbringen. Europaweit waren diese Häuser meist nach dem Beschützer der Armen, dem Heiligen Geist, benannt. So gab es auch in Linz ein Hospital „Zum Heiligen Geist“, das Haus stand auf dem Marktplatz und wird 1570 erstmals urkundlich erwähnt, als der Offizial und Dechant von Wetzlar im Zuge der Visitation des Trierer Erzbischofs hier absteigt. 1602/03 übernachten dort Mitglieder des Domstifts, 1627/28 findet die Versammlung der Eintracht dort statt. Während des 30-jährigen Kriegs beherbergte der Wirt Hermann Salzfaß dort 40 schwedische Offiziere auf Kosten der Stadt. Es muss jedoch schon früher ein solches Haus in Linz existiert haben, denn 1461 gab Bürgermeister Johann Bischof d. Ä. (1461-62) zur Unterstützung des Hospitals einen Karren Holz. Die Lokalisierung dieses Hospitals „am Geistenberg zwischen Stadtmauer und Bethlehemsgasse oberhalb des Leetores“ identifiziert das Haus als Vorgänger des späteren Hospitals und Altenheims St. Martin. Für weitere Herbergen in der Brüdergasse oder bei einem der Stiftshöfe gibt es keine direkten urkundlichen Belege, die Existenz lässt sich nur vermuten. In französischer Zeit befand sich vorübergehend ein Hospital in der Linzer Burg. 1602 wird das Martinus-Hospital in Zusammenhang mit einer Bausache des Zöllners Hans Dietrich Mohr erwähnt. Ab Mitte 1641 erfolgte ein Neubau an gleicher Stelle, nachdem der gräflich-isenburgische Rat und Schultheiß zu Linz, Reusch, dem Offizial zu Koblenz, Flade, ein entsprechendes Gesuch des Stadtrats übermittelt hatte, das dieser nach wenigen Wochen genehmigte. Im Zuge dieses Neubaus dürfte auch die Benennung der angrenzenden Gasse in Hospitalsgasse (heute Hospitalstraße) erfolgt sein.

Lageplan des Hospitals, 1902
Lageplan des Hospitals, 1902

Die Leitung des Hauses hatten die Hospitalmeister und Armenprovisoren inne, denen wiederum der Rat der Stadt vorstand. Dieser hatte auch über Aufnahmeanträge zu entscheiden, die nicht selten abgelehnt wurden. Arme, die keine Aufnahme in das Hospital fanden, erhielten stattdessen Geld aus dem Armenfonds der Stadt und wurden zudem als so genannte Hausarme von den Bürgern in ihren Häusern unterstützt. So zahlte 1688 der Linzer Zöllner Marcus Ignatius Flöckher auf Anweisung des Kölner Kurfürsten Maximilian Heinrich von Bayern (1650-88) der Witwe Heribert Ulligs jeden Sonntag eine testamentarisch verfügte Schenkung von 7 Raderschillingen aus den Zollgefällen aus. Der Bürger Wilhelm Kriekell erhielt 1765 2 Reichstaler aus dem Armenfonds. Der Unterhalt des Hospitals erstreckte sich auf die Instandsetzung des Hauses und des Inventars (so 1465/66, als der Magistrat 3 Mark für Zimmerleute ausgab, die „uff dem hospitaill gearbeyt eynen dach an tzo brochen betten“, also einen Tag lang zerbrochene Betten wiederhergestellt hatten, oder 1480/81, als 11 Mark 8 Schilling für Leintuch ausgegeben wurden) sowie der Insassen bis zu ihrem Tode: 1462/63 oder auch 1470/71 finanzierte der Rat mit je 11 Schilling die Beisetzung von zwei im Hospital verstorbenen armen Frauen.

Manuale Obligationum der Armenverwaltung zu Linz, 1735-62
Manuale Obligationum der Armenverwaltung zu Linz, 1735-62

Den Armenprovisoren oblag auch die Aufsicht über die Bettelei. Zum Betteln berechtigt war nur, wer als „Ausweis“ ein Armenbrot oder „Schild“ mit sich führte. 1728 waren dies 30 Personen, meist Witwen aus den umliegenden Dörfern. Krankheit oder körperliche Gebrechen führten oft unweigerlich in die Armut, wie das Schreiben einer Linzer Bürgerin an die Armenverwaltung aus dem Jahr 1847 zeigt: Nach dem Verlust ihres Augenlichts durch einen Unfall ist die allein stehende Dienstmagd arbeits- und somit obdachlos und muss um Aufnahme in das Hospital bitten.

Die große Zahl an Bedürftigen zog zwangsläufig beengte Verhältnisse und eine daraus resultierende mangelhafte Versorgung der Insassen des Hospitals nach sich. Da auch die Betreuung der Kranken und Pflegebedürftigen in der Stadt zu wünschen übrig ließ, erwarb die Armenverwaltung 1844 die Gebäude des ehemaligen Servitessenklosters mit dem Ziel, dort ein Krankenhaus einzurichten. Das 1802 säkularisierte Kloster sollte 1819 zur preußischen Kaserne umfunktioniert werden, konnte nach Intervention des Apostolischen Vikars in Ehrenbreitstein und späteren Bischofs Josef von Hommer (1824-1836) jedoch durch Linzer Bürger ersteigert werden. Der Plan von einem städtischen Krankenhaus ließ sich jedoch aufgrund der hohen Kosten zunächst nicht realisieren. Auch die Absicht von Schwester Ignatia Külpmann, 1848 in den Klostergebäuden ein Krankenhaus mit Heim für Waisenkinder zu betreiben, scheiterte am plötzlichen Tod der Klosterfrau. 1854 schließlich übernahmen die Franziskanerinnen von der Buße und der christlichen Liebe, so der vollständige Name der Kongregation, von ihrer Niederlassung auf Nonnenwerth aus das Kloster zur schmerzhaften Mutter.

Erste Seite der Chronik des Hospitals St. Martinus
Erste Seite der Chronik des Hospitals St. Martinus

Von dieser Niederlassung ausgehend arbeiteten die Schwestern teils in der ambulanten Krankenpflege, d.h., sie machten Hausbesuche und übernahmen Nachtwachen bei den Kranken der Stadt, und teils im Hospital St. Martin, wo neben Kranken auch Arme, Alte und Waisenkinder betreut wurden. 1860 wurde die Tätigkeit der Schwestern im Hospital zunächst unterbrochen, da sich die Konzentration der Schwestern auf die Einrichtung einer Anstalt für geisteskranke Frauen im Linzer Kloster sowie die Übernahme der Elementarschule richtete. Doch bereits 1863 konnte die Generaloberin Mutter Aloysia Lenders einen Vertrag mit der Linzer Armenverwaltung schließen, in dem sie sich verpflichtete, Schwestern für das Hospital abzustellen, welche die alten Männer, Frauen, Kranken und Waisenkinder, die sich dort aufhielten, zu verpflegen, d.h., zu beköstigen und für Wäsche und Reinigung des Hauses zu sorgen. Die Verwaltung verpflichtete sich ihrerseits, für jede Schwester 60 Taler, für jeden Hospitalisten vier Silbergroschen und für jedes Waisenkind drei Silbergroschen zu zahlen. Am 1. November 1863 trafen die ersten vier Schwestern in Begleitung von Mutter Josefa aus [Mönchen]Gladbach ein. Später sollte sich die Zahl auf bis zu neun Ordensfrauen erhöhen.

– nach: Andrea Hartwig, Zur Geschichte des Hospitals St. Martin in Linz am Rhein, Linz am Rhein 2004.

Quelle: http://archivlinz.hypotheses.org/586

Weiterlesen

Hermann Weinsberg (1518–1597), Kölner Ratsherr und Chronist

Der Kölner Ratsherr Hermann Weinsberg (* 3.1.1518, † 23.3.1597), der als Chronist des städtischen Alltagslebens der Frühen Neuzeit schriftliche Aufzeichnungen von bis heute noch nicht vollständig überschaubarem Umfang hinterlassen hat, wird meist – durchaus liebevoll – als leicht verschrobener Sonderling beschrieben. Seine „Entdecker“ im 19. Jahrhundert vermissten die Größe der historischen Persönlichkeiten, denen seinerzeit das Hauptinteresse der Geschichtswissenschaft galt. In den folgenden Jahrzehnten dienten seine detailreichen Schilderungen einer Fülle von Untersuchungen über Einzelaspekte des Lebens in Köln im 16. Jahrhundert, was in der Außenwahrnehmung zu einer – sicherlich unbeabsichtigten – Banalisierung führte. Das vor einiger Zeit aufkommende Interesse an Selbstzeugnissen hatte dann eine – wiederum im Ergebnis oft wenig vorteilhafte – Psychologisierung der tiefer liegenden Motive des Autors zur Folge. Und auch zu seinem 2018 anstehenden 500. Geburtstag wird er mit dem schier unermesslichen Schatz an Anekdoten und Skurrilitäten aus seinem Werk viel Anlass für unterhaltsam aufbereitete Geschichtsabende bieten.

Hermann Weinsberg im Alter von 22 Jahren. Zeichnung von Meister Johann aus der Werkstatt Bartholomäus Bruyn dem Älteren (Zeughaus Köln, gemeinfrei)

Hermann Weinsberg im Alter von 22 Jahren. Zeichnung von Meister Johann aus der Werkstatt Bartholomäus Bruyn dem Älteren (Zeughaus Köln, gemeinfrei)

Was Weinsberg selbst von dieser so sicher nicht intendierten Form seines Nachruhms gehalten hätte, ist müßig zu fragen. Wiewohl der historische Zugang über das schonungslos öffentliche Private in Zeiten der Sozialen Medien und der Boulevardisierung von zweifelhafter Prominenz einer gewissen Pointe nicht entbehrt. In den Hintergrund gedrängt wird letztlich, welch einzigartige Quelle er hinterlassen hat. Die Liste möglicher Fragestellungen, zu der sie Auskunft geben kann, ist unendlich – zumal angesichts des Vordringens kulturgeschichtlicher Ansätze. Vor allem aber ist Hermann Weinsberg ein verlässlicher Zeuge gegenüber dem reichhaltigen normativen und Verwaltungsschriftgut der Zeit. Ein entsprechender Zugriff hat schon so manchem Historiker die Augen geöffnet und bannt die Gefahr, auf die Singularität des Chronisten abzuheben, durch die dessen „Besonderheit” über Gebühr in den Mittelpunkt gestellt wird.

Der als erstes von elf Kindern des Christian Weinsberg (1489–1549) und seiner Ehefrau Sophia Korth (1498–1573) in Köln geborene Weinsberg arbeitete seit den 1550er Jahren an einer Geschichte seines Geschlechts, dem Boich Weinsberg. Es beginnt mit einem römischen Soldaten in der Zeit Karls des Großen und ist größtenteils frei erfunden. 1560/1561 nahm Weinsberg seine Gedenkbücher in Angriff. Der erste Band (Liber Iuventutis) behandelt rückblickend die Zeit seit der Heirat seiner Eltern 1517. Nach Abschluss des autobiographischen Teils, der sich wesentlich auf Erzählungen von Verwandten und einige zeitgeschichtliche Chroniken stützte sowie ab 1555 auf eigene Notizen, die er parallel zu den Arbeiten am Boich Weinsberg zu führen begonnen hatte, schrieb er das Werk bis 1578 mit täglichen Eintragungen weiter. Es folgten – jetzt vollständig im tagebuchartigen Stil – der Liber Senectutis (bis 1587) und der Liber Decrepitudinis bis zu seinem Tod 1597. Begleitet werden diese Kernstücke des Werks von Ausführungen zur testamentarischen Familienfideikommissstiftung, die den Fortbestand des Geschlechts sichern sollte, Aufzeichnungen über die städtische Verfassung und Verwaltung, Überlieferungen zur Verwandtschaft sowie Haushaltungs-, Geschäfts- und Rechnungsbücher. Hinzu kommt ähnlich umfangreiches Schriftgut, das Weinsberg in seiner Funktion als Kirchenvorstand der Kölner Gemeinde St. Jakob anlegte. Der Gesamtumfang seiner schriftlichen Hinterlassenschaft ist kaum zu schätzen, dürfte aber mehr als 10.000 Seiten betragen.

Über die Motivation für diese – in der letzten Phase seines Lebens ausufernde – Schreibleidenschaft ist viel gerätselt worden; für Historikerinnen und Historiker ist sie ein Glücksfall. Die Familie Weinsberg hatte einen beachtlichen sozialen Aufstieg hinter sich, nachdem der Großvater Gottschalk von Schwelm (1439–1502), aus kleinbäuerlichem Milieu stammend, erst 1458 nach Köln eingewandert war. 1491 erwarb er das der Familie als Stammsitz fortan den Namen gebende Haus Weinsberg am Waidmarkt und wurde am Ende seines Lebens noch dreimal in den Rat der Stadt gewählt (1494, 1497, 1500). Sein Sohn Christian stabilisierte die wirtschaftliche und gesellschaftliche Position der Familie. Hermann war daher durch Mieteinkünfte und die Ehen mit zwei wohlhabenden Witwen (Weisgin Ripgin, 1548–1557, und Drutgin Bars, 1558–1573), die kinderlos blieben, recht gut situiert und konnte die notwendige Zeit erübrigen. Zudem hatte er eine gehobene Bildung genossen: Nach der Pfarrschule von St. Georg (1524–1528), der Schule an der Sandkaul (1528–1530) und der Pfarrschule von St. Alban (1530/1531) besuchte er von 1531 bis 1534 die Fraterherrenschule in Emmerich. Anschließend studierte er als Stipendiat der Kronenburse an der Universität Köln, wo er 1536 das Artistische und 1439 das Legistische Bakkalaureat erwarb und 1543 zum Lizentiat der Rechte promoviert wurde. Hier sind die Grundlagen für seine schriftstellerische Betätigung zu finden – die intellektuellen Fertigkeiten ebenso wie ein historisch-literarisches Interesse. Als Kirchmeister von St. Jakob (1549–1597) und dreizehnmaliger Ratsherr der Kaufleutegaffel Schwarzhaus (1543–1595) bewegte er sich in den politisch und wirtschaftlich führenden Kreisen der Stadtgesellschaft, in die er tiefe Einblicke gewährt. Neben der gelegentlichen Betätigung als Advokat besorgte er die Buchhaltung für sich und für seine zweite Frau, zwischenzeitlich diente er als städtischer Beamter in der Position eines Burggrafen unter dem Rathaus (1549–1565).

Titelblatt des Liber Senectutis (Historisches Archiv der Stadt Köln)

Titelblatt des Liber Senectutis (Historisches Archiv der Stadt Köln)

Nüchtern betrachtet, fehlt diesem Lebenslauf das Hervorstechende, doch bildet er die Voraussetzung für das einzigartige Werk. In unüberarbeiteter Form war es wohl nicht zur Veröffentlichung vorgesehen. Angesichts des schieren Umfangs der Aufzeichnungen und die dadurch bedingte fragmentarische Rezeption wurde zudem die überwölbende Schaffensabsicht lange Zeit übersehen: Besonders in seiner letzten Lebensphase war Weinsberg zunehmend auf den Gedanken fokussiert, dass sein Werk eine bindende Klammer für seine Familie darstellen könnte – einerseits durch konkrete Handlungsanleitungen in den Gedenkbüchern, außerdem durch die integrierende Wirkung der erfundenen Geschichte des Geschlechts, die er zu diesem Zwecke vollständig überarbeitete, und schließlich durch die Fideikommissstiftung, die die Position des „Hausvaters” als Alleinerbe über seinen Tod hinaus fixieren sollte, auch wenn er selbst lediglich eine uneheliche Tochter mit der Magd seiner Eltern gezeugt hatte (Anna, 1546–vor 1601).

Es entbehrt nicht einer gewissen tragischen Ironie, dass dieser Plan grandios scheiterte – und es doch genau deshalb erst zu der Überlieferung kam, die Weinsbergs Namen bis heute im Gedächtnis der Nachwelt verankern sollte. Nach dem Tod des Chronisten trat ein, was als Befürchtung in dessen letzten Lebensjahren ins Zentrum seiner Motivation zu Schreiben gerückt war: Seine Familie zerbrach an den Auseinandersetzungen um den Nachlass – allen voran seine engsten Verwandten, sein Bruder Gottschalk (1532–1597), seine Schwester Sybilla (1537–1597) und der Sohn seines Bruders Christian (1529–1564), Hermann junior (1560–1604), mit denen Hermann senior seit den 1570er Jahren in einer Hausgemeinschaft gelebt hatte. Gottschalk trat nach kurzer Zeit aufgrund von Anfeindungen der vom Erbe ausgeschlossenen Verwandtschaft vom Amt des Hausvaters zurück und verstarb bald darauf unter zunächst ungeklärten Umständen (20.7.1597). Sybilla kam bei einem Sturz in einen Brunnen ums Leben (7.6.1597) und Hermann junior geriet unter Mordverdacht. Vermutlich hatte er versucht, die gesellschaftlich geächteten Suizide seiner Angehörigen zu vertuschen. Doch nicht zuletzt angesichts übler Nachrede der restlichen Verwandtschaft konnte er sich in den folgenden Jahren nie vollständig aus der in Köln mittlerweile zum großen Skandal ausgewachsenen Affäre befreien. Er verstarb am 17.4.1604 im Gefängnis. 1608 erreichte die Familie nach langen gerichtlichen Auseinandersetzungen, dass der Nachlass doch noch unter der gesamten Verwandtschaft aufgeteilt wurde.

Der eigentliche Schaffenszweck wurde damit ins glatte Gegenteil verkehrt. Doch die Aufzeichnungen Hermann Weinsbergs überdauerten die Jahrhunderte, da sie im Zuge der Prozesse als Beweisstücke konfisziert und in den städtischen Asservatenkammern eingelagert worden waren. Dort wurden sie in den 1850er Jahren von dem Kölner Stadtarchivar Leonard Ennen (1820–1880) entdeckt, der einige Auszüge publizierte. Nach Ennens Tod wurde sein Nachfolger Konstantin Höhlbaum (1849–1904) von der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde mit der Edition beauftragt. Die ersten zwei Bände mit einer Auswahl von Texten aus dem Liber Iuventutis erschienen 1886/1887. Für die Bände drei und vier (1897/1898) kürzte der Bearbeiter Friedrich Lau den Liber Senectutis und den Liber Decrepitudinis allerdings stark zusammen. Daher folgten bereits 1926 als fünfter Band „Kulturhistorische Ergänzungen” von Joseph Stein mit bis dahin übergangenen Passagen aus allen drei Gedenkbuch-Bänden sowie einigen Auszügen aus dem Boich Weinsberg. Anfang des 21. Jahrhunderts wurde im Rahmen eines Editionsprojektes an der Universität Bonn (2002–2007) die Veröffentlichung zumindest dieser vier Hauptteile des Weinsbergschen Werks vervollständigt, indem die fehlenden Abschnitte – immerhin etwa die Hälfte des Textes – transkribiert und mit den bereits publizierten Passagen im Internet zusammengeführt wurden (www.weinsberg.uni-bonn.de). Dadurch ist nun nicht nur ein vollständiges Bild von Weinsbergs Gesamtwerk als solches entstanden. Auch das Kaleidoskop des städtischen Lebens im 16. Jahrhundert, das es darstellt, wird um zahllose Facetten reicher.

Werke:

Das Buch Weinsberg. Kölner Denkwürdigkeiten aus dem 16. Jahrhundert, Band 1–2, bearb. von Konstantin Höhlbaum, Leipzig 1886/1887, Band 3–4, bearb. von Friedrich Lau, Bonn 1897/1898, Band 5: Kulturhistorische Ergänzungen, bearb. von Joseph Stein, Bonn 1926; Nachdruck Düsseldorf 2000.

Das Buch Weinsberg. Aus dem Leben eines Kölner Ratsherrn, hg. von Johann Jakob Hässlin, Stuttgart 1961, 5. Auflage, Köln 1997.

Literatur:

Groten, Manfred (Hg.), Hermann Weinsberg (1518–1597). Kölner Bürger und Ratsherr. Studien zu Leben und Werk, Köln 2005.

Herborn, Wolfgang, Die Familie von Schwelm/ von Weinsberg. Entwicklungsstufen einer bäuerlichen Familie im großstädtischen Milieu an der Schwelle zur Neuzeit, in: Beiträge zur Heimatkunde der Stadt Schwelm und ihrer Umgebung NF 32 (1982), S. 36–62; auch in: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 25 (1983/1984), S. 7–26.

Herborn, Wolfgang, Hermann von Weinsberg, in: Rheinische Lebensbilder 11 (1988), S. 59–76.

Rohmann, Gregor, Der Lügner durchschaut die Wahrheit: Verwandtschaft, Status und historisches Wissen bei Hermann von Weinsberg, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 71 (2000), S. 43–76.

Schwerhoff, Gerd, Verklärung und Untergang des Hauses Weinsberg – eine gescheiterte Geltungsgeschichte, oder: Vom glücklichen Überlieferungs-Zufall eines Ego-Dokuments aus dem 16. Jahrhundert, in: Altenberend, Johannes (Hg.), Kloster – Stadt – Region. Festschrift für Heinrich Rüthing, Bielefeld 2002, S. 65–86.

Studt, Birgit, Der Hausvater. Haus und Gedächtnis bei Hermann von Weinsberg, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 61 (1997), S. 135–160.

Wulf, Tobias, Bestandsaufnahme und Perspektiven der Weinsberg-Forschung, in: Groten, Manfred (Hg.), Hermann Weinsberg (1518–1597) – Kölner Bürger und Ratsherr. Studien zu Leben und Werk, Köln 2005, S. 35–57.

Online:

Digitale Gesamtausgabe der Aufzeichnungen von Hermann Weinsberg.

Dieser Beitrag ist zuerst am 14.02.2014 auf dem Portal Rheinische Geschichte des Landschaftsverbands Rheinland erschienen:
http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/persoenlichkeiten/W/Seiten/HermannWeinsberg.aspx

Quelle: http://ccaa.hypotheses.org/40

Weiterlesen

„Yanks over Rhine“: Linz nach dem 7. März 1945


Lageplan-Skizze der alliierten Bombenabwürfe in Linz am 24.8.1940
Lageplan-Skizze der alliierten Bombenabwürfe in Linz am 24.8.1940

Mit dem ersten großen Fliegerangriff in der Nacht zum 25. August 1940 wurde die Gegend um Linz allmählich vom Hinterland zum Frontgebiet. Bis März 1945 folgten weitere Bombentreffer. Bei Kriegsende hatten alle Linzer Stadtviertel unter Bomben und Granattreffern gelitten. Am stärksten betroffen waren die Außenviertel, während die Altstadt weitgehend unversehrt geblieben war.

Am 7. März 1945 überquerten amerikanische Streitkräfte den Rhein über die Ludendorff-Brücke zwischen Remagen und Erpel, besser bekannt als die so genannte „Brücke von Remagen“, und bildeten einen Brückenkopf bei Erpel, den sie innerhalb von zwei Tagen auf den Abschnitt Honnef-Rheinbreitbach-Unkel-Bruchhausen-Ohlenberg-Kasbach-Linz ausdehnten.

The Baltimore Newspost, 9.3.1945
The Baltimore Newspost, 9.3.1945

Am Morgen des 8. März wurde Linz den Amerikanern widerstandslos übergeben – nun waren es deutsche Tiefflieger, die die eingenommene Stadt unter Beschuss nahmen. Immer wieder kam es zu kleineren Scharmützeln zwischen amerikanischen und deutschen Truppen, die sich vom Rheinufer in die Hänge oberhalb der Stadt zurückgezogen hatten.

Der 1928 in Linz geborene Johannes Reth, ein Anfang März 1945 an der Brücke stationierter Luftwaffenhelfer, erinnert sich noch heute an seine Rückkehr in die Heimatstadt, nachdem er den „immer dramatischer werdenden Rückzug eigener Truppen“ genutzt hatte, um dem Kriegsgeschehen an der Ludendorff-Brücke zusammen mit zwei seiner Kameraden zu entfliehen: „Die Wiese [unterhalb seines Elternhauses] war voll mit Panzern und anderen Fahrzeugen, hunderte amerikanische Soldaten waren dort.“ Ebenso beschreibt er das „eigentümliche Treiben“ auf der Straße: „[…] amerikanische Soldaten in voller Kriegsmontur fuhren Fahrrad, einer hatte einen Zylinder auf dem Kopf, ein anderer einen Tirolerhut. Sie lachten und machten Blödsinn, wie bereits erwähnt war die gesamte Wiese des Bauernhofes unterhalb von unserem Haus voll mit Panzern.“

Die Bevölkerung der Stadt hatte keinen Widerstand geleistet; in den Straßen wurden weiße Fahnen oder Tücher gehisst. Der gewünschte Volkssturm war ausgeblieben. Tatsächlich glich Linz nach dem Einmarsch der Amerikaner einem Heerlager, das als Brückenkopf der alliierten Offensive ohne Gas-, Strom- und Lebensmittelversorgung von der näheren Umgebung abgeschnitten blieb. Die Stadt diente von nun an als Stützpunkt, der von den amerikanischen Truppen genutzt wurde, um die militärischen Aktionen in nächster Umgebung zu koordinieren. Als zusätzliche Belastung kam damit auch die Einquartierung zahlloser amerikanischer Soldaten hinzu.

Anordnung über die Ausgangszeit im Landkreis Neuwied (12.6.1945)
Anordnung über die Ausgangszeit im Landkreis Neuwied (12.6.1945)

Der Linzer Alltag wurde vorrangig durch die desolate Versorgungslage bestimmt. Insbesondere die Nahrungsmittelknappheit führte zu einem immensen Anstieg des Schwarzhandels, was in den meisten Fällen mit mehrmonatigen Haftstrafen geahndet wurde. Auch Reth erzählt vom „Schwarzschlachten“ eines Schafes, das er zusammen mit seinem Bruder „hinter dem Kaiserberg“ bei einem „Schäfer, der durch die Kriegsereignisse nicht mehr weiterkomme“ erstanden hatte. Hinzu kam die weitgehende Geschäfts- und Ausgangssperre, die erst im Laufe der Zeit gelockert werden sollte. Noch im Juni 1945 war die Zeit von 5.00-21.30 Uhr festgelegt.

Die am 11./12. März 1945 fertig gestellte Pionierbrücke von Kripp nach Linz
Die am 11./12. März 1945 fertig gestellte Pionierbrücke von Kripp nach Linz

Im Zuge der immer heftiger werdenden Abwehrkämpfe im nahe gelegenen Westerwald bauten die Amerikaner am 11./12. März vom gegenüberliegenden Kripp ausgehend eine Pontonbrücke, die Rozisch-Blackburn-Thompkins Bridge, über die „ununterbrochen Panzer, Truppen und Material in den Brückenkopf rollten“ (Reth). Die Nutzung der Pionierbrücke unterlag noch bis zur Einrichtung einer neuen Fähre im Sommer 1945 rein militärischen Belangen. Im Hintergrund der Abbildung sind am Linzer Rheinufer zahlreiche zum Teil stark beschädigte Gebäude zu erkennen.

Quelle: http://archivlinz.hypotheses.org/555

Weiterlesen

Linzer Karneval um 1900


"Statuten des Carneval-Vereins Pöck de Röck zu Linz", 1860
“Statuten des Carneval-Vereins Pöck de Röck zu Linz”, 1860

Die ersten Nachrichten über den Linzer Karneval stammen vom Beginn der preußischen Zeit nach 1815. 1828 wird durch eine “allerhöchste Kabinettsordre” verfügt, dass „Fastnachts-Masqueraden nur in größeren Städten, wo sie von altersher herkömmlich waren“, stattfinden dürfen. Dieses Verbot musste jedes Jahr beim Herannahen der närrischen Zeit öffentlich bekannt gemacht werden mit dem Hinweis, „dass hiergegen handelnde Individuen zur gesetzlichen Strafe gezogen würden”. Eine kleine Erleichterung ergab sich l838, als der Landrat die Erlaubnis gab, die Polizeistunde an den Karnevalstagen bis 23 Uhr auszudehnen. In diesem Jahr fand auch die erste nachweisbare karnevalistische Veranstaltung in Linz, ein Faschings-Ball, statt. 1858 schließlich teilte der Regierungspräsident auf „allerhöchsten Befehl“ mit, dass „überall, wo dergleichen Maskenzüge bisher üblich waren, dieselben auch fernerhin gestattet werden” sollten. Die Beschränkung nur auf größere Städte war also gefallen.

"Närrische Rähn-Zeitung", 1879
“Närrische Rähn-Zeitung”, 1879

Der erste Verein, der eine karnevalistische Sitzung in Linz veranstaltet, war der Jünglingsverein, der am 14. Februar 1857 um die Erlaubnis dazu beim Bürger-meister nachsuchte. 1860 liegt dann ein Gesuch von jungen Leuten vor um Genehmigung der neu gegründeten Karnevalsgesellschaft „Pöck de Röck” mit ihren Statuten: Nur Junggesellen durften Mitglied werden, Überschüsse gehen an die Armen.1881 wurden der Karnevalsverein „Mer hahle Pohl” und 1884 die „Linzer Karnevalsgesellschaft” gegründet.

Programm des ersten Rosenmontagszugs, 1879
Programm des ersten Rosenmontagszugs, 1879

In Letztere aufgenommen werden kann jeder, „der irgend einen elektrischen Funken von Narretei im Leibe hat“. Wöchentlich wird eine Sítzung abgehalten, bei der nur Narretei gesprochen und gesungen werden darf. Hunde dürfen nicht mitgebracht werden, Damen haben freien Eintritt. Zu den Sitzungen der 1888 gegründeten Karnevalsgesellschaft „Mer don doch” dürfen im Gegensatz zu oben „Hunde mitgebracht werden, haben jedoch kein Stimmrecht und dürfen unaufgefordert auch nicht mitsingen. Wer sich roh und unanständig benimmt, wird vom Vorstand ausgewiesen.“ 1894 entsteht die Karnevalsgesellschaft „Jett moß sinn“ zur Organisation eines Rosenmontagszuges. Hier erscheint zum ersten Mal der Geisterzug am Samstag und am Sonntag der 1. Aufmarsch der Funken-Artillerie mit zwei Geschützen in Paradeuniform der früheren Stadtsoldaten, die auch im Zuge mitmarschierten.

Linzer Rosenmontagszug 1900 auf dem Marktplatz
Linzer Rosenmontagszug 1900 auf dem Marktplatz

Im Zug außerdem „die Teufelsmühle oder die Umschmelzung der 11.000 alten Linzer Jungfrauen”. 1901 wird der Zug von den beiden Karnevalsgesellschaften „Mer don met” und „Wer hätt dat gedaach” veranstaltet. Er führt 15 Programmnummern, darunter zum ersten Mal den Wagen des Prinzen Karneval selbst. Auf den „Kleinen Rat“ der Gesellschaft „Wer hätt dat gedaach“ geht außerdem der 1904 erstmals so genannte Linzer Elferrat zurück.

1912_001
1912_003
1912_002
1912_006

Zeitungsannoncen, 1912

Diese erste Blüte des Linzer Karnevals wurde durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs und das darauf folgende Verbot aller karnevalistischer Veranstaltungen jäh beendet. Bis in die 1920er Jahre mussten die närrischen Aktivitäten ruhen.

nach: Walter Fuchs, 100 Jahre Linzer Karneval, unv. Manuskript, [Linz 1958] = StAL Ma 29.

Quelle: http://archivlinz.hypotheses.org/523

Weiterlesen

Linzer Karneval um 1900


"Statuten des Carneval-Vereins Pöck de Röck zu Linz", 1860
“Statuten des Carneval-Vereins Pöck de Röck zu Linz”, 1860

Die ersten Nachrichten über den Linzer Karneval stammen vom Beginn der preußischen Zeit nach 1815. 1828 wird durch eine “allerhöchste Kabinettsordre” verfügt, dass „Fastnachts-Masqueraden nur in größeren Städten, wo sie von altersher herkömmlich waren“, stattfinden dürfen. Dieses Verbot musste jedes Jahr beim Herannahen der närrischen Zeit öffentlich bekannt gemacht werden mit dem Hinweis, „dass hiergegen handelnde Individuen zur gesetzlichen Strafe gezogen würden”. Eine kleine Erleichterung ergab sich l838, als der Landrat die Erlaubnis gab, die Polizeistunde an den Karnevalstagen bis 23 Uhr auszudehnen. In diesem Jahr fand auch die erste nachweisbare karnevalistische Veranstaltung in Linz, ein Faschings-Ball, statt. 1858 schließlich teilte der Regierungspräsident auf „allerhöchsten Befehl“ mit, dass „überall, wo dergleichen Maskenzüge bisher üblich waren, dieselben auch fernerhin gestattet werden” sollten. Die Beschränkung nur auf größere Städte war also gefallen.

"Närrische Rähn-Zeitung", 1879
“Närrische Rähn-Zeitung”, 1879

Der erste Verein, der eine karnevalistische Sitzung in Linz veranstaltet, war der Jünglingsverein, der am 14. Februar 1857 um die Erlaubnis dazu beim Bürger-meister nachsuchte. 1860 liegt dann ein Gesuch von jungen Leuten vor um Genehmigung der neu gegründeten Karnevalsgesellschaft „Pöck de Röck” mit ihren Statuten: Nur Junggesellen durften Mitglied werden, Überschüsse gehen an die Armen.1881 wurden der Karnevalsverein „Mer hahle Pohl” und 1884 die „Linzer Karnevalsgesellschaft” gegründet.

Programm des ersten Rosenmontagszugs, 1879
Programm des ersten Rosenmontagszugs, 1879

In Letztere aufgenommen werden kann jeder, „der irgend einen elektrischen Funken von Narretei im Leibe hat“. Wöchentlich wird eine Sítzung abgehalten, bei der nur Narretei gesprochen und gesungen werden darf. Hunde dürfen nicht mitgebracht werden, Damen haben freien Eintritt. Zu den Sitzungen der 1888 gegründeten Karnevalsgesellschaft „Mer don doch” dürfen im Gegensatz zu oben „Hunde mitgebracht werden, haben jedoch kein Stimmrecht und dürfen unaufgefordert auch nicht mitsingen. Wer sich roh und unanständig benimmt, wird vom Vorstand ausgewiesen.“ 1894 entsteht die Karnevalsgesellschaft „Jett moß sinn“ zur Organisation eines Rosenmontagszuges. Hier erscheint zum ersten Mal der Geisterzug am Samstag und am Sonntag der 1. Aufmarsch der Funken-Artillerie mit zwei Geschützen in Paradeuniform der früheren Stadtsoldaten, die auch im Zuge mitmarschierten.

Linzer Rosenmontagszug 1900 auf dem Marktplatz
Linzer Rosenmontagszug 1900 auf dem Marktplatz

Im Zug außerdem „die Teufelsmühle oder die Umschmelzung der 11.000 alten Linzer Jungfrauen”. 1901 wird der Zug von den beiden Karnevalsgesellschaften „Mer don met” und „Wer hätt dat gedaach” veranstaltet. Er führt 15 Programmnummern, darunter zum ersten Mal den Wagen des Prinzen Karneval selbst. Auf den „Kleinen Rat“ der Gesellschaft „Wer hätt dat gedaach“ geht außerdem der 1904 erstmals so genannte Linzer Elferrat zurück.

1912_001
1912_003
1912_002
1912_006

Zeitungsannoncen, 1912

Diese erste Blüte des Linzer Karnevals wurde durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs und das darauf folgende Verbot aller karnevalistischer Veranstaltungen jäh beendet. Bis in die 1920er Jahre mussten die närrischen Aktivitäten ruhen.

nach: Walter Fuchs, 100 Jahre Linzer Karneval, unv. Manuskript, [Linz 1958] = StAL Ma 29.

Quelle: http://archivlinz.hypotheses.org/523

Weiterlesen

“La Liberté” an der Elbe. Otto Marcus’ Altonia und die republikanischen Freiheiten im preußischen Hinterzimmer

Dominik Kloss WAS IST ALTONA? – fragt der prägnante Schriftzug. Dominiert wird das Motiv, seit dem Spätsommer 2014 auf Plakaten im Hamburger Stadtbild und in Kinospots zu sehen, aber von einer Frau: Wie einem Ölgemälde entsprungen, doch ganz in Rosa … Continue reading

Quelle: http://netzwerk.hypotheses.org/2170

Weiterlesen

„La Liberté“ an der Elbe. Otto Marcus‘ Altonia und die republikanischen Freiheiten im preußischen Hinterzimmer

Dominik Kloss WAS IST ALTONA? – fragt der prägnante Schriftzug. Dominiert wird das Motiv, seit dem Spätsommer 2014 auf Plakaten im Hamburger Stadtbild und in Kinospots zu sehen, aber von einer Frau: Wie einem Ölgemälde entsprungen, doch ganz in Rosa … Weiterlesen

Quelle: http://netzwerk.hypotheses.org/2170

Weiterlesen

Hochwasser

Die Linzer sind es gewohnt: Wenn der Rhein über seine Ufer tritt, werden in der Stadt seit je her Straßen und Wege unpassierbar, Keller und Wohnungen unter Wasser gesetzt, Gärten und Wiesen mit Schlamm bedeckt. Seit 1459 zeugen Hochwassermarken am Rheintor von den häufigen Überschwemmungen. Wenige Jahre zuvor, 1456, wird ein bedachter Wehrgang erstmals erwähnt, der von der Südseite der Linzer Burg oben auf der Stadtmauer zu Rheintor und Zollhaus führte und ein ungestörtes Erreichen des Stadtausgangs ermöglichte, auch wenn den Mauerring mal wieder die Fluten des Rheins umspülten.

Beeinträchtigt war immer auch die rechtsrheinische Straßenverbindung durch das Rheintal, die durch Hochwasser noch heute nicht selten unpassierbar ist, und die 1870 fertig gestellte Eisenbahnstrecke. Bis 1882 fuhr die Bahn durch Linz nur auf einem niedrigen Damm und wurde regelmäßig überschwemmt und lahmgelegt. Dann ragten nur noch die Bahnschranken und das Bahnwärterhäuschen aus den Fluten. Erst seit dem Bau des Eisenbahn-Viadukts 1883-86 ist die Trasse vor Hochwasser geschützt.

1882

Der überspülte Bahndamm 1882

Besonders extrem waren in jüngster Zeit das Weihnachtshochwasser 1993 und das Januarhochwasser 1995. Ende Januar 1995 hatte es anhaltende Niederschläge, teils als Regen, teils als Schnee gegeben, wobei die Temperaturen im Rheingraben über Null und auf den Rheinhöhen unter Null gelegen hatten. Ein Temperaturanstieg mit Schneeschmelze und weiteren Regenfällen ließen jetzt eine Hochwasserwelle erwarten. In der Nacht zum Dienstag, den 24. Januar, stieg der Rhein beständig an. Um ein Uhr nachts wurde bei einem Pegelstand von 7,10 Meter die B 42 im Bereich der Fähre überflutet. Bis 18.30 Uhr war der Pegel um einen Meter gestiegen und hatte die B 42 Richtung Linzhausen überspült. Wasser drang auch in das Café Leber am Burgplatz ein.

Hochwasser 1920, Burgplatz<br />
Repro: Stadtarchiv Linz
Hochwasser 1920er Jahre, Burgplatz<br />
Repro: Stadtarchiv Linz
Hochwasser 1920er Jahre, Hotel Europäischer Hof<br />
Repro: Stadtarchiv Linz
Hochwasser 1920er Jahre, Verwaltungsgebäude der Basalt AG<br />
Repro: Stadtarchiv Linz

Am Mittwoch blieb der Wasserstand auf dieser Höhe stehen bzw. fiel sogar leicht, um am Donnerstag ab 15 Uhr plötzlich wieder sehr schnell zu steigen. Um 20 Uhr an diesem Tag erreichte der Pegel eine Höhe von 8,79 Meter, wodurch Wasser auch in das Hotel Weinstock lief. Gegen 23 Uhr war bei einer Höhe von neun Metern die B 42 im Stadtbereich komplett überflutet. Am Montag, den 30. Januar, erreichte das Hochwasser um vier Uhr morgens schließlich seinen Höchststand von 10,28 Meter am Pegel Andernach. Am Linzer Rheintor wurde an der Wasserschmutzkante sogar eine Rheinhöhe von 10,55 Metern abgelesen.

Hochwasser 24.12.1993, Zollstraße<br />
Foto: Feuerwehr Linz
Hochwasser 22.12.1993, Am Gestade<br />
Foto: Feuerwehr Linz
Hochwasser 23.12.1993, Burgplatz<br />
Foto: Feuerwehr Linz
Hochwasser 23.12.1993, Alte Post<br />
Foto: Feuerwehr Linz

Hochwasser 1995, Am Gestade Richtung Rheintor und Burg, Foto: Stadtarchiv Linz
Blick über die B 42 Richtung Linzhausen, im Vordergrund die Kreuzung / Unterführung Am Sändchen, Foto: Stadtarchiv Linz
Hochwasser 1995, Fähranleger, im Hintergrund Haus Bucheneck und das bis unters Dach überflutete Büdchen, Foto: Stadtarchiv Linz
Hochwasser 1995, Blick vom Linzer Kaiserberg auf die Ahrmündung, Repro: Stadtarchiv Linz

Die zehn Höchststände seit 1876 (Pegel Andernach):

Der Linzer Burgplatz auf der Titelseite des San Francisco Chronicle v. 1.2.1995 Repro: Stadtarchiv Linz

Der Linzer Burgplatz auf der Titelseite des San Francisco Chronicle v. 1.2.1995
Repro: Stadtarchiv Linz

1051 cm               23.12.1993

1043 cm               01.01.1926

1040 cm               28.11.1882

1030 cm               16.01.1920

1028 cm               30.01.1995

981 cm
29.05.1983

975 cm                 19.01.1955                           972 cm                 01.01.1948
969 cm                 13.04.1983                           965 cm                 28.03.1988

Hochwassermarken am Rheintor, Rheinseite
Foto: H. Thieme

Quelle: http://archivlinz.hypotheses.org/498

Weiterlesen

Der Linzer Marienaltar

Die katholischen Kirchen der Stadt Linz beherbergen mit dem Marienaltar und dem Gnadenstuhl zwei bedeutende spätgotische Altäre. Beide wurden ursprünglich für die 1462 geweihte und 1818 abgebrochene Ratskapelle auf dem Marktplatz gestiftet. Nach deren Abriss kam der Marienalter in die Martinskirche und diente dort mit Unterbrechungen bis 1953 als Hochaltar. Seit 1967 ist das Triptychon Hauptaltar der Linzer Marienkirche. Nach einer umfassenden Restaurierung vor einigen Jahren erstrahlt er heute wieder in leuchtenden Farben.

Kollerman 6_E

Das Programm des Retabels ist nicht eindeutig, da es weder die Bildfolge eines Marienlebensaltars noch die eines Altars der Sieben Freuden Mariä genau trifft, weshalb es allgemein als Marienaltar bezeichnet wird. Bei geschlossenen Flügeln ist links eine Verkündigung Mariä zu sehen; über der Fensterarkade findet sich die Jahreszahl 1463, das Fertigstellungsdatum des Altars.

Geöffnet zeigt das Triptychon auf dem linken Innenflügel eine Verkündigungsszene, bei der Maria in der Kleidung einer Magd ein aufgeschlagenes Buch auf dem Schoß hält. Auf der Mitteltafel sind oben in einer herrschaftlichen Rundbogenarchitektur die Geburt Christi und die Anbetung der Heiligen Drei Könige zu sehen, unten die Darbringung im Tempel sowie die ungewöhnliche Darstellung des auferstandenen Jesus, der mit Maria auf einem Thron sitzt, umgeben von singenden und musizierenden Engeln.

Marienaltar, linke Tafel, Außenseite
Marienaltar, rechte Tafel, Außenseite
Marienaltar, linke Tafel, Innenseite
Marienaltar, rechte Tafel, Innenseite

Der rechte Innenflügel zeigt auf ungeteiltem Goldgrund unten die Ausgießung des Heiligen Geistes zu Pfingsten und darüber eine trinitarische Marienkrönung. Maler des Marienaltars wie auch des Gnadenstuhls ist der so genannte Meister der Lyversberg-Passion, der um 1460 in Köln auftrat. Die beiden Linzer Altäre sind die ersten großen Werke dieses Künstlers und in der langen kölnischen Maltradition verwurzelt.

Marienaltar, Mitteltafel, oben links
Marienaltar, Mitteltafel, oben rechts
Marienaltar, Mitteltafel, unten links
Marienaltar, Mitteltafel, unten rechts

Als Stifter des Marienaltars gilt allgemein der Auftraggeber des Gnadenstuhls, Propst Tilmann Joel von Linz. Wilfried Podlech stellte dies jedoch nach der Restaurierung des Altars aus mehreren Gründen in Zweifel: Die Stifterfigur auf dem Marienaltar zeigt im Gegensatz zu der auf dem Gnadenstuhl einen jüngeren Mann.

Marienaltar, Stifterbild (Johannes Ruysch?)

Marienaltar, Stifterbild (Johannes Ruysch?) 

Da beide Werke jedoch nahezu zeitgleich entstanden sind, kann es sich somit nicht um ein und dieselbe Person handeln, zumal es ungewöhnlich erscheint, dass ein Stifter zwei große Altarwerke gleichzeitig in Auftrag gibt. Gestützt wird diese Vermutung dadurch, dass zwar beide Werke das von Tillmann Joel verwendete Rosenwappen zeigen, jedoch auf dem Gnadenstuhl mit einer goldenen und auf dem Marienaltar mit einer roten Rose. Das Marienretabel wurde zudem erst zwei Jahre nach dem Tod Tillmann Joels vollendet, die Stifterfigur ist jedoch als lebende Person gekennzeichnet.

Gnadenstuhl, Stifterbild (Tillmann Joel)

Gnadenstuhl, Stifterbild (Tillmann Joel)

Aus diesen Indizien schloss Podlech, dass nicht Tillmann Joel, sondern sein Neffe Johannes Ruysch, ein Sohn seiner Schwester Lucia, der Stifter des Marienaltars ist. Johannes Ruysch diente ebenso wie sein Onkel und sein älterer Bruder Jakob als kurkölnischer Kanzler und wird in den Quellen als Rektor der Linzer Pfarrkirche genannt. Marienaltar und Gnadenstuhl wären somit als Familienstiftung zweier bedeutender Söhne der Stadt Linz zu sehen.

Gnadenstuhl

Quelle: http://archivlinz.hypotheses.org/447

Weiterlesen

Sport, Stadion, Stadt

Seit dem Zweitligaaufstieg der Lilien machen sich zweiwöchentlich über zehntausend Menschen auf dem Weg zum Böllenfalltor um zweiundzwanzig Menschen beim Bewegen eines Lederballes mit den Füßen zu beobachten. An solchen Spieltagen wird das Stadion ganz besonders sichtbar. Doch welchen Ort haben Stadien und Sportstätten in Städten in historischer Perspektive?

Dieser Frage ging der viele Jahre am Institut für Geschichte beschäftigte Historiker PD. Dr. Noyan Dinckal aus Paderborn in einem Vortrag im Rahmen des 29. Darmstädter Sport-Forums nach. Er betrachtete dabei die Entwicklung moderner Sportstätten zu Beginn  des 20. Jahrhunderts und konstatierte zum einen, wie diese mit zunehmender Popularisierung zunehmenden Einfluss auf den urbanen Raum nahmen. Straßenbahnanschlüsse, Erdumwälzungen, Parkplätze mussten gebaut oder bewältigt werden und wirkten so in starkem Maße auf die Kommune zurück.  Zum anderen wurden die Stadien durch das zunehmende Interesse der Bevölkerung zu „Orten architektonischer Massenkultur und urbaner Riten“, wie Dinckal betonte.

Die zunehmende Bedeutung des Zuschauersports brachte begleitende Diskussionen hervor, die auch dem heutigen Ohr bekannt vorkommen. Schon damals gab es Debatten über Gewalt auf den Rängen, über die Rolle von Kommerz im Stadion (auch damals gab es Logen), über die durch das Stadion herbeigeführte Trennung von Profi- und Breitensport und über das Stadion als Prestigeobjekt für die Kommunen.

Ein Blick in die Geschichte des Stadionbaus eröffnet so neue Einblicke auch in aktuelle Diskussionen um Stadionneubauten. Manche Argumentationslinien wirken in historischer Dimension anders, andere Argumente können mit historischen Erfahrungen angereichert werden. Dinckals Vortrag regt auf jeden Fall zum Nach-, Mit- und Andenken an –gerade auch wenn man sich am Wochenende mal wieder auf den Weg ins Stadion am Böllenfalltor macht und dessen Zukunft im Halbzeitgespräch thematisiert wird.

Weiterführende Links:

Bericht im Darmstädter Echo

Verlagsinformation zu Dinckals Buch über Sportlandschaften

 

 

Quelle: http://mgtud.hypotheses.org/150

Weiterlesen