Zwischen Sammelband und Wikipedia? Die ‘Netzbiographie’ als innovatives Wissenschaftsformat

Reichsunmittelbarer Altgraf und Landesherr, sodann französischer Citoyen, Comte d’Empire Napoleons, Fürst von Preußens Gnaden, verhinderter Standesherr, Wissenschaftspionier, liberaler Regionalpolitiker, virtuoser Gesellschaftsnetzwerker, Freimaurer, Major der Landwehr, Gatte einer zelebrierten französischen Salonière und Schriftstellerin, Maire, passionierter Jäger, kunstsinniger Mäzen, Großgrundbesitzer, lokaler Patron, hochkommunikatives ‘Wunderkind’ und noch vieles mehr… . Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck entzieht sich ob des enormen Facettenreichtums seiner Person, der Vielzahl ganz unterschiedlicher Handlungsräume und Arenen, die er bespielte, letztlich jedem Versuch einer monographischen Biographie. Eine solche ist notgedrungen immer auch subjektive Interpretation und Wertung, retrospektive Schwerpunktsetzung, Ausfluss des ganz persönlichen ‘Sehepunkts’ des jeweiligen Biographen. Die klassischen historischen Biographien (man denke nur etwa an die große Bismarckbiographie Lothar Galls, Golo Manns Wallenstein, oder, oder, oder…), in all ihrer Würde, sie zeugen hiervon, ja ließen das Genre in der wissenschaftlichen Community zuletzt etwas ‘alt aussehen’.

Das ist nicht ganz unbedenklich. Denn Geschichtswissenschaft, und insbesondere die Adelsforschung, braucht den biographischen Zugriff durchaus, braucht Lebensbilder weitbekannter wie auch unscheinbarer historischer Persönlichkeiten als ‘Messlatten’, detaillierte Vergleichsfolien im breiteren sozialen Kontext, und sicher auch ein Stück weit als ‘Magnete’ der außeruniversitären Aufmerksamkeit. Angesichts eines immer breiter gestreuten Fachwissens, nicht nur zu solch schillernden, multiaktiven Figuren wie Salm-Dyck, sind heute allerdings neue, integrative und über den Rahmen der universitären Forschung hinausreichende Formate der Wissensakquise und -vermittlung vonnöten, um diesen Anspruch einlösen zu können. Es braucht mehr Interdisziplinarität und einen barrierefreien Zugang zu jenem nicht mehr wegzuleugnenden wisdom of the crowd. Korporativ verfasste, breit rezipierte und ‘lebendige’ Online-Enzyklopädien geben dabei die Richtung vor. Neben der genannten interdisziplinären Expertise bieten jene webbasierten Formate die große Chance zu einer multiplen Perspektive, zu mehr Ergebnisoffenheit, zu einem differenzierteren Blick – zum Beispiel auf adlige ‘Gewinner und Verlierer’ der Sattelzeit.

Eine Netz-Biographie (wobei das Wort ‘Netz’ hier gleich eine ganze Reihe von Implikationen aufweist) erscheint vor diesem Hintergrund nicht nur als mögliche Reaktion, denn vielmehr als vielleicht  wegweisende Innovation. Als dezidiert multiperspektivisch reüssiert dieses neuartige Format über vergleichsweise zahlreiche, thematisch stark konzentrierte, den einzelnen ‘Spezialgebieten’ im Wirken Salm-Dycks gewidmete, eng miteinander verlinkte Kurzbeiträge (small narrative units), erarbeitet von einem interdisziplinären Autorenkollektiv, das koordiniert von der Redaktion in stetem Kontakt zueinander steht und die Beiträge nicht ‘nebeneinander her’, sondern ‘aufeinander zu’ schreibt. Dies vermeidet nicht allein Redundanzen, sondern blendet verschiedene Forschungsansätze und Überlieferungsstränge (etwa private Adels- und Staatsarchive) fruchtbringend ineinander. Die Netzbiographie versteht sich ferner als modular, denn sie ermöglicht unterschiedlichste Zugriffe auf Beiträge, Verzeichnisse und ergänzende Materialien und visualisiert dieserart Synergien und Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Handlungsräumen (vgl. Blogbeitrag vom 7.5.2013). Dass die Netzbiographie online publiziert wird, versteht sich dabei im Grunde von selbst. Ubiquitäre Sicht- und Verfügbarkeit, rasches Erscheinen und die Verpflichtung gegenüber dem Open-Access-Prinzip sind hierzu nur die wichtigsten Triebfedern. Die gewählte Online-Publikationsplattform (historicum.net – E-Studies) deutet dem Namen nach bereits ein weiteres Anliegen an – die Einbindung der präsentierten Forschungsergebnisse und Quellenmaterialien ins universitäre E-Learning.

Selbstredend verbleibt das Format – weniger trotz als gerade wegen seiner Platzierung im Web vollends wissenschaftlich. Hierfür garantieren die den Beiträgen immanenten Anmerkungsapparate, Zitierhinweise und Metadatenkerne, die Registrierung/Auffindbarkeit der Netzbiographie in den Web-OPACS der akademischen Bibliotheken, ihre Langzeitarchivierung. Dass Digitalisate und Transkriptionen zitierter Quellenstücke die Netzbiographie ergänzen, ist auch in diesem Zusammenhang als Demonstration der Stärken des Publikationsmediums Internet zu verstehen. Darüber hinaus ist auch dieses Feature Teil des integrativen Konzepts. Denn Adressaten der Netzbiographie sind nicht allein die Wissenschaftskreise. Ein bewusst dokumentarisch gehaltener Schreibstil, eine (verlinkte) Zeitleiste, ein Glossar zur kurzen Erläuterung speziellerer Phänomene und Institutionen sollen die volle Wertschöpfung aus der Publikation auch für historisch interessierte ‘Laien’, Studierende, Lehrer, Heimatforscher etc. ermöglichen. Schöpfen, anzapfen, aufgreifen und integrieren möchte die Netzbiographie ja gerade auch deren Fachwissen, Ideen und Anregungen. Sie ist dialogisch, gerade insofern, als sämtliche Beiträge von vornherein als aktualisierbar (Time Stamps) und kommentierbar (Front End) konzipiert sind – von universitär angebundenen wissenschaftlichen Redakteuren kontrolliert und koordiniert. Dies schließt das Einstellen komplett neuer Artikel zu weiteren Themenfeldern genauso mit ein wie die Diskussion der jeweiligen Ansätze und Befunde ‘en Blog’. Von der fortdauernden ‘Lebendigkeit’ der Online-Biographie kann also in gleich mehrfacher Hinsicht ausgegangen werden. ‘Ins Netz’ geht hier weit mehr als nur ein Fürst!

 Florian Schönfuß

Quelle: http://rhad.hypotheses.org/155

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Die Generalstaaten im Dreißigjährigen Krieg: eine vergessene Geschichte

Die Geschichtsschreibung ist an der Stelle sehr entschieden: Krieg führten der Kaiser und seine Verbündeten gegen die Pfälzer, Dänen, Schweden, Franzosen. Nur mit den Generalstaaten (in den Quellen meist „Staaten“ oder wie heut noch einfach und fälschlich „Holländer“ genannt) gab es so gut wie keine Berührungspunkte. So weit, so falsch. Denn es gibt immer wieder Hinweise darauf, daß niederländische Soldaten in großer Anzahl und keineswegs ‘zufällig’ im Reich agierten.

Gerade am Niederrhein gab es zahlreiche Basen für niederländische Einheiten, und diese Region war ohnehin der Bereich, in dem sich der Achtzigjährige und der Dreißigjährige Krieg überlappten. Die Operationen „staatischer“ Einheiten richteten sich aber nicht nur gegen spanische Stützpunkte, sondern griffen weit ins Reichsgebiet aus – ein Umstand, den die Forschung bislang vernachlässigt hat. Dabei ist durchaus bekannt, daß viele Reichsfürsten, zumal die katholischen, sich sehr davor scheuten, in das „niederländische Wesen“ verstrickt zu werden: Der Krieg im Reich sollte sich auf keinen Fall mit dem Kampf der Generalstaaten gegen die Spanier vermischen. Diese politische Doktrin ist in der Forschung weithin bekannt und mag ein wichtiger Grund dafür sein, daß dieses Thema bislang nicht in entsprechender Weise gewürdigt worden ist.

Ich selbst habe vor einigen Jahren dieses Thema von kurkölnischer Warte aus berührt (Der Krieg in der „Wetterecke der europäischen Politik“: Kurköln und die Kriegführung der Liga unter dem Feldherrn Tilly (1621-1630), in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 98 (1997/98), S. 29-66). Mittlerweile aber sehe ich die Dimension generalstaatischer Aktivitäten differenzierter und auch deutlich vielfältiger als zunächst angenommen. Nun strebe ich gar nicht an, die Generalstaaten gleichsam als offizielle Kriegspartei in diesen Konflikt einzuführen. Aber es gab deutliche Verstrickungen. Nur hat man deswegen kein großes Aufheben darum gemacht; gerade die betroffenen Landesobrigkeiten hielten es offenbar für nicht opportun, dieses Thema oben auf die Agenda zu setzen. Dasselbe gilt auch für die Generalstaaten selbst.

Und so wurde diese Problematik auch in der Aktenüberlieferung zwar nicht verschwiegen, doch deutlich zurückgedrängt. Nun ist es, wie ich finde, an der Zeit, diese vergessene Geschichte prononcierter, als bislang geschehen, zu bearbeiten. Im September findet in Bonn eine Tagung zum Thema „Krieg und Kriegserfahrung am Rhein. Der Westen des Reiches im langen 17. Jahrhundert (1568-1714)“ statt, auf der ich mich zum Thema Generalstaaten äußern werde. Erschöpft ist dieser Themenkomplex damit jedoch noch lange nicht. Weiteren Aspekten werde ich mich auch künftig verstärkt zuwenden.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/229

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Tagung: Kooperative Forschungsumgebungen in den Digital Humanities

Das interdisziplinäre Forschungsprojekt studiolo communis veranstaltet am 22. und 23. Juli 2013 seine Abschlusstagung in Paderborn.

Die geplanten Vorträge der Tagung werden sich aus interdisziplinärer Sicht mit unterschiedlichen Ansätzen, Problemen und Fragen bei der Entwicklung von Forschungsumgebungen auseinandersetzen und ebenso eine Blick auf zukünftige Entwicklungen und Forschungsperspektiven in den Digital Humanities werfen.

Vorträge

  • Prof. Dr. Reinhard Förtsch (Deutsches Archäologisches Institut, Berlin) Die DAI-Cloud und IANUS. Evolutionsstufen einer kooperativen Forschungsumgebung
  • Doris Annette Hartmann, Andreas Oberhoff (Universität Paderborn) studiolo communis – Digitale Unterstützung des Forschungsdiskurses in der Kunst- und Architekturgeschichte
  • PD Dr. Martin Warnke (Leuphana Universität Lüneburg) Das subversive Bild
  • Michael Franke (Max Planck Digital Library, München) Erfolgsfaktoren für virtuelle Forschungsumgebungen
  • Prof. Dr. Joachim Veit (Hochschule für Musik, Detmold) Zum gegenwärtigen Stand und den Perspektiven digitaler Musikeditionen
  • Prof. Dr. Eva-Maria Seng, Prof. Dr. Reinhard Keil (Universität Paderborn) Hand- und Kopfarbeit – Unterstützung des Forschungsdiskurses in den Kulturwissenschaften

Das ausführliche Programm und weitere Infos zur Tagung gibt es unter: http://imt.uni-paderborn.de/studiolo/abschlusstagung-22-23713/

Um eine Anmeldung wird gebeten, am einfachsten online unter: http://www.imt.uni-paderborn.de/studiolo/anmeldung

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=1940

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Hausnummern-Expedition, Fr 27.9.2013

Für das Wienmuseum biete ich im September - Fr 27.9.2013, 16 Uhr - wieder eine Hausnummern-Expedition an; wer auch immer daran teilnehmen möchte, ist herzlich eingeladen, Informationen zur Anmeldung siehe unten!

150 Jahre Orientierungsnummern in Wien: Eine Hausnummern-Expedition durch die Innenstadt

1863, also vor 150 Jahren, wurde in Wien die Einführung von Hausnummern abgeschlossen. Die Initiative ging vom Schilderfabrikanten Michael Winkler aus, der nach Vorbild anderer Städte wie Paris vorschlug, das System der wechselseitigen Nummerierung mit geraden und ungeraden Nummern auf jeweils gegenüberliegenden Seiten auch in Wien zu etablieren. Das alte System mit den in einer Zahlenreihe durchlaufenden "Konskriptionsnummern" war zu unübersichtlich geworden.

Die heute üblichen Hausnummern scheinen keine Vergangenheit zu haben, so alltäglich sind sie für uns geworden. Der Rundgang liefert Einblicke in die Geschichte einstiger und gegenwärtiger Orientierungssysteme.

Dauer: 2 Stunden
Teilnahme: EUR 10,–
Beschränkte Teilnehmerzahl,
Anmeldung unbedingt erforderlich: service(at)wienmuseumat oder
Tel. (43-1) 505 87 47-85173 (Mo-Fr, 9-13 Uhr)
Die Stadtexpedition findet bei jedem Wetter statt!


Weitere Infos:
http://www.wienmuseum.at/de/veranstaltungen.html

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/444868297/

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Ostdeutschland: Blockierter Umbruch? – Von Benjamin Köhler

Nach unseren ersten Beiträgen zu Kriminalität und Migration werde ich im Folgenden ein eher regionalsoziologisches Thema in den Vordergrund rücken, das sich mit den Umbrüchen in Ostdeutschland beschäftigt. Dazu möchte ich einführend auf die Filme Nicht mehr – noch nicht und … Weiterlesen

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/5266

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Christliche Mystik im Mittelalter – der Austausch mit anderen religiösen Lehren

Kam es im Mittelalter zu einer Art Austausch zwischen der christlichen Mystik in Europa und der islamischen oder fernöstlichen Mystik und nicht-christlichen religiösen Lehren (Islam, Buddhismus, Taoismus)?

Bei näherer Betrachtung der im Mittelalter existierenden spirituellen Strömungen, lassen sich  zwischen den theoretischen und praktischen Elementen der christlichen Mystik Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten mit der Lehre des Buddhismus und anderen Strömungen der östlichen Mystik finden (z. B. die Idee des absoluten Nichts in: Haas, 1984 Freiburg/Schweiz, S. 183, Reiland, Münster 2007, S. 34). Daher verwundert es nicht, dass es kulturelle Kontakte und einen Austausch zwischen den europäischen Mystikern des Mittelalters und beispielsweise fernöstlichen Mystiker gegeben hat. Jedoch lassen sich gewisse Wechselwirkungen zwischen der Mystik aus jüdischer, christlicher, buddhistischer und islamischer Tradition erst in der Frühen Neuzeit finden: So lässt sich der christliche Mystiker Jakob Böhme am Ende des 16. Jhr. von Lehren aus der jüdischen Mystik, der Kabbala inspirieren, der islamische Mystiker Husayn ibn Mansur al- Hallag greift Lehren aus der christlichen Mystik auf, während der christliche Mystiker Johannes vom Kreuz sich mit Lehren der islamischen Mystik befasst (Hense, Münster 2005, S. 9).

Empfohlene Zitierweise: Blümel, Jonathan (2013): Christliche Mystik im Mittelalter  der Austausch mit anderen religiösen Lehren. In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]

Quelle: http://jbshistoryblog.de/2013/07/christliche-mystik-im-mittelalter-im-austausch-mit-fremden-religiosen-lehren/

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Podcast zum Thema "kontrafaktische Geschichte"

Von Stefan Sasse

Kontrafaktische Geschichte - die Frage des "Was wäre, wenn" - stellt Historiker vor eine ganze Reihe von Problemen, kann aber gleichzeitig auch ungeheure Chancen bieten. Sie ist gleichzeitig das bevorzugte Arbeitsfeld von Hobby-Historikern und Science-Fiction-Autoren wie Harry Turtledove, die jedoch alle ernste Probleme aufweisen. Ich rede mit dem amerikanischen Historiker Steven Attewell über die wissenschaftlichen Probleme der kontrafaktischen Geschichte, über die Gründe ihrer Popularität, ihre Vor- und Nachteile sowie einige landesspezifische Unterschiede. Der Podcast ist auf Englisch und kann hier als MP3 heruntergeladen werden.

Hinweis: Beim Download das Häkchen für die Verwendung des "Sendspace Accelerators" enthaken, um nicht nutzlose Zusatzsoftware zu laden. 

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2013/07/podcast-zum-thema-kontrafaktische.html

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arts-humanities.net. guide to digital humanities & arts

arts-humanities.net aims to support and advance the use and understanding of digital tools and methods for research and teaching in the arts and humanities by providing information on projects creating and using digital content, tools and methods to answer research questions; Information on tools and methods for creating and using digital resources; a listing of […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/07/4593/

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